Dr. med. Mabuse 220_Resilienz

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Nr. 220 · März/April 2016 41. Jahrgang · D 6424 F · 8 Euro

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Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe

Resilienz

Schneller zum Facharzt – Servicestellen vermitteln Termine. Prävention im Blick – Das Gesundheitssystem Kubas. Arzneimittelrückstände im Wasser – Risiko für die Umwelt.

— Arbeitsleben — Seelische Widerstandskraft — Achtsame Schule — Forschung


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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, für die aktuelle Ausgabe haben wir ein Thema gewählt, das sich schon seit Längerem einer großen Aufmerksamkeit erfreut. In vielen Zeitschriften ist von Resilienz die Rede und auch der Blick in die Auslagen von Buchhandlungen macht deutlich, dass am Thema Resilienz scheinbar niemand vorbeikommt. Dabei ist die Definition von Resilienz weniger eindeutig, als man annehmen würde. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Materialwissenschaft und bezeichnet dort Materialien, die nach einer elastischen Verformung ohne Schaden in ihren Ausgangszustand zurückgebracht werden können. Sie sind biegsam und gleichzeitig besonders stabil. Übertragen auf den Menschen oder seine psychische Verfassung könnte man also sagen: Resilienz ist die Fähigkeit, sich bestimmten Umständen anpassen zu können, ohne darunter zu leiden. Doch nur um unsere Anpassungsfähigkeit geht es eben nicht. PsychologInnen verstehen unter Resilienz das Vermögen eines Menschen, eine Art seelische Widerstandskraft zu entwickeln, die es ihm erlaubt, auch in schwierigen Situationen oder akuten Krisen seelisch und körperlich gesund zu bleiben – oder aus solchen Krisen sogar gestärkt und mit neuen Perspektiven hervorzugehen. Besonders wichtig scheint dabei die Tatsache, dass Resilienz keine angeborene Eigenschaft ist, sondern durchaus gelernt werden kann. Dennoch muss man sich bewusst machen, dass ein solcher Lernprozess nach keinem festen Schema und nicht für jeden Menschen gleich schwer oder einfach verläuft. Es ist ein Trugschluss zu glauben, die Entwicklung von Resilienz sei etwas, das jede und jeden ohne große Mühe vor Burn-out, Stress und Arbeitsüberlastung schützen könne – so wie es manche Ratgeberliteratur zu vermitteln versucht.

Dr. med. Mabuse 220 · März / April 2016

Den verschiedenen Facetten von Resilienz gehen unsere AutorInnen in unserem Schwerpunkt nach. Sie stellen gängige Resilienzkonzepte vor und zeigen, wie in unterschiedlichen Lebensbereichen mit dem Thema umgegangen wird: etwa in der Schule oder am Arbeitsplatz. Zudem wird ein Blick auf die Resilienzforschung geworfen, die mit neurowissenschaftlichen Methoden untersucht, in welchen Bereichen unseres Gehirns Resilienz „entsteht” und warum sie bei einigen Menschen ausgeprägter ist als bei anderen. Darüber hinaus werden aktuelle Entwicklungen aus der Gesundheitspolitik beleuchtet: Ist die Entscheidung für eine generalistische Pflegeausbildung zukunftsfähig? Welchen Nutzen haben die neu eingerichteten Terminservicestellen, die gesetzlich Versicherte dabei unterstützen sollen, schneller einen Facharzttermin zu bekommen? Und werden Krankenkassen künftig die Kosten für Cannabis zu medizinischen Zwecken übernehmen müssen? Diesen und anderen Fragen widmen sich unsere AutorInnen außerhalb des Schwerpunkts. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Herzliche Grüße aus der Redaktion!

Franca Liedhegener

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Inhalt Wohin soll es gehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 14 Pflege – Ausbildung – Generalistik Bündnis „Pflege am Boden“

Rubriken

„Die Pflege liegt nicht mehr am Boden“ . . . . . . . . S. 16 Editorial

Der Kongress Pflege 2016 in Berlin Franca Liedhegener

Das Warten hat ein Ende

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Leserbriefe

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S. 18

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Nachrichten

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Cartoon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Servicestellen sollen Patienten schneller einen Facharzttermin vermitteln Wolfgang Wagner

Momentaufnahme . . . . . . . . . . . . . 13

Das gesundheitspolitische Lexikon . . . . . . . . . . . . . . S. 42

Neuerscheinungen

Terminservicestellen Matthias Schrappe

Broschüren/Materialien . . . . . . 69

Buchbesprechungen . . . . . . . . . . . 60

Zeitschriftenschau

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Virtuelle Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 43

Termine

Wie sich die Betreuung von Menschen mit Demenz von der Normalität entfernt Demenz Support Stuttgart

Stellenmarkt/Fortbildung

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Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Ergebnisse des BARMER-GEK Arzneimittelreports 2015 Gerd Glaeske Gesundheit anderswo: .....................

...

Kleinanzeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Fast zehn Prozent mehr Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . S. 46

Prävention als Erfolgsstrategie

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S. 48

Das kubanische Gesundheitssystem Jens Becker

Cannabis auf Rezept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 52 Neue gesetzliche Regelung in Planung Oliver Tolmein

Risiken und Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 53 Was Gesundheitsberufler über Arzneimittelrückstände im Wasserkreislauf wissen Engelbert Schramm und Maik Adomßent Gesundheitsexperten von morgen:

Was wirkt wirklich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 56 Tabakprävention für Jugendliche in Deutschland Matthias Godehardt

Besser reich und gesund als arm und krank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 82 Joseph Randersacker

Foto: istockphoto.com/Anton Chalakov


Schwerpunkt:

Resilienz Was ist Resilienz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 22 Eine Einführung Klaus Fröhlich-Gildhoff und Maike Rönnau-Böse

Aus der Steinzeit an den Schreibtisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 26 Resilienz am Arbeitsplatz Dieter Sommer

Kinder entdecken Königskräfte

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S. 30

Ein Projekt zur Integration achtsamkeitsbasierter Methoden in der Grundschule Solveig Herrnleben-Kurz

Illusion der Stärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 34 Resilienz um jeden Preis? Christina Berndt

Das Gehirn als „Resilienz-Organ“ . . . . . . . . . . . . . . S. 37 Forschung am Deutschen ResilienzZentrum Mainz Isabella Helmreich, Klaus Lieb und Robert Nitsch

Resilienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 41 Bücher zum Weiterlesen


26 Schwerpunkt: Resilienz

Gesund arbeiten

Aus der Steinzeit an den Schreibtisch

Der Mensch ist ein Kind der Steinzeit. Foto: istockphoto.com/cbrandon

Resilienz am Arbeitsplatz

Dieter Sommer Viele Menschen betrachten Resilienz als ein Konzept, das ihnen dabei hilft, mit den Anforderungen der modernen Arbeitswelt umzugehen. Resilientes Verhalten findet man aber auch außerhalb von Ratgeberliteratur oder Coachings. Unser Autor blickt in die Steinzeit und zeigt, dass wir uns eine Menge von unseren Vorfahren abschauen können.

