TIME TO CARE
TIME TO ROBIN YOUNGSON
Dieses Buch ist eine große Freude und macht Mut auf dem Weg der menschenzugewandten Medizin. Es stellt entscheidende Fragen zu komplexen Aspekten und gibt, gänzlich undogmatisch, eine Reihe von interessanten, wichtigen Antwortmöglichkeiten. Prof. Dr. med. Tobias Esch, Professur für Integrierte Gesundheitsversorgung/Gesundheitsförderung, Universität Witten/Herdecke
ISBN 978-3-86321-318-3
www.mabuse-verlag.de
9 783863 213183 ISBN 978-3-86321-318-3
CARE WIE SIE IHRE PATIENTEN UND IHREN JOB LIEBEN
ROBIN YOUNGSON
Wenn Sie in Ihrem Leben nur ein einziges Buch über die Gesundheitsversorgung lesen - sei es als Patient oder als Gesundheitsfachkraft - so möge es dieses Buch sein. Michael Brophy, Mitglied im Beirat der Irischen Gesellschaft für Qualität und Sicherheit im Gesundheitswesen
TIME TO CARE
Das Buch des international bekannten, neuseeländischen Arztes Robin Youngson zeigt allen im Gesundheitswesen Tätigen Auswege aus Stress und Burnout. Es beschreibt, wie man in seinen Berufsalltag wieder Freude, Erfüllung, Wohlbefinden und Widerstandsfähigkeit hineinbringt. Time to Care richtet sich an alle, die das Gesundheitswesen wieder menschlicher und solidarischer gestalten wollen.
Mabuse-Verlag
Time To Care
Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung und besseren Lesbarkeit wird im folgenden Text auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet. Es sind jedoch stets Personen männlichen und weiblichen Geschlechts gleichermaßen gemeint.
Dr. Robin Youngson wurde im Jahre 1955 in Großbritannien geboren. Als Sohn einer Militärsfamilie folgte er seiner Familie zu verschiedenen Standorten des ehemaligen Britischen Weltreiches, bevor er die Schrecken des institutionellen Lebens auf einem englischen Internat erfuhr. Im Jahre 1977 schloss er sein Hochschulstudium an der Universität Cambridge mit einem Ingenieursdiplom ab und arbeitete drei Jahre lang auf dem hochriskanten Gebiet der Erdöl-Gewinnung, um sein Medizinstudium zu finanzieren. Als praktizierender Anästhesist war Youngson viele Jahre lang eine einsame Stimme auf dem internationalen Rednerparkett für mitfühlende, ganzheitliche Patientenfürsorge. Er ist der Gründer der internationalen Bewegung HEARTS in HEALTHCARE, die er im Jahre 2012 ins Leben rief.
Robin Youngson
Time To Care Zeit für Zuwendung – Wie Sie Ihre Patienten und Ihren Job lieben Aus dem Englischen übersetzt von Marie Downar
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
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Inhalt Geleitwort zur deutschen Ausgabe
9
Vorwort zur englischen Ausgabe
13
Kapitel 1 Burnout
17
Kapitel 2 Freundlichkeit
39
Kapitel 3
Der Versuch zu überleben
59
Kapitel 4
Achtsam handeln
83
Kapitel 5
Positiv gesund
103
Kapitel 6
Die Wahl, Ihre Arbeit zu lieben
119
Kapitel 7
Heilende Hände
133
Kapitel 8
Die Neurowissenschaft des Mitgefühls
145
Kapitel 9
Zeit für Zuwendung gewinnen
163
Kapitel 10
Ein besseres System aufbauen
183
Kapitel 11
Mitfühlende Führungskultur
215
Kapitel 12
Der persönliche Wendepunkt
237
Kapitel 13
HEARTS IN HEALTHCARE
255
Kapitel 14
Meine Geschichte: Rebell für eine gute Sache
269
Danksagungen 285 Stimmen zum Buch
287
