Sabine Daxberger, M.Sc., ist Pflegewissenschaftlerin, Lehrerin für Gesundheitsberufe und diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Gemeindenahe Pflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (Fakultät Pflege) arbeitet sie in Projekten zum Thema „Neue Technologien in der Pflege“. Diese Arbeit entstand als Masterthesis und wurde mit dem Koblenzer Hochschulpreis für akademische Spitzenleistungen ausgezeichnet.
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Sabine Daxberger
Neue Technologien in der Âambulanten Pflege Wie Smartphones die Pflegepraxis (mit-)gestalten
Mabuse-Verlag Frankfurt am Main
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter: http://dnb.dnb.de abrufbar. Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren AutorInnen und zum Verlag finden Sie unter: www.mabuse-verlag.de. Wenn Sie unseren Newsletter zu aktuellen Neuerscheinungen und anderen Neuigkeiten abonnieren möchten, schicken Sie einfach eine E-Mail mit dem Vermerk „Newsletter“ an: online@mabuse-verlag.de.
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Inhalt
Darstellungsverzeichnis 1. Einleitung
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege 3. Fragestellung und Zielformulierung
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4. Theoretischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4.1. Wissenschaftstheoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4.2. Habitus und das soziale Feld der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . 24 4.2.1. Habituskonzept nach Bourdieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4.2.2. Soziales Feld der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4.3. Das Feld der ambulanten Pflege in Österreich . . . . . . . . . . 32 4.4. Technik als sozialer Akteur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5. Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5.1. Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5.2. Feldzugang und Sample . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5.3. Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 5.4. Ethische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6. Ergebnisse der empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . 54 6.1. Zentrale Themen im Kontext des Einsatzes mobiler Endgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 6.1.1. Funktionen und Gebrauch der mobilen Endgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
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6.1.2. Arbeitsorganisation mit mobilen Endgeräten . . . . . 60 6.1.3. Dokumentation mit mobilen Endgeräten . . . . . . . . . 68 6.1.4. Kommunikation zum Handling problem behafteter Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.1.5. Umgang mit akustischen Signalen . . . . . . . . . . . . . . . 80 6.1.6. Probleme im Umgang mit mobilen Endgeräten . . . . 83 6.1.7. Mobile Endgeräte als permanente Begleiter . . . . . . . 88 6.2. Weiterführende Analyse ausgewählter Daten . . . . . . . . . . 93 6.2.1. Formulierende Interpretation am Beispiel der Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6.2.2. Diskussion auf Basis der komparativen Analyse und der Rahmenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 7. Zusammenfassende Beantwortung der Fragestellungen und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 8. Limitationen und Ausblick Literaturverzeichnis
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Darstellungsverzeichnis
Darstellung 1: Technisierungsstufen von Arbeitsmitteln (Irrgang, 2002, eigene Darstellung) . . . . . Darstellung 2: Alter der Pflegenden, Dienstjahre und Beobachtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . .
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Darstellung 3: Analyseschritte nach Vogd (2002; 2004) (eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Darstellung 4: Zentrale Themen aus der Empirie
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Darstellung 5: Funktionen und Gebrauch mobiler Endgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Darstellung 6: Arbeitsorganisation mit mobilen Endgeräten
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Darstellung 7: Dokumentation mit mobilen Endgeräten Darstellung 8: Kommunikation mit mobilen Endgeräten Darstellung 9: Umgang mit akustischen Signalen
Darstellung 10: Probleme im Umgang mit mobilen Endgeräten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Darstellung 11: Mobile Endgeräte als permanente Begleiter
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Darstellung 12: Klassischer Ablauf einer Betreuungssituation Darstellung 13: Ablauf einer Betreuungssituation bei erstmaligem Setzen einer Unterschrift
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Darstellung 14: Ablauf einer Betreuungssituation bei einer Störung und einem Problem . . . . . . . . . . . . .
