Buchbesprechungen_2018

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Christian Schubert

Was uns krank macht – Was uns heilt Aufbruch in eine neue Medizin

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as Buch eröffnet in Theorie und Praxis neue Perspektiven. Die Psychoneuroimmunologie (PNI) zeigt auf, wie Psyche und Gehirn, Nerven-, Hormonund Immunsystem bei Gesundheit und Krankheit aufs engste zusammenwirken. Unser Immunsystem steht in ständiger Wechselwirkung mit unseren Gedanken, unserem Verhalten oder unseren Gefühlen. Chronischer Stress in Beziehungen oder im Job macht uns für Infektionen anfällig, kann unser Leben erheblich verkürzen, ja langfristig zu schweren Leiden wie Krebs und Autoimmunkrankheiten führen. Umgekehrt mobilisieren positive Gedanken oder seelische Ausgeglichenheit und inneres Wohlbefinden unsere Selbstheilungskräfte. Soziales Umfeld und die Lebenswelten des einzelnen Menschen, alles hängt mit allem zusammen und beeinflusst wechselseitig individuelles wie soziales Befinden. Der Arzt, Psychologe und Psychotherapeut Christian Schubert beschreibt gemeinsam mit der Wissenschaftsjournalistin Madeleine Amberger die bahnbrechenden Entwicklungen der PNI-Forschung: populär, verständlich und wissenschaftlich korrekt. Das ganzheitliche, biopsychosoziale Denken und Handeln guter Ärzte erhält nun eine wissenschaftlich exakte Bestätigung: Naturwissenschaftliche Medizin und naturheilkundliche Pra-

xis, psychosomatische Diagnostik und Therapie oder sozialwissenschaftliche wie geisteswissenschaftliche Erkenntniswege lassen sich integrieren. Viele Ärzte sind heute vom sogenannten Gesundheitssystem frustriert. Sie brechen deshalb mit den vorgegebenen Normen, weil sie eine andere Medizin machen möchten, und rechnen etwas trickreich ab. Dieses ständige Übertreten von Regeln aber schafft Angst und Stress, macht auf Dauer auch den Arzt krank. Nach dem Modell der PNI sind alle Erkrankungen psychosomatisch. Die Aufteilung in psychische und körperliche Krankheiten ist überholt. Seele und Körper gehören zusammen. Jetzt entsteht eine naturwissenschaftlich begründete biopsychosoziale Medizin. Die PNI belegt, dass das Sprechen über Belastendes seelisch und immunologisch befreiend wirkt. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt auch, dass Ansätze der Positiven Psychologie wie Optimismus, Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen und soziale Unterstützung die Immunaktivität günstig beeinflussen. Der Körper funktioniert eben nicht wie ein kompliziertes Uhrwerk mit genetisch fixierten Rädchen oder Pendeln. Gesundheit wird von Menschen in ihren kommunalen und kulturellen Lebenswelten geschaffen. Das Gesundheitssystem muss künftig wie ein soziales Immunsystem fungieren, das die Krankheitsgefahren schnell entdeckt, kontinuierlich bekämpft und gesunde Kräfte beim Individuum, aber auch in Organisationen, Betrieben oder Gemeinden stärkt. Der Herzinfarkt ist kein Pum-

pendefekt. Herzen brechen, wenn die individuelle Lebenswelt aus den Fugen gerät. Knapp hundert Menschen sterben daran jährlich pro 100.000 Einwohner in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. Weniger als fünfzig sind es in Schleswig-Holstein oder Hamburg. Diese Unterschiede aus komplexen Lebensnetzen überfordern die heutige Medizin. Der Diabetes Mellitus kann als soziale Infektionskrankheit verstanden und bekämpft werden. Das lehrt uns die Wissenschaft von der Psychoneuroimmunologie. Christian Schubert stellt in seinem Buch dar, wie die PNI und die Erkenntnisse der Epigenetik einen Paradigmenwechsel in der Medizin herbeiführen. Sie wird ihren naturwissenschaftlichen Anspruch behalten, aber um psychische und geisteswissenschaftliche Komponenten lebensnah ergänzt – die psychische Welt eines Patienten wird künftig der physischen Welt in Prävention, Diagnose und Therapie gleichgestellt. Wer also den Aufbruch in eine neue biopsychosoziale Heilkunst ersehnt und den ganzen Menschen hinter seiner Krankheit sehen will, muss dieses Buch lesen. Mir hat es Mut gemacht und die Zuversicht vermittelt, dass eine ganzheitliche Medizin wissenschaftlich fundiert möglich ist. Ellis Huber, Berlin

Fischer & Gann, Bielefeld 2016, 274 Seiten, 24,70 Euro

Der Weg zu einer neuen, umfassenderen Medizin ist mühsam. Wie lohnend dieser steinige Weg ist und wohin er führen könnte, zeigt dieses beeindruckende, gut lesbare Buch.

