Schriftenreihe Medizin und Judentum · Band 10
Prof. Dr. med. Caris-Petra Heidel, geb. 1954, ist Medizinhistorikerin und kommissarische Direktorin des Instituts für Geschichte der Medizin der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden. Redaktionelle Mitarbeit, Lektorat: Anna Charlotte Zerna, geb. 1987, ist Studentin an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden.
Caris-Petra Heidel (Hrsg.)
Jüdische Medizin – Jüdisches in der Medizin – Medizin der Juden?
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Satz und Umschlaggestaltung: Karin Dienst, Frankfurt am Main Druck: Prisma Verlagsdruckerei, Saarbrücken ISBN: 978-3-940529-85-5-1 ISSN: 1436-5200 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten
Inhalt Caris-Petra Heidel Vorwort .................................................................................................................. 9
Mehmet Ayd n Humangesundheit im Judentum ....................................................................... 15
Peter Joel Hurwitz A medical treatise on Jewish Medical Ethics ..................................................... 25
Samuel Kottek Wohlfahrtspflege in der jüdischen Gemeinde: der Krankenbesuch ............... 33
Samira Kortantamer Jüdische Ärzte im mittelalterlichen Orient ....................................................... 39
Esin Kahya Musa Calinus el-Israili – ein jüdischer Arzt im 16. Jahrhundert ....................... 49
Nil Sari / Mahmut Gürgan / Zeki İzgüer Gedanken zu einer medizinischen Handschrift des osmanischen Arztes Musa Hamon aus dem 16. Jahrhundert .................... 57
Ayşegül Demirhan Erdemir The archives exemplifying some Jewish physicians’ activities of pharmaceutical treatment and surgery in the Ottoman Empire ................ 69
Ömar Düzbakar The Jews in the Ottoman Empire and a document registered in the Shari’a Court Records of Bursa .............................................. 77
Rahmi Tekin Jüdische Ärzte und ihre Behandlungsmethoden im Osmanischen Reich ........................................................................................ 85
Jürgen Nitsche Dr. Richard Bier (1865–1943). Ein deutsch-jüdischer Arzt im Dienste des Sultans Abdul Hamid II. Biographische Splitter einer einzigartigen Odyssee ......................................... 95
Gerhard Baader Sozialmedizin zwischen Zedaka und Sozialreform ......................................... 117
Marek Szymczak „Der alte Asch“. Die Aktivitäten von Sigismund Asch auf medizinischem und hygienischem Gebiet in den Jahren 1850 bis 1901 in Breslau ................................................................................... 127
Eduard Seidler Henri Baruk (1897–1999), der „Tsedek“ und die „Psychiatrie morale“ ......... 137
Ingrid Kästner Medizin und Judentum in Leben und Werk des Schriftstellers Ernst Weiß ........................................................................... 149
Matthias David Max Hirsch (1877–1948): Soziale Gynäkologie und Frauenkunde sowie nationale und internationale Rezeption seines Werkes ................................................. 161
Ekkehard Haring „Beiträge zur jüdischen Rassenfrage“ – Biopolitik und hygienische Wissenschaften in den frühen Schriften Felix A. Theilhabers ........................ 167
Wolfgang Kirchhoff Die Freiherr Carl von Rothschild´sche Stiftung Carolinum in Frankfurt und ihre historische Bedeutung für die zahnmedizinische Versorgung ....... 179
Caris-Petra Heidel Jüdische Sozialethik in der Zahnmedizin. Der Einfluss eines jüdisch-sozialethischen Wertebegriffs auf die Entwicklung der Schulzahnpflege in Deutschland ................................... 195
Çağatay Üstün A Health Institute for minorities in Izmir’s health life: the Jewish Hospital ........................................................................................... 207
Benjamin A. Marcus „Ich wünsche also, wenn das Krankenhaus gedeihen soll, einen ungescheuten confessionellen Ausdruck seiner Bestimmung.“ Der Orthopäde Heimann Wolff Berend und der Publizist Isidor Kastan in der Auseinandersetzung um die Rolle des Jüdischen Krankenhauses in Berlin im Jahr 1867 ........................................... 219
Gerhard Kreft / Ulrich Lilienthal „... beşeriyetin ezeli ve lâyetegayyer ahlâkî gayesi ...“ „... das ewige und unveränderliche moralische Ziel der Menschheit ...“. Philipp Schwartz (1894–1977) ........................................ 235
Gerhard Gaedicke Ein jüdischer Arzt aus Deutschland als Modernisierer der akademischen Medizin in der Türkei. Professor Erich Franks Wirken an der Universität Istanbul ............................................................................... 255
Ar n Nama / Öztan Öncel Der Beitrag der Wirtschaftsemigranten Werner Adam Laqueur und Friedrich Reimann zur Gründung des Institutes für experimentelle Forschung der Universität Istanbul .................................................................. 265