Literaturempfehlungen und Ressourcen
291
Anmerkungen zu den Kapiteln
295
Ein Wort zur deutschen Übersetzung
314
Kapitel 1 Burnout
In Ihrer Notaufnahme liegt unbeachtet eine Patientin, die Ihre Großmutter sein könnte, auf einer Liege mitten im Gang. Es gibt keine freien Betten mehr. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, auf sich aufmerksam zu machen, liegt sie nun stumm auf beschmutzten Laken. Es war niemand da, der sie hätte zur Toilette begleiten können. Ein ungeschriebenes Gesetz unter medizinischem Fachpersonal lautet: Kopf einziehen, schleunigst die Arbeit erledigen, Papierkram ausfüllen und ab zum nächsten Patienten. Gestern hatten Sie sich Zeit genommen, um einem Patienten wirklich zuzuhören, seine Hand zu halten und ihm Trost und Verständnis entgegenzubringen. Diesen Fehler werden Sie heute nicht nochmal machen – nicht, nachdem lhre Kollegen deutlichen Unmut über eine derartige Zeitverschwendung geäußert hatEin ungeschriebenes ten. Gesetz unter medizi Nach mühevollen Jahren der Aus- und nischem Fachperso Weiterbildung zur höchsten fachlichen Quanal lautet: Kopf ein lifikation, in denen Sie wahrscheinlich ihre Familie hintan gestellt haben, sind Sie stolz ziehen, schleunigst auf Ihre technischen Fertigkeiten. Aber nun die Arbeit erledigen, halten sich Freude und Zufriedenheit bei der Papierkram ausfüllen Ausübung in Grenzen. Die Arbeit an sich ist und ab zum nächsten reine Routine, tagein und tagaus. Patienten. Und seit wann sind die Patienten eigentlich dermaßen undankbar? Erst vernachlässigen sie ihre Gesundheit und dann erwarten sie von Ihnen, dass Sie es wieder in Ordnung bringen – nur um später Beschwerden zu verfassen oder Sie zu verklagen, wenn der gewünschte Erfolg ausbleibt.
17
Kapitel 1
Am Ende der Schicht gehen Sie erschöpft und entmutigt nach Hause. Heute haben Sie jemanden wütend angeherrscht. Sie wissen nicht, wie lange Sie das noch durchhalten können. Es muss doch noch mehr hinter der Arbeit stecken als bloßes Geldverdienen. In dieser Geschichte erkennen sich immer mehr Beschäftigte im Gesundheitswesen wieder. Die Gesundheitsversorgung schwebt in großer Gefahr. Der stete wissenschaftlich-technische Fortschritt, die Konzentration auf Krankheit anstatt auf Wohlbefinden, die rasant zunehmenden Kosten und die Korruption der medizinischen Versorgung aufgrund Gewinnmaximierung und Profitgier bringen uns rasch an einen kritischen Punkt. In diesem Machtgerangel droht die Gefahr, dass die menschlichen Aspekte der Fürsorge, des Mitgefühls und der Heilung verloren gehen. International nehmen Erschöpfungszustände, Depression, Stress und Burnout beim medizinischen Personal epidemische Ausmaße an. Bei steigendem Stresspegel tun Mobbing und Missbrauch ihr Übriges, um den Teamzusammenhalt und die Patientenversorgung weiter in Mitleidenschaft zu ziehen. In den letzten Jahren erregte der Ausdruck disruptive behavior (störendes Verhalten) in medizinischen Fachzeitschriften zunehmende Aufmerksamkeit.1 Er ist ein Euphemismus für kleinkindhafte Wutausbrüche unter medizinischem Fachpersonal – gekennzeichnet durch Geschrei, das Werfen von Gegenständen und Türenknallen. Unspektakulärer, jedoch ebenso zerstörerisch wirken Hohn und Sarkasmus.
