Der Erlös aus dem Verkauf des Buches soll der neu errichteten Tagespflege am St.-Elisabeth-Stift in Sendenhorst zugutekommen.
Der Herausgeber Harald Blonski ist Pädagoge (M. A.), Diplom-Sozialpädagoge (FH), DiplomPsychogerontologe Univ. (postgrad.) und Auditor für QM-Systeme. Er verfügt über langjährige Leitungserfahrung in der stationären Altenhilfe. Derzeit ist er als Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Münster, als Dozent an diversen Fachseminaren im Gesundheits- und Sozialbereich sowie als Organisationsberater und Leiter von Auditteams tätig.
Harald Blonski (Hrsg.)
Hoffnung im Alter Eine interdisziplinäre Betrachtung
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
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Lektorat: Ulrike Müller-Haarmann Satz und Gestaltung: Björn Bordon/MetaLexis, Niedernhausen Umschlaggestaltung: Markus Dawo Umschlagabbildung: © Majid Ali/istockphoto Druck: Faber, Mandelbachtal ISBN: 978-3-86321-344-2 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten
Inhalt Harald Blonski
Einleitung 7 Hanne Seemann
Hoffnung im Alter – eine Fallvignette
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Brigitte Dorst
Hoffnung und Ermutigung in schwierigen Zeiten
33
Angelika Zegelin
Hoffnung und Pflegebedürftigkeit
61
Corinna Schmohl
»Lebenserfahrungen? Oh ja! Ich hatte ein reiches Leben!« Hoffnung und Lebenssinn bei älteren Patienten – Wahrnehmungen und Reflexionen aus der Krankenhausseelsorge
83
Willi Stroband
Hoffnung im Alter Reflexionen aus Bibel und Pfarrei
125
Margot Klein
Hoffnung und Hoffnungslosigkeit in der Beratung älterer Menschen
135
Jürgen Rieck
Hoffnung aus der Sicht des Rechts
147
Die Autoren
179
Register
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Harald Blonski
Einleitung Hoffnung ist die Überzeugung, dass ein Sinn existiert, egal, wie sich die Dinge entwickeln.1
Über alle Epochen und Generationen hinweg zählt die Hoffnung zu den ständigen Begleitern des Menschen. Sie ist integraler Bestandteil aller Kulturen und Glaubensgemeinschaften und begegnet uns beispielsweise bei Hesiod (Pandoramythos) oder im Kontext jüdisch-christlicher Tradition, so u. a. im Tanach und im Neuen Testament. Daher kann die Hoffnung mit Recht als ein Element der conditio humana, als ein Existenzial im Sinne Heideggers oder als ein Humanum im Sinne der christlichen Sozialethik betrachtet, angesehen und bezeichnet werden. Für den Herausgeber dieses Buches gewann das Phänomen Hoffnung durch mehrere Erfahrungen und biografische Impressionen eine besondere Bedeutung, von denen an dieser Stelle lediglich drei erwähnt seien: Zum einen taucht in seiner Erinnerung immer wieder ein Ereignis auf, welches in den frühen 1960er-Jahren hierzulande die Gemüter und Emotionen der Menschen bewegte und über zwei Wochen das öffentliche Interesse und die Aufmerksamkeit weiter Teile der Bevölkerung, insbesondere solcher mit einer Affinität zum Bergbau, auf sich zog. Die Rede ist von dem Grubenunglück im Eisenerzbergwerk Lengede-Broistedt am 24. Oktober 1963, bei dem 29 Bergleute ums Leben kamen und 12 Kumpel für 14 Tage in einem ›toten Stollen‹ eingeschlossen wurden. Mit inniger Anteilnahme an der Trauer der Opferfamilien, aber auch mit großer Solidarität und voller Hoffnung, dass die mittels der sog. Dahlbuschbombe in Gang gesetzte Rettungsaktion für die Eingeschlossenen und deren Familien ein gutes Ende nehmen würde, verfolgten Millionen seinerzeit über die Massenmedien die fieberhafte und aufopferungsvolle Arbeit 1 Ania M. L. Willman: Die Weisheit der Krankenschwester. In: Leo Bormans (Hrsg.): Hoffnung. The World Book of Hope: Der wahre Schlüssel zum Glück. DuMont: Köln 2015, S. 253.
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der Rettungskräfte. Insbesondere Bergarbeiterfamilien und andere dem Montanwesen verbundene Mitbürger verspürten eine enge Verbundenheit mit dem Schicksal der von jenem Unglück Betroffenen. Sie empfanden ein tiefes Mitgefühl und teilten die Hoffnung, dass die verschütteten Kumpel noch gerettet werden könnten. Diese Hoffnung ging damals in Erfüllung und die Rettung der Gruppe von verunglückten Bergarbeitern als das ›Wunder von Lengede‹ in die Geschichte ein. Da ist zum zweiten die Lektüre eines Buches mit Briefen und Aufzeichnungen aus der Haft, mit Dokumenten, die den Schicksalsweg eines Gefangenen des NS-Regimes beleuchten, nachzeichnen und ahnend nachempfinden lassen. Es handelt sich um Schriftstücke des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), größtenteils in der Gefängniszelle geschrieben und von einem Zeitzeugen und Weggefährten des Inhaftierten und später Hingerichteten herausgegeben, von Eberhard Bethge.2 Diese Sammlung ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie ›Glaube, Hoffnung, Liebe‹ einen Menschen stärken und befähigen können, auch Zeiten, Umstände und Widerfahrnisse größter Erniedrigung, Willkür und Entbehrung mutig und zuversichtlich zu durchstehen. Für den Herausgeber kommt die von Hoffnung und Zuversicht geprägte Haltung Bonhoeffers besonders klar und beeindruckend in dessen bekanntem Gedicht Von guten Mächten zum Ausdruck, weil es ein Zeugnis dafür ist, von welch elementarer Bedeutung eine solche Haltung gerade in Zeiten und Situationen existenzieller Not und Bedrängnis sein kann. Der dritte und letzte hier zu nennende Auslöser und Beweggrund, sich dem Hoffnungs-Thema zuzuwenden und für die Veröffentlichung den Titel zu wählen, unter dem sie jetzt erscheint, sind die Jahre beruflicher Tätigkeit des Herausgebers in der Altenhilfe. Seine vielfältigen Erfahrungen, Begegnungen und Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern, Tagespflegegästen, Ratsuchenden und älteren Angehörigen haben zu dem Entschluss geführt, das Thema Hoffnung zu gegebener Zeit aufzugreifen und es, fokussiert auf ältere Menschen, gemeinsam mit Expertin2 Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft/ Dietrich Bonhoeffer. Hrsg. von Eberhard Bethge. Mit einem Nachwort von Christian Gremmels. Kaiser: 15., durchges. Aufl. Gütersloh 1994.
