Carmen Dietrich Steffen Heinrich Julia RĂśttger
Gesundheit in der Kostenfalle
Prämierte Arbeiten des BKK Innovationspreises Gesundheit 2011
Mabuse-Verlag
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Umschlaggestaltung: Ulrich Dietzel | www.idüll.de Druck: Faber, Mandelbachtal ISBN: 978-3-863210-24-3 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
Vorwort ................................................................................................................ 7
Geleitwort ............................................................................................................. 9
Der Einfluss der Behandlungsstrategie bei der Implantation einer Hüfttotalendoprothese auf die Kosten im stationären Sektor – ein Vergleich zwischen minimalinvasiven und konventionellen Verfahren anhand von Routinedaten von Julia Röttger 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Einleitung .................................................................................................. 17 Implantation einer Hüfttotalendoprothese ................................................ 18 Krankenhausvergütung ............................................................................. 22 Zielsetzung der Untersuchung .................................................................. 25 Material und Methoden ............................................................................. 26 Ergebnisse ................................................................................................. 38 Diskussion ................................................................................................. 52 Zusammenfassung und Schlussfolgerung ................................................. 59 Literaturverzeichnis................................................................................... 62 Anhang ...................................................................................................... 72
Inhalt
InterBALANCE – ganzheitliche Gleichgewichtsschulung bei demenzkranken Altenpflegeheimbewohnern mithilfe der interaktiven Spielkonsole Nintendo Wii® von Steffen Heinrich 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Einleitung .................................................................................................. 75 Theoretischer Rahmen .............................................................................. 76 Forschungsstand ........................................................................................ 81 Demenz...................................................................................................... 87 Fragestellungen und Hypothesen .............................................................. 88 Methoden ................................................................................................... 89 Ergebnisse ................................................................................................. 96 Diskussion ............................................................................................... 104 Fazit ......................................................................................................... 110 Ausblick .................................................................................................. 112 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... 113 Literaturverzeichnis................................................................................. 114 Anhang .................................................................................................... 118
Integration des Pilotprojekts „Sport im Hort“ in die Ausbildung zum/zur Erzieher/-in – am praktischen Beispiel der Lernortkooperation der Fachakademie für Sozialpädagogik Starnberg, dem Kinderhort Starnberg und der TUM School of Education von Carmen Dietrich 1 2 3 4 5 6 7
