Dr. med. Mabuse Nr. 252

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– im Abo und als Einzelheft!

Nr. 251 (3/2021)

Nr. 250 (2/2021)

Nr. 249 (1/2021)

Nr. 248 (6/2020)

Nr. 247 (5/2020)

Nr. 246 (4/2020)

Notfälle

Gerechte Gesundheit

Miteinander

Public Health

Gender & Medizin

Pflege

Nr. 245 (3/2020)

Nr. 244 (2/2020)

Nr. 243 (1/2020)

Nr. 242 (6/2019)

Nr. 241 (5/2019)

Nr. 240 (4/2019)

Digitalisierung

Behinderung

Komplementäre Therapien

Impfen

Gleichgewicht

Demenz

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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, der Klimawandel ist ein Phänomen, mit dem sich die gesamte Weltbevölkerung auseinandersetzen muss. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, die nun ein zweites weltumspannendes Thema darstellt, war es das Engagement für eine umweltbewusstere Politik und Gesellschaft, das Menschen aus allen Teilen dieser Erde zusammenbrachte. An Aktionstagen demonstrierten weltweit Millionen Menschen. Um sich das Ausmaß der bereits eingetretenen Klimaveränderungen bewusst zu machen, braucht es nicht unbedingt die globale Perspektive. Schon in unserer Nachbarschaft lassen sie sich einfach aufspüren: Borkenkäferbefall in hiesigen Wäldern, trockene Sommer mit Wassermangel und Waldbränden, hitzebedingte Todesfälle – all das gibt es inzwischen auch in Mitteleuropa. Dass immer mehr Menschen versuchen, plastikfrei einzukaufen, im Supermarkt auf Bio-Siegel und regionalen Anbau achten oder den CO2Verbrauch von Flügen mit Ausgleichszahlungen zu kompensieren, ist lobenswert, doch die entscheidenden Veränderungen sind im Großen notwendig – und hier sind konsequente Entscheidungen der PolitikerInnen unumgänglich. Dass auch die Gesundheit und unser Versorgungssystem eng mit dem Klimawandel verknüpft sind, zeigen die Beiträge im Schwerpunkt dieser Ausgabe. So ist der Gesundheitssektor einerseits weltweit für rund fünf Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes verantwortlich, andererseits wird die medizinische Versorgung auch benötigt, um die gesundheitlichen Probleme von Menschen zu behandeln, die durch klimabedingte Veränderungen auftreten. In welchem Spannungsfeld Fachkräfte im Gesundheitswesen tagtäglich

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arbeiten und welche Handlungsmöglichkeiten es gibt, um positive Veränderungen auf den Weg zu bringen, schildern unsere AutorInnen. Neben dem Schwerpunkt finden sich auch in den anderen Artikeln dieser Ausgabe einige Anregungen, mit denen das Gesundheitswesen und die Situation der Fachkräfte verbessert werden könnten: Ludwig Thiry stellt das Projekt empCare vor, in dem die Rolle von professioneller Interaktion als Schutz vor psychischer Überlastung in den Fokus gestellt wird. Welche Konsequenzen für die Pflege aus der Corona-Pandemie gezogen werden können, zeigen Thomas Klie, Arne Manzeschke und Hartmut Remmers. Eine Public-Health-Strategie für Deutschland zeichnen Claudia Böhm und ihre Co-AutorInnen nach. Zwei weitere Neuerungen sind eine Erwähnung wert: In der neuen Rubrik „Bitte zur Anamnese, ...“ wird die Journalistin Hanna Lucassen uns ab dieser Ausgabe engagierte Menschen aus dem Gesundheitswesen vorstellen. Und durch unseren „Umzug“ zur Frankfurter Druckerei Zarbock gibt es Dr. med. Mabuse ab sofort im neuen Look auf hochwertigerem Papier – natürlich FSC-zertifiziert. Ich wünsche eine anregende Lektüre und grüße herzlich aus der Redaktion!

