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Es gibt alte Menschen, die Pflege massiv abwehren und ihre Angehörigen oder HelferInnen vor große Probleme stellen. Es gibt MitarbeiterInnen und Angehörige, die – meist aus Überforderung – Grenzen überschreiten, die nicht überschritten werden dürfen. Die Beiträge diese Bandes untersuchen, an welchen Stellen im Alter und in der Altenpflege Gewalt sichtbar wird, wo sie vermeidbar ist und wie wir durch unser Handeln dazu beitragen können, die Ausübung von Gewalt und Zwang zu minimieren.
du nicht willig …“
17:30 Uhr
„Und bist
16.06.2011
Gerhard Nübel, Bernd Meißnest (Hrsg.)
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Gerhard Nübel, Bernd Meißnest (Hrsg.)
Tagungsband zum 15. Gütersloher Gerontopsychiatrischen Symposium
„Und bist du nicht willig …“ Gewalt und Alter
www.mabuse-verlag.de
ISBN 978-3-940529-81-7
Mabuse-Verlag
Gerhard Nübel, geb. 1956, ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und klinische Geriatrie. Er arbeitet in der Gerontopsychiatrischen Ambulanz des LWL-Klinikums Gütersloh. Bernd Meißnest, geb. 1967, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie des LWL-Klinikums Gütersloh.
Gerhard Nübel, Bernd Meißnest (Hrsg.)
„Und bist du nicht willig ...“ Gewalt und Alter
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
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Satz: Wolfgang Röckel, Frankfurt am Main Umschlaggestaltung: Caro Druck GmbH, Frankfurt am Main Umschlagfoto: Werner Krüper, Steinhagen Druck: Prisma Verlagsdruckerei, Saarbrücken ISBN: 978-3-940529-81-7 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten
Inhalt Bernd Meißnest, Vorwort .............................................................................. 7 Heike Lütgert, Gewalt und moderne Gesellschaft – ein Gegensatz? ............ 11 Birgit Panke-Kochinke, Gewalt gegen Pflegende. Konfliktmuster und Lösungsansätze ................................................................................... 25 Cordula Gestrich, Jung in den Krieg – alt mit Trauma? ............................. 37 Heinz-Peter Kuhlmann, Freiheit und/oder Sicherheit? Für eine ehrliche Debatte über freiheitsentziehende Maßnahmen in der Altenpflege ............................................................................... 55 Gerhard Nübel, Ethik in der Altenphilfe .................................................... 66 Friedrike Töpler-Rottmann, Warum ist sie nur so wütend? Aggression und Gewalt bei Menschen mit Demenz .............................................. 72 Ute Schmidt, Gewaltfreie Kommunikation nach M. B. Rosenberg ............. 84 Autorinnen und Autoren .............................................................................. 89
Vorwort Regelmäßig taucht das Thema „Gewalt und Alter“ oder „Gewalt an alten Menschen“ in unterschiedlichen Facetten in den Medien auf. Meist sind es die negativen Meldungen über Gewalt an hilflosen, älteren Personen, Gewalt in der Pflege und in der Betreuung von Menschen, die uns Profis und Angehörigen ratlos, hilflos und wütend machen. In der Ausübung von Gewalt werden immer wieder scheinbar bestehende ethische, moralische und juristische Grenzen überschritten. So sind hier unter anderem Überfälle von zum Teil noch jugendlichen Menschen auf hilfsbedürftige ältere Personen gemeint, das heißt schutzbedürftige Kinder und Jugendliche üben Gewalt an schutzbedürftigen Alten aus. Weiter gehören hierzu Misshandlung, Vernachlässigung bis hin zu Tötung von pflegebedürftigen, hilfsund schutzbedürftigen älteren Menschen durch Profis (Mitarbeiter der Pflege und anderen medizinischen Professionen) und durch Angehörige. Auch wir hier in der LWL Klinik Gütersloh waren in den neunziger Jahren betroffen. Ein Krankenpfleger tötete Patienten während ihres stationären Aufenthaltes in der Klinik. Dieses furchtbare Ereignis jährt sich in diesen Tagen zum zwanzigsten Mal Diese in die Medien getragene Gewalt ist uns heute sehr präsent. Gewalt im Alter hat noch andere Seiten, die kaum in die Öffentlichkeit dringen. Sobald Menschen auf die Unterstützung Dritter angewiesen sind und diese erhalten, begegnen sich Personen mit unterschiedlichen Gewohnheiten, unterschiedlichen Biografien, unterschiedlichen Bedürfnissen und Belastbarkeiten. Es entstehen Abhängigkeiten – die Mutter von der Tochter, der Pflegebedürftige von der Pflegeperson, die Bewohner von ihrer Institution Heim, der Unmündige von seinem Bevollmächtigten, der Immobile von dem ihn Bewegenden usw. Solange solche Abhängigkeiten bewusst sind und in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, solange materielle, soziale und psychische Ressourcen vorhanden sind, ist alles gut. Sobald aber diese Ressourcen knapp werden, und verteilt werden müssen, zum Beispiel eine Schwester ist von heute auf Morgen für zehn statt für fünf schwerst pflegebedürftige Personen zuständig, dann entsteht eine höhere Belastung körperlicher und psychischer Art, entsteht Frustration, Aggression und Diskriminierung. Jeder Pflegende kennt dies zu gut aus dem beruflichen und persönlichen Alltag. 7
