Buchbesprechungen 2015

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Hans-Wolfgang Hoefert, Andreas Michalsen u. a. (Hg.)

Komplementärmedizin im Krankenhaus Strategien, Konzepte, Umsetzung

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ie Herausgeber machen es dem Rezensenten eigentlich leicht. Im Vorwort heißt es einleitend: „Die Popularität von komplementär-alternativen und naturheilkundlichen Heilmethoden hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen, und dies ungeachtet der nicht immer vorliegenden Evidenz solcher Methoden. In der Krankenhauslandschaft sind die Komplementärmedizin und die Naturheilkunde in Form unterschiedlichster spezieller Einrichtungen innerhalb konventioneller Krankenhäuser oder mit Spezialeinrichtungen für einzelne Therapierichtungen oder Erkrankungen vertreten. Der alternativ-komplementärmedizinische Bereich richtet sich nicht unbedingt nach Standards und Leitlinien, orientiert sich aber an eigenen Qualitätskriterien“. Jetzt wird dieses Eingeständnis die einen höchst irritieren, die anderen erfreuen, weil sie von der evidenzbasierten Medizin und Standards sowieso nicht viel halten. Das Buch ist insoweit eine Werbeschrift für die Erweiterung des Angebots an „Komplementärmedizin“ im stationären Sektor. Es werden in einem Anhang einige prominente Kliniken beschrieben und ausführliche Hinweise zur Etablierung entsprechender stationärer Angebote gegeben. Dass es für die wenigsten „alternativmedizinischen“ Angebote angemessene Nutzenbelege gibt, wird in den meisten der Beiträge im Grundsatz zunächst offen adressiert. In einer ermüdenden Redundanz finden sich dann aber immer wieder unbewiesene Behauptungen von „Erfolg versprechenden Ansätzen“ zu allen möglichen Beschwerden und Erkrankungen. Mindestens ärgerlich wird es, wenn durch Literaturhinweise der Anschein erweckt wird, es gebe Nutzenbelege: So soll Akupunktur bei der Geburtseinleitung helfen oder Soja die Überlebenschancen von Frauen mit Brustkrebs verbessern. Daneben gibt es auch Autoren, wie den Mitherausgeber Michalsen, der ohne jeden Literaturnachweis das Buchinger Saftfasten, den Aderlass und Akupunktur

bei Herzkreislauf-Erkrankungen empfiehlt. Dieses und vieles andere mehr wird im Rahmen stationärer Aufenthalte von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Wer sich einen exemplarischen Eindruck verschaffen möchte, was 2014 ein Chefarzt seinen potenziellen PatientInnen als moderne Behandlung ans Herz legt, der schaue sich das kleine Video an, mit dem der Koautor des Buches Prof. Andreas Bünz (Abteilung für Naturheilmedizin der Hufeland-Klinik, Bad Ems) die Wirkungsweisen der Homöopathie erklärt: „nicht greifbar, unendlich verdünnt“ (www.naturheilmedizin-bad-ems.de/therapeutische-verfahren/ grundsaetze-der-homoeopathie/). Die Magie lebt. Salve, Germania! Norbert Schmacke, Bremen

Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2014, 264 Seiten, 79,95 Euro

Kurt Langbein

Weißbuch Heilung Wenn die moderne Medizin nichts mehr tun kann Lissa Rankin

Mind over medicine Warum Gedanken oft stärker sind als Medizin. Wissenschaftliche Beweise für die Selbstheilungskraft

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ie vorgestellten Neuerscheinungen referieren wissenschatliche Studien und diskutieren keine übernatürlichen Phänomene. In diesem Sinne sind beide Bücher seriös und von religiösen und esoterischen Darstellungen abzugrenzen. Stefan Zweigs „Heilung durch den Geist“ von 1913 soll als Kontrastfolie dienen und Leerstellen der zeitgenössischen Publikationen sichtbar machen. Für sein „Weißbuch Heilung“ greift der Medizinjournalist Kurt Langbein auf Erfahrungen mit seiner Krebserkrankung zurück. Begegnungen mit sogenannten Wunderheilern, Ärzten, Forschern etc. dienen seinen Ausführungen als Aufhänger. Aus dem persönlichen Erleben entwickeln sich jedoch weder ein dramati-

scher Plot noch spektakuläre Schlussfolgerungen. Das Buch erscheint so als solide gemachter Rundumschlag zum Thema, der wenig zu fesseln vermag. Lissa Rankin hingegen erzählt in „Mind over Medicine“ eine Heldenreise, sie selbst in der Doppelrolle der skeptischen Ärztin und verzweifelten Patientin. Nur zögerlich lässt sie sich zum Beispiel von der Möglichkeit von Spontanheilungen überzeugen – durch wissenschaftliche Arbeiten, die auf diesem Wege en passant, aber gründlich referiert werden. Was die Studien als Einflussfaktoren aufzeigen, verdichtet sie zu „Rezepten“ für die seelische und körperliche Heilung. Das zeugt von Geschäftssinn. An zentralen Stellen eingestreute Einschränkungen und Relativierungen bewahren dem Buch jedoch seine Seriosität. Die Veröffentlichungen gleichen sich hinsichtlich der zentralen Argumentationslinie: Beide verweisen auf Studien zu Placebo-/Nocebo-Effekten und auf gut dokumentierte und analysierte Fälle von Spontanremissionen, um zu belegen, dass wesentliche Heilfaktoren jenseits der medikamentösen oder chirurgischen Intervention existieren – auch wenn sie manchmal zu Ergebnissen führen, die mit dem medizinisch Erwartbaren schwer in Deckung zu bringen sind. Sie sehen dort dieselben „Selbstheilungskräfte des Körpers“ (Langbein) am Werk wie beim Auskurieren eines Schnupfens oder bei der Regeneration der Haut. Außerdem referieren beide AutorInnen Forschungsergebnisse der Epigenetik, um plausibel zu machen, dass auch genetische Dispositionen abhängig von psychosozialen Einflüssen wirken. In weitgehender Übereinstimmung identifizieren sie Einflussfaktoren, die eine Selbstheilung des Körpers befördern oder hindern: neben der optimistischen oder pessimistischen Erwartungshaltung etwa die Zufriedenheit im Arbeitsund Beziehungsleben, eine erfüllende Sexualität oder Spiritualität. Schließlich ist auch die Summe ihrer Erkenntnisse dieselbe: Hauptgegner der Gesundheit ist negativer psychischer Stress, tiefe Entspannung hingegen versetzt den Körper am besten in die Lage, sich selbst zu heilen. Wer gesund bleiben oder werden will, tut gut daran, sein Leben in Ordnung zu bringen, regelmäßig zu meditieren oder zumindest Tätigkeiten nachzugehen, die die „relaxation response“ (Rankin) des Körpers auslösen. Dr. med. Mabuse 213 · Januar / Februar 2015


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Stefan Zweigs „Heilung durch den Geist“ verdeutlicht, wie voraussetzungsreich und zeitgebunden diese Analysen sind. Zweig begleitete den Arzt und „Entdecker“ des „animalischen Magnetismus“ Franz Anton Mesmer (1734–1815), die gebrechliche und geschäftstüchtige Gründerin der „Christian Science“ Mary BakerEddy (1821–1910) und schließlich Sigmund Freud (1856–1939) bei ihren Bemühungen, die Ursachen medizinisch unwahrscheinlicher Heilungserfolge zu begreifen. Bei Zweig ist Sigmund Freud derjenige, der die dunklen Ahnungen und wahnhaften Zuschreibungen der anderen in ein wissenschaftliches System überführt. Diese Rolle ist bei Rankin und Langbein anders besetzt: Was Gültigkeit erlangen will, muss auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse bezogen werden. Die gesundheitsförderlichen Effekte einer ausgeglichenen Persönlichkeit oder der Bewältigung eines schweren Konfliktes werden darauf zurückgeführt, dass Stress vermieden und Entspannung erleichtert werden. Sigmund Freud bedarf nun offenkundig seinerseits der „wissenschaftlichen“ Übersetzung und Rechtfertigung. Rankin und Langbein bejahen die Sinnhaftigkeit psychotherapeutischer Interventionen. Aber Rankin referiert auch Studien, die nahelegen, dass es für deren Erfolg nicht immer einen ausgebildeten Therapeuten braucht. (Für eine genauere Bestimmung des Verhältnisses von Pla-

cebo-Effekten und psychotherapeutischem Erfolg siehe Asmus Finzen, „Warum werden unsere Kranken eigentlich gesund?“, ISBN 978-3-86321-023-6). Mit der Meditation empfehlen beide AutorInnen eine Tätigkeit, die Konzentration fordert und Selbsterkenntnis fördert – aber nicht durch Deuten und Interpretieren, sondern durch den weitgehenden Verzicht auf logisch-analytische Reflexion. Zweigs Schilderung der Mühen, welche die Psychoanalyse ihrem Begründer und seinen KlientInnen abverlangt, verdeutlicht auch: „Heilung durch den Geist“ ist nicht für alle Menschen gleichermaßen zu haben. Nicht jeder verfügt über die nötigten Ressourcen für ausführliche Reflexion, regelmäßiges Meditieren oder die Kultivierung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils. Was schreiben Rankin oder Langbein zu den sozialen Rahmenbedingungen individueller Gesundheit? Langbein geht ausführlich auf die „Whitehall“-Studien des britischen Epidemiologen Michael Marmot ein, die belegen, dass der soziale Status einer Person zu wesentlichen Anteilen deren Gesundheit und Lebenserwartung bestimmt. Außerdem bezieht er sich wiederholt auf den Mediziner Joachim Bauer, der den sozialen Frieden einer Gesellschaft als wesentlichen Gesundheitsfaktor versteht. Langbein übt Kritik an gesundheitspolitischen Rahmensetzungen: etwa am Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die Forschung oder an der Abhängigkeit

des Versorgungssystems von randomisierten Doppelblindstudien. Seine Ausführungen und Verbesserungsvorschläge bleiben aber unverbunden und lassen kein übergeordnetes Konzept erkennen. Rankin lässt soziale und politische Fragen fast vollständig außen vor. Dafür diskutiert sie ausführlich die Rolle der behandelnden ÄrztInnen. Sie macht konkrete Vorschläge, wie diese eine Diagnose übermitteln können, ohne PatientInnen durch statistisch ungünstige Prognosen unnötig zu entmutigen. Die Selbstbestimmung der PatientInnen, sein/ihr Recht auf Information und Aufklärung nimmt sie dabei durchaus ernst. Ihre Vorschläge wirken erfahrungsgesättigt und dürften auch gestandenen MedizinerInnen Anregungen bieten. Tobias Frisch, Frankfurt am Main

Ecowin, Salzburg 2014, 208 Seiten, 22,95 Euro

Kösel, München 2014, 350 Seiten, 22,95 Euro

Jörg Weisshaupt (Hrsg.) «Darüber reden» Perspektiven nach Suizid: Lyrik und Prosa von Hinterbliebenen 2013. 173 Seiten, mit zahlreichen Fotografien. Gebunden. ¤ (D) 20.50 / ¤ (A) 21.– ISBN 978-3-03784-036-8 Verlag Johannes Petri

Peter Gill Suizid. Wie weiter? Trauern und Abschiednehmen bei Suizid und plötzlichen Tode o sfällen Mit einem Vorwort von Joachim Küchenhoff und Nachworten von Marie-Louise Stamm und Jörg Weisshaupt 2014. 224 Seiten. Gebunden. ¤ (D) 23.50 / ¤ (A) 24.50 ISBN 978-3-03784-059-7 Verlag Johannes Petri

Ve r l a g J o h a n n e s P e t r i Dr. med. Mabuse 213 · Januar / Februar 2015

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Umgang und Perspektiven bei Suizid

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w Neuerscheinung im Mabuse-Verlag

Andreas Hillert

Burnout – Zeitbombe oder Luftnummer? Persönliche Strategien und betriebliches Gesundheitsmanagement

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Olga Kogan

Diagnose: Empathie Aus dem Alltag einer jungen Ärztin klk

Hardcover, Format 11 cm × 15 cm 76 Seiten, 9,90 Euro ISBN 978-3-86321-231-5

Als Ärztin tätig zu sein, bedeutet zu funktionieren. Unerheblich, wie spät es ist und wie lange man schon auf den Beinen sein mag. Man muss richtige Diagnosen stellen, adäquat handeln und neutral beobachten. Olga Kogan wagt es, Situationen zu schildern, die Emotionen herausfordern. Als junge Ärztin erlebt sie immer wieder solche Momente: erschütternde Begegnungen mit Todkranken, lehrreiche Rückschläge und euphorisierende Therapieerfolge. Ihre Erzählungen sind persönlich, mitreißend und gefühlvoll.

Mabuse-Verlag GmbH Kasseler Str. 1 a • 60486 Frankfurt Tel.: 069–70 79 96–13 • Fax 069–70 41 52 verlag@mabuse-verlag.de www.mabuse-verlag.de

urnout und Überlastung am Arbeitsplatz finden unter Fachleuten und unter Laien beziehungsweise Betroffenen immer mehr Aufmerksamkeit. Arbeitsstress ist mittlerweile als zentraler Risikofaktor für eine Vielzahl gesundheitlicher Beeinträchtigungen bis hin zu körperlichen und seelischen Erkrankungen anerkannt. Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Globalisierung hat sich die Arbeitswelt in den letzten Jahren weitreichend gewandelt, begleitet von vielfältigen Veränderungen in den Anforderungen und in der Folge neuen Risiken für die psychische und körperliche Gesundheit: Arbeitsverdichtung (inklusive Multitasking), steigender Leistungsdruck, Fragmentierung von Arbeitsabläufen, prekäre Arbeitsverhältnisse und ein Verwischen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Burnout führt häufig zu Kontakten mit den Gesundheitsdiensten – ist aber von der WHO nicht als Krankheit anerkannt. Es wird überwiegend als arbeitsbezogenes Syndrom mit körperlicher und mentaler Erschöpfung als zentralem Symptom verstanden – eine verbindliche Definition gibt es nicht. Ausgebrannt zu sein, ist offenbar weniger stigmatisierend als sich als depressiv erkrankt zu bezeichnen – die Verwendung der Bezeichnung Burnout für eine Depression hat in der Bevölkerung zugenommen und depressive Personen höherer sozialer Schichten werden von Ärzten und psychologischen Psychotherapeuten eher unter dem BurnoutSyndrom verschlüsselt. Andreas Hillert hat sich als Chefarzt einer medizinisch-psychosomatischen Klinik und als kritischer Autor zahlreicher Fachartikel einen Namen gemacht. Sein souveräner Überblick unter dem provozierenden Titel „Burnout – Zeitbombe oder Lachnummer?“ besticht durch umfangreiches Feldwissen und eine pragmatische Grundhaltung: „Realiter handelt es sich um eine komplexe, sich aus aktuellen Entwicklungen in Arbeitswelt und Gesellschaft ergebende Herausforderung, die es zu reflektieren, teils zu akzeptieren

und mehrdimensional anzugehen gilt“. Immer schwerer ist es geworden, die Fülle an „Ratgeberliteratur“ und vorbeugenden Schulungen oder Rehabilitationsmodulen für besondere Zielgruppen wie LehrerInnen, ÄrztInnen, Pflege- und Führungskräfte in Industrie und Behörden zu überblicken. Betriebliches Gesundheitsmanagement, ein wesentlicher Adressat, versucht unter anderem Betrieben vertrauensbildende und wertschätzende Leitungsstile näherzubringen, um die Gesundheitsquote der Mitarbeiter zu erhöhen; das Kosten-Nutzen-Verhältnis liege etwa zwischen 1:5 und 1:10 bezüglich der Einsparungen. Die ersten drei von acht Kapiteln leiten historisch und pointiert Schwächen (z.B. seine methodisch umstrittene Messbarkeit) und Stärken des Burnout-Konzepts und seiner ungebrochenen Popularität her. Stress- und (biopsychosoziale) Krankheitsmodelle und der Kompromisscharakter etablierter Klassifikationssysteme (ICD-10) werden gut verständlich erläutert. Die Voraussetzungen von seelischer Gesundheit wie auch ihre Abgrenzung zu seelischen Erkrankungen finden sich differenziert diskutiert (Kap. 3). Der zweite Teil widmet sich dem Stressmanagement und sichtet kritisch die (unterschiedlich) bewährten verhaltens- und verhältnisorientierten Strategien. Einschränkend gilt, dass präventive und therapeutische Interventionen in der Literatur und in der Praxis wenig voneinander abgegrenzt werden. Die einzelnen Maßnahmen sind sehr heterogen und kaum vergleichbar. Welche Elemente für eine wirksame Prävention von Burnout spezifisch, wie nachhaltig die Effekte und mögliche Auffrischungsangebote sind, lässt sich noch nicht eingrenzen. Dies gilt auch für die zahlreichen Angebote, insbesondere Führungskräfte wegen ihrer Vorbildfunktion in einer „gesundheitsgerechten“ Gestaltung von Arbeitsorganisation, -inhalten und -prozessen zu trainieren. Räumen Betriebe ihren Mitarbeitern angemessene Handlungsspielräume ein und werden Vorgesetzte und Kollegen als unterstützend erlebt, geht dies offenbar mit einem besseren Gesundheitszustand der Beschäftigten einher. Vertrauen, Transparenz, Fehlertoleranz und Wertschätzung sollten „zentrale Maximen“ jedes Betriebes sein: „Nur so können selbstreflektierte, selbstfürsorgliche und engagierte Mitarbeiter von Anerkennung und WertDr. med. Mabuse 213 · Januar / Februar 2015


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schätzung lebenden Vorgesetzten gleichermaßen zu wirtschaftlichem Erfolg und individueller Gesundheit geführt werden“. Letztlich kommt Hillert zu dem Schluss, mehr oder weniger alles könne sinnvoll einbezogen werden, um die Widerstandsfähigkeit gegen Stress zu fördern – von gesunder Ernährung und geringem Konsum von Nikotin, Alkohol und neuen Medien über ausreichend Bewegung, tragfähige Sozialkontakte, Sinnerleben bis zu Entspannungsverfahren, Achtsamkeit und einem flexiblen Repertoire an Bewältigungsstrategien. Wie effektiv sie allerdings seien, hänge unter anderem von der Bedürftigkeit der Mitarbeiter, der individuellen Gewichtung der jeweils thematisierten Inhalte, einem zeitlichen Rahmen von mindestens sechs bis acht Doppelstunden und – nicht zuletzt – der disziplinierten Umsetzung im Alltag ab. Dr. Hasso Klimitz, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Potsdam

Schattauer Verlag, Stuttgart 2014, 144 Seiten, 24,99 Euro

Cory Silverberg, Fiona Smyth

Wie entsteht ein Baby? Ein Buch für jede Art von Familie und jede Art von Kind

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o bunt wie die Familienverhältnisse und Umstände heutzutage sind, in denen ein Baby zur Welt kommt und aufwächst, so bunt ist auch das Kinderbuch „Wie entsteht ein Baby“ illustriert. Der Autor Cory Silverberg schildert in kindgerechter, einfacher Sprache, welche Voraussetzungen für die Empfängnis eines Babys gegeben sein müssen, wie das kleine Wesen während der Schwangerschaft heranwächst und wie es schließlich das Licht der Welt erblickt. Dabei verabschiedet er sich von der geschlechtstypischen Rollenverteilung „Frau“ und „Mann“, die bei traditioneller sexueller Aufklärung oft zum Tragen kommt. Vielmehr beschreibt Silverberg auf minimalistische und sachliche Weise, Dr. med. Mabuse 213 · Januar / Februar 2015

dass eine Eizelle und eine Samenzelle die Grundlage für die Entstehung eines Babys sind und die Gebärmutter für das Wachstum des Embryos entscheidend ist. Wie der Samen und die Eizelle zueinanderfinden, lässt Silverberg offen und räumt somit auch der künstlichen Befruchtung ihre Existenzberechtigung ein. Auf den ersten Seiten des Buches lassen die Illustrationen der Figuren keine Rückschlüsse auf das Geschlecht „Mann“ oder „Frau“ zu, sodass die Zeichnungen die neutrale Aufklärungsarbeit gut ergänzen. Das Kind wird auch nicht nach Vater und Mutter gefragt, vielmehr wird ihm die Frage gestellt, welche Menschen für seine Geburt verantwortlich waren. Damit wird eine Möglichkeit zur Reflexion gegeben, woher es selbst eigentlich stammt. Danach wechselt die Darstellung der Illustrationen von neutralen Figuren zu Personen, deren Geschlechter ersichtlich werden. Auch werden verschiedene Beziehungskonstellationen von Menschen gezeigt, was dem Kind verdeutlicht, dass auch Formen des Zusammenlebens, die über die klassischen Kleinfamilien hinausgehen, völlig normal sind. Mit der Erläuterung, dass das Baby entweder durch die Scheide oder auch durch einen Kaiserschnitt zur Welt kommen kann, zeigt das Buch völlig wertfrei die verschiedenen Wege auf, wie ein Baby das Licht der Welt erblicken kann und dass dies nicht immer auf die gleiche Art und Weise geschehen muss. Ich kann das Buch als Aufklärungsbuch sehr empfehlen, da es durch die abstrakte und offene Art, die Empfängnis, die Schwangerschaft und die Geburt eines Babys zu erklären, dem Kind Raum lässt, eigene Bilder und Vorstellungen zu entwickeln. Außerdem wird es nicht in eine Denkstruktur gepresst, was als „normaler“ Weg für die Entstehung eines Babys angesehen wird und was nicht. So fühlen sich Kinder, die auf andere Weise zur Welt gekommen sind oder die nicht in den klassischen Familienkonstellationen aufwachsen, dennoch gesehen, verstanden und angenommen. Carina Hoffmann, Frankfurt am Main

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2014, 39 Seiten, 16,90 Euro

Systemische Traumatherapie

125 Seiten, , 4 € (D) 13,95/€ (A) 14 ,40 ISBN 978-3-89670-7454 1 „Ein Ein außerror o dentlich lehrrreeiches Buch, B das in seiner Klarheit sowohl für Einsteiger als Geauch für For o tg geschrittene von o großem Ge winn sein wird.“ Prof. Luise Reddemann

7 , , 9 € (D) 19,95/€ (A) 20,60 ISBN 978-3-89670-706-2 „Das Buch enthält eine Fülle nützlicher Tiipps, die helffen, e trrotz o des Leidens in der ändern.“ Veerrgangenheit g t, Ihrre Zukunfft zu ver erä Insoo Kim Berg

398 Seiten, , 3 4 € (D) 34 ,–/€ (A) 35,– ISBN 978-3-89670-753-6 „Dieses wichtige Buch ist äußerstt hilff-reich für alle Helffer er, die im Ko ontakt mit traumatisierten Personen stehen.“ Jürgen Beushausen, Kontext

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Brigitte Aulenbacher, Maria Dammayr (Hg.)