Aufbruch in eine neue Medizin Das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele besser verstehen 274 Seiten, € 24,–, ISBN 978-3-903072-17-6

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Angelika Zegelin, Tanja Segmüller und Sabine Bohnet-Joschko

Quartiersnahe Unterstützung pflegender Angehöriger Herausforderungen und Chancen für Kommunen und Pflege-Unternehmen

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ieses Buch lenkt die Aufmerksamkeit auf ein gesellschaftlich hoch bedeutsames wie aktuelles Thema. Wer war oder ist davon nicht tangiert?! Pflegende Angehörige sind der größte Pflegedienst in unserem Land, aber werden sie auch angemessen wahrgenommen? Angelika Zegelin und Tanja Segmüller haben sich als beruflich Pflegende und als Pflegewissenschaftlerinnen der pflegenden Angehörigen angenommen und ein Projekt im Sinne einer pflegewissenschaftlichen Aktionsforschung durchgeführt. Der Bericht darüber wird ergänzt mit einem Beitrag über eine „Prognose der kommunalen Ausgabenentwicklung für Leistungen der stationären Hilfe zur Pflege“. Letzterer wurde von der Wirtschaftswissenschaftlerin Sabine BohnetJoschko und dem Betriebswirtschaftler Claus Zippel erstellt. Beides miteinander in einem Buch zu veröffentlichen, macht Sinn, zumal die Prognose die Dringlichkeit der im Projektbericht aufgeworfenen Themen untermauert. Die Aktionsforschung lief ab 2013 zweieinhalb Jahre lang in zwei Kommunen in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten und dicht besiedelsten Bundesland. Die Autorinnen stellen das Projekt mit sieben sogenannten Arbeitspaketen vor. Diese beziehen sich auf: Steuerung, Öffentlichkeitsarbeit und Recherchen; Bewusstsein für die Bedürfnisse pflegender Angehöriger bei den Akteuren in den Kreisen schaffen; Aufbau der Arbeitskreise; Leitung und Durchführung der Arbeitsgruppen; Angehörigenfokusgruppen; Angebote für Migranten prüfen und erweitern sowie Verbesserung an der Schnittstelle Klinik und häusliche Pflege. Die einzelnen Schritte werden gut nachvollziehbar dargestellt, einschließlich aufgetretener Stolpersteine und Erfolgserlebnisse. Schon in der Einleitung wird deutlich, wie umfassend das Thema ist. Es stellt eine gesellschaftliche Herausforderung dar, dem angemessen zu begeg-

nen: „Wir brauchen mehr Pflegefreundlichkeit in unserer Gesellschaft. Von den Betroffenen wird sie kaum eingefordert, weil sie keine Zeit haben und unabkömmlich sind. Zudem wird familiale Pflege als persönliches Schicksal, oft auch schambesetzt, erlebt. Es gilt, die Lage irgendwie zu bewältigen.“ Dieses „irgendwie“ mit Lebensqualität zu gestalten, so könnte man zusammengefasst das Projektziel beschreiben. Unter anderem betonen Zegelin und Segmüller die Bedeutung von Schulungsangeboten und erwähnen dabei ausdrücklich die Kinaesthetics-Kurse für pflegende Angehörige. Sie weisen auf die Notwendigkeit hin, PflegeexpertInnen in der Region zu erfassen, damit diese bei Bedarf von den Angehörigen angefragt werden können. In der Schlussbetrachtung werden auch sogenannte pflegerische Versorgungszentren als Konzept für die Zukunft erwähnt. Zur Prognose aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht: Auch sie zeigt, dass es eine bedeutende Aufgabe bleibt, pflegende Angehörige zu befähigen – auch mit Schulung/Bildung –, ihre Situation zielführend bewältigen zu können. Nach der Erläuterung der Prognosetechnik werden die Ergebnisse auf der Basis von vier möglichen Szenarien dargestellt, unterschieden nach der potenziellen Zahl pflegender Angehöriger. Anschließend werden die Ergebnisse interpretiert, wobei das Fazit für alle Szenarien Folgendes zeigt: „Der enorme Ausgabenanstieg bei Hilfe zur Pflege stellt allerdings die Entscheider kommunenübergreifend vor eine große Herausforderung.“ Kommunen und weitere Akteure werden sich mit dem Thema befassen müssen. Den Autorinnen gebührt Dank für die Veröffentlichung der wertvollen Beiträge. Das Buch bietet viele Anregungen und ist allen beteiligten Akteuren zu empfehlen, insbesondere den Entscheidern in den Kommunen und Landkreisen. Uta Bornschein, Krankenschwester, Ostfildern

Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2017, 128 Seiten, 39,95 Euro

Thomas Köhler

Ruhm und Wahnsinn Psychische Störungen bekannter Persönlichkeiten

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sychiatrische Diagnostik ist sehr vage. Dies ist auch dann so, wenn sie sich posthum auf bekannte Persönlichkeiten bezieht. Dennoch glaubt Thomas Köhler anhand der Krankengeschichten von 24 toten Berühmtheiten, die zwischen 1479 und 2013 gelebt haben, eine besondere Anschaulichkeit für die Diagnosen 1. der organisch bedingten psychischen Störungen, 2. der Schizophrenien und verwandter Störungen sowie 3. der affektiven Störungen zu erzielen. Der vorsichtige Diagnostiker beschreibt dies mit der gebotenen Unsicherheit: „nicht auszuschließen ist aber; möglicherweise, sehr wahrscheinlich sogar; daher ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen; es ist nicht unwahrscheinlich, dass; weitgehend zweifelsfrei“ und viele weitere solche Redewendungen findet man im gesamten Buch. Es bleibt also mit „ziemlicher Sicherheit“ vage, wenngleich die Toten sehr unterschiedlich differenziert gewürdigt werden: Während die beiden letzten, nämlich Margret Thatcher und Ronald Reagan, in ein bis drei Seiten abgehandelt werden, braucht Köhler für Ludwig den II. von Bayern ganze 35 Seiten. Hier werden sehr ausführlich die tragische Biografie geschildert und die kontroversen diagnostischen Einschätzungen angesprochen. Leider fehlt diese Differenziertheit häufig, so etwa auch bei Vincent van Gogh und Friedrich Hölderlin, zu denen genügend geforscht und publiziert wurde. Bei der Darstellung der an Syphilis Erkrankten fehlt es schließlich nicht an Mutmaßungen und sie gipfelt in der historisch unsinnigen Feststellung, diese hätten als später Geborene überlebt. Im Exkurs zum Freitod der Literaten lese ich folgenden Satz: „Obwohl natürlich statistisch schwer abzusichern, hat man den Eindruck, dass überzufällig viele Personen aus diesem Kreis ihrem Leben ein Ende setzten.“ Wieso „natürlich“ und wer ist „man“? Das ist fachlich nicht mehr differenziert und erst recht nicht, wenn im Weiteren der Zusammenhang zwischen Kreativität und der Neigung zu Stimmungsschwankungen behauptet wird und Suizidalität pathologisiert wird. Dr. med. Mabuse 231 · Januar / Februar 2018


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Schattauer Verlag, Stuttgart 2017, 216 Seiten, 19,99 Euro

Christine Bryden

Nichts über uns, ohne uns! 20 Jahre als Aktivistin und Fürsprecherin für Menschen mit Demenz

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hristine Bryden setzt sich seit zwei Jahrzehnten als Aktivistin für die Verbesserung von Unterstützungsangeboten, Dienstleistungen und für die Anerkennung und Partizipation von Menschen mit Demenz ein. „Nichts über uns, ohne uns“ ist eine Sammlung von weitgehend in der ursprünglichen Form belassenen Vorträgen, die sie in der Zeit von 2001 bis 2015 gehalten hat. In den 22 Kapiteln des Buches teilt sie ihre seit 1995 gesammelten Erfahrungen, dem Jahr, in dem ihr Dr. med. Mabuse 231 · Januar / Februar 2018

