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Editorial
Liebe Leserinnen und Leser, seit 250 Ausgaben ist das Ziel von Dr. med. Mabuse, für ein solidarisches Gesundheitssystem einzutreten, Missstände zu kritisieren und Visionen zu entwickeln, wie allen Menschen ein gleichberechtigter Zugang zu Gesundheit ermöglicht werden und die Versorgung der PatientInnen verbessert werden kann. Zu diesem Jubiläum beschäftigen sich alle AutorInnen dieses Sonderheftes mit der Frage, was gerechte Gesundheit überhaupt bedeutet: Ist es gerecht, PatientInnen mit einer Behinderung oder sprachlichen Barrieren mehr Zeit zu widmen, weil sie andere Bedürfnisse haben? Wie kann man Ungleichheit und Gleichstellung mit gerechter Gesundheitsversorgung überein bringen? Unsere AutorInnen berichten aus ihrem jeweiligen Praxisbereich: So lesen Sie etwa Erfahrungsberichte aus Psychiatrie und Psychosomatik, neue Denkansätze aus der Versorgung von Menschen mit Demenz oder einer Behinderung, kritische Reflexionen
über Heil- und Therapieberufe, Interviews mit Pflegenden und Geburtshelfern sowie Ausblicke auf globale Gesundheit. Daneben haben wir Stimmen von VertreterInnen aus dem Gesundheitswesen zu der Frage gesammelt, was für sie gerechte Gesundheit bedeutet. Zudem zeigt eine Infografik in subjektiver Auswahl, welche Veränderungen im Gesundheitswesen sich seit der Gründung der Zeitschrift im Jahr 1976 in Zahlen fassen lassen. Wir wünschen eine anregende Lektüre und grüßen herzlich aus der Redaktion!
Franca Zimmermann
Damaris Schlemmer
Wir feiern die 250. Ausgabe! Als am 10. Dezember 1976 die erste Ausgabe von Dr. med. Mabuse erschien, konnte sich niemand der Gründungsmitglieder vorstellen, dass vom studentischen Fachschaftsblatt aus Frankfurt einmal eine 250. Ausgabe erscheinen würde. Zu wild-verrückt waren die Zeiten und niemand plante länger als drei Semester. Doch bei den Medizinstudierenden gab es offensichtlich ein großes Bedürfnis nach Diskussionen auf der Suche nach besserer Ausbildung und einem gerechteren Gesundheitswesen. Schon bald machten Fachschaften (fast) aller Unistädte zwischen Freiburg und Kiel, an denen es medizinische Fakultäten gab, mit. Der alternative Gesundheitstag 1980 in Berlin gab uns noch einmal einen großen Schub, aber letztendlich kam die Rettung aus der größten Berufsgruppe im Gesundheitswesen: Krankenschwestern und -pfleger beteiligten sich ab Mitte der 1980er-Jahre aktiv und wurden auch in der Leserschaft zu einem entscheidenden Faktor. Der Anspruch der ersten Ausgaben, auch andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen anzusprechen, gelang zunehmend und heute sind wir sehr stolz darauf, dass wir als einzige interdisziplinäre Zeitschrift im Gesundheitswesen
Dr. med. Mabuse 250 · März / April 2021
einen wichtigen Teil zur Debattenkultur für ein solidarisches Gesundheitswesen beitragen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen LeserInnen, AutorInnen, der Pflegeredaktion und UnterstützerInnen, die uns seit Jahren die Treue halten, sehr herzlich bedanken. Meine ganz besondere Anerkennung gilt der Redakteurin Franca Zimmermann, die unser Mabuse-Schiff seit zehn Jahren (und seit drei Jahren mit Damaris Schlemmer) mit großem Können, Engagement, Gelassenheit, Freude und politischer Weitsicht durch die unübersichtlichen Zeitläufe steuert.
Hermann Löffler (Geschäftsführer) PS: Eine kleine Auswahl aller erschienenen Mabuse-Cover finden Sie auf beiliegendem neuen Plakat. Weitere Exemplare können Sie gerne kostenlos anfordern.
