Mabuse-Verlag Wissenschaft 70
Jürgen Peter, Promotion 1994/1995 im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt und mit einer Dissertationsschrift zur Rassenhygiene an der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Habilitationsschrift an der Universität Frankfurt zur Rezeption des Nürnberger Ärzteprozesses.
JĂźrgen Peter
Der Einbruch der Rassenhygiene in die Medizin Auswirkung rassenhygienischen Denkens auf Denkkollektive und medizinische Fachgebiete von 1918 bis 1934
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
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ISBN 978-3-935964-33-3 eISBN 978-3-86321-478-4 Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
1. Einleitung ........................................................................................... 7 2. Auslese und Siebung ....................................................................... 13 2.1
Durch Krieg und Krankheit verursachte Auslese und Siebung der Bevölkerung ....................................................................... 13
2.2
Rassenmischungen ....................................................................................... 28
3. Tuberkulose und Alkoholismus als hereditär vorgegebene Erkrankungen .......................................................... 40 3.1
Der Stellenwert der Tuberkulose in der Rassenhygiene ................................ 40
3.2
Alkoholismus als Charakterschwäche. Der Alkoholgenuss als Keimgift .................................................................. 49
4. Die Rassenhygiene und ihre Ausstrahlung auf die Medizin als avantgardistische Denkform ........................ 55 a) Karl Heinrich Bauer .......................................................................................... 56 b) Kurt Goldstein ..................................................................................................61 c) Goldsteins und Bauers rassenhygienische Überlegungen .....................................67
5. Gynäkologie und Rassenhygiene ................................................... 85 5.1
Soziale Indikation und Geburtenregelung ..................................................... 85
5.2
Menarcheverhältnisse und Rasse ................................................................. 92
5.3
„Rassebecken“ und Geburtsdisposition ..................................................... 104
5.4
Die Rassenzugehörigkeit als Ursache der Krebserkrankung ...................................................................................107
6
6. Die Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene, die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte und die Julius-Klaus-Stiftung und das Thema Rassenhygiene vor und nach dem Ersten Weltkrieg .................................................................. 111 6.1
Von der Deszendenztheorie zur rassenhygienischen Bewegung ................................................................................................. 111
6.2
Alfred Ploetz und die Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene ..................................................................................... 121
6.3
Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte und das Thema Rassenhygiene .................................................................. 127
6.4
Die Julius-Klaus-Stiftung und die rassenhygienische Bewegung .................................................................................................. 134
7. Psychiatrie und Rassenhygiene ................................................... 138 7.1 7.1.1
Psychiatrie um 1900 .................................................................................. 138 Der Begriff der „Entartung“ und die Rezeption rassenhygienischer Prämissen in der deutschen Psychiatrie ............................. 152
7.2
Die Psychiatrie als politisches Instrument der Gegenrevolution. Die Medikalisierung von politischen Dissidenten ............................................................................................... 165
7.3
Forensische Psychiatrie und Rassenhygiene ...............................................170
8. Zusammenfassung... ....................................................................... 174 9. Quellen- und Literaturverzeichnis................................................ 205
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1. Einleitung Seit 1980 wurde eine zahlreiche, vielfältige Literatur zum Themenbereich Medizin im Nationalsozialismus und Rassenhygiene und Eugenik publiziert, während zum Thema Genetik wenig veröffentlicht worden ist. Zu erklären ist dieser „späte Beginn der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“1 in diesen Bereichen unter anderem vor allem durch den Generationswechsel an den Universitäten, den psychiatrischen Landeskrankenhäusern und anderen Einrichtungen. Diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wurde und wird zumeist, worauf Klaus Dörner hinweist, geleistet von jüngeren Deutschen, die in der Bundesrepublik sozialisiert worden sind und die weniger „Berührungsängste“ gegenüber der NS-Zeit aufweisen und auch weniger Rücksichten auf ihre Vorgänger und Kollegen zu nehmen brauchen. Daneben waren es beispielsweise die Reaktionen auf die Ausstrahlung der 1979 im deutschen Fernsehen gesendeten amerikanischen Trivial-Fernsehserie Holocaust im Stil der B-Picture gewesen, die eine Identifikation und Empathie mit den Ermordeten des deutschen NSSystems und eine persönliche Betroffenheit über das Schicksal der NS-Verfolgten, wie sie durch keine kühl-distanziert monozerebrale Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland je erreicht worden ist, ermöglicht haben.2 Auch der seit 1986 ausgetragene Historikerstreit, die letzte große geschichtspolitische Kontroverse in der alten Bundesrepublik, die neben der Diskussion um das Selbstverständnis der Bundesrepublik und der Suche nach einer nationalen Identität auch um die Revision des Geschichtsbildes und die Kriegsursache für den Angriff auf die Sowjetunion ausgetragen worden ist und Nachfolgedebatten im vereinigten Deutsch1
2
Vgl. Klaus Dörner: Von den ”Krankenmorden” über die „Tötung ‘lebensunwerten’ Lebens“ zur ”Endlösung der sozialen Frage”. In: C. Beck (1987), S.V. Vgl. Alexander und Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. München 1967.
