Zukunftsprojekt Altersmedizin - Bernd Meißnest, Heinz-Peter Kuhlmann

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Die Herausgeber Bernd Meißnest, geb. 1967, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie Geriatrie des LWL-Klinikums Gütersloh. Heinz-Peter Kuhlmann, geb. 1954, ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. Er leitet als Oberarzt die Gerontopsychiatrische Ambulanz des LWLKlinikums Gütersloh.


Bernd MeiĂ&#x;nest, Heinz-Peter Kuhlmann (Hrsg.)

Zukunftsprojekt Altersmedizin Zwischen Heilen, Helfen und Begleiten

Mabuse-Verlag Frankfurt am Main


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Inhalt Heinz-Peter Kuhlmann

Altersmedizin und Zukunft – ein Widerspruch?

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Martin Wehling

Zu Risiken und Nebenwirkungen – Medikamente in der Altersmedizin

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Klaus-Maria Perrar

Gerontopsychiatrie und Palliativmedizin – Herausforderung Demenz

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Bernd Meißnest

Zukunftsprojekt Altersmedizin – Der Gütersloher Weg

29

Folker Heinold

Wenn Heilung nicht mehr möglich ist – Schmerzbehandlung im Alter

43

Marianne Stracke

Workshop Patientenverfügung – Damit mein Wille geschehe …

51

Birgitt Erdwien

Manuskript zum Workshop: Die Arzt-Pflege-Beziehung – Wege zu einer gelungenen Kommunikation

59


Gerhard NĂźbel

Wie bestimmt das Frau- und Mannsein das Leben in der Demenz?

75

Margarete Langwald

Alte Menschen mit Migrationshintergrund. Andere Länder – andere ( Pflege-)Sitten

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Heinz-Peter Kuhlmann

Altersmedizin und Zukunft – ein Widerspruch? Zukunft wird assoziiert mit Jugend, Fortschritt, Vitalität, ihre Farbe ist blau – Alter dagegen mit Gebrechlichkeit, Überholtheit, Hilfsbedürftigkeit, seine Farbe variiert zwischen bestenfalls grau und tiefschwarz. Altersmedizin hat den Beigeschmack, den armen, von Krankheit und Siechtum gezeichneten Alten nicht helfen zu können – was ja als Daseinsberechtigung jeder „richtigen“ Medizin angesehen wird – sondern lediglich deren scheinbar unerträgliche letzte Lebensphase etwas zu erleichtern; der Begriff „Mitleid“, der leicht die Betroffenen zum Objekt degradiert, schwingt hier mit. Wenn man die Altersmedizin als „Zukunftsprojekt“ kennzeichnet, muss das erst einmal wie ein Widerspruch klingen. Für den Beweis des Gegenteils könnte man zunächst die demografische Entwicklung anführen – wie viele alte Menschen in den nächsten Jahren zu erwarten sind etc. Weil diese Statistiken aber heute in jedem Vorwort eines medizinischen oder psychiatrischen Buches, in jeder Rede eines Sozialpolitikers und neuerdings auch in jeder zweiten Talkshow auftauchen, soll der Leser hier nicht mit solchen Exkursen gelangweilt werden. Dann wäre da die banale aber unabänderliche Erkenntnis, dass jeder von uns in naher oder ferner Zukunft älter wird – wenn er es denn erlebt – und damit selbst auf eine vernünftige medizinische Behandlung angewiesen sein wird. Denn völlig gesund und ohne Alterskrankheiten sterben hierzulande bekanntlich die Wenigsten. Dies sollte Menschen motivieren, sich schon beizeiten, wenn sie es denn aktivitätsmäßig noch können, für eine Verbesserung der altersmedizinischen Versorgung einzusetzen, damit sie später selbst davon profitieren können. Da diese Weisheit aber etwas moralinsauer daherkommt und man sich mit dem eigenen Alter eigentlich nicht gerne auseinandersetzt, sondern seine Folgen besser verdrängt, soll auch dem Argument nicht allzu viel Platz eingeräumt werden.