Für sich und andere sorgen Krise und Zukunft von Care in der modernen Gesellschaft Thomas Klie

Wen kümmern die Alten? Auf dem Weg in eine sorgende Gesellschaft

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ie können wir in Zukunft ein langes Leben organisieren? Für Prof. Dr. Thomas Klie von der Hochschule Freiburg ist dies eine der zentralen Fragen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Als Sozialexperte in Forschung und Lehre sowie als Autor vieler Veröffentlichungen zur Alten- und Sozialpolitik plädiert er immer wieder für eine „menschenfreundlich“ gestaltete Pflege, besonders in den späten Lebensjahren. „Wen kümmern die Alten?“ lautet der Titel seines aktuellen Buches. Darin stellt er in dreizehn Kapiteln viele Daten und Fakten aus Altenhilfe und -pflege vor, etwa: Die Ökonomisierung der Pflege und Moral; Demenz als Schreckensszenario; Geht es nicht auch ohne Pflegeheim?; Ausweg Sterbehilfe?; Warum die Pflegeversicherung dringend reformiert werden muss. Thomas Klie verweist auf die „Charta der Rechte alter Menschen“. Darin fordern die Vereinten Nationen unter anderem eine Grundsicherung im Alter, Schutz vor Misshandlung und Gewalt sowie gesellschaftliche Teilhabe. Der Autor erinnert in diesem Zusammenhang an das aus der katholischen Soziallehre stammende Subsidiaritätsprinzip als Grundlage für eine faire und nachhaltige Ordnung, die die Sorgearbeit zwischen unterschiedlichen sozialen Systemen regelt. Davon ausgehend macht er sich Gedanken über den „Weg in eine sorgende Gesellschaft“. Ein Beispiel ist für Klie die derzeit viel zitierte „caring community“ (dt.: sorgende Gemeinschaft). Der Begriff, bekannt aus der Entwicklungshilfe oder genutzt für religiös geprägte Gemeinschaften, betont den Zusammenhalt auch in Konflikt- und Krisenzeiten, die Verantwortung füreinander sowie das Wohlergehen des einzelnen Menschen. Für Klie beinhaltet der Sorgebegriff nicht nur die Übernahme von Verantwortung für den anderen, sondern auch für sich selbst. Fürsorge und Selbst-

sorge sind zwei Seiten der Medaille „care“. Das Leitbild einer sorgenden Gesellschaft findet sich heute alltagspraktisch umgesetzt in generationsübergreifenden Wohnprojekten, Seniorenwohngemeinschaften, Selbsthilfegruppen sowie Patenschaften zwischen Jung und Alt in Kita und Schule. Klie versteht die caring community als Lernfeld für „eine neue soziale Qualität im Miteinander“. Er verschweigt aber auch nicht seine Sorge darüber, dass der Sozialstaat sich aus seiner Verantwortung stehlen könnte und diese ins Private verlagert. Deshalb plädiert er für eine „sicherheitsstiftende Infrastruktur“ mit „professionellen Back-ups“. Will heißen: Weil alle auf der Fahrt in die Zukunft in einem Boot sitzen, müssen Betroffene und Professionelle, EntscheidungsträgerInnen in Verwaltungen und bei Sozialversicherungsträgern sowie Verantwortliche in Politik und bei Verbänden Sorgearbeit neu definieren, Lasten umverteilen und Altenhilfe/-pflege reformieren. Das Thema „Für sich und andere sorgen“ stand auch über der eineinhalbjährigen Veranstaltungsreihe der Arbeiterkammer Oberösterreich, der Johannes Kepler Universität Linz und der Stadt Linz in den Jahren 2012 und 2013. Die Herausgeberinnen Brigitte Aulenbacher und Maria Dammayr nahmen die damaligen Beiträge auf und baten die AutorInnen um weitere Ein- und Ansichten, um sie „einer wissenschaftlich, berufspraktisch und gesellschaftspolitischen an Care interessierten Leserschaft verfügbar zu machen.“ Herausgekommen ist ein Sammelband, der sich aus verschiedenen Perspektiven mit der „Krise und Zukunft von Care in der modernen Gesellschaft“ beschäftigt. Die drei Teile des Buches beinhalten Beiträge zu: Selbst- und Fürsorge, Care trans- und international, Sorgearbeit im konservativen Wohlfahrtsstaat. So thematisiert zum Beispiel Klaus Dörre von der Uni Jena aus soziologischer Sicht „Fürund Selbstsorge an der Schwelle gesellschaftlicher Respektabilität“. Anhand von Langzeitstudien zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik und ihrer Bedeutung im Leben von Hartz-IV-EmpfängerInnen will er aufzeigen, wie ein Zugang zur Erwerbsarbeit zu einer Bewährungsprobe für die Lebensführung wird, die ein gesellschaftlich angesehenes und respektiertes Leben geradezu unmöglich macht. Almut Bachinger vom Forschungsinstitut des Roten

Kreuzes in Wien thematisiert „Intersektionale Regime und die Nutzung migrantischer Arbeitskraft“ im Kontext einer legalisierten 24-Stunden-Betreuung in Privathaushalten durch vorwiegend Frauen aus osteuropäischen Ländern. Karin Jurczyk, die Leiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik am Deutschen Jugendinstitut e. V. München, beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit „Entgrenzter Arbeit und care in privaten Lebensformen“. Sie interessiert sich unter anderem für neue Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von privater Sorgetätigkeit und Erwerbsarbeit. Und Dorothea Greiling vom Institut für Management Accounting der Johannes Kepler Universität Linz richtet ihren Blick auf „New Public Management, Korruption und ein neues Dienstethos im öffentlichen Sektor“. Für die Autorin stehen Ethik und Ökonomie in einem spannungsreichen Verhältnis. Es könnten sowohl ein Anstieg von Korruption im Sinne des Missbrauchs von Macht oder zur Erlangung eines Vorteils registriert als auch ethisch vertretbare neue Wege beschritten werden, die sich am Gemeinwohl und an der gesellschaftlichen Verantwortung orientieren. Die beiden vorgestellten Bücher verbindet das steigende Interesse an der Neuverteilung von Sorgearbeit in gesellschaftlichen Kontexten von privater und öffentlicher Verantwortung, an verschiedenen Formen von care sowie an deren Bedeutung im Alltag von Sorgenden. Sie werden im hohen Maße für die eigene Standortbestimmung und für den Diskurs empfohlen. Karl Stanjek, M.A., FH Kiel, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit

Pattloch Verlag, München 2014, 255 Seiten, 18 Euro

Beltz Juventa Verlag, Weinheim u. Basel 2014, 256 Seiten, 29,95 Euro Dr. med. Mabuse 213 · Januar / Februar 2015


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Matthias Martin Becker

Mythos Vorbeugung Warum Gesundheit sich nicht verordnen lässt und Ungleichheit krank macht

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Die Frage, ob ein Baby oder Kleinkind »schon durchschläft«, setzt vor allem die Eltern unter Druck, deren Nächte anstrengend sind. Das kindliche Schlafverhalten ist allerdings ein individueller Prozess, der mit dem Entwicklungsstand jedes Kindes, mit seinem Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit, zu tun hat. Schreien lassen oder »Schlaftrainings« sind daher überhaupt nicht zu empfehlen. Die Autorin hat gute und lange Erfahrungen mit »Co-Sleeping« gesammelt, einem gemeinsamen Schlafort der Familie. Sie erklärt praxisnah, was bei Co-Sleeping zu beachten ist. Die richtige Anwendung führt zu entspannten Nächten für Eltern und Kind und macht Kinder stark, im eigenen Bett zu schlafen. Mit Beiträgen von Eltern, Kinderärzten, Entwicklungspsychologen und Schlafforschern. Verlag Urania, 144 Seiten ISBN: 978-3-451-66041-2, 14,99 Euro

rävention ist derzeit in aller Munde. Man verspricht sich viel von ihr: Sie gilt als Mittel der Wahl gegenüber den kurativ widerspenstigen chronischen Krankheiten. In einer alternden Gesellschaft sollen präventiv bemühte Menschen länger gesund bleiben und gleichzeitig der Kostenanstieg im Gesundheitswesen gebremst werden. Diese Erwartungen finden sich auch in der Begründung des Präventionsgesetzes wieder, dessen Entwurf kürzlich von der Bundesregierung vorgelegt wurde – der vierte seiner Art innerhalb von zehn Jahren. Sieben Euro pro Versichertem sollen künftig für Präventionsmaßnahmen aufgebracht werden. Wird nun alles gut? Das Buch „Mythos Vorbeugung“ macht da wenig Hoffnung. Zu Recht. Die gesundheitlichen Folgen prekarisierter Arbeit lassen sich durch Yogakurse der Krankenkassen ebenso wenig auffangen wie der demografische Wandel oder der Alltagsstress unseres immer effizienteren Lebens. Beckers Buch, mit glücklichem Händchen für den richtigen Zeitpunkt erschienen, ist ein kritischer Kommentar zur präventionspolitischen Rhetorik der Gegenwart. Zwar segelt er mit auf der neuerdings modischen Welle der Präventionskritik. Aber im Unterschied zu den gebetsmühlenartig vorgetragenen Klagen aus dem libertären Spektrum, dass Prävention uns doch nur den Spaß am Leben verderben möchte und jeder nach Lust und Laune rauchen und trinken möge – offenbar der konsumistische Inbegriff der Freiheit – argumentiert Becker medizinhistorisch und gesundheitswissenschaftlich auf hohem Niveau. Er beginnt mit einem Rückblick auf die Untersuchung der Cholera-Epidemie 1847/48 in Oberschlesien durch Rudolf Virchow und den Zusammenhang dieser Seuche mit der sozialen Frage. Bereits dort macht Becker die bis heute virulente Ambivalenz sozialmedizinischer Interventionen zwischen Fürsorge und Bevormundung aus, auch Virchows Einstellung gegenüber der Bevölkerung in Oberschlesien ist für ihn durch eine „dialektische Beziehung von Ekel und Mitleid“ charakterisiert. Ging es damals um offenen Paternalismus, probiert man es heute mit

ausgeklügelten verhaltensökonomischen „Nudges“ (Thaler und Sunstein). Das englische Wort für Schubs bezeichnet subtile Anreize, die unterschwellig das richtige Gesundheitsverhalten nahelegen sollen, etwa alkoholfreie Getränke billiger anzubieten als alkoholische oder spielerische Anreize für mehr Bewegung über Gesundheits-Apps. Seltsam kritiklos verhält sich die gesundheitswissenschaftliche Lehre bisher zu diesem Ansatz, der genau wie das Mantra „make the healthy choice the easier choice“ der Ottawa-Charta klingt, obwohl er geradezu ein Gegenkonzept zum „Empowerment“ ist, zum Befähigen der Menschen, um das es der OttawaCharta eigentlich geht. Becker beschreibt den Übergang von der Bekämpfung der Infektionskrankheiten zur Bekämpfung der Zivilisationskrankheiten im 20. Jahrhundert. Dabei stellt er immer wieder die Frage nach den Ursachen von Erkrankungen und ihrem sozialen Gradienten, also der Tatsache, dass trotz aller Verbesserungen der Ernährung sowie der Wohn- und Arbeitsbedingungen die unteren Sozialstatusgruppen immer höhere Krankheitsraten aufweisen als der Durchschnitt. Sein Erklärungsansatz kommt aus der Stressforschung. Das Buch ist hier materialreich: Befunde aus der Stressforschung von Hans Selyes unspezifischer Stressreaktion bis Johannes Siegrists Gratifikationskrisen kommen ebenso zur Sprache wie die gesundheitlichen Folgen von Rangunterschieden bei Primaten, Ergebnisse der Psychoimmunologie oder die Forschungen Richard Wilkinsons zum Zusammenhang sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit in reichen Gesellschaften. Becker spricht praktisch alle wichtigen Punkte der aktuellen gesundheitswissenschaftlichen Diskussion an und fügt sie zu einem Bild zusammen, das Krankheit und Gesundheit konsequent aus der Perspektive gesellschaftlicher Ungleichheit versteht. Man fühlt sich an Adornos Diktum erinnert, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt. Allerdings stecken sich auch die Kinder der Gutsituierten mit Masern an und auch Millionäre, die rauchen, erkranken an Lungenkrebs. So eingängig Beckers Bild ist, ganz geht die Wirklichkeit nicht darin auf und Prävention kann durchaus auch jenseits der gesellschaftskritischen Ebene sinnvoll sein. Er wird das vermutlich auch so sehen. Dennoch macht sein Buch in hervorraDr. med. Mabuse 214 · März / April 2015


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Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun

Kommunikation als Lebenskunst Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens

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an kann zwar nicht „nicht kommunizieren“, aber „über alles Reden“, auch über Kommunikation. So war es eine gute Idee des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen, mit dem Meister des „Vier Ohren-Hörens“, Friedemann Schulz von Thun, in den Dialog zu treten. Bekannt gemacht hat Letzteren die Trilogie „Miteinander reden“, die zu einem Standardwerk in Schule und Beruf geworden ist und – wie viele seiner Bücher – zu den „Bestsellern“ der Psychologie gehören. Auch wenn man deswegen „natürlich“ schon Vieles gehört hat und zu wissen glaubt, lohnt sich die Lektüre des dialogischen Rückblicks mit Pörksen, der mit dem Altmeister die großen und kleinen Fragen der Kommunikation noch einmal ebenso unterhaltsam wie anschaulich Dr. med. Mabuse 214 · März / April 2015

Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2014, 217 Seiten, 24,95 Euro

ISBN 978-3-89334-562-5 2. Aufl., geb., 180 S., 19.- E

www.asanger.de

Gerd Wenninger Stresskontrolle und Burnout-Prävention Lesebuch und Praxisleitfaden für Gestresste und Erschöpfte und alle, die ihnen helfen wollen. „Ein in jeder Hinsicht anregendes und praxistaugliches Werk!” (Prof. Dr. Hermann Englberger, Hochschule München)

ISBN 978-3-89334-393-8 3. Aufl., 194 S., 22.- E

Promedia Verlag, Wien 2014, 224 Seiten, 17,90 Euro

entwickelt. Im aufmerksamen, mitdenkenden, nachbohrenden und kritisch konfrontierenden Zuhören entstanden manche seiner Antworten – so hält Schulz von Thun im Nachwort fest – aus dem Augenblick heraus, lagen nicht schon vorgefertigt in einer geistigen Schublade. Im ersten Kapitel geht es um das Kommunikationsquadrat, die Verständlichkeitsforschung, das Bild des Teufelskreises, das Wertequadrat, die Metapher vom inneren Team und das Ideal der wesensgemäßen und situationsgerechten Stimmigkeit. Mit Lust an der Debatte und einem oft erhellenden Gewinn in der Zuspitzung werden Entstehungsgeschichte und mögliche Einflusslinien auf diese Konzepte beleuchtet. Danach stehen konkrete Fragen der Anwendung im Mittelpunkt. Am Beispiel des Führungskräftecoachings, der Pädagogik und der interkulturellen Kommunikation wird gezeigt, wie sich die einzelnen Modelle für die Selbst- und Teamentwicklung, die Konfliktanalyse und die lösungsorientierte Reflexion nutzen und mit Blick auf ganz konkrete Herausforderungen und Missverständnisse kombinieren lassen. So werden keine Fertig-Rezepte der besseren Lebensführung angeboten, sondern Reflexionswerkzeuge zu Fragen wie: Warum funktionieren Kommunikationsrezepte nicht? Was bedeutet Schweigen? Warum sind Missverständnisse normal? Wie übt man Kritik, ohne den anderen zu verletzen? Ist das Miteinander-Reden eine Lebenskunst? Kann man mit denen in den Dialog kommen, die nur senden, aber nicht empfangen wollen? Die Älteren unter uns erinnern sich – wohl überwiegend qualvoll – an manch festgefahrene Auseinandersetzungen in politischen Diskussionen. Schließlich geht es um die Frage, was Kommunikation im Angesicht der eigenen Endlichkeit zu leisten vermag. Schulz von Thun wertet das von Pörksen initiierte Projekt als ungewöhnliches Geschenk und als Herausforderung. Wir Leser können es als Anregung für das eigene Kommunikationserleben annehmen. Helmut Schaaf, Bad Arolsen

Sven Tönnies Entspannung – Suggestion – Hypnose Praxisanleitungen zur Selbsthilfe und Therapie. „... wer ein gut lesbares Buch mit Praxisnähe und vielen praktischen Übungsanleitungen sucht, der braucht nicht länger zu suchen.“ (Tinnitus-Forum)

ISBN 978-3-89334-572-4 6. Aufl., 176 S., 19.50 E

gender Weise klar, warum das aktuelle Präventionsgesetz, bei allen positiven Aspekten, den Kern unserer Probleme nicht trifft. In einer Sache sei dem Autor jedoch ein anderer Blickwinkel dringend empfohlen: Auf Seite 15 schreibt er, wenn man sich in die Berliner U-Bahn-Linie 1 setze und Richtung Krumme Lanke fahre, verlöre man mit jeder Station zwei Monate Lebenserwartung. Der Berliner Becker möge das in der zweiten Auflage richtigstellen: Fährt man Richtung Krumme Lanke, geht es in die wohlhabenden grünen Viertel und die Lebenserwartung steigt. Die zweite Auflage ist dem Buch in jedem Fall zu wünschen. Es ist lehrreich, gut geschrieben, fachlich fundiert und politisch engagiert. Lesenswert, diskussionsanregend und eine prima Einstiegslektüre für Studierende der Gesundheits wissenschaften. Joseph Kuhn, Dachau

Helmut Schaaf Gleichgewicht und Schwindel Wie Körper und Seele wieder auf die Beine kommen. „Das Buch ist eine Bereicherung nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Arzt.” (PD. Dr. Leif Eric Walther im TF 3 2012)

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Buchbesprechungen

Gerbert van Loenen

Das ist doch kein Leben mehr! Warum aktive Sterbehilfe zu Fremdbestimmung führt

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er leichte Kost oder ein paar Hintergrundinformationen für ein Wochenende auf dem Sofa sucht, ist mit diesem sehr lesenswerten Buch falsch beraten. Dafür erhält man jedoch tiefe Einblicke, reiche Fakten und gut erklärte Zusammenhänge darüber, wie sich Euthanasie in unserem Nachbarland entwickelt hat. Richtig: Euthanasie – so „unverkrampft“ nennt man in den Niederlanden die Formen der Beihilfe zur Selbsttötung, Tötung auf Verlangen und Tötung ohne Verlangen. Leider wird in der deutschen Übersetzung meist der Begriff „Sterbehilfe“ gebraucht. Er ist hierzulande viel zu wenig präzise. Im Deutschen könnte man umschreibend den Begriff „aktiv lebensverkürzende Maßnahmen“ wählen. Der Autor beschreibt also die Entwicklung der Euthanasie in unserem Nachbarland seit der dortigen Legalisierung aktiver Sterbehilfe. Man kann nun argumentieren, dass eine ähnliche Entwicklung – gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte – hierzulande sicher völlig anders verlaufen würde. Trotzdem sollte man es aber doch einmal in dieser Ausführlichkeit gehört oder gelesen haben, um in der Diskussion zur „Sterbehilfe“ kompetent mitreden zu können. Spannend ist schon das erste Kapitel, in dem van Loenen einige hervorragend gemachte, wunderbar überzeugende Filme zum selbstbestimmten Sterben daraufhin durchleuchtet, wie die Protagonisten dargestellt werden. Mit wenigen

anderen Medien können Stimmungen so gut beeinflusst werden wie mit filmischen Mitteln. So geschehen schon 1941 mit dem suggestiv inszenierten Agitationsfilm „Ich klage an“, der emotional und logisch nachvollziehbar den nationalsozialistischen Krankenmord rechtfertigte. Nicht nur an dieser Stelle schaffen es Details in diesem Buch, die LeserInnen hoffentlich ebenso zu entsetzen wie mich. Van Loenen zeigt, wie die breite niederländische Debatte 1969 durch das Buch „Medische Macht en medische Ethiek“ des Psychiaters Jan Hendrik van den Berg ausgelöst wurde und zitiert daraus: „Ich habe keine Achtung vor Eltern, die durch ihr schwer missgebildetes Kind nicht mehr in Panik versetzt werden.“ Solches Denken scheint auf den ersten Blick unvorstellbar in Deutschland. Aber ich habe immer wieder von Eltern gesagt bekommen, dass sie solche Aussagen von wildfremden Menschen über ihr behindertes Kind hören. Logisch, gut durch Beispiele und Zitate begründet, legt van Loenen dann dar, warum es nicht bei Beihilfe zur Selbsttötung bleiben kann. Hat man Tötung auf Verlangen einmal gesellschaftlich akzeptiert, so folgt daraus zwingend die Tötung ohne Verlangen als notwendige Mitleidstötung, folgert van Loenen. Wer A sage, sage auch B, sage auch C, ... Sicher ist van Loenens Buch keine vollkommen neutrale und wertfreie Darstellung der Beweggründe und Mechanismen, jedoch erscheint mir die Argumentation in der Regel sehr logisch und bedenkenswert. Die gut dokumentierten Quellen können leicht überprüft werden. Selbstkritisch und nachvollziehbar berichtet der Autor in einem weiteren Kapitel von den Erfahrungen, durch die seine eigene Haltung geprägt wurde, so etwa

Zeitschrift mit Informationen und Kritik zu Gentechnik und Biopolitik

KINDERWUNSCHÖKONOMIE

die langjährige Pflege seines Lebensgefährten, der nach einer Hirnverletzung schwerstbehindert war. Interessant ist auch das Kapitel am Ende des Buches, in dem all die üblichen (Pseudo)Argumente, Unklarheiten, Behauptungen, Unterstellungen und Vermutungen aufgelistet werden, von denen die Diskussion um die „Sterbehilfe“ oft geprägt ist. Van Loenen analysiert und kommentiert sie prägnant. Nur eines störte mich konstant beim Lesen: das Wort Sterbehilfe in der deutschen Übersetzung. Entweder hätte man es in Anführungszeichen setzen oder klar benennen müssen, was jeweils gemeint ist – Suizidassistenz? Tötung auf Verlangen? Mitleidstötung? Mord? allgemein aktiv lebensverkürzende Maßnahmen? Dadurch wäre das Buch noch einmal wesentlich klarer geworden. Trotzdem lautet mein Fazit: absolut lesenswert. Mich hat dieses Buch auch persönlich betroffen gemacht. Bei meiner Arbeit muss ich immer wieder zu lebensentscheidenden Urteilen kommen. Welches Menschenleben soll unantastbar sein, mit viel Aufwand erhalten werden und welches nicht (mehr)? Was sollte ich zukünftig mitbedenken? Eine endgültige Sicherheit wird es leider niemals geben. Thomas Sitte, Palliativmediziner und Vorsitzender der Deutschen PalliativStiftung

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2014, 250 Seiten, 19,90 Euro

Die Legalisierung reproduktionstechnologischer Verfahren und ihre moralische Legitimität werden zur Zeit heiß diskutiert. Wer argumentiert hier wie und warum? Was spricht gegen, was für bestehende Verbote?

