Nr. 226 · März/April 2017 42. Jahrgang · D 6424 F · 8 Euro
www.mabuse-verlag.de
Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe
Arbeit und Gesundheit
Präventionsgesetz – Hoffnung oder Ernüchterung? Generalistik und Bürgerversicherung – Debatten ohne Ende. Selbstmedikation – Behandlung in Eigenregie.
— Betriebliche Gesundheitsförderung — Infektionen — Stress — Angehörigenpflege
+ en! n re uch a sp uss % a 30 enk ch s Ge
Abo & Geschenk
1
2 Gutsch
Gutsche
ein
Nr.
in des M abuseBuchve Abos D r. med. rsande s verwen Mabus e, CDs, DVDs, Sp dbar für Büch er, iele u.v. m. Eu
über
ro ( in Wo
für
rten:
)
Bitte be
stel
len Sie un Kasseler ter Angabe de Bücher-Gutschein Str. 1 a r Gutsch E-Mai
· 60 ei rsand@ 486 Frankfur nnr. beim Mab t · Te mab use-Bu chversa (Mabus use-verlag.de l.: 069-70 79 nd e-Buch 96-16 versand · www.mabus --> Büch e-verla g.de er)
l: buchve
Frankfur t am
Main, de n
Mabus e-Buch versand
Prämie 1: ein Buch aus dem Mabuse-Verlag www.mabuse-verlag.de
Prämie 2: Büchergutschein im Wert von 10 Euro Einlösbar beim Mabuse-Buchversand
lesen und ... ... Zusammenhänge erkennen ... mit anderen Gesundheitsberufen ins Gespräch kommen ... Fachwissen vertiefen ... sich für ein solidarisches Gesundheitswesen engagieren
Ich abonniere Dr. med. Mabuse – Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe und erhalte sechs Ausgaben zum Vorzugspreis von 32 (statt 44) Euro/SchülerInnen und Studierende für 21 Euro (mit Nachweis):*
Name: Straße: PLZ/Ort: Bitte einsenden an:
Tel./Fax:
Fax: 069-70 41 52 E-Mail: abo@mabuse-verlag.de
E-Mail: Datum/Unterschrift: Als Geschenk erhalte ich: ■ Prämie 1: ein Buch meiner Wahl aus dem Mabuse-Verlag: _____________________ (alle Bücher unter www.mabuse-verlag.de/Mabuse-Verlag)
Mabuse-Verlag GmbH Abo-Service Dr. med. Mabuse Postfach 90 06 47 60446 Frankfurt am Main www.mabuse-verlag.de
■ Prämie 2: einen Büchergutschein im Wert von 10 Euro oder ■ Prämie 3: eine Aboprämie von der Webseite: ________________________________ (alle Prämien online unter www.mabuse-verlag.de/Zeitschrift-Dr-med-Mabuse/Abo/) * Zuzüglich einer einmaligen Versandkostenpauschale von 3 Euro (Inland) bzw. 9 Euro (Ausland). Das Schnupperabo zum Vorzugspreis läuft für ein Jahr und geht danach in ein reguläres Abo über (44 Euro pro Jahr, zzgl. Versandkosten), falls Sie es nicht zwei Monate vor Ablauf kündigen. Das Schüler-/StudentInnenabo (nur bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises) läuft für ein Jahr und wird jeweils automatisch um ein weiteres Jahr verlängert.
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser, die meisten von uns arbeiten, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können – im Idealfall in einem Job, der uns Spaß macht. Arbeit ist dennoch häufig einfach Pflicht, oft Belastung und Stress. Wir denken bereits am Montag an das nächste Wochenende, ärgern uns über die erneuten Überstunden oder verfluchen die arbeitsbedingten Rückenschmerzen. Arbeit hat also auch immer mit unserer Gesundheit zu tun – sie kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf unser Wohlbefinden haben. Bei Menschen in Gesundheitsberufen gilt dieser Zusammenhang gleich doppelt: Mit ihrer Arbeit beeinflussen sie die Gesundheit der ihnen anvertrauten Menschen und die Art und Weise, wie sie ihre Arbeit ausüben, wirkt sich wiederum auf ihre eigene Physis und Psyche aus. Die Beiträge unseres Schwerpunktes greifen dieses Wechselspiel auf. So geht es etwa um den Zusammenhang von Stress am Arbeitsplatz und (psychischen) Erkrankungen sowie um arbeitsbedingte Infektionen im Gesundheitswesen und deren Prävention. Zwei Artikel nehmen beruflich Pflegende in den Blick: Darin zeigen unsere Autorinnen zum einen, welchen Herausforderungen sich Pflegekräfte stellen müssen, die nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Rahmen pflegen. Zum anderen stellen
sie Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung vor, durch die Beschäftigte in der Pflege entlastet werden können. Ein Beitrag zu den Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie erläutert die globale Perspektive von Arbeit und Gesundheit. Neben dem Schwerpunkt befassen sich die AutorInnen dieser Ausgabe mit Themen aus der Gesundheitspolitik: Wann wird endlich das Pflegeberufegesetz verabschiedet? Wird die Bürgerversicherung (schon wieder) zum Wahlkampfthema? Welche Rechte haben Menschen am Lebensende? Und was hat uns das Präventionsgesetz bis heute gebracht? Wir wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre und senden herzliche Grüße aus der Redaktion!
Franca Liedhegener
Ann-Kathrin Roeske
Fotoserie „Chirurgen auf der Baustelle“ Fünf Teams der Chirurgie und Anästhesie ließen sich 2010 inmitten der größten Klinikbaustelle des Landes Baden-Württemberg ablichten: beim Neubau der Ulmer Chirurgie. Die Chirurgen und Anästhesisten waren mit Ernst und Spaß bei der Sache, die Bauarbeiter erlebten heitere Momente der Irritation mit den „grünen“ Männern und Frauen und ihren merkwürdig feingliedrigen Gerätschaften samt Knochenmodell. Skalpell traf auf Schneidbrenner, Gips auf Beton, Mundschutz auf Helm, Rost auf Titan, Beatmungs- auf Wasserschlauch. Herausgekommen sind einmalige Aufnahmen, die von starken Kontrasten leben und einen ganz eigenen und eigenwilligen Blick auf den Kosmos einer Baustelle, die ein Krankenhaus wird, ermöglichen. Wir freuen uns, dass das Universitätsklinikum Ulm uns die Aufnahmen des Fotografen Heiko Grandel – die Sie auf dem Titel, im Inhaltsverzeichnis und auf Seite 21 finden – für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt hat und möchten uns ganz herzlich dafür bedanken!
Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
3
Inhalt Die Pflege zum Strahlen bringen . . . . . . . . . . . . . . S. 14 Bericht vom Kongress Pflege 2017 Ann-Kathrin Roeske
Entlastung für den Staatshaushalt?
.........
S. 16
Effekte einer Ausweitung der Krankenversicherungspflicht Martin Albrecht und Richard Ochmann
Debatten ohne Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 18 Generalistik und Bürgerversicherung in der Diskussion Wolfgang Wagner Das gesundheitspolitische Lexikon:
Die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg (SPK)
........
S. 38
Christian Pross
Versorgung am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 40 Viele Defizite werden von der Öffentlichkeit nicht diskutiert Oliver Tolmein
Zwischen Hoffnung und Ernüchterung . . . . . S. 42 Das Präventionsgesetz im zweiten Jahr Raimund Geene
Viele offene Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 45 Demenzerkrankung und Migrationshintergrund Nevin Altintop
Behandlung in Eigenregie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 48 Neue Daten zur Selbstmedikation in Deutschland Gerd Glaeske
Rubriken Editorial
...............................
