Gute medizinische Sterbebegleitung und ein menschenwürdiger Tod besitzen in unserer Gesellschaft einen hohen
Michael Stolberg
Stellenwert. Auch in früheren Jahrhunderten bemühten qualvollen Tod zu ersparen – nur wissen wir darüber noch sehr wenig. Dieses Buch verfolgt erstmals die Geschichte der Palliativmedizin von der Renaissance bis zur Gegenwart. Anhand zahlreicher gedruckter und handschriftlicher Quellen beschreibt es die lange Tradition der Sorge um das körperliche und seelische Wohl der Sterbenden ebenso wie die alltägliche Praxis am Sterbebett. Der Autor untersucht auch die Ausführungen von Sterbenden und ihren Angehörigen und beleuchtet den Umgang mit ethischen Fragen, die bis heute nichts von
Die Geschichte der Palliativmedizin Medizinische Sterbebegleitung von 1500 bis heute
Michael Stolberg
ihrer Dringlichkeit verloren haben.
Die Geschichte der Palliativmedizin
sich Ärzte und Pflegekräfte, den Sterbenden einen
www.mabuse-verlag.de
ISBN 978-3-940529-79-4
Mabuse-Verlag
Der Druck dieser Publikation wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützt.
Michael Stolberg, geb. 1957, hat in München Medizin studiert und zunächst als Arzt in der Inneren und der Intensivmedizin gearbeitet. Nach einer Zweitpromotion in Geschichte und Philosophie widmete er sich ganz der Medzingeschichte und veröffentlichte zahlreiche Beiträge und mehrere Bücher zu verschiedenen Aspekten der Sozial- und Kulturgeschichte der Medizin. Seit 2004 ist Michael Stolberg Professor für Geschichte der Medizin an der Universität Würzburg.
Michael Stolberg
Die Geschichte der Palliativmedizin Medizinische Sterbebegleitung von 1500 bis heute
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
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Inhalt Einleitung Teil I: Die Frühe Neuzeit (1500–1800)
7 21
Unheilbare und Sterbende im ärztlichen Schrifttum Cura palliativa. Archäologie eines modernen Begriffs Ärztliche Sterbebegleitung: Cura mortis palliativa und Euthanasia medicinalis Palliativmedizinische Praxis Ärztliche Sterbebegleitung als professionspolitisches Dilemma
21 28
Ethische Herausforderungen Gezielte Lebensverkürzung Unabsichtliche Lebensverkürzung Behandlungsverzicht Ärztliche Moral und Laienkultur Die Wahrheit am Krankenbett
67 67 74 77 83 85
Sterbeerfahrung und Sterbebegleitung im Alltag Jenseitshoffnungen und die „letzte Stunde“ Subjektive Erfahrung Die Grauen des Sterbens Behaustes Sterben Die normativen Zwänge der Sterbekunst Der plötzliche Tod Bei wachem Verstand Ärzte und Geistliche am Sterbebett Teil II: Das Industriezeitalter (1800–1945)
43 51 57
91 91 96 98 100 104 107 108 110 117
Aufstieg und Niedergang der Euthanasia medica
119
Palliative Behandlungspraxis Palliative Operationen Pflege Der Arzt als Seelsorger
132 140 144 149
5
Ethische Kontroversen Aktive Sterbehilfe Ungewollte Lebensverkürzung und Therapiebegrenzung Konflikte zwischen Ärzten und Laien Ein Recht auf Wissen? Die Mitteilung infauster Prognosen
153 156 170 175 178
Die Patientensicht
186
Sterben in der Institution Vom Hospital zum Krankenhaus Kein Platz für hoffnungslose Fälle Unheilbarenhäuser Einrichtungen für Krebskranke Einrichtungen für Tuberkulöse Tod im Krankenhaus – die Patientenperspektive Die ersten Sterbehospize
192 192 197 202 210 216 219 226
Teil III: Die Zeit nach 1945
233
Die Anfänge der Hospizbewegung
237
Die ersten Palliativstationen
241
Ambulante Palliativmedizin
245
Die Patientenperspektive
247
Schluss: Kontinuität und Wandel
251
Medikalisierung
258
Tabuisierung
261
Stigmatisierung
266
Auswahlbibliografie
279
Index
295
6
Einleitung
Einleitung Sterbebegleitung und Palliativmedizin genießen heute in Medizin, Öffentlichkeit und Politik große Aufmerksamkeit. Kaum ein anderes Feld der modernen Gesundheitsversorgung weist eine vergleichbare Dynamik auf und findet ähnliche gesellschaftliche Resonanz. Tausende von Hospizen, Palliativstationen und anderen Einrichtungen zur Versorgung Todkranker und Sterbender sind in den letzten Jahrzehnten entstanden, und ihre Zahl wächst weiter. Immer mehr Menschen können heute ihr Leben in Würde und ohne unerträgliche körperliche Qualen unter der fachkundigen Betreuung palliativmedizinisch geschulter Pflegekräfte und Ärzte beschließen. Die Palliativmedizin ist zu einem eigenständigen Fachgebiet geworden, dessen Vertreter sich in nationalen und internationalen Fachgesellschaften organisieren und in eigenen Fachjournalen alljährlich Hunderte von wissenschaftlichen Beiträgen publizieren.1 In der Öffentlichkeit wie unter den palliativmedizinisch Tätigen selbst gilt die Palliativmedizin verbreitet als ein sehr junges Phänomen. Ihre Anfänge werden meist auf die 1960er und 1970er Jahre datiert. Damals gründete Cicely Saunders in London das St Christopher’s Hospice, das in der Folgezeit zum Vorbild für zahllose ähnliche Einrichtungen werden sollte.2 Bald darauf wurde in Montreal unter Balfour Mount die erste pallia-