8 land, wie die um Daniel Goldhagens Monographie und Martin Walsers Äußerungen anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, haben das Interesse an der nationalsozialistischen Vergangenheit angeregt und eine Auseinandersetzung mit der deutschen NS-Vergangenheit und Vergangenheitsvergegenwärtigung unterstützt.3 Biographien und medizinhistorische Dissertationen der letzten Jahre zu Ernst Rüdin, Hans Reiter, Hermann Muckermann, Ignaz Kaup, Hugo Ribbert, Hermann Alois Boehm u.a. erklären zudem auch Einzelaspekte der Rassenhygiene, die wiederum Forschungsgegenstand von mannigfaltigen in- und ausländischen Untersuchungen (vor allem seit 1980) zur Wissenschaftsgeschichte eines Irrweges geworden ist. Unter speziellen Fragestellungen, die auf das Einwirken rassenhygienischer Forderungen und ihrer „ganzheitlichen“ Wirkung in medizinischen Fachgebieten zielen, sollen in der Arbeit auch biographische Entwicklungen aufgezeigt werden und die Frage erörtert werden, ob die Rassenhygiene nur einzelne Erfolge erzielte und ihr vor dem 1.1.1934, das Datum steht für das Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, Einbrüche in die medizinische Wissenschaft gelungen sind. Die Rezeption von vulgär-rassenhygienisch ideologischen (aus diversen Weltanschauungen stammenden), im Grunde nicht-medizinischen Deutungsschemata, so vor allem Hans F. K. Günthers Ideen (beispielsweise seine Forschungen zu Der rasseeigene Geruch der Hautausdünstung), und Ansichten von Personen wie dem Rasseforscher und Dichter Otto Hauser, im medizinisch etablierten Bereich der zwanziger Jahre in Deutschland verweisen auf das enge 3
Vgl. Wolfgang Wippermann: Wessen Schuld? Vom Historikerstreit zur Goldhagenkontroverse. Berlin 1997; vgl. Jürgen Peter: Der Historikerstreit und die Suche nach einer nationalen Identität der achtziger Jahre. Frankfurt am Main 1995; vgl. Charles S. Maier: Die Gegenwart der Vergangenheit. Geschichte und die nationale Identität der Deutschen. Aus dem Englischen von Udo Rennert. Frankfurt am Main, New York 1992; vgl. Gerd Ueberschär: Hitlers Überfall auf die Sowjetunion 1941 und Stalins Absichten. Die Bewertung in der deutschen Geschichtsschreibung und die neuere ”Präventivkriegsthese”. In: Ueberschär/Bezymenskij (Hg.) (1998), S.48-69.
9 Zusammenwirken der rassenhygienischen Ideologie mit politischen Ideen und völkischen Forderungen.4 Die Institutionalisierung und Verankerung der Rassenhygiene in den medizinischen und anthropologischen Fachgebieten an den Universitäten Nazi-Deutschlands und der okkupierten Gebiete im Herrschaftsbereich des Regimes kam nicht über Nacht und geschah nicht aus einem gesellschaftspolitischen Nirwana heraus, worauf die Fachliteratur hinweist und was als Topos gewertet werden kann. Folgende medizinische Fächer sollen im Hinblick auf rassenhygienisch-eugenische Bestandteile dargestellt werden: ! Psychiatrie und Konstitutionslehre/Gerichtsmedizin, forensische Medizin ! Gynäkologie und Rassenhygiene ! Innere Medizin: ! Tuberkulose und Alkoholismus als hereditär vorgegebene Erkrankungen. Die Psychiatrie stellt neben der Hygiene, der Anatomie und der Frauenheilkunde zweifelsohne einen Kernbereich der Rassenhygiene dar. Eine bloße Zusammenfassung bisheriger Forschungsergebnisse zum Gebiet der Psychiatrie wäre im Rahmen der Arbeit sicherlich unbefriedigend und unzureichend, wegen der unzulänglichen Quellenlage war es partiell nicht immer zu gewährleisten, dass, auch bei speziellen Fragestellungen – abgesehen von regionalen Untersuchungen – grundsätzlich neue Aspekte aufgezeigt und herausgearbeitet werden können; vor allem ist hierfür der Bereich Psychiatrie und die Medikalisierung von politischen Gegnern zu nennen. Mit der biographischen Methodenwahl, so z.B. für den Fall Karl Heinrich Bauer und Kurt Goldstein, gelingt
4
Vgl. Hans F. K. Günther: Der rasseeigene Geruch der Hautausdünstung. In: Zeitschrift für Rassenphysiologie 2 (1929) 94-99.