Leserbriefe Cartoon
Gesundheit anderswo:
Nach Erfolgen alles wieder offen . . . . . . . . . . . . . . S. 49 HIV/Aids in Uganda Heike Hupach
3
...........................
7
...............................
8
Nachrichten
.........................
Buchbesprechungen
...........
9
59
Neuerscheinungen . . . . . . . . . . . . . 66
Die Kämpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 52 Ein Gespräch über das Leben nach dem Locked-in-Syndrom Karl-Heinz Pantke
Broschüren/Materialien
.......
71
Zeitschriftenschau . . . . . . . . . . . . . . . 72 Termine
..............................
Stellenmarkt/Fortbildung
...
73 75
Kleinanzeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Gesundheitsexperten von morgen:
Wenn Eltern onkologisch erkranken
.........
S. 54
Bedeutung für Kinder und Jugendliche als Angehörige Janina Schwabe
Besser reich und gesund als arm und krank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 82 Joseph Randersacker Foto: Universitätsklinikum Ulm
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Schwerpunkt:
Arbeit und Gesundheit Multitasking, Überstunden, Führungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 22 Macht stressige Arbeit (psychisch) krank? Barbara Knab
Gefährdungen erkennen und vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 25 Arbeitsbedingte Infektionen im Gesundheitswesen Sabine Wicker
Eine belastende Doppelrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 28 Beruflich Pflegende als pflegende Angehörige Nicole Ruppert
Arbeit als Gesundheitsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 31 Bedingungen in der weltweiten Bekleidungsindustrie Kirsten Clodius
Ressourcen stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 34 Betriebliche Gesundheitsförderung in der Pflege Gudrun Faller und Tanja Segmüller
Arbeit und Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 37 Bücher zum Weiterlesen
Eine Ausgabe von
verpasst?
Bestellen Sie einfach nach!
Nr. 225 (1/2017)
Nr. 224 (6/2016)
Nr. 223 (5/2016)
Nr. 222 (4/2016)
Nr. 221 (3/2016)
Nr. 220 (2/2016)
Interkulturalität
Gesundheit & Medien
Berührung
Psychosomatik
Familie
Resilienz
außerdem: Pflegestärkungsgesetz II • Gerechte Rollenverteillung bei Medikationsplänen • Kommentar zum rechtlichen Umgang mit Straftaten gegen PatientInnen
außerdem: Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Patienten – Pro/Contra • Teure Arzneimittel – ein Politikum • Humor in der Psychiatrie – angemessen und authentisch
außerdem: Fehlverteilung von Arztsitzen – AOKInstitut sieht keinen Ärztemangel • Offene Besuchszeiten – Pro/Contra • Voneinander Lernen – trotz Demenz
außerdem: „Die Altenpflege wird nicht abgeschafft.“ Interview zur generalistischen Pflegeausbildung • Sterbefasten – Ein persönlicher Fallbericht
außerdem: Wahl oder Pflicht? Schwangere zwischen Selbst- und Fremdbestimmung • Ökonomie vor Patientenwohl. Kritik an Kliniken • Nutzen von Nichtraucher-Apps
außerdem: Schneller zum Facharzt. Servicestellen vermitteln Termine • Prävention im Blick. Das Gesundheitssystem Kubas • Arzneimittelrückstände im Wasser
Nr. 219 (1/2016)
Nr. 218 (6/2015)
Nr. 217 (5/2015)
Nr. 216 (4/2015)
Nr. 215 (3/2015)
Nr. 214 (2/2015)
Flucht
Kunst & Gesundheit
Anthroposophie
Psychiatrie
Schlafen & Wachen
außerdem: Interview mit IPPNW-Gründervater Dr. Bernard Lown • Interprofessionelle Ausbildungsstationen in Schweden • Neuregelungen zu Sterbehilfe und Pflegereform
außerdem: Über die Anziehungskraft der Alternativmedizin • Entscheidungshilfe bei der Früherkennung • Ergebnisse aus dem Hessischen Pflegemonitor
außerdem: Personalmangel als Patientenrisiko. Ursachen und Auswirkungen • Risikoanalyse vor der Schwangerschaft? • Alkoholkonsum im Alter
außerdem: Ein kritischer Blick auf die DemenzSzene • Zweitmeinung als Patientenrecht • Neue Maßregelvollzugsgesetze in Niedersachsen und Schleswig-Holstein
Infektionen & Epidemien außerdem: Kommentar zum Entwurf für ein E-Health-Gesetz • Recht auf sexuelle u. reproduktive Selbstbestimmung
außerdem: Pflege-TÜV und Anti-Korruptionsgesetz auf dem Prüfstand • Sterbesituation in deutschen Pflegeheimen • Rezeptfreie Abgabe der „Pille danach“
Eine Gesamtübersicht finden Sie auf unserer Homepage www.mabuse-verlag.de Mabuse-Buchversand, Kasseler Str. 1 a, 60486 Frankfurt am Main E-Mail: buchversand@mabuse-verlag.de Tel.: 069-70 79 96 16, Fax: 069-70 41 52
Die Hefte 225 bis 219 kosten je 8 Euro, die übrigen je 7 Euro. Versandkosten: Einzelheft 3,95 Euro. Bei Zahlung mit Paypal, Kreditkarte oder mit SEPALastschrift liefern wir versandkostenfrei!
Sie wollen zukünftig keine Ausgabe mehr verpassen und Dr. med. Mabuse abonnieren? Unter ➟ www.mabuse-verlag.de/Zeitschrift-Drmed-Mabuse/Willkommen/ finden Sie die Bezugsbedingungen und ➟ attraktive Abo-Prämien!
Bekleidungsindustrie
Schwerpunkt: Arbeit und Gesundheit
31
Arbeit als Gesundheitsrisiko
Bedingungen in der weltweiten Bekleidungsindustrie
Kirsten Clodius Gesund zu bleiben scheint in der Textil- und Bekleidungsproduktion für FabrikarbeiterInnen heute fast unmöglich – zu hoch sind die Risiken, körperlich oder seelisch zu erkranken. Oft passiert beides. Unsere Autorin zeigt, wie katastrophal die derzeitigen Arbeitsbedingungen weltweit noch immer sind.
N
ach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation arbeiten heute 60 bis 75 Millionen Menschen weltweit in der Textil-, Bekleidungs- und Schuhproduktion. Drei Viertel der ArbeiterInnen sind Frauen.1 In den letzten 50 Jahren hat sich die Industrie deutlich verändert. Sie ist heute stark globalisiert und die einzelnen Produktionsschritte finden vorwiegend in den ärmeren Ländern rund um den Globus statt. Dabei unterhält kaum ein Unternehmen mehr eigene Produktionsstätten. In Zulieferfabriken wird für viele Marken gleichzeitig gefertigt. Hoher Arbeitsdruck, Überstunden und viel zu wenig Lohn sind Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
in der Produktion weltweit auch für deutsche Unternehmen eher Regel als Ausnahme.