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Einleitung
nen und Experten aus unterschiedlichen Professionen und Praxisfeldern und somit aus interdisziplinärer Sicht zu beleuchten. Der Sinn und besondere Wert einer interdisziplinären Betrachtung der Hoffnung wird darin gesehen, dass •• auf diese Weise das Phänomen sowohl in seiner ganzen Spann- und Wirkungsbreite als auch in seiner humanitären Tiefgründigkeit aufgezeigt und erkannt werden kann; •• den weiter unten benannten Zielgruppen, an die sich dieses Buch wendet, in ihrem praktischen Tun, alltäglichen Handeln und in ihren tätigkeitsbezogenen Reflexionen bzw. Planungen neue Impulse und Perspektiven vermittelt werden können. Soviel zu den persönlichen Beweggründen und Intentionen. Im Alltag begegnet uns der Begriff Hoffnung bei den verschiedensten Gelegenheiten und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen und Situationen. So hören wir die Menschen in unserem Umfeld sagen: »Hoffentlich geht das gut«, »Wir fühlten uns hoffnungslos verloren« oder »Die Hoffnung stirbt zuletzt«. Zumeist zwar im Singular gebraucht, wird der Hoffnungsbegriff bisweilen auch im Plural verwendet. Die Ermahnung zur Zurückhaltung, die in den Worten »Da machen Sie sich mal keine allzu großen Hoffnungen!« liegt, ist ein Beleg dafür. Des Weiteren wird der Begriff, wohl in Rückgriff auf die Signaturenlehre aus der Pflanzenheilkunde und in Anspielung auf das frühlingshafte Wiedererwachen und Sprießen in der Natur – siehe dazu auch das Titelbild auf dem Bucheinband –, gern mit der Farbe Grün in Verbindung gebracht. So begegnen wir bisweilen der Redewendung ›Grün ist die Hoffnung‹. Die Signaturenlehre entspringt dem kosmischen Denken und sieht in den Merkmalen von Pflanzen wie deren Form, Farbe, Gestalt, Geruch oder Standort eine Entsprechung zu bzw. einen Zusammenhang mit bestimmten Organen (Bsp.: Bohne und Niere, das Gelb des Schöllkrauts und die Leber, der Walnusskern und das Gehirn) und/oder deren Erkrankung. Paracelsus verhalf dieser Lehre zu einem hohen Bekanntheitsgrad und großer Verbreitung durch seine Lehrmeinung, die Natur zeichne ein jegliches Gewächs zu dem, wozu es gut sei. 9
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Nicht selten taucht das Wort Hoffnung bei Anlässen auf, durch die sich jemand einer Situation vermeintlicher Ausweglosigkeit, Unentrinnbarkeit oder Machtlosigkeit ausgesetzt sieht und vom Gefühl des Ausgeliefertseins beherrscht wird. Ausschlaggebend ist dabei vielfach, wie der jeweiligen Person ihre Lage subjektiv erscheint, wie sie durch den Betroffenen wahrgenommen, empfunden und gedeutet wird und nicht, wie sich diese Situation ›objektiv‹ darstellt bzw. wie sie ›tatsächlich ist‹. Häufig spielen in diesem Zusammenhang negative Gedanken im Vorfeld, eingefahrene Denkmuster oder ›feste‹ subjektive Überzeugungen eine wichtige Rolle. Hier sei – nebenbei bemerkt – auf die gedankliche Nähe zu einem Konzept verwiesen, das durch den Soziologen Robert K. Merton unter dem Begriff der ›self-fulfilling prophecy‹, der ›selbsterfüllenden Prophezeiung‹ ausgearbeitet wurde. Es beschreibt den Mechanismus, über den das spätere Verhalten gemäß den Vorhersagen und Vorannahmen gesteuert wird, die eine Person im Vorfeld selbst getätigt hat. Während in der Sprache des Evangeliums oder der Propheten die Hoffnung für Standhaftigkeit und Gewissheit steht, kommen in der alltäglichen Verwendung des Begriffs immer wieder Zweifel und Unsicherheit zum Vorschein. So hoffen wir zum Beispiel, dass das Wetter sich bald ändern bzw. bessern werde, dass der Freund, den wir lange nicht gesehen haben, wieder einmal zu Besuch komme oder die lästige Erkältung, die uns seit geraumer Zeit plagt, bald abklingen möge. Neben der Verwendung des Verbs ›hoffen‹ und des Substantivs ›Hoffnung‹ finden sich in der Alltagssprache Komposita wie ›Hoffnungsschimmer‹ und die Adjektive ›hoffnungslos‹/›hoffnungsvoll‹ oder ›unverhofft‹. Sodann begegnen wir dem Adverb ›hoffentlich‹, u. a. wenn es darum geht, einer Erwartung oder indirekten Aufforderung Ausdruck zu verleihen. Ein Beispiel liefert die strenge Mutter, die ihr Kind mit den Worten zur Ordnung anhält: »Hoffentlich ist dein Zimmer aufgeräumt, wenn ich wieder zurück bin!« In einer eher besorgten und fürsorglichen Variante wird es demgegenüber in Aussagen verwendet wie: »Hoffentlich geht das gut!« oder »Hoffentlich kehrt sie wohlbehalten zurück!« In der mittlerweile veraltet anmutenden Redewendung ›guter Hoffnung sein‹ wurde der Begriff mit einer Schwangerschaft und der bevorstehenden Geburt in Verbindung gebracht. Zur Etymologie des Begriffs Hoffnung, zu seiner Wortherkunft, ist zu sagen, dass er seit der griechischen Antike einen Bedeutungswandel erfahren hat. Das 10