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esilienz hat viel mit der Frage zu tun, für welche Welt der Mensch erschaffen ist. Eigentlich sind Körper und Psyche für das Leben in der freien Natur gemacht. Das bedeutet sozialen Zusammenhalt in kleinen und überschaubaren Gruppen, viel Bewegung und ein eher knappes Nahrungsangebot. Es bedeutet aber auch wenig Lärm und nur gelegentliche Stresssituationen.

Das Jagen und Sammeln liegt dem Menschen mehr als die Arbeit am Bildschirm. Das Bewusstsein dafür, dass der Mensch in einer ihm fremden Welt lebt, spielt eine große Rolle. Es geht nun darum, diese fremde Welt etwas anders zu betrachten, als wir es sonst gewohnt sind.

Stress – damals und heute Der Stress der Steinzeit ist das Raubtier. Es kommt nicht sehr oft vorbei, aber wenn es sich von hinten anschleicht, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Flucht oder Angriff, beides aber ganz schnell. Darauf ist der Mensch hervorragend eingestellt. Bei Stress ist die Aufmerksamkeit sofort da, Unruhe und Aggression sind die beherrschenden Gefühle. Der Körper stellt in Sekundenschnelle die Energiereserven zur Verfügung – Puls, BlutDr. med. Mabuse 220 · März / April 2016


Gesund arbeiten

druck, Blutzuckerspiegel, alles steigt an. Und der Mensch entwickelt einen Tunnelblick: Er sieht nur noch das Raubtier. Die Gegenwart kennt andere Stressoren: Kunden, KollegInnen, Führungskräfte und MitarbeiterInnen. Der Impuls, anstrengenden Menschen mit Flucht oder Angriff zu begegnen, ist immer noch spürbar, wird aber sozial nicht mehr akzeptiert: Wir haben unsere Stressreaktionen kultiviert und leben ganz gut damit. Wo sollen wir also hin mit dem Stress? Es fällt sofort auf, dass Stress in der Steinzeit mit Bewegung beantwortet wird. Nur ausdauerndes Wegrennen, Kämpfen oder beides garantieren das Überleben. Danach darf sich der Steinzeitmensch aber auch eine längere Erholungspause gönnen. Heute erscheinen die Stressbelastungen zunächst weniger bedrohlich, sind dafür aber sehr präsent. Ständig schleicht sich das Raubtier in Form von Zeitdruck, Arbeitsverdichtung oder Lärm an. Wenn Stressvermeidung nicht gelingt, dann hilft das Rezept der Steinzeit: Bewegung.

Stress entsteht im Kopf Häufig beginnt der Stress mit dem Ärger über Dinge, die wir gar nicht ändern können. Das erzeugt negative Energien und hilft nicht weiter. Der Steinzeitmensch ärgert sich nicht über das Raubtier. Er nimmt die Situation an und entscheidet sehr schnell die Frage: „Soll ich angreifen oder soll ich fliehen?“ Diese Frage hat vor allem mit den eigenen Fähigkeiten zu tun: „Habe ich den Speer griffbereit?“ und „Kann ich schneller und länger laufen als das Raubtier?“ Die meisten Stresssituationen der Neuzeit sind nicht lebensbedrohlich. Deshalb benötigen wir auch den Tunnelblick nicht mehr. Heute können wir es uns leisten, den Stressfaktor von allen Seiten anzuschauen und nach neuen Lösungen zu suchen: „Liegen in der Herausforderung auch Chancen?“, „Können wir uns vielleicht sogar mit dem Raubtier anfreunden?“ Der Tunnelblick beinhaltet die Sichtweise „Ich muss“, ein offenes und kreatives Herangehen heißt „Ich möchte“. Ständige Stressbelastungen können uns demoralisieren. Die Belastungen des Arbeitsalltags verfolgen uns auch nach Hause und in die Freizeit. Unterstützt durch raffinierte Smartphones bleiben wir ansprechbar und machen uns ständig über die Arbeit Gedanken. Auch nachts, wenn wir eigentlich schlafen wollen, denken wir Dr. med. Mabuse 220 · März / April 2016

oft über die positiven und viel häufiger noch die negativen Fragen unserer Arbeit nach. Umgekehrt nehmen aber auch die privaten Anforderungen und die private Erreichbarkeit am Arbeitsplatz zu.

Erfolgreiche Stressbewältigung Der Steinzeitmensch ist vielen Gefahren ausgesetzt, sie treten aber selten auf. Oft sucht der Mensch nur den Horizont nach Feinden oder nach Beutetieren ab. Für den ständigen Blick auf kleine Monitore mit vielen und ständig wechselnden Informationen ist das menschliche Auge nicht gemacht. Es droht eine ständige Reizüberflutung. Eine Distanzierung davon muss daher aktiv erkämpft werden. Störungsfreies Arbeiten und störungsfreie Freizeit sind selten geworden. Beides sind aber wichtige Bestandteile erfolgreicher Stressbewältigung. Das Leben in der Wildnis stellt keine hohen Anforderungen an die Regulation von Gefühlen. In großen sozialen Gemeinschaften und in Arbeitszusammenhängen ist das anders. Hier ist ein kontrollierter Umgang mit den eigenen Gefühlen mehr als hilfreich. In vielen Situationen ist gerade die Selbstkontrolle eine wichtige Voraussetzung dafür, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten und zu lösen. Aber wo sollen wir hin mit dem ganzen Ärger? Es ist wichtig, achtsam für diese Gefühlsregungen zu sein, ihnen frühzeitig zu begegnen, sie zuzulassen und vielleicht mit anderen darüber zu reden. Das entlastet und schafft Verständnis. Und diese Achtsamkeit gibt auch Raum für die Wahrnehmung der positiven Gefühle, die oft schwächer, aber viel wertvoller sind. Diese Emotionen sind die Grundlage des psychischen Wohlbefindens.

Soziale Unterstützung Resilienz hat sehr wichtige soziale Aspekte. In den Bildern der Steinzeit heißt das: Für einen einzelnen Menschen ist es sehr schwierig, ein Mammut zu erlegen. Eine Gruppe, die gut miteinander kooperiert, hat eine viel größere Chance auf einen solchen Jagderfolg. Feedback ist ein unverzichtbares Element sozialer Unterstützung. Es gibt Orientierung und ist ein wichtiges Korrektiv des eigenen Verhaltens. Feedback kann positive und negative Aspekte beinhalten. Letztere können vom Kommunikationspartner als bedrohlich wahrgenommen werden und Widerstände wecken. Darauf

Schwerpunkt: Resilienz

muss Rücksicht genommen werden. Für das Arbeitsklima und die Arbeitszufriedenheit ist eine konstruktive Feedbackkultur von entscheidender Bedeutung. Auseinandersetzungen sind Ausdruck unterschiedlicher Interessen. Insofern sind sie grundsätzlich eine Chance zum Interessenausgleich und zur Veränderung. Werden Konflikte nicht angemessen bearbeitet, entwickeln sie allerdings die Tendenz zu eskalieren. Wenn es dann nur noch darum geht, dem anderen zu schaden, führt der Weg gemeinsam in den Abgrund. Moderne Menschen verbringen viel Zeit an ihrem Arbeitsplatz. Nicht bearbeitete Konflikte setzen dann auf Dauer große negative Energien frei. Zeitnahe Konfliktlösungen, manchmal auch mit externer Unterstützung, lohnen sich fast immer. Danach kann wieder störungsfrei und effizient gearbeitet werden.