10 dies eher. Auf eine Darstellung des vielfach untersuchten Komplexes der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte habe ich verzichtet.5 Schließlich muss nach der Verifizierbarkeit von rassenhygienischen Elementen in den untersuchten medizinischen Fächern des Zeitraumes von 1918 bis 1934 gefragt werden und sie soll im Spiegel der heutigen Erkenntnisse kritisch bewertet werden. Doch auch das Wissenschaftsverständnis der zu untersuchenden Zeitperiode ist von Interesse. Naturwissenschaftliche Fakten, Diagnosen und Ätiologien als „falsch“ und „richtig“ zu bewerten ist nicht alleinig die Aufgabe der zu erstellenden Studie, stattdessen ist eine komplexere Darstellung zu leisten. Eine vereinfachende und banale Erkenntnis bedeutet die Aussage, dass es rassenhygienisch-eugenische Forderungen und rassistische Determinismen schon vor der Machtüberlassung an die Nationalsozialisten gegeben hat. Nach den Auswirkungen der Rassenhygiene (anhand der Quellen) auf die medizinischen Fachgebiete in dem betreffenden Zeitraum wird gefragt, und zwar: ! auf Fachzeitschriften und Jahrbücher ! auf medizinische Vereine, Stiftungen und Gesellschaften ! auf Lehrbücher ! nach der Rezeption der Rassenhygiene durch Hochschullehrer an deutschen medizinischen Fakultäten ! auf medizinische Publikationen (Rassenhygiene – Erbbiologie) ! nach Krankheitskonzepten, Einflüsse der Rassenhygiene (Tbc usw.). Der quantitativ-deskriptiven Darstellung der Infiltration der Rassenhygiene in medizinische Fächer für den genannten Zeitraum soll eine Meta-Ebene gegenübergestellt werden. Es gilt den virulenten Antisemitismus und die Wechselbeziehung zur Rassenhygiene Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses verknüpfend aufzuzeigen. Der Bedeutung der Propagandisten der Rassenhygiene 5
Vgl. Norbert Schwenzer und Ralf Arnold: Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. In: Deutsches Ärzteblatt 95, H.37 (1998) C-1615-1620, S.1616 f.
11 für die akademische Lehre und dem Entscheidungsprozess einer communis opinio in medizinischen Sachfragen soll nachgegangen werden. Weiter soll – fern einer personellen Verantwortlichkeit – die Ausstrahlung der Rassenhygiene auf medizinische Fachgebiete, im Hinblick auf die Bedeutung der Rassenhygiene auf medizinische Fächer untersucht werden. Der bloße internationale Vergleich der Rassenhygiene allein erklärt nicht die Institutionalisierung der Rassenhygiene in Deutschland, die im übrigen gesellschaftswissenschaftlich-sozialwissenschaftlich analysiert wird und bereits diskutiert worden ist, so z.B. 1983 von Jürgen Kroll in seiner Dissertation Zur Entstehung und Institutionalisierung einer naturwissenschaftlichen und sozialpolitischen Bewegung. Die Entwicklung der Eugenik/Rassenhygiene bis zum Jahre 1933 und von Paul Weindling in einer seiner Studien.6 So ist der Ausgang des Ersten Weltkrieges als entscheidend für das Aufkommen und die Ausbreitung der Rassenhygiene auch im medizinischen Bereich zu werten und sie lässt sich somit vom historisch-sozialen Kontext nicht lösen. Dabei ist auch im Detail zu fragen, ob nach dem Ersten Weltkrieg die rassenhygienischen Begriffe de facto „politisiert“ (Paul J. Weindling) wurden und die eugenisch-rassenhygienische Bewegung in dem antidemokratischen Klima und der gewissermaßen biologistisch-sozialdarwinistischen Konditionierung an den Universitäten der Weimarer Republik – die bereits in der wilhelminischen Ära zu konstatieren ist – eine „gewisse Breitenwirkung“ erzielte (Hans-Peter Kröner et al.) und in welcher Form sie Eingang in die medizinischen Fachgebiete erhielten und ob sie Bestand hatten.7 6