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Darstellung 15: Betreuungssituation, in der ein AngehĂśriger stellvertretend unterschreibt . . . . . . . . . . . . . .
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Darstellung 16: Betreuungsverlauf bei Unterschrift durch den Pflegenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Darstellung 17: Betreuungsverlauf bei Unterschrift am Papier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Darstellung 18: Prozess von der pflegepraktischen Versorgung bis zur Leistungsverrechnung . . . . . . . . . . . . . . . 111 Darstellung 19: Konstituierung ambulanter Pflegepraxis Ăźber mehrere Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung
Zur Digitalisierung in der ambulanten Pflege ist kaum Evidenz verfügbar. Empirische Untersuchungen auf Basis hypothesengenerierender Verfahren, wie sich der Einsatz „Neuer Technologien“ in der sozialen Praxis ambulant Pflegender zeigt, scheinen ebenfalls noch auszustehen. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit gilt deshalb der sozialen Praxis ambulant Pflegender im Kontext der Verwendung mobiler Endgeräte. „Mobile Endgeräte“ steht in dieser Buchpublikation immer für „Smartphones“. In Kapitel 2 soll zunächst das Forschungsdesiderat datenbasiert argumentiert und damit die Relevanz der Untersuchung des Einsatzes mobiler Endgeräte in der ambulanten Pflege verdeutlicht werden. Dem folgen in den Kapiteln 3 und 4 die Präsentation der Fragestellung und der Ziele sowie die theoretische bzw. begriffliche Einordnung der Arbeit. Die Methodik der Datenerhebung und -analyse wird in Kapitel 5 begründet. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse der empirischen Erhebungen deskriptiv und diskursiv erläutert. Abschließend folgen die Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse in Kapitel 7 sowie ein Ausblick auf potenzielle Forschungsfelder in Kapitel 8.1 1 Diese Arbeit entstand als Masterthesis an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Wissenschaftlich betreut wurde sie von Univ.-Prof. Dr. Manfred Hülsken-Giesler, dem Inhaber des Lehrstuhls für Gemeindenahe Pflege und Prodekan an der Pflegewissenschaftlichen Fakultät. Methodisch begleitet wurde die Untersuchung von Univ.-Prof.in Dr. Alexandra Manzei, Professorin für Gesundheitssoziologie an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg. Beiden gilt ein ganz besonderer Dank für die differenzierten Rückmeldungen und hilfreichen Anregungen! Auszüge aus den Inhalten dieser Publikation wurden im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge bereits vorgestellt.
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege Seit Beginn des 20. Jahrhunderts arbeiten Pflegende mit technischen Artefakten und seit den 1960er-Jahren sind sie zunehmend in die Wartung, Anwendung und Überwachung medizinisch-technischer Geräte eingebunden. Das Vorhandensein von Technik in der Pflegearbeit ist heute so selbstverständlich, dass dies häufig erst bewusst wird, wenn Defekte auftreten. Die Reflexion der Anwendung dieser Neuen Technologien erfolgt spät und bisweilen überhaupt nicht. Das lässt sich allenfalls durch die rasche Infiltration von Technik in den Alltag und deren Omnipräsenz im pflegerischen Alltag erklären (Hülsken-Giesler, 2007a; 2007b; 2008). Wie vor allem Friesacher (2010), Hülsken-Giesler (2007a/b) und Remmers (2007) aufzeigen, wird die Diskussionen um das Verhältnis von Pflege und Technik zuerst international geführt. In den 