Einleitung und Zielsetzung ..................................................................... 121 Theoretischer Rahmen ............................................................................ 125 Entwicklung und Evaluation des Projekts „Sport im Hort“ ................... 130 Ergebnisse der Evaluationsstudie............................................................ 144 Diskussion ............................................................................................... 149 Ausblick .................................................................................................. 165 Literaturverzeichnis................................................................................. 167
Vorwort Die Verleihung des BKK Innovationspreises Gesundheit ist mittlerweile eine feste Größe in der deutschen Wissenschaftsförderung und damit auch zu einem Ereignis in der Gesetzlichen Krankenversicherung geworden. Sie schafft eine Bühne für die öffentliche Präsentation von Vorschlägen zur Innovation des Gesundheits- und Versorgungswesens. Die Ausarbeitungen des akademischen Nachwuchses finden nicht nur Anklang, sondern bewähren sich – und darauf kommt es uns letztendlich an – auch in der Praxis. Das Thema des BKK Innovationspreises 2011 lautete: „Gesundheit in der Kostenfalle“. Und die aktuellen Debatten über die Verwendung liquider Mittel des Gesundheitsfonds bzw. der kassenindividuellen Vermögen zeigen, dass „Gesundheit in der Kostenfalle“ eine Fragestellung ist, die aktueller nicht hätte sein können. „Die Gesetzlichen Krankenkassen horten einen Milliardenüberschuss“, war in den letzten Wochen eine oft gelesene Überschrift vieler Fach- und Publikumsmedien, denn hohe Überschüsse im Gesundheitsfonds und die Finanzpolster bei den Krankenkassen haben Begehrlichkeiten bei den Leistungserbringern und in der Politik geweckt. Emotional diskutierten Kabinettsmitglieder und Koalitionspartner über die Verwendung von Millionenbeträgen, welche von Arbeitgebern und Versicherten aufgebracht werden. Gesundheitsminister Daniel Bahr forderte die Kassen auf, ihre Finanzpolster abzuschmelzen und den Versicherten Prämien auszuzahlen. Doch tut er ihnen tatsächlich einen Gefallen? Lassen Sie uns einen Blick auf geltende Beschlüsse werfen: Diese geben vor, dass die Gesetzliche Krankenversicherung einen Obolus in Höhe von 15,3 Mrd. Euro aus Steuermitteln erhalten soll, um versicherungsfremde Leistungen im Wert von jährlich mehr als 34 Mrd. Euro sicherzustellen. Hiervon entfallen allein 29,3 Mrd. Euro auf die kostenfreie Mitversicherung von Familienangehörigen. Die Beitragsfreiheit bei Mutterschutz und Elternzeit schlägt mit 2,2 Mrd. Euro zu Buche. Und Haushaltshilfen bei Schwangerschaft oder Krankengeld für Eltern, die wegen der Betreuung von Kindern nicht arbeiten können, sind mit zusätzlichen 3,9 Mrd. Euro bilanziert. Angesichts solcher Hypotheken wirkt die Begehrlichkeit nach derzeitiger Liquidität vollkommen unangemessen. Es wäre in der Tat ein Tritt in die 7
Vorwort
Kostenfalle, falls sich die Konjunktur abschwächt, die Beschäftigung rückläufig wäre oder aber die Ausgabensteigerungen selbst durch außerordentliche Einnahmen nicht mehr gedeckt werden können. Die Ideen der Studentinnen und Studenten in Deutschland zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems zeigen uns, dass sich der akademische Nachwuchs Gedanken macht. Um die eigene Zukunft, aber auch um die Aussichten der heranwachsenden Generationen. Mit Verstand und Kalkül zeigen die eingereichten Arbeiten auf, wo Kostenfallen lauern. Und wir sollten die Hinweise ernst nehmen, um unsere Arbeit zu optimieren und Synergien zu nutzen. Bei der Beurteilung der eingereichten Arbeiten haben wir uns auf kompetenten Rat gestützt. Jurymitglieder des Preises 2011 waren: • Frau Prof. Dr. Eveline Häusler, Stiftungsprofessur für Management und Controlling im Gesundheitsbereich, Fachhochschule Ludwigshafen; • Prof. Dr. Stefan Greß, Dekan des Fachbereichs Pflege und Gesundheit sowie Leiter des Fachgebiets Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fulda; • Prof. Dr. Volker Ulrich, vom Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft der Universität Bayreuth. Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Jury für den fachlichen Rat, die Vorträge und die Laudationes bei der Preisverleihung. Ebenso möchten wir uns bei Staatsminister Stefan Grüttner, Hessisches Sozialministerium, für die Übernahme der Schirmherrschaft bedanken und natürlich bei Frau Staatssekretärin Petra Müller-Klepper für die Grußworte während der Preisverleihung. Unser Dank gilt natürlich auch den Siegerinnen und dem Sieger des Wettbewerbs 2011 „Gesundheit in der Kostenfalle“. Aber auch allen Studentinnen und Studenten, die sich am Wettbewerb beteiligt und ihre Abschlussarbeiten eingereicht haben, gilt unser Dank. Sie alle haben damit Engagement und Initiative bewiesen. Ihre Arbeiten zeigen uns, dass sich der Nachwuchs im Gesundheitssystem mit den anstehenden wichtigen Themen der GKV klug auseinandersetzt. Jürgen Thiesen Vorstandsvorsitzender BKK Landesverband Hessen 8
Geleitwort Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Diese Schopenhauersche Lebensweisheit, die ich zugegebenermaßen in jungen Jahren belächelt habe, hat einen hohen Wahrheitsgehalt, was mit zunehmendem Alter mitunter schmerzhaft bewusst wird. Gesundheit ist ein unersetzliches, ist das höchste Gut. Gesundheit ist keine Ware und gesundheitliche Versorgung keine Dienstleistung im herkömmlichen Sinne. Eine soziale Gesellschaft ist aufgefordert, für ihre Mitglieder im Krankheitsfalle eine ausreichende Versorgung mit Gesundheitsleistungen anzubieten. Dies ausschließlich unter dem Blickwinkel der Finanzierbarkeit zu tun, würde der Bedeutung dieses wichtigen Bereichs der Daseinsvorsorge nicht ausreichend gerecht. Ich werbe für eine differenzierte Sicht und möchte deshalb das Thema des BKK-Innovationspreises „Gesundheit in der Kostenfalle“ um ein Fragezeichen ergänzen. Denn es geht letztlich darum, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit umzusetzen. Im Gesundheitswesen stehen die Menschen, ihr Leben und ihre Gesundheit im Zentrum. Es geht aber auch unzweifelhaft um wirtschaftliche Fragen. Unsere Gesellschaft schrumpft und wird immer älter. Diese Entwicklung betrifft alle Lebensbereiche. Für das Gesundheitswesen hat sie allerdings besonders dramatische Auswirkungen. Begleiterscheinungen sind eine Veränderung der Krankheitsbilder und eine Zunahme der chronischen Erkrankungen. Daraus ergibt sich ein wachsender Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen, der voraussichtlich zu steigenden Kosten führt, was durch den medizinisch-technischen Fortschritt zusätzlich verstärkt wird. Ein im jetzigen System absehbarer Rückgang der Einnahmen trifft auf einen steigenden Ausgabenbedarf. Dieser Entwicklung muss nicht nur mit angemessenen und ggf. neuen Therapiemöglichkeiten, sondern auch mit neuen Strukturen und Methoden Rechnung getragen werden, damit die Menschen medizinisch gut versorgt werden. Es müssen alle notwendigen Anstrengungen unternommen werden, damit wir uns Gesundheit auch in der Zukunft bei sich ändernden Rahmenbedingungen angesichts der demografischen Entwicklung leisten können. Aus Sicht der Politik müssen folgende grundlegende Anforderungen an das Gesundheitssystem gewährleistet werden: 9
Geleitwort