Einleitung
altgriechische ελπίς (lat. spes) hatte in seinem historischen Gebrauch zunächst noch keine eindeutig positive Bedeutung. Das griechische Wort ›elpis‹ ist eher neutral zu interpretieren und steht für Erwartung. Erwartet wird etwas Zukünftiges, wobei es sich sowohl um etwas Gutes als auch um etwas Schlechtes handeln kann. In den germanischen Sprachen dagegen wird es in der Regel mit positiven Erwartungen, Trost und Zuversicht in Verbindung gebracht. Das mittelhochdeutsche Verb ›hoffen‹ (niederl. ›hopen‹, engl. ›to hope‹) ist vielleicht mit der Wortgruppe von ›hüpfen‹ verwandt und würde dann ursprünglich etwa »[vor Erwartung] zappeln, aufgeregt umherhüpfen«3 bedeutet haben. Auch heutzutage findet man im Deutschen den Hoffnungsbegriff oft mit positivem Sinn versehen und hinterlegt: Man hofft, dass ein Vorhaben, Projekt oder eine Unternehmung positiv verlaufen und erfolgreich enden bzw. abgeschlossen werde; wir hoffen, dass uns der Versuch gelingen möge und wir unser Ziel – möglichst termingerecht und planmäßig – erreichen werden. Wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass eine Person eine Hoffnung unberechtigt hegt, so bezeichnet man dies als Wunschtraum oder als Illusion. Für das Gegenteil von Hoffnung steht die Verzweiflung. In der Vergangenheit setzten sich namhafte Persönlichkeiten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Kultur, Politik, Wissenschaft und Literatur mit der Hoffnung auseinander, bezogen aus jeweils spezifischer Warte und entsprechend ihrer persönlichen Leitidee, Absicht, Meinung oder Denkmuster Stellung, entwarfen eigene Konzepte zu dem Phänomen oder flochten es in ihre Werke und Schöpfungen ein. So finden wir die Hoffnung mehr oder weniger offensichtlich hinter Figuren, Metaphern und Topoi versteckt in zahlreichen Gemälden, Skulpturen, literarischen Werken und Texten, in Reden, Liedern und Theaterstücken wieder. Im Bereich der Literatur wurde die Hoffnung besonders gern und häufig aufgegriffen und in vielfältiger Weise thematisiert.4 Friedrich Schiller (1759–1805) betitelte eines seiner Gedichte, das erstmals 1797 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Horen erschien, mit Hoffnung. 3 Duden. Das Herkunftswörterbuch. Dudenverlag: 4., neu bearb. Aufl. Mannheim u. a. [2006], S. 342. 4 Zu den folgenden Ausführungen über Literatur und Philosophie vgl. Agnes Bidmon: Denkmodelle der Hoffnung in Philosophie und Literatur. Eine typologische Annäherung. De Gruyter: Berlin; Boston 2016.
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Das in den drei Strophen entwickelte Programm war dem Dichter so wichtig, dass er dieses Stück Lyrik auch später noch in die ›Prachtausgabe‹ seiner Gedichte übernehmen wollte. Die zweite Strophe sei hier – nicht zuletzt weil in ihr Alter, Tod und Hoffnung zusammengeführt werden – den Leserinnen und Lesern vorgestellt: »Die Hoffnung führt ihn [den Menschen] ins Leben ein, / Sie umflattert den fröhlichen Knaben, / Den Jüngling locket ihr Zauberschein, / Sie wird mit dem Greis nicht begraben; / Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf, / Noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf.«5
Wie dieser Auszug belegt, wird die Hoffnung bei Schiller als »unstetes Phänomen« eingeführt. Sie tritt »als Allegorie auf, die den Menschen in ihrer Funktion als anthropologische Größe in jedem Lebensstadium von Kindheit über Jugend bis hin zum Alter begleitet. Damit widerspricht Schiller zugleich auch der Analyse der Hoffnung bei Aristoteles, der ja von einem zwangsläufigen Abnehmen der Hoffnung im Lauf des menschlichen Lebens ausgeht.«6
Christa Wolf (1929–2011) fasst Hoffnung – wie u. a. in ihrem Essay über die 1977 verstorbene Schriftstellerin Maxie Wander deutlich wird7 – als ein notwendiges prozessuales Element von Utopie auf, »und zwar jenes Utopie-Konzepts, das tatsächlich existiert und auf die Lebenswelt einzuwirken vermag, um aktiv an der Aufhebung der Selbstentfremdung des Menschen zu arbeiten«.8
5 Friedrich Schiller: Hoffnung. In: Ders: Werke Bd. 2,1. Gedichte in der Reihenfolge ihres Erscheinens 1799–1805 der geplanten Ausgabe letzter Hand (Prachtausgabe), aus dem Nachlass (Text). Hrsg. von Norbert Oellers. Verlag Hermann Böhlaus Nachf.: Weimar 1983, S. 409. 6 Bidmon: Denkmodelle der Hoffnung in Philosophie und Literatur, a. a. O., S. 147. 7 Christa Wolf: Berührung. Maxie Wander. In: Dies.: Werke Bd. 8. Essays/Gespräche/Reden/ Briefe 1975–1986. Hrsg. von Sonja Hilzinger. Luchterhand: München 2000, S. 115–129 (115). 8 Bidmon: Denkmodelle der Hoffnung in Philosophie und Literatur, a. a. O., S. 351.