Raubbau an Körper und Seele „Die Menschen arbeiten hier wie Roboter. Keine Ruhepause. Die Nerven sind ruiniert, die Augen verdorben.“ Natalia arbeitet in einer Nähfabrik in Bulgarien, aber sie spricht aus, was Näherinnen rund um den Globus erleiden. Dass „Made in Europe“ im Einnäher unserer Kleidung keine Garantie für bessere Arbeitsbedingungen als in China oder Bangladesch bedeutet, ist leider klar. Auch in Osteuropa ist der Lohn so gering, dass kaum ein/e ArbeiterIn davon ihr Leben in Würde bestreiten kann, geschweige denn eine Familie damit durchbringt. Die Arbeit in einer Bekleidungsfabrik, auch Sweatshop genannt, ist überall auf der Welt ein Knochenjob, der krank macht. „Im Sommer sind es 38 bis 39 Grad, und wir dürfen die Klimaanlage nicht einschalten. Einige Näherinnen sind zusammengebrochen, weil sie
32
Schwerpunkt
die Hitze nicht mehr ausgehalten haben. Im Winter sind es nur zehn bis zwölf Grad, und die Heizung wird nur kurz morgens und am Nachmittag aufgedreht“, berichtet die junge Frau in einem Interview für die „Kampagne für Saubere Kleidung“.2 Es sind vorwiegend Frauen, die unsere Kleidung nähen und sie sind trotz ihrer Vollzeitstellen in Armut gefangen. In kaum einem Produktionsland im Süden reicht der vorgeschriebene Mindestlohn, um die Grundbedürfnisse auch nur annähernd zu befriedigen. Die niedrigen Löhne führen dazu, dass ArbeiterInnen in den Fabriken extrem lange und bis zur Erschöpfung arbeiten müssen. Das und zu wenig Geld für Nahrungsmittel führen zu Mangelernährung, schlechten Wohnbedingungen und einer insgesamt schlechten Lebensqualität. Eine Studie aus Kambodscha stellte nach wiederholten massenhaften Ohnmachtsfällen in Kleidungs- und Schuhfabriken fest, dass die Hungerlöhne der ArbeiterInnen im wahrsten Sinne des Wortes nicht ausreichen, um täglich eine angemessene Kalorienzufuhr zu gewährleisten. Ausdünstungen der eingesetzten Kleber für Sohlen in Schuhfabriken lösen darüber hinaus immer wieder Kreislaufzusammenbrüche aus. Nikola arbeitet ohne Sozialversicherung als Heimarbeiterin in Bulgarien. Sie träumt davon endlich zum Zahnarzt gehen zu können, aber sie hat weder Zeit noch Geld für die Behandlung: „Ich stehe um 6:30 Uhr auf […]. Den ganzen Tag arbeite ich ohne eine Essenspause. Ungefähr um 16 Uhr trinke ich einen Kaffee und arbeite weiter bis 20 Uhr. […] Ich ruhe mich ein bisschen aus und um 21:30 Uhr gehe ich wieder an die Arbeit, bis ein oder zwei Uhr morgens.“3
Diskriminierung von Frauen und Zwangsarbeit Weltweit sind 75 Prozent der Arbeitskräfte in den Fabriken Frauen. Dass sie dort diskriminiert, sexuell belästigt, sogar vergewaltigt werden, ist noch immer verbreitet. Das Recht auf Mutterschutz wird oft nicht gewährt. Frauen verdienen teilweise für die gleiche Arbeit weniger als Männer und bekommen insgesamt die schlechter bezahlten und oft anstrengenderen Jobs in den Fabriken. Noch immer gibt es Zwangsarbeit, vor allem in den arbeitsintensiven Teilen der Produktionskette, etwa bei der Baumwoll-
Bekleidungsindustrie
Eine Bekleidungsfabrik in Maquila, Nicaragua 2012 (© Christliche Initiative Romero); Seite 31: Protest in Bangladesch (© Solidarity Center-Sifat Sharmin Amita) und eine Arbeiterin in Shen Zou (© Will Baxter).
ernte, aber auch in Webereien und Spinnereien. Sogenannte Camp-Labour-Systeme existieren vor allem im Süden Indiens weiterhin. Hier arbeiten junge Frauen in einer Art Schuldknechtschaft für ihren Brautpreis: Ein Großteil des Verdienstes, manchmal sogar der ganze Lohn, wird erst ausgezahlt, wenn der Arbeitsvertrag vollständig erfüllt ist. Die Frauen arbeiten in Zwölf-Stunden-Schichten und werden in überbelegten und schlecht ausgestatteten Schlafbaracken wie in Gefangenschaft gehalten. Laut der Regierung des Bundesstaates Tamil Nadu in Südindien waren Arbeitsunfälle bedingt durch Erschöpfung für 80 Prozent der Todesfälle von TextilarbeiterInnen verantwortlich. 15 Prozent waren Selbstmorde infolge psychischer Probleme durch die Arbeitsumstände und fünf Prozent infolge sexueller Belästigung.4 Unverhältnismäßig viele Arbeits- und Überstunden sind vor allem in Fabriken, in denen zugeschnittene Kleidungsstücke zusammengenäht werden, ein weitverbreitetes Problem. Um das hohe Produktionssoll zu schaffen und die Lieferfristen einzuhalten, müssen ArbeiterInnen meist bis zur totalen Erschöpfung arbeiten. In vielen Fällen sind Überstunden Pflicht, werden aber nicht rechtmäßig vergütet. Oft kommt es vor, dass ArbeiterInnen lange vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn anfangen zu nähen, um die verlangte Stückzahl des Tages zu erreichen – ohne dafür bezahlt zu werden.
Sicherheit am Arbeitsplatz Der Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes im April 2013 mit weit mehr als 1.000 Todes-
opfern lenkte erstmals die weltweite Aufmerksamkeit auf die Sicherheitsproblematik in den Textil- und Bekleidungsfabriken. Das hat Unternehmen unter Druck gesetzt, endlich mehr Verantwortung zu übernehmen. Tatsächlich ist mangelnde Sicherheit nicht nur in Bangladesch, sondern auch in vielen anderen Produktionsländern ein riesiges Problem. Außerdem machen die monotonen Bewegungen in unzähliger Wiederholung, wenig Frischluft und Hitze die langen Arbeitstage unerträglich, zumal in vielen Fabriken die Versorgung mit Trinkwasser unzureichend ist. Der Gang zur Toilette wird überwacht und bedeutet einen „Zeitverlust“, weshalb viele ArbeiterInnen darauf verzichten, ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen – chronische Nierenkrankheiten sind die Folge. In Honduras wurde im letzten Jahr vielen ArbeiterInnen mit Berufskrankheiten
Literatur 1 Celia Mather (2015): Garment Industry Supply Chains (Women Working Worldwide). 2 Das ganze Porträt wurde im Informationsblatt „Länderbeispiel Bulgarien“ zusammen mit dem Bericht der Clean Clothes Campaign „Im Stich gelassen: Die Armutslöhne der ArbeiterInnen in Kleiderfabriken in Osteuropa und der Türkei“ 2014 veröffentlicht, herausgegeben vom Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen (ENS), Erklärung von Bern (CCC). 3 Ebd. 4 Anibel Ferus-Comelo (2016): Die moderne Form der Sklaverei in indischen Spinnereien. Abrufbar unter https://femnet-ev.de/images/ downloads/sumangali/Studie-ModerneSklaverei_2016.pdf Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
Bekleidungsindustrie
Schwerpunkt: Arbeit und Gesundheit
Und seit 2014 gibt es in Deutschland mit der Gründung des „Bündnisses für nachhaltige Textilien“ durch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) ebenfalls Bewegung. Es wurde inzwischen immerhin ein großer Schritt der Willensbekundung von 190 Mitgliedern getan und es besteht die Hoffnung, tatsächlich ein Umdenken bei den mehrheitlich deutschen Unternehmen zu erreichen.
Engagement für bessere Arbeitsbedingungen
Kambodschanische Näherinnen protestieren für faire Löhne (© H Stilwell).
fristlos gekündigt, als sie ihren Anspruch auf Erwerbsunfähigkeit geltend machen wollten. Auch diejenigen, die versuchten, mit einem Gutachten über eine dauerhafte Behinderung in andere Produktionsschritte reintegriert zu werden, weil ihre Rente nicht annähernd zur Existenzsicherung ausreicht, scheiterten. Die staatlichen Aufsichtsbehörden griffen, wie in den meisten Ländern, nicht ein, ausländische Investoren werden möglichst wenig behelligt – sind sie doch oft die einzigen Kräfte, die überhaupt für Arbeitsplätze sorgen.