• Der Zugang aller Bürger, unabhängig von Gesundheitszustand oder Alter, zu den medizinisch notwendigen Behandlungsmaßnahmen in bestmöglicher Qualität nach dem jeweils aktuellen Stand der medizinischwissenschaftlichen Erkenntnisse muss gesichert sein. • Hierzu gehört die Bezahlbarkeit für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Freiheit, grundsätzlich unter alternativen Angeboten auswählen zu dürfen. • Originäre staatliche Daseinsfürsorge und Bestandteil der Gefahrenabwehr ist die unverzügliche Gewährleistung lebensrettender und erhaltender Krankenhausleistungen im Notfall. • Jeder Bürger muss Zugang zu den notwendigen planbaren Leistungen haben, aber nicht unbedingt in unmittelbarer Nähe. Immer wieder haben steigende Ausgaben und Defizite den Gesetzgeber zu Reformen gezwungen. Deutschland sieht sich mit diesem Problem nicht alleine konfrontiert. Andere große Industriestaaten müssen ähnliche Herausforderungen meistern. Das Thema des Innovationspreises ist also von andauernder Aktualität, auch wenn die zuletzt veröffentlichten Zahlen zur Einnahmesituation der Krankenkassen und des Gesundheitsmarktes etwas anderes vermuten lassen. Der Gesundheitsfonds hatte Mehreinnahmen im Jahr 2011 zu verzeichnen und nun wird darüber zu entscheiden sein, was mit den Überschüssen geschehen soll. Hierzu liegen zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch, von der Abschaffung der Praxisgebühr über Beitragsrückerstattung bis hin zur Ansammlung von Rücklagen für schlechtere Zeiten. Dies muss gut überlegt werden. Denn eine Beitragserhöhung in schlechten Zeiten wäre ein katastrophales Zeichen. Verfehlt, weil verfrüht, wäre es, aus diesen Zahlen eine Trendwende abzuleiten. Das vergangene Jahr war im Wesentlichen durch eine gute wirtschaftliche Konjunktur und eine tief greifende Beruhigung auf dem Arbeitsmarkt geprägt. Die Prognosen deuten auf weiteres Wachstum. Es wird 2012 moderater ausfallen als 2011. Bei aller immer wieder geäußerten Kritik und allen auftretenden Problemen: Deutschland hat ein Gesundheitssystem, um das uns viele andere Länder beneiden. Dies gilt es zu erhalten, zu modernisieren und zukunftssicher 10
Geleitwort
zu machen. Ich freue mich sehr und danke ausdrücklich dafür, dass die BKK seit 2001 mit der Ausschreibung ihres Innovationspreises Impulse zur Entwicklung von Ideen, Konzepten und Projekten gibt, die sowohl die Effizienz als auch die Qualität des Gesundheitswesens verbessern, also beiden Seiten der Medaille Rechnung tragen. Die eingereichten und prämierten Arbeiten sind gesundheitsrelevanter und sozialpolitischer Input. Für diesen „Think tank“, wie man heute auf Neudeutsch sagt, für dieses Entwickeln und Sammeln kluger Ideen und neuer Wege hat Herr Minister Grüttner gerne die Schirmherrschaft übernommen. Ich überbringe Ihnen allen seine Grüße und gratuliere den drei Preisträgern herzlich in seinem Namen und ganz persönlich. Sie zeigen mit Ihren Arbeiten, dass Optimierungschancen im deutschen Gesundheitswesen vorhanden sind, wenn Innovationen Raum gegeben wird. Ich hoffe und wünsche, dass Ihr zukünftiges berufliches Wirkungsfeld Ihnen Gelegenheit gibt, das Gesundheitswesen mitzugestalten. Welch beruflich breites Spektrum sich Ihnen hier bietet, haben Sie mit Ihren Arbeiten selbst eindrucksvoll belegt. Die preisgekrönten Arbeiten beschäftigen sich mit Themen, die auch uns als Landesregierung ein großes Anliegen sind: Krankenhauskosten und die positiven Auswirkungen von Prävention. Die mit dem ersten Platz ausgezeichnete Arbeit hat aus dem großen Bereich der Krankenhauskosten einen Ausschnitt untersucht. Hessen ist mit seinem stationären Bereich bestens positioniert. Die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass im Rahmen der Krankenhausplanung und Krankenhausförderung die Strukturen geschaffen werden, die eine moderne Krankenhauslandschaft braucht. Durch die Bereitstellung von Fördermitteln werden die hessischen Krankenhäuser in die Lage versetzt, ihre individuellen Planungen und Modernisierungen umzusetzen. Diese erheblichen finanziellen Mittel stellt kaum ein anderes Bundesland seinen Krankenhäusern zur Verfügung. Sie bilden jedoch gemeinsam mit der Krankenhausplanung das Fundament für eine flächendeckende und moderne Versorgung. Der sich verschärfende Kostendruck und der zunehmende Wettbewerb unter den Krankenhäusern dürfen nicht dazu führen, dass Lücken in der Versorgung entstehen. Hier wird die Landesregierung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger auch zukünftig auf eine optimale flächendeckende Versorgung achten. 11
