Die Autorin Barbara Katz Rothman ist Professorin für Sociology, Public Health and Women‘s Studies an der City University of New York und Gastprofessorin an der Charité, Berlin, Studiengang International Masters in Health and Society; an der Ryerson University in Toronto, Kanada, Studiengang International Midwifery Preparation Program; und an der Soziologischen Abteilung der Universität von Plymouth, Großbritannien. Die Herausgeberin Hildburg Wegener war viele Jahre in der Frauenbildungsarbeit tätig. Sie ist Sprecherin des „Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik“, eines Zusammenschlusses von BeraterInnen, Hebammen, ÄrztInnen und Selbsthilfeorganisationen von Menschen mit Behinderung.
Barbara Katz Rothman
SchĂśne neue Welt der Fortpflanzung Texte zu Schwangerschaft, Geburt und Gendiagnostik
Herausgegeben und Ăźbersetzt von Hildburg Wegener
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
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Umschlaggestaltung: Caro Druck GmbH, Frankfurt am Main Umschlagfoto: © W. M. Weber/TV-yesterday Druck: Prisma Verlagsdruckerei, Saarbrücken ISBN: 978-3-86321-018-2 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten
Inhalt Wenn Schwangerenvorsorge, Fortpflanzungs-Medizin und Genforschung zusammenfließen
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Gebären Schwestern durch die Zeiten: Auf dem Weg zu einer neuen Hebammen-Identität
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Kulturelle Konstruktionen von Schwangerschaft und Geburt
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Geboren werden hat seine Zeit. Die Konstruktion von Zeit in der menschlichen Fortpflanzung
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B. A. Schücking, B. Katz Rothman, C. Hellmers Sind wirklich die Frauen schuld? Zu den Ursachen der Kaiserschnitt-„Epidemie“
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Genetische Diagnostik Genetischer Code und genetisches Denken
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Der Raum der Genetischen Beratung – im Kontext gesehen
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Schwangerschaft auf Abruf
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25 Jahre Schwangerschaft auf Abruf: Vorgeburtliche Diagnostik und die Familie – Erfahrungen aus den USA
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Quellenhinweise und benutzte Literatur
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Wenn Schwangerenvorsorge, Fortpflanzungsmedizin und Genforschung zusammenfließen Dieses Buch spannt einen Bogen über die Arbeiten zu Hebammen, Mutterschaft und Geburt, die ich im Laufe meines Lebens vorgelegt habe. Seit meiner Dissertation über die Hausgeburtsbewegung in den 1970er Jahren hat sich die Fortpflanzung in einer Weise verändert, die ich mir damals nicht hätte vorstellen können. Frauen bringen mit 60 Kinder zur Welt. Von Toten entnommene Spermien werden ihren Witwen eingepflanzt. Leihmutterschaft ermöglicht die Fremdvergabe von Schwangerschaften nach Indien. Tiefgefrorene menschliche Sper mien, Eier und Embryonen warten in Tanks auf eine mögliche Verwendung. Bereits Monate vor der Geburt werden Kinderzimmer farblich auf das Geschlecht abgestimmt. Es gibt Kliniken, in denen normale Geburten die Ausnahme, Kaiserschnitte die Norm sind. Das Genom ist entschlüsselt. Embryonen werden präimplantativ auf Krankheiten untersucht, die fünfzig Jahre später ausbrechen könnten. Im Labor entwickelte Techniken halten fast zeitgleich Einzug in die Kliniken. Wie können wir all das auch nur ansatzweise begreifen? Die Veränderungen vollziehen sich rasant, und sie stammen aus unterschiedlichen Fachgebieten: aus der medizinischen Genetik, den Fruchtbarkeitstechniken, der Mikrobiologie oder der Tierzüchtung, aus Laboren, riesigen Computerzentren oder kleinen Schafzuchtbetrieben. Aber sie fließen zusammen und reißen uns mit sich und zwingen uns, neu über Dinge nachzudenken, die wir immer für selbstverständlich gehalten haben – dass Hunde keine Kätzchen kriegen und Babys aus Mamis Bauch kommen. Jeden Morgen tischen uns die Nachrichten eine andere Geschichte auf und stellen aufs Neue unser traditionelles Wissen in Frage. Es ist, als ob wir von unten im Tal den Schnee auf den Bergen schmelzen sähen.