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Vgl. Paul Weindling: Health, race and German politics, between national unification and Nazism 1870-1945. Cambridge, New York 1989; vgl. Jürgen Kroll: Zur Entstehung und Institutionalisierung einer naturwissenschaftlichen und sozialpolitischen Bewegung. Die Entwicklung der Eugenik/Rassenhygiene bis zum Jahre 1933. Diss. rer. soz. Tübingen 1983. Vgl. ein Zitat von Wilhelm Hildebrandt: Rassenmischung und Krankheit. Ein Versuch. Stuttgart 1935, S.106: ”Die Rassenfrage ist nicht nur der Schlüssel zur Weltgeschichte, sondern auch zu vielen bisher ungeklärten Gebieten der medizinischen Wissenschaft. In zehn Jahren wird es kaum
12 Die Makrostrukturen der rassenhygienischen „Bewegung“ der Weimarer Republik sind für deren wachsende Bedeutung in der Medizin unerlässlich. Erst die rassenhygienische Bewegung, so die hier vertretene These, bündelte die aus verschiedenen Weltanschauungen bestehenden rassenhygienischen Forderungen und theoretisch medizinischen Konstrukte zu einer gemeinsamen „Lehre“. So sollen auch die Rollen ! der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene (Eugenik) ! der Julius-Klaus-Stiftung ! von Münchner Vereinen zur Bevölkerungspolitik nach dem Ersten Weltkrieg ! der Versammlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte für die Verbreitung der rassenhygienischen Ideen innerhalb medizinischer Fachgebiete in dieser Studie analysiert werden. Für wichtige Hinweise, Anregungen, Ergänzungen und seinen fachlichen Rat bin ich Prof. Dr. med. Wolfgang U. Eckart (Heidelberg) zu Dank verpflichtet. Prof. Dr. phil. Peter Weingart (Bielefeld) danke ich für seine kompetente ideelle und fachliche Unterstützung und Aufmerksamkeit für die Studie, PD Dr. phil. Georg Lilienthal (Mainz) für die zahlreichen Diskussionen zu dem Thema im Vorfeld der Arbeit, ebenso Prof Dr. Gert Preiser. Prof. Dr.med. Hans Jochen Diesfeld danke ich für weitere Gutachtertä-
mehr verstanden werden, dass man bei ärztlicher Tätigkeit die Rassenverhältnisse des Kranken außer acht lassen konnte. Rassenmischung als mittelbare oder unmittelbare Krankheitsursache wird und muss für den kommenden Arzt ein geläufiger Begriff werden.”
13 tigkeit. Zudem gehört mein Dank Wolrad Bode vom MabuseVerlag für die unbürokratische Betreuung.
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2. Auslese und Siebung 2.1
Durch Krieg und Krankheit verursachte Auslese und Siebung der Bevölkerung
Alfred Ploetz verstand in seiner Schrift von 18958 unter Auslese, dass zum Rasse- und Volkswohl der Volkskörper möglichst viele Nachkommen zeugen solle. Diese Devarianten müssten dann untereinander, eine der kapitalistischen Wirtschaftsform ähnliche Konkurrenz als Auslese bestehen, d.h. im „Kampf ums Dasein“ und durch eine strenge Siebung von „minderwertigen“ Konvarianten. Kontraselektorisch wurden von ihm Naturkatastrophen, Revolutionen und Kriege eingestuft, die gewissermaßen als höhere Gewalt den Selektionsprozess stören und verzerren. Minusvarianten sollten bei der Zeugung vermieden und kränkliche und behinderte Kinder, nach Konsultation eines Ärztegremiums, beseitigt werden.9 Auslese heißt aber auch, dass die Fortpflanzung des Genotypus als Kriterium der „Durchsetzungskraft“ des Individuums gewertet werden kann. Die Vererbung der Gene (Allele) bezieht sich auf die Deszendenztheorie, sozialer Erfolg und arrivierte Stellung, sei es durch Bildung, politischen und materiellen Einfluss in der Gesellschaft, können letztlich unerheblich sein. Die „Stärkeren“ sind diejenigen, die ihre Gene größtmöglich vererben. Die Rassenhygiene geht davon aus, dass durch Auslese Lebewesen sich in einem Entwicklungsprozess verändern. Die „tüchtigsten Individuen“, die sich den äußeren Umständen anzupassen vermögen, würden sich vermehren und blieben am Leben, „Min-
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Vgl. Kapitel 6.1; vgl. Alfred Ploetz: Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. Berlin 1895. Vgl. Gerhard Baader: Rassenhygiene und Eugenik – Vorbedingungen für die Vernichtungsstrategien gegen sogenannte ”Minderwertige” im Nationalsozialismus. In: Deutsches Ärzteblatt 85, H.27 (1988) C-1175-1178, S. 1177.