Daniel S. Nadav The „Medicalization“ of the Holocaust ........................................................... 283
Rebecca Schwoch Medizinische Versorgung von Juden für Juden? „Krankenbehandler“ in Berlin 1938–1945 ...................................................... 289
Notabene
Gad Freudenthal Medieval Medicine in Hebrew: Transferring Universal Learning into Jewish Contexts (Handout) ................. 309
Elisabeth Malleier Jüdische Spitäler, Krankenunterstützungsvereine und Krankenpflegeschulen in der Habsburgermonarchie. Veröffentlichungen ................ 311
Die Verfasserinnen und Verfasser ................................................................... 313
Vorwort
Nachdem auf den bisherigen neun Tagungen „Medizin und Judentum“ vorrangig der Beitrag und das Engagement jüdischer Mediziner auf dem Gebiet der wissenschaftlich-medizinischen Forschung einschließlich der modernen Naturheilkunde, des Gesundheits- und Fürsorgewesens, des medizinischen Hochschulwesens sowie politisch determinierte Formen der jüdischen Emanzipation und ihre Konsequenzen für die Heilkunde im Vordergrund der wissenschaftshistorischen Untersuchung standen, sollte mit der 10. Tagung eine noch tiefer greifende Ursachenforschung des „Jüdischen“ in der Medizin vorgenommen und erreicht werden. Bislang wenig wissenschaftlich untersucht und beantwortet war nämlich, ob und inwieweit heilkundliche bzw. medizinische Intentionen, Konzeptionen, Praktiken originär auf das Judentum zurückzuführen sind. Unter der vereinfacht als „Was war ,jüdisch‘ an der Medizin?“ formulierten Fragestellung wurden vielfältige, einen Zeitraum vom Byzantinischen Reich / Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts überblickende und insbesondere auf die sozial- und medizinethischen Grundlagen und Ansprüche des Judentums ursächlich reflektierende Untersuchungen vorgelegt. Dabei blieb der untersuchte Zusammenhang von Judentum und Medizin nicht allein auf wissenschaftliche Ergebnisse, Begründung eigenständiger medizinisch-wissenschaftlicher Forschungsrichtungen oder Prägung medizinischer Spezialgebiete bzw. Fachbereiche beschränkt. Die Problemstellung ist auch etwa auf das Gesundheits- und Fürsorgewesen einschließlich der medizinischen Vor- und Nachsorge sowie die Krankenpflege ausgedehnt worden. Neben Eingangsbereich der Universität Istanbul (Medizinische Fakultät)
Rektoratsgebäude, Tagungsort des 10. Medizinhistorischen Kolloquiums „Medizin und Judentum“ und Blick in das vollbesetzte Auditorium zur Eröffnung der Tagung im Doktorandensaal (Rektoratsgebäude)
der „Idee“ sind auch dem Judentum immanente organisatorisch- strukturelle Bedingungen und Voraussetzungen hinterfragt worden, um zum Beispiel das prägend „Jüdische“ eines jüdischen Krankenhauses nachweisen und beschreiben zu können. In Zusammenführung dieser anspruchsvollen Studien in diesem Band kann sowohl ein eindrucksvoller Überblick über den derzeitigen Forschungsstand gegeben, als auch vor allem die wesentlich neuen Erkenntnisse über eine vermeintlich oder tatsächlich bestehende Eigenständigkeit „jüdischer“ Paradigmen in der Medizin vorgestellt werden. Für die Austragung der wissenschaftlichen Tagung „Jüdische Medizin – Jüdisches in der Medizin – Medizin der Juden ?“ vom 30. September bis 1. Oktober 2009 erstmals in Istanbul (Türkei), auf ehrenvolle Einladung und in großartiger Kooperation mit der Abteilung für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Istanbul, war nicht zuletzt das 10. Jubiläum der 1993 begonnenen Tagungsreihe „Medizin und Judentum“ ein würdiger Anlass. Vor allem aber bot sich damit eine besonders glückliche und eindrucksvolle Verbindung zum Tagungsthema, da gerade Istanbul bereits zur Zeit der griechisch-römischen Antike und insbesondere seit dem Byzantinischen Reich ein Hauptzentrum von Wissenschaft, Kultur und eben auch der Medizin war, was vielfältig auf den lateinischen Westen ausstrahlte. In diesem kulturellen Zentrum waren Juden nicht nur als Teil der Bevölkerung präsent, sondern hatten eine exponierte Stellung in der wissenschaftlichen und praktischen Heilkunde. Diesbezüglich lassen sich also gerade hier die Quellen des originären Jüdischen in
Blick in das Auditorium zur Eröffnung der Tagung im Doktorandensaal (Rektoratsgebäude), in der ersten Reihe vorn der Oberrabbiner der Türkei, Ishak Haleva, sowie der Dekan der Medizinischen Fakultät Istanbul, Prof. Bilgin Saydam und das Präsidium mit den Referenten der Tagung