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Kleine Bäche sprudeln herab, erst einer, dann noch einer. Die beiden vereinigen sich, werden breiter, strömen rascher abwärts. Ein zweiter Strom bricht sich von einer anderen Stelle Bahn und verbindet sich mit ihnen. Eine der Schneeschmelzen vollzog sich in den Fruchtbarkeitstechniken. Forschungen zur Überwindung von Unfruchtbarkeit, zum großen Teil in der Tierzucht entwickelt, durchbrachen die ersten Dämme. Embryonen konnten außerhalb des Körpers hergestellt werden. Um männliche Unfruchtbarkeit zu behandeln, griff man zur Spermienmanipulation, wählte ein einzelnes Spermium aus, um es einer einzelnen Eizelle zur injizieren. Aus der Empfängnis, dem zufälligen Zusammentreffen von Ei- und Samenzelle ein paar Stunden nach dem Geschlechtsverkehr, wurde die gezielte Auswahl einer einzelnen Eizelle und eines einzelnen Spermiums durch einen Menschen im weißen Kittel, der sie ebenso gezielt einige Tage später einer Frau einpflanzt – entweder der Produzentin der Eizelle oder der Frau des Spermienproduzenten oder einer ganz anderen Frau – wem, bestimmt der zahlungskräftige Kunde. Genforschung ist ein weiterer Zufluss. Bestimmte DNAAbschnitte werden entschlüsselt, um „Fehler“ oder Varianten zu identifizieren. Das Gen für Sichelzellenanämie – ein Druckfehler, nur ein vertauschter Buchstabe – kann gefunden und entziffert werden. Das Gen für Chorea Huntington – ein längerer Abschnitt mit Wiederholungen, die dort nicht hingehören – kann entdeckt werden. Zu dieser Genanalyse braucht man nur einen Abstrich aus der Mundhöhle oder einen Tropfen Blut. Aber sie kann sich mit den Erkenntnissen der Fruchtbarkeitstechniken verbinden. Die Ströme In-vitro-Fertilisation und Genmedizin fusionieren und fließen weiter als Präimplantationsdiagnostik, bei der das gesuchte Gen nicht in einem Menschen, sondern in einem potenziellen Menschen, in ein paar noch nicht implantierten befruchteten Zellen, identifiziert wird. Mit jedem Fortschritt in der genetischen Analyse werden mehr Eigenschaften entschlüsselt. Und wenn erst einmal alles auf CGAT, die Buchstaben des genetischen Codes, zurückgeführt wer-
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den kann, sind Sichelzellenanämie oder Chorea Huntington nicht schwerer oder leichter zu entziffern als Gene für Rothaarigkeit oder eins dieser hypothetischen Gene für sexuelle Orientierung oder für musikalische Begabung, nach denen immer noch gesucht wird. Einer der älteren Ströme, der uns entgegenfließt, hat sich schon vor rund hundert Jahren auf den Weg gemacht, als Ärzte sich der Schwangerschaft bemächtigten. Hebammen wurden in den USA verdrängt und in Deutschland weitgehend entmächtigt, Geburten wurden aus dem Haus in die Klinik verlegt, aus einem Familienereignis wurde ein medizinischer oder sogar chirurgischer Vorgang. Für immer mehr Frauen ist die Geburt tatsächlich zu einer Operation geworden, d. h. die Kaiserschnittrate steigt rasant. Weil Schwangerschaft zu einem medizinischen Vorgang geworden ist, nehmen Tests überhand, mit denen nicht nur die Gesundheit der schwangeren Frau, sondern die potenzielle Gesundheit des Fötus untersucht wird. Vorgeburtliche Diagnostik eröffnet die Möglichkeit, eine eigentlich erwünschte Schwangerschaft abzubrechen. Ein anderes Schneefeld begann zu tauen, als sich der Fötus aus der Schwangerschaft löste und als eigenständiger Faktor in die kulturelle Landschaft einbrach. Die Wassermassen trugen einen Fötus mit sich, der Rechte erworben hatte: das Recht, genetisch fehlerfrei zu sein, das Recht, von schwangeren Frauen nicht „misshandelt“ zu werden, das Recht auf medizinische Behandlung. Die Frauen, in denen diese Föten sich befinden, treten in den Schatten, ihre Rechte verblassen. In den USA sind es nicht mehr die schwangeren Frauen, die den Fötus schützen und für ihn eintreten, sondern Einrichtungen des Jugendschutzes, Staatsanwälte und gerichtlich eingesetzte Vertreter. Und da drüben bricht sich der Markt Bahn, der lange einigermaßen eingedämmt werden konnte. Es gilt eigentlich als unzulässig, Körperteile der Geldökonomie zu unterwerfen, aber der Zahlungsverkehr sickert auch in die Fortpflanzung ein. Klinikangestellte händigen jungen Frauen Umschläge mit Hundertern für den Verkauf ihrer Eizellen aus. Schwangerschaft, ohnehin in den Hintergrund gedrängt, wird zur ungelernten Arbeit, zur Dienstleistung,
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die kostengünstig fremdvergeben werden kann. Das Vertragsrecht schiebt sich vor das Familienrecht, während die Logik des Marktplatzes beginnt, die Fortpflanzungslandschaft zu überfluten. UtopistInnen erkennen in all diesen Strömen, die sich über uns ergießen, den Anbruch einer neuen Zeit, in der jedes Kind gewollt, gesund und garantiert defektfrei zur Welt kommt. PessimistInnen sehen eine Schöne Neue Welt, in der eine marktförmige Evolution unterschiedliche Klassen von Menschen schafft. Es gab eine Zeit, in der vernünftige Menschen sagen konnten, dass sie sich für Genforschung und Gentechnik interessieren oder für die neuen Fortpflanzungstechniken oder für die älteren Fragen der reproduktiven Rechte von Frauen auf Verhütung und Abtreibung oder für Fragen von Adoption und Kinderschutz, aber nicht für all diese Fragen gleichzeitig. Diese Zeit ist vorbei. Wenn die Ströme sich erst einmal verbinden, sind sie nicht mehr zu trennen. Sie vermischen und vermengen sich und setzen Kräfte frei, die stärker sind als jeder für sich allein, und entwerfen ein völlig neues Verständnis von Fortpflanzung und Mutterschaft. Und das Tal, in das diese Ströme fließen, weitet sich immer mehr aus. Die Texte in diesem Buch beziehen sich im Wesentlichen auf den amerikanischen Kontext, in dem ich forsche und lehre, aber diese Ströme durchbrechen Grenzen, fließen jenseits der Grenzen weiter und überfluten die ganze Welt. Jedes Land versucht festzulegen, was für die eigenen Bürgerinnen und Bürger in diesem Bereich gelten soll – angesichts der Globalisierung der Wissenschaft und der Globalisierung des Marktes ist das jedoch längst ein nahezu unmögliches Unterfangen. Sie werden in diesem Buch lesen, was ich im Verlauf meines Lebens über Fortpflanzung und Mutterschaft gearbeitet und gelernt habe. Lesen Sie es als Beschreibung unserer Schönen Neuen Fortpflanzungswelt. Lesen Sie es als Warnung. Lesen Sie es als Aufruf zum Handeln.
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