Nachhaltige Gesundheitsförderung - Eberhard Göpel

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Die Deutsche Bibliothek – Cip-Einheitsaufnahme Nachhaltige Gesundheitsförderung Gesundheit gemeinsam gestalten – Band 4 Eberhard Göpel | GesundheitsAkademie e.V. (Hrsg.) – Frankfurt/M.: Mabuse-Verlag 2010 ISBN: 978-3-940529-84-8 NE: Eberhard Göpel, GesundheitsAkademie e.V. (Hrsg.) Dieses Buch ist als Beitrag der Autorinnen und Autoren zur Entwicklung einer Politik nachhaltiger Gesundheitsförderung in Deutschland konzipiert. Die GesundheitsAkademie e.V. ist erreichbar in der Geschäftsstelle Breite Straße 8, 33602 Bielefeld, Tel. 05 21 - 13 35 62, Fax 05 21 - 17 61 06 E-Mail: akademie@gesundheits.de, Internet: www.gesundheits.de

1. Auflage 2010 © 2010 by Mabuse-Verlag GmbH Kasseler Str. 1 a 60486 Frankfurt am Main Tel. 069 - 70 79 96 -13 Fax 069 - 70 41 52 www.mabuse-verlag.de Redaktion: Eberhard Göpel Titelgrafik und Satz: www.akzent-designbuero.de Druck: Prisma Verlagsdruckerei, Saarbrücken Printed in Germany ISBN: 978-3-940529-84-8 Alle Rechte vorbehalten

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Inhalt

Nachhaltige Gesundheitsförderung

Kapitel / Beiträge / Autorinnen und Autoren

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Beiträge zu grundlegenden theoretisch-konzeptionellen Fragen 19 nachhaltiger Gesundheitsförderung Die Entwicklung institutioneller Hilfen in der Moderne . . . . . . . 20 Klaus Dörner Lebensqualität und andere Konzepte der Wohlfahrtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Heinz-Herbert Noll Das Konzept des „Haushaltens“ im Kontext nachhaltiger Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . 54 Barbara Methfessel Das Konzept der „Gemeingüter“ im Kontext nachhaltiger Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . 72 Silke Helfrich Das Konzept der „Umweltgerechtigkeit“ im Kontext nachhaltiger Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . 88 Michael Wehrspaun, Christiane Bunge Konzepte sozialer Gerechtigkeit im Kontext nachhaltiger Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . 110 Andreas Mielck Konzepte einer nachhaltigen gesundheitsfördernden Politikgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Alf Trojan Formen der Vergewisserung 137 zur Nachhaltigkeit in der Gesundheitsförderung Gesundheitliche Wirkungsbilanzen (Health Impact Assessment) als Beitrag zur nachhaltigen Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . 138 Rainer Fehr Bürgernahe Gesundheitsberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Andreas Böhm Konzepte zur Evidenzgewinnung und Evaluation für eine nachhaltige Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Julica Loss Partizipative Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung und Prävention . . . . . . . . . . . . . . . 185 Michael T. Wright, Hella von Unger, Martina Block

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Nachhaltige Gesundheitsförderung

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Nachhaltige Gesundheitsförderung 5 Eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Eberhard Göpel

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Nachhaltige Gesundheitsförderung Kapitel / Beiträge / Autorinnen und Autoren

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Inhalt

Nachhaltige Gesundheitsförderung

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Praxis nachhaltiger Gesundheitsförderung 199 Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit als Kern nachhaltiger Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Holger Kilian, Stefan Bräunling Kultur eines „Dritten Sozialraumes“ – Nachbarschaft im kommunalen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Klaus Dörner Das Dorf in der Stadt – Nachbarschaftliches Haushalten und Neubelebung der Genossenschafts-Tradition in Städten und Gemeinden . . . . . . . . 228 Christopher Hofmann, Kerstin Rohkohl Urbane Subsistenz als Teil nachhaltiger Gesundheitsförderung . . . 240 Andrea Baier Öffentliche Gesundheitsförderung im sozialräumlichen Kontext und quartiersbezogene Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Karin Mossakowski, Waldemar Süß Wohnbauarchitektur als Beitrag zu nachhaltiger Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Thomas Abel, Heinz Bolliger-Salzmann Strukturbildungen und Qualifikationsentwicklung 293 Strategiepapier „Gesundheit nachhaltig fördern und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen“ – Forderungen an Bund, Länder und Kommunen . . . . . . . . . . . . . 294 Netzwerke settingorientierter Gesundheitsförderung . . . . . . . . . 306 Diana Siebert, Thomas Hartmann Studiengänge der Gesundheitsförderung in Deutschland, Österreich und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . 321 Kerstin Baumgarten, Thomas Hartmann Modell-Bildungen für die Lehre und Praxis nachhaltiger Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Arnd Hofmeister Wegweiser zu einer Politik nachhaltiger Gesundheitsförderung 355 Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Verwirklichungschancen und Grundbefähigungen als Grundrechte für eine produktive Lebensgestaltung für alle Menschen . . . . . . . . 360 Thesen zur Gesundheits-Ökonomie einer sozial-ökologischen Gesundheitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . 363 Eberhard Göpel, Günter Hölling GesundheitsAkademie e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

