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4.1 Eisenstein und die Theorie der architektonischen Montage

Unter einer «ortsspezifischen Identität» in der Architektur gibt es keine allgemeingültige Übereinstimmung. Jede Stadt fügt und formt sich anhand von vorhandenen Gegebenheiten anders. Die beigezogenen Theorien Gordon Cullen (Townscape - Das Vokabular der Stadt) und Sergej Eisenstein (Architektur und Montage) helfen, meinen unvoreingenommenen Blick zur Stadtidentität zu schärfen, so dass eine erneute Begehung vor Ort, zusätzliche Merkmale, Auffälligkeiten und Potenziale aufdecken kann.

4.1 Eisenstein und die Theorie der architektonischen Montage

Eisenstein (1898-1948) ist ein sowjetischer Regisseur. Er befasste sich intensiv mit der Montagetechnik, um für einen Ausdruck in der Sprache den passenden Ausdruck in der Bildsprache zu finden. Neben seinem filmischen Engagement beschäftigte er sich sein Leben lang mit Architektur. Seine Montage-Theorie, sie prägte die spätere Filmszene gravierend, ist das Resultat seiner Faszination für Räume.22

Unter der Attraktionsmontage werden einzelne Bildausschnitte wie Bausteine aneinandergefügt, um zu einem montierten Rhythmus zu finden. Die einzelnen Elemente müssen dabei nicht effektiv zeitlich oder räumlich zusammenpassen. Vielmehr geht es darum, aus den ungewöhnlich montierten Bildern emotionale Impulse auszulösen und darauf aufbauend das Bild in einem zusammenhängenden Ganzen darzustellen.

Die verkörperte Zuschauerschaft Für Eisenstein ist die Architektur ein Fundament, für das er als Regisseur in der filmischen Konzeption Raum und Zeit entwickelt. Er war in engem Kontakt mit den Architekten der Avantgarde und kam durch diese Verknüpfung in Berührung mit Le Corbusier. Es kam zu gegenseitigem Anklang und Bewunderung. Dies verwundert kaum: Le Corbusier schuf mit seiner Konzeption ‘Promenade architecturale’ dieselben Grundsätze wie Eisenstein. Beide verstehen den architektonischen Raum als eine Form von sinn-generierender Abfolge von Bildern und Räumen, die auch das «Serielle Sehen» umfasst.23

22 Binotto(Hg.)/Stierli 2007, S. 60 23 Binotto(Hg.)/Stierli 2007, S. 63

Im Essay «Montage und Architektur» beschreibt Eisenstein das Konzept der Montage der anhand der Akropolis. Er sieht die Akropolis als Schauplatz eines protokinematografischen Urbanismus.24 Eisenstein Prämisse sieht vor, dass ein architektonischer Raum zwingend physisch oder mental durchquert werden, um ihn erfassen und erleben zu können.

In einem Kompositionsschema beschreibt Eisenstein die Montagetheorie. Sie ist als eine räumliche, entgegengesetzte Aufspannung zu verstehen.25 Durch das Aneinanderfügen von Raumeindrücken, die sich durch Kontraste oder Entsprechung gegenseitig aufladen. Eine Abfolge von montierten Bildern bzw. Räume schaffen so ein intensives Erlebnis von Raum und Architektur.

Abb.12. Kompositionsschema anhand der Akropolis: Bild a) und b) sind in ihrer räumlichen Ausdehnung einander entgegengesetzt. Bild c) und d) sind spiegelsymmetrisch und fungieren als Erweiterung des "Montageplans" der Bilder a) und b). So formt sich ein ausgewogenes montiertes Bild.

24 Bois/Eisenstein/Glenny 1989, S. 120 25 Binotto(Hg.)/Stierli 2007, S. 64

Weiter kann nach Eisensteins Auffassung kann der Pfad auf zwei Arten gelesen werden: Einmal als Differenzierung zwischen einem bewegungslosen und einem sich bewegenden Zuschauer; einmal als Reise durch den Raum. Diese kann durch das effektive Bewegen durch eine Serie von Raumabfolgen erlebt, aber auch durch blosse Augenbewegung vollführt werden. 26

Beschrieb zur Abbildung rechts:

a) Akropolis, umfasst von isolierten Felsen.

b) Im Vordergrund erhebt sich die Statue Athene Promakhos; im Hintergrund befinden sich das Erechtheion und der Parthenon, so dass das Panorama der Statue untergeordnet ist.

c) der Parthenon erhält erst die Bedeutung, nach dem der Blick sich von der Statue abwendet.

d) Der Parthenon ist so platziert, dass er dem Betrachter schräg gegenübersteht.

e) Verfolgen wir über der Akropolis den Pfad, erreichen wir den Erechtheion als neuer Mittelpunkt des Panoramas. 27

26 Binotto(Hg.)/Stierli 2007, S. 66 27 Bois/Eisenstein/Glenny 1989, S. 118/119

a) c)

d)

b) e)

Abb.13. Ein protokinematografischer Schauplatz: Der Pfad der Akropolis ist als ein ganzer Montageplan zu verstehen.

Abb.14. Wirkung eines Raumes vor dem Verlassen eines engen Raumes. Cullen

Abb.15. Wirkung eines gerahmten Blickfeldes. Burckhardt

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