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Krampfen im Stollen

Hartes Tagwerk unter Tage

Die Salzmine in Bex ist als einziges Bergwerk der Schweiz noch in Betrieb. Drei Angestellte halten es am Laufen. Das Migros-Magazin hat einen von ihnen begleitet.

Text: Pierre Wuthrich Bilder: Nicolas Righetti/Lundi13 Wie Tausende von Angestellten steigt Gabriel Carrasco jeden Morgen in einen Zug, um zur Arbeit zu fahren. Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen überfüllten Pendlerzug, sondern einen Kleinstzug, in dem nur noch zwei weitere Personen sitzen. Der 43-jährige Carrasco ist Grubenarbeiter und einer von nur drei Männern, die diesen Beruf in der Schweiz noch ausüben.

Heute fahren wir mit ihm in die Salzmine von Bex VD, die einzige noch genutzte Mine der Schweiz. Unser Transportgefährt stammt aus dem Jahr 1940. Es wurde speziell für die Stollen in Bex gebaut. «Es ist an uns Bergleuten, den Zug zu steuern, zu pflegen und falls nötig in unserer Garage selbst die Reparaturen vorzunehmen», erklärt uns Carrasco.

Kaum haben wir 50 Meter zurückgelegt, sinkt die Temperatur an diesem schönen Spätsommertag auf 18 Grad. «Hier ist es das ganze Jahr über gleich warm», klärt unser Begleiter uns auf. «Es ist angenehm, in der Mine zu arbeiten. Im Sommer

Ein Bahnhof mit Perron: Zu Beginn wurden die Stollen mit Hammer und Meissel gegraben. Einen Monat benötigte man, um etwa vier Meter vorzustossen.

Sel des Alpes, 700g Fr.1.50

ist es hier kühler als draussen und im Winter wärmer.» Und die Dunkelheit, die unter Tag herrscht, mache ihm gar nichts aus, sagt Carrasco. «Wir beginnen den Arbeitstag um 5.45 Uhr, damit wir um 14.45 Uhr hinausgehen können. So sehen wir doch noch etwas Tageslicht.»

Ziegenhirt entdeckte die Quelle Fast berühren wir mit unseren Köpfen die Stollendecke. Nach 15 Minuten Fahrt erreicht das wacklige Gefährt der Schmalspurbahn die Bohrhalle. Diese liegt vier Kilometer vom Mineneingang entfernt und ist acht Meter hoch. Entstanden ist sie durch eine Sprengung im Jahr 1990. Dabei wurde salzreiches Gestein, sogenannter Anhydrit, freigelegt. Doch wie kam das Salzgestein überhaupt hierhin? Dazu muss man weit zurückblicken: Vor 200 Millionen Jahren war die Schweiz vom Meer bedeckt. Als sich die Fluten zurückzogen, blieb das Salz zurück. Es ist überall in den Böden der Schweiz vorhanden, aber seine Konzentration variiert.

15

Kilometer beträgt laut Schätzungen die Gesamtlänge der Stollen. Hinzu kommen zahlreiche Schächte, Treppen und Reservoirs, die 1554 ausgehoben wurden.

200

Die Geologen und die Bergleute schätzen, dass im Berg bei Bex noch 200 Jahre lang Salz abgebaut werden kann.

Gabriel Carrasco (links) ist nicht nur mit Bohren beschäftigt. Er muss für die Sicherheit der Stollen und die Wartung der Ausrüstung sorgen.

Unten: Gips bildet zwar eindrückliche Kristalle, verstopft aber die Leitungen.

Hier in Bex gibt es besonders viel davon.

Die Legende besagt, dass ein Hirte im 15. Jahrhundert auf die Salzquelle stiess. Er hatte bemerkt, dass seine Ziegen immer an derselben Stelle tranken und stellte fest, dass das Wasser dort sehr salzhaltig war. In den folgenden Jahrhunderten gruben sich Tausende von Menschen immer tiefer in den Berg hinein, um das weisse Gold abzubauen. Bis zum 18. Jahrhundert wurde das Salz trocken abgebaut, im 19. Jahrhundert stieg man auf nassen Abbau um – das heisst, es wird Wasser hineingeleitet, um das Salz darin zu lösen. Die Flüssigkeit, die sogenannte Sole, wird dann hochgepumpt, man lässt das Wasser verdampfen, und das daraus gewonnene Salz wird gereinigt und aufbereitet. Heute durchzieht ein 15 Kilometer langes Labyrinth von Gängen und Schächten den Berg. Rund 30000 Tonnen Salz werden in Bex jährlich abgebaut.