die medizinische Diagnose „Demenz“ gestellt wurde. Sie erhofft sich, „dass neue Generationen von Initiatoren, Betreuern und Managern animiert werden, ihr Möglichstes zu tun, um die Förderung, Pflege und Unterstützung von Menschen mit Demenz zu verbessern“. Jedes Kapitel startet mit Kernaussagen, die danach weiter ausgeführt werden. Fotos illustrieren viele Beiträge, die dadurch sehr lebensnah werden. Aufgenommen ist zudem ein umfangreicher Überblick über deutschsprachige Literatur, Adressen und Links zum Thema Demenz. In dieser Vortragssammlung wird die Demenz zu einer interessanten Reise, die angst- oder sinnerfüllt erlebt werden kann. Dies hängt wesentlich von der Qualität des Hilfe- und Unterstützungssystems ab beziehungsweise davon, durch welches Menschenbild dieses geleitet ist. In den Texten werden Prozesse und Konflikte innerer und äußerer Art, die mit dem Leben mit Demenz einhergehen, anschaulich aus der Perspektive einer betroffenen Frau beschrieben und Schlussfolgerungen für die Begleitung von Betroffenen gezogen. Christine Bryden ist 46 Jahre alt, als sie ihre Diagnose erhält. Zu diesem Zeitpunkt ist sie beruflich in leitender Position bei der australischen Regierung tätig, Mutter dreier Töchter im Alter von neun, 14 und 20 Jahren und frisch geschieden. Die Diagnose verändert schlagartig ihr Leben, ihre Identität ist zerstört. Bryden beschreibt die Diagnosestellung als Trauma, vor allem weil diese verbunden ist mit dem Abruf des sogenannten Demenz-Skriptes, das besagt, in etwa fünf Jahren nach der Diagnosestellung im Pflegeheim zu leben und nach drei weiteren Jahren zu sterben. Reaktionen von Außenstehenden sind von klischeehaften Vorstellungen von Menschen mit Demenz beeinflusst. Die Beziehungen zu Anderen und zur Welt verändern sich für Betroffene durch die Diagnose grundlegend. Das gesellschaftliche Stigma der Demenz isoliert, es hält Betroffene im „medizinischen Demenz-System“ gefangen. Das Etikett Demenz lässt den Menschen hinter der Erkrankung unsichtbar werden. Bryden weigert sich schließlich, die klischeehaften Vorstellungen von Demenz, die vom Endstadium der Demenz geprägt sind, sowie die „Demenz-Lüge“, ihr werde es immer schlechter gehen, zu akzeptie-

NEU Brähler | Herzog (Hrsg.)

Sozialpsychosomatik Das vergessene Soziale in der Psychosomatischen Medizin

• Aktuell: Neueste Forschungs- und Studienergebnisse • Umfassende Themenbreite: Psychosomatische Erkrankungen aus verschiedensten Perspektiven 2018. Ca. 340 Seiten, 13 Abb., 23 Tab., geb. Ca. € 49,99 (D) / € 51,40 (A) ISBN 978-3-608-43134-6

NEU Hasler

Resilienz: Der Wir-Faktor Gemeinsam Stress und Ängste überwinden

Irrtum und Preisänderungen vorbehalten. Abb.: © www.fotolia.de

Ich frage mich, wem die berühmten Wahnsinnigen hilfreich sind. Hilft es einem seelisch Kranken zu wissen, dass er in „guter“ Gesellschaft ist? Oder sind die Krankheiten der Berühmten nicht doch andere, da sie sie eher in außerordentlichen Lebensumständen antreffen? Handelt es sich eigentlich um Voyeurismus, wenn diese so ausgestellt werden? Wie steht es mit der ärztlichen Schweigepflicht posthum? Von der Lektüre des Buches hätte ich mir auch den sozialgeschichtlichen Hintergrund der Psychiatrie in den referierten fünf Jahrhunderten gewünscht. Natürlich zuviel verlangt, wenn auf zweihundert Seiten 24 Krankengeschichten und nebenbei noch einige weitere passen müssen. Das Buch ist leicht lesbar (trotz der vielen orthografischen Fehler) und trotz aller Kritik sicher informativ und lehrreich. Es ist eine sehr wechselvolle „Mischung aus Psychopathologie, Kunstgeschichte und politischer Geschichte und nicht zuletzt: auch ein wenig Klatsch“, um noch einmal den Autor zu zitieren. Rolf Brüggemann, Diplom-Psychologe, Göppingen

Das Buch führt vor Augen, was uns in die Stress-Krise geführt hat – und zeigt den Schlüssel, der uns auch wieder hinausführen kann: den Wir-Faktor. Wissen & Leben | Hrsg. von Wulf Bertram Geleitwort von Katharina Domschke 2017. 256 Seiten, kart. € 19,99 (D) / € 20,60 (A) ISBN 978-3-608-43225-1