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Kapitel

1 Nachhaltige Gesundheitsförderung Eine Einführung

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Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung Eberhard Göpel

Eberhard Göpel

1. Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung

Die öffentliche Kommunikation über Gesundheit und Gesundheitsförderung thematisiert jeweils Vorstellungen einer angestrebten Zukunft und erwünschter Lebenssituationen. In diesem Sinne eröffnet der Gesundheitsdiskurs eine Verständigung über individuelle und kollektive Lebenshoffnungen für gelingendes menschliches Leben angesichts eines steigenden Bewusstseins über die Endlichkeit des individuellen und der Gefährdungen des kollektiven menschlichen Lebens auf unserem Planeten. Es ist daher sicherlich kein Zufall, dass das Gesundheitsthema vor allem in Zeiten eines raschen gesellschaftlichen Wandels aktualisiert wird, in denen alte Lebensorientierungen nicht mehr zu tragen scheinen, neue dagegen noch nicht den Charakter des Selbstverständlichen erreicht haben. In den fortgeschrittenen kapitalistischen Industrienationen ist im Kontext der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise auch der wirtschaftliche Fortschritts-Mythos ins Wanken geraten und dies spiegelt sich inzwischen auch im Bewusstsein der Menschen wider. Auf der Grundlage einer umfangreichen vergleichenden Untersuchung der Lebenserwartung und Lebenszufriedenheit in Entwicklungs- und in fortgeschrittenen Industrieländern formulierten Wilkinson und Prickett die folgenden Erkenntnisse: „Es scheint paradox: Der Menschheit gelingen immer neue materielle Erfolge und technische Höchstleistungen, aber wir leiden unter Ängsten und Depressionen, sorgen uns darum, wie wir in den Augen der anderen erscheinen, und wissen nicht, wem wir trauen können. Wir konsumieren, statt Beziehungen mit unseren Nachbarn zu pflegen, und weil uns die unangestrengten sozialen Kontakte und das emotionale Wohlbefinden fehlen, das jeder Mensch braucht, suchen wir Trost in Extremen: viel essen, viel einkaufen und Geld ausgeben, viel Alkohol, viele Psychopharmaka oder Drogen.

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1 Wie kommt es, dass die Menschen länger und komfortabler leben als jemals zuvor, aber zugleich psychisch und emotional leiden? Oft fehlt uns kaum mehr, als uns hin und wieder einmal mit Freunden zu treffen, aber wir können die Zeit dafür nicht erübrigen. Wir handeln so, als sei unser Leben ein ständiger Kampf ums psychische Überleben, ein Kampf gegen Stress und emotionale Abstumpfung, aber in Wahrheit ist unser Leben so luxuriös und extravagant, dass es unseren Planeten in Gefahr bringt …“ Diese Diskrepanz zwischen materiellem Erfolg und sozialem Versagen ist ein wichtiges Indiz für den gesellschaftlichen Zustand vieler reicher Nationen. Wenn wir mehr echte Lebensqualität wollen, dann dürfen wir nicht länger nur nach Wirtschaftswachstum und Wohlstand streben, sondern müssen uns Gedanken um die Verbesserung des psychischen und sozialen Wohlergehens unserer Gesellschaft insgesamt machen.

Das Muster leuchtet ein: Wer sich von allen Gütern immer mehr leisten kann, wird irgendwann jeden weiteren Zuwachs nicht mehr als Zugewinn für sein Wohlergehen betrachten. Wer hungert, träumt von einem Laib Brot, wer satt ist, weiß mit immer mehr Brot nicht wohin und findet den Überfluss eher lästig. Im Laufe wirtschaftlichen Wachstums wird irgendwann ein Wohlstandsniveau erreicht, das mit „abnehmenden Erträgen“ einhergeht: Immer mehr Einkommen verspricht immer weniger Zuwachs an Gesundheit, Glück und Wohlbefinden. Einige der entwickelten Länder blicken inzwischen auf eine mehr als 150jährige Geschichte fast ununterbrochener Einkommenssteigerungen zurück – und jede weitere Erhöhung des Reichtums erscheint nicht mehr, wie einst, als Segen.

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Ob wir Gesundheit, Glücklichsein oder andere Aspekte des Wohlergehens betrachten, es zeichnet sich ein deutliches Ergebnis ab: In den ärmeren Ländern ist wirtschaftliche Prosperität nach wie vor ein sehr wichtiger Faktor für die Befindlichkeit der Menschen. Hier wirkt sich jede Steigerung des materiellen Lebensstandards auf die objektiven Aspekte (z.B. Lebenserwartung) und die subjektiven Aspekte (z.B. Glücklichsein) des Wohlergehens aus. Sobald aber eine Nation den Status eines entwickelten und reichen Landes erreicht, haben weitere Einkommenssteigerungen immer weniger Relevanz.

1. Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung

Heute kann man sich ganz andere, überzeugendere Möglichkeiten vorstellen, die Gesellschaft vor solchen Fehlentwicklungen zu bewahren. Es wird die Politik und unsere Lebensqualität von Grund auf verändern, wenn wir erst einmal die Lage richtig einzuschätzen gelernt haben: Wir werden einen neuen Blick auf die Welt gewinnen, wir werden andere Präferenzen setzen und unsere Forderungen an die Politik ändern …

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1 Eine solche Tendenz lässt sich auch an der Statistik der Todesursachen ablesen. Wenn Länder wohlhabender werden, verschwinden zunächst die typischen Armutskrankheiten wie Tuberkulose, Cholera oder Masern, die in den ärmsten Ländern der Welt bis heute virulent sind. An ihre Stelle treten nach und nach die so genannten Wohlstandskrankheiten: Krebs, Herz- und Gefäßerkrankungen. Diese Krankheiten treten vorwiegend im Alter auf, während an den klassischen Armutskrankheiten die Menschen meist schon im Kindesalter sterben.

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1. Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung

Hat ein Land ein bestimmtes Maß an materiellem Lebensstandard erreicht, nimmt die positive Wirkung weiteren Wirtschaftswachstums auf das Leben der Einzelnen ab. So erklärt sich, dass die „Wohlstandskrankheiten“ inzwischen auch bei den armen Schichten in reichen Gesellschaften zu beobachten sind. Herzkrankheiten, Schlaganfall und Fettleibigkeit galten traditionell als typische Befunde bei den Reichen; der Herzanfall war die Krankheit der Geschäftsleute. Einst waren die Wohlhabenden fett und die Habenichtse mager, aber seit den 1950er Jahren zeigt sich in den reichen Ländern immer deutlicher eine Umkehrung dieses Prinzips: Die Armen leiden zunehmend unter den Krankheiten, die vormals typisch für die Reichen waren. Während die Menschen in den reichen Ländern aus weiterer ökonomischer Prosperität immer weniger Vorteile ziehen können, macht sich eine ganz neue Begrenzung dieses wirtschaftlichen Wachstums bemerkbar: die Umweltschäden und vor allem die globale Erwärmung. Um die unabsehbaren Folgen eines sich fortsetzenden Klimawandels und eines sich daraus ergebenden Anstiegs des Meeresspiegels zu verhindern, müssen die CO2Emissionen drastisch verringert werden. Dies würde bedeuten, dass unser heutiges Niveau der Konsumtion nicht zu halten ist – und die eigentlich angestrebte Erhöhung des Lebensstandards in den Entwicklungsländern wäre damit auch nicht mehr möglich.“ (Wilkinson/Prickett S. 17 f.) In dem Thema „Nachhaltige Gesundheitsförderung“ verschränken sich in diesem Kontext mehrere grundlegende Fragen künftiger Lebensweisen und Wirtschaftsformen in einer globalen Perspektive: 1. Welche materiellen, ökologischen, kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen tragen in einer evidenten Weise zu einer Verbesserung der Lebenschancen und der sozialen Lebensqualität bei? 2. Welcher Umfang und welche Unterschiede in den Realisierungschancen für ein selbstbestimmtes Leben sind gesellschaftlich verallgemeinbar und nachhaltig tragbar? 3. Welche Begrenzungen und Verpflichtungen werden unter den Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit und mitmenschlichen Solidarität, des

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1 Schutzes vor Lebensgefährdungen und der Förderung gesünderer Lebensbedingungen sowie der Sicherung nachhaltiger Entwicklungsmöglichkeiten und Wirtschaftsformen gesellschaftlich verbindlich gemacht? In den Beiträgen von Klaus Dörner in diesem Band zur historischen Entwicklung institutioneller Hilfestrukturen in der Moderne werden die Begrenzungen staatlicher und marktwirtschaftlicher Ordnungen des Sozialen beschrieben und die Herausforderungen für zivilgesellschaftliche Vermittlungen in einem „dritten Sozialraum“, der durch bürgerschaftliches Engagement einer solidaritätsorientierten Bürgerbewegung gestaltet wird. Notwendig werden dabei neue Konzepte der Wohlfahrtsentwicklung, die in einer differenzierteren Form als die tradierten Indikatoren der Wohlstands-Ökonomie wie die Einkommensverteilung und der materielle Lebensstandard, z.B. die „Verwirklichungschancen“ (A. Sen) oder „Grundbefähigungen“ (M. Nussbaum) in einer Gesellschaft beschreiben. Unterschieden werden dabei in der Regel • Basisbefähigungen, die für alle Menschen eine Voraussetzung zur Entwicklung weiterer Fähigkeiten bilden („basic needs“),

David Seedhouse hat in diesem Kontext eine Theorie der Gesundheitsförderung entwickelt, die unterschiedliche Verbindlichkeitsstufen beinhaltet (Seedhouse 2001). In seiner Grundlegungs-Theorie der Gesundheit bilden Grundbefähigungen die notwendigen Voraussetzungen für eine eigenständige und produktive Lebensgestaltung. Sie sind daher für alle Gesellschaftsmitglieder als basales Lebensrecht zu gewährleisten. Darauf aufbauend lassen sich Wahlbereiche beschreiben, die je nach individuellen Präferenzen eine je unterschiedliche Relevanz für die individuelle Lebensgestaltung gewinnen können. Diese sind als Optionen zu konzipieren, die individuellen Wahlentscheidungen offenstehen. Schließlich lassen sich gesundheitsrelevante Verhaltensweisen und Situationen beschreiben, die zur Abwehr von Gefährdungen für das eigene oder

Ein Beispiel für eine derartige Liste von Grundbefähigungen für eine produktive Lebensgestaltung von Jan-Hendrik Heinrichs ist im Anhang dokumentiert.