Titelthema GID 227: Reproduktion und Biopolitik Jetzt bestellen! • GID 227 • 50 Seiten • 8,50 Euro Dr. med. Mabuse 214 · März / April 2015


Buchbesprechungen

Siegfried Knasmüller (Hg.)

Krebs und Ernährung Risiken und Prävention – wissenschaftliche Grundlagen und Ernährungsempfehlungen

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ass die Ernährung große Bedeutung für die Gesundheit besitzt, ist banal. Dass Nahrungsmittel Krebs auslösen können, erfährt man immer wieder aus den Medien, meist in Form von plakativen, simplifizierenden Horrormeldungen. Doch der eigentliche Horror, so lehrt uns das vorliegende Buch, kommt eher unterschwellig daher. Alltägliche Dinge wie Übergewicht und Alkohol werden in ihrer Bedeutung für die Krebsentstehung massiv unterschätzt. In der Summe sei die Ernährung für etwa ebenso viele Krebstodesfälle verantwortlich wie das Rauchen, heißt es im Vorwort. In der EU seien es alljährlich etwa 460.000, also rund 35 Prozent aller Krebstodesfälle. Das Buch möchte der Gleichgültigkeit und Unwissenheit, die nicht nur im Privatleben, sondern auch in den Küchen von Schulen, Betrieben und selbst Krankenhäusern vorherrschen, Aufklärung entgegensetzen, der Sensationsgeilheit der Medien möchte es mit seriöser Information begegnen. Die Autoren sind Professoren am Institut für Krebsforschung der Medizinischen Universitätsklinik Wien bzw. am Departement für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Die Zielgruppe ihres Buches sind vor allem Allgemeinmediziner, Internisten und andere ÄrztInnen, die Krebskranke betreuen,

darüber hinaus aber auch ÖkotrophologInnen, DiätassistentInnen usw. Zunächst werden die Grundlagen dargestellt, u. a. Mechanismen der Krebsentstehung, Risikoabschätzung krebserregender Stoffe sowie die Rolle des Immunsystems. Es folgen Methoden der Krebsforschung, etwa zum Nachweis antioxidativer Nahrungsinhaltsstoffe. Ein kurzer Abriss der Chemie der Nahrungsverarbeitung schließt sich an, bevor im Hauptteil Risikofaktoren (108 Seiten), stabilisierende Faktoren (40 Seiten) und Schutzfaktoren (165 Seiten) in der Nahrung dargestellt werden. Hier geht es um Kaffee und Knoblauch, um natürlich vorkommende Pilzgifte (Aflatoxine) und Zellteilung, um Tierversuche und epidemiologische Studien. Auch das viel diskutierte Thema möglicher protektiver Effekte von Rotwein wird behandelt, mit ernüchterndem Ergebnis. Zum Schluss werden „Fragen, Irrtümer und Empfehlungen“ diskutiert, etwa die Frage nach dem Wert von Bio-Lebensmitteln hinsichtlich der Krebsentstehung. Die Antwort mag manche provozieren: Die Annahme, „dass biologisch erzeugte Lebensmittel gesünder sind, lässt sich in Bezug auf die Verhinderung von Krebserkrankungen nicht bestätigen, wenn man die derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Fakten betrachtet. Effektiver Krebsschutz ist im Wesentlichen durch eine qualitative und quantitative Änderung der Zusammensetzung der Nahrung zu erreichen. Ob dabei biologische oder konventionell hergestellte Nahrungsmittel verwendet werden, spielt keine maßgebliche Rolle.“ Sprich: mehr Obst und Gemüse (hier ist

die Datenlage summa summarum eindeutig, wie im selben Kapitel zu erfahren ist), die Produktionsweise spielt dabei (wohlgemerkt: unter dem Gesichtspunkt des Krebsrisikos) keine entscheidende Rolle. Beim Fleischkonsum geht es neben der Reduzierung um die Zubereitungsweise. Das Niveau des Buches ist wissenschaftlich, gleichwohl ist die Vermittlung erfreulich verständlich, sprachlich wie von der Argumentation her. Die für Nichtfachleute verwirrende Studienlage auf diesem – ideologisch wie durch ökonomische Interessen verminten – Gebiet wird verständlich zusammengefasst und kritisch bewertet, Kontroversen nachvollziehbar dargestellt. Die Autoren gehen auch auf Diskussionen in der Öffentlichkeit ein, wie z.B. um Süßstoffe (inkl. Stevia) und Krebs – mit dem klaren Ergebnis, dass bei den heute verwendeten Substanzen nicht von einem Krebsrisiko auszugehen ist. Die komplizierte Materie wird ausgezeichnet vermittelt, im Gegensatz zu den heute gängigen Viel-Autoren-Werken wirkt dieses Buch aus der Feder von vier Verfassern wie aus einem Guss. Die hervorragende Ausstattung des Buches und eine sehr lesefreundliche Gestaltung tun ein Übriges. Ein exzellentes, unbedingt empfehlenswertes Buch. Dirk K. Wolter, Haderslev, Dänemark

Thieme Verlag, Stuttgart 2014, 440 Seiten, 69,99 Euro

www.ikaruverlag.com

John Hamel / Tonia L. Nicholls (Hrg.) 740 S., Hardcover, 39,90 EUR, ISBN 978-3-927076-9

Familiäre Gewalt im Fokus

Von Höllenhunden und Himmelswesen

3 Fakten – Behandlungsmodelle – Prävention Ein Handbuch

3 Plädoyer für eine neue Geschlechter-Debatte

Familiäre Gewalt im Fokus beschreibt die Kurz- und Langzeitfolgen für Kinder, Eltern und Beziehungspartner, die sich nicht mehr mit Worten verständigen können. In 27 Beiträgen stellen 53 Autoren an Fallbeispielen ihre vielgestaltige Arbeit mit Kindern, Eltern und Partnern vor wie ethnischen Gruppen, sexuellen Minderheiten oder Scheidungspartnern. Das Handbuch liefert Lehrern und Schülern, Studenten und Hochschullehrern alle notwenigen Informationen, um Gewalt zu verstehen und sich damit auseinanderzusetzen oder auf den Beruf vorzubereiten. Es gehört ebenso in die Hände von Ärzten, Richtern, Gutachtern und Psychologen, die mit Gewaltkonflikten befasst sind.

Wer in Zukunft seriös über dieses Thema debattieren und arbeiten will, wird um diesen Band keinen Umweg machen dürfen. Prof. Dr. Walter Hollstein

Dr. med. Mabuse 214 · März / April 2015

Gerhard Amendt 214 S., Papeback: 21,90 EUR, Hardcover: 29,90 EUR ISBN 978-3-927076-67-9

Sind Männer wirklich gewalttätiger als Frauen und ist die westliche Geschichtsschreibung tatsächlich nur eine Aneinanderreihung von männlichen Gewaltakten? Werden Frauen als Opfer geboren und ist körperliche Unterlegenheit automatisch mit Gewaltlosigkeit gleichzusetzen? Viele dieser Klischees haben sich in über 40 Jahren der Geschlechter-Debatte verselbstständigt. Diese Meinung hat Eingang in fast alle Lebensbereiche gefunden – angefangen vom Kindergarten, über die Schule bis zur Ausbildung der Pädagogen bis in die Massenmedien. Doch blickt man in die privaten Lebensverhältnisse, findet man nur wenige Beweise für eine derart feindselige Polarisierung.

… ein sehr mutiges Buch über die Vergangenheit und die Zukunft!

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Buchbesprechungen

Gabriele Scholz-Weinrich, Michael Graber-Dünow (Hg.)

Lebensraum Bett Bettlägerige alte Menschen im Pflegealltag

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ich nach einem langen, ermüdenden Tag ins Bett legen zu können – gibt es etwas Schöneres? Was aber, wenn das Bett zum Lebensmittelpunkt, zum eigentlichen Lebensraum wird? Ein AutorInnen-Team um die Sozialgerontologin Gabriele Scholz-Weinrich und den Sozialarbeiter und Leiter eines Altenpflegeheims Michael Graber-Dünow hat sich dieser Frage gewidmet. Als ausgewiesene Fachleute befassen sie sich mit theoretischen und praktischen Fragen, Zusammenhängen und Lösungsansätzen, die sich aus ganz unterschiedlichen Situationen ergeben. Neben grundlegenden Überlegungen zu medizinisch-pflegerischen und rechtlichen Aspekten greifen die AutorInnen Fragen der Umfeld- bzw. Milieugestaltung und Möglichkeiten der sozialen Betreuung bettlägeriger Personen auf und bieten im vierten Kapitel „Praxisberichte“ ergänzende und anregende Beispiele für wirkungsvolle Interventionen bei bettlägerigen alten Menschen. Dabei erheben sie den Anspruch, im Spannungsfeld zwischen Aktivierung und Mobilisation einerseits und dem Anerkennen und der Würdigung des Rückzugs-, Intimitäts- und Ruheraumes Bett andererseits eine angemessene Haltungs- und Handlungsorientierung zu geben. Diese sollte sich an individuellen Bedürfnissen, kulturellen Gewohnheiten und an der persönlichen Lebensgeschichte der Betroffenen orientieren.

Gelungen sind im gesamten Buch die reichhaltige und nachvollziehbare Darstellung der Thematik, die verständliche Sprache sowie die visuelle Aufbereitung des Textes und die übersichtliche Gestaltung. Dabei werden die wichtigsten, aktuellen Konzepte aus der Altenpflege berücksichtigt und auf das Thema hin bezogen. So finden sich neben den „pflegerischen“ Expertenstandards unter anderem die Themen Biografiearbeit, Basale Stimulation, Milieutherapie und das durchaus umstrittene Konzept der „Pflegeoasen“ als alternatives Betreuungsmodell für schwerst-demente alte Menschen. Das kontrapunktische Thema Mobilisation findet zwar Erwähnung, ist aber insgesamt ein wenig zu kurz geraten. Schließlich leistet der Praxisreader auch eine Erörterung ethischer Fragen zum Thema Bettlägerigkeit. Nicht geschadet hätte dieser Fragestellung ein kurzer Exkurs zum kulturellen und kulturgeschichtlichen Hintergrund des Betts. „Lebensraum Bett“ ist dennoch ein überaus gelungenes und sehr gut geeignetes Praxishandbuch für den Pflegealltag. Es bietet durchdachte Anregungen und begründete Positionen und kann darüber hinaus als Grundlage und Lernhilfe für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pflege- und Betreuungskräften eingesetzt werden. Thomas Kaspar, Frankfurt am Main

Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2014, 192 Seiten, 29,95 Euro

Ursula Immenschuh, Stephan Marks

Scham und Würde in der Pflege Ein Ratgeber

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cham ist eine tabuisierte Emotion wie beispielsweise auch Ekel. Sie gehört zu unserem Leben und begegnet uns immer wieder in unterschiedlichen Kontexten. Einer davon ist die Pflege. „Scham und Würde in der Pflege. Ein Ratgeber“ – welch mutiger Untertitel! Ist der Markt nicht voll von Ratgebern zu allen Lebensfragen? Dieser unterscheidet sich von vielen – die AutorInnen würdigen die Arbeit der Pflegenden, sie verurteilen nicht, sind nicht auf „Effekt-Hascherei“ aus. Sprache und Ausdrucksweise sind fachlich überzeugend, wertschätzend, erfreulich klar und verständlich. Pflegesituationen sind in besonderer Weise „anfällig“ für Schamerleben und Beschämung, weil sie mit intimen Situationen einhergehen und das Ausloten von Nähe und Distanz mit sich bringen. So gesehen stellt das Buch eine wertvolle Lektüre für professionell Pflegende dar, sei es in der Altenpflege oder Behindertenhilfe. Der Ratgeber spricht jedoch gezielt auch „Laienpflegende“ an, da Schamerleben natürlich auch in der Pflege vertrauter Menschen vorkommt. Das Autorenteam Immenschuh und Marks hat unterschiedliche berufliche Hintergründe. Während Marks aus dem Bereich der Sozialwissenschaft kommt, ist Immenschuh eine Fachfrau aus den Bereichen der Pflegewissenschaften und Pflegepädagogik. Diese unterschiedlichen Perspektiven ergänzen sich in dem Rat-

Gerne lernen! NEU

ab 25.0

3.15

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geber ausgezeichnet. Fragen der Scham und der Würde umfassen mehr als den Bereich der Körperpflege. Sie betreffen auch die Beziehung zwischen Pflegenden und BewohnerInnen sowie die Rahmenbedingungen in der Pflege. Den AutorInnen gelingt es, die LeserInnen für den Umgang mit der Thematik zu sensibilisieren. Sie zeigen auf, dass Schamempfinden, wenngleich schmerzhaft, unter bestimmten Bedingungen als „Wächterin der Würde“ (zit. nach Léon Wurmser, 1997) durchaus entwicklungsförderndes Potenzial haben kann. Ziel ist es, die positiven Aspekte der Scham zu würdigen und unnötige Beschämung zu vermeiden. Marks und Immenschuh beschreiben die vielseitigen Erscheinungsformen der Scham – zum Beispiel Scham infolge von Missachtung, Grenzverletzung oder Verletzung der eigenen Wertvorstellungen – und gehen auf mögliche Formen der Schamabwehr – etwa Gewalt oder Depression – ein. Jedes Kapitel endet mit einer Zusammenfassung. Zahlreiche Beispiele aus der Praxiserfahrung der AutorInnen veranschaulichen die Beiträge und verschaffen dem Buch eine alltagsnahe Lebendigkeit. Statt sich mit der Analyse von Schamsituationen oder theoretischen Modellen zu begnügen, konzentrieren sich die AutorInnen in den letzten Kapiteln auf die positive Funktion der Scham und geben wertvolle Anregungen zur Gestaltung von Pflegebeziehungen und -situationen, die durch Würde gekennzeichnet sind. Es sind dabei die „alltäglichen, scheinbar ‚kleinen‘ Situationen“, die sie in den Blick nehmen. So kann der Pflegende beim assistierten Toilettengang schon die Scham der Bewohnerin mindern, wenn die Tür geschlossen wird. Es gelingt Immenschuh und Marks, auf 110 Seiten einen empfehlenswerten Ratgeber zu präsentieren, der dazu beiträgt, Pflegesituationen im Hinblick auf Schamerleben verantwortungsbewusst und würdevoll zu gestalten. Christel Baatz-Kolbe, Schönfeld

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2014, 114 Seiten, 16,90 Euro

Dr. med. Mabuse 214 · März / April 2015

Annett Büttner

Die konfessionelle Kriegskrankenpflege im 19. Jahrhundert

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um 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs richtete sich im vergangenen Jahr die Aufmerksamkeit auf die beiden großen Kriege im 20. Jahrhundert. Die Historikerin Annett Büttner hat scheinbar gegen diesen Trend eine Studie über Organisation und Alltag der Kriegskrankenpflege in den Reichseinigungskriegen des 19. Jahrhunderts vorgelegt. Mit dem Blick auf das 19. Jahrhundert ist Büttner nicht nur ein weitgehend unerforschtes Thema angegangen, vielmehr arbeitet die Studie der Historikerin und Archivarin der Fliedner Kulturstiftung in Kaiserswerth die historischen Voraussetzungen für die Organisation der freiwilligen Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg heraus. Im ersten Teil ihres Buches erläutert die Autorin sehr detailliert die Geschichte des Militärsanitätswesens, genauer dessen rechtliche und organisatorische Entwicklung sowie die Geschichte des Aufbaus der freiwilligen Krankenpflege. Diese wie auch die folgenden Ausführungen zur Organisation der freiwilligen Kriegskrankenpflege in den drei Kriegen des 19. Jahrhunderts haben einen handbuchähnlichen Charakter; so dicht und detailliert trägt die Autorin die Fakten und Strukturen aus ihrem umfangreichen Quellenkorpus zusammen. Neben Ausführungen zur historischen Entwicklung der Organisation der Kriegseinsätze Pflegender gibt das Buch auch Einblick in den Alltag Pflegender. Erfahrungen von Schwestern und Brüdern werden quellenkritisch vor dem Hintergrund des in den jeweiligen religiösen Gemeinschaften Sagbaren herausgearbeitet. Büttner konzentriert ihre Untersuchung auf die konfessionelle freiwillige Kriegskrankenpflege und zeigt, dass Schwestern und Brüder sich zunächst ihre Einsatzgebiete und Aufgaben in der Verwundetenversorgung selbst suchen mussten. Erst im Deutsch-Französischen Krieg gab es erste Ansätze der Planung freiwilliger Krankenpflege. Schwestern wurden nun bestimmten Armee-Einheiten zugeteilt, denen sie allerdings eigenständig hinterherreisen mussten. Im Deutsch-

Dänischen Krieg existierten noch kaum weltliche Schwesternschaften, sodass die Hauptlast der Kranken- und Verwundetenversorgung von konfessionellen Pflegekräften bewältigt wurde. Konfessionelle Pflegekräfte wurden zuerst als störend im militärischen Apparat empfunden, doch wusste man die christlichen Schwestern und Brüder aufgrund ihrer guten Ausbildung und ihrer Arbeitsdisziplin bald zu schätzen. Während die Schwestern in der Kriegskrankenpflege als Inbegriff weiblicher Fürsorglichkeit überhöht wurden, galten Männer, die sich statt zu kämpfen der Krankenpflege widmeten, als unmännlich. Freie Pfleger, die man als Wärter bezeichnete, wurden zudem von den konfessionellen Pflegekräften als faul, undiszipliniert, schmutzig und trunkenhaft diffamiert – hier gibt die Autorin die Beschreibungen der in Schwestern- und Bruderschaften eingebundenen Pflegekräfte wieder, ohne darauf hinzuweisen, dass diese Schilderungen topisch und Teil eines Professionalisierungs- und Distinktionsdiskurses sind. Die Untersuchung des Umgangs der konfessionellen Pflegenden mit ihren schrecklichen Kriegserlebnissen hat ergeben, dass offenbar Frömmigkeit und die Einbindung in eine religiöse Gemeinschaft nur bedingt die Bewältigung von Gewalt und Tod erleichterten. Sehr überzeugend legt Büttner dar, wie die gewohnte Struktur der Schwestern- respektive Bruderschaft den konfessionellen Pflegekräften einerseits half, sich in die strikte Ordnung des Militärs einzufinden, andererseits die starke Bindung und der Gehorsam den Mutterhäusern gegenüber einer Eingliederung in die militärische Befehlsstruktur zuweilen entgegenstand. Mit ihrer sehr fundierten und dicht geschriebenen Studie hat Annett Büttner grundlegende Forschung zum Thema vorgelegt, die allen weiteren Forschenden in diesem Feld als Ausgangspunkt dienen wird. Karen Nolte, Universität Würzburg

Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2013, 481 Seiten, 69 Euro

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Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen kĂśnnen

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o radikal sein Vorschlag, Freiräume fĂźr Beihilfe zum Suizid zu schaffen, vielen auch erscheinen mag, Gian Domenico Borasios Stil ist angenehm sanft. Der in MĂźnchen und Lausanne tätige Palliativmediziner zeigt in seinem neuesten Buch, wie man eine Debatte Ăźber selbstbestimmtes Sterben fĂźhren kann, ohne zu Ăźberspitzen und ohne seine Gegner zu verunglimpfen. Schon deshalb ist dieses Buch gelungen. Borasio ist einer von vier Ă„rzten, die im August 2014 einen Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids vorgestellt haben. Die wichtigste Auflage darin ist, dass es Ă„rzten nur dann erlaubt werden soll, Menschen Beihilfe zur SelbsttĂśtung zu leisten, wenn diese unheilbar krank sind und nur noch eine begrenzte Lebenserwartung haben. Die assistierte SelbsttĂśtung soll „nur fĂźr Schwerstkranke“ zugänglich gemacht werden, wobei Borasio fĂźr „klare Bedingungen und Regeln“ plädiert. Die Frage ist allerdings, wie man „Schwerstkranke“ und „eine begrenzte Lebenserwartung“ definiert. Denn auch mit angeblich „klaren Bedingungen“ hat man in den Niederlanden eine rasante Ausweitung der Sterbehilfepraxis nicht verhindern kĂśnnen. Die Erfahrung aus den Niederlanden und Belgien zeigt, dass jede Auflage nach einiger Zeit willkĂźrlich erscheint und zur Diskussion gestellt wird. In diesen Ländern nimmt die Zahl der Menschen, die mithilfe eines Arztes sterben, schnell zu, wobei immer neue GrĂźnde fĂźr solche ärztliche Hilfe zugelassen werden. Borasio versucht, diese Erfahrungen durchaus ernst zu nehmen. In den Niederlanden, wo sowohl die TĂśtung auf Verlangen als auch die Beihilfe zur SelbsttĂśtung ausdrĂźcklich erlaubt sind, ziehen die meisten Patienten und Ă„rzte die TĂśtung auf Verlangen vor. Die ärztlich assistierte SelbsttĂśtung wird in der Praxis kaum angewandt. Borasio vermutet, dass durch die TĂśtung auf Verlangen eine Hemmschwelle beseitigt wird, die es beim Suizid gibt. In der Schweiz und im amerikanischen BunDr. med. Mabuse 215 ¡ Mai / Juni 2015

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141 Seiten, broschiert â‚Ź 14,95 (D). ISBN 978-3-608-86050-4

selbst bestimmt sterben

desstaat Oregon dagegen, wo nur Beihilfe zum Suizid, nicht aber die TĂśtung auf Verlangen erlaubt ist, steigt die Zahl der Menschen, die mithilfe Anderer sterben, nur langsam. Daraus schlieĂ&#x;t Borasio, dass die TĂśtung auf Verlangen schwer zu begrenzen ist und verboten bleiben sollte, der assistierte Suizid aber geregelt werden kann. Viel wichtiger als die Debatte um Beihilfe zur SelbsttĂśtung ist die Debatte um ein gutes Lebensende, meint Borasio. Die Angst vieler Menschen, einer „Apparatemedizin ausgeliefert zu sein“, nimmt er ernst. Was wir brauchen, ist weniger Ăœbertherapie und mehr palliative Versorgung am Lebensende, schreibt Borasio. Wenn dies gewährleistet sei, werde die ärztlich assistierte SelbsttĂśtung von geringer Bedeutung bleiben. Der Nutzen des von ihm initiierten Gesetzesvorschlags zur Regelung des assistierten Suizids liegt seiner Hoffnung nach vor allem darin, den Blick auf wichtigere Probleme am Lebensende frei zu machen. Am besten lasse sich eine Ăœbertherapie am Lebensende mit einer Vorsorgevollmacht verhindern, die klarstellt, wer entscheiden darf, wenn man selbst nicht mehr dazu in der Lage ist. Diese Vollmacht sei noch wichtiger als eine PatientenverfĂźgung, schreibt der Palliativmediziner. Borasio geht es um das Sterbenlassen. Ob man dazu ein Gesetz braucht, das unter Umständen die Beihilfe zur SelbsttĂśtung erlaubt, wird der Gesetzgeber entscheiden mĂźssen. Dieses Buch wird bei der Abwägung sicherlich hilfreich sein, weil es auf die Ăźbliche Rhetorik verzichtet und stattdessen die Erfahrungen in einigen Nachbarländern in Betracht zieht, in denen es schon seit Jahren die legale Beihilfe zur SelbsttĂśtung und/oder die TĂśtung auf Verlangen gibt. Gerbert van Loenen, Amsterdam

Waltraut Barnowski-Geiser Vater, Mutter, Sucht Wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr GlĂźck ďŹ nden Erwachsene aus Suchtfamilien erzählen freimĂźtig von ihren Erfahrungen. Zahlreiche Anregungen und Ăœbungen helfen Betroffenen, ihren Platz im Leben neu zu ďŹ nden.