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Rubriken Editorial ……………………………………………… S. 3 Nachrichten …………………………………… S. 7 Einheitliche Bezahlung?……… S. 16 Altenpflegelöhne sollen durch Tarifvertrag steigen
Wolfgang Wagner
Buchbesprechungen
S. 76
……………
Neuerscheinungen………………… S. 80 Broschüren/Materialien Zeitschriften
……
………………………………
Fortbildungen
S. 85
S. 86
……………………………
S. 87
Kleinanzeigen …………………………… S. 88 Impressum …………………………………… S. 89 Besser reich und gesund als arm und krank ………………… S. 90 Joseph Randersacker Foto: Hans Keller
Schwerpunkt:
Gerechte Gesundheit Gesundheitswesen in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 13 Infografik zu 50 Jahren Gesundheitswesen Grafik: Mats Liedhegener
Gerechte Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 19 Stimmen aus dem Gesundheitswesen
Ungleichheit ist gerecht
S. 23
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Gerechte Gesundheit in einer pluralen Welt Dagmar Domenig und Sandro Cattacin
„Abtreibung ist okay“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 53 Ein Gespräch über gerechte Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung in Polen Agata Ignaciuk, Agnieszka Kościańska, Marion Hulverscheidt und Sonja Siegert
Pflege geht uns alle an
S. 56
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Forderungen des Vereins „Pflege in Bewegung“ Roger Konrad und Marcus Jogerst-Ratzka
Zur Verteilung des Corona-Impfstoffes Oliver Tolmein
Pflegende, die an die Öffentlichkeit gehen Hanna Lucassen
Über die Gefährdung des sozialen Charakters der Medizin durch die Ökonomisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 32 Giovanni Maio .............................
Gesundheit und Krankheit in der Psychosomatik Sven Eisenreich
Gerechte Verwaltung des Mangels . . . . . . . . .S. 58
Die trauen sich was . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 26
Behandeln oder heilen?
Das Verständnis erweitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 50
S. 36
Eine Reflexion über „Heilberufe“ Stephan H. Nolte
Gleichstellung und Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 39 Menschen mit Behinderung im deutschen Gesundheitssystem Michael Wunder
„Auch ich bin verletzlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 42
Von Profitinteresse und Fehlversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 61 Aktuelle Probleme der Arzneimittelversorgung Gerd Glaeske
Zwischen Prekarisierung und Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 62 Entwicklungsperspektiven der Therapieberufe Heidi Höppner
„Wer sich nicht aktiv kümmert, fällt aus dem System“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 65 Ein Gespräch zum 50. Jubiläum des Vereins „Aktion Psychisch Kranke“ Ulrich Krüger und Christoph Müller
Lobbyismus im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 68
Übergriffserfahrung eines Pflegenden Christoph Müller
Einflussnahme der Pharmaindustrie Sabine Hensold
Freie Wahl des Geburtsortes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 44
Weltweite Solidarität
Ein Gespräch über die Rahmenbedingungen in der Geburtshilfe Anke Wiemer, Sven Hildebrandt und Bettina Salis
Gerechte Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 75
Ein doppeltes Paradoxon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 47 Die gerontopsychiatrische Pflege neu denken Detlef Rüsing
S. 72
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Neue Lösungen für Globale Gesundheit sind gefragt Andreas Wulf
Bücher zum Weiterlesen
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Buchbesprechungen
Ina Hullmann
Psychologie der Leichtigkeit In 5 Schritten Wahrnehmungsperspektive und Bewusstsein erweitern