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• kombinierte Befähigungen, für die auch der äußere institutionelle und materielle Rahmen vorhanden ist.

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• interne Befähigungen, die durch Bildung und Ausbildung erlangt werden, um sie in individuelle Entscheidungen und praktisches Handeln umsetzen zu können und

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1 fremde Leben öffentlich zu sanktionieren und einzuschränken sind. Aus diesen drei Prinzipien können differenzierte Schlussfolgerungen für eine Politik nachhaltiger Gesundheitsförderung abgeleitet werden. Welche Ausdifferenzierungen das Konzept der Lebensqualität im Rahmen der Diskussionen über angemessene Formen der Wohlfahrtsentwicklung erfahren hat, beschreibt Heinz-Herbert Noll in seinem Beitrag.

Als ein Beispiel für eine Verknüpfung von objektiven und subjektiven Indikatoren der Lebensqualität unter Bezug auf drei unterschiedliche Kategorien von Grundbedürfnissen wird von Heinz-Herbert Noll das Konzept des finnischen Soziologen Erik Allardt referiert, der mit den folgenden für die Gesundheitsförderung relevanten Unterscheidungen arbeitete: 1. Having In dieser Kategorie wird der Aspekt des sozio-ökonomischen Wohlstands bzw. die materiellen Dimensionen des Lebensstandards, wie z.B. ökonomische Ressourcen, Wohnbedingungen, Beschäftigung, Arbeitsbedingungen, Gesundheit, Bildung und Umweltverhältnisse. 2. Loving Unter die Kategorie „Loving“ fallen alle Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und sozialen Kontakten, wie z.B. Nachbarschaft, Familie und Verwandtschaft, Freundschaftsbeziehungen, Kontakte am Arbeitsplatz sowie Aktivitäten und Beziehungen in Vereinen und anderen Assoziationen. 3. Being Die Kategorie „Being“ umfasst schließlich soziale Optionen, Beteiligung und Selbstverwirklichung: Hierzu zählen z.B. politische Aktivitäten, Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten sowie Möglichkeiten zu sinnvoller Arbeit und Freizeitbetätigung. (Allard 1993)

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Hervorgehoben wird dabei die unterschiedliche Herangehensweise der amerikanischen „Quality of life“-Forschung, die die subjektiven Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse in den Vordergrund stellt, während etwa die skandinavische Tradition sehr viel stärker die von den einzelnen Menschen nicht zu beeinflussenden Determinanten der Lebensqualität in der sozialen und ökologischen Umwelt und das Ausmaß der individuell zugänglichen Ressourcen für eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in den Vordergrund rückt.

Die grundlegende Bedeutung einer ausgeglichenen Haushaltsführung im persönlichen wie im öffentlichen Bereich für eine nachhaltige Lebensqualität wird im Beitrag von Barbara Methfessel beschrieben. Die Anforderungen einer stabilen Bewirtschaftung des „oikos“, der basalen Überlebenseinheit der Personen eines ländlichen Hauswesens in der griechischen Antike, bildeten

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1 historisch die Grundlage einer Kunde nachhaltiger Haushaltsführung, auf die sich Öko-Logie und Öko-Nomie etymologisch zurückführen lassen. Für eine nachhaltige Gesundheitsförderung bildet die Haushaltswissenschaft einen paradigmatischen Kernbereich zur Fundierung einer subsistenz-orientierten Lebensführung. Andrea Baier thematisiert in ihrem Beitrag zur urbanen Subsistenz als Teil nachhaltiger Gesundheitsförderung die Geringschätzung unbezahlter Hausarbeit in der gegenwärtig dominanten Ökonomie. Sie beschreibt anhand eines Modellprojektes soziale Integrationsfunktionen von subsistenzorientierter Kooperation von MigrantInnen in interkulturellen Gärten in Städten.

Aspekte der Gerechtigkeit von gesundheitsbezogenen Belastungen sowie der Verteilung von Zugangs- und Verfügungschancen im Umwelt- und Sozialbereich werden in den Beiträgen von Michael Wehrspaun/Christiane Bunge und Andreas Mielck erörtert. Empowerment und Partizipation, Reduzierung belastender Umwelteinflüsse, Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen, Entwicklung nachhaltiger Wirtschafts- und Konsummuster und gesundheitsfördernder Lebenswelten sind Kernziele für die Reduzierung sozial vermittelter Ungleichheit von Lebens- und Gesundheitschancen. Alf Trojan skizziert in seinem Beitrag die konvergierende Entwicklung der Nachhaltigkeits-Initiativen der Vereinten Nationen seit der Veröffentlichung des Brundtland-Berichtes im Jahr 1987 mit den Gesundheitsförderungs-Programmen der WHO, die mit der Veröffentlichung der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung im Jahr 1986 einen offiziellen Status erhielten.

