Einige Menschen aber wirft nichts aus der Bahn. Sie strahlen Gelassenheit und Optimismus aus, haben ein tiefes und begründetes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Was steckt genau dahinter? Was ist ihr Geheimnis? Warum wird hier von Resilienz gesprochen? Die AutorInnen haben ein Resilienzbarometer für die Arbeitswelt entwickelt. Es regt eine Selbstreflexion in Bezug auf sieben Resilienzfaktoren an und macht sichtbar, auf welche Ressourcen in Krisen zurückgegriffen werden kann. Es zeigt aber auch, welche Bereiche noch gefördert werden können, um die Bewältigung alltäglicher Aufgaben zu erleichtern.
www.mabuse-verlag.de
ISBN 978-3-86321-176-9
Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky Resilienz am Arbeitsplatz
Die Fälle von Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung nehmen seit den 1990er-Jahren drastisch zu. Das Thema ist unter dem Stichwort „Burnout“ in der öffentlichen Diskussion angekommen.
Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky
Resilienz am Arbeitsplatz
Mabuse-Verlag
Die AutorInnen Dieter Sommer und Detlef Kuhn sind Sportlehrer und arbeiten als Geschäftsführer des Zentrums für angewandte Gesundheitsförderung und Gesundheitswissenschaften (ZAGG) in Berlin. Antonia Milletat, Anke Blaschka und Claudia Redetzky sind Psychologinnen und arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Zentrum für angewandte Gesundheitsförderung und Gesundheitswissenschaften (ZAGG) in Berlin.
Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky
Resilienz am Arbeitsplatz
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
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Umschlaggestaltung: Marion Ullrich, Frankfurt am Main Umschlagabbildung und Illustrationen: fliplance® | Janine Lancker Druck: Faber, Mandelbachtal ISBN: 978-3-86321-176-9 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
Einleitung: Resilienz oder warum es Glückspilze gibt
9
Teil 1: Das sagt die Resilienzforschung
12
1.1
Neue Herausforderungen unserer Arbeitswelt
14
1.2
Die Kinder von Kauai, Minnesota und den Aborigines
17
1.3
Das Schutzfaktorenkonzept
21
1.4
Resilienzfaktoren als personale Ressourcen
23
1.5
Resilienz und Gesundheit
27
1.6
Resilienz von Mitarbeitenden in Unternehmen
28
Teil 2: Ein Praxismodell für das Arbeitsleben
32
2.1
Akzeptanz – sich und das Leben annehmen
35
2.1.1
Selbstakzeptanz
35
2.1.2
Umgang mit Misserfolgen
38
2.1.3 2.2
2.3
2.4
Kritikfähigkeit
42
Stressbewältigung – die richtige Dosis entscheidet
45
2.2.1
Regulation von Gefühlen
45
2.2.2
Distanzierungsfähigkeit
48
2.2.3
Selbstfürsorge
53
2.2.4
Belastungsempfinden
56
Selbstwirksamkeit – die eigenen Stärken kennen und vertrauensvoll einsetzen
60
2.3.1
Gefühl der Handlungskontrolle
61
2.3.2
Bewusstsein für eigene Stärken
63
2.3.3
Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns
67
2.3.4
Mitbestimmung
70
2.3.5
Zuversicht
72
Soziale Kompetenz – Beziehungen gestalten
75
2.4.1
Konfliktlösungsfähigkeit
78
2.4.2
Bedürfnisse kommunizieren
80
2.4.3
Einfühlungsvermögen
82
2.4.4
Mit anderen Menschen in Kontakt kommen
85
2.4.5
Beziehungen aufrecht erhalten
87
2.4.6
Wertschätzung ausdrücken können
88
2.5
2.6
2.7
Lösungsorientierung – raus aus der Opferrolle
91
2.5.1
Planvolles Vorgehen
92
2.5.2
Prioritäten setzen
95
2.5.3
Opferrolle verlassen
96
2.5.4
Kreativität
98
2.5.5
Flexibilität
100
Handlungsfähigkeit – einfach mal machen
103
2.6.1
Handlungspläne umsetzen
103
2.6.2
Entscheidungen treffen
105
2.6.3
Bewältigung unbekannter Situationen
107
Bewegung – sich für eine wichtige Gesundheitsressource Zeit nehmen
110
2.7.1
Bewegter Lebensstil
111
2.7.2
Motorische und koordinative Fähigkeiten
114
2.7.3
Positive Einstellung zu Bewegung
115
Teil 3: Resilienz trainieren: Die Trainingsempfehlungen im Überblick
117
Teil 4: Die Widerstandsfähigkeit beschreiben: Das Resilienzbarometer
126
4.1
Die Konstruktion des Fragebogens
127
4.2
Welchen Einfluss hat das Alter auf die Resilienzfaktoren?