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Gian Domenico Borasio

Christine PreiĂ&#x;mann Gut leben mit einem autistischen Kind Das Resilienz-Buch fĂźr MĂźtter MĂźtter mit einem autistischen Kind berichten offen Ăźber die speziellen Herausforderungen fĂźr die Familie und sie selbst. Was gibt Kraft und Mut? Wie kĂśnnen Krisensituationen besser gemeistert werden? Mit vielen Tipps zur Stärkung der eigenen Widerstandskraft.

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Buchbesprechungen

Bettina Schmidt (Hg.)

Akzeptierende Gesundheitsförderung Unterstützung zwischen Einmischung und Vernachlässigung

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er bestimmt über unsere Gesundheit? Wer sagt uns, ob und wann wir krank sind? Inwiefern schaffen der Gesundheitssektor und die Politik Rahmenbedingungen, in denen wir selbstbestimmt unseren eigenen Vorstellungen von Gesundheit Raum geben können und dürfen? Mehr als 20 AutorInnen beleuchten in dem Sammelband unterschiedliche Felder der Gesundheitsförderung und entlarven diese infolge von politischer und marktwirtschaftlicher Orientierung zunehmend als „Gesundheitsprävention“. Durch diese wird Gesundheitsförderung weniger als gesamtgesellschaftlicher Auftrag postuliert, denn als individuell zu verfolgendes Ziel. Im ersten Kapitel werden die aktuelle Situation und Entwicklung der Gesundheitsförderung im Spannungsfeld zwischen Pflichten und Rechten, zwischen Freiheit und Zwang beleuchtet. Dieses Kapitel skizziert den aktuellen öffentlichen Diskurs der Gesundheitsförderung und stellt die Gratwanderung zwischen dem Recht auf Gesundheit und der Pflicht zu einer bestmöglichen Gesundheit dar. Weiterhin gibt es einen Einblick in die Nutzung der Daten, die zur Gesundheitsförderung erhoben werden, und macht deutlich, dass Gesundheit heute mehr gemessen als empfunden wird. Es wird klar, wie sehr unsere Autonomie durch das Wissen der sogenannten Experten beeinträchtigt und beeinflusst wird, ja wie sehr sie auch davon abhängt, zu welcher gesellschaftlichen Gruppe wir gehören, was uns mehr oder aber weniger in den Fokus dieser Experten rückt. Im zweiten Kapitel wird der Blick geöffnet und der enge Gesundheitsbegriff auf die vielfältigen Gesundheiten unterschiedlicher Menschen erweitert. Texte, zum Beispiel aus den Bereichen Kindergesundheitsförderung, Behindertenhilfe, Gender Mainstreaming, akzeptierende Drogenarbeit, Arbeitsschutz oder betriebliche Gesundheitsförderung, vermitteln einen Eindruck davon, wie vielfältig und bunt Gesundheit verstanden werden kann und wie nötig eine Erweiterung der heutigen Definitionen und Normen ist.

Die Optionen und Perspektiven einer Gesundheitsförderung, die aus der Akzeptanz der individuellen Lebenswirklichkeiten – verbunden mit andersartigen Werteund Zielorientierungen der Betroffenen – resultiert und den Menschen – egal ob krank oder gesund – hilft, ihr individuelles Gesundheitspotenzial zu verwirklichen, stehen im Mittelpunkt des dritten Kapitels. Es finden sich Aufsätze, die den Weg der HIV- und Drogenprävention skizzieren und den Stellenwert der Gesundheitsförderung in der aktuellen Gesundheitspolitik, besonders die Konzepte der Partizipation und des Empowerments, beleuchten. Dieses Buch ist für alle empfehlenswert, die beginnen, sich mit den Themen der Gesundheitsförderung zu beschäftigen. Es bietet einen guten Überblick über die aktuelle Situation und mögliche Perspektiven. Aber auch diejenigen, die mit den Themen bereits vertraut sind, werden Erhellendes zu lesen bekommen. Sabine Grützmacher, Dipl. Pflegewirtin (FH), Köln

Beltz Juventa Verlag, Weinheim 2014, 366 Seiten, 29,95 Euro

Barbara Messer

Helfersyndrom? Strategien für verantwortungsvolle Pflegekräfte

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it der Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes 1995 hat nicht nur ein verrichtungsorientierter Pflegebegriff, eine starke managerielle Restrukturierung der Altenhilfe und eine umfassende Neubezeichnung der Zeit in der Pflege (Minutenpflege) stattgefunden, sondern ebenso ein Mentalitätswechsel in den Sozialen Dienstleistungsorganisationen im Sinne von Nützlichkeit und Ökonomisierung. Den Heimen hat diese Wende nicht gut getan, da sie gleichzeitig die Schattenseite der Entwicklung ambulant vor stationär zu tragen hatten, immer mehr hochaltrige, demenzkranke und palliative Patienten zu versorgen hatten und in eine Falle zwischen ökonomisch-organisationaler Restrukturierung und pro-

fessioneller Konzept- und Qualitätsentwicklung geraten sind. Mehr Achtsamkeit, Empathie, mehr Verstehen bedeutet selbstverständlich mehr Zeit, mehr Ökonomie bedeutet umgekehrt weniger oder genau errechnete Zeit. Es ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklung nun von besonderem Interesse, wie organisationskulturell mit einem alten Thema der Altenhilfe umgegangen wird – der Ethik und Psychologie des Helfens. Als Wolfgang Schmidbauer in den 1970er Jahren seine Theorie des Helfersyndroms entwickelte, beschrieb er im Prinzip eine Spielart des autoritären Charakters in totalen Institutionen. Dem hilflosen Helfer ging es um Macht, die er gegenüber Schwächeren und in der Maske des Helfens ausübte. Diese Psychopathologie lässt die Hilfe ins Leere laufen, da diese letztlich, um es mit Martin Buber zu sagen, auf der Ebene der Ich-Es-Beziehung bleibt. Gleichwohl wurde trotz dieser Psychopathologie des Helfens der Begriff zum Synonym des Habitus sozial Tätiger, deren Entwertung nun Tür und Tor geöffnet war. Und genau das hat Schmidbauer nicht gewollt: weder, dass Pflegeberufe und Soziale Arbeit in einem Ausmaß entwertet und bescheiden gemacht wurden, das dazu führte, dass diese Berufe heute zu den unattraktivsten Berufen überhaupt gehören, noch dass jeder, der Helfen und Ethik zum Thema seiner Berufswahl macht, von den Utilitaristen als hilfloser Helfer verhöhnt wird. Aber all das, der soziale und gesellschaftliche Kontext, ist nicht Gegenstand des Buches von Barbara Messer, die sich als Trainerin, Praktikerin und Lehrmeisterin in der Altenhilfe outet und schon in der Einleitung weiß, dass die Pflegekraft „viel mehr tun will, als wirklich nötig ist“. Gleich mitgeliefert werden Plattitüden aus der schönen neuen Welt des Coachings. Aus Krankenschwestern werden „kranke Schwestern“ und der Mangel an ernsthaften Argumenten wird überdeckt durch ungemein plakative Geschichten, Überzeichnungen und vor allem dem Gebot von Neutralität (nicht Reflexion). Frau Messer fordert Neutralität in der Altenhilfe als Professionsmerkmal. Es gelingt ihr zwar, in einer einfachen Form Schmidbauers Ansatz wiederzugeben, aber die Verknüpfung mit den heutigen Problemen der Altenhilfe wird nicht geleistet. Ihr Pflegeverständnis wird aber im Kapitel drei deutlich, wo sie TypisieDr. med. Mabuse 215 · Mai / Juni 2015


Buchbesprechungen

rungen des Helfersyndroms „Übermutter, Chefin, Enttäuschte“ entwickelt. Im Kapitel 3.2 zählt Messer Rahmenbedingungen der Pflege auf, die im deutlichen Widerspruch zu ihrer Einleitung stehen. Auszüge aus Interviews, welche die Verfasserin führte, belegen hingegen eher Verantwortung denn blindes Helfen bei ihren Interviewpartnerinnen. Ist es ein Helfersyndrom, wenn eine Pflegerin, der abends einfällt, dass sie einem Bewohner Tropfen in der falschen Dosis gegeben hat, auf der Station anruft und diese Information weitergibt? Durchgängig zeigen die Interviews Reflexion und Kritik an den äußeren Bedingungen und eben nicht das, was unterstellt wird, nämlich zwanghaftes Helfen. Auch Beispiele wie jenes über Ludmilla, die in ihrer Freizeit einer speziellen Bewohnerin bei ihren Ausscheidungen hilft, weil diese Bewohnerin sie darum bittet und nur bei ihr einigermaßen schamfrei ist, sind als Beleg für das Helfersyndrom ungeeignet. Sie zeigen vielmehr die Problematik der Intimpflege und wie unmöglich es ist, nach Dienstplan auszuscheiden. Ludmilla erntet indessen für ihre Pflege nur Kritik und geht daher heimlich in ihrer Freizeit zur Bewohnerin, die anruft, wenn sie Hilfe braucht. Ludmilla wird dabei erwischt und sanktioniert. Frau Messers Urteil ist deutlich: Ludmilla hat ein Helfersyndrom. Die Autorin referiert in weiteren Kapiteln das Psychowissen für die sozialen Berufe: Entdecken Sie Ihren inneren Antreiber, managen Sie Ihr inneres Team. Hier ist das Buch ein Aufguss von Friedemann Schulz von Thuns Arbeiten: zur Kommunikation, Klärungshilfe, soweit so alt. Wenn man dem Buch überhaupt etwas Positives abgewinnen will, dann ist es quasi der Text hinter dem Text. Wie Pflegende über ihre Arbeit berichten, wie der Pflegealltag und seine Sinnstrukturen begründet werden und wie Pflegende handeln, wird als latenter Sinn zum Beispiel an der Pflegehelferin Ludmilla deutlich. Ebenso zeigt sich, dass diese alltagsweltlichen Sinnstrukturen durch die Theorie der modernen Personalentwicklung und des Managements umgedeutet und zerstört werden. Die unmittelbare Ethik der Pflege wird einem psychopathologischen Verdacht unterzogen. Das psychologische Wissen wird nicht institutionsreflexiv, sondern lediglich individualisierend verwendet. Am Schluss gibt die Verfasserin Barbara Messer denn auch einige InforDr. med. Mabuse 215 · Mai / Juni 2015

mationen zu ihrem eigenen sozialen Aufstieg preis. Das Buch zeigt, wie eine Theorie in Organisationen verarbeitet wird. Es ist Zeit, das Helfersyndrom auch theoretisch neu zu beschreiben. Dr. phil. Katharina Gröning, Universität Bielefeld

Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2014, 124 Seiten, 16,95 Euro

Essstörung en versteh en

Bruno Hemkendreis, Volker Haßlinger

Ambulante Psychiatrische Pflege

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runo Hemkendreis und Volker Haßlinger, beide sowohl in der Versorgungspraxis als auch berufspolitisch engagiert, legen einen kompakten und kompetenten Überblick über Grundlagen, Inhalte und Perspektiven der Ambulanten Psychiatrischen Pflege (APP) vor. Als ökonomisch sinnvolle Alternative zur stationären Versorgung erlaubt diese „nutzerfreundliche Behandlungsmöglichkeit“, psychisch kranke Menschen in ihrer vertrauten Umgebung zu behandeln, ihre Alltagskompetenzen zu nutzen und Selbstbefähigung zu fördern – zugleich bietet sie Pflegenden einen in Deutschland noch ungewohnt „großen Spielraum für eigenverantwortliches und fachlich selbstständiges Handeln“. Wesentliche Elemente hierbei sind etwa Beziehungsgestaltung, Unterstützung bei der Tages- und Wochenstrukturierung sowie Zusammenarbeit mit Angehörigen und anderen Leistungserbringern. Einleitend wird zunächst die Entwicklung der APP vor dem Hintergrund insbesondere des Enthospitalisierungsprozesses in Deutschland in der Folge der Psychiatrie-Enquete seit den 1970er Jahren und im Vergleich mit europäischen Nachbarländern zusammengefasst. Die Voraussetzungen ihrer ärztlichen Verordnung werden ebenso kritisch dargestellt wie ihre bislang kaum erforschte, regional unterschiedliche Umsetzung im Versorgungsalltag. So werden die Angebote der APP offenbar vornehmlich von Menschen

Das Handbuch gibt erstmals einen umfassenden Überblick über Grundlagen, Methoden und inhaltliche Schwerpunkte der Sozialen Arbeit als zentraler Profession im Essstörungsbereich, und zwar praxisnah durch konkrete Handlungsempfehlungen und -beispiele. 2015, 480 Seiten, broschiert, € 39,95 ISBN 978-3-7799-2996-3

Missbrauch in Institutio nen Das Kompendium enthält Beiträge zum Thema aus interdisziplinärer Perspektive. Systematisch werden Aspekte aufbereitet zu Tatorten, zur Täter-Opfer-Institutionen-Dynamik, zu Recht, zu Intervention, zur Vermeidung von Fehlhalten, zu Genderperspektiven und europäischen Entwicklungen. Das Buch bietet eine Übersicht zu berufsethischen Standards sowie zum Fachdiskurs. 2015, 746 Seiten, Hardcover, € 49,95 ISBN 978-3-7799-3121-8 www.juventa.de

JUVENTA

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Buchbesprechungen

über 50 Jahren mit chronischen und schweren seelischen Erkrankungen wie schizophrenen und affektiven Störungen in Anspruch genommen, die schon einmal oder mehrfach stationär behandelt wurden. Es können maximal 14 Einsätze pro Woche über einen Zeitraum von längstens vier Monaten verordnet werden. Die bürokratischen Hürden für diese Verordnung sind in Deutschland wesentlich höher als für eine Klinikeinweisung. Insbesondere aber ist die maximale Verordnungsdauer von vier Monaten wegen Schwere und Verlauf der psychischen Erkrankungen unter Experten umstritten. Einheitliche Qualitätsanforderungen und eine spezielle Ausbildung für die APP liegen (noch) nicht vor. Die regional sehr unterschiedlichen Versorgungsverträge fordern examinierte Pflegepersonen mit dreijähriger Ausbildung und den Nachweis einer dreibzw. fünfjährigen Berufserfahrung in der stationären Psychiatrie oder einer Fachweiterbildung Psychiatrie. Anschauliche Fallbeispiele belegen über sämtliche Kapitel: „Psychiatrische Pflege besteht zu einem großen Teil aus Kommunikation und Beziehung, sie sind die Grundlagen für alle weiteren pflegerischen, medizinischen und therapeutischen Interventionen“ – ohne die als vertrauenswürdig wahrgenommene Arbeitsbeziehung laufen alle Maßnahmen ins Leere. Welche besonderen Herausforderungen dies einschließt, wenn der ambulant psychiatrisch Pflegende doch den größten Teil seiner Arbeitszeit allein mit seinen Klienten verbringt und Anfahrtswege im ländlichen Raum ohne kollegialen Austausch zurücklegt – auch diese belastende Seite von Eigenverantwortlichkeit wird offen thematisiert. Ebenso sachlich und konstruktiv werden verschiedene typische Krisen und Notfälle diskutiert. Zurecht wird dem Umgang mit akuter Suizidalität gesondert Raum gewidmet – ob sich aber die Risikoabschätzung über Skalen oder ein allzu vollgepackter Entscheidungsbaum (z.B. Abb. 6) als nützlich erweisen, darf bezweifelt werden. Ohne Einschränkung beeindrucken dagegen die Kapitel zu Pflegeprozess, fachlicher Kooperation und Organisation der APP. Der Band besticht durch seine klare Sprache. Die zahlreichen Download-Materialien sind anregend und sehr hilfreich. Das Layout bleibt bis zur letzten Litera-

turangabe übersichtlich – und erlaubt handschriftliche Kommentare. Die Autoren vermitteln überzeugend, dass dieses ambulante Pflegemodell Resignation und Regression bei Patienten und Angehörigen entgegenwirken sowie Selbstachtung und -wirksamkeit anregen kann – Klienten dürfen schließlich stolz sein, Krisen ohne Klinik über Monate oder Jahre allein bewältigt zu haben! Die Ergebnisse der internationalen Literatur zu den verschiedenen Formen von Hometreatment und, auf mittlere Sicht, insbesondere aufsuchender Hilfen für ältere Menschen weisen in eine Zukunft, in der Patienten in ihrem vertrauten Lebensumfeld durch mobile Teams versorgt werden können – wenn dies von den Kassen endlich finanziell angemessenen entgolten würde! Dr. Hasso Klimitz, Potsdam

Psychiatrie Verlag, Köln 2014, 144 Seiten, 24,95 Euro

Elisabeth Baender-Michalska Rolf Baender

Yoga & Embodiment Stress und Schmerz bewältigen

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ine indische Philosophie-Lehre und ein nicht ganz selbsterklärender Anglizismus betiteln dieses Buch, das Rat und praktische Hilfe gegen aktuelle Volksleiden ankündigt. Die Mischung weckt Neugier, die sich allerdings über die mit Fachbegriffen und Wissenschaftsjargon reich bestückten Theorieteile ein wenig aufbraucht. Das Autorenpaar Elisabeth BaenderMichalska und Rolf Baender ordnet Yoga als „zeittypische Intervention im Rahmen der Mind-Body-Medizin“ ein. Erklärt wird diese Sichtweise zunächst mit Exkursen in Stresstheorien (Kapitel 1), in die Epidemiologie und Definition häufiger psychischer beziehungsweise psychosomatischer Erkrankungen (Kapitel 2) sowie in die aktuellen gesundheitlichen Belastungen ausgewählter Berufsfelder (Kapitel 3). Erst der theoretische Abschnitt des folgenden „Trainingsmanuals“ widmet sich

dem eigentlichen Thema Yoga mit seiner jahrtausendealten Geschichte und seinen Aspekten Lebensführung, Weltanschauung, Körper- und Atemübungen sowie Meditation (Kapitel 4). Der durch Merkkästen, Tabellen, Abbildungen und Spiegelstrichlisten strukturierte Text bietet einen kompakten Einblick in das Gedankengebäude. Nun gelingt auch die Erklärung von „Embodiment“: Es geht darum, den Körper als wahrnehmenden und gestaltenden Ort psychischer Prozesse mit vielfältigen Wechselbeziehungen zu verstehen, statt ihn auf ein unabhängiges und rein physisches Objekt zu reduzieren. Yoga erscheint in diesem Zusammenhang – durchaus nachvollziehbar – als Königsweg, und zwar strukturell, funktional, psychisch und sozial. Positiv sei hier angemerkt, dass die AutorInnen auch den durchaus beschriebenen Risiken und Nebenwirkungen mehrere Seiten widmen. Die in den folgenden Kapiteln mit knappen Sätzen und Strichmännchen beschriebenen Körperhaltungen und Atemübungen mögen abrundend als Beispiele und Gedächtnisstützen neu erlernter YogaPraxis dienen. Eine persönliche Vermittlung können und sollen sie sicher nicht ersetzen. Allerdings gibt es auf der Internetseite des Verlags nach persönlicher Registrierung die Möglichkeit, ein ZehnStunden-Kursprogramm herunterzuladen. Etwas unklar bleibt, warum das Buch mit Kurzbeschreibungen diverser, nicht unmittelbar mit Yoga zusammenhängender Entspannungsverfahren wie „Progressive Muskelrelaxation“ und „Autogenes Training“ endet. Insgesamt hat die differenzierte, mit vielen Zitaten und Quellen belegte Darstellung alle Vorteile eines Lehr- und Nachschlagewerkes einschließlich Literaturund Schlagwortregister. Medizinisches, psychotherapeutisches und pädagogisches Fachpublikum, das sich nicht vor Begriffen wie Evidenz, Evaluation und Enhancement scheut, kann sich dem Yoga über sein derzeitiges Verständnis durch Wissenschaft und Gesundheitsversorgung nähern. Dr. Alice Nennecke, Hamburg

Schattauer, Stuttgart 2014, 311 Seiten, 29,99 Euro Dr. med. Mabuse 215 · Mai / Juni 2015


Der aktuelle Gesundheitsmonitor Hartwig Hansen (Hg.)