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Globale Überblicke bei David Clark, End-of-life care around the world. Achievements to date and challenges remaining, in: Omega 56 (2007), S. 101–110; ders., From margins (2007); Economist Intelligence Unit, The quality of death. Ranking end-of-life care across the world, 2010 (www.eiu.com/sponsor/lienfoundation/qualityofdeath); zur aktuellen Lage in Deutschland vgl. Deutsche Hospizstiftung, HPCV-Studie 2010 (http://www.biohospiz-bernstorf.de/Willkommen_files/HPCV-Studie2010.pdf); speziell zu Afrika: Michael Wright/David Clark, Hospice and palliative care development in Africa. A review of developments and challenges, Oxford 2006. 2 Du Boulay, Cicely Saunders (1984); Mary Campion, Ein Hospiz entsteht: von Pionierinnen der Hospizbewegung, Straubing 1997. Zur späten Datierung der Entstehung der Palliativmedizin vgl. z. B.: Susanne Ringskog/Danuta Wassermann, Hastening the end of life. History, research and current Swedish and international debate on the issue of euthanasia, Stockholm 2000, S. 86: „The palliative medicine takes its start in London, in 1967.“
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Einleitung
tivmedizinische Station in einem modernen Krankenhaus eröffnet.3 Einzelne Historiker haben die Anfänge weiter zurückverfolgt, doch auch sie datieren die Wurzeln der Palliativmedizin und des Sterbehospizes bislang meist allenfalls auf das späte 19. Jahrhundert. Erst damals, so fasste Clare Joanne Humphreys, Autorin einer der besten Studien zur Geschichte des Sterbehospizes, ihre Ergebnisse zusammen, „gab es die ersten ernsthaften Versuche, die medizinische und pflegerische Betreuung Sterbender zur Aufgabe zu machen, und man begann sie als wichtige Bereiche der medizinischen und pflegerischen Praxis zu betrachten.“4 Manche Autoren haben sogar die Gründe benannt, warum die Notwendigkeit von Hospizen und eine gezielte palliativmedizinische Betreuung vor dem 19. Jahrhundert gar nicht zur Debatte stehen konnten. „Erst die moderne Medizin“, so hat beispielsweise Nicolaus Eschenbruch argumentiert, „machte es […] möglich, dass man das ‚Sterben‘ als eine längere Lebensphase, und damit als Gegenstand von Hospizarbeit, überhaupt eingrenzen konnte.“ In früheren Zeiten sei das Sterben dagegen „entweder kurz, kaum vorhersagbar und brutal“ gewesen „oder ein langes Siechtum, das als gottgegeben galt und einfach zum Leben gehörte.“ Erst dank der neuen therapeutischen Möglichkeiten der modernen Medizin habe das Sterben „von etwas Allgegenwärtigem und Selbstverständlichem zu einer enger und klarer umgrenzten Lebensphase werden“ können.5 Bereits ein kurzer Blick in das ältere medizinische Schrifttum und in alltags- und praxisnahe Quellen und Zeugnisse früherer Jahrhunderte macht freilich klar, dass solche Einschätzungen an den historischen Gegebenheiten vorbeigehen, ja diese geradezu auf den Kopf stellen. Wie dieses Buch zeigen wird, sind Palliativmedizin und ärztliche Sterbebegleitung definitiv keine Erfindung des 19. oder 20. Jahrhunderts. Ihre Geschichte reicht sehr viel weiter zurück. Das kann bei näherer Betrachtung auch schwerlich überraschen. Gerade weil die Möglichkeiten der vormodernen Medizin nach heutigen Maßstäben sehr beschränkt waren, stellte sich nämlich früher die 3
Balfour Mount/J. Andrew Billings, What is palliative care?, in: Journal of palliative medicine 1 (1998), S. 73–81, hier S. 73. 4 Humphreys, „Undying spirits“ (1999), S. 210. 5 Nicholas Eschenbruch, Ein besseres Sterben? Die Entstehung der modernen Hospizbewegung und ihre historischen Voraussetzungen, in: Praxis 93 (2004), S. 1265–1267; ähnlich: Student, Geschichte (2007).