131
4.3
Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf die Resilienzfaktoren?
141
4.4
Welchen Einfluss hat die berufliche Tätigkeit auf die Resilienzfaktoren?
148
Haben Führungskräfte stärkere Resilienzfaktoren?
153
4.5
Teil 5: Plädoyer
155
Anhang: Das Resilienzbarometer mit Auswertungshinweisen
157
Literatur
177
Die Autor/-innen
188
Resilienz oder warum es Glückspilze gibt
Einleitung: Resilienz oder warum es Glückspilze gibt Seit mehreren Jahren nehmen die Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen drastisch zu (DAK 2013, Techniker Krankenkasse 2013). Das Thema ist unter dem Stichwort „Burnout“ in den öffentlichen Diskussionen angekommen. Zeitschriften und Bücher sichern sich hohe Auflagen, prominente Burnout-Fälle werden ausführlich geschildert und diskutiert (z.B. Berndt 2014). Gerade das Burnout-Syndrom hat sich fast zu einem Status-Symbol des beruflichen Engagements entwickelt und in den Statistiken eine steile Karriere genommen. Aber worauf ist dieses Phänomen zurückzuführen? Halten wir nicht mehr so viel aus? Oder werden psychische Erkrankungen einfach häufiger diagnostiziert? Hat sich die Arbeitswelt so verändert? Die Antwort verbirgt sich wahrscheinlich hinter jeder dieser Fragen. Zu beobachten ist, dass die Arbeitsdichte und Komplexität an vielen Arbeitsplätzen in den letzten Jahren deutlich angewachsen ist. Veränderte Kommunikationsmedien und -formen erfordern kürzere Reaktionszeiten und erhöhen den Druck. Die Führungskräfte schaffen es oft nicht mehr, auf die gestiegenen Anforderungen einzugehen. Eingenommen von ihrem eigenen Arbeitsalltag gelingt es ihnen nicht, den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter/ -innen gerecht zu werden, um Entlastung zu schaffen. Aber muss dies zwangsläufig zu totaler Erschöpfung führen? Hat beruflicher Erfolg wirklich diesen hohen Preis? Einige Menschen sind beansprucht: Sie arbeiten viel und haben Erfolg – und trotzdem wirft sie scheinbar nichts aus der Bahn. Sie strahlen Gelassenheit und Optimismus aus und sie vertrauen auf ihre eigenen Fähigkeiten. Sie scheinen richtige Glückspilze zu sein. Bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass auch diese Glückspilze schwierige Lebensereignisse, Krisen und außergewöhnliche Belastungen am Arbeitsplatz zu bewältigen haben. Genau
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Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky
diese Menschen meistern solche Situationen aber anders und gehen oftmals sogar gestärkt aus ihnen hervor. Was ist ihr Geheimnis? Immer häufiger taucht in diesem Zusammenhang der Begriff Resilienz auf, der als psychische Widerstandsfähigkeit übersetzt werden kann. Ursprünge der Resilienzforschung gehen auf die bemerkenswerte Beobachtung von Emmy Werner in den 50er Jahren zurück, dass manche Kinder trotz extrem schlechter Bedingungen, trotz Misshandlungen, Armut oder Vernachlässigungen ihr Leben sehr gut bewältigten und zu fürsorglichen, selbstständigen Menschen heranreiften (Teil 1). Resilienz wird in erster Linie unter gesundheitlichen Aspekten diskutiert. Die traditionelle Frage „Was macht uns krank?“ wird durch die Perspektive „Was hält uns gesund?