In den meisten Produktionsländern reagiert die Regierung mit Verhaftungen und Einschüchterungen. Dies verletzt nicht nur essenzielle Menschenrechte, sondern verwehrt den ArbeiterInnen den gemeinsamen Kampf für bessere Arbeitsbedingungen. Ausländische Unternehmen, auch deutsche, nehmen ihren Einfluss auf ProduzentInnen und Politik kaum wahr, sie kommen ihrer Verantwortung gegenüber denjenigen, die ihre Produkte fertigen, noch immer nicht ausreichend nach.
Rechtsweg ausgeschlossen – kaum Möglichkeiten für ArbeiterInnen
Es fällt aber auf, dass immer mehr Modeunternehmen und Sportartikelhersteller eigene und teilweise riesige Abteilungen für Corporate Social Responsibility (CSR), also für unternehmerische Sozialverantwortung, unterhalten und Nachhaltigkeitsprogramme auffallend stark bewerben. Leider geht es den meisten Unternehmen dabei vor allem um das eigene Image. Die Bundesregierung hält an Freiwilligkeit fest, statt verbindliche Regeln für Transparenz, Arbeits- und Sozialstandards einzuführen. So ist es schwierig, deutsche Unternehmen für Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in ihrer Produktion im Ausland haftbar zu machen. Engagierter sind da die meisten deutschen Outdoorbekleidungshersteller: Seit 2009 sind viele von ihnen Mitglied in der „Fair Wear Foundation“ geworden, einer niederländischen Kontroll- und Beratungsinitiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsherstellung.
ArbeiterInnen in Textilfabriken stoßen häufig auf großen Widerstand, wenn sie ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit geltend machen, sich also mit anderen zusammenschließen wollen. Gewerkschaftsmitglieder werden willkürlich entlassen und Streiks gewaltsam zerschlagen. In Nicaragua wurden jüngst NäherInnen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie aufgrund der unrechtmäßigen Kündigung zweier Gewerkschafter in ihrer Fabrik die Arbeit niederlegten, um dagegen zu demonstrieren. In China sitzt seit Dezember 2015 der Arbeitsrechtsaktivist Meng Han in Haft, weil er ArbeiterInnen einer Schuhfabrik bei Verhandlungen mit der Unternehmensleitung sowie einem Streik unterstützt hat. In Kambodscha wurde im Juli 2016 Kem Ley, ein politischer Berater und Mitstreiter der kambodschanischen Arbeitsrechtsbewegung, erschossen. Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
Nachhaltigkeitsprogramme oft Mogelpackung
In der „Kampagne für Saubere Kleidung“ macht sich die Christliche Initiative Romero (CIR) in enger Kooperation mit den PartnerInnen in den Produktionsländern für die Umsetzung sozialer Mindeststandards und die Durchsetzung des Vereinigungsrechts bei der Herstellung von Bekleidung stark. Nur so können sich die konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen in der Bekleidungsindustrie weltweit verbessern. Ziel der Kampagne ist es auch, dass sich große Modemarken und Sportbekleidungshersteller wie H & M oder Adidas endlich dazu verpflichten, einen existenzsichernden Lohn für alle an der Produktion beteiligten ArbeiterInnen sicherzustellen. Die „Kampagne für Saubere Kleidung“ wurde 1990 in den Niederlanden gegründet und ist seitdem stetig gewachsen. Mittlerweile ist sie in 15 europäischen Ländern aktiv. Fast 300 Gruppen aus den Bereichen Gewerkschaft, Frauenarbeit, Eine Welt, Kirche und anderen sind Mitglieder der internationalen „Clean Clothes Campaign“ (CCC). In Deutschland bilden über 20 Organisationen, darunter die CIR, die Trägerschaft dieser Kampagne. ■ Mehr Anregung zu grüner Mode unter: www.gruenemode.org (Grünes Mode-Portal der Christlichen Initiative Romero)
An meiner Arbeit gefällt mir am meisten … „..., dass wir eine Brücke zwischen Menschen im Süden und uns in Deutschland schlagen.“
Kirsten Clodius geb. 1976, ist Soziologin und bei der Christlichen Initiative Romero für die „Kampagne für Saubere Kleidung“ zuständig. clodius@ ci-romero.de www.ci-romero.de
33
Buchbesprechungen
Buchbesprechungen
Frank Wittig
Krank durch Früherkennung Warum Vorsorgeuntersuchungen unserer Gesundheit oft mehr schaden als nutzen
N
ach seinem ersten Spiegel-Bestseller „Die weiße Mafia. Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen“ legt der Wissenschaftsjournalist Frank Wittig mit diesem Buch seinen zweiten nach. Er untersucht die vielfach von Ärzten empfohlenen und auch durchgeführten Früherkennungen auf Brust-, Prostata-, Haut- und Darmkrebs sowie den allgemeinen Gesundheitstest beim Arzt, auch als „Check-up 35“ bekannt. Ebenso durchleuchtet er IGeL-Pakete auf ihre Sinnhaftigkeit. Brisanz erhielt das Thema kürzlich, als bekannt wurde, dass es üblich ist, dass Ärzte angehalten werden, die Codierung der Krankheiten ihrer Patienten zu optimieren, damit die Krankenkassen höhere Beträge abrechnen können. Klar ist, dass solche Schlagzeilen, die Emotionen schüren, ausreichen, um einige Menschen von Ärzten fernzuhalten. Doch ist das auch wissenschaftlich vertretbar? Seit vielen Jahren wird beispielsweise das Mammografie-Screening stark diskutiert. Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat konstatiert, dass in zehn Jahren auf ein bis zwei gerettete Leben fünf bis sieben Überdiagnosen kommen. Laut IGeL-Monitor handelt es sich bei einer
Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
Überdiagnose um eine „richtig erkannte Krankheit, die jedoch nicht auffällig geworden wäre, wenn man nicht nach ihr gesucht hätte“. Ebenso kommt der PSATest, mit dem man nach Prostatakrebs fahndet, nicht gut weg. Auch hier gibt es viele falsch positive Krebsdiagnosen mit möglichen Folgeschäden wie Impotenz und Inkontinenz. In den meisten Fällen lebten die Männer sehr gut mit diesem unerkannten Krebs und verstarben eher selten daran. Der in Praxen oft viel beworbene „Check-up 35“ zeigte bei 150.000 Studienteilnehmern keinen Einfluss auf die Sterblichkeit, zumal die Grenzwerte für den Blutdruck oder den Blutzucker immer weiter gesenkt werden. Sind Früherkennungsuntersuchungen also eher überflüssig? Dazu hat der Autor eine klare Meinung. Er möchte fair aufklären, überlässt es aber dem Leser, seine Schlüsse aus dem Gelesenen zu ziehen. Ein reifer Ansatz, der sich angenehm von der üblichen grellen Werbung für die Vorsorgeuntersuchungen abhebt. Wenn Frank Wittig sich gegen eines wendet, dann dagegen, dass aus ökonomischen Gründen aus Gesunden Kranke gemacht werden. Er betont jedoch auch, dass Vorsorge im Einzelfall durchaus Leben retten kann. Martina Eirich, Braunsbach
riva Verlag, München 2015, 224 Seiten, 19,99 Euro
Penny Simkin, Phyllis Klaus
Wenn missbrauchte Frauen Mutter werden Die Folgen früher sexueller Gewalt und therapeutische Hilfen
D