800 Meter tiefe Bohrlöcher Minenleiter Carrasco ist dafür verantwortlich, neue Adern zu finden. Er arbeitet eng mit Geologen zusammen und kann sich auf die Kartografie des Massivs verlassen, die im Laufe der Jahrhunderte immer genauer geworden ist. Alle Geheimnisse hat der Berg jedoch bis heute noch nicht freigegeben. So weiss man

Gabriel Carrasco kommt dank des um 5.45 Uhr begonnenen Tagwerks kurz vor 15 Uhr wieder in den Genuss von Tageslicht. Nach dem Schleudern und Trocknen wird das Salz aus Bex zur Schneeräumung verwendet.

TIPP

Die Salzminen von Bex können besichtigt werden. Aus Sicherheitsgründen dürfen Besucher aber nur in Begleitung eines Führers ins Bergwerk und müssen sich in einem Teil aufhalten, der nicht mehr in Betrieb ist. Dennoch bietet die Tour mit dem Zug und zu Fuss einen guten Einblick in die Geschichte der Stätte und die früher und heute dort angewandten Abbaumethoden. noch immer nicht, wo sich die salzhaltigsten Gebiete befinden – und ob man sie überhaupt schon gefunden hat.

Um neue Salzquellen zu erschliessen, führen Carrasco und sein Team von der aktuellen Abbauhalle aus Bohrungen durch. Diese können bis zu 800 Meter tief gehen. «Alle drei Meter entnehmen wir eine Probe und analysieren den Salzgehalt», erklärt der Minenleiter. Wenn man mit dem Finger hineinfährt und ihn zum Mund führt, trocknet das Salz Lippen und Gaumen sofort aus. «Das Wasser enthält 300 Gramm Salz pro Liter, das ist mehr als im Toten Meer.»

Das Salz aus Bex kommt heute zum Beispiel bei der Schneeräumung zum Einsatz. Aber auch als Speisesalz wird es verwendet und unter dem Namen «Sel des

80 000

Interessierte besuchen pro Jahr die Salzminen.

30 000

Tonnen Salz werden jährlich in Bex gewonnen. Die Gesamtproduktion aller Schweizer Salinen liegt bei 650000 Tonnen.

735

Stufen weist mit der grossen Treppe eins der bemerkenswertesten Bauwerke der Mine auf. Sie wurde zwischen 1721 und 1724 von Hand von oben nach unten gegraben.

Alpes» verkauft – unter anderem auch in der Migros. In dem für Besucher geöffneten Teil des Bergwerks wird vor deren Augen «Fleur des Alpes» hergestellt. Das sind Salzkristalle, die von Hand gepflückt und auf Brettern aus Lärchenholz getrocknet werden. Dieses sogenannte Finishing-Salz, das wie alle Salze aus der Mine von Bex seit 200 Millionen Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hat, soll sogar reiner sein als Meersalz.

Der Multigassensor ist Pflicht So rein das Produkt, so gefährlich der Beruf des Bergmanns. In der Mine sind überall Luftüberwachungsgeräte angebracht. Es gibt Feuer- und Rauchschutztüren sowie ein Zweiweglüftungssystem. Jeder Bergmann trägt einen Multigassensor bei sich, der ihn alarmiert, wenn Schwefelwasserstoff oder Kohlenmonoxid austritt.

Das Gerät reagiert während unseres Besuchs zum Glück nicht. Inzwischen sind vier Stunden vergangen, seit wir den Zug bestiegen haben. Höchste Zeit für etwas Tageslicht. Gemeinsam mit Gabriel Carrasco besteigen wir noch einmal das wacklige Gefährt und tuckern zurück zum Ausgang. MM

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