“ ersetzt. Die Resilienzforschung zeigt, dass gar nicht so sehr angeborene Persönlichkeitsmerkmale für ein zufriedenes Leben bedeutsam sind. Vielmehr verfügen resiliente Menschen über erworbene Kompetenzen und Ressourcen, die es ihnen erlauben, schwierige Umstände zu meistern und diese für ihre Entwicklung zu nutzen. Resilienz lässt sich auch als Immunsystem unserer Seele beschreiben. Sie hat viel mit der inneren Haltung, mit der Menschen Probleme angehen, zu tun. In dem vorliegenden Buch stellen wir, nachdem wir in Teil 1 den aktuellen Stand der Forschung besprechen, unser Praxismodell für das Arbeitsleben vor (Teil 2). Auf Basis der Resilienzforschung ist in ihm beschrieben, mit welchen Einstellungen, Kompetenzen und Eigenschaften der Alltag besser zu bewältigen ist. Die beschriebenen Empfehlungen setzen vor allem darauf, möglichst viele Herausforderungen aus eigener Kraft lösen zu können. Es steht weniger die Problemanalyse als eine ausgeprägte Lösungs- und Handlungsorientierung im Vordergrund. Mit praktischen Hinweisen geben wir Denk- und Handlungsanstöße zur Entwicklung noch ungenutzter Resilienzpotenziale. Diese werden noch einmal in einem eigenen Überblick zusammengetragen (Teil 3). Ergänzt wird das Praxismodell durch das von uns entwickelte Resilienzbarometer. Dieser ausführliche Fragebogen ermöglicht einen Einstieg in das Thema und regt zudem eine Selbstreflexion in Bezug auf sieben
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Resilienz oder warum es Glückspilze gibt
Resilienzfaktoren an. Mit dem Resilienzbarometer wird hinterfragt, wie der Alltag wahrgenommen, verarbeitet und beeinflusst wird. Es wird verdeutlicht, auf welche vorhandenen Ressourcen in Krisen zurückgegriffen werden kann. Es zeigt aber auch auf, in welchen Bereichen eine Förderung möglich ist, um die Bewältigung alltäglicher Aufgaben zu erleichtern und den Glückspilz im Menschen hervorzulocken. Mit Hilfe des Resilienzbarometers gehen wir zudem folgenden Fragestellungen nach: Welchen Einfluss haben das Alter, das Geschlecht und die berufliche Tätigkeit auf die einzelnen Resilienzbereiche? Und: Unterscheiden sich Führungskräfte in ihrer Resilienz von Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz keine Personalverantwortung tragen? Unsere vergleichenden Analysen lassen hier bereits erste Vermutungen zu (Teil 4). Ziel unseres Praxismodells ist, Unternehmen und andere Organisationen sowie die Menschen, die in ihnen arbeiten, zu unterstützen. Unseren Erfahrungen entsprechend liegt der Wert unseres Praxismodells vor allem in einer niedrigschwelligen Annäherung und der Möglichkeit zur Selbstreflexion zu diesem häufig schwer greifbaren Konstrukt der psychischen Gesundheit. Gelingt es Führungskräften und Mitarbeitenden die Inhalte und Denkanstöße des Praxismodells in ihren Alltag einzufügen, kann eine gesundheitsförderliche Resilienzkultur wachsen. Eine solche Kultur stärkt die psychische Gesundheit der Beschäftigten und sichert sie als einen zunehmend an Bedeutung gewinnenden Wettbewerbsfaktor. Im Anhang des Buches (s. S. 57) haben wir das Resilienzbarometer mit Auswertungshinweisen dargestellt. Damit finden die Leser/-innen des Buches einen Einstieg, die eigene Resilienz systematisch zu entdecken und zu entwickeln. Das Resilienzbarometer ist auch online nutzbar: https://www.zagg.de/limesurvey/index.php/635262?lang=de Zu den Nutzungsbedingungen (s. S. 166) ist die Abstimmung und Nutzungsvereinbarung mit dem ZAGG notwendig.