Das „Healthy Cities“-Netzwerk der WHO, der „Setting“-Ansatz der Gesundheitsförderung, die „Lokale Agenda 21“ der UN-Konferenz in Rio im Jahr 1992 und das heutige Programm „Soziale Stadt“ (www.sozialestadt.de) sind von den gleichen Intentionen geprägt, Menschen darin zu stärken, mehr Einfluss auf die Bedingungen ihrer Gesundheit zu nehmen.

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Als maßgebliche politische Handlungsebene für beteiligungsorientierte Programm-Entwicklungen für eine gesündere und nachhaltige Lebensweise wurden die Städte und Gemeinden identifiziert, denn dort kann bürgerschaftliches Engagement in den Lebenswelten des Alltags unmittelbar wirksam werden.

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Die Tradition der Allmende und der Gemeingüter als soziale verbindende Gemeinschaftsleistungen beschreibt Silke Helfrich und benennt dabei zahlreiche neue kooperative Entwicklungen – von Wikipedia bis zur partizipativen Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung – in denen „commoning“ das gemeinsame Entwicklungsinteresse und Tun, in den Mittelpunkt gerückt wird.

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1 In ihrem Buch „Nachhaltige Gesundheit und Entwicklung“ haben Alf Trojan und Heiner Legewie im Jahr 2001 in einer detaillierten Form die grundlegenden Handlungs-Prinzipien einer nachhaltigen Gesundheitsförderung beschrieben, die sie in einem Bericht für das Büro für Technikabschätzung des Deutschen Bundestages erarbeitet hatten. Sie fassen diese wie folgt zusammen: 1. Strukturelle Determinanten von Gesundheit beeinflussen, und zwar - aus salutogenetischer Perspektive, d.h. durch Stärkung von Ressourcen und Potentialen, - durch Information und Kompetenzvermittlung, - materielle und ideelle Anreize sowie Regelungen, 2. Strukturen schaffen und Prozesse einleiten und - durch systematische Organisationsentwicklung und Qualitätssicherung stabilisieren, - sozialraumbezogene Systemlösungen anstelle von Einzelproblemlösungen,

In seinem Beitrag beschreibt Alf Trojan ausführlicher die sechs programmatischen Handlungsstrategin für nachhaltige Gesundheitsförderung, die sich auf dieser Grundlage ergeben: 1. Gesamtkonzept und Rahmenplan für Gesundheitsförderung und Prävention entwickeln 2. geeignete Organisationsstrukturen für intersektorale Kooperation schaffen 3. rechtliche und finanzielle Basis absichern 4. akteursspezifische Programme entwickeln und einrichten 5. Programm- und Akteurskoalitionen aufbauen 6. Innovationsimpulse stärken: Informationspools und Kompetenznetzwerke (Trojan/Legewie 2001). Die Untersuchung gesundheitlicher Folgewirkungen von stadt- und regionalplanerischen Entscheidungen hat die WHO und in den letzten Jahren auch die EU-Kommission im Rahmen von Entwicklungs-Projekten zum „Health Impact Assessment“ (HIA) aktiv unterstützt.

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1. Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung

3. Innovationen kontinuierlich anstoßen und umsetzen durch - partizipatives Planen, - ressortübergreifende, problemfeldbezogene Ansätze im Rahmen komplexer Gesundheitsförderungsprogramme.

In seinem Beitrag zum Stand der methodischen Entwicklung von gesundheitlichen Wirkungsbilanzen (HIA) gibt Rainer Fehr vom Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW einen Überblick zu den vielfältigen Ergebnissen und zu Manualen zur Durchführung von Health Impact Assessments, die in anderen Ländern erarbeitet wurden und die auf Anwen-

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1 dung in Deutschland warten. Er verbindet dies mit der Hoffnung, dass in Deutschland künftig routinemäßig örtliche „Fachpläne Gesundheit“ für die politischen Beratungen als Entscheidungs-Grundlagen erstellt werden. Andreas Böhm skizziert in seinem Beitrag, wie von Experten erstellte „Fachpläne Gesundheit“ auf der lokalen Ebene auch durch eine bürgernahe Gesundheitsberichterstattung ergänzt werden können, in der die folgenden Aspekte im Mittelpunkt stehen: • Lebensweltbezug • Einfachheit • Partizipative Elemente Am Beispiel einer Befragung mit Schülern zum Tabak- und Alkoholkonsum wird die Durchführung beschrieben.