Franca Zimmermann

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Inhalt One World – One Health ……………………………………………… S. 12 Antibiotikaresistenzen: Handeln in allen Politikbereichen Claudia Jenkes

40 Jahre Pharmakritik …………………………………………………… S. 14 Die BUKO Pharma-Kampagne feiert Geburtstag Claudia Jenkes

Rubriken

Eine Ausbildung für das 21. Jahrhundert ………… S. 16 Kommentar zur geplanten Reform des Medizinstudiums Philip Plättner

Solide Strukturen ausbauen

Leserbriefe …………………………………………… 6 Nachrichten ………………………………………… 7

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S. 18

Lehren aus der Corona-Krise und Ausblick auf die Pflegereform Wolfgang Wagner

Empathie – ein zweischneidiges Schwert

Bitte zur Anamnese, ... ……………… 10 Buchbesprechungen ………………… 67 Neuerscheinungen ……………………… 73 Broschüren/Materialien

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S. 41

Mit professioneller Interaktion psychischen Überlastungen vorbeugen Ludwig Thiry

Pflege in der Krise – Diagnosen und Konsequenzen

S. 44

S. 48

eine Erfolgsgeschichte? Gerd Glaeske

Einen neuen Weg beschreiten

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S. 51

Über das Primärarztsystem zum Primärversorgungssystem Jochen Dahm-Daphi und Kai Uwe Helmers

Pränatale Prävention …………………………………………………… S. 55 Damit Frühe Hilfen nicht zu spät kommen Stephan Heinrich Nolte

Selbsttötung für Fortgeschrittene

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Kleinanzeigen ………………………………… 80

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Zeitschriften Fortbildung

Was die Corona-Pandemie sichtbar macht und lehrt Thomas Klie, Arne Manzeschke und Hartmut Remmers

Zehn Jahre AMNOG –

Editorial…………………………………………………… 3

S. 60

Gesetzentwürfe bieten Ärzt*innen keine Lösungen Oliver Tolmein

Gesundheit betrifft alle Bereiche der Gesellschaft ……………………………………………………………… S. 62 Eine Public-Health-Strategie für Deutschland Claudia Böhm, Katharina Böhm, Sophie Gepp und Ansgar Gerhardus Gesundheitsexperten von morgen:

Für ein besseres Leben ……………………………………………… S. 64 Familiäres Erleben bei Care-Migrantinnen aus Osteuropa Bogumila Brandt

Besser reich und gesund als arm und krank ………………………………………………………… S. 82 Jörg Stanko Foto: istockphoto.com/Sladic

Impressum ………………………………………… 81


Schwerpunkt:

Klima & Gesundheit Klima und Gesundheit – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 22 eine Einführung Katja Trippel

Krankenhäuser gegen die Klimakrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 26 Handlungsmöglichkeiten im Gesundheitssektor Agata Paszko und Adrian Baumann

Klima und Psyche – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 29 warum wir das Offensichtliche nicht sehen Christoph Nikendei

Gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 32 Planetare Gesundheit in der hausärztlichen Praxis Ralph Krolewski

„Wir müssen das Heft selbst in die Hand nehmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 36 Umgang mit dem Klimawandel in Kenia Markus Spörndli

Klima & Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 39 Bücher zum Weiterlesen


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Buchbesprechungen

Uwe Kaminksy, Katharina Klöcker

Medikamente und Heimerziehung am Beispiel des Franz Sales Hauses Historische Klärungen – Ethische Perspektiven

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ie Verabreichung von Medikamenten an Kinder und Jugendliche im Rahmen der Heimerziehung in den 1950erbis 1970er-Jahren ist gegenwärtig ein großes Thema der historischen Forschung. Wer sich damit näher befassen will, dem sei zum Einstieg die Studie von Uwe Kaminsky und Katharina Klöcker empfohlen. Sie behandeln sämtliche wichtigen historischen und ethischen Fragestellungen anhand eines klar abgegrenzten Beispiels: der Gabe des Neuroleptikums Decentan durch den Anstaltsarzt Waldemar Strehl im Franz Sales Haus in Essen. Dadurch bekommt man nicht nur zügig einen Einblick in damalige Praktiken und Rahmenbedingungen der Heimfürsorge, sondern erfährt auch einiges über die in dieser Zeit geltenden medizinischen und rechtlichen Standards. Das Besondere an dieser Studie ist sicherlich die bewusst klare Trennung in einen historischen und einen ethischen Teil, die jeweils von Expert*innen auf diesen Gebieten verfasst wurden. Damit wirkt sie zwar kaum noch wie eine Arbeit „aus einem Guss“, doch man ist der Gefahr anderer historischer Studien entgangen, in denen eine moralische Bewertung des Aufgearbeiteten durch Historiker*innen erfolgt, die dazu nur bedingt befähigt sind. Im ersten Teil, dem historischen Abschnitt, wird ein multiperspektivischer Ansatz gewählt, in dem ganz unterschiedliche Quellenarten ausgewertet werden. Dazu zählt neben Aktenmaterial und Zeitzeugeninterviews auch eine Stichprobe von 100 Patientenakten. Lobend hervorzuheben ist die Einbeziehung von Akten aus dem Unternehmensarchiv der Pharmafirma Merck. Der Autor Uwe Kaminsky, dessen kirchengeschichtliche Expertise man ihm insbesondere in den ersten einführenden Seiten anmerkt, bettet seine Untersuchung gut sowohl in die allgemeine Geschichte des Franz Sales Hauses als auch in den größeren Kontext der Medikamentengaben in der Fürsorgeerziehung ein. Im Kern der Untersuchung kann Dr. med. Mabuse 252 · Juli / August 2021