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Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky
Teil 1: Das sagt die Resilienzforschung Seit den 1950er Jahren – der Kognitiven Wende – versucht die Psychologie zu erklären, warum die Menschen die Belastungen ihres Alltags so unterschiedlich erleben und diese so unterschiedliche Wirkungen und langfristige Folgen zeigen. Motivationstheorien (McLelland et al. 1953), Kontrollorientierungen (Rotter 1966), Attributionstheorien (Weiner et al. 1972), Konstrukte der erlernten Hilflosigkeit (Seligman 1978 und 1979) und das Transaktionale Stressmodell (Lazarus et al. 1981 und 1984) waren hier wichtige Meilensteine des Verstehens. All diese Erklärungsansätze gehen davon aus, dass bei der Resilienzentwicklung überwiegend erlerntes Verhalten zum Tragen kommt. Wenn das stimmt, dann müssen wir der Frage nachgehen: „Was muss der Mensch denn lernen, um den Belastungen des Alltags zu widerstehen und an sein Schicksal als Glückspilz zu glauben?“. Genau hier setzt die Resilienzforschung an. Der Begriff Resilienz beschreibt eigentlich die Beschaffenheit eines Gegenstandes, der – egal, was ihm widerfährt oder auf ihn einwirkt – immer wieder in seinen Ursprungszustand zurückfindet. Resiliente Menschen zeichnen sich durch eine hohe psychische Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit aus, so dass es ihnen gelingt, auch schwierige Einflüsse und Lebenssituationen gut und ohne langfristige Beeinträchtigungen zu bewältigen. Wie ein „Stehaufmännchen“ gehen sie häufig aus solchen Ereignissen oder Lebensabschnitten sogar gestärkt, keinesfalls aber geschwächt heraus. Der Begriff Resilienz beschreibt drei zentrale Eigenschaften:
12
Eine trotz hohen Risikos oder potenzieller Belastungen positive gesundheitliche Entwicklung,
Das sagt die Resilienzforschung
die beständige Bewältigungskompetenz unter Stressbelastung sowie
die positive und schnelle Erholung nach traumatischen Erlebnissen oder persönlichen Krisen.
Es geht in unserem Konzept nicht um die Diagnose eines Resilienzmangels oder die Korrektur von Defiziten. Im Vordergrund steht hier die sehr positive Sichtweise „built what’s strong“ (Baue aus, was stark ist) statt „fix what’s wrong“ (Bringe in Ordnung, was falsch ist). Allein aus dieser Sichtweise kann neue Energie wachsen. Aktuelle Befunde weisen darauf hin, dass Trainings dann die größte Wirkung erzielen, wenn sie sich sowohl auf den Ausbau von Stärken als auch auf die Reflexion von Schwächen beziehen (Schäfer 2013). Das fördert Zuversicht, Wohlbefinden und ein gesundes arbeitsbezogenes Erleben. Die aktuelle Forschung und auch unser Ansatz der Resilienz basieren auf verschiedenen Forschungstraditionen und Anschauungen. Die Orientierung an Gesundheit und Gesunderhaltung bauten auf Antonovskys Konzept der Salutogenese auf (1989 und 1997). Unabhängig von diesen Entwicklungen in den Gesundheitswissenschaften kam die Entwicklungspsychologin Emmy Werner zu überraschenden Ergebnissen, die fortan die interdisziplinäre Resilienzforschung begründet haben (1982 und 2001). Ein besonders bemerkenswertes Ergebnis der langjährigen Untersuchungen war, dass manche Kinder trotz widrigster Bedingungen ihr Leben sehr gut bewältigt haben und zu gesunden Erwachsenen herangereift sind. Auch die aktuellen Forschungsergebnisse der Positiven Psychologie um Seligman (2010 und 2012), Diener (2008), Peterson (2006) oder auch Ruch (2006 und 2012) und Schäfer (2013) bereichern die Erkenntnisse zu diesem dynamischen Schutzfaktoren- und Gesundheitskonzept. Auf dieser Grundlage geht unser Praxismodell für das Arbeitsleben nun den folgenden Fragen nach:
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Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky
Wie kann es gelingen, trotz schwieriger Bedingungen, zu gesunden und zufriedenen Menschen heranzureifen?
