EM 2020
// DIE SCHIEDSRICHTER
# 56
ALLES HÖRT AUF IHR KOMMANDO
Ex-Schiedsrichter Babak Rafati lobt die Initiative der Uefa, die Spielleitung bei der EM in die Hände erfahrener Referees zu legen. Dennoch sind einige Neulinge dabei – darunter mit Stéphanie Frappart auch die erste Frau.
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ie Uefa hat nunmehr 18 Schiedsrichterteams für die EM 2020 bekannt gegeben. Sie werden zuerst in Istanbul und für die letzten drei Finalspiele in London ihr Quartier beziehen. Neu ist, dass aus einigen Nationalverbänden zwei Schiedsrichter nominiert sind, wovon auch Deutschland profitiert. Die Uefa will weg vom Proporz und hin zur Qualitätssteigerung. Dabei sind durchaus Überraschungen dabei. Nur sieben Schiedsrichter haben bereits EM- oder WM-Erfahrung. Die prominentesten sind Björn Kuipers (48), Felix Brych (45) und Cüneyt Cakir (44). Für mich zählen diese drei und Daniele Orsato (45) aus Italien zu den Topfavoriten für die entscheidenden Spiele. Sie pfeifen zudem, wegen der Altersgrenze, ihr letztes Turnier. Die weiteren elf Schiris feiern ihr Debüt bei einem großen Turnier. Premiere: Der Argentinier Fernando Rapallini (43) ist im Rahmen eines Austausches mit dem südamerikanischen Fußballverband dabei. Ebenso erstmalig dabei ist eine Schiedsrichterin: Stéphanie Frappart (37) aus Frankreich, die auch schon in der Champions League der Männer und 2019 beim Uefa-Supercup zwischen Liverpool und Chelsea gepfiffen hat. Allerdings ist sie als vierte Offizielle nominiert. Nur im Falle einer Verletzung würde sie einspringen und endgültig Geschichte schreiben. Aus deutscher Sicht ist der Weltschiedsrichter von 2017, Felix Brych, nominiert. Die Euro 2020 ist sein viertes großes Turnier. Eigentlich hätte er bereits zum Jahresanfang wegen der Altersgrenze aufhören müssen. Allerdings wurde für die EM-Teilnahme für ihn wie auch für seinen niederländischen Kollegen Björn Kuipers die Altersgrenze verlängert. Zwei Ausnahmeschiedsrichter, zwei Ausnahmeregelungen. Absolut berechtigt! Brych genießt bei den Uefa-Verantwortlichen ein großes Ansehen. Er bringt als Rekordhalter von 64 Champi-
Durchsetzungsstark: Für die EM-Teilnahme des niederländischen Schiedsrichters Björn Kuipers (großes Bild, Mitte) erweiterte die Uefa eigens die Altersgrenze. Schiedsrichterin Stéphanie Frappart (kleines Bild) stellte ihr Können bereits in der Champions League unter Beweis. Foto: IMAGO (2)/Insidefoto, PA Images
Unser Experte Babak Rafati ist ehemaliger Bundesliga-Schiedsrichter und arbeitet heute als Motivations coach.
ons-League-Spielen eine Menge Erfahrung mit. Der zweite deutsche Schiedsrichter, Daniel Siebert (37), ist eine absolute Überraschung. Er pfeift trotz wenig Erfahrung von nur vier Champions-League-Spielen in drei Jahren sein erstes großes Turnier. Novum: Wie Andreas Ekberg aus Schweden bekam auch er den Vorzug, obwohl er in der zweiten Uefa-Kategorie eingestuft ist. Bisher haben an großen Turnieren ausschließlich Schiedsrichter aus der Elitekategorie teilgenommen. Aus Deutschland wären mögliche Kandidaten aus dieser besonderen Gilde Felix Zwayer, Deniz Aytekin und Tobias Stieler. Sie haben aber in den letzten Jahren die Erwartungen des Uefa-Chefs Roberto Rosetti wohl nicht erfüllen können. Dazu muss man wissen, dass es in der Königsklasse weitaus weniger Spiele für die Schiris gibt als in der Bundesliga. Fehlentscheidungen fallen somit mehr
ins Gewicht. Siebert wiederum hat durch gute Leistungen auf der kleinen Bühne in der Europa League überzeugt. Regeländerungen werden immer ab 1. Juli eingeführt, wobei diese bei großen Turnieren meist vorgezogen werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die neue Handspielregel bei der Euro 2020 bereits Anwendung finden, auch wenn dies bis heute noch nicht amtlich ist. Dabei soll beim Handspiel die Absicht wieder als entscheidendes Kriterium in den Fokus rücken. Zudem wird bei unabsichtlichem Handspiel mit Torfolge nur noch die Unmittelbarkeit bestraft. Das bedeutet, dass nur noch, wenn der Torschütze zuvor den Ball mit der Hand gespielt hat, strafbares Handspiel vorliegt. Ein Mitspieler kann dafür nicht bestraft werden. Beim Videobeweis bin ich davon überzeugt, dass die Uefa diesen besser als in der Bundesliga umsetzen wird. Motto: Minimaler Einsatz und maximaler Nutzen.