Der mit Unterstützung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Jahr 2003 initiierte Kooperationsverbund „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ hat inzwischen 54 bundesweite Mitglieds-Organisationen und 16 „Regionale Knoten“, die auf der Ebene der einzelnen Bundesländer die Aktivitäten in den Städten und Gemeinden koordinieren und unterstützen. (www.gesundheitliche-chancengleichheit.de). Holger Kilian und Stefan Bräunling beschreiben in ihrem Beitrag den Entwicklungsprozess des Kooperationsverbundes und die Zielsetzung, Quali-

Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit bildet ein Kernziel nachhaltiger Gesundheitsförderung, dessen Bedeutung auch vom Sachverständigenrat für die Entwicklung des Gesundheitswesens in dessen Gutachten im Jahr 2007 ausführlich begründet wurde. (www.SVR.de)

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Michael T. Wright, Bella von Unger und Martina Block berichten in ihrem Beitrag darüber, wie durch ein partizipatives Qualitäts-Management auch die Voraussetzungen für eine nachhaltige Fortführung von Gesundheitsförderungs-Projekten geschaffen werden. Empowerment-Prozesse durch Kompetenzbildung und Zusammenarbeit können dazu beitragen, Übergänge von zeitlich und sachlich begrenzten Projekten zu nachhaltigen Strukturbildungen in den Lebenswelten des Alltags zu meistern.

1. Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung

Möglichkeiten einer projektbegleitenden Evaluation und Evidenzgewinnung durch ein erweitertes Methoden-Spektrum wie die Foto-Dokumentation beschreibt Julica Loss und betont die Notwendigkeit, diese in einen funktionalen Zusammenhang mit den Projektzielen und -Möglichkeiten zu stellen und sie nicht durch bürokratischen oder wissenschaftlichen Formalismus zu überfrachten. In besonderer Weise gilt dies bei einer partizipativen Vorgehensweise, wie sie den Zielsetzungen der Gesundheitsförderung entspricht.

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1 tätsentwicklung, Entwicklung gesunder Lebenswelten und die Verankerung von Gesundheitsförderung in anderen relevanten Politikbereichen wirkungsvoll zu verknüpfen. Die Bedeutung des „dritten Sozialraumes“ der Nachbarschafts-Beziehungen in den Städten und Dörfern als Erweiterung und Ergänzung der Familien-Haushalte, die bei länger währender Pflege und Sorge für bedürftige Angehörige häufig an die Belastungsgrenzen stoßen, verdeutlicht Klaus Dörner. Auf ihn geht auch die Anregung zurück, zwischen Arbeit und Freizeit eine „dritte Sozialzeit“ gesellschaftlich aufzuwerten und als gemeinwohl-relevante Zeit-Investition zwischen fremdbestimmter Arbeit und persönlicher Eigenzeit anzuerkennen.

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1. Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung

Christopher Hofmann und Kerstin Rohkohl greifen die Bedeutung des Haushaltens als grundlegende Gesundheitskompetenz in Anlehnung an den Beitrag von Barbara Methfessel auf und verbinden diese mit der erweiterten Qualität von Nachbarschaftsbeziehungen. Eine Herausforderung und Chance vor allem für WohnungsbauGenossenschaften sehen sie darin, der ursprünglich dörflichen Tradition nachbarschaftlicher Unterstützung eine für städtische Wohn-Siedlungen angemessene konzeptionelle und infrastrukturelle Grundlage zu verschaffen. Da es in der DDR intensive Bemühungen gegeben hat, die sozialen Beziehungen und Aktivitäten von Hausgemeinschaften zu fördern und diese ein selbstverständlicher Teil der Alltags- und Feiertagsgestaltung waren, haben in den städtischen Wohn-Siedlungen in Ostdeutschland im Kontext des demografischen Wandels innovative Formen generationenübergreifenden Zusammenlebens eine positive Erfahrungsgrundlage, auf der neue Formen genossenschaftlicher Aktivitäten für eine lebensweltliche Gesundheitsförderung und nachbarschaftlicher Unterstützung im Alltag aufbauen können. Karin Mossakowski und Waldemar Süß beschreiben am Beispiel einer Hamburger Großsiedlung, welche unterstützende und vermittelnde Rolle quartiersbezogene Präventionsprogramme und Angebote zu lebensweltlicher Gesundheitsförderung durch den öffentlichen Gesundheitsdienst zur sozialen Integration einer multikulturellen Bewohnerschaft übernehmen können. Ergänzt wird das Thema „Gesundheit in einer kulturell fremden Umgebung“ durch den Beitrag von Andrea Baier. Sie berichtet über selbstorganisierte urbane Subsistenz-Projekte auf der Grundlage interkultureller Gärten, deren Entwicklung von der Stiftungsgemeinschaft Anstiftung & ertomis/Stiftung Interkultur gefördert wird. (www.stiftung-interkultur.de)

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Das Strategiepapier beschreibt Schritte für den „Einstieg in den Umstieg“ zu einer systematischen Politik der Gesundheitsförderung in Deutschland, die noch in dieser Legislatur-Periode des Deutschen Bundestages realisiert werden können. Die Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung, die Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung mit ihren Regionalen Knoten zur Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit sowie die bestehenden Netzwerke settingorientierter Gesundheitsförderung bilden eine bereits existierende und erprobte Kooperationsstruktur, die das Rückgrat für die Entwicklung und Stärkung kommunaler Strukturen und Programme bilden kann.

Im Abschnitt „Strukturentwicklung und Qualifizierung“ beschreibt das Strategiepapier „Gesundheit fördern, gesellschaftliche Verantwortung übernehmen“ Erwartungen für eine „präventive Wende in der Gesundheitspolitik“ und für eine Gemeinschafts-Initiative von Bund, Ländern und Kommunen zum Aufbau nachhaltig wirksamer Planungs- und Handlungsstrukturen für die Gesundheitsförderung in den Kommunen auf der Grundlage der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation.