Was hält uns langfristig gesund?
Was sind wichtige Einflussfaktoren für unsere psychische Gesundheit?
Welche Arbeits- und Lebensbedingungen fördern die Resilienz?
Was trägt zu einer schnellen Regeneration nach einer Beanspruchung bei?
Was schützt vor Beanspruchungsfolgen wie z.B. Burnout?
Wann können wir sogar von Glück und Erfüllung in unserem Leben sprechen? Und wie hängt dies mit Gesundheit zusammen?
Wie können wir am Leben wachsen?
Zunächst aber gehen wir der Frage nach, welches eigentlich die neuen Herausforderungen unserer Arbeitswelt sind.
1.1 Neue Herausforderungen unserer Arbeitswelt Durch den Wandel in der Arbeitswelt gibt es neue Herausforderungen, denen sich die Mitarbeiter/-innen stellen müssen. Veränderungsprozesse vollziehen sich immer schneller und können immer weniger nachvollzogen werden. Diese Veränderungsprozesse werden daher nicht mehr ohne Weite-
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Das sagt die Resilienzforschung
res akzeptiert und eher als Bedrohung erlebt. Der Wandel ist vor allem durch folgende Aspekte gekennzeichnet (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit 2012, Bauer 2013):
Geistige und interaktive Tätigkeiten mit höheren emotionalen und kognitiven Anforderungen, nehmen zu; das gilt ganz besonders in Dienstleistungsbranchen;
die Entwicklung und Einführung moderner Kommunikationstechnologien fördert und fordert, dass Aufgaben ortsunabhängig, zeitlich flexibel und möglichst kurzfristig erledigt werden; die Informationsflut führt zu einer Intensivierung und Verdichtung der Arbeit;
an einer zunehmenden Zahl von Arbeitsplätzen werden mehrere Arbeitsabläufe mit geteilter Aufmerksamkeit zeitgleich bearbeitet oder kontrolliert; die Konzentrationsmöglichkeit auf eine einzelne, aktuelle Aufgabe wird immer seltener;
neue Führungs- und Steuerungsformen bewirken eine höhere Eigenverantwortung bei den Arbeitsprozessen;
Aufgaben werden komplexer und erfordern mehr Lernen; gleichzeitig werden Produktions-, Dienstleistungs- und Kommunikationsprozesse ständig schneller;
weniger stabile Beschäftigungsverhältnisse führen zu Unsicherheit und einer dauerhaften Erprobungssituation; durch häufige Tätigkeits- und Berufswechsel ergeben sich eine unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine wachsende Instabilität von sozialen Beziehungen.