der Medizin aufdecken. Darüber hinaus kommt Istanbul ein gewichtiger Beitrag zum Wissenschafts- und Lehrimport durch jüdische Mediziner zu. Und schließlich wurde die Türkei seit 1933 nicht nur ein wichtiges Exilland für aus Deutschland emigrierte jüdische Wissenschaftler und Ärzte, um deren Leben, ihre Existenz zu retten. Vielmehr bot sich hier eine einzigartige kulturhistorische Konstellation gemeinsamer Interessen, die sich zwischen dem wissenschaftlichen Exodus vor dem Nationalsozialismus und der Modernisierung des türkischen Staates bzw. dessen Universitätsreform unter Kemal Atatürk einstellte. Beiträge jüdischer Wissenschaftler zur universitären Medizin in der Türkei – und hier vor allem in Istanbul – sind in ersten aufwendigen und soliden Studien bereits eruiert und vorgestellt worden. Kaum untersucht wurde hingegen bislang, ob und inwieweit diese Wissenschaftler gerade auch jüdisches Ideengut und / oder organisatorisch-strukturelle Bedingungen eingebracht haben bzw. einbringen konnten. In diesem Zusammenhang nicht unwichtig war die Frage, wie der Einfluss jüdischer Wissenschaftler in der medizinischen Forschung und Ausbildung der Türkei von den türkischen Kollegen bewertet wurde. Und diese Fragen konnten und können letztlich nur ausreichend von türkischer Seite beantwortet werden. Der hohe Zuspruch international ausgewiesener Fachvertreter und auf dem Gebiet der jüdischen und Medizingeschichte ambitionierter Interessenten zur Tagung dürfte dementsprechend auch gerade dem unmittelbaren Bezug der wissenschaftlichen Thematik zum „Ort des Geschehens“ zuzurechnen sein. Dass aber die Veranstaltung in ihrer Verknüpfung von anspruchsvoller Wissenschaft und kulturellem Glanz bei orientalischem Flair wohl bei jedem Teil-
Besuch des Or-Ahayim Krankenhauses – links: Eingangsbereich
nehmer einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen hat, ist den umsichtigen und höchstengagierten Vorbereitungen, dem organisatorischen Geschick und der herzlichen Gastfreundschaft von Frau Univ.-Dozent Ar n Namal, Abteilung für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Istanbul, zu verdanken. Ihr, den Kolleginnen und Kollegen der medizinhistorischen Abteilung sowie allen an der Vorbereitung und Durchführung der Tagung beteiligten Mitarbeitern und Studierenden der Istanbuler Universität, einschließlich und namentlich des Quartetts des Staatlichen Konservatoriums sowie der Simultandolmetscher, sei an dieser Stelle nochmals für diese in jedem Sinne gelungene Veranstaltung gedankt, die einen Höhepunkt der Tagungsreihe markiert. Unser besonderer Dank gilt dem Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Istanbul, Professor Bilgin Saydam, für die ehrenvolle Einladung sowie seine persönliche Förderung und Unterstützung der wissenschaftlichen Tagung, gleichermaßen dem Oberrabbiner der Türkei, Ishak Haleva, dem Vorsitzenden der Türkischen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Professor İbrahim Başağaoğlu, dem Vorsitzenden der türkischen Jüdischen Gemeinde, Silvyo Ovadya, sowie der Deutschen Generalkonsulin in der Türkei, Frau Brita Wagener. Eine besondere Ehre wurde den Tagungsteilnehmern zudem mit der Einladung des Vorstandes des Or-Ahayim Hospitals in Istanbul zur Besichtigung dieses traditionsreichen und -bewussten und zugleich hochmodernen renommierten jüdischen Krankenhauses zuteil. Die weit über hundertjährige Geschichte des Krankenhauses (gegr. 1898 / 1900) ist – aufwendig recherchiert und erarbeitet – in einem Prachtband veröffentlicht worden, der der Tagungsleitung als Geschenk überreicht wurde und einen ehrenvollen Platz im Institut für Geschichte der Medizin der Medizinischen Fakultät an der TU Dresden erhalten hat.
Vorwort
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Für die großzügige finanzielle Förderung und sehr entgegenkommende Unterstützung der wissenschaftlichen Veranstaltung möchten wir uns zudem beim Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD), dem Kulturministerium der Türkischen Republik sowie den beiden Medizinischen Fakultäten in Istanbul und Dresden bedanken. Diese internationale Kooperation – hier insbesondere zur Türkei – hat den Wissensaustausch nicht zuletzt auf dem Gebiet „Medizin und Judentum“ nachhaltig befördert und eine weiterführende enge wissenschaftliche Zusammenarbeit angeregt, deren erstes Ergebnis mit den Beiträgen in diesem Band offensichtlich wird. Dresden, im Sommer 2010 Caris-Petra Heidel
Mehmet Ayd n
Humangesundheit im Judentum
Als ich beschloss, das Thema „Humangesundheit im Judentum“ einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit zugrunde zu legen und auf einer solchen Tagung darzustellen, vertraute ich auf eine Ansammlung von Material zu diesem Gebiet, und ging von der Hypothese aus, auf bedeutendes Material zu stoßen. Erst als ich den Tanach durchsah und auch diverse Kommentare zum Tanach studierte, wurde mir klar, dass ich da ein recht schwieriges Thema vor mir hatte. In den jüdischen Heiligen Büchern stehen keine unmittelbaren Vorschriften zur menschlichen Gesundheit. Allerdings finden sich indirekte Hinweise zur Bewahrung der Humangesundheit und zum Respekt der Gesundheit der Menschen und auch der Tiere. Andererseits fordert Gott, das jüdische Volk solle „heilig“ sein1. Er selbst sei heilig und er fordert vom Volk, sich ihn zum Vorbild zu nehmen und sich