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ie habe das Buch geschrieben, weil sie sich die Frage gestellt habe, ob es möglich sei, dass Menschen zwischen verschiedenen Bewusstseinszuständen wechseln können, heißt es von der Autorin Ina Hullmann. Konkret meint sie dabei den Wechsel von einem inneren Stresszustand oder Überlebensmodus, in dem man entweder aggressiv wird, Angst bekommt oder in eine innere Starre gerät, hin zu einem erweiterten „Bewusstseinsmodus der Leichtigkeit“, der wieder bessere Entscheidungen und Verhaltensweisen ermöglicht. Sie beantwortet diese Frage positiv: Ja, es funktioniert. Die erweiterte Perspektive der Leichtigkeit ist erlernbar – und wie, das will die Diplom-Psychologin und Hypnotherapeutin in diesem Buch zeigen. Leicht hat es sich Ina Hullmann dabei allerdings nicht gemacht. Das liegt wohl auch daran, dass sie dem Schattauer-Verlag die Idee zu diesem Buchprojekt vorgestellt hat, offenbar ohne eine konkrete Vorstellung zu haben, welches Werk am Ende dabei herauskommt. So ist sie eine „Abenteuerreise“ angetreten von der Psychologie und Neuroforschung über die Quantenphysik bis hin zu antiken und modernen Bewusstseinsmodellen, bei der sie ihre LeserInnen auch in ihrem Entstehen und in ihren Interaktionen zu PatientInnen, Interviewanfragen und Filmsendungen mitnimmt. Dabei ist die Grundidee ebenso faszinierend wie verlockend: Mit „Leichtigkeit“ lässt sich ihrer Ansicht nach das volle Potenzial unseres Denkens und auch emotionalen Handels entwickeln und es lassen sich Perspektiven erweitern, während wir aus dem Gefangensein etwa in einer „Problemtrance“ selten ohne Hilfe herauskommen. Unterteilt hat Ina Hullmann ihr Buch in fünf Kapitel, die sie als „einen mentalen Lift“ verstanden wissen möchte. Dabei soll man allerdings nicht frei die Stockwerke wählen, sondern ist angehalten, sich in einem „ruhigen Tempo“ von Stockwerk zu Stockwerk auf 320 Seiten vorzuarbeiten. So wird in Kapitel 1 die „Magie der Leichtigkeit“ und ihre Wirkung auf Körper und Psyche ausgeführt. Kapitel 2 lei-
tet an, wie man in einen Zustand der Ruhe kommen kann, um sich emotional zu stabilisieren und das psychische Immunsystem zu stärken. Selbstanalyse und Glaubenssysteme sind Schwerpunkt des Kapitels 3, in dem Ina Hullmann auch viele Erkenntnisse aus der Naturwissenschaft und aus verschiedenen Weltbildern eingebaut hat. Im vierten Kapitel erfährt man – akzentuiert aus hypnotherapeutischer Sicht – Wissenswertes über verschiedene Bewusstseinszustände sowie über Meditation. Angekommen in Kapitel 5 wird noch einmal alles im Rückbezug auf die vorigen Kapitel zusammengestellt, um sich auf Basis der vorangegangenen Übungen und Erkenntnisse ein Trainingsprogramm zusammenzustellen, das Schritt für Schritt zu mehr Leichtigkeit führen soll. Was wir beim Lesen erfahren können, handelt von Vielem und Allem – auch zum Thema Ressourcen oder Resilienz – und ist letztlich nichts Neues. Das Buch leitet an, mithilfe einer inneren Ordnung innere Übersicht zu verschaffen und – solange man dazu in der Lage ist – eingeschränkte Sichtweisen zu erweitern, die einem dann später in schwierigen Situationen helfen können. Es werden Grundlagen und Techniken vermittelt, wie Menschen aus schweren Situationen, Krisen oder einem Burn-out-Zustand wieder herausfinden können. Das Trainingsprogramm für Leichtigkeit lädt zu einem doch sehr strukturierten Tag mit Suggestion für das Unterbewusste, Einschlafritualen, Tagebucharbeit, Leichtigkeitstankstellen und Selbstwertübungen ein, die allemal richtig, aber nicht immer leicht sind. Dies trotzdem leicht und oft auch heiter erscheinen zu lassen, verdankt das Buch der sicher gelebten Einstellung der Hypnotherapeutin, die eher einen „Ozean an Möglichkeiten“ als die „Ein-Engung auf Probleme“ sieht. Helmut Schaaf, Bad Arolsen
Schattauer-Verlag, Stuttgart 2020, 336 S., 25 Euro
Marianne Leuzinger-Bohleber, Alexa Grabhorn, Ulrich Bahrke (Hg.)