Im Ergebnis führt dies dazu, dass vor allem die psychischen Anforderungen an die Mitarbeiter/-innen im Arbeitsleben steigen. Die deutliche Zunahme
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Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky
an diagnostizierten psychischen Erkrankungen kann als wichtiges Signal dafür gewertet werden, dass die bisherigen Bewältigungsmöglichkeiten der einzelnen Menschen so nicht mehr ausreichend funktionieren (Scharnhorst 2008). An dieser Stelle ist auch in den Unternehmen deutlicher Handlungsbedarf erkennbar geworden. Es muss allerdings betont werden, dass gerade Arbeitslosigkeit und auch Teilzeitbeschäftigung zu erhöhten psychischen Belastungen und zu erhöhten psychisch bedingten Fehlzeiten führen (Techniker Krankenkasse 2013). Nicht arbeiten zu dürfen ist also auch eine schwierige psychische Beanspruchung, welche die Sinnstiftung, die gesellschaftliche Teilhabe und die soziale Anerkennung bedroht. Einerseits hängt also unser Glück von der Arbeit ab, andererseits kann die Arbeit uns aber auch krank machen (Bauer 2013). In unserer Arbeit mit Mitarbeiter/-innen und Führungskräften aus ganz unterschiedlichen Bereichen konnten wir sehen, dass es im Hinblick auf die Gesundheit zentral ist, die Bedingungen und Strukturen, unter denen gearbeitet wird, genauer unter die Lupe zu nehmen sowie gemeinsam realistische und praktikable Verbesserungen zu finden und umzusetzen. Eine Reihe von empirischen Untersuchungen haben inzwischen deutliche Belege dafür gefunden, dass strukturell verankerte Interventionen bei psychischen Belastungen am Arbeitsplatz durchaus gute Wirkungen entfalten können (z.B. Kunze 2013). Aber das alles hilft wenig, wenn der Einzelne sich nicht auch entsprechend verhält. So ist es genauso wichtig, alle Beteiligten zu einem gesundheitsförderlichen Verhalten zu motivieren. Der Alltag benötigt eine laufende Stressbewältigung, viel Bewegung, eine gute Arbeitsplatzgestaltung, gesundheitsförderliche Kommunikation und eine Führungskultur, die gesundheitliche Werte ernst nimmt. Doch auch das reicht unserer Erfahrung nach meist nicht aus. An dieser Stelle kommt nun das Resilienzkonzept ins Spiel. Die entscheidenden Impulse zur Aufklärung für dieses Phänomen kamen aus der Entwicklungspsychologie.
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Das sagt die Resilienzforschung
1.2 Die Kinder von Kauai, Minnesota und den Aborigines Die Ursprünge der Resilienzforschung gehen auf das Jahr 1955 zurück, das Jahr indem Emmy Werner und ihr Team mit der Längsschnittuntersuchung auf einer Insel des Hawaii-Archipels begannen. Sie studierten die Entwicklung von 698 Kindern, die auf Kauai geboren worden sind, etwa 40 Jahre lang von der pränatalen Entwicklungsphase bis in das mittlere Erwachsenenalter hinein. Ziel war es, den Einfluss der biologischen und psychosozialen Risikofaktoren sowie kritischer Lebensereignisse, die viele dieser Kinder verwundbar machen, auf die Entwicklung dieser Kinder zu dokumentieren. Eine große Zahl der Kinder, die unter meist sehr schwierigen Bedingungen und multiplen Risiken wie Armut, geburtsbedingten Komplikationen, psychischen Erkrankungen ihrer Bezugspersonen, konflikt- oder gar gewaltreiche Beziehungen ihrer Eltern, Missbrauch oder Vernachlässigung heranreiften, zeigten auch in ihrer eigenen Entwicklung Auffälligkeiten. Sie hatten im späteren Verlauf ihres Lebens Lern- oder Verhaltensprobleme, wurden straffällig oder entwickelten schon im Jugendalter psychische Auffälligkeiten. Bemerkenswerterweise erkannten die Forscher/-innen jedoch zugleich, dass das Aufwachsen unter solchen widrigen Bedingungen nicht per se bedeutet, dass sich das Kind schlecht entwickelt. Sie begleiteten diejenigen genauer, die ihr Leben erfolgreich meisterten. Es ließ sich beobachten, dass etwa ein Drittel der Kinder trotz schwieriger Lebensbedingungen eine völlig normale Entwicklung nahmen. Dieses Ergebnis konnte mittlerweile von