Nicht der Job, den wir uns ausgesucht haben Jill Maben ist eine Wissenschaftlerin in London. Ihre Ängste über den Zustand des Krankenpflege-Berufes wurden in einer Längsschnittstudie erfasst, die zeigte, wie die Ideale und Werte der Pflegewissenschafts-Studenten mit der nüchternen Arbeitsrealität im britischen Gesundheitswesen kollidierten:2 Kürzlich examinierte Pflegekräfte wurden einem verdeckten Regelwerk ausgesetzt, dessen Einhaltung von ihnen erwartet wurde. Dieses Regelwerk 18
Burnout
stand jedoch im Widerspruch zu ihren Werten und Idealen. Die vier „Regeln“ herrschten insbesondere in Arbeitsumfeldern vor, welche als herausfordernd und mangelhaft galten. Regel 1: Rasche körperliche Versorgung hat gegenüber psychologischer Betreuung Vorrang. Regel 2: Keine Miene verziehen! (mit dem Bedürfnis, beim Verrichten von schwerer körperlicher und „schmutziger“ Arbeit gesehen zu werden) Regel 3: Lass dich nicht zu sehr auf die Patienten ein (wahre jederzeit die emotionale Distanz). Regel 4: Pass dich an und stifte keine Unruhe (Lass die Finger von dem Versuch, die gängige Praxis zu verändern). Maben fand heraus, dass die meisten Pflegerinnen und Pfleger sich innerhalb der ersten beiden Jahre nach Berufsabschluss zu verkappten oder gescheiterten Idealisten entwickelten. Beruflich frustriert, grassierte unter ihnen eine hohe Rate an Burnout-Erkrankungen, in deren Folge es unweigerlich zu Desillusionierung, häufigem Jobwechsel und in manchen Fällen gar zum gänzlichen Ausstieg aus dem Beruf kam. Ärzten ergeht es nicht besser. In einer Umfrage der US-amerikanischen Ärzte-Stiftung von 2008 zeichneten die 12 000 befragten Ärzte in den USA ein düsteres Bild, das drastische Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung der Nation haben könnte.3 Der Bericht ergab Folgendes: −− 78 % der Ärzte fanden die Heilkunde „nicht mehr befriedigend“ oder „weniger befriedigend“, −− 63 % der Ärzte bekannten, nicht immer genügend Zeit zu haben, um all ihre Patienten adäquat zu behandeln, −− 60 % der Ärzte würden den Arztberuf nicht empfehlen, −− 49 % der Ärzte – mehr als 150 000 Mediziner des gesamten Land – gaben an, dass sie im Laufe der nächsten drei Jahre vorhätten, entweder die Patientenzahlen zu reduzieren oder ihre Tätigkeit niederzulegen, 19
Kapitel 1
−− 42 % der Mediziner bewerteten die Arbeitsmoral ihrer Kollegen als „mangelhaft“ oder „sehr gering“, −− nur 6 % der Ärzte beschrieben die Arbeitsmoral ihrer Kollegen als „positiv“. Chronischer Stress und Desillusionierung ziehen auch das Arbeitsklima in Mitleidenschaft. In einer Umfrage an fünfzig US-amerikanischen Krankenhäusern für Kriegsveteranen (Veterans Hospital Administration, VHA) berichteten 86 % des Pflegepersonals und 49 % der Ärzte, Zeugen von Wutausbrüchen des leitenden medizinischen Personals gewesen zu sein. Diese schadeten nicht nur dem Arbeitsklima, sondern letzten Endes auch der Patientenversorgung.4 Die meisten Befragten dieser Studie waren der Ansicht, dass mangelhafte Kommunikation zu Behandlungsfehlern führe, welche sich auf die Sicherheit und letztendlich sogar auf die Mortalität der Patienten auswirkten. Unsere Gesundheitssysteme selbst verursachen unnötig viel Schmerz und Leid. Jeden Tag machen unsere Einstellungen und unser Handeln einen Großteil unserer harten Arbeit im Dienste der Patienten wieder zunichte. Die ergreifendsten Schilderungen dieses Leides kommen oft von Menschen in medizinischen Berufen, die sich plötzlich selbst in der Patientenrolle wiederfinden und sich ängstlich und verwundbar fühlen.