Kaminsky zeigen, dass im Franz Sales Haus das Medikament Decentan bereits vor seiner Zulassung 1959 eingesetzt wurde. Das Einsatzfeld von Decentan war zur damaligen Zeit breit. Es diente der Behandlung von Schizophrenie, Depression, Erregungszuständen, Psychosen und weiteren psychischen Erkrankungen. Ein in der Anstalt durchaus erwünschter Nebeneffekt war die Ruhigstellung der Kinder und Jugendlichen durch die sedative Wirkung. Die Nebenwirkungen waren vielseitig und reichten von Schwindel über Appetitlosigkeit bis hin zu Übelkeit. Ob es sich um eine Arzneimittelerprobung oder aber eine Anwendungsbeobachtung handelte, ist hinsichtlich der Quellenlage nicht eindeutig zu beurteilen. Es fanden sich jedoch Belege dafür, dass der Anstaltsarzt Waldemar Strehl das Medikament bewusst überdosiert hat, um einen Effekt zu erzielen. Im zweiten Teil der Studie werden zwei Anliegen verfolgt: Zum einen sollen die Medikamentengaben im Franz Sales Haus moralisch bewertet werden. Darüber hinaus zielt Katharina Klöcker aber auch darauf ab, ein allgemeines ethisches Analyseverfahren für Medikamentengaben zu entwickeln, um anhand dessen auch andere Fälle einschätzen zu können. Eine ethische Urteilsbildung soll dabei anhand der Kriterien Motivation, Richtigkeit der Handlung und Folgen vorgenommen werden. Nach einer detaillierten Analyse kommt die Autorin zum Schluss, dass „der Anstaltsarzt Dr. Waldemar Strehl eine große Mitverantwortung daran trägt, dass den Heimkindern im Franz Sales Haus durch moralisch nicht zu rechtfertigende Medikamentengaben großes Leid widerfuhr“. Der historische Teil ist logisch gegliedert, gründlich erarbeitet und leserlich aufbereitet, aber erst der ethische Teil verleiht der Studie ihren innovativen Charakter und unterscheidet sie letztendlich von anderen Arbeiten auf diesem Gebiet. Pierre Pfütsch, Stuttgart

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Aschendorff, Münster 2020, 288 S., 36 Euro

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Buchbesprechungen

Edzard Ernst

Alternativmedizin – Was hilft, was schadet Die 20 besten, die 20 bedenklichsten Methoden

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st es möglich, über Alternativmedizin noch einmal etwas Neues zu schreiben? Edzard Ernst war Inhaber des ersten Lehrstuhls für Komplementärmedizin in Exeter/UK und gilt als kompromissloser Kritiker der Alternativmedizin, indem er sagt: Wenn etwas für Patientinnen und Patienten nützlich ist, dann gehört das zur Medizin – es kann keine zwei Welten der Behandlung geben, die unterschiedlichen Logiken gehorchen. Nun legt er ein Buch vor, das auf den ersten Blick verwirrt. Titel: Alternativmedizin – Was hilft, was schadet. Das Buch gliedert sich in zwei große Teile. Auf 50 Seiten wird der Rahmen aufgespannt zu den Kernfragen: Warum ist Alternativmedizin so beliebt? Was ist das Verbindende der verschiedenen Verfahren? Mit welchen Falschaussagen werden Ratsuchende und Kranke in die Irre geführt? Wie lassen sich verlässliche Aussagen über Nutzen und Risiken gewinnen? Der Autor greift dann 20 Verfahren heraus – von Abmagerungsmitteln über Bach®-BlütenTherapie und Irisdiagnostik bis zur Zellularmedizin –, die er anhand vorliegender Evidenzberichte grundsätzlich ablehnt: Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist ihmzufolge nicht akzeptabel. Es handelt sich durchgängig um Verfahren, die vorgeben, Allheilmittel zu sein, mindestens aber über breite Indikationsbereiche zu verfügen. Dann folgt die Schilderung von 20 Verfahren, die in der Regel mit bescheidenerem Anspruch antreten, vor allem auf die Linderung von Bewegungseinschränkungen und auf Entspannung im weitesten Sinne abzielen, beginnend mit der Alexander-Technik und endend mit Yoga. Hier zeigt Ernst, dass es für umgrenzte Indikationsgebiete zumindest Erfolg versprechende Daten gibt und dass sie insofern ergänzend zu den in der Regel nun aber auch wieder überlegenen Standardverfahren der Medizin eingesetzt werden können, ohne Schaden anzurichten. Dass ein so gut informierter Mann wie Edzard Ernst dazu auch die Lachtherapie rechnet, das lässt den Rezensenten dann doch schmunzeln. Nur zu: Lachen ist gesund, wer würde nicht zustimmen?

