ENERGIE
Donnerstag, 25. April 2013
Ziehen Deutschlands Unternehmer den Stecker? 700 Millionen Euro soll die deutsche Industrie beisteuern, damit die ÖkostromUmlage nicht noch weiter steigt. Der Mittelstand sieht seine Existenz bedroht und droht angesichts steigender Energiepreise mit Abwanderung. Die stromintensiven Unternehmen wehren sich dagegen, mehr für die Energiewende zu zahlen und mahnen alle politischen Akteure, Industrie und Endverbraucher nicht gegeneinander auszuspielen.
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www.ostdeutsches-energieforum.de
EDITORIAL Von Klaus Olbricht und Hartmut Bunsen
Energiewende – ein Eingriff ins offene Herz der Wirtschaft ie Energiewende dürfte nach der Wiedervereinigung die größte gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderung der letzten Jahrzehnte sein. In der Vergangenheit konnte man sich stets auf die technische und planerische Gestaltungskraft Deutschlands und seiner Unternehmen verlassen. Inzwischen haben technologische und strukturelle Großprojekte in den letzten Jahren aber ein derartig komplexes Niveau angenommen, Klaus dass ernste Zweifel für die Zukunft aufkomOlbricht men. So gravierend die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen dieser Großprojekte auch sind, letztlich bleiben es begrenzte Einzelfälle. Bei der Energiewende stellt sich die Situation weitaus dramatischer dar, schließlich stellt die Energiebranche die Blutversorgung des Organismus Wirtschaft sicher und jeder Eingriff ist eine Operation am offenen Herzen. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie alle Energieformen diskriminierungsfrei einHartmut bezieht, zentral koordiniert sowie nachhaltig Bunsen umgesetzt wird. Und dabei sollten wir uns in Mitteldeutschland unserer Tradition bewusst sein, denn hier wurde vor 300 Jahren erstmalig der Begriff Nachhaltigkeit geprägt. 1713 schrieb Hannß Carl von Carlowitz in Freiberg mit der „Sylvicultura Oeconomica – Anweisung zur wilden Baumzucht“ das erste forstliche Lehrbuch, in dem er den Begriff der „nachhaltigen Nutzung“ der Wälder prägte. Und vergleichbar mit heute, verfasste von Carlowitz sein Buch während einer Energiekrise. Die Erzgruben und Schmelzhütten des Erzgebirges mussten mit viel Holz als Energiequelle versorgt werden, was zu einem Raubbau der Wälder führte. In diesem Sinne soll das Ostdeutsche Energieforum nach seiner Premiere im letzten Jahr wiederum als Denkfabrik zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik fungieren, um Lösungsansätze für die bestehenden Herausforderungen aufzuzeigen. Mit effizienter Planung, Engagement und neuen Ideen kann die Energiewende geschafft werden. Das Ostdeutsche Energieforum wird als etablierte Veranstaltungsreihe dazu beitragen, Antworten in einem der wichtigsten Zukunftsfelder der nächsten Jahrzehnte zu geben. Foto: dpa
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Foto: Armin Kühne
as Vertrauen der deutschen Wirtschaft in den Fortgang der Energiewende hat erheblich gelitten. Das belegt der neue „Energiewende-Index“ der halbstaatlichen Deutschen Energie-Agentur (Dena). Im ersten Quartal 2013 sank die Stimmung in Bezug auf die Energiewende um fast sieben Punkte und lag mit einem Wert von 95,8 erstmals unter der Marke von 100 Punkten. Damit sieht eine Mehrheit der von der Energiewende betroffenen Investoren, Verbrauchern, Netzbetreibern und Unternehmen das Projekt erstmals eher negativ. Vor allem haben die steigenden Strompreise der Skepsis Vorschub geleistet. Die Frage der Unternehmer: Wie können die steigenden Strompreise eingedämmt werden? Bund und Länder sind sich weiter uneins. Der Vorschlag der Länder, die Stromsteuer zu senken, fand beim Energiegipfel im März keine Zustimmung. Mit Blick auf den Bundeshaushalt 2014 gebe es dafür keine Spielräume. Eine grundlegende Reform des ErneuerbareEnergien-Gesetzes (EEG) wird es nach Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erst in der nächsten Wahlperiode geben. In der Industrie stößt die Vertagung auf Kritik: „Dies ist ein fatales Signal für die notwendige Steuerung der Energiewende insgesamt“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Energiewirtschaft, Hildegard Müller. BDI-Chef Ulrich Grillo sprach von einer verpassten Chance: „Dieses Spiel auf Zeit gefährdet fahrlässig Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze.“ Ursprünglich wollten Bund und Länder noch vor der Bundestagswahl versuchen, bei der rasch steigenden Ökostrom-Umlage gegenzusteuern. Die Ökostrom-Umlage, auch EEG-Umlage genannt, ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Börsen-Strompreis und der gesetzlich garantierten Einspeisevergütung für Ökostrom. Es ist das erklärte Ziel von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), eine Strompreisbremse durchzusetzen. Im Gespräch sind Einsparungen im Milliardenbereich. Dazu sollten Rabatte für die Industrie und Vergütungen für die Ökostrom-Branche nachträglich gekürzt werden. Die rotgrün regierten Länder wehren sich gegen den Plan der Bundesregierung. Auf dem zweiten Ostdeutschen Energieforum, das am 29. und 30. April auf der Leipziger Messe stattfindet, wollen die Vertreter der neuen Bundesländer ihre Vorstellungen diskutieren. „Wir haben schon jetzt Energiekosten, die 20 Prozent über dem West-Niveau liegen“, sagt Hartmut Bunsen, Sprecher der Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände Ostdeutschlands und Berlins. Für ihn stünden die Versorgungssicherheit und die Preisstabilität im Vordergrund. Wolfgang Topf, Präsident der Industrie- und Handelskammer Leipzig, bekräftigt das. Die Stromkosten für die mittelständischen Betriebe seien in diesem Jahr um zwölf Prozent geklettert. Bei einem Industrieunternehmen mit einem Jahresverbrauch von vier Millionen Kilowattstunden ergebe sich daraus eine Zusatzbelastung von 200 000 Euro. Die von Altmaier – er kommt ebenso zur Tagung wie Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) – vorgeschlagene Strompreisbremse sei ein richtiger Schritt, „löst aber nicht das systemische Problem“, meint Topf.
Klaus Olbricht ist Vizepräsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hartmut Bunsen Sprecher der Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände Ostdeutschlands und Berlin