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Einleitung
Frage in vielerlei Hinsicht noch weit brennender als heute, wie man die Leiden todgeweihter und sterbender Patienten wenigstens lindern konnte, wenn schon keine Heilung mehr möglich war. Selbst die zahlreich überlieferten, sonst eher nüchtern gehaltenen Fallgeschichten vormoderner Ärzte lassen das immer wieder erkennen. Eindringlich schildern sie, welche Qualen die Patienten in den letzten Wochen und Monaten ihres Lebens oft ausstehen mussten, wenn sie an Krebs, Schwindsucht oder Wassersucht verstarben, den damals führenden Todesursachen im Erwachsenenalter. Sie berichten von Krebskranken, deren Schmerzensschreie tage- und nächtelang durch die Räume hallten und deren geschwürig zerfallende Tumoren einen unerträglichen Gestank freisetzten.6 Schwindsüchtigen und Wassersüchtigen ging es oft kaum besser. Quälender, womöglich stundenlang anhaltender krampfhafter Husten erschöpfte sie und raubte ihnen den Schlaf. Am Ende rangen sie verzweifelt nach Luft oder litten an „erschrecklicher Beklemmung“.7 Ja, die „fürchterlichste Todesangst mit beständiger Gefahr der Erstickung bemächtigte sich“ ihrer, wie C. W. Hufeland im frühen 19. Jahrhundert das Leiden eines Patienten beschrieb, der darüber „in wahre Verzweiflung“ geraten sei.8 Die ärztliche Pflicht, Schwerkranken und Sterbenden bis zum Tod beizustehen, auch wenn keine Heilung mehr möglich schien, war spätestens seit dem ausgehenden Mittelalter weithin anerkannt. Die verfügbaren ärztlichen und pflegerischen Mittel wurden im medizinischen Schrifttum seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert unter Begriffen wie Cura palliativa und, auf Sterbende gemünzt, Euthanasia medicinalis in zahlreichen Schriften abgehandelt und am Krankenbett angewandt.9 Auch fundamentale ethische Fragen im Umgang mit Sterbenden wurden bereits im 17. und 18. Jahrhundert diskutiert, etwa ob der Arzt gezielt oder auch nur mittelbar durch seine Arzneien oder durch Behandlungsverzicht zu 6
So beispielsweise Brodie, Vorlesungen (1847), S. 66. Friedrich Benjamin Osiander, Über die Entwicklungskrankheiten in den Blüthenjahren des weiblichen Geschlechts. Teil 1, Tübingen 1817, S. 117 f., zum Fall einer etwa 18jährigen Schwindsüchtigen, die sich nur noch den Tod wünschte. 8 Hufeland, Enchiridion medicum (1837), S. 853. 9 Vgl. die Überblicke bei Hoffmann, Inhalt (1969) und Stolberg, „Cura palliativa“ (2007). 7
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Einleitung
einer möglichen Verkürzung des Lebens beitragen dürfe. Wenn von manchen heutigen Autoren behauptet wird, in früherer Zeit hätten sich mangels ärztlicher Möglichkeiten solche Fragen kaum gestellt,10 so ist das eine anachronistische Fehleinschätzung. Aus heutiger Sicht mögen die verfügbaren Mittel wenig Aussicht auf eine Lebensverlängerung geboten haben. Doch aus der Sicht der damaligen Ärzte und Patienten konnten die Ärzte durchaus Leben erhalten und verlängern – und die Frage, inwieweit dieser Versuch einer Lebensverlängerung in verzweifelten Fällen noch sinnvoll war, wurde, wie wir sehen werden, sogar sehr eingehend diskutiert. Vor diesem Hintergrund möchte ich im Folgenden die Geschichte von Palliativmedizin und medizinischer Sterbebegleitung in einer langfristigen Perspektive vom ausgehenden Mittelalter bis heute verfolgen. Die Darstellung wird drei zentrale Themenbereiche und Fragestellungen miteinander verknüpfen. 1.) möchte ich die theoretische Diskussion und die alltägliche ärztliche und pflegerische Praxis der Sterbebegleitung untersuchen. Ich möchte Veränderungen und Kontinuitäten in der ärztlichen Auseinandersetzung mit diesen Themen nachgehen. Und ich möchte die Bedeutung und Erfahrung der medizinischen Sterbebegleitung aus Sicht der Patienten und ihrer Angehörigen wie der Pflegenden und Ärzte verfolgen. 2.) möchte ich die Geschichte der institutionellen Versorgung terminal Kranker und Sterbender nachzeichnen und so zugleich den historischen Wurzeln der modernen Sterbehospize und Palliativstationen nachgehen. 3.) möchte ich den Wandel im Umgang mit den ethischen Dilemmata verfolgen, die der Umgang mit todgeweihten und sterbenden Kranken aufwirft, von der Frage einer gezielten Lebensverkürzung bis hin zur Mitteilung schlechter, infauster Prognosen. Der geografische Rahmen meiner Untersuchung ist bewusst weit gesteckt. Die Entwicklung der theoretischen und ethischen Ansichten wie der palliativmedizinischen Praktiken und Institutionen war bei allen Unterschieden im Detail in hohem Maße ein internationales Phänomen. Ich werde mich auf West- und Mitteleuropa konzentrieren, insbesondere auf Deutschland, 10
Beispielsweise Hazel Biggs, Euthanasia, death with dignity and the law, Oxford-Portland, Oregon 2001, S. 2: „In the past the question of inappropriately prolonging life was not a consideration. Rather, people would have died for want of effective medical care.“