Was nur erzählt und nicht gemessen werden kann Einblicke in psychoanalytische Langzeitbehandlungen chronischer Depressionen
P
atientInnen mit chronischen Depressionen stellen nicht nur behandelnde PsychiaterInnen, AllgemeinärztInnen und PsychotherapeutInnen vor gravierende Probleme. Sie sind auch für ihre Partner und Kinder, ihre Eltern und KollegInnen oft schwer zu ertragen. Umso wichtiger sind Studien zu den Erfolgsaussichten psychotherapeutischer Behandlungen, die Besserung oder gar Heilung herbeiführen sollen. Das vorliegende Buch handelt von dem Versuch, psychoanalytische Therapien dieser PatientInnen zu beforschen und die Ergebnisse dieser Forschung in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit darzustellen. Die Veröffentlichung ist aber nicht nur eine Forschungsstudie, sondern bietet auch neun intensive Fallberichte psychoanalytischer Therapie depressiver PatientInnen aus der Sicht ihrer AnalytikerInnen. Fünf der Berichte sind gefolgt von der objektivierenden Darstellung begleitender Forschungsinterviews mit den PatientInnen. Alle diese Forschungsberichte erschließen sich als „dichte Beschreibung“ eines psychoanalytischen Beziehungsgeschehens auch einem psychoanalytischen Laien und machen, da sie mehr als zwei Drittel des Gesamtumfangs des Buches umfassen, die Veröffentlichung für jeden Interessierten lesenswert. Die Einführung verortet den Stellenwert der Falldarstellungen im größeren Rahmen der sich über zehn Jahre erstreckenden Forschungsstudie „Langzeittherapie bei chronischen Depressionen“ (LACDepressionsstudie). Die Forschung hatte zum Ziel, psychoanalytische Therapie und kognitive Verhaltenstherapie bei der Behandlung von PatientInnen mit chronifizierter Depression zu vergleichen. Ihre Besonderheit bestand darin, dass hier eine Studie prospektiv angelegt wurde, also nicht auf Katamnesen (Beschreibung des Krankheits- und Therapieverlaufs nach der Behandlung eines Patienten, Anm. d. Red.) aufbaute, sondern den Behandlungsprozess begleitete. Dr. med. Mabuse 250 · März / April 2021
Buchbesprechungen
Alle Behandlungen wurden immer wieder intensiv klinisch in einer begleitenden wöchentlichen Fallkonferenz am Sigmund Freud-Institut Frankfurt besprochen. Dazu kamen von den Behandlungen unabhängige Interviews im Sinne der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) zu Beginn der Behandlungen und nach einem Verlauf von jeweils ein, drei und fünf Jahren. In diesen Interviews sollte ein Verständnis dafür entstehen, wie die Befragten denken, fühlen und wie es ihnen mit anderen Menschen geht. Das Interview wurde jeweils von zwei speziell geschulten Forschern verblindet, also in Unkenntnis des Therapieverfahrens eingeschätzt und im multiaxialen Diagnosesystem der OPD verortet. Ein wichtiges Ergebnis war, dass strukturelle Veränderungen, also anhaltende psychische Umwandlungen der Selbst- und Objektrepräsentanzen, nach drei Jahren Behandlung statistisch signifikant häufiger in analytischen Psychotherapien als in Verhaltenstherapien zu finden waren. Die Darstellung dieser Forschungsergebnisse liefert auch ohne die im Buch abgedruckten klinischen Behandlungsberichte interessante Erkenntnisse. Sie bliebe aber gleichsam „kalt“ ohne die Begegnung mit dem Schicksal der PatientInnen, ihren Versuchen, sich in der Behandlung sprachlich und handelnd mit dem Analytiker und sich selbst über ihr Leiden, ihre Geschichte, ihre Verwicklungen in Beziehungen zu verständigen. In den Berichten begegnen uns oft in ihrem frühen Leben traumatisierte PatientInnen, die am Gelingen ihres Lebens verzweifelt sind und unbewusst auch im Behandlungsgeschehen ihre frühen Erfahrungen mitzuteilen versuchen. Die Falldarstellungen zeigen exemplarisch, wie PatientInnen in psychoanalytischen Therapien unterschiedlicher Länge und Frequenz ihre eigene biografische Vergangenheit, die verschüttet ist, entdecken, in oft mühsamen gemeinsamen Anstrengungen mit dem Analytiker zusammen integrieren und dabei eine nun bewusste, neue Erzählung ihrer Geschichte schaffen. Dem Leser vermittelt sich, dass bei jeder Patientin, jedem Patienten ganz eigene, individuelle Bedingungen in die Depression führten. Somit benötigt auch jede/r einen eigenen neuen Zugang zum eigenen Unbewussten. Bei einem mögen es unerträgliche Schuldgefühle nach dem Verlust einer geliebten Person sein, bei Dr. med. Mabuse 250 · März / April 2021