1980erJahren herrscht demnach ein ‚technological optimism‘, der besagt, dass es sich bei Technik um ein sozial, moralisch und kulturell neu trales Instrument handelt. Pflegerische Handlungsspielräume lassen sich dadurch erweitern, sie werden steuerbar und bringen eine Arbeitserleichterung. Damit geht die Aussicht auf eine Statusverbesserung, insbesondere gegenüber Medizinern, einher. Dies wird als die Entwicklung von einer ‚intuitive care‘ zu einer ‚intelligent care‘ bezeichnet. In den 1970er-Jahren entwickelt sich der ‚technological romanticism‘, wonach die Pflege weiblich konnotiert ist, während die Technik als Männerdomäne gilt. Sowohl die Technik als auch die Medizin forcieren Medikalisierungstendenzen. Pflege gilt in diesem 10
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege
Zusammenhang als Anwalt für die Interessen des Menschen. In den 1970er- bzw. 1980er-Jahren entsteht der ‚technological essentialism‘. Dort wird eine Rückbesinnung auf originär pflegerische Werte ge fordert. Technik wird als hinderlich für die Beziehungsarbeit in der Pflege gesehen. Es wird von einem Dilemma technischer und menschlicher Imperative gesprochen. Technik ist demnach rational ausgerichtet und stellt eine Reduzierung dar. Pflege und Technik haben jeweils eigene Identitäten, zwischen denen unüberbrückbare Gräben bestehen. Diese Ansicht herrscht bis in die 1990er-Jahre. Heute überwiegt eine sozialkonstruktivistische Perspektive, nach der Technik als ein Teil der Gesellschaft zu sehen ist. Eine neutrale Rolle ist demzufolge nicht haltbar. Vielmehr gelten technische Dinglichkeiten als komplexe gesellschaftliche Produkte, die auf die Gesellschaft zurückwirken. Technik und Mensch stehen in einem Verhältnis wechsel seitiger Abhängigkeit und die Neuen Technologien können keinesfalls als sozial neutral betrachtet werden (Hülsken-Giesler, 2015 2008; 2007a; 2007b; Remmers & Hülsken-Giesler, 2007). Die Klärung des Technikbegriffes an sich stellt ein umfangreiches, aber notwendiges Unterfangen dar. Nach Ropohl umfasst Technik „(1) die Menge der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte), (2) die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Artefakte entstehen, und (3) die Menge menschlicher Handlungen, in denen Artefakte verwendet werden. Somit Beschreibung der Technik und ihrer naturalen Dimension (naturwissenschaftliche, ingenieurwissenschaftliche und ökologische Erkenntnisperspektive), ihrer humanen Dimension (anthropologische, physiologische, psychologische und ästhetische Erkenntnisperspektive) und ihrer sozialen Dimensionen (ökonomische, soziologische, politologische, historische Erkenntnisperspektive) … Jeder technische Eingriff in künstliche und/oder natürliche Systeme kann Nutzen, aber auch Schaden bringen.“ (Gabler Wirtschaftslexikon zit. nach Rohpol, 2015b, o.S.)
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege
Der Technikphilosoph Bernhard Irrgang führt aus: „Technik ist die Summe aller Technik und der damit verbundenen Praxisstrukturen, … alle möglichen Formen des Wissens von Technik und der Vermittlung (Lehre) dieses Wissens“ (Irrgang, 2008, S. 18) und weiter „… Technologie ist die Objektivierung technischen Umgangswissens und technischer Kompetenz, die Vernetzung technologischer Strukturen mit Formen der Mensch-Technik-Interaktion …“ (Irrgang, 2008, S. 17). Die zunehmende Komplexität und Autonomie technischer Hilfsmittel wird anhand der fünf Technisierungsstufen in Darstellung 1 transparent.