ebenfalls zu „heiligen“. Hier tut er eindeutig kund, dass das jüdische Volk ewig sei, dass es seinen Schöpfer kennen, auf seinem Weg voranschreiten und sich von verbotenen Speisen fernhalten solle, um all dies zu erreichen2. Mehrfach ist wiederholt, dass Juden keine Käfer und weiteres Kleingetier und nichts, was verschimmelt, verdorben oder verschmutzt ist, essen dürften, um ein gesundes Volk zu bleiben und Gott gefällig zu sein3. Schließlich heißt es: „Macht euch selbst nicht zum Gräuel an allem kleinen Getier, das 4 da wimmelt, und macht euch nicht unrein an ihm“ . Bei der Auslegung dieses Verses des jüdischen Heiligen Buches wird im Allgemeinen folgende Meinung zur Gesundheit vertreten: Auch wenn Essen als physikalische Handlung betrachtet wird, würden es sich die Juden zum Gräuel machen, wenn sie derartige Tiere äßen. Unter Berücksichtigung dieses Gebots ist es sogar verboten, Speisen aus schmutzigen oder stinkenden Schüsseln oder unter solchen Umständen zu essen. In diesem Vers ist die Rede von Leib und Seele. Leib und Seele werden nicht durch Berühren oder Tragen, sondern durch den Verzehr verbotener Speisen unrein5. Der Unterschied zwischen körperlicher und seelischer Tumah (Unreinheit) ist erheblich. Körperliche Tumah erhält man durch den Kontakt oder das Tragen von einer Quelle dieser Tumah, sie kann durch rituelle Reini-
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Mehmet Aydin
gung beseitigt werden. Eine Auswirkung auf die Seele besteht nicht. Seelische Tumah dagegen entsteht durch das Essen verbotener Speisen. Sie stellt eine Schranke zwischen der Seele und der spirituellen Quelle dar und macht den Menschen unempfindlich für Spiritualität und bereit, Sünden zu begehen. Für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit eines „heiligen Volkes“ tragen die Kaschrut-Gesetze große Bedeutung für die Juden. Der Verzehr von rituell verbotenen Speisen beeinträchtigt die Fähigkeit des Menschen, sich auf höhere Ebenen zu bringen und sich zu heiligen. Es schadet der Seele immateriell, was also mit keiner physischen Untersuchung festgestellt werden kann, und stellt ein unsichtbares Hindernis zwischen den Juden und Gott dar. In dieser Hinsicht wird im Judentum stark zwischen Körper und Seele unterschieden. Nach dem Midrasch repräsentiert der Körper die Diesseitigkeit, die Seele dagegen seine Göttlichkeit. Der Mensch stellt die Verbindung zwischen beiden her. Der Körper ist zwar die „äußere Hülle“ der Seele, hat aber einen eigenen Wert. Deshalb darf der Mensch sich selbst keinen Schaden beibringen. So sind im Judentum Suizid, Autopsie und Verbrennung des Leichnams verboten. Im Talmud heißt es, eine Sünde werde im Zusammenspiel von Körper und Seele begangen. Aus diesem Grund wurde der Körper im Judentum niemals unterschätzt6 und der Körper, die körperliche Gesundheit, geachtet: „Sie sollen [...] an ihrem Leibe kein Mal einschneiden“7 und „Ihr sollt um eines Toten willen an eurem Leibe keine Einschnitte machen noch euch Zeichen einätzen“8. Es ist also im Judentum strengstens verboten, als Zeichen der Trauer um eines Toten willen zu übertreiben und den eigenen Körper zu verletzen. In der Tora findet sich das Wort Sarateth (Mal) im Sinne von Schnitt oder Wunde. Auch wird verkündet, dass jeder Einschnitt, der aufgrund der Trauer angebracht wird, als Übertretung des Religionsgesetzes gelte. Demzufolge begeht eine Person, die sich um eines Toten willen als Zeichen der Trauer eine Wunde beibringt, fünf religionsgesetzliche Übertretungen9, verstößt also gegen das jüdische Religionsgesetz. Denn der Körper ist, wie die Seele, eine Leihgabe Gottes an den Menschen. Der Mensch ist verpflichtet, diese Leihgabe bestens zu bewahren. Schließlich heißt es in der Genesis: „Auch will ich euer eigen Blut, das ist das Leben eines jeden unter euch, rächen“10. In diesem Vers findet sich eindeutig ein Verbot des Suizids. Niemand hat demnach das Recht, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Gott wird den Menschen, der sein eigenes Blut vergießt, zur Rechenschaft ziehen. Denn der Leib des Menschen gehört nicht ihm selbst, sondern Gott. Auch das Recht, das Leben des Menschen zu beenden, steht allein Gott zu11. Aus diesem Grund stellte das Judentum auch das Gebot
Humangesundheit im Judentum