Geleitwort
Zu den Rahmenbedingungen, die wir in Hessen nicht selbst regeln können, gehört die Betriebskostenfinanzierung der Krankenhäuser. Sie wissen alle, in welch schwieriger Situation die Krankenhäuser sind. Wenn dauerhaft der Preis einer Leistung nicht mit deren Kosten steigt, können sich Unternehmen nicht am Markt behaupten. Sie stecken im Hamsterrad fest. Sie sind gezwungen, Ausweichstrategien zu entwerfen. Eine davon ist, die Leistung um jeden Preis zu steigern und auch Patienten, die sich im Grenzbereich zwischen ambulanter und stationärer Behandlung befinden, doch ins Krankenhaus aufzunehmen, um die überlebensnotwendigen Einnahmen zu sichern. Eine andere Strategie ist, den Patienten nicht zwingend erforderliche Eingriffe dennoch vorzuschlagen, um die Fallzahlen zu steigern. Wenn das InEK feststellt, dass nahezu die gesamten Fallzahlsteigerungen der letzten Jahre in Deutschland auf der Zunahme von leichten Hüftund Knieoperationen sowie Gallenblasenoperationen und Herzkathetereingriffen beruhen, dann weiß man, dass etwas grundsätzlich nicht in Ordnung ist. Die bisherige Reaktion der Bundespolitik auf Leistungssteigerungen waren Kostendämpfungsmaßnahmen. Sie existieren mittlerweile in dreifacher Hinsicht, weil man immer wieder eine neue Regelung draufgesetzt hat, wenn die Fallzahlen dann doch weiter gestiegen sind. Zunächst wird der Landesbasisfallwert abgesenkt, wenn die Fallzahl oder der Schweregrad steigt. Dann gibt es einen Abschlag in Höhe von 30 %, wenn ein Krankenhaus in einem neuen Budget Leistungssteigerungen vereinbart. Schließlich gibt es einen weiteren Abschlag von 65 %, wenn das Krankenhaus die vereinbarten Leistungssteigerungen nicht nur erreicht, sondern sogar noch übertrifft. All diese Regelungen haben nur erreicht, dass der Hamster noch schneller rennt, noch mehr Leistungen produzieren will, dem Nachbarhaus Chefärzte und Patienten abwirbt, statt vernünftig zu kooperieren. Es kann auch nicht im Interesse der Krankenkassen sein, dass diese Leistungsausweitungen im System zum Überleben gehören. Es mag sein, dass es noch Wirtschaftlichkeitsreserven gibt, es geht aber nicht an, dass man die besten und erfolgreichsten Krankenhäuser im System zum Benchmark macht. Das Vergütungssystem ist auf den Durchschnitt ausgelegt. Das ist auch vernünftig, Hessen hat im Gesetzgebungsverfahren zum Psychiatrieentgeltgesetz einen Antrag gestellt, um aktuell zumindest einen angemessenen Tarifaus12
Geleitwort
gleich zu erreichen. Auch das Thema Mehrleistungsabschlag muss dringend in Angriff genommen werden. Herr Minister Grüttner hat zu diesen Themen auch schon eine Reihe von Gesprächen auf der Bundesebene geführt. Wir haben zudem auf Initiative Hessens eine Arbeitsgruppe der Krankenhausreferate der Länder gebildet, unter dem Vorsitz Hessens, die das Thema Vergütungssystem insgesamt beleuchten soll. Ich bin überzeugt, dass wir Lösungen finden können, die es einerseits erlauben, die notwendigen Krankenhauskosten zu bezahlen, andererseits aber verhindern, dass nicht notwendige Leistungsausweitungen stattfinden. Die Arbeiten, die mit dem 2. und 3. Preis ausgezeichnet werden, beschäftigen sich mit dem weiten Feld der Gesunderhaltung und Prävention, einem zukunftsweisenden Feld – auch und gerade im Hinblick auf die Frage der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems. Wir müssen der Frage, wie wir die Gesundheit erhalten und Erkrankungen vorbeugen, noch