as Buch ist ein Grundlagenwerk über ein komplexes Thema und ein Ratgeber für die Heilung der Wunden betroffener Frauen. Der Weg fing in den USA in der Mitte der 1980er Jahre mit dem Feststellen eines Mangels an: fehlendes Wissen und unzureichende Forschung über die langfristigen Folgen, die ein Kindesmissbrauch nach sich ziehen kann und fehlende Kompetenz des medizinischen Fachpersonals. Die Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt kann (nicht: muss!) an frühe Zustände von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein erinnern und traumatische Zustände und Gefühle wieder hervorrufen. Die Autorinnen sind seit Jahren in der Schwangerschaftsberatung, Geburtshilfe und Nachsorge tätig, auch mit Veröffentlichungen. Zwischen theoretischen Ausführungen und praktischer Anwendung nehmen sie die Lesenden mit in ihre Praxis. Sie berichten über ihre Erfahrungen mit Betroffenen, mit dem medizinischen Personal sowie über ihr aus der Fachliteratur erworbenes Wissen über emotionale und körperliche Folgen der sexuellen Gewalt und über posttraumatische Belastungsstörungen. Zahlreiche Berichte von Betroffenen werden zur Illustration als Fallvignetten in den Text aufgenommen
59
60
Buchbesprechungen
R
Pflegeprofis vertrauen. RHOMBO-MEDICAL ® Produkte basieren auf Erkenntnissen der professionellen Pflege und wurden entwickelt für prophylaktische und/oder therapeutische Anwendungen in Kliniken, Pflegeheimen, Rehabilitationseinrichtungen und in der häuslichen Krankenpflege. Vertrauen auch Sie den professionellen RHOMBO-MEDICAL ®Produkten und erleben Sie „Die Ruhe, die beweglich hält®.“
Lück GmbH & Co. KG Vennweg 22 46395 Bocholt www.rhombo-medical.de
und können den Lesenden sehr nahe gehen. Das Buch soll dazu beitragen, Ärzte, Pflegekräfte und Hebammen für eine feinfühlige Begleitung der Betroffenen zu qualifizieren, indem sie einen achtsamen Umgang erlernen und Retraumatisierungen vermeiden. Das Werk gliedert sich in vier Teile: 1. Zunächst werden mögliche langfristige Folgen eines sexuellen Kindesmissbrauchs aufgezeigt und mögliche (nicht zwangsläufige) Auswirkungen auf eine spätere Schwangerschaft herausgearbeitet (z. B. schwangerschaftsbedingte Konflikte, Befürchtungen, Phobien und Ängste). „Viele Missbrauchsüberlebende haben aus nachvollziehbaren Gründen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Kontrollverlust, Hilflosigkeit, Nacktheit oder Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit.“ Durch unbewältigte Kindheitstraumata können sich diese Schwierigkeiten verschärfen. Allerdings ziehen Missbrauchserfahrungen nicht zwangsläufig eine traumatische Geburt nach sich. – 2. Kommunikation, Hilfe und Heilung: Etlichen missbrauchten Frauen fällt es schwer, über das traumatische Geschehen zu sprechen. Viele Betreuerinnen trauen sich nicht, sich nach einem möglichen Missbrauch zu erkundigen. Selbsthilfemethoden für die Prävention und Bewältigung psychischer Gewalt, Geburtsberatung und Psychotherapie werden ausführlich dargestellt. 3. Klinische Schwierigkeiten und Lösungen: ausführliche Beschreibung der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung einer gynäkologischen Untersuchung. Im vierten Kapitel finden sich mehrere Fragebögen zur Selbstbeurteilung, zu Strategien für spezifische Triggerformen und zur Selbsteinschätzung des psychischen Befindens nach einer schwierigen Geburt. Zum Schluss ein kurzer Text zu postpartalen Stimmungsstörungen, Risikofaktoren, Symptomen und Genesung. Die abschließende umfangreiche Literaturliste verzeichnet nur US-amerikanische Literatur, davon einige wenige Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung. Hans-Joachim Lenz, Freiburg i. Br.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2015, 323 Seiten, 38 Euro
Edzard Ernst
Homeopathy The Undiluted Facts
I
st es möglich, über Homöopathie noch einmal etwas Neues zu schreiben? Edzard Ernst gehört zu denen, die sich frühzeitig mittels eigener empirischer Studien und aktueller Literaturreviews um die Frage gekümmert haben, was an den verschiedenen Konzepten der sogenannten Alternativmedizin dran ist. Er war Inhaber des ersten Lehrstuhls für Komplementärmedizin in Exeter (Großbritannien). Jetzt im Ruhestand hat er sich vorgenommen, noch einmal, wie im Vorwort erläutert, sowohl für Laien als auch für Professionelle ohne allzu viel Fachjargon zu erläutern, was Homöopathie überhaupt ist und was von den befürwortenden wie ablehnenden Argumenten jeweils zu halten ist. Es geht um die Prinzipien der Homöopathie: Gleiches mit Gleichem behandeln, Potenzierung, Miasmen- und Krankheitslehre. Das Buch handelt von Legenden, dazu zählt Ernst die Vorstellung, Homöopathie gehöre zur Naturheilkunde oder habe grundsätzlich keine Nebenwirkungen. Man erfährt, wer Homöopathie in welchen Ländern nutzt und wie die Regierungen dies regulieren. Die Entwicklung der Homöopathie von Hahnemann bis zur Gegenwart wird auf knappem Raum geschildert. Für welche Erkrankungen wird sie eingesetzt? Warum versteht Homöopathie sich als Alternative zur sogenannten Schulmedizin? Was bedeutet eigentlich Evidenz im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Nachweisen? Und wie argumentieren Gegner und Befürworter? Das alles lässt sich auf 60 Seiten in wunderbarem Englisch nachlesen – und zwar deutlich systematischer und übersichtlicher als beispielsweise in dem auch nicht schlechten Wikipedia-Artikel. Dann schließt sich ein knapp 80 Seiten langes Lexikon an, das wirklich alles, was für ein vertieftes Verständnis der Homöopathie nötig ist, enthält: von Verschlimmerung (aggravation) über das Arndt-Schulz-Gesetz, Konditionierung und den Hawthorne-Effekt bis zu Luc Montagnier, Signifikanz und Vitalismus. Nun ist es kein Geheimnis, dass Edzard Ernst der Homöopathie kritisch gegenübersteht. Das Buch eignet sich aber meines Erachtens sehr gut als fundierte Basis für den heute ja wieder lebhaften Streit um die Verwendung und FinanzieDr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
Buchbesprechungen
rung der Homöopathie im deutschen Gesundheitswesen. Es hilft sehr, die eigenen Positionen zu überprüfen, außer man meint, das sei sowieso nicht nötig. Der Rezensent ist – das sei schließlich angemerkt – ein engagierter Kritiker der Homöopathie, der aber von der Lektüre profitiert hat: Hier spricht jemand, der wirklich alle Winkel dieses Konzeptes ausgeleuchtet hat. Norbert Schmacke, Bremen
Springer International Publishing 2016, 64 Seiten, 21,39 Euro
Wulf Bertram/Bernhard Siller
Der Igel Frederik
D