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Ingeborg Bachmann (1926–1973), eine der bekanntesten Vertreterinnen der deutschsprachigen Literatur in der Nachkriegsperiode, wählt vor allem seit den ausgehenden 1950er-Jahren die Hoffnung zu einem ihrer Leimotive. Allerdings lässt bereits der 1953 erschienene Gedichtband Die gestundete Zeit ihre eingehende Auseinandersetzung und einige Konstanten in der Reflexion über die Struktur der Hoffnung erkennen. Bachmann entwickelt – im Modus des dialogischen Austausches mit der philosophischen wie literarischen Tradition des Hoffnungsdenkens – ein eigenes Hoffnungskonzept, welches sie im Verlauf ihres Schaffens und Werkes überarbeitet und umgestaltet. Die Hoffnung griff die gebürtige Österreicherin u. a. in ihren Gedichten Früher Mittag und Alle Tage auf, beide in unmittelbarer Aufeinanderfolge abgedruckt in dem Gedichtband Die gestundete Zeit.9 Nach Ansicht von Bidmon wird Bachmanns Konzept des Hoffens als existenzieller Strategie der Zukunftsbewältigung in dem letzten veröffentlichten Gedicht Böhmen liegt am Meer umgesetzt.10 Dieses Gedicht bezeichnete Bachmann kurz vor ihrem Tod in einem Interview als eines, zu dem sie immer stehen werde. »Es ist gerichtet an alle Menschen, weil es das Land ihrer Hoffnung ist, das sie nicht erreichen werden, und trotzdem müssen sie hoffen, weil sie sonst nicht leben können.«11 So weit die – im Rahmen dieser Einleitung lediglich beispielhaft belegte – Sicht auf das Thema ›Hoffnung‹ in der Literatur. Die Philosophie kennt so viele Sichtweisen und Deutungsansätze zur Hoffnung, dass jeder Versuch, auch nur einen groben Überblick zu geben, zum Scheitern verurteilt wäre. Daher ist im Rahmen dieser Einleitung eine Beschränkung auf wenige, willkürlich ausgewählte Beispiele unumgänglich. Eingehend analysiert Aristoteles (384–322 v. Chr.) in seiner Rhetorik die Hoffnung und bestimmt sie als einen »Erwartungsaffekt von etwas zukünftig Gutem«. Gemäß den Überlegungen des großen Philosophen 9 Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit. Frankfurter Verlagsanstalt: Frankfurt a. M. 1953. 10 Ingeborg Bachmann: Böhmen liegt am Meer. In: Dies.: Werke. Bd. 1: Gedichte, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen. Hrsg. von Christine Koschel; Inge von Weidenbaum; Clemens Münster. Piper: München; Zürich 1978, S. 167 f.; vgl. Bidmon: Denkmodelle der Hoffnung in Philosophie und Literatur, a. a. O., S. 342. 11 Zit. nach Bidmon: Denkmodelle der Hoffnung in Philosophie und Literatur, a. a. O., S. 342 f.
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»gibt es mehrere Gründe für gute Hoffnung: Zum einen kann sie basieren auf Selbstvertrauen, das der Mensch aufgrund von geschulten Fähigkeiten und Erfahrung besitzt. (…) Zum anderen sind Menschen (…) dann voller guter Hoffnung, wenn sie bereits oftmals vom Schicksal begünstigt worden sind und daher von jeher auf einen positiven Ausgang der Ereignisse vertrauen«.12
Für Aristoteles steht die Hoffnung offensichtlich in einem Zusammenhang mit der Tugend der Tapferkeit, die dem Kanon der vier antiken Kardinaltugenden zugehört, ohne allerdings selbst eine Tugend zu verkörpern, wie uns der Platon-Schüler in seiner Nikomachischen Ethik wissen lässt. Die Stoa, ein durch Zenon von Kition (ca. 333–ca. 262 v. Chr.) errichtetes Lehrgebäude, begreift die Hoffnung ebenfalls als einen Affekt, der der Maxime vernunftmäßigen Handelns entgegensteht. Nach stoischer Lehre geht es darum, die Hoffnung ebenso wie ihre Gegenspielerin, die Furcht, so gut es nur eben geht zu beherrschen und externe Einflüsse, die vernunftmäßiges Handeln ebenfalls behindern, nach Möglichkeit zu vermeiden. Immanuel Kant (1724–1804), der berühmte Philosoph der Aufklärung, stellt die Frage nach dem, was er hoffen dürfe, in eins mit der Frage nach dem, was er wissen könne und was er tun solle. Glückseligkeit ist, wie er meint, als Erfüllung von Neigungen nur möglich, wenn man glückswürdig ist. Auf die Glückswürdigkeit könne man allerdings nur hoffen, weil Moralität und Glückseligkeit in keinem Kausalitätsverhältnis zueinander stünden – letztere also nicht zwangsläufig aus der erstgenannten hervorgehe. Hoffnung ist für den Königsberger sehr eng mit der Religion verbunden, genauer gesagt mit Heiligkeit, unter der das Ideal einer absoluten Angemessenheit der Gesinnungen in Bezug auf das moralische Gesetz zu verstehen ist. Einer solchen Vollkommenheit im Sinne einer völligen Freiheit von Neigungen können wir Menschen als endliche Wesen aber niemals entsprechen. Aus der postulierten Unsterblichkeit der Seele lässt sich allerdings eine Berechtigung für das Streben nach dem oben erwähnten Ideal ableiten. Bidmon würdigt den Beitrag Kants zur Erörterung und zur Auseinandersetzung mit dem Phänomen Hoffnung mit folgenden Worten:
12 Ebd., S. 102 f.
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»Kants Verdienst als einer Übergangsfigur zum modernen Denken ist es (…), die Frage nach der Hoffnung im philosophischen Diskurs der Aufklärung nicht nur aufzuwerfen und ihre Virulenz als einen Gegenstand der philosophischen Beschäftigung anzuerkennen, sondern sie als eine der Grundfragen der Philosophie zu deklarieren.«13
Für Ernst Bloch (1885–1977) liegt in der Unzufriedenheit des Menschen dessen wertvollste Eigenschaft. Sie bildet die Quelle seines Strebens nach Verbesserung und den Ursprung seines Willens, etwas zu realisieren, das noch nicht ist, sich aber in der Erfahrung des Mangels bereits ankündigt. So lässt der Hunger den Menschen Werkzeuge für die Jagd erfinden und sein Kälteempfinden führt ihn dazu, Hütten zu bauen. Auf die Mangelerfahrung und die mit ihr gegebene Sehnsucht des Einzelnen sowie ganzer Gesellschaften ist Blochs Hoffnungsdeuten14 gegründet. In Blochs Augen stellt die Hoffnung eine tastende Vorwärtsbewegung dar, die nicht mit naivem Zukunfts- und Fortschrittsglauben verwechselt werden darf. Er stellt in einem Gespräch mit Theodor W. Adorno fest: »Hoffnung ist das Gegenteil von Sicherheit, ist das Gegenteil eines naiven Optimismus. In ihr steckt dauernd die Kategorie der Gefahr. Also Hoffnung ist nicht Zuversicht …«15 Der Existenzialismus schreibt, so kann grundsätzlich festgestellt werden, der Hoffnung hinsichtlich der Beurteilung ihrer Funktion und Bedeutung durch verschiedene Vertreter dieser philosophischen Strömung keine einheitliche Sichtweise und Einschätzung zu. Während Jean-Paul Sartre (1905–1980) in der »Hoffnung das schlimmste Hemmnis für das Handeln«16 erblickt, ist im literarischen Werk und philosophi13 Ebd., S. 144. 14 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. In: Ders.: Werkausgabe Bd. 5. Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1985 (geschrieben 1938–1947). 15 »Etwas fehlt …« Über die Widersprüche der utopischen Sehnsucht. Ernst Bloch im Gespräch mit Theodor W. Adorno (Gesprächsleiter: Horst Krüger; Rundfunksendung 6.5.1964). In: Ernst Bloch: Tendenz – Latenz – Utopie. Gesamtausgabe in 16 Bänden. Ergänzungsband. Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1978, S. 350–368; zit. nach Bloch – Utopische Landschaften. Zur Ausstellung im Schillerhaus Ludwigshafen-Oggersheim 16.7.–18.10.1992. Baden-Baden o. J., S. 9–29 (29). 16 Jean-Paul Sartre: Zum Existentialismus – Eine Klarstellung. In: Ders.: Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 8 2016, S. 113–121 (117).