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Eine nationale Stadtentwicklungs-Politik (www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de) kann dazu ebenso beitragen wie der systematische Aufbau von kommunalen Kompetenzen und Infrastrukturen für eine qualifizierte Planung und Begleitung lokaler Entwicklungs-Programme. Auch Gesundheitsförderungskonferenzen und die Bildung von kooperativen Gesundheitsförderungs-Fonds auf der Ebene der Städte und Landkreise sind wesentliche Elemente eines Gemeinschafts-Investitionsprogrammes von Bund, Ländern und Kommunen zur kommunalen Gesundheitsförderung, das auf den Erfahrungen des Programms „Soziale Stadt“ aufbauen kann und die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine wirkungsvolle und nachhaltige Verknüpfung der vielfältigen settingorientierten Ansätze der Gesundheitsförderung, der Aktivitäten von Gesundheits-, Bildungs-, Kultur- und Sozial-Einrichtungen sowie von Vereinen und Initiativen des bürgerschaftlichen Engagements schafft.

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Die Bedeutung der gebauten Umwelt, speziell der Wohnraum-Architektur für die empfundene Lebensqualität und die Gesundheitsförderung im Alltag beschreiben Thomas Abel und Heinz Bolliger-Salzmann in ihrem Beitrag. Ihr Vorschlag, ein Programm und internationales Netzwerk für gesundheitsfördernde Architektur (health promoting architecture – HPA) zu entwickeln, richtet sich vor allem an Architekten und Stadtplaner. Es macht exemplarisch deutlich, welcher Zusatzgewinn an Lebensqualität und Gesundheit gewonnen werden kann, wenn Gesundheitsförderung interdisziplinär verstanden und intersektoral wirksam wird für die Gestaltung nachhaltiger, sozial integrierender und gesundheitsfördernder Lebenswelten im Gemeinwesen.

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1 Auf der Ebene der Städte und Gemeinden bildet das Gesunde Städte Netzwerk (www.gesunde-staedte-netzwerk.de) mit seinen 60 Mitgliedsstädten und einer mehr als 20-jährigen Erfahrung einen Kristallisationskern für den Aufbau von lokalen Gesundheitsförderungs-Konferenzen und kommunalen Fonds für Gesundheitsförderung, wenn die im Strategiepapier vorgeschlagene Finanzierungsform realisiert wird. Kerstin Baumgarten und Thomas Hartmann beschreiben in ihrem Beitrag, wieweit die berufliche Qualifizierung von GesundheitsförderungsSpezialistInnen durch entsprechende Studiengänge an den Hochschulen vorangeschritten ist. Unterentwickelt ist gegenwärtig vor allem eine angemessene Forschungsförderung durch Bund und Länder in diesem Bereich. GesundheitswirtInnen als Gesundheitsförderungs-SpezialistInnen qualifizieren sich für systemische Gestaltungs-Kompetenzen für gesundheitsfördernde Lebenswelten und partizipative Verfahren der Organisationsentwicklung in öffentlichen Einrichtungen, Betrieben und kommunalen Strukturen.

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1. Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung

Arnd Hofmeister skizziert in diesem Zusammenhang das Magdeburger Modell zur Entwicklung einer nachhaltigen Gesundheitsförderung auf der Grundlage des Mehrebenen-Konzeptes der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. Die Zusammenstellung der Beiträge erfolgte unter dem Gesichtspunkt, eine konzeptionelle Orientierung für die Entwicklung einer Politik und Praxis nachhaltiger Gesundheitsförderung im deutschsprachigen Raum Europas zu vermitteln. Sie macht deutlich, dass vielfältige konzeptionelle Grundlegungen bereits geschaffen und Praxis-Ansätze erprobt wurden. Was im Vergleich zu unseren nordeuropäischen Nachbarn von Finnland bis Irland bisher fehlt, ist die politische Entschlossenheit, die von der WHO geforderte „präventive Wende in der Gesundheitspolitik“ durch eine politische Gemeinschafts-Initiative von Bund, Ländern und Kommunen zu beginnen und den Beitrag der Gesundheitsförderung als „Einstieg in den Umstieg“ systematisch zu entwickeln. „Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die alle ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen“ heißt es in der Ottawa-Charta.

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1 Es entspricht dem, was Jeremy Rifkin in seinem neuen hoffnungsstiftenden Buch „Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein“ als kulturelle Errungenschaft der europäischen Tradition beschrieben hat (Rifkin 2010). Wirksam wird sie „glokal“, als Gemeinschaftsleistung eines solidarischen Bürgertums, das ein Engagement vor Ort mit einem kosmopolitischen Bewusstsein verbindet. Unterstützt wird sie durch einen gesellschaftlichen Konsens zu grundlegenden sozialen Rechten, „Grundbefähigungen“ für eine selbständige Lebensführung und eine Öko-Nomie sozialökologisch fundierter Gesundheitsförderung. Die Beiträge dieses Buches wollen diesen Konsens fördern.