er Igel Frederik lebt vergnügt unter einem Brombeerbusch und lauscht mit Vorliebe den spannenden Erlebnissen der anderen Waldtiere, die ihn oft und gerne besuchen. Dabei liegt er genüsslich ausgestreckt auf seinem stacheligen Rücken und lässt sich die warme Sonne auf seinen flauschig weichen Bauch scheinen. Besonders genießt er es, wenn seine Freunde, allen voran das Igelmädchen Ida, dabei den Flaum seines zarten Bäuchleins kraulen. Dann wünscht er sich, dass er am ganzen Körper nur so eine empfindsame flauschige Haut hätte und bedauert es, dass sein Rücken stattdessen mit spitzen Stacheln gespickt ist. Er beschließt, sich nie wieder zusammenzurollen. Welch bittere und lebensgefährliche Erfahrungen er machen muss, um seinen Panzer schätzen zu lernen, dabei aber nicht ins Gegenteil zu verfallen und sich der Welt nur noch als missmutig zusammengerollte Stachelkugel zu präsentieren, erzählt der Arzt und Psychotherapeut Wulf Bertram in seinem liebevoll geschriebenen und von Bernhard Siller hinreißend illustrierten Kinderbuch. Es thematisiert eine Fähigkeit, die es meist nicht nur für Kinder zu lernen gilt: Es geht um eine gesunde Nähe-DistanzRegulation, um eine adäquate Balance zwischen Vertrauen und Misstrauen, die nicht immer leicht zu finden ist. Das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit wollen die meisten von uns genießen. Doch ein ausgeprägter Gutglauben beziehungsweise Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
eine unreflektierte Unvorsichtigkeit können uns schnell zum Verhängnis werden. Nur zu leicht verschlägt es uns dann in die extreme Gegenreaktion, in der wir jedes Zuwendungs- und Liebesangebot ängstlich abwehren, uns „einigeln“ und isoliert „verhungern“. „Der Igel Frederik“ mit Sillers kunstvollen Illustrationen und Bertrams liebevoll verständlichem Schreibstil ist ein außergewöhnliches Bilderbuch, welches nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen Freude bereiten wird. Kinder werden es zunächst als kleine spannende Tiergeschichte verstehen, über deren Bedeutung für einen achtsamen Umgang mit seiner Umwelt man mit ihnen gut ins Gespräch kommen kann. Und wer mag, kann auch als Erwachsener eine kleine wertvolle „therapeutische“ Lebensweisheit herauslesen. Dr. med. Samia Little Elk, Berlin
CMZ Verlag, Rheinbach 2015, 32 Seiten, 12,95 Euro
Martina Sendera, Alice Sendera
Gesund heitlich en Risike entgege n nwirken
Das Buch zeigt Zusammenhänge zwischen den Arbeitsbedingungen und der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit von pädagogischen Fach- und Leitungskräften am Arbeitsplatz Kita auf. Es unterstützt Kindertageseinrichtungen auf dem Weg zur gesundheitsfördernden Organisation. 2017, 202 Seiten, broschiert, € 16,95 ISBN 978-3-7799-3313-7 Auch als E-Book erhältlich
Chronischer Schmerz Schulmedizinische, komplementärmedizinische und psychotherapeutische Aspekte
D
ieses Buch widmen wir unserem Rudel, allen Menschen und Tieren, die uns begleiten und die wir lieben. DANKE!“ Diese Widmung ließ mich erst mal stutzen, denn ich hatte ein Fachbuch zum chronischen Schmerz erwartet, keinen esoterischen Wegweiser. Deshalb vorweg: Es ist tatsächlich ein Fachbuch! Ganz offensichtlich motiviert und angetrieben von der angenehm wertschätzenden Haltung der beiden Autorinnen Menschen gegenüber, die unter chronischen Schmerzen oder genauer an der Chronischen Schmerzerkrankung leiden. Martina Sendera (Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin) und Alice Sendera (Pädagogin, Psychologin und Psychotherapeutin) sind Vertreterinnen der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT), einer speziellen Form kognitiver Verhaltenstherapie. Gemeinsam veröffentlich-
Method en zur Drogen aufkläru ng!
Die Einheit von Theorie und Praxis: Zunächst wird das Paradigma »Drogenmündigkeit« entwickelt, um dann Projektvorschläge aufzuzeigen, die mit wenigen Handgriffen schnell umsetzbar sind – also quasi das oft gewünschte Rezeptbuch. 2017, 216 Seiten, broschiert, € 34,95 ISBN 978-3-7799-3394-6 Auch als E-Book erhältlich www.juventa.de
JUVENTA
61
62
Buchbesprechungen
ten sie auch schon andere Ratgeber, zu Themen wie Borderline oder „Trauma und Burnout in helfenden Berufen“. Auf der Homepage von Martina Sendera finden sich Therapie-, Beratungs- und Kursangebote zu Stressmanagement, Achtsamkeit, Krisenbewältigung, Skills-Training oder Umgang mit chronischem Schmerz. Das Buch vermittelt zunächst in allgemein verständlicher Sprache, wie chronischer Schmerz entsteht und diagnostiziert wird. Zudem werden epidemiologische und kulturspezifische Aspekte beleuchtet, dies alles allerdings sehr knapp auf insgesamt 30 Seiten. Zum Weiterlesen enthält jeder einzelne Abschnitt weiterführende Literaturangaben. Die Autorinnen betonen grundsätzlich, dass die Unterscheidung zwischen körperlichem und seelischem Schmerz im Kontext des chronischen Schmerzes nicht sinnvoll sei, weshalb sie biopsychosozialen Konzepten den Vorzug geben, in Verknüpfung mit multimodalen Therapieansätzen. Im zweiten Teil des Buchs (gut 100 Seiten) werden exemplarisch verschiedene Krankheitsbilder beschrieben, die als „typisch“ für den chronischen Schmerz gelten (z.B. Kopf- oder Rückenschmerz) oder die von chronischen Schmerzen begleitet werden (wie etwa Osteoporose oder Tumorerkrankungen). Die Auswahl scheint hier eher zufällig getroffen worden zu sein, so fehlt zum Beispiel Rheuma. Jede dieser zum Teil sehr knappen Schilderungen ist mit Therapiehinweisen versehen, einige bis hin zu Medikamentenangaben, inklusive ihrer Dosierung. Dieses scheint fragwürdig, da es sich hier nicht um ein medizinisches Lehrbuch im engeren Sinne handelt. Die Abschnitte „Schmerztherapie im Alter“ und „Palliativmedizin“ fallen ganz aus dem Raster „Krankheitsbilder“ und bleiben zudem sehr an der Oberfläche. Den interdisziplinären und multimodalen Behandlungsansatz stellen die Autorinnen im dritten Teil auf ebenfalls 100 Seiten vor – er bildet das Herzstück ihres Buchs. Vor allem Psychotherapien und Selbststärkungsmethoden werden ausführlich erläutert und in ihrer Anwendung beschrieben. Außerdem werden neuromodulare Verfahren, Elektrotherapie, Physio- und Ergotherapie, die Traditionelle Chinesische Medizin sowie komplementäre Ansätze (Homöopathie, tiergestützte Therapie und anderes mehr) zum Teil dargestellt, zum Teil nur erwähnt. Die Vielfalt der Therapieverfahren und die Notwen-
digkeit ihres Ineinandergreifens im Sinne einer ganzheitlichen Sicht auf den betroffenen Menschen werden jedoch deutlich. Das Buch kann als Einführung in die Thematik des chronischen Schmerzes empfohlen werden, gerade weil es so breit angelegt und allgemein verständlich geschrieben ist. Insofern eignet es sich zur Orientierung und Veranschaulichung. Die genannten Einschränkungen verweisen auf die Notwendigkeit, sich bei Bedarf mit der spezifischen Fachliteratur vertieft zu befassen. Dr. Monika Zoege, Hannover
Springer-Verlag, Wien 2015, 268 Seiten, 29,17 Euro
Raimund Geene, Michael Reese
Handbuch Präventionsgesetz Neuregelung der Gesundheitsförderung
I
