3 minute read

«Eine Migros ohne Eigenmarken ist undenkbar»

Armando Santacesaria leitet die MigrosIndustrie, die einen Grossteil des MigrosSortiments herstellt. Der schweizerischitalienische Doppelbürger über Inflation, Frauenquoten – und warum es seinen Lieblingskaffee in der Migros nicht gibt.

Text: Kian Ramezani

Bild: Nik Hunger

Armando Santacesaria, was machen Sie bei der Migros?

Ich leite die Migros-Industrie. Unsere Produktionsbetriebe stellen über 20 000 Eigenprodukte für die Migros her. KultEistee, Jowa-Bürli, CandidaZahnpasta, Frey-Risoletto und viele mehr.

Lohnt es sich, diese Produkte selbst herzustellen?

Auf jeden Fall. Wir kontrollieren die gesamte Wertschöpfungskette, vom Einkauf der Rohstoffe über die Entwicklung der Rezepturen bis hin zur Produktion und Verpackung. Wenn die Migros zum Beispiel entscheidet, für ihr Brot nur noch Mehl in mindestens IP-Suisse-Qualität zu verwenden, dann können wir sofort mit der Umsetzung starten.

Worin liegt der Nutzen für die Kunden?

Der zeigt sich etwa in der aktuellen Situation: Auch die MigrosIndustrie spürt die Auswirkungen der Inflation. Rohstoffe, Energie, Verpackungsmaterial: Alles ist teurer geworden und hat uns im vergangenen Jahr Mehrkosten in dreistelliger Mil- lionenhöhe beschert. Aber wir sind in der Lage, die Preissteigerungen zumindest teilweise abzufedern. Denn unser Ziel ist nie die Gewinnmaximierung, sondern das beste Preis-Leistungs-Verhältnis für die Kunden. Die Bedeutung der Eigenindustrie zeigte sich auch während der Corona-Pandemie, als wir mit unseren Fabriken einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit der Schweiz leisteten.

Armando Santacesaria (51) stammt aus Piacenza (I) und studierte Betriebswirtschaft an der Mailänder Universität Bocconi. Vor der Migros arbeitete er bei den USUnternehmen Gillette, Procter & Gamble und Kellogg. Santacesaria besitzt die Schweizer Staatsbürgerschaft und wohnt in Risch ZG. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.

Man hört viel über Fachkräftemangel. Wie ist die MigrosIndustrie davon betroffen?

Wir spüren das auf jeder Ebene, vom Management bis in die Produktion. Aktuell sind in der Migros-Industrie über 350 Stellen offen. Ich ermutige alle Berufstätigen, die eine neue Herausforderung suchen, den Stellenmarkt der Migros-Industrie anzusehen: Herstellung, Betriebstechnik, IT –wir bieten viele spannende Jobs.

Sie betonen die Wichtigkeit der Eigenmarken. Die Migros nimmt aber regelmässig Fremdmarken ins Sortiment. Eine Migros ohne Eigenmarken ist undenkbar. Gleichzeitig möchten wir, dass unsere Kunden alle ihre Lieblingsprodukte in den Filialen finden. Dazu gehören auch ausgewählte Fremdmarken. Der Anteil der Eigenmarken am Gesamtsortiment liegt seit Jahren stabil bei rund 80 Prozent, denn auch die Migros-Industrie bringt regelmässig neue Produkte auf den Markt. Darunter viele der pflanzenbasierten Produkte der neuen Eigenmarke V-Love. Oder Weltneuheiten wie Coffee B, das Kapselsystem ohne Kapsel mit seinen vollständig kompostierbaren Coffee Balls.

Neben den Fremdmarken machen auch die Discounter druck. Wie wollen Sie mit der Migros-Industrie wachsen?

Wachstum ist für uns nie Selbstzweck. Wir möchten mit unseren Produkten Erfolg haben und die Migros-Kunden mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis begeistern. Wachstum ist vor allem im Ausland ein Thema, wo wir «Swissness» in Form von Käse, Kaffee, Schokolade sowie Kosmetik- und Hygieneprodukten exportieren.