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Frankreich, die Niederlande und England, ergänzend aber auch Entwicklungen und Institutionen im übrigen Europa und in Nordamerika einbeziehen. Dieser weitgesteckte zeitliche und geografische Rahmen zwingt allerdings auch zu einer bewussten Beschränkung. Dies ist keine umfassende Darstellung der Sozial- und Kulturgeschichte von Sterben und Tod, etwa im Stile von Philippe Ariès’ Studien zur Geschichte des Todes im Abendland.11 Ich werde mich weitgehend auf die Frage des ärztlichen und pflegerischen Umgangs mit Todkranken und Sterbenden konzentrieren. Selbst hier werde ich manche Antwort schuldig bleiben, und zweifellos werden zukünftige Forschungen meine Darstellung in manchen Punkten differenzieren und nuancieren und vielleicht auch korrigieren. Das gilt insbesondere für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, eine Zeit, in der zwar die aktive Sterbehilfe intensiv diskutiert, die palliative Behandlung von Sterbenden aber in der zeitgenössischen Publizistik nur wenig thematisiert wurde und in der obendrein ausgeprägte kulturelle und politische Differenzen zwischen den einzelnen Staaten in Rechnung zu stellen sind – man denke nur an die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Überhaupt werden länder-, konfessions- oder schichtspezifische Unterschiede in der Diskussion und Praxis der Sterbebegleitung, in der stationären und ambulanten Versorgung und in den Einstellungen von Ärzten und Laien zu den zentralen ethischen Fragen zwar an manchen Stellen zur Sprache kommen, im Detail aber oft noch genauer zu untersuchen sein. Trotz solcher Einschränkungen lässt sich der folgende Versuch einer Überblicksdarstellung nach meiner Überzeugung nicht nur vertreten, sondern erfüllt beim gegenwärtigen Forschungsstand ein dringendes Forschungsdesiderat. Die englischen und internationalen Entwicklungen, seit etwa 1960, sind immer wieder beschrieben worden. Insbesondere David Clark verdanken wir hier wertvolle Arbeiten.12 Auch für Deutschland liegt 11
Ariès, Studien (1976); ders., Geschichte (1989); für neuere Analysen in dieser Tradition vgl. beispielsweise Mischke, Umgang (1996); Hugger, Meister Tod (2002). 12 Clark, Cradled to the grave? (1999); ders., From margins (2007); s. a. ders., History, gender and culture in the rise of palliative care, in: Sheila Payne/Jane Seymour/Christine Ingleton (Hrsg.), Palliative care nursing. Principles and evidence for practice, Buckingham 2004, S. 39–54; ders./H. A. M. J. ten Have/Rien Janssens, Palliative care service developments in seven European countries, in: H. A. M. J. ten Have/David Clark (Hrsg.),
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Einleitung
bereits eine Reihe von Studien vor.13 Für die vorangehenden Jahrzehnte ab etwa 1870 gibt es vereinzelte Untersuchungen zu führenden Protagonisten und frühen Einrichtungen für die Versorgung terminal Kranker und Sterbender.14 Milton Lewis hat zudem 2007 für die Zeit seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert einen ersten monografischen Überblick für den angelsächsischen Raum vorgelegt, der die bis dahin vorliegenden Forschungen zusammenfasst, und vor allem für Australien anhand eigener Quellenrecherchen ergänzt.15 Jason Szabo hat für Frankreich, beispielhaft und auf umfangreiche Quellenstudien gegründet, den Umgang mit Unheilbaren im 19. Jahrhundert verfolgt.16 Eine umfassende, länderübergreifende Analyse der Entwicklungen in der Behandlung Todkranker und Sterbender in dieser Epoche steht jedoch bisher aus.17 Über die Zeit vor dem ausgehenden 19. Jahrhundert gar und damit über die langfristigen Kontinuitäten und Veränderungsprozesse im ärztlichen und pflegerischen Umgang mit Sterbenden wissen wir bislang nur wenig, und je weiter wir in der Zeit zurückgehen, desto lückenhafter ist bislang unser Wissen.18 Lediglich die Geschichte der medizinischen Ethik und der ärztlichen The ethics of palliative care. European perspectives, Buckingham-Philadelphia 2002, S. 34–51; siehe daneben auch Mielke, Sterben und Tod (2006), bes. S. 113–120; Stoddard Holmes, „The grandest badge“ (2003); Buck, Rights of passage (2005); J. Seymour/D. Clark/M. Winslow, Pain and palliative care: the emergence of new specialties, in: Journal of pain & symptom management 29 (2005), S. 2–13; Hayley/ Sachs, A brief history (2005). 13 Zech, Entwicklung (1994); Kirschner, Hospizbewegung (1996); Klaschik/Nauck, Historische Entwicklung (1998); Seitz/Seitz, Hospizbewegung (2002). 14 Humphreys, „Undying spirits“ (1999); Humphreys, Last summons (2001); Hughes/Clark, „A thoughtful and experienced physician“ (2004). 15 Lewis, Medicine (2007). 16 Szabo, Incurable (2009). 17 Karen Nolte, Würzburg, arbeitet an einer umfassenden monografischen Darstellung der Verhältnisse und Entwicklungen in Deutschland im „langen“ 19. Jahrhundert; vgl. zu ihren Forschungen auch die im Folgenden zitierten Zeitschriften- und Buchbeiträge. 18 Jésus Conde Herranz, Les soins palliatifs: les origines, les antécédents et l’histoire vus à partir d'une perspective chrétienne, in: Dolentium hominum 20 (2005), S. 54–63 (vor allem zur Bedeutung des spirituellen Beistands); J.-M. Nuñez Olarte, Care of the dying in 18th-century Spain – the non-hospice tradition, in: European journal of palliative care 6 (1999), S. 23–27.