Der Autor bindet seine 20 „besten Methoden“ dann am Ende auch noch einmal durch eine relativierende Einschätzung zusammen: Sie sind keine Wunderwaffen, sie sind eben keine Alternative zur Medizin. Manche könnten bei besserer Studienlage vielleicht übermorgen ganz normale Medizin sein. Angebote, deren Nutzen die Risiken ausweislich gescheiter Studien übersteigt. Wer sich noch gar nicht mit Alternativmedizin beschäftigt hat und statt emotionaler Ausbrüche im Freundeskreis gut belegte Erläuterungen sucht, der wird mit diesem Buch zufrieden sein – es hilft, eine eigene Meinung zu entwickeln. Norbert Schmacke, Bremen

Gräfe und Unzer, München 2021, 224 S., 14,99 Euro

Alfred Wolf, Pasquale Calabrese

Stressmedizin & Stresspsychologie Epidemiologie, Neurobiologie, Prävention und praktische Lösungsansätze

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rsprünglich stammt der Begriff Stress aus dem Englischen und wurde zunächst im Bereich der Materialprüfung gebraucht, was anschaulich im Titelbild dargestellt wird. Dort bedeutete er Anspannung, Verzerrung oder Verbiegung. In die Medizin wurde der Begriff 1946 von Hans Selye eingeführt, als sich die Erkenntnis verbreitete, dass sich Gesundheit und Krankheit nicht nur aus organischen Faktoren entwickeln. Dies bedeutete eine nahezu revolutionäre Erweiterung des damaligen Medizinverständnisses. In der Folge ging der Stress-Begriff so in den Alltagsgebrauch über, dass daraus fast schon ein Allgemeinplatz wurde. In ihrem Lehrbuch „Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin“ kommentieren Hoffmann und Hochapfel 1991 zugespitzt: „Das Stressmodell ist heute stark – nach unseren Vorstellungen fast sinnlos – aus-

geweitet worden. Stress ist gewissermaßen alles, was aufregt. Spezifischer erarbeiteten Lazarus et al., dass eine Stressreaktion mehr nur eine Reaktion auf einen Reiz von außen ist. Sie machten deutlich, dass Stress als Ergebnis (Bilanz) durch die Auseinandersetzung der Person mit einer Belastung und den Ressourcen der betroffenen Person entsteht. Lazarus sieht Stress dabei als Diskrepanz zwischen Belastung und individuell (wahrgenommenen) Bewältigungsmöglichkeiten und -fähigkeiten an. Ob der Mensch in Stress gerät, hänge daher auch von subjektiven Interpretationen und Bewertungsprozessen ab. Dabei können auch kritische Lebensereignisse oder alltägliche belastende Dinge die individuellen Anpassungsleistungen überfordern.“ Das Buch von Wolf und Calabrese verfolgt ein „biopsychosoziales“ Modell, das menschliches Erleben und Verhalten als Wechselspiel gemeinsam agierender, neurobiologischer, endokrinologischer und immunologischer Vorgänge im Gehirn und anderer Organsystemen versteht und Gesundheit beziehungsweise Krankheit als Resultat eines funktionierenden oder eben gestörten Wechselspiels zwischen diesen Komponenten interpretiert. Diesem Ansatz folgend haben sie sich um eine panoramaartige Darstellung des Themenbereiches „Stress“ bemüht – von der Genetik über die Klinik zu den sozialen Auswirkungen. So erfahren wir mit viel Empirie und auf der biologischen Ebene belegt, welche Wirkungen Stress akut auf Körper und Psyche hat. Die Autoren verdeutlichen konkret die neurobiologischen Mechanismen zwischen Stress und spezifischen Krankheitsbildern, zum Beispiel Schlafstörungen, Depressionen, Schmerz, Sucht- oder kardiologischen Erkrankungen. Erstaunlicherweise finden sich keine Ausführungen zum Sehen und Hören. Im letzten Fünftel beschreiben sie Konzepte der stresspsychologischen und -somatischen Diagnostik sowie unterschiedliche Ansätze der Therapie und Prävention von stressbedingten Erkrankungen. Wer allerdings konkrete Anleitungen erwartet hat, sollte sie nicht in diesem Buch suchen. Zwar werden die vielfältigen Konzepte zum Umgang mit Stress geschildert, aber vor allen Dingen, um die dabei erzielten Effekte empirisch darzustellen, also eine Art Qualitätskontrolle zu machen. Am Ende kann man also wissen, warum man es macht und wie effektiv sich dies Dr. med. Mabuse 252 · Juli / August 2021