15 derwertige“ gingen zugrunde und mit ihnen ihre Eigenschaften.10 Der englische Sozial- und Kulturphilosoph Herbert Spencer nennt diesen Vorgang das Überleben der Tüchtigsten.11 Die rassenhygienische Bewegung forderte international eine kontrollierte Fortpflanzung. An den deutschen Universitäten stellte das zusammen mit die Betonung der Rassenhygiene als „ein oberstes Gebot“ nach dem Ersten Weltkrieg keine exotische Forderung dar. In seiner Festrede Gedenke, dass Du ein deutscher Ahnherr bist! hat der Ordinarius für Hygiene an der TH Dresden, Philalethes Kuhn (1870-1937), anlässlich der Feier des Gründungstages der Technischen Hochschule am 11. Juli 1920, in seinem Bekenntnis zur Rassenhygiene die Priorität der Gesundheit der Nachkommen vor der Gesunderhaltung „ganzer Schichten“ des Volkes hervorgehoben. „Wenn wir eine Erneuerung unseres Volkskörpers erzielen wollen, so müssen wir Auslese treiben“, verlangte Kuhn in seiner von Studenten und Mitgliedern des Lehrkörpers begeistert aufgenommenen Rede.12 Kuhns Ausführungen sind im Universitätsbetrieb gegen Ende des Weltkrieges und nach dem Friedensschluss nicht singulär, eine Anzahl von Referenten widmete sich den Themen der rassenhygienischen Bewegung. Max von Gruber Vgl. Géza von Hoffmann: Die Rassenhygiene in den Vereinigten Staaten von Amerika. München 1913, S.2 ff.; vgl. Hermann Wr. Siemens: Biologische Terminologie und rassenhygienische Propaganda. In: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 12 (1916/17) 257-267, S.264: ”Als negative Selektion merzt sie die minder angepaßten, neuentstandenen Idiovarianten wieder aus und erhält so die Rasse in ihrer ursprünglichen Form; als positive Selektion fördert sie die Fruchtbarkeit der besonders gut angepaßten Idiovarianten und wird so zu einer entscheidenden Triebkraft der phylogenetischen Höherentwicklung der Arten. (...) Die Stoßkraft der Rassenhygiene muss sich deshalb auf die Selektion konzentrieren.” 11 Vgl. Otto Gaupp: Herbert Spencer. 2. Aufl., Stuttgart 1900, S.113-117. 12 Vgl. Philalethes Kuhn: Gedenke, dass Du ein deutscher Ahnherr bist! In: Münchener Medizinische Wochenschrift 67 (1920) 919. Kuhn gehörte nach seinem Medizinstudium 1896-1904 der ”Schutztruppe” in Deutsch-Südwest-Afrika an und quittierte 1914, nach seiner Stationierung in Kamerun, den Kolonialdienst. Er habilitierte sich 1914 an der ”Reichsuniversität” Strassburg für Hygiene und lehrte seit 1920 an der TH Dresden. Vgl. Eckart 1997, S.227-230. 10
16 bekräftigte in seiner Rede auf der „Tagung für Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik“ in Budapest am 23.9.1918, dass es für jedes Volk gelte, „eine Edelrasse der Zukunft aus sich heraus zu züchten“.13 Jedes europäische Kulturvolk hat nach Gruber eine große Variationsbreite von „Erbanlagenbeständen“, „hochwertige und minderwertige“ in allen „Abstufungen“. Die Rassenhygiene müsse ihr Selektionsziel vor allem durch anti- und pronatalistische Maßnahmen erzielen, so Max von Gruber (1853-1927) in seinem Kriegsvortrag, durch die Verhinderung „der Fortpflanzung der Minderwertigsten“ und die „Steigerung der Fruchtbarkeit der Tüchtigsten“ zum „Zwecke bewusster Zuchtwahl“.14 Bevölkerungspolitisch verlangte Gruber eine staatliche Regulierung und finanzpolitische Unterstützung des Nachwuchses von „Tüchtigen“, um die Kriegsverluste auszugleichen.15 Die Influenzaepidemie in Europa nach dem Ersten Weltkrieg hatte, so schreibt im Jahre 1925 der Hamburger Professor für Rassenbiologie und Anthropologie Walter Scheidt16, auch eine „naturwidrige Ausmerze kräftiger Leute“ zur Folge. Neben dieser Minderheit von „wertvollen“ Teilen des Volkskörpers seien in der Tagung für Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik. Abgehalten am 23. September 1918 im Gebäude der Akademie der Wissenschaften in Budapest. In: Wiener Medizinische Wochenschrift 69 (1919) 356-357; vgl. Rassenhygienische Massnahmen. Flugblatt der Ungarischen Gesellschaft für Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik. In: Münchener Medizinische Wochenschrift 66 (1919) 76-77. 