Zeit für private Beziehungen Der Mensch braucht soziale Kontakte, um sich wohlzufühlen, um sich zu entwickeln und um seine Rolle in der Gesellschaft zu finden. Das Leben in den überschaubaren Clans der Steinzeit ist da vergleichsweise einfach. Heute sind die sozialen Beziehungen hoch komplex geworden – und wichtiger denn je. Häufig verändern sie sich aber mit dem beruflichen Engagement. Die beruflichen Kontakte ersetzen private Beziehungen, für die dann keine Zeit mehr da ist. In beruflichen Krisen ist das ungünstig – der Wechsel oder gar der Verlust des Arbeitsplatzes geht dann einher mit dem Verlust der sozialen Netzwerke, obwohl gerade dann die Unterstützung im Freundeskreis besonders wichtig wäre. Daher ist es bedeutsam, in guten, aber beruflich sehr ausgefüllten Zeiten breite private Beziehungen zu pflegen, auch wenn es schwerfällt. Die Betriebe können hier viel tun, indem sie ganz bewusst darauf achten, dass die Mitarbeitenden ausreichend Freiräume haben, ihre privaten Beziehungen zu pflegen. Eine übertriebene Orientierung an betrieblicher Gemeinschaft mit vielen Aktivitäten ist da eher hinderlich.

Gesund Arbeiten In der Steinzeit geschieht die Arbeit im Einklang mit der Natur. Sammeln und Jagen sind durchaus gefährliche Tätigkeiten, aber sie sind vielseitig und beugen den Zivilisationskrankheiten vor (die es

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Schwerpunkt: Resilienz

Gesund arbeiten

damals natürlich noch nicht gab). Moderne Gesellschaften haben ein anderes Problem: Durch den hohen Grad der Arbeitsteilung können Arbeitsvorgänge enorm einseitig sein. Diese Einseitigkeit kann sich sowohl auf motorische Anforderungen (etwa ununterbrochenes Sitzen) als auch auf psychische Anforderungen (z. B. ständiges Arbeiten unter Zeitdruck) beziehen.

„Häufig beginnt der Stress mit dem Ärger über Dinge, die wir gar nicht ändern können. Das hilft nicht weiter.“ Arbeit ist eine wichtige Ressource. Sie stiftet Sinn, ermöglicht eine positive Entwicklung und sichert eine feste Rolle in der Gesellschaft. Arbeit kann einen Menschen belasten oder aufblühen lassen. Die eigene Haltung zur Arbeit ist dabei ein ganz wichtiger Faktor. Nicht nur die Freizeit, auch die Arbeit muss Spaß machen. Auch der Stolz auf die eigene Arbeit gehört dazu. Wer diese Ansprüche aufgibt, verzichtet für die Hälfte seines Lebens auf einen freudvollen Alltag. Deshalb ist es so wichtig, negative Energien am Arbeitsplatz aktiv und konstruktiv anzugehen. Genauso wichtig ist es, sich die positiven Aspekte der eigenen Arbeit bewusst zu machen und mit anderen Menschen vor allem darüber zu reden (und nicht darüber, was im Arbeitsalltag mal wieder alles nicht geklappt hat). Im Arbeitsalltag kommt Wertschätzung häufig zu kurz. Fehler binden eben eine größere Aufmerksamkeit als die Dinge, die gut laufen. Manchmal geht die Wertschätzung auch nur aus purem Zeitmangel unter, obwohl sie so viel zu einem positiven und effizienten Arbeitsalltag beitragen kann. Immer häufiger wird Dringendes erledigt, Wichtiges bleibt dagegen liegen. Die Gedanken fangen an, um den ewigen Zeitdruck zu kreisen, es meldet sich das Gefühl, nie mit der Arbeit fertig zu werden und immer öfter folgen einem die Gedanken an die Arbeit auch in die Nacht. Was kann ich nun ändern, wenn die Arbeit nicht weniger wird? Eine Sache er-

fordert viel Disziplin: Die Aufgaben hintereinander zu erledigen. Für Multi-Tasking ist der Mensch nicht gemacht. Der Versuch, mehrere Aufgaben zugleich zu erledigen führt zu nichts anderem, als ständig hin und her zu springen – die Arbeit wird dann langsamer und schlechter verrichtet.

Wer ist schuld? Ist die Lage schlecht, schauen wir gern darauf, wer schuld daran ist. Dabei ist diese Frage völlig uninteressant, letztlich kommt es immer darauf an, wer die Konsequenzen trägt – und das ist selten derjenige, der Schuld hat. Dementsprechend gilt es, in schwierigen Situationen Ursachen und keine Schuldigen zu suchen. Das eröffnet den Blick auf die eigenen Handlungsspielräume und führt dazu, Veränderungen selbst in die Hand zu nehmen. In Arbeitszusammenhängen geht es dann darum, sich selbst als Gestalter stressreduzierter Arbeitsprozesse wahrzunehmen und nicht als reines Stressopfer. Führungskräfte sollten solche Wahrnehmungen keinesfalls stärken. Organisationen, in denen die Haltung „Das kann man nicht ändern“ vorherrscht, können kaum auf Veränderung hoffen. Vielmehr wird hier die sich selbst erfüllende Prophezeiung eintreten, dass sich wirklich nichts ändert.