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Heinz-Peter Kuhlmann

Wichtig und weiterführend erscheint mir ein ganz anderer Gedanke: In welche Richtung entwickelt sich eigentlich unsere Medizin, mit welchen Zielen wird medizinisch geforscht, zu welchen Zwecken wird das Gesundheitswesen umgebaut und welches Bild von Krankheiten, welches Bild vom Menschen steckt dahinter? Wenn man sich der Beantwortung dieser Fragen nähert, stellt man schnell fest, wie viel die Medizin allgemein, die medizinische Forschung und die Gesundheitsversorgung im Besonderen von der Altersmedizin lernen können, um die Probleme der Zukunft besser anzugehen. Die Medizin ist in den letzten 50 Jahren zu einer High-Tech-Wissenschaft geworden. Mit immer komplizierteren apparativen Diagnostiken, immer ausgeklügelteren und standardisierten medikamentösen Strategien, nicht ohne zahlreiche, teils schwerwiegende Nebenwirkungen, mit immer spezialisierteren operativen Verfahren in wenigen Zentren angeboten, sollen Krankheiten so früh wie möglich erkannt und dann gezielt eliminiert werden. Der Arzt wird dabei zum Techniker, zum Reparatur-Ingenieur der zahlreichen leider mängelbehafteten Menschenkörper, der Patient zum Kunden. Dieser Kunde ist im besseren Fall mündig und muss vernünftig aufgeklärt werden, um über die Art der Reparatur und die Kosten (und ob beides in einem vernünftigen Verhältnis zueinander steht) zu entscheiden. Wenn er das nicht kann, muss er die für notwendig gehaltenen Prozeduren mehr oder weniger ungefragt über sich ergehen lassen. In jedem Fall muss der Patient-Kunde aber die immer höheren Kosten dieser grenzenlosen Technologie bezahlen (wenn nicht er selbst, dann seine Krankenkasse mit seinen Beiträgen) und spätestens an diesem Punkt kommt die Weiterentwicklung der Medizin an ihre Grenzen. Krankenkassen und Medizinische Dienste sorgen für eine wenigstens halbwegs vertretbare und „gerechte“ Verteilung der Ressourcen, nach einem System, das selbst für Fachleuchte immer undurchschaubarer geworden ist. Die High-Tech-Medizin spaltet den (störanfälligen) Patienten-Körper praktisch vom Patienten-Kunden ab: Der Körper ist das Objekt medizinischen Handelns, die Krankheit ist der Störfall, der bekämpft werden muss.

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Altersmedizin und Zukunft – ein Widerspruch?

Ist das Ich des Patienten-Kunden selbst Opfer der Erkrankung (wie bei den Demenzen), hilft sich die Gesellschaft durch das Einsetzen eines juristischen Betreuers, der dann (für den Patienten) alles, der Betroffene gar nicht mehr entscheiden darf. Ob das, was die Krankheit bekämpft, auch für den Menschen-Patienten und seine Familie gut und richtig ist und ob man als Gesellschaft die begrenzten finanziellen Mittel genau dort investieren sollte, wird weniger gefragt. Das Verständnis von Krankheit als einer natürlichen oder auch oft unvermeidlichen Lebensphase, auf die sich ein Individuum und seine soziale Umgebung einstellen muss und wozu es nicht nur die fachliche Hilfe, sondern auch die Solidarität der Gesellschaft benötigt, hat in einem solchen Bild wenig Platz. Und all das lässt sich besonders gut in der Altersmedizin erkennen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht hier nicht um die Generalkritik an der naturwissenschaftlichen Medizin. Schließlich hat uns diese Herangehensweise in den Industriestaaten eine deutliche Erhöhung des durchschnittlichen Lebensalters gebracht und hat erreicht, dass zahlreiche Infektions- und chronische Krankheiten einen Teil ihrer Schrecken verloren haben. Aber eine solche Sicht auf das System „Mensch und Krankheiten“ ist unvollständig. Das können wir kaum irgendwo besser erleben als im Bereich der Altersmedizin und -psychiatrie. Was tun wir für dement gewordene alte Menschen, bei denen eine körperliche Krankheit behandelt werden muss, und die – wie heute überall erlebbar – in den internistischen oder chirurgischen Abteilungen unserer Allgemeinkrankenhäuser völlig unter die Räder kommen? Wie gehen wir mit dem Spannungsfeld „Autonomie gegen Sicherheit“ um, zum Beispiel bei alten Menschen mit hohem Sturzrisiko? Wie kann man verhindern, dass immer mehr Pillen dem Menschen mehr schaden als nutzen? Und was ist noch sinnvoll, medizinisch zu tun am Lebensende, wenn Medizin nicht mehr heilen, sondern bestenfalls helfen oder begleiten (aber leider trotzdem noch oft schaden) kann? Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass all diese Themen nicht nur für alte Menschen relevant sind, sondern für immer mehr

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Heinz-Peter Kuhlmann

Patienten, die zwar vom medizinischen Fortschritt profitieren, aber nicht im Räderwerk einer Medizin-Maschine zu „Trägern von Organen und Krankheiten“ abgewertet werden sollen. In diesem Sinne stellt sich das 16. Gütersloher Gerontopsychiatrische Symposium Fragen, von deren Beantwortung die Zukunft nicht nur in der Altersmedizin abhängt. Gütersloh, im Februar 2012 Heinz-Peter Kuhlmann

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