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schen Schaffen von Albert Camus (1913–1960) ein differenzierteres Verhältnis zur Hoffnung nachweisbar. Camus »erweist sich (…) nur auf den ersten Blick als einer der schärfsten Kritiker der Hoffnung. (…) In Analogie zu Nietzsche verabschiedet jedoch auch Camus die Hoffnung nicht gänzlich (…). So konstatiert er: ›Ich stelle hier also fest, daß die Hoffnung [l’espoir] nicht für immer ausgeschaltet werden kann und daß sie selbst die befallen kann, die sich von ihr befreien wollten.‹«17
Was die Verweisungszusammenhänge und Verwurzelung der Hoffnungsthematik in und mit der Theologie anbelangt, so gehört das Wissen um diese Verbindungslinien und Verquickung in größerem Ausmaß zum Alltagswissen, als dies bei Behandlung und Erörterung dieses Gegenstands in anderen Wissenschaften der Fall ist. Als Grund könnte die Häufigkeit angeführt werden, mit der sich das Hoffnungsphänomen in der Bibel – sowohl im Alten als auch im Neuen Testament – wiederfindet, z. B. in den alttestamentlichen Psalmen und in den Paulusbriefen.18 Des Weiteren mag das traditionelle bzw. gewohnheitsmäßige Denken die Ursache dafür sein, dass Fragestellungen, Zeremonien und Rituale, die im weiteren oder engeren Sinne mit Hoffnung zu tun haben oder in Zusammenhang gebracht werden, gewissermaßen ›automatisch‹ mit der Kirche, ihren Institutionen und Ritualen in Verbindung gebracht werden: Geburt und Taufe eines Kindes, Trauung und Ehe eines Paares oder Tod und Beisetzung eines Familien-/ Gemeinde(mit)glieds.
17 Bidmon: Denkmodelle der Hoffnung in Philosophie und Literatur, a. a. O., S. 220; Binnenzitat aus Albert Camus: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde. Karl Rauch Verlag: Bad Salzig; Düsseldorf 1950, S. 144–149 (144). 18 Zum Beispiel: Ps 33,22 (»Deine Güte, HERR, sei über uns, wie wir auf dich hoffen«); Ps 37,5 (»Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen«); Röm 12,12 (»Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet«); Röm 15,13 (»Der Gott der Hoffnung aber erfüllt euch mit aller Freude und Frieden im Glauben (…).«); 1 Kor 13,13 (»Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«); Eph 4,4 (»(…) ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung.«); Kol 1,27 (»(…) nämlich Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit.«).
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Ein direkter, augenfälliger Zusammenhang zwischen Theologie und Hoffnung ist mit Jürgen Moltmanns (geb. 1926) Buch Theologie der Hoffnung19 gegeben, in dem der evangelische Theologe in für damalige Zeiten mutiger und konfrontativer Manier ›Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie‹ – so der Untertitel – anstellte. Über lange Zeit hinweg waren einige Spezialgebiete der Psychologie, insbesondere die Klinische Psychologie und die meisten psychotherapeutischen Ansätze und Verfahren stark auf seelische Probleme, psychische Erkrankungen, Störungen, Krisen und Devianz fokussiert. Erst vor nicht allzu langer Zeit, vor allem unter dem Einfluss des amerikanischen Psychologen Martin Seligman (geb. 1942)20 und dessen Wiederaufgreifen des von Abraham Maslow (1908–1970) 1954 eingeführten Begriffs ›Positive Psychologie‹ in den 1990er-Jahren, wurde das im vorigen Absatz erwähnte negative Paradigma verlassen. Dem durch ein scheinbar weit verbreitetes Helfer- und Retter-Syndrom geprägten Spektrum an Behandlungs-, Beratungs- und Therapie-Ansätzen mitsamt der ihm anhaftenden defizitären Begrifflichkeit wurden zunehmend positive, eher auf Stärken, Kompetenzen und vorhandene/erhaltene Ressourcen setzende Termini und Konzepte wie Glück und Wohlbefinden, persönliches Wachstum und individuelle Stärken eingeführt und zur Anwendung gebracht. Auch Potenziale und Eigenschaften wie Solidarität, Optimismus, Fähigkeiten und Ressourcen wie Verzeihen-können und schließlich auch Hoffnung gehören als wichtige Phänomene zu den Aspekten des Menschseins und zum Spektrum dessen, worauf Vertreter und Konzepte der Positiven Psychologie ihr Augenmerk und den Fokus richten. Eine eigentliche ›Psychologie der Hoffnung‹ (›The Psychology of Hope‹)21 hat der amerikanische Sozialpsychologe Charles R. Snyder (1944–2006) entwickelt. Darüber hinaus ist er der Herausgeber eines ›Handbuches der Hoffnung‹
19 Jürgen Moltmann: Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie. Kaiser: München 1964. 20 Martin Seligman; Mihaly Csikszentmihalyi: Positive Psychology: An introduction. In: American Psychologist. Vol. 55 No. 1 (2000), S. 5–14. 21 Charles R. Snyder: The Psychology of Hope: You Can Get There From Here. The Free Press: New York u. a. 1994.