Vorwort
Wo ist der Ort zur Thematisierung, wo sind die „niederschwellig“ zu erreichenden Anlaufstellen für die Überforderten, wo ist meine eigene Wahrnehmung dieser Grenzen? Opfer dieser sehr individuellen Auseinandersetzungen sind meist die Schwächsten unserer Gesellschaft, die Kinder, Behinderte und zunehmend ältere Menschen. Bevormundung, Einschränkung von Freiheitsgraden – und hier ist nicht nur die Freiheit im juristischen Sinne gemeint – emotionales Verhungern lassen, sind die Folge. Zehn Prozent aller alten Menschen geben an, bereits Erfahrungen mit Gewalt, Misshandlungen und Vernachlässigung sowie Ausbeutung in ihrem sozialen Nahbereich gemacht zu haben. Missstände in Krankenhäusern und Heimen finden immer wieder ihren Weg in die Öffentlichkeit. Gewalt in den eigenen vier Wänden hingegen ist ein großes, nach wie vor tabuisiertes Thema. Mittlerweile haben sich bis heute an unterschiedlichen Orten Initiativen gegen Gewalt gegründet. So hat zum Beispiel der Deutsche Familiengerichtstag einen Arbeitskreis initiiert und Empfehlungen an den Gesetzgeber formuliert. Hierzu gehört zum Beispiel das niederschwellige Beratungsangebot, Seniorentelefone, Entlastungsangebote für die häusliche Pflege und Anderes. Darüber hinaus bieten unterschiedlichste Bildungseinrichtungen Schulungsprogramme für Angehörige und Pflegemitarbeiter zur weiteren Qualifizierung und Professionalisierung an. Beratungstelefone nehmen Beschwerden und Schilderungen von Missständen entgegen und bringen diese in die Öffentlichkeit und es gibt einzelne Akteure, die sich seit vielen Jahren gegen Gewalt gegenüber alten Menschen einsetzen. Hierzu gehört unter anderem Prof. Dr. Dr. Rudi Hirsch mit seiner Initiative gegen Gewalt aus Bonn oder Klaus Fussek mit seinem Beratungsangebot in München. Es bewegt sich was, allerdings, sobald eine neue Meldung in den Medien über Gewalt gegenüber alten Menschen erscheint, taucht bei allen Beteiligten die Frage wieder auf, wann weitere Maßnahmen zur Verhinderung ergriffen werden. Schaut man auf die zukünftige demografische Entwicklung und die Zunahme der pflegebedürftigen älteren Menschen, so müssen wir uns damit auseinandersetzen, welche zukünftigen Versorgungs- und Betreuungsstrukturen erforderlich sind, um eine fachlich hochwertige, ethisch vertretbare und an den Bedürf8
Bernd Meißnest
nissen der Betroffenen orientierte Betreuung und Pflege zu gewährleisten. Betrachten wir hingegen manche Entwicklung in der heutigen Altenhilfe, so kommt schnell die Frage auf, „Was muten wir unseren alten Mitmenschen heute schon zu – Was muten wir uns künftig selbst zu?“ Jeder von uns kennt die Gedanken: „Hier würde ich nie hingehen, so würde ich mich nie versorgen und betreuen lassen …“ – und dennoch lassen wir, als Gesellschaft, als Profi, als Mitverantwortliche, solche, zum Teil unzumutbaren, unmenschlichen und auch gewalttätigen Strukturen zu, ja, wir muten sie unseren heute schon Alten- und Pflegebedürftigen gerade zu. Wir stehen heute erst am Anfang unserer Bemühungen, ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel steht uns bevor. Denn der Zeitpunkt naht, an dem wir mehr alte als junge Bürgerinnen und Bürger haben. Dies wird voraussichtlich in etwa 40 Jahren der Fall sein. Dann reden wir nicht mehr über die Gruppe der Alten, sondern gehören möglicherweise selbst bereits dazu und somit geht es um unsere eigene Zukunft, um unser eigenes zukünftiges Versorgtsein. Wir haben es heute in der Hand, die Weichen für unsere eigene Zukunft zu stellen und Bedingungen zu schaffen, unter denen Individualität eines jeden Raum hat, gewaltfreies Altwerden möglich ist, für jeden eine Häuslichkeit existiert, die vertraut ist, Begegnungen zulässt und das Gefühl besteht, gebraucht zu werden – trotz aller vorhandenen Einschränkungen. Die Beiträge des 15. Gütersloher Gerontopsychiatrischen Symposiums geben durch Expertinnen und Experten den heutigen Ist-Zustand aus unterschiedlichen Perspektiven wieder und zeigen mögliche Wege der Veränderung auf hin zu einer gewaltarmen bis gewaltfreien Versorgungs- und Angebotsstruktur für ältere betreuungs- und pflegebedürftige Menschen. Bernd Meißnest Frühjahr 2011
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