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„Du sollst nicht töten“ in den Dekalog und erhob die Achtung des menschli12 chen Lebens zu einem hehren Ziel . So ist, wie man sieht, das Judentum eine Religion, die die Achtung vor dem Menschen und dem Leben in den Vordergrund stellt. Eines der wichtigsten Rechte aller Lebewesen einschließlich des Menschen ist das Recht auf Leben. Dieses Recht wurde allen Geschöpfen von Gott verliehen und es ist ein Glaubensgrundsatz, dass wiederum nur Gott dieses Recht nehmen kann. Deshalb ist im Judentum für jemanden, der einem Menschen das Recht auf Leben nimmt, nach dem Lex Talionis klar vorgesehen, dass seine Strafe mit Gleichem vergolten werde: „Wer ein Stück Vieh erschlägt, der soll’s erstatten; wer aber einen Menschen erschlägt, der soll sterben“13. Die Tora verwendet hier ausdrücklich das Wort „Mensch“ und betont, die Tötung eines Menschen sei ein Verbrechen, das die Todesstrafe verdiene14. Es geht bei der Achtung vor dem Leben nicht nur um den Menschen. Das Judentum erlaubt zwar, ein Tier zu Opferzwecken zu schlachten, verbietet es aber im Rahmen der göttlichen Gebote, von lebenden Tieren Fleisch zu schneiden und zu essen. In der Genesis heißt es dazu: „Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich’s euch allen gegeben. Allein esset das Fleisch nicht mit seinem Blut, in dem sein Leben ist!“15. In der Auslegung dieser Verse heißt es, vor der Sintflut sei den Menschen nur der Verzehr von pflanzlicher Nahrung erlaubt gewesen16, jetzt aber dürften sie auch Fleisch essen17. Interessant sind im Judentum auch die Vorschriften zur Sterilisierung, die zu den wichtigsten Themen der Gesundheit gehören. Die Sterilisierung vor allem männlicher Tiere ist im Judentum verboten, denn die Geschöpfe sollen fruchtbar sein und sich vermehren. Ebenso wie das Opfern solcher Tiere verboten ist, ist es verboten, die Tiere in dieser Weise zu quälen. Dazu heißt es: „Du sollst auch dem Herrn kein Tier zum Opfer bringen, dem die Hoden zerdrückt oder zerschlagen oder zerrissen oder ausgeschnitten sind. So etwas sollt ihr in eurem Lande an Tieren nicht tun“18. Dieses Gebot ist ein Verbot, Mensch oder Tier in irgendeiner Weise unfruchtbar zu machen. Denn Gott gab die Anweisung, Menschen und Tiere sollen sich vermehren19. Wer also die zur Erzeugung neuer Generationen nötigen Organe zerstört, beleidigt Gottes Werk und handelt zugleich entgegen Gottes Willen, indem er den Wunsch be20 zeigt, dass die von ihm geschaffene Welt vernichtet und verschwinden möge . Körperliche Gesundheit hat im Judentum eine solche Bedeutung, dass gefordert wird, ein im Tempel Tätiger, der Gott Ehrengeschenke darreicht, müsse physisch vollkommen sein. Dass jemand mit körperlichen Mängeln kein
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Priester sein könne, bringen folgende Zeilen deutlich zum Ausdruck: „Und der Herr redete mit Mose und sprach: Sage zu Aaron: Wenn einer deiner Nachkommen in künftigen Geschlechtern einen Fehler hat, der soll nicht herzutreten, um die Speise seines Gottes zu opfern. Denn keiner, an dem ein Fehler ist, soll herzutreten, er sei blind, lahm, mit einem entstellten Gesicht, mit irgendeiner Missbildung oder wer einen gebrochenen Fuß oder eine gebrochene Hand hat oder bucklig oder verkümmert ist oder wer einen weißen Fleck im Auge hat oder Krätze oder Flechten oder beschädigte Hoden hat“21. In diesen Versen wird von der Heiligkeit der Priester gesprochen. Es werden körperliche Mängel aufgeführt, die sie am Dienst hindern22. Das Konzept physischer Gesundheit, das hier von einem Priester verlangt wird, ist eigentlich etwas, das Gott von allen Menschen verlangt. Aus diesem Grund müssen die Menschen auf ihre Gesundheit achten und sich davor hüten, etwas zu tun, das ihrem Körper schaden könnte. Ebenso sind zahlreiche Gebote bezüglich der Beachtung von Hygiene und Sauberkeit von Nahrungsmitteln im Judentum sehr auffällig. Sie sind darauf ausgerichtet, die Gesundheit der Juden zu erhalten. Als Abraham Besuch bekommt, bittet er die Gäste, sich die „Füße zu waschen“ und sich unter einem Baum niederzulassen, was als wichtige hygienische Maßnahme zu begreifen ist23. Das Händewaschen vor dem Essen und die Reinigung in der Mikwe sind kanonische religiöse Vorschriften und beweisen die Bedeutung, die im Judentum der Humangesundheit zukommt. Bekanntermaßen kann jemand, der als unrein, als tame gilt, erst durch das Untertauchen in der Mikwe rein werden. Ebenso dürfen unreine Lebensmittel nur nach der Reinigung verzehrt werden24. All diese Vorschriften haben einen unmittelbaren Bezug zur menschlichen Gesundheit. Ebenso betreffen die im Judentum verbotenen Speisen die Gesundheit 25 unmittelbar. Auch das Gebot „kein Aas zu essen“ hat die Gesundheit des Menschen im Blick. Ein weiteres Nahrungsmittel, dessen Verzehr verboten ist, ist das Blut. Hierzu heißt es in der Tora: „Ihr sollt auch kein Blut essen, weder vom Vieh noch von Vögeln, überall, wo ihr wohnt. Jeder, der Blut isst, wird ausgerottet werden aus seinem Volk“26. Blut und Körper stehen im Judentum in einer wichtigen Beziehung zueinander. „Denn des Leibes Leben ist im Blut [...]“27, Blut repräsentiert den Körper28. Aus diesem Grund ist es den Israeliten und auch al29 len Fremden, die bei ihnen leben, verboten, Blut zu essen . Selbst der Verzehr blutigen Fleisches ist verboten, dazu heißt es wie folgt: „Solange das Blut Leben trägt, dürft ihr kein Fleisch essen. Lebendig sein heißt voller Blut sein. Denn das Leben befindet sich im Blut. Niemals dürft ihr einen lebenden Leib verzehren“30.