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(Handbook of Hope),22 in dem er eine umfassende Darstellung der Hoffnung aus psychologischer Sicht bietet einschließlich der Beurteilung ihrer Wirkung, ihrer Entwicklung bei Kindern, der Verbindung zwischen dem Verlust von Hoffnung und klinischen Krankheitsbildern sowie therapeutischen Ansätzen, die für die Wiedergewinnung von Hoffnung hilfreich sein können. Im deutschsprachigen Raum haben sich u. a. Verena Kast (geb. 1943)23 und Heike Schnoor24 aus psychologischer bzw. psychoanalytisch-psychosomatischer Perspektive mit der Hoffnung befasst. Für Kast ist Hoffnung – in Anlehnung an Cicero (106–43 v. Chr.)25 – ein wichtiger und immerwährender Lebensbegleiter aufgrund der durch ihn vermittelten Vorstellungskraft und seines Vermögens, uns bei der Überwindung und Bewältigung schwieriger Lebenssituationen zu helfen. Schnoor verfolgt in ihrem Buch das Ziel, in kritischer Auseinandersetzung mit der Philosophie Blochs die Hoffnung psychoanalytisch zu untermauern und dergestalt auf Lebenskrisen anzuwenden. Im Bereich der Medizin wird Hoffnung einerseits mit neuen Forschungsansätzen und -methoden in Zusammenhang gebracht, die sich im Zuge der technologischen Entwicklung ganz allgemein (Stichwort Robotik) und der Informationstechnologie (IT) im Besonderen ergeben. Ferner ist für viele Menschen, in der Forschung Tätige und Ärzte, Patienten und Pflegepersonal, mit der Entwicklung neuer Medikamente und operativer Verfahren (Stichwort Transplantationsmedizin) häufig große Hoffnung verbunden. Vertreter der Kryonik setzen auf die Methode, bei der man »Menschen, die nach heutigem Stand der Medizin als ›verstorben‹ gelten, bei extrem niedrigen Temperaturen konserviert. Dahinter steckt die Hoffnung, dass
22 Charles R. Snyder (Hrsg.): Handbook of Hope. Theory, Measures, and Applications. Academic Press: San Diego u. a. 2000. 23 Verena Kast: Aufbrechen und Vertrauen finden: Die kreative Kraft der Hoffnung. Herder: Freiburg i. Br. 2001. 24 Heike Schnoor: Psychoanalyse der Hoffnung. Die psychische und psychosomatische Bedeutung von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Asanger: Heidelberg 1988. 25 Von Cicero (aus einem Brief an seinen Freund Atticus) stammt der Ausspruch »Dum spiro, spero« (dt.: »Solange ich atme, hoffe ich«).
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zukünftige Medizin den Menschen wieder zum Leben erwecken und die Todesursache heilen könnte.«26
Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch auf die – von manchen Lesern und Leserinnen vielleicht ebenfalls ›mit gemischten Gefühlen‹ aufgenommenen – aktuellen Meldungen über den erfolgreichen Einsatz einer neuen ›Genschere‹ hingewiesen, mit deren Anwendung HIV-infizierte Patienten hingegen große Hoffnungen verbinden mögen. Wie jede historische Epoche durch Krankheitskatastrophen epidemischen Ausmaßes ›gestraft‹, ›gegeißelt‹ oder geplagt war, so sehen viele Zeitgenossen heute in der Krebserkrankung, in Demenzen, vor allem in Form der Alzheimer-Demenz, und in Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen für sich persönlich und für die Allgemeinheit Gefahren und Bedrohungen, von denen sie sich sehnlichst und dringlichst eine Befreiung bzw. Erlösung erhoffen. Wurde im vorderen Teil der Einleitung das Interesse des Herausgebers an der Hoffnungs-Thematik persönlich-autobiographisch begründet und die Bedeutung des Phänomens für uns Menschen mit seiner anthropologischen Funktion in Zusammenhang gebracht, so soll zum Abschluss noch einmal aufgezeigt werden, inwiefern es gerechtfertigt sein kann, die Hoffnung in ihrer besonderen Relevanz für das höhere und hohe Alter, für das Älterwerden und Altern sowie für den älteren und alten Menschen in den Blick zu nehmen – Hoffnung also in ihrer gerontologischen Funktion und Bedeutung zu betrachten. Zum einen verbleibt dem alten Menschen gegenüber dem bereits gelebten Leben für die Zukunft nur noch ein relativ begrenztes Kontingent an Jahren übrig, die zudem häufig durch alterstypische Beschwerden, Erkrankungen und andere Problemlagen gekennzeichnet sind. So drängen sich ihm verstärkt sorgenvolle Fragen und quälende Gedanken auf: »Was kommt wohl danach, nach meinem Tod?« »Warum und wie lange muss ich dieses Leid noch ertragen?« oder »Was wird wohl aus meinen Kindern und Enkeln, wenn ich nicht mehr da bin?«, »Wird er/sie allein zurechtkommen, wenn ich ›gegangen‹ bin?« und
26 Dirk Nemitz: Kryonik – Hoffnung auf eine Medizin der Zukunft. In: Leidfaden. Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer. 6. Jg. H 1 (2017), S. 20–22 (20) (Schwerpunktthema der Ausgabe: Hoffnung – ein Drahtseilakt).