Gesunder Lebensstil Was kann ich für meine Gesundheit tun? Und wie stehen die Aussichten, obwohl ich immer älter werde? Alter ist keine Krankheit. 90 Prozent der Beschwerden werden durch den Lebensstil verursacht. Daher ist das Alltagsverhalten der Schlüssel zur Gesundheit. Ein resilienter Ansatz stellt hier die Frage: „Was hält mich gesund?“ und nicht „Was macht mich krank?“ Zurück zur Steinzeit: Der Mensch ist für ein bewegtes Leben gemacht. Laufen, Werfen, Springen, ab und zu auch Klettern und Schwimmen sind für den frühen Menschen die grundlegenden Anforderungen. Unsere modernen Arbeitsplätze haben damit wenig zu tun. Auch das riesige Medienangebot führt zu einem ungeahnten Bewegungsmangel, der krank macht. Wir müssen Bewegung also neu entdecken und langfristig in unserem Lebensstil verankern. In der Steinzeit muss der Mensch sich für seine Nahrung sehr anstrengen, er muss kämpfen oder mühsam sammeln. Heute

stehen wir einem nahezu unbegrenzten Nahrungsangebot gegenüber, es ist schwer, mit dieser Situation gut zurechtzukommen. Die Art sich zu ernähren basiert auf früh erlernten und sehr stabilen Gewohnheiten. Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten sind deshalb besonders schwer, sie vollziehen sich meist bei einer klaren Veränderung der Lebensumstände (z.B. die erste eigene Wohnung). Schließlich ist Erholung in der Freizeit unverzichtbar, um die Belastungen des Arbeitsalltages zu kompensieren. Ein erholsamer Urlaub braucht drei Phasen. In der Distanzierungsphase wird die Spannung heruntergefahren, die bewusste Entschleunigung ist hierfür viel besser geeignet als die hektische Abreise. Erst danach setzt eine wirkliche Regenerationsphase ein, die natürlich ausreichend lang sein sollte. Das Ausblenden der Alltagsprobleme am Arbeitsplatz ist ein guter Gradmesser dafür, wie weit die Erholung schon fortgeschritten ist. Auch die Rückkehr an den Arbeitsplatz soll mit kontrollierter Geschwindigkeit erfolgen. Die Aufwärmphase dient dazu, die positive Urlaubsstimmung und die Erholungswirkungen in den Arbeitsalltag hinüberzutragen. Die Erholung ist zudem durch die ständige Erreichbarkeit bedroht. Das Ausschalten des Smartphones ist daher oft schon der erste Schritt. Die Erkenntnis „Ohne mich geht es auch“ fällt zu Beginn nicht immer ganz leicht, kann dann aber sehr entspannend sein.

Innere Balance Die innere Balance ist vielfältig bedroht, kann aber täglich neu erkämpft werden. Dafür müssen Dramen abgewendet, Misserfolge bewältigt und das Selbstwertgefühl gepflegt werden. Wir stehen unter Leistungsdruck und erkennen, dass wir innere Widersprüche in uns tragen. Und es müssen immer wieder neu Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden: Die stark gewachsenen Handlungsspielräume und Wahlmöglichkeiten machen die Entscheidungsfindung nicht leichter. Dinge aufzuschieben ist eine häufige, aber eher ungünstige Lösung. Ohne Entscheidungen kommen Problemlösungen nicht voran. Resiliente Menschen machen Fehler und entwickeln sich nach der Methode „Versuch und Irrtum“. Sie lernen aus ihren Fehlern mehr als aus ihren Erfolgen. Und sie stehen zu ihren Fehlern. Das Dr. med. Mabuse 220 · März / April 2016


Gesund arbeiten

schafft ganz nebenbei eine viel größere soziale Akzeptanz, als die eigenen Fehler unter den Teppich zu kehren. Wer findet schon Menschen sympathisch, die scheinbar nie einen Fehler machen? Aber auch für Teams und Organisationen ist es wichtig, konstruktiv und lösungsorientiert mit Fehlern umzugehen. Eine positive Fehlerkultur heißt, Ursachen statt Schuldige zu finden und angstfrei über Fehler sprechen zu können. Die gute Beziehung zu sich selbst ist störungsanfällig. Bin ich nicht zu oft schon zu kurz gekommen? Haben es andere nicht besser und leichter als ich? Was muss ich denn tun, um genauso beliebt zu sein, wie mein Nachbar? Die Haltung zur eigenen Lebenslage ist ein entscheidender Faktor der eigenen Zufriedenheit. Objektive Rahmenbedingungen haben hier eine eher untergeordnete Bedeutung.

Zuversicht und Realismus Der Mensch ist ein Kind der Steinzeit. Das Rascheln im Gebüsch ist zwar meistens ein Kaninchen, trotzdem muss der Steinzeitmensch immer auch davon ausgehen, dass ihm gerade jetzt ein gefährliches Raubtier begegnet. In diesem Sinne ist er also pessimistisch und kann dadurch viel besser überleben. Die Gefahrenlage hat sich heute entspannt. Es gibt viel weniger böse Überraschungen als früher und nur selten gelingt es uns, durch eine pessimistische Grundhaltung einer Gefahr am Arbeitsplatz auszuweichen. Trotzdem tun wir uns mit dem Optimismus schwer – obwohl

uns eine zuversichtliche Haltung mehr Glück und Gesundheit bietet. Häufig konzentrieren wir uns nur auf unsere Schwächen und fragen uns: „Was kann ich nicht so gut?“ In vielen Situationen belasten wir uns mit der Angst, etwas falsch zu machen. Die meisten schwierigen Alltagssituationen haben wir aber so oder so ähnlich schon einmal gemeistert. Wir müssen uns also nur fragen: „Welche Stärken habe ich damals eingesetzt?“ Optimismus ist nicht besser oder schlechter als Pessimismus, er fühlt sich aber viel freundlicher an – und ist gesünder. Letztlich gibt es auch viel mehr gute als schlechte Erfahrungen im Leben, fraglich ist nur, welche wir uns merken und welche wir schnell vergessen. Auch wenn es hin und wieder wichtig ist, sich schlechte Erfahrungen (wie etwa, dass der Herd heiß sein kann) dauerhaft zu merken, so ist es nicht weniger wichtig, auch Freude, Stolz und Zuneigung im Gedächtnis zu behalten. Das Speichern der schlechten Erfahrungen schützt uns in vielen Situationen, mit den guten Erfahrungen lösen wir aber die meisten Probleme. Dabei zeigt sich immer wieder, dass die meisten Dinge ein gutes Ende nehmen.

Schwerpunkt: Resilienz

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langfristig geworden ist. Deshalb bedeutet Resilienz auch, langfristige Ziele für sich zu formulieren und im Auge zu behalten. Hilfreich ist es, immer wieder mit anderen Menschen über diese langfristigen Ziele zu sprechen, dann bleiben sie besser im Blick. Gerade beim Gesundheitsverhalten besteht ein großes Problem darin, dass wir die Rechnung erst spät zahlen müssen. Würden Bewegungsmangel, Fehlernährung, Dauerstress und Rauchen sofort Schmerzen verursachen, dann fiele uns ein gesundheitsgerechtes und resilientes Verhalten sehr viel leichter. Dadurch, dass der Körper erst Jahre später mit Beschwerden reagiert, geht viel Zeit verloren, obwohl absehbar ist, was auf uns zukommt. Resilienz am Arbeitsplatz stützt sich also darauf, die Ressourcen der Steinzeit zu nutzen und trotzdem die Veränderungen der arbeitsteiligen Gesellschaft zu berücksichtigen. ■

Was verleiht Ihnen Kraft? „Viel Bewegung!“

Zukunft und Perspektive Die Menschen der Steinzeit wurden nicht alt. Langfristige Überlegungen zur Gesundheit spielten da keine Rolle. Heute hingegen liegt unser Fokus darauf, gesund älter zu werden. Oder anders ausgedrückt: Unser Wohlstand sorgt dafür, dass die Perspektive auf unser Leben sehr

Dr. Dieter Sommer geb. 1959, GAmo – Gesunde Arbeit moderieren. dieter.sommer@ gamo.berlin www.gamo.berlin

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Klaus Fröhlich-Gildhoff / Tina Dörner / Maike Rönnau-Böse Prävention und Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen – PRiK Ein Förderprogramm 3., akt. Auflage 2016. 128 Seiten. 22 Abb. DIN A4. (978-3-497-02608-1) kt € [D] 24,90 / € [A] 25,60 (alle Preise inkl. gesetzlicher MwSt.)