14 Tagung für Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik. Abgehalten am 23. September 1918 im Gebäude der Akademie der Wissenschaften in Budapest. In: Wiener Medizinische Wochenschrift 69 (1919) 356-357, S.356. Gruber studierte Medizin und Chemie und habilitierte sich, nach seiner Ausbildung u.a. bei Max von Pettenkofer in München, 1882 in Wien für Hygiene. Er übernahm in Wien als o. Prof. 1891 die Leitung des Hygienischen Instituts, von 1902 bis 1923 lehrte Gruber in München. Gruber gab das Handbuch der Hygiene mit heraus und zählt zu den bedeutendesten Wegbereitern für die Entwicklung der modernen Hygiene in Deutschland. Vgl. auch Deutsche Biographische Enzyklopädie. München 2001. 15 Ebd. 16 Vgl. Walter Scheidt: Allgemeine Rassenkunde. Als Einführung in das Studium der Menschenrassen. München 1925, S.292 ff. 13
17 Mehrzahl allerdings schwächlichere, „weniger Widerstandsfähige“ betroffen gewesen, deren Letalität besonders hoch gewesen sei. Dabei ist für Scheidt eine genotypisch bedingte Konstitution das entscheidende Kriterium für die Influenza-Anfälligkeit der Menschen. Eine Aussage die nicht zu verifizieren ist. Scheidt glänzte hier durch eine profunde Unkenntnis, die nicht dadurch gemindert wird, dass der Influenzavirus 1918/1919 noch nicht isoliert werden konnte. Etwa 20 Millionen Menschen sind an der Influenzaepidemie nach dem Ersten Weltkrieg 1918/19 in Europa gestorben. Besonders der schlechte körperliche Allgemeinzustand aufgrund der Nahrungsmittelknappheit im „Hungerwinter“ 1918 führte zum tödlichen Verlauf dieser Infektionskrankheit. Alfred Ploetz (1860-1940) und Ignaz Kaup (1870-1944) bezeichneten die Hungersnot in Deutschland als eugenisch förderlich. Eine Einschränkung der „natürlichen Auslese“ durch „Kunsthilfe“, durch invasive Methoden bei der Geburt und Kinderaufzucht, diene, laut Scheidt, der „naturwidrigen Erhaltung untüchtiger Mütter“. Die Kontrazeption und der Abort haben als Hauptursache demzufolge die gesellschaftliche und wirtschaftliche Siebung. Außerhalb dieser „Siebungsgruppe“ wurden von Rassenhygienikern noch Faktoren wie „Wohlleben“, Luxus und Bequemlichkeit genannt, die zur Geburtenverhütung führten.17 Max von Gruber wendet sich noch 1903 gegen die Theorie der Auslese in der menschlichen Gesellschaft, die nicht das Maßgebende sein könne für eine postulierte „Güte der Rasse“.18 Gruber, der wenig später die rassenhygienische Bewegung unterstützte und der erste Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene wurde, betätigte sich auch nach dem Ersten Weltkrieg als Mitherausgeber der deutschvölkischen und deutschnationalen 17 18
Scheidt 1925, S.297 f. Vgl. Max Gruber: Führt die Hygiene zur Entartung der Rasse? In: Münchener Medizinische Wochenschrift 50 (1903) 1713-1718 und 1781-1785, S.1781: ”Die Naturvölker bringen keine menschlichen Ideale hervor; die Engländer, die Holländer, die Westdeutschen sind nicht verkommener als die Polen und die Russen, die Skandinavier nicht schlechter als die Deutschen; der erwachsene Städter ist kein kräftiger, körperlich besser entwickelter, widerstandsfähigerer Mensch als der Bauer.”