Die GesundheitsAkademie will die Entwicklung von Politik und Praxis nachhaltiger Gesundheitsförderung durch kollegialen Ideen- und Erfahrungsaustausch im Rahmen von Beratungen, Projektplanungen, Tagungen und Publikationen weiter begleiten und unterstützen. Sie sind eingeladen, daran teilzunehmen, indem Sie Ihr Interesse an die Geschäftsstelle in Bielefeld übermitteln.

Autor:

Eberhard Göpel Kontaktadresse:

Prof. Dr. Eberhard Göpel Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) Breitscheidstraße 2 D-39114 Magdeburg E-Mail: eberhard.goepel@hs-magdeburg.de Eberhard Göpel ist Professor für Gesundheitsförderung an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Vorstandsmitglied der GesundheitsAkademie. Forum für sozialökologische Gesundheitspolitik und Lebenskultur e.V.. Die GesundheitsAkademie e.V. ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss von Personen, Initiativen und Institutionen im Gesundheitsbereich (Kontaktadresse siehe S. 368).

Eberhard Göpel

Zur Person:

1. Nachhaltige Gesundheitsförderung – Eine Einführung

Die GesundheitsAkademie als Forum für sozialökologische Gesundheitspolitik und Lebenskultur und der Mabuse-Verlag haben diese Publikation in der Reihe „Gesundheit gemeinsam gestalten“ erneut ermöglicht und dafür ist ihnen zu danken. Ebenso den Autorinnen und Autoren, die ihre Einsichten und Überlegungen hiermit allen zur Verfügung stellen, die sich davon zu gemeinsamen Taten inspirieren lassen möchten. Hinweisen möchten wir hier auch auf die Webseite www.gesundheitlichechancengleichheit.de, denn um gleiche Lebenschancen und Gesundheit für alle geht es uns.

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Eberhard Göpel

1. Nachhaltige Gesundheitsförderung · Eine Einführung

1 Literatur: Alisch, M. (Hg.) (2001): Sozial – Gesund – Nachhaltig. Vom Leitbild zu verträglichen Entscheidungen in der Stadt des 21. Jahrhunderts. Leske + Budrich. Opladen. Becker, J.; Hauser, R. (2009): Soziale Gerechtigkeit – ein magisches Viereck. Zieldimensionen, Politikanalysen und empirische Befunde. Edition sigma. Berlin. Dörner, K. (2007): Leben und sterben, wo ich hingehöre. Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem. Paranus. Neumünster. Göpel, E. (Hg.) (2008): Systemische Gesundheitsförderung. Gesundheit gemeinsam gestalten. Bd. 3. Mabuse. Frankfurt am Main. Hard, M.; Negri, A. (2010): Common Wealth: Das Ende des Eigentums. Campus. Frankfurt am Main. Heinrichs, J. H. (2006): Grundbefähigungen. Zum Verhältnis von Ethik und Ökonomie. mentis-Verlag. Paderborn. Laverack, G. (2010): Gesundheitsförderung und Empowerment. Verlag Gesundheitsförderung. Gamburg. Lenk, H. (2010): Das flexible Vielfachwesen. Einführung in moderne Anthropologie zwischen Bio-, Techno- und Kulturwissenschaften. Velbrück Wissenschaft. Weilerswist. Nestmann, L. (2002): Zur Ökologie des Menschen. Menschen als Aktivisten, Opfer und Verantwortliche in den Ökosystemen der Erde. Fokus-Verlag. Gießen. Nussbaum, M. (1999): Gerechtigkeit oder das gute Leben. Suhrkamp. Frankfurt am Main. Rifkin, J. (2010): Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein. Campus. Frankfurt am Main. Scharmer, C.O. (2009: Theorie U – Von der Zukunft her führen. Carl Auer. Heidelberg. Schultz, I. (2009): Umwelt und Gerechtigkeit in Deutschland. Beitrag zu einer Systematisierung und ethischen Fundierung. Metropolis. Marburg. Seedhouse, D. (2001): Health: The Foundations for Achievement. John Wiley. London Sen, A. (2000): Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft. Hanser-Verlag. München. Sloterdijk, P. (2009): Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik. Suhrkamp. Frankfurt am Main. Trojan, A.; Legewie, H. (2001): Nachhaltige Gesundheit und Entwicklung. Leitbilder Politik und Praxis der Gestaltung gesundheitsförderlicher Umwelt- und Lebensbedingungen. VAS. Frankfurt am Main. v. Mutius, B. (Hg.) (2004): Die andere Intelligenz. Wie wir morgen denken werden. Klett-Cotta. Stuttgart. v. Werder, L. (2009): Geht die Welt unter – und wenn ja, warum? Schibri-Verlag. Uckerland. WHO European Region (1999): Health 21. The health for all policy framework for the WHO European Region. WHO. Kopenhagen. Wilber, K. (2001): Ganzheitlich handeln. Eine integrale Vision für Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Spiritualität. Arbor-Verlag. Freiamt. Wilkinson, R.; Pickett, K. (2009): Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für Alle besser sind. Zweitausendeins. Frankfurt am Main.

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