Handarbeit inklusive tierischer Unterstützung
Motor-manuelle Arbeit oder mechanische Arbeit
Einfache Maschinenarbeit
(maschinelle Führung des Werkzeuges)
Entwickelte Maschinenarbeit
(Abspulen fester Handlungsabläufe)
Automatische Maschinenarbeit
(z. B. Speicherung, Aufnahme & teilweise Verarbeitung von Daten)
Darstellung 1: Technisierungsstufen von Arbeitsmitteln (Irrgang, 2002, eigene Darstellung)
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege
An die letztgenannte Stufe, die automatische Maschinenarbeit, soll an dieser Stelle der Begriff der ‚Neuen Technologien‘ anschließen. Neuen Technologien, das sind computergestützte Technologien, wird das Potenzial zugesprochen, „… eine zeit- und ortsunabhängige, vernetzte Kommunikation der Akteure im Gesundheitswesen über alle Sektoren hinweg …“ zu ermöglichen (Hülsken-Giesler, 2010, S. 332). Die Entwicklung der Computerisierung im Gesundheits bereich und insbesondere in der Pflege hat Hülsken-Giesler (2008) in seiner Dissertationsschrift nachgezeichnet. Wie sich die Nutzung des oben genannten Potenzials im Gesundheitswesen auswirken kann, zeigt Manzei (2009) am Beispiel der Intensivstation. Empirisch nähert sie sich den Folgen der zunehmenden digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen an und konstatiert „Das Neue und Besondere liegt … in der informationstechnologischen Vernetzung der Patientenakte mit der elektronischen Patientenüberwachung und dem Patientenkörper einerseits sowie dem klinischen und dem betriebswirtschaftlichen Managementsystem andererseits.“ (Manzei, 2009, S. 45)
Die digitalen Netzwerke üben indirekt Einfluss auf den Gesundheitsbereich aus. So bieten sie eine Grundlage zur Kontrolle und Steuerung der Tätigkeiten und des Entscheidungsverhaltens beim Personal. Die Daten können für den Informationsfluss auf der Ebene medizinischer/pflegerischer Leistungserbringung unmittelbar genutzt werden. Zudem werden sie von der Managementebene als Ins trument zur Rechenschaftspflicht genutzt. Sie können durch die Sammlung großer Datenmengen der Makroebene zugänglich gemacht und von dort für Steuerungsmaßnahmen genutzt werden (Manzei, 2009). Manzei (2009) spricht von einem Zusammenspiel von Digitalisierung, Standardisierung und Ökonomisierung, das Sachzwänge entstehen lässt und zu einer Veränderung der sozialen 13
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege
Praxis von Ärztinnen und Ärzten und von Pflegenden führt. Aus der Problematik der mangelnden Technikgängigkeit von Leistungen, die nicht messbar sind, und den Zielkonflikten zwischen betriebswirtschaftlichen, ethischen und medizinisch/pflegerischen Logiken ergeben sich Fragen nach der Legitimation von Leistungen. Manzei (2009) befürwortet zur Beantwortung dieser Fragen grundsätzlich die gegenwärtig (vordergründig) betriebene anwendungsbezogene Technikforschung, fordert aber gleichzeitig die Forcierung der fast vollständig fehlenden techniksoziologischen und wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung mit der Thematik. In der Pflege dienen Neue Technologien erstens der Unterstützung der pflegepraktischen Arbeit und zweitens zur Abbildung des Leistungsgeschehens. In der theoretischen und empirischen Auseinandersetzung mit der Frage nach Technikkompetenzen von Pflegepraktikerinnen und Pflegepraktiker und der Vermittlung derselben zeigt sich ebenfalls eine deutliche Anwendungsorientierung