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auf den Körper und die Verarbeitung auswirken kann. Das ist eine große Motivationshilfe. Wie man es macht, steht woanders. Helmut Schaaf, Bad Arolsen

Schattauer, Stuttgart 2020, 504 S., 58 Euro

Dieter Korczak (Hg.)

Digitale Heilsversprechen Zur Ambivalenz von Gesundheit, Algorithmen und Big Data

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ie Texte in diesem Sammelband entstanden im Kontext einer 2019 durchgeführten Tagung der VDW-Studiengruppe „Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe“ und wurden bis zum Sommer 2020 überarbeitet. Johann Behrens eröffnet mit einer Ideologiekritik: Digitalisierung sei kein durch technische Innovationen vorbestimmtes Schicksal, sondern eine dominant werdende Form des kapitalistischen Wirtschaftens. Die Rede von künstlicher Intelligenz überhöhe die Technologie und verschleiere, dass uns in ihr nur begegnet, was

Menschen entschieden und programmiert haben. Wenn Behrens sich wiederholt an der Vorstellung wärmt, durch Digitalisierung überflüssig gewordene Investmentbanker könnten auf Pflegeberufe umsatteln, trägt das auch komische Züge. Ein Gewinn ist seine Klarstellung bezüglich Datenschutz- und Einwilligungserklärungen: Unter den gegenwärtigen Verhältnissen kaschieren sie häufig nur das Übervorteilen der Nutzer*innen, anstatt es zu verhindern. Der nächste Beitrag fällt teilweise hinter die Einsicht zurück, dass Digitalisierung menschengemacht ist. Theodor Dierk Petzold kontrastiert binäre Logik und die Komplexität des Menschen, als ob es sich um vollständig entkoppelte Sphären handle. Sein Modell des Menschen in Um- und Mitwelt bekommt mehr Raum als nötig. Einwände gegen statistisch gewonnene Evidenz irritieren. Seine plausible Analyse, dass das Smartphone als Übergangsobjekt zwischen Menschen tritt, deren Begegnung es vermitteln soll, berührt jedoch ein zentrales Dilemma: Die regressive Fantasie, mit Endgerät und App wie mit einem sozialen Gegenüber zu interagieren, fördert auch bei gesundheitsbezogenen Anwendungen die Compliance – und damit idealiter deren Nutzen. Felix Tretter konkretisiert den monetären Wert von Gesundheitsdaten, die Verhältnisse zwischen den Marktteilnehmer*innen, wissenschaftliche Grundlagen der Algorithmen sowie deren Schwächen bei der Adaption von Assessments, die für die ärztliche Praxis entwickelt wurden. Aus zwei gesundheitswissenschaft-

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mitt natüürrlliicichhen Heeill-- und Dufttssto toffefen