m Jahr 2015 war es endlich so weit. Nach drei gescheiterten Anläufen wurde endlich ein Präventionsgesetz verabschiedet, das in Teilen 2015 und dann in seinen finanzwirksamen Teilen 2016 in Kraft getreten ist. Es gibt der Prävention in Deutschland eine neue, kooperative und an Gesundheitszielen orientierte Grundarchitektur. Mit der Nationalen Präventionskonferenz besteht nun eine Steuerungsinstanz, die für eine nationale Präventionsstrategie mit gemeinsamen Zielen und Handlungsfeldern verantwortlich ist und über den Lauf der Dinge auch durch einen parlamentspflichtigen Präventionsbericht in jeder Legislaturperiode Rechenschaft abzulegen hat. Den konzeptionellen Rahmen stecken die von der Nationalen Präventionskonferenz formulierten „Bundesrahmenempfehlungen“ ab. Auf Länderebene werden zwischen den Sozialversicherungsträgern und den zuständigen Landesstellen Landesrahmenvereinbarungen abgeschlossen, um regionalen Bedarfen besser nachzukommen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird mit Qualitätssicherungsaufgaben beauftragt und die Bundesvereinigung für
Prävention und Gesundheitsförderung organisiert mit einem Nationalen Präventionsforum einen zivilgesellschaftlich geöffneten Kommunikations- und Vernetzungsprozess. Etwas mehr Geld kommt auch ins System, 7 Euro sollen künftig pro Versicherten für Leistungen nach dem Präventionsgesetz ausgegeben werden. Das ist nicht die Welt, aber ein Anfang. Man kann an dem Gesetz vieles kritisieren, etwa dass die oft zitierte Strategie „Health in all policies“ nicht gut umgesetzt wird, weil das Gesetz primär nur die Krankenkassen in die Pflicht nimmt, oder dass der Öffentliche Gesundheitsdienst als eine der maßgeblichen präventiven Strukturen auf der lokalen Ebene schauen kann, dass er künftig nicht am Katzentisch der Prävention sitzt. Aber insgesamt war es ein überfälliger Schritt und das Gesetz bietet die Basis, Prävention und Gesundheitsförderung in den nächsten Jahren in einem positiven Sinne weiterzuentwickeln. Es kommt eben darauf an, was die Beteiligten jetzt daraus machen. Ein Gesetz nutzen, setzt voraus, es zu kennen. Raimund Geene und Michael Reese von der Hochschule MagdeburgStendal haben ein Werk vorgelegt, in dem sie minutiös die einzelnen Passagen des Gesetzes in ihrer Textgenese vorstellen, die Gesetzesbegründung dazu stellen und jeweils mit kurzen Erläuterungen versehen. Hilfreich ist auch die Synopse zu den präventionsorientierten Gesetzesänderungen jenseits der §§ 20 ff Sozialgesetzbuch V, etwa im Kinder- und Jugendhilferecht oder im Pflegerecht, da diese Aspekte leicht aus dem Blickfeld geraten. In der Einleitung gibt es einen kompakten Überblick über die wesentlichen Regelungsinhalte des Gesetzes sowie einen kurzen Rückblick auf seine Entstehungsgeschichte. Wer zum Verlauf der Dinge etwas mehr wissen will, dem seien die Aufsätze von Luetkens in der Zeitschrift Prävention 2/ 2014 und Meierjürgen et al. in der Zeitschrift Prävention und Gesundheitsförderung 4/2016 sowie die detaillierte Chronik im Highlights-Magazin 18/2015 empfohlen. Im Anhang des Buches werden zudem der Beschluss des Rechnungsprüfungsausschusses des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 2010, der wichtige Impulse zur Qualitätssicherung in der Prävention gab, die Landesrahmenvereinbarung Sachsen aus dem Jahr 2016 und die Bundesrahmenempfehlungen aus dem Jahr 2016 dokumentiert. Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2016, 350 Seiten, 34,95 Euro
Anja Dietrich, Daphne Hahn u. a. (Hg.)
40 Jahre Psychiatrie-Enquete Blick zurück nach vorn
D
ie von der deutschen Bundesregierung beauftragte Psychiatrie-Enquete legte 1975 ihren Abschlussbericht vor. Vorangegangen war eine vierjährige intensive Arbeitsphase, die 1971 mit 19 Mitgliedern gestartet wurde. Im Laufe der Zeit wurden 192 Tagungen durchgeführt, 24 Untersuchungen und 21 Gutachten vergeben sowie sechs Informationsreisen ins Ausland unternommen. Anlass für die Einsetzung der Enquete waren die teilweise nicht menschenwürdigen Lebensumstände psychisch Erkrankter in auch baulich unzureichenden Großkrankenhäusern. Der „Zeitgeist“ der Studenten- und Bürgerbewegung der 1960er Jahre spielte ebenso eine Rolle für die zunehmende Sensibilität beim Thema Psychiatrie. Mit dem Rückblick nach 40 Jahren ist es den HerausgeberInnen des Sammelbandes sehr gut gelungen, nicht nur die Verbesserungen zu schildern, die sich in der Folge der Veröffentlichung für die PatientInnen, ihre Angehörigen sowie die Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017
helfenden Berufe in der Psychiatrie ergaben, sondern ebenfalls zu reflektieren, welche Ziele nicht erreicht wurden. Gut 40 AutorInnen erläutern anhand einzelner Aspekte, wie die Empfehlungen der Psychiatrie-Enquete umgesetzt wurden, nicht ohne dabei auch einen kritischen Blick auf die aktuelle Situation zu werfen. Das Buch gliedert sich in einen einführenden sowie fünf weitere Teile: die Organisation psychiatrischer Institutionen, die Erklärungs- und Bedeutungssysteme der psychiatrischen Wissenschaft, die Methodik der Behandlung, der Status/das Selbstkonzept der NutzerInnen, der Status der Professionellen und ihr Verständnis von Professionalität. Mit dieser Systematik gelingt es den HerausgeberInnen, die 35 Kapitel mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen, Ansätzen und Erfahrungen sinnvoll zu gliedern. Einige AutorInnen waren bereits in den 1970er Jahren in der Psychiatrie aktiv, andere kamen erst später mit ihr in Berührung. Wie die Auswirkungen der Psychiatrie-Enquete bewertet werden, ist daher auch recht unterschiedlich. Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass nicht alle hohen Ziele von damals erreicht wurden, besonders die immer noch fehlende Personenzentrierung der Angebote, mangelnde Koordination, fehlende Kooperation der Beteiligten sowie große regionale Unterschiede in der Versorgung werden kritisiert. Das Buch lässt sich gut lesen. Den sechs Teilen des Buches sind jeweils kurze Abschnitte aus der Psychiatrie-Enquete von 1975 vorangestellt. Diese kleinen Einführungen sowie die sinnvolle Untergliederung aller Kapitel in einem ansprechenden Layout unterstützen das Lesen. Alle Kapitel sind mit einem Literaturverzeichnis versehen und geben interessierten LeserInnen die Möglichkeit, sich in einzelne Themen genauer einzulesen. Daher hat der Sammelband einen hohen Informationswert für alle, die sich einen Überblick über die Entwicklung der deutschen Psychiatrie in ihrem gesellschaftlichen Kontext verschaffen wollen. Mathilde Hackmann, Hamburg
144 Seiten. DIN-A4 Format. Kartoniert € 12,90 | ISBN 978-3-406-69834-7
Das Handbuch von Geene/Reese ist kein juristischer Kommentar, sondern eine inhaltlich orientierte Aufbereitung des Präventionsgesetzes. Kleinere Fehler, etwa dass die Landesrahmenvereinbarung Thüringens fälschlicherweise auf den 24.3.2016 datiert und als erste ihrer Art präsentiert wird (S. 178), dass sich die Landesrahmenvereinbarungen auch auf die Erstellung des Nationalen Präventionsberichts beziehen würden (S. 172) oder der Gesetzentwurf vom Februar 2005 als „Antrag“ bezeichnet wird, sollten bei einer zweiten Auflage bereinigt werden. Dessen ungeachtet ist das Buch hilfreich, um sich schnell über das Gesetz zu informieren – als „Einsteigerhilfe“ sicher eine gute Anschaffung. Dr. Joseph Kuhn, Dachau
Jetzt neu!