Höllenqual oder Himmelsgabe? Erfahrungen von Stimmen hörenden Menschen

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it diesem Buch über die Erfahrungen von Menschen, die Stimmen hören (können), ist dem Herausgeber Hartwig Hansen ein einzigartiger Beitrag zur Recovery-Literatur gelungen. Er lässt nämlich – in Deutschland bisher einmalig – achtzehn Stimmen hörende Frauen und Männer selbst zu Wort kommen. Deren authentische Berichte vermitteln nicht nur eindrücklich, wie vielfältig und facettenreich, sondern auch wie begeisternd und/oder quälend die Erfahrung des Stimmenhörens sein kann. Das Phänomen des Stimmenhörens hat nicht nur in der Öffentlichkeit bisher einen sehr negativen Ruf. Auch die Psychiatrie ist traditionell nicht gerade dafür bekannt, dass sie etwas Positives zu dieser Erfahrung zu sagen hat. Dort werden Stimmen im Regelfall als ein nicht verstehbares Symptom einer psychischen Erkrankung, insbesondere der Schizophrenie, beschrieben, das mit Neuroleptika zu unterdrücken ist. Stimmenhörenden wird in der Psychiatrie meist nicht wirklich zugehört, auch wenn wir als Fachleute meinen, dass wir es tun. Dass wir aber als Profis, Angehörige und Öffentlichkeit tatsächlich nicht richtig zuhören, das sagt uns nicht erst die internationale Stimmenhörbewegung der letzten drei Jahrzehnte. Stimmenhören muss allerdings nicht nur Höllenqual sein, sondern kann auch inspirieren und als Gabe empfunden werden, wie im Beitrag von Wolfgang Harder deutlich wird. Monika Mikus beschreibt beispielhaft, wie es sich als bereichernde Möglichkeit spiritueller Erfahrungen erweisen kann. Bei manchen AutorInnen weisen die Stimmen auf die Notwendigkeit hin, besonders schwierige Lebenserfahrungen verarbeiten zu lernen. Gerade mit Unterstützung der Selbsthilfeorganisation „Netzwerk Stimmenhören“ hat sich für viele Stimmenhörende das konstruktive Verstehen des Stimmenhörens immer wieder als Quelle einer wirklichen und tief greifenden, positiven Veränderung erwiesen. Der Autor Elias beschreibt am Ende des Buches besonders eindrücklich, wie er mit Unterstützung Dr. med. Mabuse 216 · Juli / August 2015

einer Mitarbeiterin des Instituts Erfahrungsfokussierte Beratung (efc) einen neuen, konstruktiven Zugang zu seinen Stimmen fand, und wie die Stimmen selbst ihn darauf hinwiesen, dass er sich besser um sich selbst kümmern müsse. Durch einfühlsame professionelle Begleitung sowie durch den Austausch in der Selbsthilfe gelingt es Stimmenhörenden, einen zumindest gangbareren, individuellen Weg zu finden, wie Christian Derflinger und Laura Vogt exemplarisch nachvollziehbar machen. Nach anfänglichem „Wegmachenwollen“ werden die Stimmen zu konstruktiven Begleitern oder sogar Freunden, die nicht mehr gehen sollen. Einen guten Umgang mit dem Thema Stimmenhören zu finden, der nicht in krankheitsbezogenem oder negativem Denken stecken bleibt, ist nicht nur Aufgabe jeder/s einzelnen Betroffenen, sondern auch von uns allen. Auch dies macht das Buch sehr deutlich. Hier geht es um eine Rückbesinnung auf menschliche Qualitäten wie Achtung und Respekt, um Hoffnung und ein gutes Miteinander von Mensch zu Mensch. Dann können die gehörten Stimmen auch von Quälgeistern zu Lösungshinweis-Gebern werden. Das Stimmenhören begreifbar zu machen, ist ein Ziel der erwähnten internationalen Stimmenhörbewegung, zu der auch das Netzwerk Stimmenhören und das efc-Institut gehören. Um diese Sichtweise wirbt der Herausgeber in einem einfühlsamen Vorwort und seiner Zusammenfassung unter dem Titel: „Stimmenhören als persönlicher Fingerabdruck“. Die Qualität der dazwischenliegenden Erfahrungsberichte und Recovery-Geschichten ermutigt zu einem entspannteren und zugewandteren Umgang mit den Menschen, die sich trauen, von ihren Stimmenerlebnissen zu berichten. Bei der spannenden Lektüre entwickelt sich ein Verständnis dafür, dass die Stimmenwelten voller – auch hilfreicher – Möglichkeiten sein können, die uns mit der bisher dominanten traditionellen Krankheitssicht und Stigmatisierung verwehrt bleiben würden. Joachim Schnackenberg, www.efc-institut.de

Jan Böcken, Bernard Braun, Rüdiger Meierjürgen (Hrsg.)

Gesundheitsmonitor 2015 Bürgerorientierung im Gesundheitswesen Kooperationsprojekt der Bertelsmann Stiftung und der BARMER GEK

Jan Böcken, Bernard Braun, Rüdiger Meierjürgen (Hrsg.) Gesundheitsmonitor 2015 Bürgerorientierung im Gesundheitswesen erscheint Ende Juli 2015 ca. 300 Seiten, Broschur ca. € 25,– (D) / sFr. 35,50 ISBN 978-3-86793-680-4 EBOOK

Auch als E-Book erhältlich

Wie erleben Patienten und Versicherte die gesundheitliche Versorgung? Wo sollten Reformen ansetzen in Deutschland? Die Daten und Analysen basieren auf repräsentativen Befragungen der Bertelsmann Stiftung: Seit Beginn des Projekts äußerten sich über 75.000 Versicherte zu über 180 gesundheitspolitischen Fragestellungen. Hier eine Themenauswahl aus der 2015er-Ausgabe: Patientenrechte aus Ärztesicht Psychosozialer Stress am Arbeitsplatz r Nichtraucherschutz r Prekäre Beschäftigungsverhältnisse r Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen r

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Paranus Verlag, Neumünster 2015, 208 Seiten, 19,95 Euro

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag sabine.reimann@bertelsmann-stiftung.de


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Buchbesprechungen

Gian Domenico Borasio, Ralf Jox u. a.

Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben Ein Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids

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er Palliativmediziner Borasio und seine Mitautoren haben ein Buch geschrieben, das einen Beitrag zur aktuellen öffentlichen Diskussion zum Sterben leistet. Es geht um den assistierten Suizid, bei dem „der Suizident selbst die Tatherrschaft innehat, also die letzte zur Tötung führende Handlung selbst durchführt, während ihm eine andere Person nur bei der Vorbereitung hilft”. Dies wird klar von der Tötung auf Verlangen unterschieden, die per Gesetz strafbar ist. Die Autoren nehmen jedoch nicht nur Stellung zum assistierten Suizid, sondern entwickeln einen eigenen Gesetzesvorschlag, um ihn zu regeln. „Wer einem anderen Beihilfe zur Selbsttötung leistet, wird, wenn die Selbsttötung ausgeführt oder versucht wurde, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, so lautet der erste Satz des vorgeschlagenen Gesetzes. Hier wird unter Strafe gestellt, was bisher nicht strafbar war. Denn bislang ist es im deutschen Recht weder der Suizid noch die Beihilfe zum Suizid. Dennoch ist der Satz eine Art juristischer Winkelzug: Denn die Autoren wollen die Sterbehilfe in Form des assistierten Suizids letztlich nicht verbieten, sondern im Gegenteil verlässlich verfügbar machen. Ihr Ziel ist eine klare Regelung und Rechtssicherheit: Betroffene Patienten, Angehörige und Ärzte sollen einen Handlungsrahmen haben. Und hierfür werden im Gesetzesvorschlag Ausnahmen formuliert: „Angehörige oder dem Betroffenen nahestehende Personen” machen sich nicht strafbar, wenn sie einem „freiverantwortlich handelnden Volljährigen“ Beihilfe zum Suizid leisten. Dasselbe soll für einen Arzt gelten, der einer volljährigen und einwilligungsfähigen Person auf ihr ernsthaftes Verlangen hin unter bestimmten Bedingungen Beihilfe zur Selbsttötung leistet. Was als Bedingung für eine solche Regelung genannt wird, ist bereits aus der Diskussion um den assistierten Suizid bekannt. Der Arzt, der Beihilfe zum Suizid leistet, muss zuvor in einem persönlichen

Gespräch feststellen, dass der Patient freiwillig und nach reiflicher Überlegung das Ende seines Lebens wünscht. Eine ärztliche Untersuchung muss ergeben, dass eine unheilbare und bald zum Tode führende Krankheit vorliegt. Der Patient ist umfassend aufzuklären, insbesondere über palliativmedizinische Möglichkeiten. Zudem muss ein weiterer unabhängiger Arzt mit dem Patienten sprechen und ein schriftliches Gutachten anfertigen. Schließlich müssen mindestens zehn Tage zwischen dem Aufklärungsgespräch und der Beihilfe liegen. Zum Gesetzesvorschlag gehört auch das Verbot von Werbung für die Beihilfe zur Selbsttötung und eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Mit letzterer soll erreicht werden, dass beispielsweise der tödlich wirkende Stoff Natrium-Pentobarbital für assistierte Suizide verschrieben werden kann. Es fällt auf, dass die Autoren präzise gesetzliche Regelungen für die Ärzte formulieren, nicht aber für Angehörige und Freunde, die einen letzten Dienst erweisen möchten. Ihren Vorschlag begründen die Autoren mit dem Hinweis auf den „liberalen Rechtsstaat“, der „sich in der Frage nach dem richtigen Leben und Sterben ein Neutralitätsgebot auferlegt” habe. Seine Pflicht sei es, einen friedlichen und gerechten Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen der Bürger zu gewährleisten. Der frei verantwortliche Suizid dürfe in diesem Sinne nicht per se als unmoralisch abgelehnt werden. Gültige Argumente dürften sich nur auf eine Schädigung anderer Bürger und eine Beeinträchtigung des sozialen Zusammenlebens beziehen. Schließlich ist noch bemerkenswert, was die Autoren als begleitende Maßnahmen nach einer Gesetzgebung vorschlagen. Sie gehen davon aus, dass es in Deutschland Beihilfe zum Suizid gibt, wie auch alle anderen Formen der Sterbehilfe. Da jedoch verlässliche Zahlen dazu fehlen, schlagen sie vor, die rein statistische Erfassung der Sterbefälle um wichtige Fragen zu ergänzen: Welcher Anteil der Sterbefälle ereignet sich unter welchen Umständen auf Intensivstationen? Wie geht es den Sterbenden in den Wochen vor dem Ende? Wie sieht die Interaktion mit Angehörigen, Pflegenden und Ärzten aus? In welchem Ausmaß wird welche Art von Selbstbestimmung erlebt oder vermisst? Die Antworten auf diese und andere Fra-

gen könnten eine Grundlage für eine sachliche Diskussion der Beihilfe zum Suizid sein. Auch wenn man dem konkreten Gesetzesvorschlag gegenüber skeptisch sein kann, sind die Begründungen der Autoren bedenkenswert und in einer erfreulich prägnanten Sprache geschrieben. Andreas Böhm, Potsdam

Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2014, 103 Seiten, 14,99 Euro

Harro Jenss, Peter Reinicke (Hg.)

Der Arzt Hermann Strauß 1868 – 1944 Autobiographische Notizen und Aufzeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt

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om nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug waren auch die jüdischen ÄrztInnen betroffen, die ab 1933 ihrer Funktionen und ihrer Approbation beraubt, deportiert und umgebracht wurden, soweit sie nicht fliehen konnten. Die Profiteure dieser Verfolgung konnten nach 1945 ihre ärztlichen Karrieren als Ordinarien und Chefärzte fortführen. Die Führungseliten der medizinischen Fachgesellschaften schwiegen jahrzehntelang. So dauerte es beispielsweise bis zur 100Jahres-Feier der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten im Jahr 2013 ehe die Verfolgung jüdischer ÄrztInnen hier angesprochen wurde. Es stellt sich immer mehr die Frage, wie die Erinnerung an die Ausgrenzung und Verfolgung wachgehalten werden kann. Ein gelungenes Beispiel hierfür sind die „Autobiographischen Notizen und Aufzeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt“ von Hermann Strauß. Vergessen dürfte sein, dass Strauß einer der Begründer der modernen Gastroenterologie war. 1902 zum Professor an der Universität Berlin ernannt, wurde er 1910 Leiter der Abteilung für Innere Medizin am Jüdischen Krankenhaus, das mit der Charité wissenschaftlich kooperierte. 1933 war er gewählter Vorsitzender der zwölften Tagung seiner Fachgesellschaft; im April wurde er gezwungen, Dr. med. Mabuse 216 · Juli / August 2015


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dieses Amt abzugeben. Die Klinikabteilung leitete er unter härtesten Bedingungen bis 1942. Dann wurde er mit seiner Frau Elsa, einer Pionierin der Krankenhaussozialarbeit, nach Theresienstadt deportiert, wo er am 18.10.1944 an einem Herzinfarkt verstarb. Die Möglichkeit einer Emigration nach Palästina 1937 hatte Strauß nicht in Erwägung gezogen; 1939 hatte der ins Exil entkommene Urologe Paul Rosenstein eine Berufung nach New York vorbereitet, auch diese lehnte Strauß ab. Die autobiographischen Notizen schrieb Strauß 1941 in Berlin. Über sein eigenes Leiden verliert er in seinen Schriften kaum ein Wort. In einer der wenigen Passagen dazu heißt es in den Aufzeichnungen: „Die Verdüsterung der Stimmung nahm besonders zur Zeit der Transporte zu, in welchen in der Tat oft erschütternde Szenen zu beobachten waren, die auch hart angelegte Menschen nicht selten aufs tiefste ergreifen mussten“. Diese im September 1944 im Ghetto erstellte Maschinenschrift gelangte 1945 zu seinem Sohn Walter und wurde von Irene Hallmann-Strauß einem der jetzigen Herausgeber, Harro Jenss, für dieses Buch zur Verfügung gestellt. Strauß schildert die Strukturen des Ghettos wie die Folgen von Hygienemissständen und Unterernährung. Inhaftierte Ärzte bauten im Ghetto ein System der Basisversorgung auf. Er selber übernahm die belastende Aufgabe eines Mitglieds des Ältestenrats. Die Sprache seiner Aufzeichnungen ist dicht: „Wenn man sah, wie Menschen, die kaum gehen konnten, die aufs schwerste abgezehrt waren, oder welchen man eine schwere Krankheit am Gesicht ablesen konnte, auf Wagen aufgeladen wurden oder ganze Züge von Menschen mit Bündeln beladen und mit unglücklichem Gesichtsausdruck durch die Straßen zogen, so wurde man an gewisse Bilder erinnert, welche Szenen aus der alten jüdischen Geschichte darstellten“. Strauß stellt dar, welche Rolle das Aufrechterhalten kultureller Gewohnheiten für die Inhaftierten spielte: „Die Jugend wünschte sich nach der Arbeit Erholung, d. h. Amüsements wie Kabarettvorstellung, musikalische Darbietungen etc. Auf diesen Gebieten wurde Hervorragendes nicht bloß von Amateuren, sondern auch von wirklichen Künstlern geboten. Aber auch für ernste Musik und für dramatische Aufführung gilt Gleiches. (…) Bei den Alten galt es vor allem, den Lebenswillen zu stärken. Denn Dr. med. Mabuse 216 · Juli / August 2015

bei Vielen hatte sich allmählich eine depressive Stimmungslage entwickelt“. Die Stimme dieses hoch gebildeten Forschers und Arztes wieder hören zu können, ist das große Verdienst dieses Buchs. Zurück bleibt die Fassungslosigkeit darüber, mit welcher Systematik die Vernichtung der jüdischen Ärzteschaft in der NSZeit vollzogen wurde. Und es bleibt das Erschrecken über das Schweigen nach 1945. Norbert Schmacke, Bremen

Hentrich & Hentrich, Berlin 2014, 168 Seiten, 24,90 Euro

Thomas Bock, Kristin Klapheck u. a.

Sinnsuche und Genesung Erfahrungen und Forschungen zum subjektiven Sinn von Psychosen

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o naheliegend Fragen nach Sinn und Bedeutung erscheinen, wenn einen Menschen ein schwerer Schicksalsschlag ereilt, so erstaunlich ist es, dass diesem Thema innerhalb der Medizin nicht längst mehr Raum gegeben wurde. Für den Bereich Psychose schließen die AutorInnen diese Lücke mit ihrem Buch, in dessen Zentrum die Frage nach dem subjektiven Sinn und dessen Stellenwert im Genesungsprozess bei Psychosen steht. Die 31 Beiträge aus Forschung und Praxis geben Einblick in neue therapeutische Behandlungswege bei Psychosen. Verständlich dargelegt werden der Zusammenhang von Sinn(suche) und Genesung, der Ansatz des Projektes SuSi (subjektiver Sinn bei Psychosen), die biografisch orientierte Psychose-Psychotherapie und das Konzept der Psychose-Seminare, in denen sich Menschen mit eigener Psychose-Erfahrung, deren Angehörige und Fachkräfte aus der Psychiatrie austauschen können. Nach der Einführung in die theoretische Fundierung des sinnzentrierten Ansatzes werden Sinnfrage und -konstruktion als Coping-Strategie untersucht – sowohl aus Sicht Psychoseerfahrener als auch aus Sicht der Forschung. Der dritte Teil des Buchs wendet sich dem Erleben der Angehörigen und Familien von Psychoseer-

Godemann

Kodierleitfaden für die Psychiatrie und Psychosomatik 2015 2015. 14,99 €. Sofftcover. ISBN 978-3-86216-200-0. Die aktuelle Auflage dieses Kodierleitodierleit fadens mit einem Update 2015 fasst die wichtigsten Informationen der im Rahmen des neuen Entgeltsystems notwendigen Kodierungen für alle psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken, Fachkrankenhäuser und Abteilungen zusammen. In kurzen Einführungen und ausführ ausführlichen Zusammenstellungen werden die psychiatrischen und psychosomachosoma tischen OPS-Schlüssel erläutert und durch einzelne Fallbeispiele plausibel gemacht. Außerdem wird der dritte Entgeltkatalog in seiner Systematik erläutert. Auch findet sich in dem Kodierleitfaden eine Zusammenstellung von Einzelleistungen, die über OPS abge abgebildet werden. Dies soll helffen, e das Leistungsgeschehen in den psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken angemessen darzustellen. Bestellung und Infforma o tionen unter: www.medhochzwei-verlag.de

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fahrenen zu und erläutert darüber hinaus Konzept und Wirkung von Psychose-Seminaren. Im Anschluss wird nach der Übertragbarkeit des sinnzentrierten Ansatzes auf andere Erkrankungen, wie etwa Depression oder Zwang, gefragt. Schließlich geht es um die Konsequenzen des sinnzentrierten Ansatzes für die therapeutische Praxis. Vielversprechende und praxiserprobte Ansätze werden vorgestellt. Die Beiträge des Bandes vereinen die Perspektiven von Psychiatrie und Psychotherapie mit den Psychoseerfahrungen Betroffener und dem Erleben ihrer Angehörigen. Die AutorInnen und Herausgeber nähern sich dem Thema mit großer Umsicht und Zurückhaltung. Eine Sinnzuschreibung von außen verbietet sich, auch mag die Frage nach dem Sinn nicht für alle Psychoseerfahrenen hilfreich sein. Dennoch sehen fast 80 Prozent aller Betroffenen, so das Ergebnis der SuSi-Studie, einen Zusammenhang zwischen Psychose und ihrer Biografie. Durch die biografische Deutung werde auch die subjektive Bewertung der Symptomatik und die Hoffnung hinsichtlich der Zukunft günstig beeinflusst. „Respekt gegenüber subjektiven Krankheitskonzepten, Erklärungsmodellen und Sinnzuordnungen ist relevant in der gesamten Medizin“, so der Herausgeber. Der Nachweis, dass Psychotherapie und Sinnfrage auch mit Psychoseerfahrenen nicht nur möglich, sondern sinnvoll ist, wird in diesem Band erbracht. Die Beiträge sind sorgfältig recherchiert, gut lesbar und mit erfreulich wenig Fachjargon dargestellt. Die Lektüre wird für alle ein Gewinn sein, die mehr über die subjektive Seite von Psychosen erfahren möchten oder sich mit der Frage nach Sinn und Bedeutung schwerer existenzieller Erfahrungen beschäftigen. Gerade Menschen, die professionell in diesem Bereich tätig sind, kann es Mut machen, selbst neue Wege in der eigenen Praxis auszuprobieren. Vera Kalitzkus, Institut für Allgemeinmedizin, Universität Düsseldorf

Psychiatrie Verlag, Köln 2014, 320 Seiten, 29,95 Euro

Maria Rave-Schwank (Hg.)