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Pflichten im Umgang mit Sterbenden ist auch für die Frühe Neuzeit schon besser untersucht.19 Selbst hier finden freilich grundlegende Fragen keine befriedigende Antwort, etwa die, in welchem Maße die Ärzte früherer Jahrhunderte den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bei Sterbenden für gerechtfertigt hielten. Und erst kürzlich konnte ich gegen die weithin akzeptierte Annahme, die aktive Sterbehilfe sei erst im frühen 20. Jahrhundert zum Gegenstand ärztlicher Debatten geworden, zeigen, dass sie bereits um 1800 von einzelnen Ärzten diskutiert, gefordert und praktiziert wurde.20 Ein zweites methodisches Problem sei hier neben den Herausforderungen eines derart weiten zeitlichen und geografischen Rahmens zumindest erwähnt, nämlich das große aktuelle Interesse an Palliativmedizin und Hospizwesen. Dieses Interesse ist ein wichtiges Motiv, sich als Forscher oder Leser überhaupt mit dieser Geschichte zu beschäftigen. Der aktuelle Bezug birgt aber stets auch die Gefahr, das historische Geschehen allzu einseitig mit heutigen Augen zu betrachten und zu bewerten. In der bisherigen Literatur zur Geschichte der Palliativmedizin findet sich manches mahnende Beispiel für derlei anachronistische Fehleinschätzungen. So wird neben der verbreiteten Behauptung, die Palliativmedizin sei eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, zuweilen auch in krassem Widerspruch hierzu die These vertreten, die Palliativmedizin sei gar nichts Neues. Die vormoderne Medizin habe nämlich über keine wirksamen Behandlungsmethoden verfügt und Krankheiten grundsätzlich „nur“ palliativ behandeln können.21 Das ist grob falsch. Wie schon erwähnt, mag nach heutiger Einschätzung die Krankheitsbehandlung vor 1850 oder auch noch um 1900 in den meisten Fällen weitgehend wirkungslos und manchmal sogar schädlich gewesen sein. Doch Ärzte und Laien waren damals davon überzeugt, dass die richtige Arznei, 19
Überblick bei Bergdolt, Gewissen (2004); speziell zur Frühen Neuzeit vgl. Pohl, Unheilbar Kranker (1982); Elkeles, Aussagen (1979); zum 19. Jahrhundert: Brand, Ärztliche Ethik (1977). 20 Michael Stolberg, Two pioneers of active euthanasia around 1800, in: The Hastings Centre report 38 (2008), H. 6, S. 19–22. 21 H. Pichlmaier, Palliativmedizin (editorial), in: Zentralblatt für Chirurgie 123 (1998), S. 619; P. D. Wall, 25 volumes of „Pain“ (editorial), in: Pain 25 (1986), S. 1–4; Derek Doyle/Geoffrey Hanks/Nathan I. Cherny, Introduction, in: dies. (Hrsg.): Oxford textbook of palliative medicine, 3. Aufl., Oxford 2005, S. 3–8; Derek Doyle, The provision of palliative care, in: ebd., S. 41–53, hier S. 41.
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Einleitung
die richtige Behandlung das Leben eines Kranken retten konnten. Und die zahlreichen günstigen Krankheitsverläufe, die man unter ärztlicher Behandlung erlebte, boten ihnen einen scheinbar untrüglichen Beweis für die Wirksamkeit ärztlicher Therapie – die meisten Krankheiten heilen nach heutiger Einschätzung auch ohne wirksame Behandlung, aufgrund des natürlichen Verlaufs. Wer die vormoderne Medizin als „nur“ palliativ bezeichnet, setzt zudem – was aus der Feder von Autoren aus dem Umfeld der Palliativmedizin besonders befremdet – „palliativ“ mit „wirkungslos“ gleich. Dabei wird auf den ersten Blick klar, dass die wichtigsten vormodernen Behandlungsverfahren, wie Aderlässe, drastische Abführmittel oder Quecksilberpräparate weder nach ihrer damaligen Intention noch nach heutigem Dafürhalten „palliativ“ wirkten und die subjektiven Beschwerden linderten, sondern teilweise ihrerseits ganz erhebliche zusätzliche Belastungen und Beschwerden verursachten, die man nur deshalb in Kauf nahm, weil man sich eine Heilung erhoffte. Mit entsprechender Vorsicht und in dem Bewusstsein betrieben, dass der eigene Blick unausweichlich durch den heutigen Kontext vorgeprägt ist, kann historische Forschung, die von heutigen Problemen und Fragestellungen ausgeht, jedoch nicht nur legitim, sondern sogar ausgesprochen fruchtbar sein. Historiker, die versuchen, vergangene Phänomene und Entwicklungen ausschließlich mit (fiktiven) zeitgenössischen Augen und in zeitgenössischer Begrifflichkeit zu beschreiben, werden der ureigenen Aufgabe jeglicher Geschichtsschreibung nicht gerecht, dem Leser die Geschichte so darzulegen, dass er sie als Mensch seiner Zeit begreifen und womöglich dank der geschichtlichen Erkenntnis auch zu einem besseren Verständnis der Gegenwart gelangen kann. Die Geschichte der Palliativmedizin unterscheidet sich in diesem Punkt nicht grundlegend von vielen anderen historischen Unterfangen. Ob wir die Geschichte von Königen oder Scharfrichtern, von Tanz oder Rauchen, von Ehre oder Vergewaltigung schreiben, um nur ein paar Beispiele aus dem schier unerschöpflichen Themenspektrum der neueren kulturhistorischen Forschung herauszugreifen: Stets wecken die betreffenden Ämter, Figuren, Gegenstände, Tätigkeiten oder Begriffe eine Vielzahl aus der heutigen Erfahrung geborene Assoziationen und Werturteile. Für die Geschichte der medizinischen Sterbebegleitung gilt aber positiv gewendet, ähnlich wie für andere historische Gegenstände mit aktuellem