sechs weiteren Längsschnittstudien mit Kindern multiethnischen Hintergrundes in z.B. Minnesota, Kalifornien, Afrika und dem Outback von Australien bestätigt werden (Überblick bei Werner und Smith 2001 und Bengel et al. 2009). Im deutschsprachigen Raum bestätigte z.B. die Mannheimer Risikokinderstudie (Laucht et al. 2000) viele Ergebnisse dieser Pionierstudie. Die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie, die explizit die Widerstandsfähigkeit von Jugendlichen untersuchte, hat hier wertvolle Erkenntnisse beitragen können (Lösel und Beucher 1999). Auch die aktuelle BELLA-Studie als Zusatzmodul des
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Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky
Kinder- und Jugendgesundheitssurveys des Robert Koch-Institutes soll zukünftig einen Beitrag zur Frage nach Risiko- und Schutzfaktoren bei der Entstehung und Entwicklung psychischer Auffälligkeiten leisten (Bengel et al. 2009). Der Teil der Kinder, der zu gesunden, leistungsfähigen und rücksichtvollen Menschen heranwuchs, führte stabilen Ehen, hatte Arbeit und zog fürsorglich die eigenen Kinder groß. „Sie alle lehrten mich, welch außerordentliche Fähigkeiten Menschen entwickeln, die große Hindernisse zu bewältigen haben.“ (Werner 2011). Bestimmte Eigenschaften und Bedingungen in der Umgebung dieser Kinder stellten in ihrer Summe eine Art Schutz dar, der scheinbar einen viel größeren Einfluss auf den Lebensweg ausübte, als die Risikofaktoren, denen die Kinder ausgesetzt waren. Erfreulicherweise machen diese Befunde deutlich, dass die menschliche Psyche doch eine bemerkenswert große Anpassungsfähigkeit besitzt. Viele Menschen verfügen über solche vielfältigen und gesundheitsförderlichen Bewältigungsfähigkeiten. Somit rückt die Frage in den Vordergrund, welche Faktoren konkret zu einer gesunden Entwicklung beitragen und wie diese präventiv gestärkt und gefördert werden können. In den Kauai-Studien stellte sich z.B. heraus, dass besonders die Kinder mit einem verträglichen Temperament sowie schnellerem sprachlichen und motorischen Kompetenzerwerb in der Schule gut zurecht kamen. Realistische Bildungs- und Berufsziele sowie eine konkrete und zuversichtliche Zukunftsplanung zeigten sich als weitere Faktoren für eine positive Entwicklung. Kennzeichnend war auch, dass diese Kinder bereits frühzeitig die Möglichkeit hatten, Beziehungen einzugehen und eine gute Bindung zu einer emotional stabilen Bezugsperson aufzubauen. In den Folgejahren wurde deutlich, dass diese Kinder in Krisenzeiten häufiger selbst aktiv wurden. So suchten sie sich zum Beispiel eigenständig bei Menschen Unterstützung, die ihrem Leben eine positive Wende geben könnten. Das waren beispielsweise Lieblingslehrer/-innen, Pastor/-innen und Gleichaltrige. Damit ist bereits angeklungen, dass bestimmte Eigenschaften und Kompetenzen ihrer Person, aber auch Faktoren in der Umgebung zu
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Das sagt die Resilienzforschung
einer operationalisierbar besseren Bewältigung der jeweiligen Lebenssituation beigetragen haben. Nach Masten (2001) ist das Gewöhnliche an der Resilienz das Wunderbare. Denn es sind keine magischen Kräfte oder glücklichen Zufälle, die resiliente Menschen charakterisieren, sondern vielmehr normale menschliche Fähigkeiten wie denken, lachen, hoffen, dem Leben einen Sinn geben, handeln oder das eigene Verhalten verändern, Gelegenheiten wahrnehmen, um Hilfe bitten und diese annehmen können, Erfahrungen suchen und Beziehungen eingehen, die für die Entwicklung so gesund sind. Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die gesundheitsbezogenen Schutzfaktoren, welche die resilienten Kinder von Kauai und Minnesota, der Aborigines oder die Heimkinder der Bielefelder Studie auszeichneten und über deren Wirksamkeit zwischen den Forscherteams weitergehende Einigkeit besteht (RichterKornwitz 2011; Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2009).