im Sinne des Umgangs mit Computern als Informations verarbeitungssysteme (Hülsken-Giesler, 2010). In der Bearbeitung des erstgenannten Punktes kommen Elsbernd et al. (2012) auf Basis eines internationalen Literaturreviews zu dem Schluss, dass aktuell zum Nutzen Neuer Technologien zur Unterstützung der pflegepraktischen Arbeit nahezu keine belastbaren wissenschaftlichen Belege verfügbar sind. Zum zweitgenannten Punkt sei Friesacher (2010) zitiert, der sich auf die Ausführungen von Hülsken-Giesler (2007a/b; 2008; 2010) bezieht und ebenfalls den nationalen und internationalen Diskurs zu Pflege und Technik reflektiert. Er attestiert, dass die Kranken im Krankenhaus zunehmend zu „Datenträgern“ und die Pflegenden zu „Vermessungstechnikern“ würden (Friesacher, 2010, S. 302). Bestrebungen zur Umstellung der Pflegedokumentation von Papierform in elektronische Form können exemplarisch als Ausdruck dessen verstanden werden. Friesacher (2011) verdeutlicht das am Beispiel des Pflegeprozesses, der als Grundlage für eine digitale 14
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege
Pflegedokumentation dienen kann. Im Pflegeprozess wird der pflegebedürftige Mensch, dem kybernetischen Regelkreis2 folgend, in Probleme zerlegt. Zu jedem Problem formuliert man dann Ziele und Maßnahmen zur Zielerreichung. Um technikkompatibel zu sein, müssen all diese Schritte durch eine Fachsprache operationalisierbar, d. h. digitalisiert (bzw. digitalisierbar gemacht) werden. Die zunehmende Standardisierung der Pflegediagnostik kann als Ausdruck dieser Bestrebungen verstanden werden (Friesacher, 2011). So weist beispielsweise Hübner bereits im Jahr 2004 auf informationstechnologische Möglichkeiten und deren Begrenzung durch Mängel an geeigneter Terminologie, an Repräsentation von pflegerischem Wissen, in der Auswertung der Patientendaten und der Kommunikation der Daten an andere Gesundheitseinrichtungen hin. Dem empirisch-analytischen Paradigma folgend spricht sie von „Baustellen“, und fordert „skalierbare Lösungen“ (Hübner, 2004, S. 233). Hülsken-Giesler (2007a, S. 104) postuliert in diesem Kontext ein umfassendes pflegewissenschaftliches Forschungsdesiderat in der „Auseinandersetzung mit Auswirkungen des zunehmenden Technikeinsatzes auf das pflegerische Handeln selbst sowie auf das Selbstverständnis der pflegenden Akteure“ für den deutschsprachigen Raum. Umfassende Arbeiten zur Maschinisierung und Computerisierung der Pflegearbeit im Krankenhaus (Hülsken-Giesler, 2008) und zur Rolle von Standardisierung und Digitalisierung im Kontext der Ökonomisierung des Gesundheitswesens in Deutschland liegen mittlerweile vor (Manzei & Schmiede, 2014). Zum Einsatz Neuer Techno-
2 Die ursprüngliche Wortbedeutung von Kybernetik lässt sich auf die Begriffe Steuermann bzw. Steuermannskunst zurückführen. Das schließt „… regieren ebenso … wie ganz allgemein die Kunst der Handlungssteuerung und oder Handlungsregelung“ ein (Friesacher, 2011, S. 346). „Der Kernbereich der Kybernetik meint eine formale Theorie der geregelten dynamischen Systeme, wobei kreisrelationale Funktionsabläufe eine Angleichung von Ist- an Soll-Werte leisten“ (ebd.). Befürworter der Kybernetik sehen darin eine Möglichkeit zur Überwindung paradigmatischer und transdisziplinärer Grenzen, während Kritiker vor einer „totalen Technisierung des Denkens“ durch eine Kybernetisierung warnen (ebd., S. 237).
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege
logien im Krankenhaus, dort insbesondere auf Intensivstationen, liegen ebenfalls bereits Untersuchungen vor. Auch sie beleuchten die Perspektiven der professionellen Akteure (Manzei, 2005). Auf der Suche nach der Perspektive der professionellen Pflegenden im ambulanten Sektor zeigen sich lediglich Studien zu den Anforderungen und zur Implementierung mobiler Anwendungssysteme bzw. mobiler elektronisch gestützter Pflegedokumentation (exemplarisch Breitschwerdt, 2013; Breitschwerdt, Thomas & Robert, 2011; Hübner, 2004). In einer geplanten Veröffentlichung berichtet Hülsken-Giesler von einer weiten Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien in stationären Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Zum Umfang des Einsatzes von Informations- und Kommunika tionstechnologien in der ambulanten Pflege in Deutschland liegen aktuell keine belastbaren Zahlen vor (Hülsken-Giesler, 2015). Eine unveröffentlichte Online-Untersuchung, die im Raum München durchgeführt wird, zeigt, dass dort lediglich 8 % der ambulanten Dienste die Pflegedokumentation gänzlich elektronisch durchführen. Fast die Hälfte der befragten ambulante Dienste plant jedoch eine Umstellung auf ein mobiles computergestütztes System und der Großteil der Organisationen arbeitet bereits jetzt mit einer Kombination aus papier- und computergestützter Dokumentation (Brockmann, 2015). Die Suche nach einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Einsatz der mobilen computergestützten Geräte in der ambulanten Pflege in Österreich bleibt ebenso ergebnislos wie jene nach systematisch generierten Zahlen zur Verbreitung der Computertechnologien in der ambulanten Pflege. Erste unsystematische Annäherungsversuche an das Feld der ambulanten Pflege in Österreich für die geplante Untersuchung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zeigen ein ähnliches Bild, wie es von Brockmann (2015) für München beschrieben wird. Alle angefragten Organisationen nutzen zur Kommunikation und für einen 16
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege
Teil der Dokumentation bereits mobile computergestützte Endgeräte in Form von Smartphones3. Die gesetzlich verankerte Dokumentation des Pflegeprozesses nach dem österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramt [RIS BKA], 2015a) erfolgt dabei jeweils in Papierform. Dazu werden Betreuungsmappen verwendet, die in den Wohnräumen der Pflegebedürftigen verbleiben. Eine vollständige Umstellung der Pflegedokumentation auf computergestützte Systeme ist – so die Auskunft der Pflegedienstleitungen – auch hier angedacht. Der Einzug von Smartphones in den Arbeitsalltag Pflegender geht mit einem gesamtgesellschaftlichen Trend einher. So fasst eine Studie zur Erforschung von Konsumpraktiken bei Smartphone-Verwendern zusammen, dass diese Geräte für viele Menschen selbstverständliche Begleiter im Alltag geworden sind. Dort wird Statista zitiert, wonach es in Deutschland im Jahr 2014 ca. 40,4 Millionen Nutzerinnen und Nutzer von Smartphones gab, das sind fast 50 % der Gesamtbevölkerung und rund ein Viertel mehr als im Jahr zuvor (Statista zit. nach Kaufmann, 2015). 67 % der Nutzerinnen und Nutzer von Smartphones gehen nicht ohne das Gerät aus dem Haus (Google zit. nach Kaufmann, 2015, S. 2). Während die gesellschaftliche Durchdringungsrate mit Smartphones als gut erforscht gilt, liegen noch keine detaillierten verstehenden Analysen dazu vor (Kaufmann, 2015). Zur Situation in Österreich können keine Erkenntnisse identifiziert werden.
3 Definition Smartphone: „Mobiltelefon mit erweitertem Funktionsumfang. Dazu zählen neben der Telefonie und Short Message Service (SMS) üblicherweise Zusatzdienste wie Electronic Mail (E-Mail), World Wide Web (WWW), Terminkalender, Navigation sowie Aufnahme und Wiedergabe audiovisueller Inhalte. Auf Smartphones laufen gegenüber herkömmlichen Mobiltelefonen komplexere Betriebssysteme … Die hierdurch geschaffene Möglichkeit zur Installation weiterer Applikationen durch den Endnutzer verleiht Smartphones einen erweiterbaren und individua lisierbaren Funktionsumfang.“ (Gablers Wirtschaftslexikon, 2015a, o.S.)
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2. Technik im Gesundheitswesen und in der Pflege
Die Fragen, wofür Neue Technologien in der ambulanten Pflege in Form von mobilen Endgeräten tatsächlich genutzt werden und wie sich ihr Einsatz in der sozialen Praxis Pflegender in diesem Handlungsfeld gestaltet, wurden bisher nicht systematisch bearbeitet und sollen deshalb im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen.
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