Humangesundheit im Judentum
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In den Tora-Kommentaren finden sich zahlreiche Interpretationen zu den Gründen für das Verbot des Blutverzehrs. Das Essen von Blut sei verboten worden, weil es ernsthafte negative Auswirkungen auf den Charakter und die Gesundheit des Menschen habe. In den Kommentaren heißt es: „Da Blut die tierische Lebenskraft repräsentiert, verführt es den Menschen zur Sünde. Aus diesem Grund wollte Gott nicht, dass die Juden Blut essen und diese rohe tierische Eigenschaft zu einem Teil ihres Wesens wird. Denn Blut zu essen, macht den Menschen roh und unerbittlich. Dabei wird von Juden erwartet, sanft und barmherzig zu sein“31. Einem anderen Kommentar zufolge verliert Blut seine Eigenschaften auch im Verdauungssystem nicht und fügt der menschli32 chen Gesundheit Schaden zu . Kurz, wie allen anderen Speiseverboten liegt auch dem Verbot, „Blut zu essen“, zugrunde, dass man sich vor Nahrungsmitteln hüten soll, die Körper und Seele des Menschen schaden. Diesen können die durch das Blut symbolisierten Eigenschaften Gewalttätigkeit und Unbarmherzigkeit noch hinzugefügt werden. Obwohl Blut die Kraft ist, die dem Menschen Leben gibt, symbolisiert es zugleich die zügellose tierische Seite des Menschen. Deshalb wollte Gott die Menschen auf der Ebene des Heiligen halten und verbot ihnen, Blut, das Symbol der Wildheit und Rohheit der Tiere, zu verzehren33. Wenn die Tora dafür sorgt, dass die Juden sich mit gesunden Speisen und Getränken ernähren, dann setzt sie Krankheiten mit Nahrungsmitteln in ein Verhältnis und verbindet ein gesundes Leben mit gesunden, also religionsgesetzlich erlaubten Speisen und Getränken. Das wird in der Tora wie folgt zum Ausdruck gebracht: „[...] und ich will alle Krankheit von dir wenden“34. In der Auslegung dieses Verses heißt es: „Wenn ihr euch mit gesunden Lebensmitteln ernährt, dann werdet ihr aus diesem Grund von keiner Krankheit be35 troffen sein“ . An der Spitze der Liste der ungesunden und zugleich im Judentum verbotenen Speisen stehen Schweinefleisch und bestimmte Fette. Auch wenn Dr. Isaac Israili darauf besteht, dass Schweinefleisch ein gesundes Nahrungsmittel sei, so hat das jüdische Religionsgesetz doch den Juden den Verzehr von Schweinefleisch verboten36. Im Judentum sind die Gelehrten, die das Verbot dieses Nahrungsmittel unterstützen, in der Mehrzahl37. Allgemein wird von jüdischen Gelehrten als Begründung für das Verbot von Schweinefleisch angeführt, dass Schweine „unrein sind und sich von Unreinem ernähren“38. Auch das Verbot von ausgelassenen Fetten wurde untersucht. Maimonides (1135–1204) machte dazu eine Erklärung von aktuellem Wert, die weit über die mittelalterliche Medizin hinausging: „Auch wenn ausgelassene Fette nahr-
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haft sind, sind sie doch schädlich für die Verdauung. Sie kühlen das Blut und machen es dickflüssig. Deshalb ist es angebrachter, diese Fette zur Beleuchtung zu verwenden“39. Ausgesprochen wurde das Verbot ausgelassener Fette wie folgt: „Und der Herr redete mit Mose und sprach: Rede mit den Israeliten und sprich: Ihr sollt kein Fett essen von Stieren, Schafen und Ziegen“40. Eine der Krankheiten, mit der man sich im Judentum stark befasst hat, ist Lepra bzw. Aussatz. Es liegt außerhalb meines Fachgebietes, einen Zusammenhang zwischen den Informationen über Lepra in der Tora und der modernen Medizin herzustellen. Dieses Thema sollte vom Standpunkt der modernen Medizin aus aber unbedingt Beachtung finden. Im Levitikus ist zum Beispiel zum Thema Aussatz Folgendes zu lesen: „Wenn der [Priester] sieht und findet, dass eine weiße Erhöhung auf der Haut ist und die Haare dort weiß geworden sind und wildes Fleisch in der Erhöhung ist, so ist es schon alter Aussatz auf seiner Haut. Darum soll ihn der Priester unrein sprechen und nicht erst einschließen; denn er ist schon unrein. Wenn aber der Aussatz ausbricht auf der Haut und bedeckt die ganze Haut, vom Kopf bis zum Fuß, alles, was dem Priester vor Augen sein mag, und der Priester ihn dann besieht und findet, dass der Aussatz den ganzen Leib bedeckt hat, so soll er ihn rein sprechen, weil alles an ihm weiß geworden ist; er ist rein“41. An diesem Abschnitt soll uns der Zustand „rein“ oder „unrein“ des Aussätzigen beschäftigen. Einmal abgesehen von der hier beschriebenen Lepra-Art muss es als hygienische Maßnahme der damaligen Zeit verstanden werden, dass Lepra im Heiligen Buch der Juden als ansteckende Krankheit erwähnt ist und jene, die sich infiziert haben, von der Gesellschaft isoliert werden. Diese Handlung ähnelt unserer heutigen Quarantäne und ist als bedeutender Schritt hinsichtlich der Gesundheit einzuschätzen. Vorkehrungen wie das Verbot des Kontakts zu einem Aussätzigen, die Vernichtung seiner Kleidung, seine Isolierung von der Gesellschaft, die Verlegung seines Wohnsitzes außerhalb des Lagers können als wichtige hygienische Maßnahmen für die Humangesundheit im Judentum angesehen werden42. Obwohl in der Tora vielfach wiederholt ist, dass allein Gott den Kranken Heilung gibt, heißt es doch im zweiten Buch der Chronik, Kapitel 16, Asa, der „krank an seinen Füßen“ wurde, habe nicht „den Herrn“ gesucht, „sondern die Ärzte“43. Hier ist impliziert, dass Heilung von Gott zu erwarten sei und Ärzte erst im Anschluss aufgesucht werden sollten. Wenn es bei Jeremia heißt: „Ist denn keine Salbe in Gilead, oder ist kein Arzt da? Wa44 rum ist denn die Tochter meines Volks nicht geheilt?“ , so wird hier dennoch deutlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, einen Arzt zu konsultieren.