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Einleitung
Bezug: Gerade aus der Reibung, aus der Aufmerksamkeit für Ähnlichkeiten und Differenzen im Vergleich zu heute, werden die Phänomene und Begriffe in ihrer damaligen wie in ihrer heutigen Bedeutung nicht selten besser und differenzierter greifbar. Als dritte zentrale methodische Herausforderung ist schließlich die Quellenlage zu nennen. Der ärztliche Diskurs über die medizinische Sterbebegleitung und über die ethischen Probleme, die diese aufwarf, lässt sich vergleichsweise gut rekonstruieren. Hier können wir auf zahlreiche gedruckte Quellen zurückgreifen. Deutlich schwieriger schon ist es, genauere Einblicke in die alltägliche Praxis des Umgangs mit terminal Kranken und Sterbenden zu gewinnen. Vor allem ärztliche Fallgeschichten und vereinzelt überlieferte Krankenjournale bieten hier wichtige Aufschlüsse. Auch die zahlreichen vormodernen Leichenpredigten bergen, wie Werner F. Kümmel eindrucksvoll gezeigt hat, trotz ihres stark normativ geprägten und idealisierenden Charakters wertvolle Informationen zur medizinischen Behandlung in den Tagen und Wochen vor dem Tod.22 Für das Verständnis der Versorgung von Sterbenden in Krankenhäusern und Hospizen erweisen sich zudem die zahlreich überlieferten gedruckten Jahresberichte solcher Einrichtungen als hilfreich. Nicht zuletzt werde ich zahlreiche handschriftliche Quellen heranziehen. Sie stammen aus Dutzenden von deutschen und ausländischen Bibliotheken und Archiven. Dennoch muss ich mich hier letztlich mit einer exemplarischen, manchmal auch von Zufallsfunden aus meinen langjährigen Archivforschungen geprägten Auswahl begnügen. Wie die Kranken selbst und ihre Angehörigen die medizinische Sterbebegleitung und die palliativmedizinischen Bemühungen der Ärzte erlebten und einschätzten, wird aus all diesen Quellen oft nur in groben Umrissen erkennbar. Die ärztlichen Berichte geben darüber in der Regel allenfalls am Rande oder zwischen den Zeilen Aufschluss. Die Betroffenen selbst haben nur selten, vor allem bei sehr langwierigen Krankheiten, in Briefen oder gar Autobiografien ihren Kampf gegen das Leiden beschrieben.23 Albrecht von
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Kümmel, Leichenpredigten (1984). Bezeichnenderweise spielt das Sterben in Lachmunds und Stollbergs umfassender Untersuchung von Patientenautobiografien vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert so gut wie keine Rolle (Lachmund/Stollberg, Patientenwelten (1995)).
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Haller und Madame de Graffigny sind zwei eindrucksvolle Beispiele.24 Fast zwangsläufig brechen derlei Schilderungen aber spätestens dann ab, wenn der Sterbeprozess einsetzt. In den gebildeten Schichten schilderten diesen früher zuweilen die Angehörigen oder Freunde oder, wie im Falle Philipp Melanchthons oder des Grafen von Mirabeau, seine Ärzte, in Briefen an Freunde und Verwandte, im Rahmen einer Leichenpredigt oder auch in einer Historia mortis. Letztere war vor 1800 insbesondere in lutherischen und pietistischen Kreisen ein recht verbreitetes Genre.25 Als Spiegel der tatsächlichen Verhältnisse lassen sich solche Berichte anderer aber nur mit großer Vorsicht verwenden. Allzu offensichtlich war es den Verfassern oft ein Anliegen, den heroischen Mut und/oder die tiefe Frömmigkeit hervorzuheben, mit denen die Verstorbenen ihr Leiden ertragen und dem nahen Tod ins Auge gesehen hätten. Nur gelegentlich sind die Schilderungen so konkret und detailliert, dass auch die subjektive Wahrnehmung der körperlichen Veränderungen und der medizinischen Behandlung des Sterbenden Konturen gewinnt. Als wichtige ergänzende Quelle für die historische Untersuchung der Sterbeerfahrung aus Sicht der Kranken und ihrer Angehörigen können literarische Darstellungen dienen. Selbstverständlich sind dabei die Besonderheiten künstlerischen Schreibens im Auge zu behalten. Gedichte, Erzählungen, Romane und Dramen – ähnliches gilt auch für Autobiografien – sind zudem unausweichlich durch die herrschenden Normen und Bilder von einem „guten“ Sterben geprägt. Allerdings machen sie gerade dadurch auch deren kulturelle Wirkkraft deutlich. Die folgende Darstellung gliedert sich in drei grob chronologisch angeordnete Teile. Der erste Teil ist der Zeit vom ausgehenden Mittelalter bis zur Wende zum 19. Jahrhundert gewidmet. Ausgehend von den ältesten bislang bekannten Texten, die im 14. und 15. Jahrhundert den Begriff „palliativ“ verwandten und definierten, skizziert er die wachsende ärztliche Aufmerksamkeit für die Cura palliativa und verfolgt, wie das medizinische Schrifttum seit der Mitte des 17. Jahrhunderts unter Stichworten wie Eutha24
Haller, Briefe (1923); Graffigny, Correspondance (1985–2010); zu Graffignys Erfahrungen von Körper, Krankheit und ärztlicher Behandlung s. a. Judith Oxfort, Meine Nerven tanzen. Die Krankheiten der Madame de Graffigny (1695–1758), Köln 2010. 25 Vgl. Gleixner, Pietismus (2005), S. 195–199.