Kinder lernen bereits im Kindergartenalter, kleine und große Krisen selbstständig zu überwinden, erwerben soziale Kompetenz und gehen entspannt mit Stress um. An diesen Ressourcen setzt das Programm PRiK an: Vorhandene Fertigkeiten von Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren werden gezielt gefördert und ihre Resilienz gestärkt. Im ersten Teil des Buches werden zentrale Elemente des Konzepts der „Resilienz“ erläutert – Selbst- und Fremdwahrnehmung, Selbstwirksamkeit und -steuerung, Stressbewältigung und Problemlösekompetenz. Im zweiten Teil finden sich 26 Fördereinheiten mit vielen Spielen, Übungen und Materialvorschlägen zur praktischen Umsetzung des Programms. Das vielfach erprobt und wissenschaftlich evaluierte Programm wurde für die 3. Auflage aktualisiert.

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as deutsche Gesundheitswesen ist schon seit einigen Jahren mit vielfältigen Herausforderungen und Umstrukturierungen beschäftigt. Das betrifft auch die gesundheitsbezogenen Berufe und deren Bildungskonzepte. Traditionelle Arbeitsgebiete werden infrage gestellt und neu definiert. Das bedeutet auch einen Wandel der Ausbildungen, Kompetenzentwicklung, Akademisierung und Professionalisierung. Im vorliegenden Buch diskutieren über 30 AutorInnen das Themengebiet. Zielsetzung der Herausgeber ist es, durch die verschiedenen Aufsätze theoretische Grundlagen und aktuelle berufs- und bildungsstrukturelle Entwicklungen im Wandel der Gesundheitsberufe zu beleuchten. Der Band liefert einleitend eine umfassende Klärung des Begriffes „Gesundheitsberuf“. Nachdenklich stimmt danach der Aufsatz über die Emanzipation des Pflegeberufes. Studierte Pflegende arbeiten in Deutschland selten „am Bett“, das im Studium erworbene Wissen gelangt so nicht direkt zu den Patienten. Pflegewissenschaftler sind in Lehre und Forschung aktiv und von der Praxis getrennt, dadurch bildet sich aus Sicht des Autors ein „Elitestatus“ heraus. Die Beiträge im umfangreichsten zweiten Kapitel des Bandes skizzieren Themen wie Innovationsdruck der gesundheitsberuflichen Qualifikationen, Akademisierung der Pflege, die Lehrerbildung, Lernorte, „Wellnessberufe“ und Gesundheitsberufe in Europa. Den Einstieg macht Gerhard Igl mit einem Aufsatz zur Situation und Entwicklung der Gesundheitsberufe. In seinem Beitrag wird knapp die Situation der Hebammen (Ausbildung, Zugangsvorrausetzungen) thematisiert. Ohne der Gesamtbeurteilung des Buches vorzugreifen: Der Berufszweig der Hebammen und die dramatischen Entwicklungen – Berufsausstiege aufgrund von untragbaren ökonomischen Zwängen – kommen im Buch zu kurz. Im dritten Kapitel geht es um die interprofessionelle Zusammenarbeit und die aktuellen Herausforderungen der gesundheitsberuflichen Arbeitswelt. Wel-

che Entwicklungsmöglichkeiten es hier gibt, zeigen Evans und Bräutigam in ihrem Beitrag. Daraus ergeben sich Fragen für künftige Untersuchungen, etwa inwieweit die Arbeitsgestaltung in Krankenhäusern darauf ausgerichtet ist, professionelles Handeln zu fördern, oder welche Effekte unterschiedliche Typen der Arbeitsgestaltung für Mitarbeiter und Patienten haben. Das Kapitel endet mit einem innovativen Beitrag zu Weiterentwicklung der Akademisierung der Pflege. Ein akademisches Bildungsmodell als Verzahnung von Medizin und Pflege könnte die Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit beider Disziplinen aktiv unterstützen. Kapitel vier wendet sich der Situation und Perspektiven der Forschung in den Gesundheitsberufen zu. Der Soziologe Michael Ewers zeigt, worin der Beitrag der Gesundheitsberufe zur Forschung besteht und wie notwendig sie zur Problemlösung vielfältiger Herausforderungen sind. Das Buch schließt mit einem Beitrag zur Deprofessionalisierung des Arztberufes. Wenn man der These des Autors folgt, nach der die Zeiten des „allmächtigen” Chefarztes vorbei sind, wäre eine Erweiterung der Perspektive auf die Rolle der Pflege wünschenswert gewesen. Und wo wir schon beim Wünschen sind: Das Berufsbild und die Entwicklungen des Hebammenberufes sowie die Bedeutung der generalistischen Pflegeausbildung wären aus meiner Sicht auch eine Betrachtung wert gewesen. Abgesehen davon ist das Buch eine gute Bestandsaufnahme der aktuellen, dynamischen, komplexen Entwicklungen in den gesundheitsbezogenen Berufen. Die Beiträge sind theoretisch fundiert und sinnvoll strukturiert. Verfügt der Leser über ein Basiswissen gesundheitswissenschaftlicher und -politischer Diskussionen, bieten sie reichlich Impulse für vertiefende Auseinandersetzungen. Das Buch ist für Experten im Gesundheitswesen und Studierenden gesundheitsbezogener Fächer zu empfehlen. Sabine Kalkhoff, Dipl.-Pflegewirtin (FH), Einrichtungsleiterin u. Lehrbeauftragte, Hamburg

Apollon University Press, Bremen 2015, 532 Seiten, 54,90 Euro Dr. med. Mabuse 220 · März / April 2016


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„Who was who in nursing history“, Bd. 7