mehr Bedeutung beimessen. Jeder Euro, der in eine wirksame Präventionsmaßnahme investiert wird, verhindert Schmerzen und Leid, aber auch Kosten, bringt in jeder Hinsicht eine gute Rendite. Prävention muss früh ansetzen, am besten in der Kindheit. Dass dies erfolgreich sein kann, zeigt das preisgekrönte Projekt zur Etablierung von systematischen Bewegungsprogrammen in Kindertageseinrichtungen. Wer heute geboren wird, hat gute Chancen, das 100. Lebensjahr anzusteuern – vorausgesetzt, er achtet auf die Gesundheit und Fitness von Körper, Geist und Seele. Wer gesund alt werden will, muss früh anfangen. Es gilt, die Kinder sehr früh in ihrer Entwicklung zu erreichen und ihnen die Bedeutung und Notwendigkeit von gesundem Verhalten in einem Alter zu vermitteln, in dem die Chance besteht, gesundes Verhalten nachhaltig einzuprägen. Für ein ganzes Leben. Bei der Prävention darf aber keine Zielgruppe vernachlässigt werden. Die Menschen in unserem Land werden immer älter – dank des medizinischen Fortschritts. Das ist gut so und ein Geschenk, für das wir dankbar sind. Wie sehen Präventionsangebote für die wachsende Gruppe der älteren und hochbetagten Menschen aus? Ein Thema, das bisher nicht im Mittelpunkt der Aktivitäten stand. Umso wichtiger sind Initiativen wie das Projekt zur Sturzprophylaxe bei Demenzerkrankten, das mit einem Preis gewürdigt wird. Es ist wichtig, dass Senioren bei der Prävention nicht außen vorgelassen werden. Auch sie haben ein Recht auf Untersuchungen und Maßnahmen 13
Geleitwort
zur Vorbeugung und Früherkennung. Prävention ist kein Privileg der Jugend oder der Menschen im mittleren Lebensalter. Auch ältere Menschen haben Anspruch auf vorbeugende, schützende und stützende Maßnahmen, die dem Erhalt oder der Verbesserung ihrer Gesundheit dienen. Gemäß Studien des Max-Planck-Instituts für Demografie erhöht sich unsere Lebenserwartung um durchschnittlich zwei bis drei Monate pro Lebensjahr. Vor dem Hintergrund dieses steigenden durchschnittlichen Lebensalters müssen Strategien der Gesundheitsförderung einen höheren Stellenwert erhalten. Durch sie können wirkungsvolle Maßnahmen entwickelt werden, die vorhandene Gesundheitsressourcen stärken sowie das Entstehen und die Verschlimmerung von Krankheiten verhindern oder hinauszögern. Chronisch degenerative Krankheiten wie die des rheumatischen Formenkreises, Depression, Demenzerkrankungen, Diabetes und Herz-KreislaufErkrankungen, inklusive der Schlaganfälle, treten immer mehr in den Vordergrund der Gesundheitsversorgung. Sie sind oft durch unseren Lebensstil bedingt, z. B. durch das Ernährungs- und Bewegungsverhalten, aber auch durch verhältnisbedingte Faktoren wie sich wandelnde Familienstrukturen oder die soziale Lebenslage der Menschen. Um hier gegenzusteuern, ist die Gesundheitskompetenz des Einzelnen ein ganz wichtiges Element. Die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger muss gestärkt werden. Ich begrüße in diesem Zusammenhang die vom BKKLandesverband aufgeworfene Frage, was wir selbst für unsere Gesundheit tun bzw. zu tun bereit sind. Motivation und Anreize sind erforderlich, aber auch der Ausbau des Präventionsangebotes. Wie sieht die Eigenverantwortung des Versicherten aus, was erhoffen wir uns von ihr? In unserer Volkswirtschaft und damit auch in Hessen hat ein Wandel eingesetzt: Der Anteil des Einkommens, den die Menschen für gesundheitsnahe Güter und Dienstleistungen ausgeben, nimmt zu. Menschen sind zunehmend bereit, durch aktives Mitwirken, aber auch finanzielles Engagement in ihre Gesundheit zu investieren. Neben dem „klassischen Gesundheitsmarkt“ gewinnt der sogenannte „zweite Gesundheitsmarkt“ mit Angeboten wie Fitness, Wellness, Gesundheitstourismus, Nahrungsergänzungsmitteln immer mehr an Bedeutung und wird in den kommenden Jahren erheblichen Zuwachs zu verzeichnen haben.