www.klett-cotta.de/schattauer

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ren. Diese Weigerung ermöglicht es ihr, Angst und Stress zu bewältigen. Bryden findet einen neuen Sinn in ihrem Leben und beschreibt den Wandel vom Opfer zur Überlebenden. Essenziell für die Möglichkeit dieser Entwicklung ist die Beziehung zu anderen Menschen sowie die Teilhabe an deren Aktivitäten. Grundlegend ist, dass andere Menschen da sind. Ist die Umgebung für einen Menschen mit Demenz lähmend, ohne Bezug zu Anderen und ohne sinnvolle Aktivitäten, wie es oft in Pflegeheimen der Fall ist, so hat dies verheerende Auswirkungen auf den Erhalt von Fähigkeiten, auf die Lebenslust und die Lebensqualität. Brydens Erfahrungen belegen empirisch humanwissenschaftliche Erkenntnisse, die auf einem dialogischen Menschenbild beruhen. Das Buch ermutigt, sich kritisch mit eigenen Bildern von Menschen mit Demenz auseinanderzusetzen, die möglicherweise noch vom „Klischee der Demenz“ beeinflusst sind. Heutige Modelle der Unterstützung und Begleitung wie die künstliche Welt sogenannter Demenzdörfer oder -stationen können im Spiegel der von Bryden geschilderten Erfahrungen und Anforderungen an eine angemessene Begleitung kritisch reflektiert werden. Darüber hinaus wird in den Texten der Wandel im allgemeinen Verständnis der Lebenssituation von Menschen mit Demenz deutlich. Das Buch fordert dazu auf, heute selbstverständlich Erscheinendes zu überdenken und ist daher auf jeden Fall empfehlenswert für alle, die selbst von der Diagnose Demenz betroffen sind, aber auch für Angehörige, Bekannte, FreundInnen und für Menschen, die beruflich im Bereich der Unterstützung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen tätig sind, vor allem in der pflegerischen, medizinischen oder sozialpädagogischen Begleitung, der Beratung oder der Lehre. Prof. Dr. Patrizia Tolle, Frankfurt am Main

Hogrefe Verlag, Bern 2016, 272 Seiten, 29,95 Euro

Volker Roelcke

Vom Menschen in der Medizin Für eine kulturwissenschaftlich kompetente Heilkunde

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n seinem Buch plädiert Volker Roelcke, Medizinhistoriker in Gießen, für einen Perspektivenwechsel im medizinischen Denken und Handeln. Vorgestellt wurde das Buch in einem Symposium mit dem Titel „Zur Bedeutung der Kulturwissenschaften für die Medizin“ am 25. Oktober 2017 in Gießen, auf dem die Thematik aus den Blickwinkeln von Medizinhistorikern, Sprach- und Kulturwissenschaftlern sowie Medizinjournalisten beleuchtet wurde. Das gegenwärtige Medizinsystem gibt Handlungsanreize, die meist nicht dem Patientenwohl dienen. Von einer kurzsichtigen, reduktionistischen und selbstüberschätzenden Medizin, die sich wie ein unerzogenes Kind aufführt, war die Rede, und immer wieder stellte sich die einfach erscheinende Frage, warum die Ärzte nicht das Beste für ihre Patienten tun, deren Perspektive konsequent ignoriert wird. Durch Überversorgung wird in Industrieländern heute mehr Schaden angerichtet als durch Unterlassung, Kampagnen wie „choosing wisely“ können nur ansatzweise das Bewusstsein dafür verändern und halten sich oft mit Marginalien auf. Die Vermarktung medizinischer Erfolge wirft die Frage auf, was eigentlich „Erfolg“ in der Medizin ist – Lebensverlängerung um jeden Preis, etwa Chemotherapie in einer Palliativsituation? Nur am Rande existiert neben dem Patienten und seinen Diagnosen der kranke Mensch, in seiner biografischen Einzigartigkeit, seinen Lebens- und Krankheitskonzepten und seinen sozialen Bezügen. Der kulturelle Lebenszusammenhang auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Paradigmen der Wissensentstehung, Vermittlung und Anwendung, also auch deren kulturelle Bedingtheit, machen eine kulturwissenschaftliche Betrachtungsweise unumgänglich und benötigen eine Erweiterung des biomedizinischen Paradigmas. Zwar schafft die Biologie die Bedingungen von Kultur und ist ihre Voraussetzung, jedoch können weder Natur und Biologie des Menschen noch sein Leiden und seine Befindlichkeit kulturfrei betrachtet werden. „Alle Konzepte von