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ieht man von Florence Nightingale (1820–1910) oder Agnes Karll (1868– 1927) einmal ab, sind viele Protagonisten der Krankenpflege in der BevĂślkerung kaum bekannt. Wem sagen schon beispielsweise die Namen Christoph Abderhalden (1955–2013), Ludwig Adler (1876– 1958), Marie Baum (1874–1964), Leonhard Brunner (1500–1558) oder Gertrud von Nivelles (626–659) etwas? Dabei gehĂśren sie zu jenen Menschen, die die Krankenpflege ihrer Zeit ganz entscheidend mitgeprägt haben. Ihre und mehr als 100 andere Porträts finden sich daher im neuesten Band des „Biographischen Lexikons zur Pflegegeschichte“. Wie die Bände 4 (2008), 5 (2011) und 6 (2012) wird auch Band 7 von dem Pflegehistoriker Hubert Kolling herausgegeben, der auch Mitglied im Editorial Board der von ihm mit initiierten und nunmehr bereits im vierten Jahr erscheinenden Fachzeitschrift Geschichte der Pflege (www.geschichte-der-pflege.info) ist. Einen besonderen Bezug zu dem Thema hat Kolling nicht zuletzt dadurch, dass er in den 1970er Jahren eine dreijährige Ausbildung als Krankenpfleger absolvierte und eine Zeit lang in dem Beruf sowie als Dozent an verschiedenen Krankenpflegeschulen arbeitete. Neben dem Herausgeber haben 18 AutorInnen aus Dänemark, Deutschland, Kroatien, Ă–sterreich und Slowenien an diesem Band mitgewirkt. Die einzelnen Beiträge bieten eine schnelle Ăœbersicht Ăźber die Lebensdaten und Werke von PflegepersĂśnlichkeiten, die bislang noch wenig oder gar nicht allgemein bekannt sind. Im Vorwort weist der Herausgeber darauf hin, dass das Spektrum der vorgestellten Biografien breit gestreut ist und – ausgehend von einem weit gefassten Begriff „Pflegeberuf“ – neben unmittelbar in der Pflege Wirkenden von Adeligen und Medizinern Ăźber Theologen bis hin zu Gewerkschaftern reicht. Hinzu kommen Pflegehistoriker, -wissenschaftler und -direktoren, HospitalgrĂźnder und deren Vorsteher, Lehrbuchautoren, Vertreter der mittelalterlichen Krankenpflege, verschiedener Ordensgemeinschaften und Dr. med. Mabuse 220 ¡ März / April 2016

hpsmedia, Nidda 2015, 328 Seiten, 34,80 Euro

www.klett-cotta.de/fachratgeber

NEU

203 Seiten, broschier t â‚Ź 19,95 (D). ISBN 978 -3- 608 - 94585- 0

Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte

Schwesternschaften ebenso wie Verbandsfunktionäre, die Einfluss auf die stationäre oder häusliche Krankenpflege hatten. Neben Lebensgeschichten und Schicksalen der FĂśrderer und Praktiker der jĂźdischen Krankenpflege fanden auch Menschen BerĂźcksichtigung, die mehr in die Breite als in die Tiefe und mehr zerstĂśrend als aufbauend wirkten. So sind erneut einige derjenigen aufgenommen worden, die während der Zeit des Nationalsozialismus im Hinblick auf die Krankenpflege wichtige politische Ă„mter innehatten oder sich an der sogenannten „Euthanasie“ beteiligten. Porträtiert werden zudem Menschen aus der Pflege, die sich – zumeist unter groĂ&#x;em persĂśnlichen Risiko fĂźr Leib und Leben – dem damaligen Unrechtsregime entgegenstellten. Unter den Biografien finden sich ferner Herausgeber und Redakteure von PflegeFachzeitschriften, Vertreter von Berufsorganisationen oder der „BehindertenPflege“, Krankenhaus-FĂźrsorgerinnen, „RĂśntgenschwestern“, bedeutende Hebammen, GrĂźnder und Vorsteher von Krankenpflegeschulen sowie Lehrer, Vertreter der Kriegskrankenpflege, der Häuslichen Krankenpflege, der Laienkrankenpflege, der Psychiatrischen Pflege und der Hospizarbeit. Während die Mehrzahl der vorgestellten Frauen und Männer aus Deutschland kommen, werden auch einzelne Personen und deren Leistungen fĂźr die Krankenpflege aus Bulgarien, Dänemark, England, Italien, Kroatien, Ă–sterreich, der Schweiz, der Slowakei und Slowenien porträtiert – in den meisten Fällen wird auch der sozialgeschichtliche Hintergrund der jeweiligen Epoche mitberĂźcksichtigt. Das „Biographische Lexikon zur Pflegegeschichte“ gehĂśrt als wissenschaftliches Nachschlagewerk zunächst in die Hände der Lehrenden und Lernenden an Krankenpflegeschulen, pflegewissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten. DarĂźber hinaus kann es aber auch jeder gewinnbringend zur Hand nehmen, der sich fĂźr die Geschichte der Krankenpflege interessiert. Dr. Michael KĂśnig, Dipl.-Pädagoge u. Dozent am Bildungszentrum Bad Staffelstein

Frank-M. St aemmler Kränkungen Kränkungen Warum treffen uns Kränkungen in intimen und anderen nahen Beziehungen oft so tief? Der Autor untersucht Entstehungsbedingungen und Dynamik dieser see lischen Verletzungen, analysier t die typischen Reaktionsmuster und zeigt bessere Verhaltensalternativen auf.

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160 Seiten, broschier t â‚Ź 16,95 (D) . ISBN 978-3- 608-86052-8

Hubert Kolling (Hg.)

Stephanie K aterle Wir ohne dich W ir o hn e d i ch Wie kĂśnnen Paare ihre Liebe bewahren, auch wenn der Lebenstraum ÂťFamilieÂŤ nicht sofort oder gar nicht in ErfĂźllung geht? Mit Erfahrungsberichten, Tests, Tipps und Ăœbungen hilft das Buch dabei, die Partnerschaft während dieser Lebensphase zu stärken.

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Simone Moses

Die Akademisierung der Pflege in Deutschland

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GENUSS tröstet die Seele. Alles, was sie beruhigt

IST KEINE SÜNDE.