Wenn Menschen in medizinischen Berufen zu Patienten werden George Sweet, ein pensionierter Psychotherapeut und Schriftsteller aus Neuseeland, erkrankte an Myelitis transversa, einer akuten Entzündung des Rückenmarkes. Sweet schilderte seine persönlichen Erfahrungen während der täglichen Visiten im Krankenhaus5: Als ich das erste Mal ins Krankenhaus kam, sorgte ich mit meiner aufrichtigen Art für Verwirrung. Ich konnte plötzlich meine Beine nicht mehr bewegen. Zur Visite fragte man mich: „Wie fühlen Sie sich heute?“ 20
Burnout
Wahrheitsgemäß antwortete ich: „Sehr verängstigt und tieftraurig.“ Irgendwie schien meine Antwort jedoch unpassend zu sein; das Team strauchelte gedanklich, fing sich aber bald wieder und erkundigte sich dann nach meinen Symptomen: „Geht es den Füßen schon etwas besser?“ Ich fühlte mich zurückgewiesen, nicht gehört – „im Stich gelassen“ wäre keineswegs übertrieben ausgedrückt. Mehrere Monate war ich im Krankenhaus, aber ich brauchte ungefähr neun Wochen, um dieses vage Gefühl und diese Unzufriedenheit als solche benennen zu können, welche diese Visiten in mir hervorriefen. Die Visiten waren für mich durchweg unpersönlich. Dieser Eindruck wurde noch durch Ärzte verstärkt, die ihre Antworten auf meine Aussagen nicht mit mir, sondern untereinander besprachen. Aus Angst gab ich auf Fragen oft schnelle, unvollständige oder wenig hilfreiche Antworten. Es fühlte sich nicht so an, als ob ich, George, auch nur von geringster Wichtigkeit für die Visite war. Die Pathologie war sehr wichtig. Ich war überwältigt von den vielen Menschen, die so wenig Bestreben hatten, George kennenzulernen oder ihn in seine eigene Behandlung mit einzubeziehen. Die Visiten begannen üblicherweise mit einem kurzen „Wie geht es Ihnen heute Morgen?“. Schnell lernte ich, dass die korrekte Antwort „alles in Ordnung“ oder „gut“ lautete. Im schlimmsten Fall schien der Schwerpunkt darauf zu liegen, sich zu vergewissern, dass beim Patienten „ alles in Ordnung“ war (was bedeutete, dass die Visite weitergehen konnte) – oder aber dass der Patient ein Problem hatte, welches eine Änderung der Medikation erforderte (dann konnte die Visite weitergehen). Auf meine Nachfrage bei anderen Patienten fand ich heraus, dass auch sie bei derartigen Visiten bevorzugt mit „alles in Ordnung“ oder „gut“ antworteten. Aus meiner Perspektive als Klinikarzt zeichnet dieser kurze Bericht sehr genau nach, was ich im Laufe meines Berufslebens bei den Visiten in sämtlichen Krankenhäusern miterlebte. Diese unpersönliche Behandlung war nicht die Ausnahme, sondern die Regel. 21
Kapitel 1
Die Persönlichkeit des Patienten löst sich rasch in der Rolle des Patienten auf. Bei unserer Art der Medizin stehen die Krankheit und die standardisierte Behandlung der Pathologie im Mittelpunkt und nicht der Mensch mit seiner jeweiligen Erkrankung. Zudem erzeugen die jeweiligen Rollen als Arzt oder als Patient ein erhebliches Machtgefälle. Es ist sehr viel einfacher für Patienten, Fragen mit „alles in Ordnung“ oder „gut“ zu beantworten, als essentielle Sorgen zuzugeben oder Fragen zu stellen. Wir wissen mittlerweile, dass diese Art der Behandlung, die sich so viele Menschen in medizinischen Berufen aneignen, nicht nur für die Patienten, sondern auch für die behandelnden Ärzte ernste Konsequenzen nach sich zieht.
Warum wir den gesamten Menschen behandeln müssen Es gibt zunehmende wissenschaftliche Evidenz für den enormen Einfluss emotionaler und psychologischer Faktoren auf das Wohlbefinden und Überleben unserer Patienten. Beispielsweise ist der Unterschied in der Mortalitätsrate zwiDer Unterschied in schen Pessimisten und Optimisten bei der Mortalitätsrate führenden Todesursachen wie Herzzwischen Pessimisten krankheiten etwa so groß wie derjenige und Optimisten bei zwischen Rauchern und Nichtrauchern.6 führenden Todes Vielleicht sind Sie ein versierter Chirurg, der an der Relevanz dieser ganursachen wie Herz zen Gefühlsduselei für Ihr chirurgisches krankheiten ist etwa Ergebnis zweifelt. Es ist wissenschaftlich so groß wie derjenige belegt, dass sich durch Stress die Rekonzwischen Rauchern und valeszenz Ihrer Patienten verzögert und Nichtrauchern. das Risiko von Wundinfektionen und Krebs-Rezidiven erhöht.7,8 Menschen verfügen von Natur aus über besondere Regenerationskräfte. Jeder Arzt kennt Patienten, die sich aller Erwartungen zum Trotz einer guten 22