einem anderen eine gestörte Balance der Selbstwertregulierung, bei einem dritten traumatisierende Erfahrungen mit mangelnder Fürsorge der ersten Bezugspersonen. Die Berichte zeigen auch auf berührende Weise, wie die Behandler in den regressiven Prozess ihrer PatientInnen hineingezogen werden. Sie müssen oft zunächst an der eigenen Seele oder im eigenen Körpererleben erleiden, was den PatientInnen zugestoßen war. Erst dann lässt sich ein neues Verständnis der Verletzungen erschließen. Dr. med. habil. Dipl.-Soz. Alf Gerlach, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin – Psychoanalyse, Saarbrücken
Psychosozial-Verlag, Gießen 2020, 327 S., 34,90 Euro
Ylva Söderfeldt
Krankheit verbindet Strategien und Strukturen deutscher Patientenvereine im 20. Jahrhundert
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lva Söderfeldt ist Medizinhistorikerin und arbeitet an der Universität Uppsala am Institut für Wissenschaftsund Ideengeschichte. 2011 promovierte sie mit einer Arbeit über die Geschichte der deutschen Gehörlosenbewegung. Aus dieser Forschungsarbeit heraus entstand auch ein höchst interessanter Artikel im Selbsthilfegruppenjahrbuch 2013 der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen unter dem Titel „Der Anfang einer Selbsthilfebewegung? Die Organisation der Gehörlosen im 19. Jahrhundert“. In ihrem neuen Buch untersucht Söderfeldt die Entstehungsgeschichte von „Patientenvereinen“ exemplarisch anhand von drei Beispielen: der Deutschen Hämophiliegesellschaft (DHG), des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB) und des Allergiker- und Asthmatikerbundes (AAB). Am Ende stellt sie selbst die Frage, „inwieweit die hier behandelten Organisationen repräsentativ sind“ (S. 95). Hierin liegt aus Sicht eines Lesers, der themenübergrei-
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Buchbesprechungen
fender „Selbsthilfe-Generalist“ ist, natürlich eine ganz bedeutsame Limitation dieser Arbeit, aber für eine Historikerin ist diese Vorgehensweise methodisch vermutlich vollkommen legitim. Nur sollte der Leser die Erkenntnisse aus diesen drei Einzelfällen nicht vorschnell generalisieren; die Autorin tut es im Übrigen auch nicht. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkung sind die drei Falldarstellungen durchaus historisch hoch interessant. Man lernt etwas über die frühen Anfänge dieser heutzutage als „Selbsthilfeorganisationen“ bezeichneten Patientenvereine. Zeitweilig waren sie, wie Söderfeldt sich ausdrückt, „Tandemvereine“, also Patienten- und ärztliche Fachgesellschaft zugleich. Sie entstanden offenbar alle eher „top-down“, mit ganz wesentlicher Beteiligung einzelner Ärzte und unter starker Verflechtung mit Interessen Dritter (z.B. der Pharmaindustrie, aber auch dem Bädertourismus). Ärzte waren „Gallionsfiguren“ und Türöffner, „im Gegenzug erfüllten Patientenvereine wichtige Funktionen im Interesse der Ärzte“ (S. 85), etwa bei Aufklärung und Schulung der Patienten („Selbstkontrollgruppe“, S. 95), und sie halfen in ihren Verbandszeitschriften dabei, Außenseitermethoden zu bekämpfen (S. 86). „Ausgehend von den präsentierten Fallbeispielen wird deutlich, dass die vorherrschende Vorstellung einer Selbsthilfebewegung als Teil der in den 1960erJahren geborenen ‚Alternativbewegung‘ revidiert werden muss“, meint Söderfeldt (S. 87). Das ist Anlass zum Nachdenken. Allerdings: Wer schon lange genug dabei ist