Natur und alle praktischen Auseinandersetzungen mit ihr – inklusive der Naturwissenschaften – sind ein Reflex geschichtlicher Kultur“ – und damit kontinuierlich im Wandel. „Wer die Subjektivität der Kranken, ihre Haltung zum Kranksein und ihr konkretes krankheitsbezogenes Verhalten verstehen möchte, ist darauf angewiesen, den kranken Menschen als kulturelles Wesen zu betrachten“. Roelcke möchte in seinen Überlegungen die Berücksichtigung psychosozialer Faktoren und Bedeutungszuschreibungen nicht nur auf den Patienten, sondern auch auf den Arzt und Forscher als kulturelle Wesen erweitern: Auch Naturwissenschaften sind nicht objektiv und kulturfrei. Der Wunsch nach einer in die Medizin integrierten Selbstreflexion auf die kulturellen Prämissen, das Denken und Handeln, die Art der Wissensgenerierung und nicht zuletzt die Wertsetzungen gipfelte auf der Tagung in der Forderung, Strukturen eines interdisziplinären kulturwissenschaftlichen Konsils im klinischen Alltag zu etablieren. Denn, wie der griechische Philosoph Epiktet es sinngemäß formuliert hat: Nicht die Dinge an sich beunruhigen, sondern die Sicht der Dinge. Und diese ist soziokulturell geprägt. Stephan Heinrich Nolte, Kinderarzt, Marburg

Psychosozial-Verlag, Gießen 2017, 199 Seiten, 22,90 Euro

Wolf Ortiz-Müller (Hg.)

Stalking – das Praxishandbuch Opferhilfe, Täterintervention, Strafverfolgung

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m Oktober lief im ZDF der Spielfilm „Angst – Der Feind in meinem Haus“. Das Drehbuch hat der Spiegel-Redakteur und Schriftsteller Dirk Kurbjuweit auf der Grundlage seines autobiografischen Stalker-Romans „Angst“ geschrieben. Im Spielfilm greift das Familienoberhaupt der gestalkten Familie zur Selbstjustiz; die reale Verfolgung von Kurbjuweits Familie endete weitaus glücklicher. Doch der Autor Dr. med. Mabuse 231 · Januar / Februar 2018


Therapeutisches Spektrum nutzen hat so sein Thema gefunden und mit seiner Stalking-Geschichte als Grußwort wird der Leser emotional eingestimmt. Inhaltlich erfolgt die Einstimmung durch den Herausgeber, Wolf Ortiz-Müller, in Berlin als Gründer von „Stop-Stalking“ bekannt und bestens vernetzt. Er empfiehlt dem Leser, gemäß den eigenen Interessen und Schwerpunkten im Buch zu blättern und nachzulesen. Um den Lesern die Lektüre zu erleichtern, haben sich die insgesamt 23 AutorInnen an einer einheitlichen Struktur orientiert. Tatsächlich gibt es vermutlich wenige Phänomene, mit denen Mitmenschen und Profis aus so unterschiedlicher Perspektive befasst sind. Man mag im privaten oder beruflichen Bereich gestalkt werden, man berät oder behandelt Menschen, die gestalkt werden oder die stalken. Viele Berufsgruppen – nicht nur Polizeibeamte und Juristen – sind mit Stalking konfrontiert. Es finden sich in diesem Buch zu jedem Aspekt sehr gut lesbare, trotzdem angemessen differenzierte und in die Tiefe gehende Beiträge. Erleichtert wird die Suche durch das ausgezeichnete Inhaltsverzeichnis, das in je einem Abschnitt das Thema des Kapitels erläutert. In Kapitel 2 (Wolf Müller-Ortiz) erhalten wir einen Überblick aus sozialpsychologischer, kulturhistorischer und kriminologischer Perspektive. Es folgen mehrere Kapitel zu den juristischen Aspekten. Wie ist die Rechtslage in Deutschland und Europa? Die Fallvignette einer Opferanwältin zeigt auf berührende Weise die unterschiedlichen Schritte, die im zivilrechtlichen Gewaltschutzgesetz vorgesehen sind. Als Sozialarbeiterin in Berlin habe ich oft erlebt, dass eine Gefährderansprache durch die Polizei erfolgte. Hier erfahre ich mehr zu diesem bewährten Instrument und in einem weiteren Kapitel zum Vorgehen der Staats- und Amtsanwaltschaft. Einen Schwerpunkt meiner persönlichen Auswahl bildeten die Kapitel zur Beratungspraxis. Welche Angebote gibt es in den verschiedenen Bundesländern und Städten, wie arbeitet die Berliner Beratungsstelle „Stop-Stalking“? Hier gab es zunächst nur ein Angebot für Täter, später auch für Opfer, inzwischen gibt es die Praxis der integrierten „Täter- und Opferberatung“. Geht das überhaupt? Das Fallbeispiel „Der Stalker ist diesmal der Gärtner“ erbringt den Nachweis. Unterschiedliche methodische Ansätze, gegliedert in Dr. med. Mabuse 231 · Januar / Februar 2018