Erhältlich im Buchhan nde el oder unter :

www.werkstatt-produ duktion.de/buchladen Dr. med. Mabuse 252 · Juli / August 2021

lichen Modellen leitet er Qualitätskriterien für digitale Gesundheitstechnologien ab, die bestehende Bewertungssysteme etwa im Bereich Datensicherheit und Ethik ergänzen könnten. Auf die Durchsetzung solcher Kriterien hoffen alle Autor*innen. Dieter Korczak lässt deutlich werden, dass insbesondere Wearables (wie Fitnessarmbänder) wissenschaftlich unzureichend fundiert sind, massenhaftes Einsammeln marktfähiger Daten erlauben und die Nutzer*innen durch das Feedback einer so verstandenen künstlichen Intelligenz tendenziell entmündigen. Auch bei durch Krankenkassen geförderten Apps und den verschreibungsfähigen „Digitalen Gesundheitsanwendungen“ (DiGA) beobachtet er eine Aufweichung der für Arzneimittel und Medizinprodukte entwickelten Standards. Dass die für Regulierung zuständige Politik selbst zur Schwächung des Datenschutzes beitrage, begründet Sylvia Johnigk mit entsprechenden Vorstößen einzelner Parteien und den Regelungen des E-Health-Gesetzes von 2015. Eingehend kritisiert sie die forcierte Einführung der Telematik-Infrastruktur („elektronische Patientenakte“) und die Dominanz der involvierten Bertelsmann-Gruppe: Während die Stiftung an Standards zur AppQualität mitwirkt, verdienen BertelsmannTochterunternehmen ihr Geld mit „Adresshandel, Scoring und Profiling“. Ralf Lankau argumentiert, dass die für die Corona-Warn-App ursprünglich vorgesehene zentrale Datenauswertung zu einer massiven Einschränkung informa-

Mit über 40 Basisrezepten für ü Produkte zur u Gesichts- und d Körperpflege

6. Auflage erweitert und aktualisie ert

ettina Malle/Helge Schmickl herische Öle selbst herstellen 92 Seiten, Hardcover, € 16,90

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tioneller Selbstbestimmung geführt hätte. Sein zweiter Beitrag schließt den Band mit einem Plädoyer unter anderem für konsequente Datenminimierung und die Veröffentlichung der Quellcodes und Algorithmen, welche die Verarbeitung steuern. Die Autor*innen sehen Sicherheit und Wirksamkeit einer digital gestützten Gesundheitsversorgung bedroht durch die Informationswirtschaft und einen Staat, der wichtige Standards zugunsten von Verwaltung und Wirtschaftsförderung relativiert. Als Beteiligter an einem einschlägigen Zulassungsverfahren empfinde ich die Regeln für DiGA zwar als klar und fordernd; im Oktober 2020 vom Chaos Computer Club aufgedeckte Sicherheitslücken zeigen jedoch, dass sie – gewollt oder ungewollt – noch zu leicht zu unterlaufen sind. „Digitale Heilsversprechen“ bietet wertvolle Einblicke in umkämpftes Terrain – und zahlreiche Anregungen, wie die entwickelten Technologien konsequent und wirkungsvoller zum Erhalt von Gesundheit beitragen könnten. Tobias Frisch, Frankfurt am Main

Mabuse, Frankfurt am Main 2020, 195 S., 29,95 Euro

Anja Röhl

Das Elend der Verschickungskinder Kindererholungsheime als Orte der Gewalt

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eim Lesen dieses Buches taucht man ein in ein vergangenes Zeitalter – und ist heilfroh, dass es vergangen ist! Die Verschickungen zwischen den 1950er- und 1990er-Jahren in Westdeutschland, die Kinder ab zwei Jahren für mindestens sechs Wochen trafen, wurden von ÄrztInnen verordnet, von den Krankenkassen bezahlt und über Steuergelder finanziert. Die Diagnosen waren beliebig: Die Kinder sollten aufgepäppelt werden, abspecken, wegen Haut- oder Lungenerkrankungen an die See.