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Eines der Themen, die im Rahmen der Humangesundheit im Judentum zu behandeln sind, ist auch die Beschneidung. Hierzu heißt es in der Genesis: „Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden“45. In diesem Vers steht die Beschneidung als Symbol für den Vertrag zwischen Gott und dem jüdischen Volk. Eine Grundbedingung dafür, Jude zu sein, ist die Beschneidung des männlichen Juden. Rabbi Samson Raphael Hirsch kommentiert das Beschneidungsritual wie folgt: „Jede Mitzwa im Judentum besteht aus zwei Teilen: der physischen Handlung und der zugrunde liegenden spirituellen und ethischen Lehre. Eins ohne das Andere bleibt ohne Sinn. So wie es unzureichend ist, eine Mitzwa ohne Berücksichtigung des zugrunde liegenden moralischen Wertes rein physisch auszuführen, wird es auch keinen Nutzen bringen, sich auf die zugrunde liegende spirituelle und ethische Lehre zu konzentrieren und dabei die physische Aktivität zu vernachlässigen. Um den Nutzen zu gewährleisten müssen Mitzwas‚ mit ihren beiden Seiten durchgeführt werden“46. Was Raphael Hirsch hier sagen will, ist, dass die Beschneidung eine physische wie auch eine ethische, spirituelle Seite hat. Der große jüdische Gelehrte Maimonides sprach davon, dass die Beschneidung das Sexualorgan schwäche, seine Aktivität beschränke und es zur Ruhe verdamme47. Die Wissenschaftlichkeit dieses Gedanken von Maimonides ist sicher von Fachleuten zu prüfen. Uns geht es hier nur darum, dass ein jüdischer Gelehrter die Beschneidung mit dem menschlichen Körper in Beziehung setzte. Anhand der Beispiele, die hier mit Zitaten aus dem Heiligen Buch der Juden und den Kommentaren belegt wurden, wird klar, dass das Thema Humangesundheit im Judentum keinen geringen Stellenwert hat. Maimonides, der große jüdische Theologe und Mediziner des 12. Jahrhunderts, legte mit seinen rund zehn Büchern zur Medizin bedeutende Einschätzungen zur Gesundheit des Menschen vor48. Ich halte es für sinnvoll, seine Auffassungen zu diesem Themenbereich wiederzugeben, um zu verdeutlichen, welche Bedeutung die Humangesundheit im Judentum hat. Maimonides zufolge ist es auch eine religiöse Pflicht, den Körper zu heilen und für seine naturgemäße Bewegung zu sorgen49. Die Heilkunst stehe im Dienste der Religion und sei eine wichtige Form des Gottesdienstes. Denn über die Heilkunst zeigt der gläubige Mensch, wie richtig menschlichen Handlungen seiner körperlichen Kapazität seien und wie er als vollkommener
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und gesunder Mensch sich Gedanken über die Wahrheit mache und diese in ethisch hoch stehende Taten verwandele50. In seinem Werk „Mishneh Torah“ betonte Maimonides, ein Mensch, der die Vorschriften zu Speisen, Getränken und Hygiene beachtet, brauche bis ins hohe Alter keinen Arzt und sei fern aller Krankheiten51. Auch wenn es in den jüdischen Heiligen Büchern wiederholt heißt, Heilung sei in Gottes Hand und Heilung käme von Gott allein, so setzte Maimonides doch medikamentöse Behandlung mit göttlicher Heilung gleich. Ihm zufolge sollten gläubige Menschen „ihre Moral mit dem Glauben an Gott wie auch mit medikamentöser Behandlung stärken. Das wahre Heilmittel entspringt der Mischung dieser beiden. Da die Menschen bei Krankheit durch ,Mittel‘ wie Medikamente und Ärzte geheilt werden, sollten sie Gott danken“52. Aus diesem Grund gleicht nach Maimonides das Leben des idealen Menschen einer Pyramide. An der Spitze stehe die geistige Vollkommenheit, in der Mitte die Vollkommenheit der Seele, die Basis bilde die leibliche Gesundheit. In dieser Hinsicht sei die Gesundheit des Körpers kein Selbstzweck. Sie müsse auch in Bezug auf Seele und Philosophie auf gesunder Basis stehen53. Maimonides sagte, aufgrund all dessen müsse der Mensch sich um seine Gesundheit kümmern und sich pflegen. Die Wissenschaft der Medizin helfe, die auf unbegrenzter Begierde beruhenden Leidenschaften in vernünftigen Grenzen zu halten54. Deshalb hielt Maimonides die auf den menschlichen Körper bezogenen Naturwissenschaften einschließlich der Physiologie für göttliches Wissen über die Schöpfung. Ihm zufolge darf der Mensch seinen wahren und vertrauenswürdigen Verstand wie auch seine Urteilskraft niemals zurückstellen. Denn Gott habe die Augen des Menschen physiologisch nicht auf dessen Rücken und seinen Verstand nicht unterhalb des Magens geschaffen, sondern oben und in einer Position, die es ihnen erlaube, dem Menschen den Weg zu weisen55. Schließlich äußerte Maimonides in seinem Werk „Führer der Unschlüssi56 gen“ , Wohlbefinden und Gesundheit des Leibes seien Grundvoraussetzung für die Vollkommenheit des Verstandes. Denn wenn leiblich alles richtig laufe und gesund sei, zeigten sich Denken, Wahrnehmen und Durchdringung der Weisheit in der richtigen Weise. Zu sehen, wie hier die Vorschriften in Bezug auf die Gesundheit des Menschen aus den Heiligen Büchern der Juden durch Maimonides, einen jüdischen Mediziner und eine Autorität in Sachen jüdisches Recht, bestätigt werden, zeigt, wie tief die Gedanken zu diesem Thema im Judentum reichen.