Tabelle 1: Gesundheitsbezogene Schutzfaktoren bei Kindern
Personale Faktoren und relativ stabile Persönlichkeitsmerkmale
Positives Selbstkonzept (Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen)
Gefühl der Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugungen
Autonomiestreben
Realistische Zielsetzung
Leistungsorientierung/-motivation und Erfolgserleben
Aktiver Problembewältigungsstil
Gute kognitiven Fähigkeiten (z.B. altersangemessene sensomotorische Fähigkeiten, angemessene Wahrnehmungsfähigkeiten)
Biologische Konstitution, körperliche Gesundheitsressourcen, vor allem koordinative Fähigkeiten
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Dieter Sommer, Detlef Kuhn, Antonia Milletat, Anke Blaschka, Claudia Redetzky
Soziale Kompetenzen
Fürsorge und sozio-emotionale Orientierung
Empathiefähigkeit
Mobilisierung von angemessener sozialer Unterstützung und Zufriedenheit damit
Soziale Faktoren
Anzahl der Geschwister (Mindestabstand 2 Jahre)
Positive Eltern-Kind-Beziehung in der frühen Kindheit, stabiler Familienzusammenhalt
Vorbilder
Enge emotionale Beziehung zu mindestens einer engen Bezugsperson
Emotionale Unterstützung durch z.B. Nachbarn und Verwandte
Beratung und Unterstützung durch Lehrer/-innen
Realistische Zielvorgaben
Regelmäßige Aufgaben, Verantwortung sowie Struktur und Orientierung
Weitere allgemeine Faktoren
Zugang zu Bildung und Ausbildung sowie Entwicklungsmöglichkeiten
Gute Schulnoten, soziale Teilhabe (Aktivitäten, die Verantwortung und Kreativität abverlangen)
Chancengleichheit
Soziale Unterstützung (im Allgemeinen)
Teilweise auch soziale Unabhängigkeit
In der Folge sind diese und weitere Erkenntnisse vor allem im Bereich der Psychologie, Pädagogik, Sozialpädagogik und Soziologie genutzt worden, um die Entwicklung von Kindern nachhaltig zu stärken. Wir wenden dieses
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Das sagt die Resilienzforschung
Wissen nun für die Stärkung der Widerstandsfähigkeit bei Menschen im Arbeitsleben an.
1.3 Das Schutzfaktorenkonzept Auch der Medizinsoziologe Antonovsky nahm in seinem Konzept der Salutogenese als einer der ersten Forscher im Bereich der Gesundheitswissenschaften in den Blick, warum Menschen trotz vieler belastender Risikoeinflüsse gesund bleiben bzw. sich recht schnell wieder erholen (Antonovsky 1987, Bengel und Lyssenko 2012). Er veranschaulichte seine Vorstellungen mit dem Bild eines gefährlichen Flusses, in dem wir Menschen uns in einem ständig bedrohten gesundheitlichen Gleichgewicht befinden. Gleich einem Rettungsschwimmer würde ein Mediziner mit einem pathogenetisch ausgerichteten Ansatz immer wieder versuchen, einen Ertrinkenden aus dem Strom zu retten. In der Salutogenese wird dem Menschen dagegen ermöglicht, schwimmen zu lernen oder besser schwimmen zu können. Dieses gute Schwimmen wird für Antonovsky dadurch möglich, dass die Menschen grundsätzlich Schwimmer sind. Sie verfügen über geistig-seelische Fähigkeiten und Sinnorientierungen, um mit Herausforderungen, Problemen und Bedrohungen umgehen zu können. So können sie gesund bleiben bzw. sich wieder erholen. Antonovsky prägte damit einen Perspektivenwechsel weg vom bisher dominierenden biomedizinischen Krankheitsmodell, das sich vor allem mit der Entstehung und Behandlung von Krankheiten, nicht aber von Gesundheit auseinandersetzte. Problematisch an diesem Modell ist, dass der Mensch als handelnde Person dabei oft vernachlässigt wird und auch psychosoziale Faktoren im Gesundheits- oder Krankheitsgeschehen eher wenig Beachtung fin-
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