und sich an die enormen Widerstände der organisierten Ärzteschaft gegen die aufkommende Selbsthilfebewegung in den 1970er- und 1980er-Jahren erinnern kann, als von ärztlicher Seite schon mal von „wildgewordenen Patientenmeuten“ die Rede war, fragt sich, wie das zusammenpasst. Vielleicht kam damals – eben im Geiste von 1968 – doch ein sehr viel stärker emanzipatorisch und weniger paternalistisch geprägtes Element hinzu, mehr Basisorientierung und solidarische Wechselseitigkeit, mehr Kritik an den Verhältnissen in unserem Gesundheitswesen, welches die Selbsthilfe-Landschaft in Deutschland ganz wesentlich veränderte und bereicherte. Insofern würden auch die unterschiedlichen Bezeichnungen („Patientenvereine“ bei Söderfeldt
und „Selbsthilfeorganisationen“ nach heutigem Sprachgebrauch in der Fachdiskussion in Deutschland) sehr sinnvoll und hilfreich sein. Analoges ist aus dem Suchtbereich bekannt: Das Blaue Kreuz zum Beispiel wurde zwar 1877 gegründet (allerdings ganz im Sinne der geistlichen und ehrenamtlichen Trinkerfürsorge, wie man damals sagte), aber erst in den 1970er-Jahren wandelte es sich zu einer Selbsthilfeorganisation, in der Betroffene mehr und mehr das Sagen hatten. In diesem Sinne könnte man festhalten, dass Söderfeldt Vorläuferorganisationen heutiger Selbsthilfeorganisationen untersucht hat, nicht jedoch die heutige Rolle von „Patientenvereinen“/ Selbsthilfeorganisationen im Gesundheitswesen und deren Verhältnis zur Ärzteschaft, zur Pharmaindustrie und zur Politik. Seit etwa zwei Jahrzehnten erfreut sich die Selbsthilfebewegung in Deutschland nicht nur einer wachsenden öffentlichen Anerkennung, sondern auch der öffentlichen Förderung vor allem aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung nach SGB V, jedenfalls sofern sie gesundheitsbezogen ist. Dies könnte sie (zumindest ein Stück weit) immunisieren gegen fragwürdige Angebote der Industrie. Und in gesundheitspolitischen Gremien wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss sitzt die Patientenvertretung eben nicht auf der Bank der Leistungserbringer oder der Kostenträger, sondern ihnen gegenüber. Die Geschichte ging also weiter. Jürgen Matzat, Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen Gießen
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020, 117 S., 36 Euro
Jonas A. Hamm
Trans* und Sex Gelingende Sexualität zwischen Selbstannahme, Normüberwindung und Kongruenzerleben
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as machen trans* Personen im Bett – und an allen anderen Orten, an denen Sex stattfindet?“ (S. 17) Was ist für sie guter Sex und wie sieht der Weg dahin aus? Darum geht es in diesem Buch. Bislang wurde wenig zu diesem Thema geschrieben. Der Autor Jonas Hamm ist Sexualwissenschaftler, systemischer Trans*Berater und Menschenrechtsaktivist mit langjähriger Erfahrung in der psychosozialen Begleitung von transgeschlechtlichen Menschen und deren Angehörigen. Er begegnet dieser Forschungslücke (S. 19), indem er im Rahmen seines partizipativen Forschungsprojektes trans* Personen interviewte, die mit ihren gewachsenen Genitalien und ihrer gelebten Sexualität zufrieden sind, sich also keine operativen Veränderungen wünschen. Er wertete aus, mithilfe welcher Strategien und Ressourcen dies jeweils gelingen konnte und welche Lernprozesse dabei stattgefunden haben. Ein wichtiger Beitrag, denn Fachkräfte aus Psychologie, Pädagogik und Medizin trauen sich häufig nicht, mit transgeschlechtlichen Menschen über ihre (un-) gelebte Sexualität zu sprechen. Ihnen fehlt das Wissen über gelingende Sexualität von transgeschlechtlichen Menschen und Reflexion darüber, wie sie diese akzeptierend und bestärkend begleiten können. Trans* Personen vermissen affirmative sowie ressourcen- und kreativitätsorientierte Gesprächsmöglichkeiten mit Kolleg*innen aus der Paar- und Sexualberatung beziehungsweise -therapie. Wen der etwas