Module, werden von einem ganzen Autorinnen-Team vermittelt. So erfahre ich, wie die Beratung der unterschiedlichen Zielgruppen ganz praktisch erfolgen kann. In Kapitel 14 berichten drei Betroffene über ihre Erfahrungen mit dem Beratungsprozess. Aber auch Profis aus verschiedenen Projekten schildern ihren Arbeitsalltag. Sie stellen einzelne Beratungsprozesse vor und erläutern Psychodynamik und Vorgehen. Ein wunderbares Beispiel für Empowerment bietet Kapitel 17: „Aus Betroffenheit zur Expertin-in-eigenerSache werden“. Christine Doering wurde von ihrem Ex-Partner gestalkt, ist in der Selbsthilfe aktiv und berät inzwischen auch Profis. Der vierte Abschnitt des Buches beleuchtet unterschiedliche Facetten der Praxis. Besondere Fragestellungen können hier gründlich vertieft werden, zum Beispiel zum Thema Risikoanalyse (Harald Dreßing) oder zur Behandlung straffällig gewordener Menschen (Gernot Hahn). Abschließend werden empirische Arbeiten zur Täterarbeit präsentiert. Hier habe ich vieles überschlagen; bei Bedarf weiß ich, wo ich fündig werde. Ein Glossar, eine Sammlung einschlägiger Gesetze und das Verzeichnis der AutorInnen bilden den Abschluss. Dieses Buch verknüpft alle theoretischen und praktischen Aspekte von „Stalking“ in außerordentlich gelungener Weise. Es ist multiperspektivisch, multidisziplinär und engagiert. Manche Beiträge sind vor allem schlau, andere aufwühlend, häufig beides im Wechsel. Es ist ein Praxishandbuch im allerbesten Sinne. Ilse Eichenbrenner, Berlin

Anette Vasel-Biergans

Wundauflagen für die Kitteltasche 4., vollständig neu bearb. und erw. Auflage 2018. XVIII, 1.727 Seiten in 2 Bänden. 877 farb. Abbildungen. 19 Tabellen. Flexibler Einband. € 68,80 [D] Subskriptionspreis gültig bis 28.02.2018: € 54,90 [D] ISBN 978-3-8047-3307-7 Modernes Wundmanagement stellt hohe Anforderungen an die lokale Wundversorgung. Alginate, Hydrokolloide, Gele oder besser silberbeschichtet? Die Auswahl an Produkten ist groß. Einen kompakten Überblick mit allen wichtigen Informationen für eine professionelle Anwendung bietet dieses Werk: ■ Auswählen: Indikation, Kontraindi-

Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2017, 360 Seiten, 49 Euro

kation und Wirkungsweise für den gezielten Einsatz ■ Verordnen: Verpackungseinheiten, Größen und Preise für die sichere und wirtschaftliche Verordnung ■ Anwenden: Produktfotos und Beschreibungen der Anwendung für eine erfolgreiche Therapie Aufgrund der zahlreichen neu aufgenommenen Produkte jetzt in zwei Bänden! www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de


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Antje Kahl, Hubert Knoblauch u. a. (Hg.)

Heimatkunde mit pmv

Wandern wie im Film! 30 Touren zwischen Reinhardswald und Odenwald. Das Buch zum Film vom hr-fernsehen Die beliebtesten Wanderwege der Hessen ISBN 978-3-89859331-1

Mehr Zeit mit Kindern 300 x Erlebnis & Spaß für drinnen und draußen. Umweltfreundlich mit S, U & Bus Frankfurt & Umgebung mit Kindern ISBN 978-3-89859453-0

Reise & Freizeit Naturnah & Ökologisch Kreativ & Informativ

Hier macht Wandern ah! 22 Erlebnistouren am römischen Grenzwall mit Geschichte, Einkehr & Karten Limeswandern: Von Rheinbrohl bis Miltenberg ISBN 978-3-89859329-8

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Transmortalität Organspende, Tod und tote Körper in der heutigen Gesellschaft