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Humangesundheit im Judentum 1 Lev 11,45.
34 Ex 23,25.
2 Tora ve Aftara. Istanbul 2006, 3. Buch, S. 201.
35 Tora ve Aftara. Istanbul 2004, 2. Buch, S. 293.
3 a.a.O., S. 201. 4 Lev 11,43.
36 Vgl. Sprengel, Kurt: Histoire de la médicine. (franz. Übers. v. A.J.L. Jourdan), Bd. II, Paris 1815, S. 323.
5 Tora ve Aftara. Istanbul 2006, 3. Buch, S. 199.
37 Michaelis Mosaisches Recht, t. IV, 1774, S. 190.
6 Besalel. Yusuf: Yahudilik Ansiklopedisi. Bd. I, Istanbul 2001, S. 101.
38 Maimoun, Moise Ben: Le Guide des Égarés. (hgg. u. franz. Übers. v. S. Munk), Bd. I, Paris 1886, S. MCMLX.
7 Lev 21,5.
39 a.a.O., Bd. I, S. 397. Vgl. zu diesem Thema auch: Doðan, Hatice: Musa bin Meymun, Hayatýve Delaletü’l Hairin Adlý Eseri üzerinde bir Ýnceleme [Maimonides, Eine Studie zu seinem Leben und seinem Werk ‚Führer der Unschlüssigen‘]. (unveröff.)Dissertation, Konya 2009.
8 Lev 19,28. 9 Tora ve Aftara.Istanbul 2006, 3. Buch, S. 453. 10 Gen 9,5. 11 Tora ve Aftara. Istanbul 2002, 1. Buch, S. 52. 12 Ex 20,2-17. 13 Lev 24,21. 14 Tora ve Aftara. Istanbul 2002, 3. Buch, S. 552. 15 Gen 9,3-4. 16 Gen 1,30; Gen 9,4. 17 Tora ve Aftara. Istanbul 2002, 1. Buch, S. 53. 18 Lev 22,24. 19 Gen 1,22 u. 28. 20 Tora ve Aftara. Istanbul 2006, 3. Buch, S. 486; Ex 23,26; Tora ve Aftara. Istanbul 2004, 2. Buch, S. 292. 21 Lev 21,16-20. 22 Tora ve Aftara. Istanbul 2006, 3. Buch, S. 462. 23 Gen 18,4. 24 Tora ve Aftara. Istanbul 2006, 3. Buch, S. 191. Für weitere Rituale vgl. Rabbin Nissim Behar: Guide pour la Pratique du Judaisme. Israel 51100, S. 112. 25 Dtn 14,21. 26 Lev 7,26-27. 27 Lev 17,11.
40 Lev 7,22-23. 41 Lev 13,10-13. 42 Lev 13,45-46. Vgl. zu diesem Thema auch Tora ve Aftara. Istanbul 2006, 3. Buch, S. 214, 218. 43 2 Chr 16,12. 44 Jer 8,22. 45 Gen 17,10-11. 46 Tora ve Aftara. Istanbul 2002, 1. Buch, S. 113. 47 Maimoun (1886), siehe Anm. 38, Bd. I, S. 417. 48 Maimonide, ªerhu Esmai’l-Uðar (Un Glossaire de Matière Médicale), (Composé par Maimonide), Memoires présentés à l’Institut d’Egypte et publiés sous les auspices de sa Majesté Farouk I.er, Roi d’Egypte, 41. Vol., par Max Meyerhof, Kairo 1940, S. LVII. 50 Leibouitz, Jueshayahu: The Faith of Maimonides. (Übers. v. John Glucker), New York 1987, S. 103–15. 51 Davidson, Herbert A.: Moses Maimonides. The Man and His Works. Oxford 2005, S. 430. 51 a.a.O., S. 429. 52 Maimonides, Mishneh Torah, H. Déot, S. 3–5.
28 Lev 17,14.
53 Davidson (2005), siehe Anm. 50, S. 430.
29 Lev 17,12.
54 Suessmann, Munther: Medical Aphorisms of Moses and Others. Jerusalem 1959, S. 36.
30 Munk, Rabbin Elie: Le Pentateuque. Paris 1993, I. 31 Tora ve Aftara. Istanbul 2006, 3. Buch, S. 346. 32 a.a.O., 3. Buch, S. 347. 33 Tora ve Aftara. Istanbul 2006, 3. Buch, S. 117.
55 Werblowsky, Zwi (Ed.): Moses ben Maimon, The Encyclopedia of the Jewish Religion. London 1967, S. 271f. 56 Maimoun, Moise Ben: Le Guide des Égarés. Paris 1866 (Bd. 1-2).