Da das Aufpäppeln unbedingt von messbarem Erfolg gekrönt sein musste, wurden Kinder gezwungen zu essen – und mussten, falls sie es erbrachen, ihr Erbrochenes erneut essen. Beleibte Kinder mussten entsprechend hungern. Kinder, die aus Angst, Heimweh (Zweijährige!) und dem Verbot, nachts aufs Klo zu gehen, ins Bett nässten, wurden gedemütigt, bestraft, an den Pranger gestellt und bedroht („Du darfst nie mehr nach Hause!“). Die unwillkürlichen, und damit nicht steuerbaren Reaktionen der Kinder auf diese „Behandlung“ wie Erbrechen, Einnässen, Weinen wurden sanktioniert, Briefe nach Hause zensiert beziehungsweise direkt diktiert, Besuche waren verboten. Wenn Kinder später zu Hause von ihren Erlebnissen berichteten, wurde ihnen nicht geglaubt – was das Kind da erzählt, kann ja gar nicht sein, es übertreibt oder denkt sich das aus. Das Buch ist gut geschrieben und informativ, wenngleich ich mir mehr Fotos gewünscht hätte. Die Autorin Anja Röhl hat 2019 mit ihren Recherchen begonnen und über www.verschickungsheime.de viele Zuschriften erhalten. Nicht alle Kinder haben schlimme Erlebnisse machen müssen, einige haben sich durch inneren Rückzug und maximale Anpassung selbst geschützt. Viele leiden aber noch heute unter den traumatischen Erlebnissen. Eine Ärztin für Psychotherapie, der gegenüber ich dieses Thema erwähnte, meinte spontan: „Ich habe einige Patienten, die davon erzählen, zum Beispiel, dass sie Erbrochenes essen mussten.“ Zwei Aspekte seien in diesem Zusammenhang erwähnt: die Nutznießer dieser Kuren und das Personal. Die Verschickungen belebten die Kurorte, die nach dem Kriegsende verwaist waren und bescherten den Betreibern der Heime, zum Teil ehemalige Nazi-Funktionäre, viel Geld. Da die Kinder – meist mit einem Schild um den Hals – mit der Bahn zu ihrer Kur transportiert wurden, verdiente auch diese. Eine Heimbetreiberin stellte etwa der Deutschen Bahn eine Rechnung über ihren Verdienstausfall, da diese wegen Eis und Schnee die erwarteten Kinder nicht „geliefert“ hatte! Wer waren die „Tanten“ und „Schwestern“, die die Kinder drangsalierten? Die meisten der Pflegerinnen, die in den Heimen tätig waren, hatten selbst eine lückenlose Nazi-Sozialisierung in der Säuglings-, Kinder- und Jugendzeit durchlau-

fen. Angefangen von der Nicht-Erfüllung kindlicher Bedürfnisse (kein Stillen nach Bedarf, kein Hochnehmen beim Weinen, Füttern und Schlafen nach strengem Rhythmus, zwanghafte Sauberkeitserziehung) wurde das Kind als Feind betrachtet, das es zu bändigen galt. Später wurde weiter an der Nicht-Bindung gearbeitet, an der Erziehung zu Härte, Kälte und Disziplin: Die Bindung sollte nicht an die Eltern erfolgen, sondern an die Jugendgruppen, an den Führer. Durch grausame Rituale wurde die Bindungslosigkeit quasi antrainiert: So wurden kleine Jungen in einem Freizeitlager Kaninchen zur Betreuung gegeben, um die sie sich kümmern sollten. Am Ende der Freizeit sollten sie ihr Kaninchen schlachten, um zu beweisen, dass sie nicht weich sind, sondern geeignet, für all das, was noch von ihnen erwartet wird. Der Führer brauchte eine „eisenharte und mitleidlose“ Gefolgschaft. Dass dieses Personal selbst stark geschädigt war, steht außer Frage – und man sieht, wie lange die Nachwirkungen dieser Zeit noch in die heutige reichen. Das Buch zeigt, dass die Erlebnisse in den Kuren keine Einzelschicksale waren, sondern dass diese institutionelle Gewalt im System begründet war. Das mag für Betroffene eventuell eine kleine Entlastung sein. Ich kann nur empfehlen, das Buch selbst zu lesen. Zur weiteren Vertiefung möchte ich Interessierten den Besuch der oben genannten Website und aus der Literaturauswahl das Buch „Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Sigrid Chamberlain ans Herz legen. Eva Schneider, Hamburg

Psychosozial, Gießen 2021, 305 S., 29,90 Euro

Dr. med. Mabuse 252 · Juli / August 2021


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Mark Honigsbaum

Das Jahrhundert der Pandemien Eine Geschichte der Ansteckung von der Spanischen Grippe bis Covid-19