Gesundheit und Erziehung in interkulturellen Gruppen Beispiele aus der Praxis

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aria Rave-Schwank, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, fasst in diesem Buch ihre jahrelangen Erfahrungen bei der Planung und Gestaltung von „Muttersprachlichen Informationen für Migranten“ (MUIMI) zu Fragen der Gesundheit und Erziehung zusammen und stellt zu jedem der von MUIMI bearbeiteten Themen ein Durchführungskonzept für eine Seminar-Veranstaltung vor. Zielgruppen sind Pädagogen, Lehrer, Sozialarbeiter in allen Sparten des Gesundheits- und Sozialwesens, die mit Migranten arbeiten. Die Autorin befasst sich seit Langem mit der besonderen Situation von Migranten in der Psychiatrie und im medizinischen Versorgungssystem. Für MUIMI und das Buch hat sie türkische Expertinnen, Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen, Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen gewonnen, die mit interkulturellen Fragen befasst sind. Das Konzept von MUIMI ist überzeugend und gut in viele interkulturelle Begegnungsorte und Angebote übertragbar: MUIMI geht zum Treffpunkt der Zielgruppe – vor allem Vereine und „Elterncafés“ in Schulen. Die Seminare in den Migrantenvereinen sind auch offen für Männer, die diese Gelegenheit aber selten wahrnehmen. Die Angebote im Rahmen der „Elterncafés“ in den Schulen richten sich an Frauen. Bisher sind die Teilnehmenden vor allem türkischer Herkunft. Eine interkulturelle Öffnung wird aber angestrebt. Die Themen des Treffens werden vorher in der jeweiligen Gruppe bestimmt, die Vorträge in der Muttersprache gehalten oder übersetzt. Die Leitung der Diskussion, der viel Zeit eingeräumt wird, übernehmen Expertinnen mit türkischem Hintergrund. Die Veranstaltungen sind kostenlos und werden über Spenden und beteiligte Vereine finanziert. Das Schöne an diesem Buch ist, dass es tatsächlich in der Praxis entstanden ist. Die bearbeiteten Themen beruhen auf den Priorisierungen der Teilnehmerinnen. So stehen an erster und zweiter Stelle die Themen „Depression“ und „Heimweh“: Letzteres zeigt sich als Ursache vieler Lei-

den. Dass es viel Verbindendes zwischen Migrantinnen und „Einheimischen“ gibt – seien es nun Depression, Ängste, Selbstwertgefühl oder die Beziehungen zu den Eltern – ist in den vorgestellten Seminarkonzepten neben den jeweiligen Sachinformationen ein wichtiger Aspekt. Hinzu kommen bei jedem Thema weiterführende Fragestellungen, Besonderheiten und Erfahrungen der Teilnehmerinnen, die sich in der anschließenden Diskussion ergeben haben. Vielfach wird deutlich, dass es sich bei den Migrantinnen aus der Türkei nicht um eine homogene Gruppe handelt, sondern dass hier kontrovers und leidenschaftlich über Werte und Einstellungen zu Partnerschaft, Familie, Sexualität und Religion diskutiert wird. Es zeigt sich auch, wie wichtig die aus der Türkei stammenden Diskussionsleiterinnen sind, die die Brisanz mancher Themen einzuschätzen wissen. So ist es vielleicht auch zu erklären, dass Themen wie Schwangerschaft, Geburt, Familienplanung oder auch Sport zwar nicht als explizite Seminarthemen auftauchen, in der Diskussion aber häufig eine Rolle spielen. Neben Depression und Heimweh werden die Mutter-Sohn- und die MutterTochterbeziehung, Pubertät und Wechseljahre, Frauenkrankheiten, Umgang mit Kleidern und Mode, Rollen und Rollenkonflikte thematisiert. Die Kapitel zur Erziehung befassen sich etwa mit Schulhilfen für die Kinder, dem Umgang mit Medien und der Problematik der Zweisprachigkeit. Die Erfahrungen in den MUIMI-Gruppen zeigen, dass ein großer Bedarf an Information und Diskussion besteht und dass der muttersprachliche Austausch untereinander und mit den „einheimischen“ Experten Entwicklungen im Verständnis der eigenen und der fremden Kultur ermöglicht. Die Erfahrungen in den Gruppen und das Gelernte helfen den Eingewanderten, sich im deutschen Gesundheitssystem selbstbewusster und sicherer zu bewegen. Über die Gespräche wird gegenseitige Unterstützung möglich und Selbsthilfepotenziale entstehen. Mit dem Erfahrungsschatz von 181 MUIMI-Veranstaltungen ist ein Buch entstanden, das jedem, der interkulturelle Gruppen im Gesundheitswesen und in psychosozialen Einrichtungen gestalten möchte, Anhaltspunkte und Hinweise zur Durchführung gibt. Es ist gut lesbar und Dr. med. Mabuse 216 · Juli / August 2015


Buchbesprechungen

zu jedem Thema gibt es weiterführende Literaturangaben. Prof. Marianne Bosshard, Oberhausen

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2014, 104 Seiten, 19,90 Euro

Susanne Hartung, Ilona Kickbusch

Die Gesundheitsgesellschaft Konzepte für eine gesundheitsförderliche Politik

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lona Kickbusch hat gemeinsam mit Susanne Hartung ihr Standardwerk vollständig überarbeitet und neu herausgegeben. Es ist ein exzellentes Lehrbuch zukunftsfähiger Gesundheitspolitik und ein Wegweiser für die Reise vom entwickelten Krankenversorgungssystem zum System einer nachhaltigen Gesundheitsförderung. Das Buch beschreibt die Herausforderungen, denen die Gesundheitssysteme aktuell gegenüberstehen: Gesundheit wird heute zum Maßstab für den sozialen wie wirtschaftlichen Fortschritt. Die Gesundheitspolitik muss die Gesundheitsförderung in den Lebenswelten praktisch umsetzen und eine grundlegende Neuorientierung im Denken und Handeln der Gesundheitsdienste durchsetzen. Kickbusch und Hartung zeigen auf, wie das gelingen könnte. Als Gesundheitswissenschaftlerinnen stellen sie dar, wie Gesundheit heute politisch, ökonomisch und persönlich die Lebens- wie Wirtschaftswelten bestimmt. Die noch vorherrschende „Gesundheitspolitik” kommt als Krankheitsverwaltungspolitik daher und geht an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen vorbei. Die Medizin hat die Gesundheit nicht hinreichend im Blick. Kickbusch und Hartung sind der Ansicht: „Der Grund für diese neue Bedeutung von Gesundheit liegt in der Dynamik, die durch die Interaktion von Demographie, Ökonomie, Globalisierung, Individualisierung, einer immer leistungsfähigeren Medizin und neuen technologischen Möglichkeiten ausgelöst wird.“ Dr. med. Mabuse 216 · Juli / August 2015

Das Buch ist leicht zu lesen, verständlich im Ton und als „Reiseführer“ durch die komplexen Landschaften der Gesundheitswelten hilfreich. Die Autorinnen führen differenziert, kenntnisreich und beherzt durch fünf Entwicklungsfelder der Gesundheitsgesellschaft: — Die individuelle und soziale Gesundheitskompetenz aller BürgerInnen muss soziokulturell und politisch gestärkt werden. — Das Internet und Gesundheit 3.0 ermächtigen die Menschen zu eigenverantwortlichem Handeln und stärken die Selbsthilfe- wie Selbstheilungskräfte. — Das Krankenversorgungssystem wird transparent, offen, pluralistisch und demokratisch einem Change Management unterzogen, das zur Gesundheitsgesellschaft passt und die heutigen Verhältnisse transformiert. — Die politische Rahmensetzung sollte die Kommerzialisierung von Körper, Seele und sozialen Gemeinschaften durch „Heilsversprechen“ wie „Heilserwartungen“ zügeln und die Interessen des Gemeinwohls schützen. — Die Bedeutung der sozialen Determinanten und der gesellschaftlichen Ungleichheit für die Gesundheit der Menschen wird in Europa zunehmend bewusst und verlangt eine couragierte Neubestimmung der Solidarität zwischen Arm und Reich, Jung und Alt oder Gesund und Krank. So legt das Buch den anstehenden Paradigmenwechsel („dritte Gesundheitsrevolution“) überzeugend dar. Es begründet die Notwendigkeit zum Wandel, formuliert Strategien und vermittelt anschaulich Konzepte einer neuen Kultur der Gesundheitsförderung. Das kommende Präventionsgesetz ist erst der Beginn einer politischen Neuorientierung, für die uns die Autorinnen ein ermutigendes und tragfähiges Fundament liefern. Die Neuauflage ist rundum gelungen. Das Werk ist noch besser und praxisnäher geworden. Wer mit Gesundheit zu tun hat oder im Gesundheitswesen tätig ist, sollte das Buch lesen. Ellis Huber, Vorstandsvorsitzender des Berufsverbandes der Präventologen

Hans Huber Verlag, 2., vollst. überarb. Aufl., Bern 2014, 248 Seiten, 24,95 Euro

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Bücher für starke Kinder im Mabuse-Verlag

Andrea Hendrich, Monika Bacher, Ulrich Koprek Yunis und Aziza 3 Ein Kinderfachbuch über Flucht und Trauma Die Flüchtlingskinder Yunis und Aziza sind neu im Kindergarten. Wie sie sich fühlen und wie Erwachsene und Kinder mit ihnen umgehen können, zeigt dieses sensible Kinderfachbuch auf. Gerichtet an alle, die Kindern das Thema Flucht und Trauma behutsam und verständlich erklären wollen. 2016, 49 S., gebunden, vierfarbig, 16,95 EUR, Nr. 202315

Anne Südbeck Papa Panda ist krank 3 Ein Bilderbuch für Kinder mit depressivem Elternteil

Regina Deertz, Leonie Rösler Mondpapas 3 Ein Buch für Kinder mit abwesenden Vätern

Der junge Pandabär Paul liebt es, mit seinem Vater zu spielen. Doch in letzter Zeit will Papa nicht mehr, er hat zu gar nichts mehr Lust. Die Eltern streiten sich jetzt oft. Paul hat Angst, dass Papas seltsames Verhalten seine Schuld sein könnte. Doch als er seiner Mutter davon erzählt, erklärt sie ihm, dass Papa krank ist. Er hat eine Depression. Das Buch bearbeitet insbesondere die Angst von Kindern, Schuld am Verhalten der Eltern zu sein. 2016, 69 S., gebunden, vierfarbig, 16,95 EUR, Nr. 202296

„Wo ist Papa? Warum holt er mich nicht vom Kindergarten ab?“ Ist ein Vater dauerhaft abwesend, sind solche Fragen schwer zu beantworten. Schnell wird es emotional. Oft sind die Gründe komplex. Das Buch gibt Erklärungen an die Hand, um die Situation altersgerecht verständlich zu machen. Liebevolle Zeichnungen und ein Ratgeberteil machen es zu einer wertvollen Hilfe für das Gespräch mit kleinen Kindern. 2. Aufl. 2016, 45 S., gebunden, vierfarbig, 12,90 EUR, Nr. 202230

Anette Temper Schattenschwester 3 Ein Kinderfachbuch für Kinder mit einem depressiven Geschwisterkind Dieses Buch thematisiert Ängste und Gefühle bei der Depression eines Geschwisterkindes und zeigt Wege des Umgangs mit der Situation in einfachen Sätzen und schönen Bildern auf. Abgerundet durch einen Kinderfachteil bietet es (nicht nur) für Eltern die Möglichkeit, psychische Erkrankungen und die mit ihnen verbundenen Ängste und Fragen von Kindern sensibel zu thematisieren. Das Buch richtet sich an Kinder ab dem Kindergartenalter. 2016, 72 S., 16,95 EUR, Nr. 202308

Schirin Homeier, Andreas Schrappe Flaschenpost nach irgendwo 3 Ein Kinderfachbuch für Kinder suchtkranker Eltern

Schirin Homeier Sonnige Traurigtage 3 Ein Kinderfachbuch für Kinder psychisch kranker Eltern

Schirin Homeier, Irmela Wiemann Herzwurzeln 3 Ein Kinderfachbuch für Pflege- und Adoptivkinder

Irgendwas muss sich ändern: Marks Papa trinkt zu viel, die Eltern streiten nur noch, und in der Schule geht alles drunter und drüber. Einfühlsam, liebevoll illustriert und im bewährten Stil des Buches „Sonnige Traurigtage“ erhalten Kinder von suchtkranken Eltern durch eine Bildergeschichte und einen altersgerechten Erklärungsteil Hilfestellung für ihren Alltag. Ein Ratgeber für erwachsene Bezugspersonen und Fachkräfte rundet das Kinderfachbuch ab. 3. Aufl. 2015, 143 S., gebunden, vierfarbig, 22,90 EUR, Nr. 00117

In letzter Zeit ist mit Mama etwas anders: sie ist so kraftlos und niedergeschlagen. Auf diese „Traurigtage“ reagiert Mona wie viele Kinder psychisch kranker Eltern: Sie unterdrückt Gefühle von Wut oder Traurigkeit, übernimmt immer mehr Verantwortung und sehnt sich nach glücklichen „Sonnigtagen“. Erst als sich Mona einer Bezugsperson anvertraut, erfährt sie, dass ihre Mutter unter einer psychischen Krankheit leidet und fachkundige Hilfe benötigt. 6. Aufl. 2014, 127 S., gebunden, vierfarbig, 22,90 EUR, Nr. 01416

Durch eine liebevoll illustrierte Bildergeschichte und einen altersgerechten Informationsteil erhalten Pflege- und Adoptivkinder sowie deren Bezugspersonen in diesem Buch Erklärungen und Anleitungen, um ihre spezielle Situation besser zu verstehen und anzunehmen. Ein prägnanter Ratgeberteil für Erwachsene rundet das Kinderfachbuch ab. 2016, 175 S., gebunden, vierfarbig, 22,95 EUR, Nr. 202226

Carolina Moreno Alexandra Haag

Mabuse-VerlagMabuse-Verlag

Alexandra Haag Paula und die Zauberschuhe 3 Ein Bilderbuch über körperliche Behinderung Paula ist ein Vorschulkind und fährt einen Rollator. Auch wenn in ihrem Körper eine Spastik wohnt, geht sie mit ihren körperlichen Herausforderungen ganz natürlich um. Paula weiß, was sie will und was sie kann – und ist meistens fröhlich. Wenn sie aber mit ihrer körperlichen Behinderung an ihre Grenzen kommt, kann sie richtig sauer oder traurig werden. Das liebevoll illustrierte Buch wendet sich an alle, die mit Vorund Grundschulkindern zum Thema Infantile Cerebralparese (ICP), Körperbehinderung und Spastiken lesen möchten. 2017, 56 S., 16,95 EUR, Nr. 202317

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Buchbesprechungen

Macht und Scham in der Pflege Beschämende Situationen erkennen und sensibel damit umgehen

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acht und Scham – auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Wortpaar im Kontext der Pflege. Schon der Titel weist auf die professionellen Wurzeln der Autorin hin: Als Soziologin, Ethikberaterin, Coach und Fortbildnerin bringt sie ihre beruflichen Erfahrungen in ihrem Buch auf höchstem fachlichen Niveau zusammen. Das Buch zeichnet sich durch einen klar gegliederten, systematischen Aufbau aus. Die Sprache ist erfreulich verständlich und ermöglicht einen differenzierten Einblick in die vielfältigen Dimensionen von Scham und Beschämung, von Macht im Pflegealltag sowie von Wertschätzung und Würde. Dabei wird deutlich, dass das Phänomen Scham keineswegs auf Pflegemaßnahmen beschränkt ist, sondern gerade in Verbindung mit Macht viele unterschiedliche Facetten hat. So wird sogar die öffentliche Diskussion um Bezahlung, Ansehen und Image des Pflegeberufs einer kritischen Analyse unterzogen – unter dem Aspekt der „Beschämung“ und deren Auswirkung auf das Berufsbild: Demnach sind Pflegende stolz auf ihre Arbeit, aber längst nicht mehr auf ihren Beruf. Konsequent greift die Autorin immer wieder Beispiele aus der Praxis auf und ermöglicht damit eine anschauliche Auseinandersetzung mit den theoriegeleiteten Ausführungen. Zur Überprüfung der eigenen „Schamkompetenz“ sind am Ende eines jeden Kapitels Fragen formuliert, die der selbstkritischen Reflexion dienen. Sie eignen sich ebenso für einen Einstieg in Fortbildungsangebote, ethische Fallbesprechungen beziehungsweise für die so dringend erforderliche, aber vernachlässigte Reflexion der „Emotionskompetenz“ in der Ausbildung der Pflegeberufe. Der Leitfaden endet mit einem „Fazit und Nachklang“ sowie der Geschichte „Zimmer sieben“, für die die Autorin den Joseph-Heinrich-Colbin-Literaturpreis erhielt. In allen Ausführungen ist die Wertschätzung der Autorin gegenüber dem Pflegepersonal zu spüren, ohne die Missstände – auch in der ambulanten Betreuung alter Menschen – schönzureden. Auf nur rund 100 Seiten gelingt es Caroline Dr. med. Mabuse 217 · September / Oktober 2015

Bohn, in überzeugender Weise das umzusetzen, was auf dem Einband steht: „Ein praxisorientierter Leitfaden für einen kompetenten Umgang mit Schamsituationen und eine wertschätzende Pflege“. Sehr empfehlenswert. Christel Baatz-Kolbe, Schönfeld

Für Für die die Kleinen Kleinen u und nd Kleinsten Kleinsten

Ernst Reinhardt Verlag, München 2015, 109 Seiten, 19,90 Euro

A nderssen- Reuster, M ora

Wie Bindung gut gelingt Elisabeth Drimalla

Wa s E l t e r n w i s s e n s o l l t e n

Amor altert nicht

Bindungst ypen und -verhalten: W i e ka n n m a n e i n e g u t e E l t e r n Kind- B eziehung aufbauen und Kindern Stabilität vermit teln? Ent wicklung und Kommunikation: W ie vers tehe ich mein Kind und begleite es optimal? tio Mit vielen farbigen Illustratio mnen, B eispielen und Achtsam keitsübungen

Paarbeziehung und Sexualität im Alter

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er möchte nicht eine lange und intensive erotische Beziehung leben, in der er den anderen mit Körper und Seele liebt und begehrt?“ Mit dieser Frage beschäftigt sich Elisabeth Drimalla in ihrem schmalen Band über „Paarbeziehung und Sexualität im Alter“. Als Fachärztin für Allgemeinmedizin und ärztliche Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Hannover benennt sie zwei Herausforderungen für Menschen ab 50 Jahren. Aus ärztlicher Sicht richtet sie den Blick auf die biologische Seite: physiologische Veränderungen bei Mann und Frau, sexuelle Funktionsstörungen sowie Krankheiten, die die Sexualität beeinflussen können, etwa Diabetes mellitus, Herzinfarkt oder Darmkrebs. Als Psychotherapeutin geht sie auf psychosoziale Herausforderungen ein. Hierzu kann die Autorin auf Erfahrungen aus ihrer therapeutischen Arbeit zurückgreifen und Informationen durch Fallbeispiele verdeutlichen. Sie nimmt Fragen von Ratsuchenden auf: Welche Maßstäbe setzen gesellschaftliche Normen und sexuelle Mythen? Was hilft gegen Stress im Alter? Wie kann die verlorene Sprache der Liebe wiedergefunden werden? Wie belebt man eine eingefrorene Paardynamik neu? Was bedeutet Achtsamkeit in der Paarbeziehung? Wie mixt man einen Lusttrunk? Die einzelnen Kapitel enthalten viele Denkanstöße und Quellenhinweise zum Weiterlesen. Im Anhang finden sich beispielsweise ein „Partnerschaftsfragebo-

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Buchbesprechungen

gen zum Wiederentdecken von Lust und Nähe“, einige Anleitungen für Übungen, Kontaktadressen von Sexualberatungsstellen und ein Literaturverzeichnis. Leider geht die Autorin allein auf heterosexuelle Paarbeziehungen ein. Auch die Bedeutung der Sexualität bei Demenz für eine Ehe oder Partnerschaft wird von der Autorin nicht bearbeitet. In der Beratung von Angehörigen nimmt dieses Thema jedoch einen immer größeren Raum ein. Insgesamt gesehen kann das Buch von Elisabeth Drimalla sowohl Ratsuchende als auch Professionelle dabei unterstützen, sich verschiedenen Herausforderungen zu stellen. Es zeigt auf, wie neue Wege motiviert beschritten werden können, um der Liebe im Alter einen gebührenden Platz einzuräumen. Karl Stanjek, M.A., FH Kiel, FB Soziale Arbeit und Gesundheit

zur frontotemporalen Demenz – ist nicht zu verachten, aber dieses Buch, das einen wenig sachlichen Zugang zum Erleben von Demenzkranken anbietet, macht viel Spaß. Dazu kommt: Ich mag Bücher. Das Leinen des Einbands schmeichelt meinen Fingern. Ein vertrauter Duft erreicht meine Nase. Die Seiten sind nicht bloß schwarz auf weiß: Text, Zeichnungen und Papier haben Farbe. Dieses Buch passt sehr gut in Beratung und Schulung von pflegenden Angehörigen und Menschen in Pflege oder Demenzbetreuung. Georg Paaßen, www.pflegestufe.info

Kunstanstifter Verlag, Mannheim 2015, 168 Seiten, 22 Euro

Andreas Babel Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, 136 Seiten, 14,99 Euro

Anna Gemmeke

Das fremde Zimmer

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as Buch in den Händen von zwei Altenpflegeschülerinnen löst Freude aus. Sie können Alltagserfahrungen wiedererkennen. Anderes muss warten, denn der zweite Blick ist unvermeidlich ... Auf Doppelseiten bringt Anna Gemmeke Satz (-teile) und Illustrationen zusammen. Beim Umblättern komme ich von Hölzchen auf Stöckchen, vom Onkel zum Erinnerungsbild, von Mutter über Krieg zum Mittagessen. Assoziationsketten können auch von einer düsteren Erinnerung an ein Mädchenkleid zum fröhlichen Tag auf einer Baumschaukel führen. Oft entwickeln sich im Buch Text und Illustrationen in verschiedene Richtungen. Derlei kenne ich aus der Betreuung von Menschen mit Demenz: von der Begleitung zur Toilette, vom Versuch der Anleitung beim Waschen oder der gemeinsamen Zeit beim Anreichen des Mittagessens. Auch die Trauer und Verzweiflung, die das Durcheinander in den eigenen Erinnerungen auslöst, begegnet mir immer wieder. Ein Fachvortrag – zum Beispiel

Kindermord im Krankenhaus Warum Mediziner während des Nationalsozialismus in Rothenburgsort behinderte Kinder töteten