sperrige Untertitel des Buches irritiert, freut sich vielleicht umso mehr über die Wahl des aussagekräftigen Umschlagbildes. Eine Augenweide ist die wahrlich bunte Vielfalt an Genitalmodellen, angefertigt von der Künstlerin Stefanie Grübl. Lässt mensch die Augen im Bild spazieren gehen, erscheinen immer wieder neue Details der genitalen Vielfalt und geben einen Vorgeschmack auf den Inhalt des Buches. Das Buch ist trotz komplexer Thematik leicht zu lesen. Alle, die noch nicht tief im Thema sind, können aufatmen: Es beginnt mit einem Crash-Kurs zu den wichDr. med. Mabuse 250 · März / April 2021
Buchbesprechungen
tigsten Begriffen und der Autor bietet durchgängig Begriffserklärungen an. Das Buch entspringt einer wissenschaftlichen Arbeit. Der Überblick zum bislang recht dünnen Forschungsstand ist anschlussfähig auch für Menschen, die neu sind im Thema. Wen die Hintergründe zum Forschungsvorgehen weniger interessieren, überblättert diese großzügig und steigt direkt bei den Ergebnissen ein. Dort geht es unter anderem um Räume und Settings, in denen Sex stattfinden kann, um sexuelle Rollen, die Neudefinition von Geschlecht und Genitalien mit weiblichen Penissen (S. 114) und Körpererweiterungen durch genitale Add-ons und Plug-ins (S. 87). Der Autor benennt Strategien der interviewten Personen im Umgang mit der eigenen Geschlechtsinkongruenz sowie für die Kommunikation mit der Außenwelt. Das Zusammenspiel von Geschlechtsidentitäten, Körpermerkmalen, Geschlechtsrollen und sexuellen Praktiken wird dabei breit aufgefächert. Wer jetzt denkt „Oje, das ist kompliziert“ – keine Sorge: Dem Autor gelingt es, komplexe Sachverhalte nachvollziehbar zu beschreiben, sodass Lesende die
Beschreibungen als Brücke zu neuen Gedankenufern nutzen können. Kurzportraits geben Einblicke in die geschlechtlichen und sexuellen Lebenswelten der Befragten. Wem bisher die Vorstellungskraft fehlte, wie gelingende Sexualitäten und Lernprozesse aussehen können, bekommt in diesem Kapitel konkrete Inspiration. Das Buch endet mit einer Zusammenfassung von Impulsen für die Beratungspraxis. Diese sind sehr wertvoll, allerdings hätten sie noch ausführlicher ausfallen können. Vielleicht dürfen wir auf einen Nachfolgeband hoffen mit einem Schwerpunkt auf Beratungsgesprächen. Wer sollte dieses Buch lesen? Jede Person, die über Geschlechtsidentitäten, gelingende Sexualitäten und sexuelle Weiterentwicklung sprechen möchte, im beruflichen Kontext vor allem Menschen aus den Feldern Beratung, Therapie, Medizin, Pflege und Pädagogik/Erwachsenenbildung. Trans* und geschlechtlich non-konforme Personen mit Fragen an ihre Sexualität(en) finden in diesem Buch Möglichkeiten zur Selbstermächtigung. Wer dieses Buch als nicht-trans* Mensch liest,
darf sich eingeladen fühlen, über Geschlechter, Sexualitäten und lustvolles Körpererleben zu reflektieren. Es gibt bestimmt die eine oder andere spannende Erkenntnis zu bergen, die gern – wie es die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und 2. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung Annette Güldenring im Geleitwort ausdrückt – „über trans* Erlebniswelten hinausgedacht“ (S. 14) und praktisch ausprobiert werden darf. Ich wünsche viel Freude dabei! K* Stern, Einzel- und Paartherapeut_in und Trans*Beratung in Hamburg, www.praxis-kstern.de
Psychosozial-Verlag, Gießen 2020, 147 S., 19,90 Euro
Neuerscheinungen zur Gesundhe eitsdebatte » K latssche n ände r t nichtss . Wiir brauche n e ine n Aufsschre i .«
: in ne s
Berliner Bündnis f ür m e hr P e r s o na l im Krankenhaus
Ma ximiliane Schaffrath Sy stemrelevant Hinter den Kulis sen der P flege 2 4 0 S ei t e n K l a p p e n b r o s c h ur € 18,– [D] ISBN 978-3-7 7 76-294 2-1 E-Book: epub. € 13,90 [D] ISBN 978-3-7 7 76-2994-0
www. h i r z e l .d e
Dr. med. Mabuse 250 · März / April 2021
901-8 3,9 90 [D] 971-1
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