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Geleitwort
Der Gesundheitseffekt für den Einzelnen hängt nicht nur von der Bereitstellung medizinischer Innovationen, sondern auch ganz entscheidend von Verhaltensweisen und Einstellungen der einzelnen Menschen ab. Nicht eine Flatrate-Mentalität, die darauf abzielt, für den entrichteten Versicherungsbeitrag möglichst viele Leistungen in Anspruch zu nehmen, sondern konsequente Pflege der eigenen Gesundheit bei gleichzeitigem Kostenbewusstsein ist das Gebot der Stunde. Prävention und Gesundheitsförderung beginnt im Alltag und dauert ein Leben lang. Prävention beispielsweise durch mehr Bewegung muss in allen Lebensphasen in den entsprechenden Settings wie KiTa, Schule, Arbeitsplatz oder Altenheim verankert werden. Wir setzen als Landesregierung hier Akzente und geben Anstöße mit dem Nachhaltigkeitsprojekt „Gesund aufwachsen, gesund bleiben, gesund altern“, mit Initiativen wie „Bewegung im Kindergarten und in der Schule“, der Schrittzähler-Aktion, den Bewegungsparcours für Senioren und aktuell der Krebspräventionskampagne „Du bist kostbar“. Zurück zur grundsätzlichen Frage der Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens. Eine Anmerkung ist mir wichtig: Das Gesundheitswesen mit seinen vielfältigen Leistungen wird vielfach ausschließlich als ein reiner Kostenfaktor betrachtet. Der volkswirtschaftliche Nutzen tritt dabei meist in den Hintergrund. Neben dem Nutzen für den Einzelnen steht der Nutzen für die Volkswirtschaft, denn ein hoher Gesundheitsstand und eine hohe volkswirtschaftliche Produktivität korrelieren direkt miteinander. Dazu kommt noch eine in der von der Kostenfrage dominierten Diskussion des Gesundheitswesens recht neue Perspektive: die Betrachtung des Gesundheitswesens als Wirtschaftssektor, der Umsätze erzielt, am weltweiten Handel mit Gütern und Dienstleitungen teilnimmt, der Arbeitsplätze schafft und Wachstum generiert. Welchen wirtschaftlichen Stellenwert diese Bereiche haben, machen die folgenden Zahlen anschaulich: Das deutsche Gesundheitswesen erwirtschaftete 2008 mit 187 Mrd. Euro mehr Wertschöpfung als die Autoindustrie mit nur 115 Mrd. Euro und beschäftigte dabei mit 3,2 Mio. Erwerbstätigen 129 % mehr als die Automobilindustrie. In Hessen kann man von ca. 310.000 Beschäftigten in der Gesundheitswirtschaft ausgehen. Das bedeutet, dass fast jeder neunte Erwerbstätige dort arbeitet. Das sind beachtliche Zah15
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len und Größenordnungen. Behält man die Wirtschaftsanalogie bei, so sind Innovationen im Gesundheitswesen einschließlich der damit assoziierten Folgeausgaben als Wirtschaftsimpuls einzustufen. Das Gesundheitswesen ist einer der bedeutendsten Zukunftsmärkte. Ich rege an, dass wir uns auf ein solches Umdenken in der Betrachtung unserer Ausgaben für das Gesundheitswesen einlassen. Angesichts der andauernden politischen Diskussion muss man konstatieren, dass das deutsche Gesundheitswesen eine „Dauerbaustelle“ ist. Es ist nur schwer vorstellbar, dass die GKV über einen längeren Zeithorizont betrachtet keine Reformnotwendigkeit zeigt. Wir sollten – und das sage ich auch selbstkritisch in Richtung Politik – nicht immer gleich von „Jahrhundertreformen“ sprechen. Dass immer wieder Handlungsbedarf besteht und entsteht, ist angesichts der demografischen Entwicklung und des medizinisch-technischen Fortschrittes nicht verwunderlich. Es ist vielmehr angemessen, dass eine Optimierung des Gesundheitswesens als fester Punkt ständig auf der Tagesordnung stehen muss. Letztendlich muss man immer wieder die Frage prüfen, was wir von der gesetzlichen Krankenversicherung erwarten und was wir bereit und in der Lage sind, zur Finanzierung dieser Versicherung, aber auch zur Vermeidung des Leistungsfalles beizutragen. Um die sicherlich immer knappen Finanzmittel bestmöglich einzusetzen, bedarf es immer neuer Optimierungsvorschläge. Es muss aber auch die Frage gestellt werden, ob die Verwaltungsabläufe wirklich schon optimal sind. Bei allen Reformdiskussionen müssen wir alle drei Beteiligten in den Blick nehmen: die Versicherten, die Leistungsanbieter und die Krankenkassen. Aufgrund der in Hessen bewährten guten und konstruktiven Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und ihren Verbänden, aber auch mit den übrigen Organisationen im Gesundheitswesen sehe ich diesen Diskussionen mit großem Interesse und Zuversicht entgegen. Die Arbeiten der drei Preisträger/-innen sind für diesen Prozess ein Motivationsschub. Sie machen Mut, dass es vielfältiges Entwicklungspotenzial gibt und die Aufgabe sich schultern lässt. Petra Müller-Klepper Staatssekretärin im Hessischen Sozialministerium 16