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ehr als 5.000 geistig und körperlich behinderte Kinder wurden zwischen 1939 und 1945 in 30 sogenannten Kinderfachabteilungen von Krankenhäusern durch ihre Ärzte ermordet. Das Hamburger Kinderkrankenhaus Rothenburgsort (KKR) war eines davon. Hier wurden mindestens 56 Kinder durch Spritzen mit dem Barbiturat Luminal getötet. Eine der Täterinnen war die spätere Leiterin der Kinderklinik am Celler Allgemeinen Krankenhaus (AKH), Dr. Helene Sonnemann. Obwohl man spätestens seit zwei Veröffentlichungen im SPIEGEL in den frühen 1960er Jahren bekannt war, waren ihre Taten seinerzeit weder für die Krankenhausleitung noch für die lokale Öffentlichkeit „ein Problem“. Erst im Jahr 2009 – im Zusammenhang mit dem Tod ihres Mannes Fritz Darges, einem ehemaligen Adjutanten des „Führers“ und späteren Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuz in Celle – kam ihre Täterschaft (wieder) an die Öffentlichkeit. Zu diesem Zeitpunkt aber war Helene Sonnemann-Darges schon zehn Jahre tot. Der Vorstand

des AKH beauftragte seinerzeit Raimond Reiter mit einer Untersuchung, die 2010 unter dem Titel „Dr. Helene Sonnemann. Erfolgreiche Kinderärztin und Verstrickung in NS-Verbrechen“ erschien. Andreas Babel, Redakteur bei der Celleschen Zeitung, bringt schon im Titel seines kürzlich erschienenen Buches auf den Punkt, dass es nicht um irgendeine Form von Verstrickung ging, sondern um „Kindermord im Krankenhaus“. Und er verspricht im Untertitel eine Antwort auf die Frage, „Warum Mediziner während des Nationalsozialismus in Rothenburgsort behinderte Kinder töteten“. Wissenschaftlich hat der Medizinhistoriker Marc Burlon das Verbrechen in seiner Dissertation „Die ‚Euthanasie‘ an Kindern während des Nationalsozialismus in den zwei Hamburger Kinderfachabteilungen“ untersucht. Diese Arbeit und auch die Ermittlungsakten der Hamburger Staatsanwaltschaft aus dem Jahr 1948 bilden die Basis für Babels weitere Recherchen: Er spürt den Lebensgeschichten der Täterinnen nach, fragt, warum sie so handelten – und ob die Morde irgendeine Bedeutung für ihr weiteres Leben und ihre Karrieren hatten. Babel bedient sich dabei auch journalistischer Methoden, so befragt er zum Beispiel Verwandte nach ihrem Wissen und möglicher Aufarbeitung. Vieles bleibt spekulativ, aber der Autor macht so eine zusätzliche Perspektive auf – nämlich die der Nachgeborenen. Anhand der Biografien von vier Ärztinnen, die sich dem Morden entzogen, verweist Babel zudem auf Handlungsalternativen. Bei den Täterinnen aber findet er weder Reue noch Einsicht in die eigene Schuld. Zu einer Hauptverhandlung war es nach Voruntersuchungen gegen insgesamt 18 Angeschuldigte 1949 nicht gekommen, weil die Strafkammer des Hamburger Landgerichts ihnen zugestand, im Sinne eines Gesetzes gehandelt zu haben, das es nicht gab. Als Sonnemann 1976 in den Ruhestand verabschiedet wurde, verglich sie ihr Berufsleben mit einer Wanderung und kam trotz allem zu dem Fazit: „Das Ziel ist ohne Unfall erreicht.“ Gerade bei den jungen Ärztinnen scheint der Karrierewunsch die Skrupellosigkeit befördert zu haben. Sie teilten – wie der Autor im Einzelfall belegen kann – die sozialdarwinistische Weltsicht des Nationalsozialismus und handelten aus autoritätsgebunden Mentalitäten. Dass vor wie auch nach 1945 die Ermordung BeDr. med. Mabuse 217 · September / Oktober 2015


ONKOLOGIE AUF ANTHROPOSOPHISCHER GRUNDLAGE hinderter in großen Teilen der Gesellschaft als „Gnadentod“ gesehen wurde, bestärkte die Täterinnen nachträglich. Es ist gerade die in Teilen journalistische Herangehensweise, die dieses Buch lesenswert macht. Der Autor hat Fragen, die er mit seinen LeserInnen teilen will. Er will zur Entwicklung von Haltungen beitragen, die es erlauben, sich gegen das Unrecht zu stellen. Die Bedingungen von Handeln zu verstehen, kann dabei hilfreich sein. Aber verstehen heißt nicht, ein Verständnis für das Unrecht zu entwickeln, wie es den Nachgeborenen in Deutschland jahrzehntelang abverlangt wurde. Reinhard Rohde, Celle

Edition Falkenberg, Bremen 2015, 224 Seiten, 16,90 Euro

Franz Knieps, Hartmut Reiners

Gesundheitsreformen in Deutschland Geschichte – Intentionen – Kontroversen

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as deutsche Gesundheitswesen mit seiner umfassenden Versorgung im Krankheitsfall sowie seinen Leistungen in der Prävention und Rehabilitation ist nicht nur hochkomplex, sondern auch besonders kostenintensiv. Selbst Fachleute haben mitunter Schwierigkeiten, die Struktur und Funktionsweise der verschiedenen Teilsysteme der Versorgungsbereiche insgesamt zu überblicken. Aus guten Gründen wird dieser riesige Wirtschaftszweig, dessen finanzielle Basis die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist, nicht über den Markt, sondern vor allem über Recht und Politik – im Rahmen von sogenannten Gesundheitsreformen – gesteuert. Ziel solcher Reformen war in neuerer Zeit vor allem die Eindämmung der Kostenentwicklung in der GKV, beispielsweise durch die Stabilisierung des Beitragssatzes und somit der Lohnnebenkosten, durch Einschränkungen von Leistungen, Erhöhung von Zuzahlungen oder durch Änderungen bei der Vergütung der Leistungserbringer.

Veränderungen in und an diesem System sind stets heftig umstritten, treffen sie doch auf gewachsene Strukturen sowie ein nur schwer durchschaubares Geflecht von wirtschaftlichen und politischen Interessen. Die betreffenden Entscheidungen der Politik sind daher sowohl von komplexen Sachfragen geprägt als auch von Machtkonstellationen, Wertvorstellungen und Ideologien. So ist es nicht verwunderlich, dass fast jeder vierte der beim Bundestag offiziell registrierten Lobbyisten sich ausschließlich um den Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums kümmert. Die Lobbyisten vertreten sehr unterschiedliche Interessen von Berufsgruppen, Versorgungsunternehmen, Krankenversicherungen sowie Herstellern von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Unterdessen sorgt das föderalistische Politiksystem der Bundesrepublik Deutschland für weitere Komplikationen, weil Kernbereiche der Gesundheitspolitik unter die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes und der Länder oder in die alleinige Kompetenz der Länder fallen. In ihrem Buch „Gesundheitsreformen in Deutschland“ schildern Franz Knieps und Hartmut Reiners, die beide fast 30 Jahre das deutsche Gesundheitswesen in verschiedenen Bereichen aktiv mitgestaltet haben, den ökonomischen und rechtlichen Rahmen von Gesundheitsreformen, die Entwicklung der GKV von einer Lohnersatzkasse zur Finanzierungsgrundlage der größten Dienstleistungsbranche unserer Volkswirtschaft sowie die Abläufe von Reformen der GKV seit 1988. Übersichtlich in neun Kapitel (jeweils mit Unterkapiteln) gegliedert, liegen ihre thematischen Schwerpunkte dabei auf der Organisation und Finanzierung der GKV, dem Umfang der GKV-Leistungen, der Vergütung von Ärzten und Krankenhäusern, der Struktur der medizinischen Versorgungseinrichtungen, der Arzneimittelversorgung und der Pflegeversicherung – einschließlich eines Ausblicks auf anstehende Reformen bezüglich der Herausforderungen für die Gesundheitspolitik der Zukunft. Nach Ansicht der Autoren ist die immer wieder gestellte Forderung nach einer „Gesundheitsreform aus einem Guss“ realitätsfern. Ihres Erachtens dürfte sich vielmehr auch in den kommenden Jahren der Grundsatz „nach der Reform ist vor der Reform“ bestätigen. Wer sich einen fundierten Überblick über die bisherigen Reformen im deut-

Herausgegeben von: Volker Fintelmann, Markus Treichler

Band 1

Zum Verständnis der Krebskrankheit 238 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-95779-013-2 € 19,90

Band 2

Die Mistel als Krebsheilmittel 238 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-95779-014-9 € 19,90

Band 3

Begleitende Therapien in der Krebsbehandlung 240 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-95779-015-6 € 19,90

Dr. med. Mabuse 217 · September / Oktober 2015

http://WWW.INFO3-VERLAG.DE


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Buchbesprechungen

schen Gesundheitswesen verschaffen und entsprechende zukünftige Entscheidungsprozesse besser verstehen möchte, wird nach der Lektüre des Buches von Franz Knieps und Hartmut Reiners wesentlich klarer sehen. Dr. phil. Hubert Kolling, Gesundheits- und Krankenpfleger, Dipl.-Politologe, Bad Staffelstein

Hans Huber Verlag, Bern 2015, 388 S., 29,95 Euro

Bernd Kalvelage

Klassenmedizin Plädoyer für eine soziale Reformation der Heilkunst

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chon der Titel macht stutzig: Es irritiert der affirmative Bezug zum Begriff Klassenmedizin. Man hätte eine Kritik derselben erwartet, wie sie von Linken geführt wird – oft mit einer zum Zwecke der Dramatisierung versehenen quantitativen Bestimmung (Zweiklassenmedizin, Dreiklassenmedizin etc.). Bernd Kalvelage meint dagegen mit Klassenmedizin „eine Sicht auf Medizin und Gesellschaft von unten“. Es geht ihm darum, an der Utopie einer konfliktfähigen und solidarischen Gesellschaft festzuhalten. Deshalb mutet er den LeserInnen zu, den „selektierenden Einfluss der Schicht- und Klassenzugehörigkeit auf das Krankwerden und Kranksein“ anschaulich und bewusst zu machen – als Lehrbuch für Medizinstudierende und angehende ÄrztInnen. Das Buch ist aus der medizinischen Praxis in Wilhelmsburg, einem sozialen Brennpunkt in Hamburg, entstanden. Von hier aus will es eine patientenorientierte, schichtsensible Medizin entwerfen. So erklärt sich die massive Kritik an den eklatanten Qualitätsdefiziten der in Deutschland praktizierten Medizin. Dass dem Buch ein Adorno-Zitat vorangestellt und dieser auch mehrfach im Buch zitiert wird, ist nicht bloß Attitüde, sondern spiegelt sich auch im methodischen Herangehen an den Gegenstand: Statt vermeintlich wissenschaftliche Objektivität zu behaupten (wie der bürger-

liche Mainstream, der dabei immer auch Partei ergreift), wird hier klar und transparent Partei ergriffen: für die armen und kranken Menschen, die diese Gesellschaft nicht zufällig „produziert“ und die in Deutschland etwa ein Fünftel der Gesellschaft bilden. Armut, Ausgrenzung und Herrschaft zu bekämpfen, wird hier als Teil der praktischen Medizin vorgestellt. Es geht dabei um den Spagat: Einerseits die sozialen Determinanten von Gesundheit und Krankheit zu erkennen und damit den Einfluss der medizinischen Versorgung auf dieselben als sehr beschränkt anzuerkennen. Andererseits aber den Spielraum der praktischen Medizin, der trotz dieser Erkenntnis bleibt, für den Patienten und mit dem Patienten möglichst gut und im Interesse der Betroffenen zu nutzen. Einleitend beschäftigt sich Kalvelage mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, also mit sozialer Ungleichheit und dem Problem des Anspruchs auf Gleichheit in der Behandlung, wie es Medizinstudierende anhand der Theorie von Parsons lernen sollen. Kalvelage setzt dagegen eine „individuelle“ Medizin, weil eine Lehrbuch-Behandlung „ohne Ansehen der Person“ nicht die Lösung des Ungleichheitsproblems sein kann. Jeder Kranke benötige eine individuelle Medizin, die „seinen sozialen Status, seine Möglichkeiten und Grenzen kennt und berücksichtigt“. Klassenmedizin bedeute dementsprechend, Patientenerwartungen aufzunehmen, nachzufragen und nachzuschauen, wo der Patient steht und was er braucht. Selbstredend müssen, um dieses Anliegen deutlich zu machen, viele Beispiele aus der Praxis dargestellt und diskutiert werden. So werden uns durch alle Kapitel hindurch Fallbeispiele/Patienten und ihre individuellen Geschichten vorgestellt sowie Erfahrungen und Vorschläge für den Umgang mit ihnen geschildert. Bei vielen Beispielen wird deutlich, dass eine gute Behandlung sich oft nicht in der „rein“ medizinischen Behandlung des Leidens erschöpft, sondern dass die Angehörigen, die Arbeits- und Lebensbedingungen miteinbezogen werden müssen – die sich freilich oft sehr viel schwerer „heilen“ lassen als Krankheiten. Die Fallbeispiele – meistens Patienten, die Kalvelage von den Erfahrungen bei anderen (Fach-)ÄrztInnen berichten – zeugen davon, wie weit die Ökonomisierung im deutschen Gesundheitswesen

fortgeschritten ist. Das Buch setzt sich auch mit der Honorierung von ÄrztInnen und folgerichtig (im Denken der ÄrztInnen) mit der Zweiklassenmedizin auseinander, die das Gegenteil von Klassenmedizin ist, nämlich die Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich versicherten PatientInnen aus finanziellen Gründen. Sehr verdienstvoll ist das Kapitel „Aesculap und andere Ausländer“. Hier diskutiert Kalvelage Probleme der Kommunikation und der Compliance bei PatientInnen mit Migrationshintergrund. Es werden sowohl politische Probleme von Diskriminierung, Ungleichbehandlung und einem zunehmend rassistischen politischen Diskurs als auch ethische Probleme der Medizin thematisiert. Aber auch rechtliche Fragen werden – vor dem Hintergrund der Arbeit der MediBüros – bezüglich der Behandlung von Menschen ohne Papiere diskutiert. Zu Recht stellt er die These auf, dass die „Qualität der Versorgung von Migranten (...) ein Indikator für soziale Verantwortung und Humanität in unserem Gesundheits- und Gemeinwesen“ sei. Gemessen daran ist der Reformbedarf in Deutschland extrem hoch! Solche und andere Forderungen findet man dann auch in den insgesamt 30 „Thesen zur Reformation der Heilkunst“, die gesundheitspolitisch grundsätzlich sind: Dazu gehören die Forderung einer Rekommunalisierung der Krankenhäuser, das Verbot von Individuellen Gesundheitsleistungen, ein Vorrang der Verhältnisprävention, eine gemeinsame Ausbildung von Medizinstudierenden mit Auszubildenden in Pflegeberufen und andere. Aus meiner langjährigen Erfahrung in der gesundheitspolitischen Zusammenarbeit mit ÄrztInnen und in Forschung und Lehre der Medizinsoziologie kann ich nur sagen: Wie froh wäre ich gewesen, hätte ich für die Lehre von Medizinstudierenden schon mit dem Buch von Kalvelage arbeiten können! Nadja Rakowitz, verein demokratischer ärztinnen und ärzte

Springer Verlag, Berlin/ Heidelberg 2014, 218 Seiten, 34,99 Euro Dr. med. Mabuse 217 · September / Oktober 2015


Buchbesprechungen

Angela Caughey

Das Demenz-Buch Praktische und persönliche Ratschläge für pflegende Angehörige und professionelle Helfer

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as Buch der neuseeländischen Autorin wird eine große Hilfe für all jene sein, die sich nach dem hundertsten Artikel über Demenz ratlos fragen: „Ja, und was genau soll ich nun machen?“ Die Autorin hat zwölf Jahre Pflege ihres an Lewy-Körperchen-Demenz erkrankten Ehemannes ausgewertet und alles, wirklich alles aufgeschrieben, was im Alltag vorkommt und zu bewältigen ist. Wenn bisher die Ansicht verbreitet war, Demenz ließe den Menschen quasi als leere Hülle ohne Gehirn auf der Erde zurück, die man bis zum gnädigen Ende irgendwie verwahren müsse, macht Caughey sich unglaublich akribisch daran, jede Handlung des 24-Stunden-Tages darauf zu prüfen, wie man sie für die Pflegeperson erleichtern und optimieren und die Persönlichkeit des Demenzkranken respektieren kann. Es war schon immer klar: Eine erkrankte Lunge kann dennoch den Menschen mit Sauerstoff versorgen, ein schwaches Herz arbeitet noch, aber erst allmählich spricht sich herum, dass bei einer demenziellen Erkrankung viele Anteile des Gehirns und damit des Intellekts noch vorhanden sind. Es ist das Verdienst der Autorin, dass sie wirklich jedes Thema ohne Scheu anspricht und bearbeitet. Von dem eher harmlosen Krankheitsbeginn mit teilweise absurden und lustigen Fehlhandlungen bis zur belastenden Harn- und Stuhlinkontinenz. Sie hat mit großer Sorgfalt jeden im Tagesablauf möglichen Handgriff darauf untersucht, wie man dem Erkrankten das Leben erleichtern kann. Das ist auch deswegen so überwältigend, weil der ungeheure Umfang einer derartigen Pflege offenbar wird: Nahezu 24 Stunden Aufmerksamkeit, die keinen Moment nachlassen darf. Hilfreich sind dabei die vielen Fallbeispiele in jedem Abschnitt und die Querverweise am Schluss der Kapitel, für Leser, die einer anderen Systematik als der vom Buch vorgegebenen folgen möchten. Caughey wendet sich gegen diagnostische Abstinenz, die ich immer wieder im Rahmen meiner Gutachterinnentätigkeit bei ÄrztInnen beobachtet habe. Sie Dr. med. Mabuse 218 · November / Dezember 2015

zwingt die Umgebung, genau hinzusehen und nicht einfach alles unter der resignativen Aussage „er/sie ist eben dement“ abzutun. Rechtliche Beratung hätte das Buch sicher überfrachtet, die Selbstbeschränkung hinsichtlich technischer Fragen ist ebenfalls zu begrüßen. Dennoch hätten die Herausgeber der deutschen Übersetzung überprüfen sollen, ob hierzulande alles verstanden werden kann. Gerade weil auf fast jede denkbare Situation eingegangen wird und den Pflegepersonen auch im Umgang mit Institutionen, Ärzten und Pflegeeinrichtungen der Rücken gestärkt wird, irritiert es schon, dass die Pflegeversicherung gar nicht vorkommt. Folgerichtig wird auch die für Kranke wie Pflegepersonen so außerordentlich belastende Begutachtung zur Einstufung in die Pflegestufen überhaupt nicht erwähnt. Der „Pflegegutachter“, den man im Stichwortverzeichnis findet, hat eine völlig andere Rolle und Funktion als hierzulande. Auch andere Kleinigkeiten stiften eher Verwirrung: Die Feuerwehr solle beraten, welche Rauchmelder für Ältere geeignet sind. Was ist damit gemeint? Der Einbau von Feuermeldern ist in Deutschland gesetzlich geregelt und Mieter haben kaum Einfluss auf die Art der Rauchmelder. Die Autorin kommt nicht nur aus einem anderen Sozialsystem, sondern auch aus einem anderen Sprachraum. Was etwa ist mit „Brustentzündung“ gemeint? An anderer Stelle wird die Phlegmone, eine Infektionserkrankung des Bindegewebes, mit „entzündlicher Cellulitis“ erklärt, ein Begriff, der bei uns völlig unüblich ist. Und auch die Empfehlung, den Warmwasserboiler auf 60 Grad einzustellen, erscheint mir zweifelhaft, da mehr als 35 Grad als unangenehm empfunden werden. Das Verdienst der Autorin ist es, dass wirklich kein Bereich ausgelassen wird – alle Räume des Hauses werden gedanklich nach Klippen im Alltag durchforstet. Damit ist das Buch sicher ein Meilenstein, was die Praxisbezogenheit angeht. So etwas liest man nicht oft. Sonja Chevallier, Hamburg

Raus au s der Armuts falle

Formuliert werden aktuelle Überlegungen zu Wegen aus der Kinder- und Jugendarmut. Damit verbindet sich die Absicht, Reflexionen und Material bereitzustellen, um Möglichkeiten armutssensibler Kinder- und Jugendpolitik sowie sozialpädagogischer Praxis weiter zu fördern und zu unterstützen. 2015, 332 Seiten, broschiert, € 24,95 ISBN 978-3-7799-3298-7 Auch als E-Book erhältlich

Beraten – und z war kompet ent! Der Sammelband macht Pilotstudien zum Kompetenzerwerb in der Psychosozialen Beratung zugänglich, die an der Arbeitsstelle für Beratungsforschung entstanden sind. 2015, 154 Seiten, broschiert, € 24,95 ISBN 978-3-7799-3271-0 Auch als E-Book erhältlich

Schattauer Verlag, Stuttgart 2014, 292 Seiten, 24,99 Euro

www.juventa.de

JUVENTA

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Buchbesprechungen

Michael Graber-Dünow

Pflegeheime am Pranger Wie schaffen wir eine bessere Altenhilfe?