ie Studiengänge zur Ausbildung von Lehrenden und Leitenden in der Pflege, die Anfang der 1990er Jahre in Deutschland entstanden, werden heute oft als Beginn der Akademisierung der hiesigen Pflege gewertet. Die Autorin Simone Moses beginnt ihre Ausführungen jedoch einige Jahrzehnte früher. Das Buch legt den Schwerpunkt auf die Rolle der Robert Bosch Stiftung als wichtigen Akteur bei der Weiterentwicklung pflegerischer Bildung in Deutschland. Da die Stiftung sich auf eine Verbesserung im Bereich der Krankenpflege konzentrierte, wird die Altenpflege nicht thematisiert, was die Autorin entsprechend begründet. Für ihre Analyse nutzt sie interne Papiere der Stiftung, etwa Sitzungsprotokolle oder telefonische Auskünfte damaliger AkteurInnen, und stellt diese in den Kontext anderer zeitgenössischer Veröffentlichungen. Das Buch beginnt mit einem kurzen Rückblick auf die 1950er und 1960er Jahre, in denen die Krankenpflegeausbildung ziemlich reformresistent als „Sonderweg“ der Ausbildung nicht im Berufsbildungssystem der Bundesrepublik verankert werden konnte. Auch die 1970er Jahre brachten nur ein zögerliches Umdenken innerhalb der Krankenpflege. Die Robert Bosch Stiftung konzentrierte sich in ihrem Programm zunächst auf das Gesundheitssystem und die Krankenhäuser, aber noch nicht gezielt auf die Pflegeberufe. Erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bewirkten der sich verschärfende Mangel an Pflegekräften im Krankenhaus (damals „Pflegenotstand“ genannt) das zunehmende Selbstbewusstsein der Krankenpflegekräfte und nicht zuletzt die Wiedervereinigung von BRD und DDR einen größeren Reformdruck. Die im Jahr 1992 von der Robert Bosch Stiftung vorgestellte Denkschrift „Pflege braucht Eliten“ forderte die Akademisierung von Lehr- und Leitungskräften in der Krankenpflege und wurde breit rezipiert. Damit verbunden war ein umfangreiches Förderprogramm, das es deutschen Pflegekräften ermöglichte, sich mit Promotionen und Habilitationen weiter zu qualifizieren. Das Buch endet mit einem Blick auf das Jahr 2000, als die Stif-

tung in der Denkschrift „Pflege neu denken“ neue Qualifikationsstufen bei den pflegerischen Bildungsgängen vorschlug. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass eine vollständige Akademisierung der Pflegeberufe, also Studienmöglichkeiten schon für die Erstausbildung, Ende der 1980er Jahre keine Aussicht auf die Akzeptanz der Beteiligten gehabt hätte. Lediglich die Beschränkung auf die Funktionen Unterricht und Leitung sei „bei sozialpolitischen Akteuren und Einrichtungen“ akzeptabel gewesen. Im Jahr 2015 stellt sich diese Frage so nicht mehr: Überall in Deutschland kann Pflege mittlerweile grundständig studiert werden. Die zögerliche Haltung der Bundesregierung bei der Reform der Pflegeausbildung zeigt jedoch, dass auch heute eine stärkere Akademisierung der Pflegeberufe noch längst keine Selbstverständlichkeit ist. Eine kritische Reflexion der Tatsache, dass zu Beginn der 1990er Jahre Studiengänge zu Pflegemanagement und Pflegepädagogik eingerichtet wurden, obwohl die zugrunde liegende Pflegewissenschaft an deutschen Universitäten und an den Fachhochschulen kaum verankert war, leistet das Buch nicht. Inwieweit diese seltsame Entwicklung die heutige Situation prägt, bleibt weiteren Studien vorbehalten. Das Buch liest sich gut und kann als Schnelldurchgang durch ein knappes Vierteljahrhundert der Bemühungen um eine verbesserte Pflegebildung gesehen werden. Als ehemalige Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung war es für mich spannend, hinter die Kulissen der Entstehung von „Pflege braucht Eliten“ zu sehen. Für alle, die in den Pflegestudiengängen lehren, sowie historisch interessierte LeserInnen sollte das Buch zur Standardlektüre werden. Dass im Vorwort die Geschichte der Krankenpflege als Bereich der Medizin genannt wird, ist ärgerlich, sollte das Lesevergnügen jedoch nicht schmälern. Mathilde Hackmann, wiss. Mitarbeiterin an der Ev. Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie, Hamburg

Hans Huber Verlag, Bern 2015, 188 Seiten, 39,99 Euro Dr. med. Mabuse 220 · März / April 2016


Buchbesprechungen

Giovanni Maio

Colin Crouch

Geschäftsmodell Gesundheit

Die bezifferte Welt

Wie der Markt die Heilkunst abschafft

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ie Pressekonferenz beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) im November 2015 endete überpünktlich. Iris Hauth, Chefärztin und seriöse Präsidentin der Fachgesellschaft, rief auf zu einer Demo gegen das geplante „pauschalisierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik“, die Analogie zu den DRGs. Vorbereitend hatte die Gesellschaft Giovanni Maio als Festredner geladen. Der Medizinethiker aus Freiburg formuliert griffig, welche Haltung die neuen Entgeltsysteme im Gesundheitswesen züchten. Deren Credo: „Ich tue das Richtige nur gegen Belohnung“. Das jedoch widerspreche dem Selbstverständnis der Profession(en) grundlegend. Es habe so nicht primär die Bedürfnisse der Patienten im Blick, auch nicht die eigene Kompetenz, sondern den eigenen Geldbeutel. Jeder kranke Mensch, sagt Maio, braucht Hilfe als Mensch. Je schwerer jemand krank ist, umso weniger genügt es, seine Knochen, sein Herz oder sein Hirn zu behandeln. Doch genau darauf reduziert sich notwendig jede Hilfe, die von außen exakt definierbar ist. Wer medizinische Abläufe aber objektiv dokumentieren und nur diese bezahlen will, muss sie standardisieren.

Wie die Logik der Finanzmärkte das Wissen bedroht Die Standardisierung von Abläufen kommt aus der Industrie, sie dient dazu, maximalen Ertrag pro Zeiteinheit zu erwirtschaften. Das überträgt man immer mehr auf die Medizin, obwohl die Arbeit guter ÄrztInnen oder Pflegender eine Basis hat, die sich der Standardisierung entzieht: Gespräch und Beziehung. Wen wundert es da noch, dass die nicht abgerechnet werden? Daraus folgert Maio in seinem Buch: Wer die Medizin als Industrieprodukt konzipiert, beschädigt sie in ihrem Kern. Standardisierte Patienten fühlen sich so wenig wahrgenommen, dass sie nicht mehr mitmachen. Das verhindert Heilung. Andererseits korrumpiert Standardisierung die Helfenden, indem sie ihr Denken verändert. Sie macht intrinsische Motivation zu extrinsischer, womit sie zuerst die Freude an der Arbeit ruiniert und dann die Kompetenz selbst. Manchmal treibt diese ökonomische Weltsicht skurrile Blüten, etwa bei der Alzheimer-Geschichte, über die Colin Crouch berichtet. Crouch, bis vor kurzem Ökonomie-Professor im britischen Warwick, beschreibt in seinem Buch, was geschieht, wenn wir unser Gemeinwesen so marktkonform machen wie die Produktion. So wollte der britische National Health Service (NHS) Hausärzte dazu bringen, Alzheimer-Demenz früher zu diagnostizie-

ren. Der NHS fragte nichts, erklärte nichts, bot keine Fortbildung an. Er setzte nicht auf Kompetenz, sondern auf Gier. 55 Pfund bot er Hausärzten. Für jede Diagnose, nicht für jede zutreffende. Die Ärzte fühlten sich korrumpiert, die Patienten verschaukelt, der Plan wurde begraben. Wo ist der Unterschied zu Bonuszahlungen in deutschen Chefarztverträgen? Crouch zeigt an vielen Beispielen aus dem britischen Gesundheits-, Schul- und Hochschulwesen, wohin es führt, wenn Finanzbranche und Markt überall das Sagen haben. Dann werden alle Menschen zu Kunden oder Verkäufern, für die es nur noch einen Maßstab gibt: einfachste Zahlen, Messungen des Allersimpelsten. Da sich aber vieles Wichtige gerade nicht so einfach messen lässt, verlieren Behörden und Institutionen dramatisch an inhaltlicher Kompetenz. Und die Bürger verlieren Bildung, Gesundheit, Zufriedenheit – und Rechte. Maio beschreibt die Folgen des Neoliberalismus im Medizinsystem: den Verlust an Qualität. Crouch liefert die ökonomische Analyse und nicht-medizinische Beispiele. Wichtig sind beide. Barbara Knab, Wissenschaftsautorin, München

Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, 250 S., 21,95 Euro / 2014, 164 S., 8,99 Euro

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Buchbesprechungen

Fachverband SAPV Hessen (Hg.)