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Einleitung
nasia medicinalis verstärkt auch speziell die Behandlung Sterbender zu thematisieren begann. Er zeigt, wie Ärzte mit Kranken und Sterbenden umgingen und wie sie sich zu den schwierigen ethischen Fragen stellten, die deren Behandlung zuweilen aufwarf, und er beschreibt die wirkmächtige Überlieferung „volkstümlicher“ Praktiken wie des plötzlichen Kissenentzugs, mit deren Hilfe man zahlreichen Berichten zufolge in der Bevölkerung seit Jahrhunderten Leben und Leiden Sterbender zu verkürzen suchte. Anhand exemplarischer Quellentexte versucht er abschließend, auch die subjektive Erfahrung der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu rekonstruieren und die Bedeutung des ärztlichen und pflegerischen Beistands im Vergleich zum geistlichen abzuschätzen. Der zweite Teil nimmt die Zeit vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in den Blick. Er schildert, wie die medizinische Betreuung von Schwerkranken und speziell von Sterbenden zunächst sehr breite Aufmerksamkeit fand und von zahlreichen Schriftstellern abgehandelt wurde, um dann im ausgehenden 19. Jahrhundert wieder in den Hintergrund zu treten. Er skizziert das wachsende Augenmerk für die pflegerischen Aspekte und stellt die wichtigsten Medikamente und chirurgischen Verfahren vor, die in der palliativen Krankheitsbehandlung eingesetzt wurden. Er geht den zunehmend kontrovers geführten ethischen Debatten nach, insbesondere über Fragen der Lebensverkürzung, und stellt die ersten Ärzte vor, die um 1800 einer aktiven Sterbehilfe das Wort redeten. Ausführlich beschreibt er sodann, teilweise auch im Rückblick auf die vorangehenden Jahrhunderte, die tiefgreifenden Veränderungen in der institutionellen Versorgung terminal Kranker und Sterbender und die Entstehung eigenständiger Häuser für diese Personengruppe, von denen manche schließlich zu unmittelbaren Vorbildern der modernen Sterbehospize wurden. Er zeigt, wie eng deren Entwicklung mit der wachsenden Konzentration auf die kurative Behandlung heilbarer Kranker verknüpft war, die in den Hospitälern und Krankenhäusern keinen Platz mehr fanden. Nicht zuletzt zeichnet er nach, unter welchen Umständen die Kranken zu Hause, im Krankenhaus und in den neuen Häusern für unheilbare und todgeweihte Patienten ihre letzten Tage verlebten, wie die Betroffenen und ihre Angehörigen das Sterben erlebten und wie sie damit umgingen.
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Einleitung
Der dritte Teil gibt einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen und Veränderungen der jüngeren Vergangenheit, seit 1945. Auch wenn diese Epoche uns heute besonders naheliegt und viele Entwicklungen hier ihren Anfang nahmen, die noch die Gegenwart maßgeblich bestimmen, werde ich diesem Zeitabschnitt keinen überproportionalen Raum geben. Die wesentlichen Geschehnisse und ihre führenden Protagonisten sind schon vielfach dargestellt worden. Ich kann mich daher damit begnügen, die maßgeblichen Entwicklungen und ihre Triebkräfte herauszuarbeiten. Allerdings werde ich auch hier teilweise auf bislang unbekannte und/oder unveröffentlichte Dokumente zurückgreifen, wie Balfour Mounts Bericht über das Pilotprojekt einer Palliativstation am Royal Victoria Hospital in Montreal oder die Notizen von Sylvia Lack, der ärztlichen Leiterin des ersten USamerikanischen Hospizes in New Haven, über ihre Reise zu diversen britischen Einrichtungen für Schwerkranke und Sterbende in den 1970er Jahren. Der Schlussteil fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und skizziert unter den Begriffen „Medikalisierung“, „Tabuisierung“ und „Stigmatisierung“ drei epochenübergreifend zentrale Dimensionen des Umgangs mit Todkranken und Sterbenden. Eine Auswahlbibliografie verzeichnet die wichtigsten und/oder öfter zitierten Werke. Verkürzte Literaturangaben in den Fußnoten verweisen auf diese Bibliografie. Für alle übrigen Werke und für die ungedruckten Quellen enthalten die Fußnoten die vollständigen Angaben. Vormoderne Dissertationen führe ich unter dem nachweislichen oder mutmaßlichen Autor – sie wurden häufig vom Doktorvater (Promotor, Praeses), manchmal aber auch vom Doktoranden oder, besonders schwer nachweisbar, von beiden gemeinsam verfasst. Die Übersetzungen von wörtlichen Zitaten aus lateinischen oder anderen fremdsprachigen Quellen sind meine eigenen, es sei denn, dies ist ausdrücklich anders angegeben. Bei Zitaten habe ich der besseren Lesbarkeit halber Zeichensetzung und Großschreibung modernisiert. Kürzel, wie sie vor allem in lateinischen Quellen häufig für Wortendungen benutzt wurden, habe ich aufgelöst. Die Verwendung von „u“ und „v“ sowie von „i“ und „j“ habe ich dem üblichen deutschen beziehungsweise dem klassischen lateinischen Sprachgebrauch angepasst (z. B. „und“ für „vnd“, „sive“ für „siue“, „vicarii“ für „vicarij“).