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enn eine bislang unbekannte, neue Krankheit auftaucht, herrscht bei ÄrztInnen, WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen zunächst Ratlosigkeit. In der breiten Öffentlichkeit werden schnell die absonderlichsten Thesen aufgestellt, Verschwörungstheorien aller Couleur sind en vogue. Alarmismus und Panikmache verstärken die Unübersichtlichkeit. Diese Geschichte scheint sich bei jeder Pandemie zu wiederholen, und das macht das im Folgenden besprochene Buch für Pandemiegeschädigte von heute lesenswert. Schon lange vor Corona begann der Medizinhistoriker Mark Honigsbaum, Materialien zur Geschichte der Pandemien zu sammeln. Es ist ein dickes Buch geworden, welches den Nerv der Zeit trifft und sich einreiht in all die Werke, die sich derzeit mit dem weltbeherrschenden Thema beschäftigen. Es ist nichts für zarte Saiten: Die zum Teil recht drastisch beschriebenen Pandemiegeschichten reichen von der Spanischen Grippe 1918 über Pestausbrüche in den USA, Psittakose, Legionellen, Zika und AIDS, SARS bis hin zu Covid-19 heute, Stand Mitte 2020. Bedrückend und klar dargestellt wird, dass viele der großen Seuchen unmittelbare Folge politischer Umwälzungen, aber auch unbedachter Eingriffe des Menschen in Ökosysteme sind. Und dass wir auch heute nicht in der Lage sind, die Folgen vorauszusehen. Umgekehrt münden die Folgen der Pandemien wiederum in persönliche, psychosoziale, wirtschaftliche und ökologische Katastrophen. Zum Überfliegen eignet sich das Buch nicht. Es ist eine anschauliche, gut recherchierte und spannend zu lesende Mischung aus Reportage und Wissenschaftsgeschichte. Für deutsche LeserInnen sollte hinzugefügt werden, dass der Autor eine angloamerikanische Sichtweise darstellt. Das mag manche kleinen Übersetzungsfehler, etwa den bekannten „falschen Freund“ Typhus für Fleckfieber, entschuldigen. Die vielen sorgfältig nach Zeit und Ort recherchierten Details und die vielen Namen von ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen erfordern große Konzentration beim Lesen. Gerade der Detailreichtum Dr. med. Mabuse 252 · Juli / August 2021

aber fesselt und führt in all seinen zum Teil schwer erträglichen Facetten an die Methoden und Grenzen der Wissenschaft heran. Der Rezensent erlaubt sich, hinzuzufügen: Andere Influenza-Pandemien, etwa von 1957 und 1968, kommen im Gedenken der Menschen kaum vor, auch wenn weltweit Millionen starben, wie auch bei den alljährlichen Influenza-Epidemien, die übrigens 2021 völlig ausgefallen ist. So hat das entstehende kollektive immunologische Gedächtnis dazu geführt, dass 2009 die „Schweinegrippe“ eher Jüngere befiel: Der größte Teil der älteren Bevölkerung hatte eine vorbestehende Teilimmunität – wie möglicherweise auch bei der Spanischen Grippe, der Influenza-Pandemie um 1890. Eine solche müssen wir jetzt durch eine möglichst große Durchseuchung im Sinne einer Herdenimmunität (durch Impfung oder natürliche Erkrankung) schaffen, damit künftige Corona-Ausbrüche nicht mehr so eindrucksvoll sind. Der Historiker Yuval Noah Harari hat in einem Interview mit der ZEIT im Oktober 2020 gesagt, dass die Covid-19-Pandemie es wohl niemals in die Geschichtsbücher geschafft hätte, wenn sie im Mittelalter aufgetreten wäre. An Covid-19 sterben vor allem ältere Menschen und die Todesrate ist, etwa im Vergleich mit Pest, Gelbfieber, Ebola oder Pocken, doch sehr gering. Und ohne die moderne Medizin und ihre weltweiten epidemiologischen Überwachungssysteme würden sehr viel weniger Menschen mitbekommen, dass gerade eine ungewöhnliche Krankheit weltweit Menschen tötet. Die Pandemie 1918 war viel schlimmer, wurde aber weniger bemerkt – und selbst das Wort Pandemie gab es vor 1918 nicht. Die verheerenden dezimierenden Pestausbrüche des Mittelalters, den „Schwarzen Tod“, bezeichnen wir erst retrospektiv als Pandemie. „Nicht die Dinge an sich beunruhigen, sondern die Sicht der Dinge.“ (Epiktet) Stephan Heinrich Nolte, Marburg

Ein Blick transna auf tion Betreuu ales n arrange gsment

Betreuung im eigenen Zuhause verspricht gute Sorge im Alter, geht aber oft nicht mit guten Arbeitsbedingungen einher. Das Buch zeigt, wie das transnationale Betreuungsarrangement in den drei Ländern ausgestaltet ist und wie Agenturen, Betreuende, Betreute, Angehörige und weitere Stakeholder mit der Situation umgehen. 2021, 264 Seiten, broschiert, € 24,95 ISBN 978-3-7799-6260-1

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