Damit sind Sie auf der sicheren Seite Alles in einem Ratgeber Q
Vorsorgevollmacht
Q
Sorgerechtsverfügung
Q
Patientenverfügung
Q
Erbfall-Regelungen
Q
Meine Daten für den Ernstfall
Mit rechtssicheren Formularen Q
Die von Gerichten anerkannte Verbindung der Formulare zu einem Dokument verhindert Täuschungsmanöver effektiv.
In höchster Qualität Q
Von Deutschlands führendem juristischen Fachverlag C.H.BECK
Q
Herausgegeben vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz
Jetzt im Buchhandel
Verlag C.H.BECK oHG · 80791 München Preise inkl. MwSt. | 166749 Psychiatrie Verlag, Köln 2015, 504 Seiten, 39,95 Euro
64
Buchbesprechungen
Gerd Schuster
IM ALTER AL LTER T KRANK SEIN IST T NICHTS NI FÜR SCHWACHE SCHW WACHE NERVEN NERVEN
ISBN 978-3-407-86436-9 Auch als erhältlich
Derr Journalist Journalist R Raimund aimund Schmid deckt in diesem Buch Buch die ffatalen atalen M echanismen im deutschen Mechanismen Gesundheitss ystem auf Gesundheitssystem auf,, denen kr anke alt e Menschen Menschen ausgelieausgelie kranke alte ffert ert sind: schädliche T Therapien, herapien, zu viele M edikamente, zu w Medikamente, wenig enig Z eit und Beratung. Beratung. Zeit Bei seinerr Recherche Recherche querr durch durch Deutschland ha hatt Schmid aber nich issstände in der nichtt nurr die M Missstände Altersmedizin kennengelernt, Altersmedizin k ennengelernt, sondern is istt auch auff B Beispiele ges toßen, wie eine auf uff die Be gestoßen, Be-dür fnisse alt err Menschen Menschen aus dürfnisse alter aus-gerichtete Gesundheitsleis tung gerichtete Gesundheitsleistung aussehen kann. kann. Er Er benennt be benenn t klar, klar, afiw as angesichts angesichts des demogr was demografischen Tsunamis Ts sunamis nicht nicht nurr jeder elne, sondern die GesellEinz Gesell Einzelne, aktisch, politisch und schaft pr schaft praktisch, nd zw ar präventiv tun muss. U präventiv Und zwar heute. heute.
Leseprobe auf Leseprobe www.beltz.de www.beltz.de
Heim und Heimweh Zur Sehnsucht alter Menschen an einem befremdlichen Ort
W
ie kommen alte Menschen mit dem Umzug in eine Pflegeeinrichtung, mit dem Verlassen des vertrauten Zuhauses zurecht? Welche Rolle spielt die Sehnsucht in Zusammenhang mit dem endgültigen Verlassen der bisherigen Wohnung und des angestammten Wohnumfelds und warum führt dieser Abschied häufig zu existenziellen Krisen? Diesen und ähnlichen Fragestellungen geht der Pflegewissenschaftler, Psychologe und Theologe Gerd Schuster in seinem Buch nach. Nach langjähriger Tätigkeit in unterschiedlichen Führungspositionen im Bereich der Altenhilfe leitet er gegenwärtig das Forschungsinstitut für Bildung, Altern und Demografie in Bamberg. Über die schrittweise Annäherung an die Kultur der Institution beschreibt er anschaulich die emotionale Welt der Betroffenen. Nach einem einleitenden Kapitel skizziert Schuster den aktuellen Stand der Heimweh-, Nostalgie- und Sehnsuchtsforschung sowie Forschungsansätze zur Befindlichkeit alter Menschen im Pflegeheim, um in der Folge psychologische und soziologische Perspektiven zu Alter und Altern aufzuzeigen. Es folgt eine Darstellung der Institution Pflegeheim als Wohn- und Arbeitswelt. Danach beschreibt er sein Forschungsprojekt bezüglich Zielsetzung, Fragestellung, Methodik und Struktur. Die Projektergebnisse und deren Diskussion findet der Leser im Anschluss. Das letzte Kapitel schließlich zeigt unter anderem Implikationen der dargestellten Forschungsergebnisse für die Praxis und den aus der Warte des Autors bestehenden weiteren Forschungsbedarf hinsichtlich der behandelten Thematik. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Forschern, denen es gelingt, überhaupt Zugang zu dem Forschungsfeld stationärer Einrichtungen der Altenhilfe zu finden, Anerkennung zu zollen ist. Erfahrungsgemäß gilt es hier, im Vorfeld eine ganze Reihe von Vorbehalten, Sorgen, Befürchtungen und Verunsicherung zu beschwichtigen, und zu beseitigen. Dabei ist stets zu beachten, dass personenbezogene und ethische Rechte, Belange und Grenzen (Würde, Intimität, Scham etc.) nicht verletzt und überschritten werden.
Was das konkrete Vorgehen anlässlich des vorgestellten Forschungsprojekts anbelangt, ist darüber hinaus die zur Anwendung gebrachte Methodik positiv zu erwähnen, die sich grundsätzlich an den qualitativen Prinzipien der Grounded Theory orientierte und sich im Einzelnen einer angemessenen Auswahl von Ansätzen bediente. Auf diese Weise konnte zum einen sichergestellt werden, dass die benötigte Nähe des Forschungsprozesses zu dem zu erforschenden „Feld“ gegeben war. Zum anderen war dieses Vorgehen insofern effektiv, als das Ziel, die Lebenswelt alter Menschen in Pflegeheimen und deren Deutungs- und Sinnfindungsstrategien zu erforschen, erreicht wurde und zu interessanten Erkenntnissen führte. Zudem werden diese in der Veröffentlichung in einem sehr leserfreundlichen Stil vermittelt. Die präsentierten Ergebnisse sollten auch Mut machen, sich verstärkt — qualitativer Methoden in der Gerontologie und den Pflegewissenschaften zu bedienen; — mit Fragen des Forschungsdesigns und methodischen Vorgehens in hoch sensiblen Feldern wie stationären Altenhilfeeinrichtungen zu befassen; — geriatrisch, gerontopsychiatrisch und psychosomatisch relevanten Aspekten der Heimwehforschung zuzuwenden. Gerd Schusters Buch kann aufgrund seiner Thematik, seines breit gefächerten, kompetent aufbereiteten Inhalts und – last, but not least – wegen seines hohen, ansprechenden sprachlichen Niveaus bestens empfohlen werden. Nach Ansicht des Rezensenten hätte es dem Werk allerdings gutgetan, wenn der Autor an geeigneter Stelle seine Darstellungen und Ausführungen (stärker) mit Gedankengängen, Argumenten und Erkenntnissen aus dem Fundus der Phänomenologie, der verstehenden Soziologie sowie der Psychoanalyse hinterlegt und in Zusammenhang gebracht hätte. Harald Blonski, Sendenhorst
Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2016, 313 Seiten, 42,95 Euro
Dr. med. Mabuse 226 · März / April 2017