EM 2020
// LÖW – SEIN LETZTES TURNIER
# 12
ANGST VORM ALBTRAUM
E
s ist seine letzte Mission als Bundestrainer. Nach der Europameisterschaft tritt Joachim Löw tatsächlich und freiwillig ab. Gut 15 Jahre und knapp 200 Länderspiele – so viele wie noch kein DFB-Trainer vor ihm – wird der 61-Jährige dann als wichtigster Coach im deutschen Fußball auf dem Buckel haben. Und eines steht schon jetzt fest: Die Aufgabe bei seinem Abgang könnte größer kaum sein. Bereits in der Gruppenphase trifft das DFB-Team nämlich auf zwei Topfavoriten des Turniers: Weltmeister Frankreich und Titelverteidiger Portugal. Wehmut verspürt Löw laut eigener Aussage nicht. „Ausschließlich Vorfreude“, sagte er. „Wir haben ihm viel zu verdanken und wollen Jogi den bestmöglichen Abgang ermöglichen“, schwört Ilkay Gündogan stellvertretend für viele, die Löw groß gemacht hat oder die mit ihm groß wurden. Bei den ersten fünf Turnieren seit seiner Amtsübernahme als vorheriger Assistent von Jürgen Klinsmann 2006 führte er die Mannschaft mindestens bis ins Halbfinale. 2008 bis ins Finale, 2014 bis zum Titel. 2018 folgte dann das desaströse Vorrundenaus bei der WM in Russland. Danach leitete Löw den (überfälligen) Umbruch ein und sortierte mit Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller gleich drei verdiente Weltmeister überraschend aus. Zwar qualifizierte sich Deutschland souverän als Gruppensieger für die EM, kassierte im vergangenen Winter aber eine historische 0:6-Klatsche in der Nations League in Spanien. Doch damit nicht genug. Im März folgte ein pein-
liches 1:2 in der WM-Quali gegen den Fußballzwerg Nordmazedonien. Vor seiner letzten Endrunde machte Jogi deshalb den Salto rückwärts, brach seinen Umbruch ab – und holte Müller und Hummels für das Turnier zurück. Beide sind wichtiger Bestandteil seiner Achse, die der Bundestrainer stets bei Turnieren bildete. Vor Torhüter Manuel Neuer und Hummels zählen Toni Kroos (Real Madrid), Joshua Kimmich (FC Bayern) und eben Müller dazu. Beim ersten EM-Test gegen Dänemark (1:1) spielten beide Rückkehrer durch. Im knapp zweiwöchigen Trainingslager in Seefeld (Tirol) arbeitete Löw mit seinem Team neben den sportlichen Baustellen wie Standardsituationen auch am Zusammenhalt, der der Mannschaft vor drei Jahren in Russland abging, die Truppe aber beim WM-Sieg von Rio ausgezeichnet hatte. Der Bundestrainer: „Wichtig wird sein, dass wir eine Gewinnermentalität aufbauen. Jeder muss bereit sein, auch wenn er anfangs mal draußen sitzt. Das müssen wir leben, jeden Tag erfüllen, auch im Training. Das beste Beispiel waren 2014 Miro Klose, Mario Götze oder André Schürrle, die dem Team entscheidende Impulse geben konnten und immer darauf gebrannt haben, dass sie reinkommen, wie auch Christoph Kramer.“ Vor seiner letzten Mission zeigte sich Löw von Beginn der Vorbereitung an fokussiert und motiviert. Selten hatte man ihn in den Jahren zuvor so engagiert und laut auf dem Trainingsplatz erlebt. Immer wieder unterbrach er die Einheiten. Korrigierte, schimpfte, forderte. „Ich weiß, was es braucht, um bei einem Turnier erfolgreich zu sein“, sagte er.
Foto: IMAGO/ Laci Perenyi
Zum Ende seiner Karriere als Bundestrainer steht Joachim Löw vor einer denkbar schwierigen Aufgabe. Bei der EM muss er sich deshalb selbst noch mal neu erfinden.