18 Zeitschrift Deutschlands Erneuerung. Wenn die Auslese das entscheidende Moment sei in der Entwicklung zur Höherwertigkeit des Menschen, so Grubers sozialhygienische und sozialmedizinische Äußerungen im Jahre 1903, dann müsste eine zwölfstündige Kinderarbeit im Bergbau zur „vorzüglichen Konstitution“ und letztendlich im Erwachsenenalter dieser Kinder, die diesen Arbeitsrhythmus überlebten, zur Zeugung der „besten Kinder“ führen. Aber nichts von alledem treffe zu.19 Unmissverständlich erklärt Max von Gruber: „Also nirgends ist eine Spur davon nachweisbar, dass die schärfere Auslese durch körperliche Schädigung und Krankheit eine bessere Rasse schaffe, dass das Fehlen dieser Auslese zur Degeneration führe!“20 Zu dieser Zeit präferiert Gruber noch sozialmedizinische Gründe und sieht die soziale Lage als ausschlaggebenden Faktor an.21 Der moderne industrielle Krieg hat die biologischen Ausleseverhältnisse entscheidend verändert. Die Veränderung der Kriegführung durch den Einsatz technischer Waffen, von Panzern, moderner Artillerie, Kampfflugzeugen und Bombardierungen, von Kampfwaffen mit einem hohen Streuwert der Zerstörung führen dazu, dass unterschiedslos Mannschaften und Offiziere, Soldaten an der Front und auch in der Etappe, Opfer des neuzeitlichen Krieges geworden sind. Die natürliche Auslese war für zahlreiche Rassenhygieniker insofern nicht gegeben, wenn argumentiert wurde, dass die „Besten“ Opfer des Krieges geworden seien und die Siebungsvorgänge auf ihren Auslesewert geprüft werden müssten. Da vielfach physisch und psychisch weniger Widerstandsfähige, die als Kriegssimulanten, „Kriegsneurotiker“, „Feiglinge“ und „Etappenhengste“ diffamiert worden sind, dem Tod auf dem Schlachtfeld entgehen konnten, deutete die rassenhygienische Bewegung den Krieg nicht einheitlich als Selektionsmethode. Erst der Erste Weltkrieg ermöglichte in Europa den Schritt von Ebd., S.1781. Ebd., S.1782. 21 Ebd., S.1783: ”Völlig unwissenschaftlich ist die scharfe Scheidung von Minderwertigen und Vollwertigen.” 19 20
19 einer rein intellektuellen Auseinandersetzung über die Rassenaufartung hin zu einer konkreten Umsetzung eugenischer Konzepte in die politische Praxis.22 Der Große Krieg ist schließlich von Eugenikern aus England und den USA auf breiter Front als Auslesemethode abgelehnt worden. Der Krieg wurde zudem partiell als kontraselektiv beurteilt.23 Dabei entwickelten Rassenhygieniker in England Pläne zur Erleichterung der Heirat bei Kriegsinvaliden. Auch Fritz Lenz (1887-1976) propagierte im vierten Kriegsjahr, es müsse für heimkehrende kriegsverletzte Soldaten eine Heiratsvermittlung organisiert werden, denn die deutschen Kriegsinvaliden stellten „eine Auslese nach überdurchschnittlicher konstitutioneller Tüchtigkeit dar“.24 Evident sind weiter die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, nicht nur das unmittelbare Front- und Kriegserlebnis der Frontsoldaten. Der Hungerwinter von 1917/18, die verminderten Nahrungsmittelressourcen im Deutschen Kaiserreich gegen Ende des Krieges, der in die deutsche Historiographie mit der Bezeichnung „Steckrübenwinter“ eingeht25, führt auch zur planmäßigen „Hungerkost“26 in Vgl. Stefan Kühl: Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main, New York 1997, S.50 ff. 23 Ebd., S.47, vgl. „kriegsbedingte Ausbreitung” von Tbc, Malaria und Geisteskrankheiten. 24 Fritz Lenz im Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 12 (1916/18) 402. Nach seinem Medizinstudium und der Promotion 1913 in Freiburg im Br. arbeitete Lenz als Redakteur des Archivs für Rassen- und Gesellschaftsbiologie und habilitierte sich 1919 für Hygiene in München. 1923 wurde er zum a.o. Prof. für Rassenhygiene in München ernannt. Nach der NS-Machtübernahme wurde Lenz mit einer Professur in Berlin belohnt, gleichzeitig leitete er eine Abteilung im Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Er lehrte von 1946 bis 1955 Humangenetik an der Universität Göttingen. 25 Vgl. Wolfgang U. Eckart: Medizin und Krieg. Deutschland 1914 – 1924. Paderborn 2014, S.273-293: „'Schweinemord' und 'Kohlrübenwinter' – Hungererfahrungen und Lebensmitteldiktatur. “ 26 Vgl. Heinz Faulstich: Von der Irrenfürsorge zur „Euthanasie“. Geschichte der badischen Psychiatrie bis 1945. Freiburg 1993, zur „planmäßigen Hungerkost" S.320f.; vgl. Heike Bernhardt: Anstaltspsychiatrie und „Eu22