Wie bedeutend ist das Ausland für die Migros-Industrie?

2022 erzielten wir im Ausland erstmals einen Umsatz von einer Milliarde Schweizer Franken. Das entspricht einer von sechs Milliarden, die die Migros-Industrie im Jahr gesamthaft erwirtschaftet. Das Exportgeschäft tangiert indirekt auch den Schweizer Markt, denn je mehr wir im Ausland verkaufen, desto besser sind unsere Produktionsanlagen ausgelastet. Dies senkt die Stückkosten für alle.

Was wird die Migros-Industrie noch aus dem Hut zaubern?

Wir arbeiten an verschiedenen Innovationsthemen. Zum Beispiel an «Cultured Meat», Fleisch, das durch die Kultivierung von Stammzellen entsteht. Wir sind überzeugt, dass solche Produkte langfristig einen Beitrag zur Lösung des Klimawandels und der globalen Ernährungssicherheit leisten können. Ein beachtlicher Teil unserer Innovationen findet abseits der Produkte statt, etwa bei Verpackungen. Wir haben als Erste PET aus CO2 verarbeitet.

Sie sind in Italien aufgewachsen. Gibt es Produkte, die Sie in der Migros vermissen?

Ich kam vor 25 Jahren in die Schweiz. Mit Italien und meiner Jugend verbinde ich den Kaffee. Heute ist es jedes Mal eine Reise in meine Vergangenheit, wenn ich einen Espresso mit hohem Robusta-Anteil trinke, der herrlich erdig und nussig ist. In der Schweiz ist die Arabica-Sorte beliebter – sie schmeckt fruchtig und nur leicht bitter. Manchmal vermisse ich den italienischen Kaffee meiner Jugend.

Warum hat die Migros keinen Robusta-Kaffee?

Wir produzieren, was unsere Kunden mögen, und nicht, was ich persönlich mag.

Sie haben früher für grosse US-Konzerne gearbeitet. Was ist der grösste Unterschied zur Migros?

Die Motivation. Die Migros verfolgt ein höheres, übergeordnetes Ziel: einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Diese Sinnhaftigkeit ist deutlich wichtiger für meine Kolleginnen und Kollegen in der Migros, als ich es in diesen amerikanischen Firmen erlebt habe.

Die Migros-Industrie will mindestens ein Drittel Frauen in Führungspositionen. Werden Sie dieses Ziel erreichen?

Jede und jeder mir direkt unterstellte Mitarbeitende hat diese Vorgabe. In der Rekrutierung suchen wir ausdrücklich Frauen, wir organisieren Coachings und Networking-Möglichkeiten. Das zeigt bereits Wirkung: In der Ge-

Die MigrosIndustrie produziert jeden Tag

160 000 Gipfeli

20 000 Risoletto

11 Tonnen TotalWaschmittel (flüssig)

50 000 Packungen Blévita

150 000 Liter Kult-Eistee

19 000

Tuben CandidaZahnpasta

7000 Flaschen HandyAbwaschmittel schäftsleitung unseres Fleischverarbeitungsbetriebs Micarna sitzen fünf Frauen. Die Entwicklung von Coffee B wurde von einer Frau geleitet. Die Jowa in Gränichen AG, mit 800 Mitarbeitenden die grösste Bäckerei der Schweiz, hat eine Chefin.

Dann sind Sie zuversichtlich?

Wir sind auf gutem Weg, und ich bin überzeugt, wir werden dieses Ziel kurzfristig erreichen und mittelfristig sogar übertreffen.

Hatten Sie selbst schon eine Chefin?

Mehrere, und von allen habe ich viel gelernt. Manche waren meine Mentorinnen, die mich bei Karriereentscheidungen unterstützt haben. Ich hatte schon als Kind starke Frauen in meinem Leben: Meine Mutter war Apothekerin und die Grossmutter die einzige Lehrerin im Dorf, das hat mich geprägt. MM

This article is from: