Wie spät ist zu spät?
Bücher für Hebammen 10
Christiane Schwarz ist Hebamme, Gesundheitswissenschaftlerin (M. Sc.), Dozentin und Autorin. Zurzeit hat sie Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen im deutschsprachigen Europa inne. Die vorliegende Arbeit ist ihre Dissertationsschrift. www.christiane-schwarz.de
Christiane Schwarz
Wie spät ist zu spät? Unterstützung bei der Entscheidung zur Geburtseinleitung
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter: http://dnb.d-nb.de abrufbar. Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren AutorInnen und zum Verlag finden Sie unter: www.mabuse-verlag.de. Wenn Sie unseren Newsletter zu aktuellen Neuerscheinungen und anderen Neuigkeiten abonnieren möchten, schicken Sie einfach eine E-Mail mit dem Vermerk „Newsletter“ an: online@mabuse-verlag.de. Der Artikel ab S. 66 wurde mit Genehmigung des Georg Thieme Verlages abgedruckt: Schwarz, Fetale Mortalität bei Einlingen ab Termin – eine Analyse bundesdeutscher Perinataldaten 2004–2013, Z Geburtshilfe Neonatol 2015; 219(02): 81–86 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart/New York DOI: 10.1055/s-0034-1398659
© 2017 Mabuse-Verlag GmbH Kasseler Str. 1 a 60486 Frankfurt am Main Tel.: 069 – 70 79 96-13 Fax: 069 – 70 41 52 verlag@mabuse-verlag.de www.mabuse-verlag.de www.facebook.com/mabuseverlag
Satz und Gestaltung: Björn Bordon/MetaLexis, Niedernhausen Umschlaggestaltung: Mabuse-Verlag Umschlagabbildung: Heike Wiechmann, www.heike-wiechmann.de print ISBN: 978-3-86321-303-9 eISBN: 978-3-86321-361-9 Alle Rechte vorbehalten
Inhalt Abkürzungsverzeichnis 9 Abbildungsverzeichnis 10 Anlagenverzeichnis 11 Zusammenfassung 13 1. Einleitung: Terminüberschreitung und Geburtseinleitung 15 1.1 Physiologische Schwangerschaftsdauer 16 1.2 Ursachen fetaler Todesfälle 17 1.3 Geburtseinleitung bei Terminüberschreitung als Strategie zur Verhinderung von Totgeburten 18 1.4 „Watchful Waiting“ 19 1.5 Fetale Mortalität: statistische Größen und klinische Bedeutung 20 1.6 Entscheidungskonflikte und Entscheidungshilfen für schwangere Frauen 21 1.7 Fragestellungen 23 1.7.1 Sichtung und Bewertung von vorhandenem relevantem Material 24 24 1.7.2 Überblick über aktuelle Praxisempfehlungen 1.7.3 Deskription und Analyse aktueller und relevanter epidemiologischer Daten in Bezug auf mütterliche und kindliche Gesundheit 25 1.7.4 Erhebung zur Geburtseinleitung aus mütterlicher Perspektive 25
2. Methoden: Arbeitsschritte einer komplexen Intervention 27 2.1 Systematische Recherche und Bewertung bestehender relevanter Entscheidungshilfen 27 2.2 Systematische Recherche und Bewertung relevanter klinischer Leitlinien 28 2.3 Bewertung aktueller relevanter perinataler OutcomeParameter in Deutschland, insbesondere der Mortalität reifer Feten 29 2.4 Einbeziehung der Perspektive schwangerer Frauen zum Thema 30 2.5 Systematische Entwicklung komplexer Interventionen 31 3. Ergebnisse und Diskussion
35
3.1 Ergebnisse der Sichtung und Bewertung von vorhandenem relevantem Material 35 Publikation 1: Watchful waiting or induction of labour – a matter of informed choice: identification, analysis and critical appraisal of decision aids and patient information regarding care options for women with uncomplicated singleton late and post term pregnancies: a review 37 3.2 Ergebnisse der Leitlinienrecherche: Überblick über aktuelle Praxisempfehlungen 49 3.2.1 Publikation 2: Leitlinienbewertung mit AGREE II als Teil einer komplexen Intervention: Entwicklung einer Entscheidungshilfe zur Geburtseinleitung bei Terminüberschreitung (85) 49 3.3 Ergebnisse der Deskription und Analyse aktueller und relevanter epidemiologischer Daten in Bezug auf mütterliche und kindliche Gesundheit 54
3.3.1 Publikation 3: Temporal trends in fetal mortality at and beyond term and induction of labor in Germany 2005–2012: data from German routine monitoring 55 3.3.2 Publikation 4: Fetale Mortalität bei Einlingen ab Termin – eine Analyse deutscher Perinataldaten 2004–2013 65 3.3.3 Ergebnisse des Surveys zur Geburtseinleitung aus mütterlicher Perspektive (Publikation 5: Women’s perceptions of induction of labour outcomes: Results of an online-survey in Germany. 71 3.3.3.1 Women’s perceptions of induction of labour outcomes: Results of an online-survey in Germany
72
4. Zusammenfassende Diskussion und Schlussfolgerung 95 4.1 Arbeitsschritt 1: Systematische Recherche und Bewertung bestehender relevanter Entscheidungshilfen 4.2 Arbeitsschritt 2: Systematische Recherche und Bewertung relevanter klinischer Leitlinien 4.3 Arbeitsschritt 3: Bewertung aktueller relevanter perinataler Outcome-Parameter in Deutschland, insbesondere der Mortalität reifer Feten 4.4 Arbeitsschritt 4: Einbeziehung der Perspektive schwangerer Frauen zum Thema 4.5 Kontext Entscheidungsfindung in der Schwangerschaft 4.6 Risikokommunikation 4.7 Risikofaktoren für Totgeburt 4.8 Optionen bei Terminüberschreitung: Geburtseinleitung versus Abwarten 4.9 Methoden der Geburtseinleitung 4.10 Stärken und Schwächen der Arbeit 4.11 Fazit
95 96 96 97 97 98 100 102 103 107 109
5. Anhang 5.1 Literatur 5.2 Anlagen 5.3 Danksagung
111 111 131 145
AbkĂźrzungsverzeichnis CAM Complementary and Alternative Medicine C/S
Cesarean Section
CTG
Cardiotocographie (Herztonwehenschreiber)
EH Entscheidungshilfe ET
Errechneter (Geburts)termin
IOL
Induction of Labour (Geburtseinleitung)
IUFT Intrauteriner Fruchttod SSW Schwangerschaftswoche
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Trends der Totgeburtenraten > 28 SSW in ausgewählten Ländern mit hohem Einkommen. 16 Abbildung 2: Fetale Mortalität nach unterschiedlichen Berechnungsmethoden. 21 Abbildung 3: Entwicklung und Evaluation komplexer Interventionen. 32 Abbildung 4: Entscheidungsbaum zum Vorgehen bei Terminüberschreitung 100 Tab. 1: Sample Description 77 Tab. 2: Decisional support needs: Would you have liked 83 more support with the decision about IOL? Tab. 3: Method of induction and mode of birth. Each method compared to full sample 84 Tab. 4: Method of induction and duration until birth 86 Tab. 5: Table 2: Method of induction (IOL) by duration until birth (hours) and mode of birth (p < 0.01, p < 0.05); method versus all IOL 88 Tab. 6: Decision for IOL in next pregnancy 89 Fig. 1: Why was your labour induced? 79 Fig. 2: Gestational age at induction 81 Method and choice of induction 82 Fig. 3:
Anlagenverzeichnis Schwarz C., Michel-Schuldt M., Furkert K., Berger B., Heusser P.: A Rapid Evidence Assessment and AGREE II appraisal of guidelines on induction of labour for nonmedical reasons.
132
Schwarz C., Schäfers R., Loytved C., Berger B., Heusser P.: Does induction of labour at and beyond 41+0 reduce perinatal mortality?
134
Schwarz C., Furkert K., Berger B., Heusser P.: To induce or to wait? Development of an evidence-based decision aid for pregnant women. First steps of a complex intervention.
136
Berger et al. 2015 (81). Additional file: Criteria checklist and analysis of existing relevant decision aids and information leaflets.
138
Zusammenfassung In den letzten Jahren wurde in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern in Fachkreisen darüber debattiert, ob – und falls ja, wann – es sinnvoll sei, schwangeren Frauen ab Erreichen des Geburtstermins eine Geburtseinleitung zu empfehlen. Die zu Beginn dieses Promotionsprojektes in Deutschland gültigen nationalen Leitlinien der einschlägigen Fachgesellschaft enthielten eine Empfehlung zur Geburtseinleitung bei einer Überschreitung des errechneten Geburtstermins um 7 Tage (1). Ziel der Geburtseinleitung ist es, die perinatale Mortalität zu senken, die möglicherweise ab der vollendeten 41. Schwangerschaftswoche ansteigt. Ob das jedoch so ist, und falls ja, welche ungeborenen Kinder gegebenenfalls tatsächlich von einer Geburtseinleitung profitieren, ist anhand aktueller Daten nicht nachvollziehbar. Präferenzen von Schwangeren wurden bisher nicht systematisch untersucht. Die Beratung von gesunden Schwangeren am Termin in Bezug auf die möglichen Vorgehensweisen (beobachtendes Abwarten oder Einleiten; falls ja, wann und wie) ist unter diesen Bedingungen sehr schwierig. Schwangere Frauen möchten in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, sie wünschen sich in angemessener Form Informationen zum Thema Einleitung, über die Möglichkeiten und deren Vor- und Nachteile. Eine Entscheidungshilfe von hohem Qualitätsniveau ist ein geeignetes Instrument, um Menschen in Entscheidungen bei komplexen gesundheitlichen Fragestellungen zu unterstützen. Die Entwicklung, Evaluation und Implementierung einer wirksamen, evidenzbasierten Entscheidungshilfe ist eine komplexe Aufgabe. Damit ergibt sich eine Strukturierung des Vorhabens in mehrere Arbeitspakete. Diese Arbeit beinhaltet die ersten vier von insgesamt sechs Schritten:
13
Zusammenfassung
1. Systematische Recherche und Bewertung bestehender relevanter Entscheidungshilfen 2. Systematische Recherche und Bewertung relevanter klinischer Leitlinien 3. Bewertung aktueller relevanter perinataler Outcome-Parameter in Deutschland, insbesondere der Mortalität reifer Feten 4. Einbeziehung der Perspektive schwangerer Frauen zum Thema 5. Entwicklung und Pilotierung einer Entscheidungshilfe 6. Implementierung der Entscheidungshilfe. Die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsschritte werden separat publiziert. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine kumulative Dissertation. Die ersten drei Schritte sind bei Einreichung der vorliegenden Arbeit abgeschlossen und die Ergebnisse veröffentlicht. Der vierte Arbeitsabschnitt, eine Erhebung zur Perspektive der Frauen, ist abgeschlossen und eine Publikation der Ergebnisse zur Einreichung vorbereitet. Die Schritte fünf und sechs (Entwicklung und Pilotierung sowie Implementierung einer Entscheidungshilfe) sind nicht Gegenstand dieser Arbeit. Um dem Anspruch einer soliden wissenschaftlichen Umsetzung zu entsprechen, richtet sich die in dieser Arbeit beschriebene Vorgehensweise nach dem vom Medical Research Council 2008 vorgeschlagenen Rahmen zur Entwicklung komplexer Interventionen (2). In den Projektzeitraum fiel die aktuelle Überarbeitung der erst 2010 in Deutschland publizierten Leitlinie zum Vorgehen bei Terminüberschreitung, in der eine Geburtseinleitung erst ab zehn Tagen nach Überschreitung des errechneten Termin empfohlen wird (3).
14
1. Einleitung: Terminüberschreitung und Geburtseinleitung Das Risiko für dauerhaften gesundheitlichen Schaden oder Tod im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt ist in den Industrie ländern sowohl für Mütter als auch für ihre Kinder extrem niedrig. Schwerwiegende Probleme treten überwiegend im Zusammenhang mit Frühgeburtlichkeit, angeborenen Aneuploidien oder organischen Dysplasien auf. Dennoch gibt es nach wie vor auch bei augenscheinlich gesunden, reifen Feten Todesfälle mit unklarer Ursache zu beklagen. Dies betrifft in den meisten Industrienationen, darunter Deutschland, etwa drei von tausend Schwangerschaften; seit etlichen Jahren sinkt diese Rate nicht mehr (vgl. Abb. 2). Die Ursachen für viele dieser Totgeburten bleiben unklar, auch wenn ausführliche Untersuchungen post mortem durchgeführt werden (4).
15
1. Einleitung: Terminüberschreitung und Geburtseinleitung
Abbildung 1: Trends der Totgeburtenraten > 28 SSW in ausgewählten Ländern mit hohem Einkommen. Aus: The Lancet 2011 (4) Copyright © 2011 Elsevier Ltd. All rights reserved.
1.1 Physiologische Schwangerschaftsdauer Wie lang eine physiologische Schwangerschaft dauert, lässt sich anhand von empirisch-statistischen und biologisch begründeten Modellen für verschiedene Säugetiere – ebenso wie für die menschliche Gestation – schätzen. Die optimale Dauer für eine individuelle Schwangerschaft kennt allerdings niemand (5–8). Die Bestimmung des „Errechneten Termins“ (ET) der menschlichen Schwangerschaft erfolgt entweder durch Berechnung von 280 Tagen nach dem ersten Tag der letzten Regel oder durch Ultraschall16
1.2 Ursachen fetaler Todesfälle
messung der Größe von Dottersack, Scheitel-Steiß-Länge des Embryos oder anderen Markern der fetalen Größe in der frühen Schwangerschaft (8–13). Damit dauert eine Schwangerschaft im Mittel vierzig Wochen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert die physiologische Länge der menschlichen Schwangerschaft als den Zeitraum von der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (37+0 SSW) bis zur vollendeten 42. Schwangerschaftswoche (42+0 SSW) (14). Ähnlich wie bei der Reifung jeglichen Organismus gibt es also ein Zeitfenster, in dem der optimale Reifezustand erreicht wird, und nicht einen dezidierten Tag. Die in Deutschland übliche Praxis, einen Stichtag, den „ET“, im Mutterpass zu dokumentieren, verführt Laien wie Fachleute dazu, diesen als definitiven „Geburtstermin“ zu überschätzen und bei Erreichen des Stichtags ungeduldig zu werden.
1.2 Ursachen fetaler Todesfälle Bei den Totgeburten, in denen Ursachen identifiziert oder vermutet werden können, fallen insbesondere Probleme wie Fehlbildungen, Infektionen, Plazentapathologien und Nabelschnurkomplikationen auf (4, 15). In Ermangelung konkreter Diagnosen und Ursachenstatistiken für Totgeburten kann – ähnlich wie beim „Plötzlichen Kindstod“ – eine Strategie zur Verhinderung solcher Todesfälle in der Berechnung statistischer Risiken für dieses Ereignis erfolgen, um dann möglichst viele dieser Risikofaktoren zu vermeiden. In retrospektiven demografischen Studien sowie Fall-Kontroll-Analysen lassen sich rechnerisch signifikant erhöhte Risiken für bestimmte Populationen bestimmen. So liegt beispielsweise das Risiko für eine Totgeburt bei Erstgebärenden höher als bei Mehrgebärenden; bei Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status höher als bei Frauen mit hohem Einkommens- und Bildungsniveau; bei Afroamerikanerinnen höher als bei Frauen kaukasischer Ethnie und bei älteren Schwangeren 17
1. Einleitung: Terminüberschreitung und Geburtseinleitung
höher als bei jüngeren (4, 15–20). Dabei wird das Dilemma deutlich, dass keiner dieser Risikofaktoren durch medizinische Interventionen beeinflusst werden kann.
1.3 Geburtseinleitung bei Terminüberschreitung als Strategie zur Verhinderung von Totgeburten Die Terminüberschreitung als Risikofaktor für Totgeburten spielt in den genannten Publikationen eine untergeordnete und unklare Rolle. Allerdings unterscheidet sie sich von den demografisch bedingten Risiken dadurch, dass sie sich beeinflussen lässt. Retrospektive Analysen zeigen ein steigendes Risiko für eine Totgeburt ab einer Überschreitung des errechneten Geburtstermins um mehr als eine bis zwei Wochen (6, 21–24). Damit bietet sich eine Risikoreduktion durch Beendigung der Schwangerschaft als präventives Konzept ab dem Zeitpunkt an, an dem der potenzielle Nutzen den potenziellen Schaden (zum Beispiel durch iatrogen induzierte Frühgeburtlichkeit) durch diese Intervention übersteigt. Unklar bleibt, ab welchem Zeitpunkt und für welche individuellen Schwangeren sich ein statistischer Vorteil vermuten lässt. Aktuelle internationale Publikationen und die darauf basierenden klinischen Leitlinien sind inhomogen bezüglich der Empfehlungen für den idealen Zeitpunkt für eine Geburtseinleitung (25–28). Als Methoden zur Geburtseinleitung stehen mechanische (beispielsweise die Eipollösung, Eröffnung der Fruchtblase, Stimulation der Brustwarzen) und medikamentöse Methoden (meist durch Prostaglandine und/oder Oxytocin) sowie komplementärmedizinische oder phytotherapeutische Methoden (beispielsweise mit Rizinusöl, Nelkenöl, Akupunktur, Homöopathika) zur Wahl (29–37). Präferenzen von Frauen wurden nur wenig systematisch erfasst (38, 39).
18
1.4 „Watchful Waiting“
1.4 „Watchful Waiting“ Generell gibt es in der Geburtshilfe immer die Handlungsoption, der Natur ihren Lauf zu lassen. Dies müsste tatsächlich als Goldstandard in der Nutzenbewertung jeder geburtshilflichen Intervention zugrunde gelegt werden, da hier – anders als im Krankheitsfall bei einem Patienten – ein physiologischer Prozess stattfindet, der biologisch darauf ausgerichtet ist, erfolgreich zu sein (40–42). Das Vorgehen bei Terminüberschreitung muss sich also daran messen, ob ein Eingreifen ein besseres Ergebnis erzielt als das Abwarten. Ein Kompromiss in der geburtshilflichen Risikominimierung wird in der Option des „Beobachtenden Abwartens“ („Watchful Waiting“) gesehen, wobei der Aspekt der Beobachtung nicht anhand solider aktueller Evidenz definiert ist: Wer, wann, wie oft, was und bei wem genau beobachten soll, ist in unterschiedlichen Betreuungskontexten heterogen. Möglicherweise trägt diese Unterschiedlichkeit auch dazu bei, dass die Vergleichbarkeit von perinatalen Outcome-Daten international und zwischen verschiedenen Jahrzehnten mit diversen Vorgehensempfehlungen so schwierig ist (43). Selbst innerhalb Deutschlands existieren aktuell zwei Leitlinien derselben Fachgesellschaft, die unterschiedliche Empfehlungen zum abwartenden Vorgehen bei Terminüberschreitung geben: Einmal wird die elektronische Kontrolle der fetalen Herztöne (Cardiotocogramm, CTG) ab 40+0 („optional“) und spätestens ab 40+3 SSW empfohlen (3), und einmal ab 41+0 SSW (44). Es liegt keine Evidenz dafür vor, dass diese Maßnahmen die perinatale Sterblichkeit senken (45). Für schwangere Frauen in Deutschland werden aktuell meist Vorsorgeuntersuchungen (inklusive CTG) im Abstand von etwa zwei Tagen ab 40+0 durchgeführt.
19