20 den psychiatrischen Krankenanstalten des Kaiserreichs und bildet das Vorbild für eine planmäßige Ermordung von psychisch Kranken im NS-System. Dabei ist der Grad der Verwüstung und Zerstörung von Produktions- und Wohnstätten im Deutschen Kaisereich während des Ersten Weltkriegs vergleichsweise gering, die Kriegsschauplätze liegen größtenteils in den Staaten der Entente, wo im erheblichen Maße Infrastruktur, Industrie, Agrarwirtschaft und Wohngebiete vernichtet werden.27 Das Kriegs- und Fronterlebnis wird als soziales Gemeinschaftserlebnis interpretiert, das soziale Klassengegensätze nivellieren soll. Während Hans Delbrück 1907 in seinem Werk Geschichte der Kriegskunst, das noch heute als ein Meilenstein der Militärgeschichtsschreibung gewertet wird, schreibt, dass wenn „die Schlacht einmal verloren“ ist, „es auch dem Tapferen erlaubt“ sei „zu fliehen und die Rettungsmittel, die sich ihm darbieten, zu benutzen“,28 widersprach diese Verhaltensweise ebenso wie die Diagnose Kriegshysterie nicht nur der Kriegführung des Stellungskrieges, sondern auch der im wilhelminischen Kaiserreich unter dem Einfluss sozialdarwinistischen und rassenhygienischen Denkens prothanasie“ in Pommern 1939 bis 1945. Die Krankenmorde an Kindern und Erwachsenen am Beispiel der Landesheilanstalt Ueckermünde. Vorwort Klaus Dörner. Frankfurt am Main 1994, S.78. 27 Vgl. Vgl. Max Hastings: Catastrophe. Europe Goes to War 1914. London 2013; vgl. Marc Ferro: Der große Krieg 1914-1918. Frankfurt am Main 1988; vgl. Fritz Fischer: Der Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. 2. Aufl., Königstein/Ts. 1979. Vgl. die Rezeption der Riezler Tagebücher und die Veröffentlichung Fritz Fischers: Juli 1914: Wir sind nicht hineingeschlittert. Das Staatsgeheimnis um die Riezler-Tagebücher. Eine Streitschrift. Reinbek bei Hamburg 1977, S.350 ff. Vgl. Fritz Fischer: Der Erste Weltkrieg und das deutsche Geschichtsbild. Beiträge zur Bewältigung eines historischen Tabus. Aufsätze und Vorträge aus drei Jahrzehnten. Düsseldorf. 1977. Vgl. ders.: Der Stellenwert des Ersten Weltkriegs in der Kontinuitätsproblematik der Deutschen Geschichte. In: Historische Zeitschrift 229 (1979) 25-53. Vgl. Ben Shepard: A war of nerves. Soldiers and Psychiatrists 1914-1994. London 2000. 28 Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst: 4. Buch. Das späte Mittelalter (1907), S. 50. Digitale Bibliothek Band 72: Geschichte der Kriegskunst, S. 2985; vgl. Hans Delbrück Geschichte der Kriegskunst. 3. Teil, S. 473.
21 klamierten Superiorität der Deutschen, die durch einen deutschen „Siegfrieden“, wie ihn Fritz Fischer 1961 genannt hat29, erreicht werden sollte. Kampfversager waren somit doppelt untragbar. Zudem stellte menschliche Auslese durch Bewährung im Weltkrieg nicht nur für rassenhygienische und eugenische, sondern auch für deutschvölkische und deutschnationale Konzepte eine Möglichkeit der Rassenverbesserung dar. Für Alfred Ploetz sind es „die starken Kriegsverluste der Offiziere“ – die „bedeutend häufiger fallen“ würden als die Mannschaften, was rein numerisch nicht stimmen kann und sich auf eine prozentuale Kriegssterblichkeit bezieht – die das Intelligenzpotential der Bevölkerung verringern. Ploetz nennt sie die „geistig besser veranlagten Teile“ des deutschen Volkes, die einen „gewaltigen Aderlass“ bedeuten würden. Die im Kampf gefallenen Offiziere stellen nach dem Urteil von Alfred Ploetz die „mutigsten und hingebendsten“ Kriegsteilnehmer dar, die häufiger Opfer der Auslese der Materialschlacht werden und häufiger den, so Ploetz, „Schlachtentod sterben als die, welche diese glänzenden Eigenschaften nicht besitzen“.30 Als Konsequenz folgt nach Ploetz daraus, dass die „gebildeten Schichten“ in Deutschland das Heiratsalter im Interesse einer völkischen Zukunft senken sollten, mit finanzieller Unterstützung des Staates, in Form von Steuererleichterungen und direkter staatlicher Hilfe, wie der von Ploetz vorgeschlagenen Erhöhung der Besoldungen für Beamte und dem Kindergeld.31 Der „Kampf ums Dasein“ bestimmt, nach Ploetz, aber die „Gebildeten“ als geistige Führer Deutschlands auf dem
Zum Begriff „Siegfrieden“ vgl. Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschlands 1914/18. 2.Aufl., Königstein/Ts. 1979, S.158-166: „Bethmann Hollwegs Konzeption: Sonderfrieden Ost – Siegfrieden West“. 30 Vgl. Alfred Ploetz: Die Bedeutung der Frühehe für die Volkserneuerung nach dem Kriege. In: Münchener Medizinische Wochenschrift 65 (1918) 452-454, S.453. 31 Ebd., S.453 f.: „Aus einer umfangreichen Früherlegung des Heiratsalters gerade bei unseren gebildeten Schichten würde also unser Volk den grössten Nutzen ziehen.” 29