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Einleitung
Zum Schluss ein Wort des Dankes: Wichtige Teile dieses Buch gingen aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten, von mir geleiteten und mit umfangreichen eigenen Forschungen aktiv begleiteten Projekt zur „Geschichte der Palliativmedizin“ am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg hervor. Die DFG hat auch die Drucklegung ermöglicht. Maßgebliche Vorarbeiten vor allem im Hinblick auf die Frühe Neuzeit hatte ich bereits zuvor in einem vorangehenden, von der Fritz Thyssen-Stiftung geförderten Forschungsprojekt zur „Alltagsgeschichte der medizinischen Ethik“ leisten können. Im Rahmen des DFGProjekts hat Hannes Langrieger seinerseits die Geschichte der stationären palliativmedizinischen Versorgung vor 1914 verfolgt. Die Geschichte zweier früher einschlägiger Institutionen – die der Unheilbarenhäuser in Bamberg und Regensburg – hat er in eigenständigen Publikationen ausführlich dargestellt.26 Das umfangreiche Quellenmaterial zu weiteren Einrichtungen, das er durch seine Archivrecherchen erschlossen hat und das er nicht mehr selbst publizieren will, ist in die vorliegende Darstellung eingegangen und wird ihm in den entsprechenden Fußnoten zugeordnet. Die Passagen zu den stationären deutschen Einrichtungen verdanken sich, mit Ausnahme des von mir selbst bearbeiteten Nürnberger Krankenhauses Hundertsuppe, entscheidend diesen Vorarbeiten. Katrin Max hat im Rahmen dieses Projekts die Aufgabe übernommen, die Zeit zwischen 1880 und 1945 zu untersuchen. Als ausgebildete Germanistin hat sie sich dabei im Wesentlichen auf die Darstellung von Sterben und ärztlicher Sterbebegleitung in der deutschsprachigen Literatur des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik konzentriert. Ein Artikel über Klabunds Die Krankheit ist bereits erschienen.27 Ein zweiter Beitrag aus ihrer Feder, ein Überblick über die Darstellung der medizinischen Versorgung terminal Kranker und der ethischen Probleme, die sie aufwarf, in der deutschsprachigen Literatur zwischen 1880 und 1925, soll nach Möglichkeit noch eigens publiziert werden. Soweit Frau Max hier eigene Ergebnisse vorgelegt hat, bleiben diese deshalb im Folgenden unberücksichtigt. An den wenigen Stellen, wo ich auf literarische Passagen zurückgreife, auf die sie mich hingewiesen hat, habe ich dies in Fuß26 27
Langrieger, Ein Platz (2008); ders., Medizinische Versorgung (2010). Vgl. Max, Literarische Texte (2008).
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Einleitung
noten ausdrücklich gekennzeichnet. Mein ganz besonderer Dank geht an meine Mitarbeiterin Karen Nolte, mit der mich eine langjährige Beschäftigung und ein reger Austausch über dieses Themengebiet verbinden. Sie hat sich im Rahmen des erwähnten, von mir geleiteten Forschungsprojekts zur „Alltagsgeschichte der medizinischen Ethik“ eingehend mit dem Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden speziell im 19. Jahrhundert befasst und diese Forschungen in den vergangenen Jahren noch erheblich vertieft und ausgeweitet. Sie hat eine ganze Reihe von einschlägigen Beiträgen veröffentlicht, auf die ich im Folgenden immer wieder fruchtbar zurückgreifen werde, und demnächst sollen ihre Ergebnisse auch in monografischer Form erscheinen. Ihr und Alexander Döll danke ich zudem für Anregungen und Kommentare zu früheren Fassungen des Texts und Josef Domes für die Durchsicht des fertigen Manuskripts. Danken möchte ich auch meinen übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, allen voran Monika Reininger, die mir durch ihre umsichtige Institutsverwaltung die nötigen zeitlichen Freiräume für die Forschungsarbeit sichern half. Widmen möchte ich dieses Buch dem Andenken an meine verstorbene Mutter, Isolde Stolberg, die nach schweren Jahren der Krankheit letztlich doch noch jenen plötzlichen, sanften Tod sterben durfte, den sie sich immer gewünscht hatte.
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