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schließlich: »Wann wird denn endlich Frieden sein auf dieser Welt?« oder »Ist unser schöner Planet noch zu retten?« Zum anderen muss der alte Mensch erfahren, dass immer mehr Personen und Menschen aus seinem Umfeld und Bekanntenkreis, aus seinem Jahrgang, seinem Wohnort und seiner Nachbarschaft versterben: Es wird einsam, man fühlt sich verlassen, kommt ins Grübeln und wird nachdenklich: »Wie lang habe ich wohl noch?«, »Wann bin ich an der Reihe?« … Das Bewusstsein über die Endlichkeit des menschlichen, des eigenen Lebens und über die Unausweichlichkeit des Todes meldet sich immer öfter und immer erbarmungsloser. Allerdings entspringt das zuvor gezeichnete Bild nur einer Perspektive und es kann durchaus sein, dass ein großer, möglicherweise sogar der größere Teil der Seniorinnen und Senioren – Statistiken sind hier sekundär – eine andere Sichtweise einnimmt, dessen Bild vom Alter(n) nicht in dunklen, sondern in hellen, bunten Farben gezeichnet ist und er diesen Lebensabschnitt hoffnungsvoll als eine Zeit der Freiheit begreift und empfindet: Man ist vieler Pflichten entbunden, ist ›entpflichtet‹ und kann seine Unabhängigkeit genießen. Möglicherweise sind z. T. auch die Theoriegebäude der Psychologie und Gerontologie bzw. die auf ihrer Basis entstandenen Ansätze wie das von Robert James Havighurst (1900–1991) erstmals 1948 entworfene Konzept der Entwicklungsaufgaben (›developmental tasks‹)27 letztlich nicht stichhaltig bzw. angemessen, weil zu ›normativ‹ und ›statisch‹. Jedenfalls lässt sich hinterfragen, ob das breite, vielleicht sogar unendliche Spektrum des von Person zu Person biografisch, durch Idiosynkrasien, Einstellungen, Charaktere und andere Variablen geprägten ›Kompositums Hoffnung‹ überhaupt in ein solches Schema bzw. ›Raster‹ wie das der Entwicklungsaufgaben eingepasst werden kann! Sind es nicht (auch oder sogar vor allem) die kleinen, im Alltäglichen verankerten Glücksmomente und -zustände, auf welche die Hoffnung vieler alter Menschen gerichtet ist und in denen diese Hoffnung z. T. und bisweilen mit Sehnsucht und Verlangen verschmilzt: Noch einmal Lust und sexuelle Befrie-
27 Das ›Konzept der Entwicklungsaufgaben‹ geht davon aus, dass sich der Mensch im Laufe seines Lebens bzw. seiner Entwicklung (development) phasenspezifischen Problemen und Aufgaben (tasks) gegenübersieht, die es zu bewältigen gilt.
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digung empfinden, noch einmal die Kraft und Spontaneität, die Zügellosigkeit und das Sich-gehen-lassen der Jugend, des Verliebtseins und der Hingabe!? Wenn wir das Jenseitige, das Transzendente, das, was – vielleicht oder gewiss – nach dem Leben kommt oder kommen soll und was einen wesentlichen Bestandteil unserer abendländischen, christlich geprägten Kultur ausmacht, einmal beiseite lassen und ausblenden – sind es dann nicht eher die besagten, im Alltag und der Alltäglichkeit aufgehobenen Dinge, die viele ältere Menschen sich – und sei es im Stillen – erhoffen und nicht die ›großen Würfe‹, die ›weltbewegenden‹, philosophischen Themen und wissenschaftlichen Theoriegebäude? Ist nicht vielleicht die Hoffnung des ›Alltagsmenschen‹, auch des älteren Menschen in seiner Lebenswelt, stärker und öfter auf ›Dinge im Hier und Jetzt‹ gerichtet, auf das, was ihm und uns allen ›über den Tag hilft‹ und als eine Art kleiner Hoffnungsfunke die Eintönigkeit des immer Gleichen und Selben unterbricht und ertragen lässt? Dass der Sechser im Lotto in dieser Woche wahr werde, dass die Kinder rechtzeitig zum Essen kommen und es bei der Enkelin in der Schule doch nur einmal zu einer besseren Note langte oder die Brieftaube, die sich nach der Rückkehr vom Flug so zeitig auf dem nachbarlichen Hausdach niedergelassen hatte, doch endlich in den heimischen Schlag käme. Aber vielleicht ist es selbst bei derartig bescheidenen ›Hoffnungsinhalten‹ sinnvoll, dem Erhofften durch eigenes Handeln eine Basis zu geben und die Hoffnung insofern selbst zu ›begründen‹, zumindest aber günstige Bedingungen zu schaffen dafür, dass sich die erhofften ›Inhalte‹ auch erfüllen. Ein solchermaßen pragmatischer Ansatz wäre wohl ganz im Sinne des Mannes und großen Reformators, dessen Jubiläum im Jahr 2017 begangen wurde und dem der Spruch zugeschrieben wird: »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute ein Apfelbäumchen pflanzen.« Abschließend sei in einer kurz gefassten Übersicht die thematische Abfolge der Beiträge aufgezeigt: Zu Beginn zeigt Hanne Seemann anhand einer Fallvignette auf, dass eine in der biografisch-reflektierenden Selbstwahrnehmung zunächst negativ erscheinende und beurteilte Lebensbilanz letztlich noch eine unerwartete, positive Wendung nehmen kann. Als ›handlungsleitende Metapher‹ greift sie in ihrem hier vorgestellten Erfahrungsbericht auf das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten zurück. Dieses sei gut geeignet, um einem älteren Menschen trotz zeitlicher Begrenzung »noch ein wichtiges Stück Zukunft aufzuschließen«. 21