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as ist los in den deutschen Pflegeheimen? Immer wieder wird die Öffentlichkeit mit Skandalberichten über Gewalt und Verrohung in Pflegeheimen konfrontiert. Der Aufschrei ist jedes Mal groß, aber auch schnell wieder vorbei. Fakt ist doch, dass fast alle Heime bei den MDK-Prüfungen die Note „sehr gut“ erhalten. Warum jetzt noch ein weiteres Buch zum Thema, wo sich die Verantwortlichen in der Pflegebranche und der Politik längst mit diesem Widerspruch arrangiert haben, er sogar hilfreich ist, um das Problem auf die wenigen schwarzen Schafe abzuwälzen, die es bekanntlich ja in jeder Branche gibt? Michael Graber-Dünow analysiert die Fakten hinter den Skandalen. Kaum einer kennt sich mit dem Innenleben von Pflegeheimen besser aus als der Autor. Er ist examinierter Altenpfleger, Diplom-Sozialarbeiter und trägt als Leiter eines Pflegeheims in Frankfurt am Main seit 25 Jahren die Verantwortung für Bewohner und Personal. Das Buch fasst seine Empörung über die organisatorischen Strukturen, die diese Skandale begünstigen, zusammen und zeigt auf, wie eine bessere Altenpflege gelingen könnte. Der Tenor: Es ist genug Geld im System, die finanziellen Mittel müssen nur dort ankommen, wo gute Pflege stattfinden soll, nämlich bei der unmittelbaren Arbeit mit den Pflegebedürftigen. Zunächst geht es um historisch entstandene Trägerstrukturen. Es folgen, mit vielen Quellenangaben und Verweisen hinterlegt, Zahlen über die Zusammensetzung der Heimbewohner nach Alter, Geschlecht, Pflegestufen und mehr. Anschließend widmet sich der Autor den Problembereichen des Heimlebens an sich. Heime sind Orte mit historisch schlechtem Image, weil sie mit dem Verlust der Selbstständigkeit und der Privatsphäre, mit Fremdbestimmung, Langeweile und dem Lebensende verbunden werden. Fazit: Ein hoher Verdrängungsfaktor erschwert Problemlösungen. Kapitel drei befasst sich mit den Ursachen und Auswirkungen des Pflegenotstands. Besonders anschaulich wird unter der Überschrift „Personalbemessung“ aufgezeigt, wie aus dem im landesweiten Rahmenvertrag vereinbarten Schlüssel

von 39,1 Pflegekräften für 100 Heimbewohner tatsächlich ein Verhältnis entsteht, nach dem eine Pflegekraft im Durchschnitt 11,6 Pflegebedürftige im Tag- und 50 Bewohner im Nachtdienst zu betreuen hat. Wohlgemerkt, dies ist der Idealfall der vollen Stellenbesetzung! Da ich selbst pflege, sehe ich unseren Arbeitsalltag sowie die unsägliche Diskrepanz zwischen Anspruch (Dokumentation) und Wirklichkeit gut wiedergegeben. Danach folgt eine kritische Auseinandersetzung mit der Pflegeversicherung und ihren Konsequenzen für Heimbetreiber, Personal und vor allem für die Bewohner, deren überwiegender Teil zusätzlich noch Leistungen über das Sozialamt benötigt (Doppelstrukturen als Kostentreiber). Der Autor hält die Pflegeversicherung in ihrem stationären Teil für gescheitert und plädiert für ein steuerfinanziertes System wie in manchen Nachbarländern. Schließlich geht es um den Qualitätsbegriff: Dem sogenannten Qualitätsmanagement (als Zeitfresser zulasten der Pflege) wird eine positive Qualitätsdiskussion (Beispiel England) gegenübergestellt. Und auch die Überregulierung der Pflegeheime durch neun Kontrollbehörden und über 1.000 Vorschriften, mit teils widersprüchlichen Auflagen, wird kritisiert. Sie entziehe den Heimen unnötigerweise finanzielle und personelle Ressourcen. Michael Graber-Dünow plädiert daher für eine Zusammenfassung der Kontrollinstanzen unter dem Dach einer unabhängigen Behörde. Ich wünsche dem Buch viele Leser. Für alle, die für die Pflege und in der Pflege Verantwortung tragen, ist es eine sehr empfehlenswerte Basislektüre. Ob der Autor mit seiner Analyse recht hat, dass der „Kuchen“ für die Finanzierung der Altenpflege groß genug ist, die Stücke für eine menschenwürdige Pflege nur viel zu klein ausfallen, ist angesichts der demografischen Veränderungen fraglich. Ein wichtiger Impuls für eine endlich ehrlich zu führende Diskussion ist das Buch in jedem Fall. Lucia André, Altenpflegerin

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2015, 172 Seiten, 16,95 Euro

Michael Zander

Autonomie bei (ambulantem) Pflegebedarf im Alter Eine psychologische Untersuchung

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ie bundesdeutsche Behindertenbewegung ist auch nicht mehr die Jüngste – an die vierzig Jahre ist es bereits her, dass die ersten Forderungen nach Emanzipation formuliert wurden. Seither hat sich dieser Aufbruch weitgehend institutionalisiert, die Probleme und Fragestellungen sind indes die gleichen geblieben. Da ist es gut, dass einige der Bewegten sich im Politik- und Wissenschaftsbetrieb etabliert haben und dort ihre fundierte Sicht der Dinge einbringen können. Das Alter rückt zwar näher, aber die Thematik ist nicht neu. Denn wie ein roter Faden durchzieht die Auseinandersetzung mit der Abhängigkeit von Hilfe, die häufig von Machtstrukturen geprägt ist und Fremdbestimmung produziert, die SelbstbestimmtLeben-Bewegung. Als Reaktion auf die Aussicht, in ein Heim eingewiesen zu werden, nahm vor fast zwanzig Jahren die „Hamburger AssistenzGenossenschaft“ ihren Geschäftsbetrieb auf. Sie wurde von behinderten Personen aus der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung entsprechend dem Bremer Modell ins Leben gerufen. Gegenwärtig existieren in Deutschland etwa ein Dutzend Betriebe in dieser Form der selbstverwalteten persönlichen Assistenz für pflegeabhängige Menschen. Neu an dieser Entwicklung ist, dass die behinderten Personen – also die Assistenznehmer – entscheiden, welche Personen sie wann und wo und in welcher Weise unterstützen. Durch diesen Ansatz besitzen die betroffenen behinderten Frauen und Männer die Personal- und Anleitungskompetenz. Hilfsabhängig zu sein, ist nicht länger gleichbedeutend mit der Situation, zum fremdbestimmten Objekt degradiert zu werden. Die Assistenz wird überall und bei Bedarf rund um die Uhr erbracht, womit die Entscheidungshoheit nicht nur im häuslichen Umfeld, sondern genauso für die Bereiche Ausbildung und Arbeit, Freizeit und Kultur gesichert bleibt. Wie dieser Ansatz allgemeingültig sein kann, dieser Frage geht der Psychologe Michael Zander in seinem Buch nach. Zander, der sich selbst als ein Vertreter der Disability Studies sieht, zieht grundsätzlich den Begriff der Autonomie der Dr. med. Mabuse 218 · November / Dezember 2015


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inflationär und oft widersprüchlich genutzten Rede von der Selbstbestimmung vor. Dabei orientiert er sich an der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die unter Autonomie die Fähigkeit versteht, „die für das Alltagsleben notwendigen persönlichen Entscheidungen zu treffen, sie zu kontrollieren und mit ihnen umzugehen, und zwar im Rahmen der persönlichen Bedürfnisse und Präferenzen“. Zur Lebensqualität gehört gleichfalls die Wahrung der Unabhängigkeit, verstanden als die Fähigkeit, „die für das tägliche Leben notwendigen Funktionen auszuführen, also etwa alleine innerhalb der Gemeinschaft zu wohnen und dabei die Hilfe anderer nicht oder nur in geringem Umfang in Anspruch zu nehmen.“ Weitgehende Autonomie und Unabhängigkeit sowie die Gewährung notwendiger Hilfen sind Bestandteile der Menschenrechte. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer veränderten Sichtweise auf alte Personen – weg von den passiv Bedürftigen und hin zu den aktiv Berechtigten. Der Autor untersucht diese theoretischen Vorgaben und die Realität der Pflege im Alter mit sozialwissenschaftlichen, juristischen und psychologischen Konzepten. Sein auf einer schlüssigen Argumentation ruhendes (und gleichwohl für Eingeweihte wenig überraschendes) Fazit lautet: Das deutsche Pflegegesetz wird den Autonomie-Bestrebungen älterer Menschen nicht gerecht. Mit dieser Feststellung hebt sich Zander von jenen Berichten ab, die das Dilemma als Skandal, Missstand oder Pflegenotstand beschreiben. Neben den knappen Exkursen zur Sicht auf alte Menschen in der Arbeiterbewegung und während des Nationalsozialismus gewinnt das Buch durch das kurze Eingehen auf die Bürgerrechtsbewegung mit den Gray Panthers und vor allem durch aktuelle Interviews, in denen betagte Frauen und Männer mit Pflegebedarf ausführlich ihren Alltag schildern. Den Grundtenor formuliert dabei eine Frau Tobias: „Die Umstände sind nicht so, wie die Patienten das haben möchten.“ Udo Sierck, Publizist und Dozent an der Ev. Hochschule Darmstadt

Hans Huber Verlag, Bern 2015, 168 Seiten, 34,95 Euro Dr. med. Mabuse 218 · November / Dezember 2015

Gabriele Winker

Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft

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abriele Winker versucht in ihrer neuen Veröffentlichung auf knapp 200 Seiten und in sieben Kapiteln, neue Wege in eine solidarische Gesellschaft einzuschlagen. Care heißt übersetzt sich kümmern, pflegen, versorgen und beschreibt Tätigkeiten von Erzieherinnen, Pflegekräften und Haushaltsarbeiterinnen, also Tätigkeiten, die zumeist von Frauen übernommen werden. Die Autorin konzentriert sich dabei auf die innerfamiliäre beziehungsweise ehrenamtliche Sorgearbeit (Care-Arbeit), die unentlohnt bleibt, zeigt aber auch die sich immer mehr verschärfenden Bedingungen der entlohnten Care-Arbeit auf. Es ist gerade diese Sorgearbeit, die zu wenig gesellschaftliche Wertschätzung erhält. Die Verknappung von Zeit, die immer höher werdende Arbeitsbelastung und die wachsende Gefahr, in prekäre Lebenslagen abzurutschen, erschweren Sorgearbeit, auch die entlohnte, zunehmend. Wie kann die Sorge um sich und andere in Zukunft noch Versorgung garantieren? Care Revolution möchte einen Wandel versprechen. Doch ist das so einfach? Heribert Prantl schrieb vor genau einem Jahrzehnt in „Kein schöner Land“: „Wer im privaten Leben Solidarität lebt, wird im staatlichen Solidarverband bestraft.“ Hat solidarisches Leben unter den gegebenen Bedingungen überhaupt eine reale Chance? Zahlreiche Denker haben die Auswirkungen des Neoliberalismus auf die Gesellschaft bereits analysiert: die Kürzung sozialstaatlicher Leistungen, die Mehrfachbelastung von Frauen, asymmetrische Machtverhältnisse, die fehlende Besteuerung von Eigentum und die mangelnde Besteuerung von Gewinn, ungerechte Verteilungsmechanismen und die damit verbundene, immer stärker aufreißende Kluft zwischen Armut und Wohlstand. Beeinflusst von der feministischen Theorie reiht sich Care Revolution in die lange Liste der Kritik am Neoliberalismus ein. Das Buch liefert zwar keine neuen Erkenntnisse, möchte aber zum politischen Engagement und zur Teilhabe animieren. Doch Veränderung benötigt mehr als nur Einigkeit unter Care-AktivistInnen. Winker fordert einen Perspektivwechsel – weg von der Profitmaximierung, hin

Neuerscheinungen im Mabuse-Verlag

Ilka-Maria Thurmann

Kaiserschnitt heilsam verarbeiten Die prä- und perinatal basierte Spieltherapie® nach Thurmann

Mabuse-Verlag

Ilka-Maria Thurmann Kaiserschnitt heilsam verarbeiten Die Prä- und perinatal basierte Spieltherapie© nach Thurmann 129 Seiten, 19,95 EUR

ISBN 978-3-86321-241-4 Eine Entbindung durch Kaiserschnitt hinterlässt Spuren bei Mutter und Kind. Manchmal entsteht ein seelisches Trauma, das therapeutisch bearbeitet werden kann. In diesem Buch erläutert llka-Maria Thurmann die Präund perinatal basierte Spieltherapie®. Eine einzigartige Hilfe auch für Hebammen, PädagogInnen, ÄrztInnen und Eltern.

Michel Odent Es ist nicht egal, wie wir geboren werden Risiko Kaiserschnitt 180 Seiten, 18 EUR

ISBN 978-3-86321-242-1 Der Kaiserschnitt war ursprünglich eine Notoperation, heute ist er gängige Geburtspraxis. Das bleibt nicht ohne Folgen für Mütter und Kinder. Michel Odent, seit über 30 Jahren tätig in Geburtshilfe und Forschung, kritisiert ein „industrialisiertes Geburtenmanagement“ und Kliniken, die den Eingriff auch ohne medizinische Notwendigkeit durchführen. Mabuse-Verlag GmbH Kasseler Str. 1 A · 60486 Frankfurt ☎ 069-70 79 96-13 · FAX 069-70 41 52 buchversand@mabuse-verlag.de www.mabuse-verlag.de

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Buchbesprechungen

zu den menschlichen Bedürfnissen. Selbst für die Autorin klingt dies utopisch, wie sie anmerkt. Und Vieles bleibt unklar. Die Care-Bewegung möchte eine Bewegung von unten sein, die AktivistInnen stammen allerdings aus der Mittelschicht. Reformen seien notwendig. Doch Reformen kommen „von oben“ und initiieren nicht notwendigerweise eine Revolution. Von Revolutionen weiß man, dass eine Elite durch eine Gegenelite ersetzt wird. So bleibt es zu hinterfragen, wer die eigentlichen Nutznießer einer solchen Care Revolution sein werden: die Gemeinschaft der vernetzten Care-AktivistInnen? Die Care-Bewegung benötigt mehr Inhalte als nur bloße Kritik, sie muss effektive demokratische Möglichkeiten ausloten und sie muss fähig sein, Widersprüche zwischen der Forderung nach gesellschaftlicher Teilhabe bei gleichzeitiger Ausbildung eines Sprachrohrs für Betroffene beziehungsweise zwischen Selbstbestimmung und Solidarität aufzulösen! Care Revolution beginnt eindrucksvoll mit der Bestandsaufnahme der Krise, bleibt jedoch noch zu skizzenhaft in den Ausführungen zur gesellschaftlichen Transformation. Zusammenfassend liefert Winker ein verständlich geschriebenes Buch, das die Problematik der Care-Arbeit in der heutigen Gesellschaft beschreibt. Konkrete Lösungsansätze gehören zwar noch ausgearbeitet, doch bietet das Buch eine Chance für Auseinandersetzung und Dialog. Empfehlenswert für jeden, der sich kritisch mit den Entwicklungen un-

serer Zeit auseinandersetzen und sich mit dem Konzept der Care-Gesellschaft vertraut machen möchte. Nevin Altintop, Pflegewissenschaftlerin, Wien

transcript Verlag, Bielfeld 2015, 208 Seiten, 11,99 Euro

Stefanie Becker, Hermann Brandenburg (Hg.)

Lehrbuch Gerontologie Gerontologisches Fachwissen für Pflege- und Sozialberufe – Eine interdisziplinäre Aufgabe

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ie Professorin Stefanie Becker, Leiterin des Instituts Alter an der FH Bern, und Hermann Brandenburg, Professor für Gerontologische Pflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, haben ein interdisziplinär angelegtes Lehrbuch Gerontologie herausgegeben, das dem Namen „Lehrbuch“ alle Ehre macht. Dass es sich sehr gut für die Lehre eignet, hat verschiedene Gründe: Es ist systematisch aufgebaut, verständlich geschrieben und die einzelnen Aufsätze der insgesamt 23 AutorInnen weisen eine lernfreundliche Struktur auf – allen Tex-

ten sind Zusammenfassungen und Lernziele vorangestellt, manche enthalten darüber hinaus Reflexionsfragen und Fallbeispiele, den Abschluss bilden jeweils detaillierte Literaturangaben, die den Einstieg in die Vertiefung der Thematik erleichtern können. In einem anhängenden Verzeichnis werden die beteiligten AutorInnen mit ihren jeweiligen Arbeitsschwerpunkten und ausgewählten Publikationen vorgestellt; eine schnelle Hilfe bei der Klärung von Fachbegriffen bietet ein zehnseitiges Glossar am Ende des Buches. Vor allem aber ist es dem HerausgeberDuo gelungen, sich sehr vielschichtig mit dem Thema Gerontologie, also der Lehre vom Alter und vom Altern, auseinanderzusetzen, und zwar ganz offensichtlich gemeinsam mit den AutorInnen aus Pflegewissenschaft und Sozialer Arbeit, aus Soziologie, Philosophie und Sozialpädagogik, aus Altenpflege, Heilpädagogik und Sozialforschung, aus Psychologie und Wirtschaftswissenschaften. Dieses Buch ist mehr als eine Aufsatzsammlung. Theoretische Konstrukte wie beispielsweise das der Kompetenztheorie oder Überlegungen zu universalen moralischen Prinzipien ethischen Handelns verbleiben nicht im Theorie-Diskurs, sondern werden in Verbindung mit Lebenswelt, konkreten Pflegeaufgaben oder der demografischen Entwicklung diskutiert. Gleichwohl führt dies nicht zur Verwässerung der Ansätze, das heißt die einzelnen AutorInnen und damit

Duell zweier Giganten »Ein unbekannter Krieg, in dem sich Deutschland und Frankreich gegenüberstanden und der doch Millionen Menschenleben rettete. (…) Ein wissenschaftlicher Schlagabtausch, leidenschaftlich und anklagend.« Le Figaro 256 S., geb. mit SU € 24,95 [D] ISBN 978-3-8062-3150-2


Buchbesprechungen

Hans Huber Verlag, Bern 2014, 440 Seiten, 39,95 Euro

Balance Verlag, Köln 2014, 136 Seiten, 14,95 Euro Dr. med. Mabuse 218 · November / Dezember 2015

Ellen Mersdorf

Alles nur in meinem Kopf

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Leben mit Obsessionen und Zwangsgedanken

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in persönlicher Erfahrungsbericht über das Leben einer Zwangspatientin, deren Zwangshandlungen verdeckt – „alles nur in meinem Kopf“ – stattfinden. Der Schreibstil mit kurzen, prägnanten Sätzen hat mich als Leserin sofort in den Bann gezogen – jenseits von so manch schwermütiger „Betroffenheitsliteratur“ liest sich das Buch eher wie ein Krimi, man will es nicht aus der Hand legen. Will wissen, wie es denn nun weitergeht, wie Ellen Mersdorf ihr Leben meistert. Denn dass sie das tun wird, ist von Anfang an klar. Die Autorin hat ihr Buch Menschen gewidmet, die ähnlich leiden und nicht ahnen, dass sie eine Zwangsstörung haben. Sie will sensibilisieren und Mut machen, auch bei Irrwegen nicht aufzugeben. So nimmt die Suche nach einer hilfreichen Therapie viel Raum ein. Mersdorf beschreibt wenig hilfreiche Interventionen eines psychoanalytisch ausgerichteten Homöopathen, der ihre Suizidalität schlicht übersieht. Sie schildert dann ihre Einweisung in die Institution Akutpsychiatrie, wo man ihr keine bessere Diagnose als „endogene Depression“ stellen kann und Antidepressiva verordnet. Ihre Zwangsgedanken, ihr „Ohrwurm“, wie sie sie nennt, bleiben. Auch die nächste ambulante Therapie erweist sich als Fehlgriff. Refugium hingegen bietet ihr das Arbeitsleben als Referendarin an einem Gymnasium – das bietet Struktur und Halt. Nach langem Ringen heiratet Mersdorf, siedelt in die Schweiz um und schleicht im Selbstversuch ihre Antidepressiva aus – bis es zu einem Rückfall kommt. Und erst in der Schweiz stellt ihr der behandelnde Psychiater die Diagnose Zwangsstörung. Die Autorin erzählt nun sehr ermutigend, wie sie mit dem Wissen um ihre Zwangsstörung ihr Leben lebt, ihren Alltag gestaltet, sich für ein Kind entscheidet. Sie entwickelt eigene Strategien, um sich selbst zu beruhigen – gleichzeitig gibt es die Einsicht, an einer chronischen Krankheit zu leiden. Mersdorf beschreibt ihr Management der Erkrankung. Christiane Kreis, L.O.T.U.S GbR, Supervisorin in Frankfurt am Main

Fabian

Die Haben-Seite der Psyche Psychodynamische Arbeit mit Ressourcen Tiefenpsychologisch begründetes Konzept und konkrete Praxisanleitung: Ressourcenorientierung als zentrales Motiv Der „andere“ Weg in der Psychotherapie: Therapeutisches A rbeiten mit den Resilienz fak toren Humor, Körper, Freundschaf t, Intelligenz 2015. 182 S eite n, 10 A bb., 2 Tab., kar t. € 29,99 ( D) / € 3 0,90 ( A ) | I S B N 978 - 3 -7945 - 313 0 -1

Scheidt, Lucius- Hoene, Stukenbrock, Waller (Hrsg.)

Narrative Bewältigung von Trauma und Verlust

Irrtum Irr tum und und Preisänderungen Preisänderungen vorbehalten. vorbehalten.

durchaus auch die von ihnen vertretenen Disziplinen bleiben in ihrer Spezifität erkennbar und ergänzen sich. Der Huber-Verlag bezeichnet das Buch im Klappentext als Brückenschlag zwischen Pflege und Sozialer Arbeit: Wenn man eine Brücke braucht, scheint es auch einen Graben zu geben. Ob dem so ist – vor allem, ob es einen speziellen Graben gerade zwischen diesen beiden Disziplinen gibt –, vermag ich nicht zu beurteilen. Im gesamten Berufsfeld Gesundheit fällt allerdings auf, dass im Alltag an den einzelnen kranken, alten und/oder behinderten Menschen immer mehr gut ausgebildete und professionell denkende und agierende Berufsgruppen „herumdoktern“, was für die Betroffenen zuweilen jedoch eher verwirrend als hilfreich ist. Deren Aufgabe kann es auch nicht sein, sich zwischen pflegewissenschaftlichen, ergotherapeutischen, sozialpädagogischen oder psychologischen Theorieund Behandlungsansätzen zurechtzufinden. Insofern bleibt zu hoffen, dass die von den Herausgebern intendierte echte Interdisziplinarität (sie schreiben an einer Stelle sogar von Transdisziplinarität) zunehmend Fuß fasst in der Versorgung der Menschen, die unserer fachkundigen Hilfe bedürfen, um ihr Leben zu meistern. Ich selbst nutze das Buch gerade in der Ergotherapie-Ausbildung und im Rahmen einer gerontologischen Fachweiterbildung und wünsche ihm eine vielfältige interdisziplinäre Verbreitung. Dr. Monika Zoege, Krankenschwester, Dipl.-Sozialwissenschaftlerin und Lehrerin, Hannover

Zentrales Phänomen: Jeder Therapeut s teht vor der Aufgabe, Narrative zu interpretieren Empirisch: Mit Transkriptionsanal y s e n vo n N a r r a t i v e n A nregend: Perspek tiven auf Literatur und His torie weiten den Blick 2015. 261 S eite n, 9 A bb., kar t. € 3 4,99 ( D) / € 36, – ( A ) | I S B N 978 - 3 -7945 -2963 - 6

www.schattauer.de www .schattauerr..de

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