Handbuch Qualitätsmanagement in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung

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ür Menschen – jeden Alters – mit einer schweren Erkrankung, die in absehbarer Zeit zum Tode führen wird, gibt es seit 2007 einen Rechtsanspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) im sogenannten primären Versorgungsbereich (zu Hause, im Pflegeheim). Dieses Angebot ist in Hessen so geregelt, dass ein multidisziplinäres Team, im Kern bestehend aus palliativmedizinisch beziehungsweise -pflegerisch ausgebildeten und erfahrenen ÄrztInnen und Pflegenden, auf geregelte Antragstellung hin eine Primärversorgung, etwa durch ambulante oder stationäre Pflegedienste der Grundversorgung beziehungsweise Hausärzte, ergänzt. Darüber hinaus bezieht es zusätzliche Dienstleister wie Sozialdienste oder ambulante Hospizgruppen ein und koordiniert diese. Das Ziel ist es, eine fachliche Rund-um-dieUhr-Begleitung Sterbenskranker und ihrer Angehörigen im häuslichen Umfeld zu gewährleisten. So sollen unnötige Krankenhauseinweisungen vermieden und – sofern von den Betroffenen gewünscht – das Sterben zu Hause oder in einer stationären Pflegeeinrichtung ermöglicht werden. Die SAPV hat sich in Deutschland je nach Bundesland heterogen entwickelt. Es gibt deutliche Unterschiede in den Vertragsstrukturen, dem Leistungsspektrum und den Vergütungen. In Hessen hat sich mit dem Fachverband SAPV Hessen vergleichsweise früh eine Vernetzung der einzelnen SAPV-Teams entwickelt. Ein AutorInnenteam aus dessen Reihen hat jetzt ein Handbuch vorgelegt, in dem

Bestattung & Begleitung in Frauenhänden

Leitbild, Kernprozesse und Standards dieses Arbeitsbereichs dargestellt werden. Zunächst ist das Handbuch eine Bestandsaufnahme der Arbeitsabläufe und -prozesse. Diese Dokumente und Beschreibungen sind eine Grundlage für Verhandlungen mit den Verbänden der Gesetzlichen Krankenversicherungen in Hessen. Darüber hinaus empfiehlt es sich SAPVDienstleistern und -Fachverbänden in anderen Bundesländern zur Orientierung in der eigenen Entwicklung. Ausgehend vom Leitbild „Palliative Care in der SAPV“, dass sich durch eine hohe und wertschätzende Orientierung am subjektiven Erleben der PatientInnen und ihrer Angehörigen auszeichnet, werden die Kernprozesse der SAPV in Bezug auf die Patienten, ihre Angehörigen, auf die Arbeitsorganisation sowie die Vernetzung mit Kooperationspartnern dargestellt. Es folgt eine Übersicht über SAPV-spezifische Standards, Öffentlichkeitsarbeit, Bildungskonzepte, gesetzliche Regelungen, Hygiene und Arbeitssicherheit. Jedes Kapitel beinhaltet wesentliche Mustertexte und -formulare. Abschließend steht ein Kapitel zum „Metathema“ Qualitätsmanagement. Das Handbuch will als Prozessstufe einer Qualitätsentwicklung verstanden werden, die die Pionierarbeit der hessischen SAPV-Entwicklung aufzeigt: einerseits um den in nur wenigen Jahren entwickelten Standard als Orientierung für weitere regionale Entwicklungsarbeit aufzubereiten, andererseits um bundesweit einen Vergleichsstandard anzubieten. Insbesondere wird durch die Darstellung der Abläufe und Prozesse deutlich, welchen hohen Stellenwert Kommunikation und Koordination im multidisziplinären SAPVTeam haben. Gerade dabei mangelt es bekanntlich eher bei AkteurInnen des Gesundheitswesens häufig an Kompetenzen, was dann immer wieder zu unnötigem Leid und überflüssigen Kosten führt.

Die formale Präsentation zeigt in einigen Aspekten Entwicklungsbedarf: Die vielen Formularschemata machen zwar die Komplexität des SAPV-Prozesses deutlich, erschlagen teilweise jedoch in der aufeinanderfolgenden Dichte und Redundanz. In den Beschreibungen der Prozesse fehlen leider Hinweise zu den entsprechenden Formularen. Die unterschiedlichen Formate der Schaubilder empfand ich als eher irritierend. Sehr anschaulich erscheinen mir dagegen die strukturierten Übersichtsdarstellungen zu den Qualitätskriterien für die einzelnen Prozessschritte der SAPV. Ich wünsche mir für die nächste Auflage, dass zu den Qualitätskriterien orientierend auch das jeweilige Bezugsthema genannt wird. Im Abkürzungsverzeichnis sind leider nicht alle im Text verwendeten Abkürzungen aufgenommen. Hilfreich wäre eine alphabetische Ordnung des Literaturverzeichnisses. Literaturverweise im Text – aktuellnicht durchgehend stimmig – könnten unproblematisch an diese Ordnung angepasst werden. Insgesamt ist das Buch ein beeindruckendes Dokument der gesundheitsfachlichen und -politischen Pionierarbeit eines regionalen Zusammenschlusses unterschiedlicher Berufsgruppen und Institutionen, die ihre hohe Professionalität und Netzwerkkompetenz der Verbesserung der palliativen Versorgung im nichtklinischen Bereich koordiniert zur Verfügung stellen. Adelheid von Herz, Palliativfachpflegekraft eines Hospizes in Frankfurt am Main

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2015, 230 Seiten, 59,95 Euro

Wir sind Bestatterinnen & ’Seelen-Hebammen’. Liebevolle Begleitung ist unser Herzensanliegen - überall in Deutschland seit 1999! Ajana Holz & Merle von Bredow Tel 0700 - 361 797 33 (12c/min) . Büro 07977 - 911 874 www.die-barke.de . info@die-barke.de

Dr. med. Mabuse 220 · März / April 2016


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