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In einem zweiten Beitrag stellt Brigitte Dorst die vielen Gesichter des Alters vor, geht auf mögliche Alterskrisen und auf Symbole der Hoffnung ein, beschreibt die Hoffnung als ein zu lernendes Phänomen und verweist auf stärkende Bilder und Symbole in der »Schatzkammer der Seele«. Daran anschließend führt Angelika Zegelin Hoffnung und Pflegebedürftigkeit zueinander, skizziert vor dem Hintergrund ihrer reichhaltigen praktischen Erfahrung ein Hoffnungsverständnis in der Pflegearbeit und erklärt in ihren Ausführungen die Ermutigung zu einer pflegerischen Aufgabe. Zudem hebt sie die Bedeutung der Hoffnung im Hospiz hervor und stellt den ›Hoffnungsspaziergang‹ als eine nachahmenswerte Möglichkeit der Intervention in Krankenhäusern vor. Im darauf folgenden vierten Beitrag berichtet Corinna Schmohl aus ihrer langjährigen Tätigkeit in der Krankenhausseelsorge, um vor diesem Hintergrund ihre Wahrnehmungen und Reflexionen zu schildern und darzustellen, wie Hoffnung und Lebenssinn bei älteren Patientinnen und Patienten repräsentiert sind. Sein Wirken als Priester in einer westfälischen Pfarrei und seine theologische Qualifikation sind Quellen und Bezugspunkte der Reflexionen von Willi Stroband. Er geht der Frage nach, ob man »seine eigenen Erfahrungen nicht mit denen der Bibel verknüpfen« könne, und ob es nicht Berührungspunkte oder prinzipielle Ähnlichkeiten zwischen der Situation der Menschen der Gegenwart gebe und der, die uns in den alten Texten der Bibel entgegentritt – insbesondere hinsichtlich existenzieller Fragen wie der des Älter-Werdens. Margot Klein wendet sich mit den Erfahrungen aus ihrer Tätigkeit in einer Beratungsstelle für ältere Menschen im vorletzten Beitrag dem Thema Hoffnung und Hoffnungslosigkeit zu. Sie gelangt im Verlauf ihrer Überlegungen zu der Einsicht, dass ›Hoffnung‹ heutzutage in gewisser Weise altmodisch geworden sei und man stattdessen eher von ›Perspektive‹ oder ›Zukunft‹ spreche. Während der Hoffnung ursprünglich sehr viel an Gefühl innewohnte: Wünsche, Emotionen, Bangen und Warten, habe sie sich zwischenzeitlich versachlicht und in vielen Diskursen auch verflüchtigt. Die Betrachtung der Hoffnung im Alter aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen schließt mit dem Beitrag von Jürgen Rieck, der das Thema aus juristischer Warte beleuchtet und aufarbeitet. Nachdem der Autor eingangs feststellt: »Hoffnung und Recht passen eigentlich nicht zusammen«, gelingt es 22
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ihm dennoch, uns anhand aktueller, lebensnaher Beispiele die Begriffe Rechtssicherheit und Hoffnung als zueinander gehörig zu vermitteln. Der Herausgeber bedankt sich an dieser Stelle ganz herzlich für die Mühe und das Engagement der Autorinnen und Autoren, für die ›geopferte‹ Zeit und die Zurückstellung anderer Dinge während der Arbeit an ihren Texten. Ein besonderes Wort des Dankes gebührt schließlich der Lektorin des Mabuse-Verlags, Frau Nicola Weyer, für ihre stets freundliche und konstruktive Zusammenarbeit sowie – last not least – Frau Ulrike Müller-Haarmann, die sich mit großer Geduld, viel Sachverstand und zahlreichen Anregungen, Hinweisen und Empfehlungen in das Projekt eingebracht hat. An das Ende dieser einleitenden Seiten möchte der Herausgeber seine eigene Definition von Hoffnung stellen, verbunden mit dem Wunsch, dass sich innerhalb des damit abgedeckten Raumes möglichst viele der nachfolgend geäußerten Gedanken, Ansätze und Ausführungen zusammenfinden können: ›Hoffnung ist der Wunsch nach Übereinstimmung zwischen Bedingungen und Erwartungen‹.
Literatur Bachmann, Ingeborg: Die gestundete Zeit. Frankfurter Verlagsanstalt: Frankfurt a. M. 1953 Bachmann, Ingeborg: Böhmen liegt am Meer. In: Dies.: Werke. Bd. 1: Gedichte, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen. Hrsg. von Kosche, Christine; von Weidenbaum, Inge; Münster, Clemens. Piper: München; Zürich 1978 Bidmon, Agnes: Denkmodelle der Hoffnung in Philosophie und Literatur. Eine typologische Annäherung. De Gruyter: Berlin; Boston 2016 Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. In: Ders.: Werkausgabe Bd. 5. Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1985 Bloch – Utopische Landschaften. Zur Ausstellung im Schillerhaus Ludwigshafen-Oggersheim 16. 7.–18. 10. 1992. Baden-Baden o. J. Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft/Dietrich Bonhoeffer. Hrsg. von Bethge, Eberhard. Mit einem Nachwort von Christian Gremmels. Kaiser: 15., durchges. Aufl. Gütersloh 1994 (Erstauflage: Kaiser: München 1951) 23
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Camus, Albert: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde. Karl Rauch Verlag: Bad Salzig; Düsseldorf 1950 (Erstausgabe: Le Mythe de Sisyphe. Essai sur l’absurde. Gallimard: Paris 1942) Duden. Das Herkunftswörterbuch. Dudenverlag: 4., neu bearb. Aufl. Mannheim u. a. [2006] »Etwas fehlt …« Über die Widersprüche der utopischen Sehnsucht. Ernst Bloch im Gespräch mit Theodor W. Adorno (Gesprächsleiter: Horst Krüger; Rundfunksendung 6. 5. 1964). In: Bloch; Ernst: Tendenz – Latenz – Utopie. Gesamtausgabe in 16 Bänden. Ergänzungsband. Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1978 Kast, Verena: Aufbrechen und Vertrauen finden: Die kreative Kraft der Hoffnung. Herder: Freiburg i. Br. 2001 Moltmann, Jürgen: Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie. Kaiser: München 1964 Nemitz, Dirk: Kryonik – Hoffnung auf eine Medizin der Zukunft. In: Leidfaden. Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer. 6. Jg. H 1 (2017), S. 20–22 Sartre, Jean-Paul: Zum Existentialismus – Eine Klarstellung. In: Ders.: Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 82016, S. 113–121 (Erstausgabe: L’Existentialisme est un Humanisme. Editions Nagel: Paris 1946) Schiller, Friedrich: Hoffnung. In: Ders: Werke Bd. 2,1. Gedichte in der Reihenfolge ihres Erscheinens 1799–1805 der geplanten Ausgabe letzter Hand (Prachtausgabe), aus dem Nachlass (Text). Hrsg. von Oellers, Norbert. Verlag Hermann Böhlaus Nachf.: Weimar 1983 Schnoor, Heike: Psychoanalyse der Hoffnung. Die psychische und psychosomatische Bedeutung von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Asanger: Heidelberg 1988 Seligman, Martin; Csikszentmihalyi, Mihaly: Positive Psychology: An introduction. In: American Psychologist. Vol. 55 No. 1 (2000), S. 5–14;
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