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iele soziologische und kulturwissenschaftliche Studien beschäftigen sich mit dem Wandel des Umgangs mit dem Tod. Wenige Arbeiten liegen jedoch zu dem Themenkomplex vor, wie sich die Alltags- und Berufspraktiken und die dabei zugrunde liegenden Konzepte mit dem toten Körper, der Materialität des verstorbenen Menschen verändert. Ein von der Volkswagenstiftung gefördertes Projekt verfolgte nun die Frage, wie bei dem intensivmedizinischen Akt der Organspende mit dem toten Körper und den Körperteilen verfahren wird. Dabei entwickelten die Forscher ein Konzept der Transmortalität, das beinhaltet, dass der Tod nicht mehr als scharf begrenzt wahrgenommen, sondern auf verschiedene Weisen überschritten wird. Damit wird bereits auf die These eines epochalen Wandels des Todesbegriffs hin zu einem postmodernen Tod mit einer Individualisierung der Entscheidung für den eigenen Tod und einer Psychologisierung des Diskurses verwiesen. Antje Kahl, Hubert Knoblauch und Tina Weber präsentieren in der Einleitung dieses Bandes, die zugleich Einleitung einer gleichnamigen Tagung war, diese zentralen Annahmen des Projekts und deren Entwicklung. Die Vorstellungen von Transmortalität werden in ihrer Mehrdeutigkeit bei der Organspende deutlich, wenn einem über die Hirntoddefinition als tot erklärten Körper ein lebendiges Organ entnommen wird. Die sich hieraus ergebenden Diskurse werden fein seziert und scharf beobachtend von den unterschiedlichen AutorInnen auf der Folie verschiedenster empirischer und methodischer Zugänge dargestellt. Anregend ist zudem, wenn sich wie bei Mona Motakef und Brigitta Hauser-Schäublin zwei Ethnologinnen mit einer Frage wie der der Gabe und der Verdinglichung der Organe beschäftigen, sich aufeinander beziehen und abgrenzen. So betont Motakef, dass die eine Gabe auszeichnende Beziehung des Gebers und Empfängers qua Anonymitätsgebot nicht existiert und Hauser-Schäublin hebt auf den ideellen Tauschwert der Mitmenschlichkeit ab. Menschen mit schwersten Hirnschädi-

gungen in einem als Wachkoma bezeichneten Zustand sieht Ronald Hitzler aufgrund seiner ethnografischen Studie als in einer Art Zwischenwelt Lebende an. Er arbeitet aufgrund seines empirischen Materials unterschiedliche Deutungsmuster heraus, die zur Klassifizierung dieser Menschen und ihres Zustands dienen. So existieren neben schulmedizinischen Deutungsversuchen ebenso empathisch-therapeutische oder phänomenal-therapeutische. Wie Kampagnen zur Organspende organisiert und welche Bilder von Leben und Tod oder dem Weiterleben nach dem Tod als Organ in einem fremden Körper transportiert werden, wird in drei Beiträgen nachgegangen. Programmatisch erscheint dabei die Überschrift des Beitrags von Andrea Esser und Daniel Kersting: Der Tod ist das Ende dieses Lebens. Der Band, so trocken er auf den ersten Blick erscheint, eröffnet überaus spannende Blicke auf unseren Umgang mit Leben, Tod, Körper und Organen. Wer sich auf philosophische, soziologische und ethnologische Forschungszugänge einlässt, gewinnt durch diese Blicke auf das Phänomen der Transmortalität Erkenntnis und Verständnis von Vieldeutigkeiten und Widersprüchen in Bezug auf die Sterblichkeit. Gudrun Silberzahn-Jandt, Koordinatorin im Hospiz Esslingen, freiberufl. Kulturwissenschaftlerin

Beltz Juventa Verlag, Weinheim/Basel 2017, 234 Seiten, 29,95 Euro

Kerstin Samstag und Friederike Samstag

Wahnsinn um drei Ecken Eine Familiengeschichte

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ut mir leid – ich muss es gleich am Anfang verraten: Ich habe in meinem Leben sehr viele Erlebnisberichte rund um psychische Erkrankungen gelesen – dieser gehört zu den besten! Ich weiß gar nicht so recht, wohin mit meiner Begeisterung. Also langsam voran: Dieses Buch ist eine Premiere – und das in doppelter Dr. med. Mabuse 231 · Januar / Februar 2018


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Hinsicht. Noch nie gab es ein Erfahrungsbuch, in dem sowohl eine Mutter – selbst Psychotherapeutin – und eine Tochter/ Schwester – heute Philosophin – abwechselnd und gemeinsam schildern, wie sie die psychische Erkrankung ihres Sohnes und Bruders erleb(t)en. Das Genre „Angehörigenliteratur“ führt seit Langem ein Nischendasein. Zwischen dem „Freispruch der Familie“ von 1982 und den aktuellen Büchern von Janine Berg-Peer liegen vielleicht ein gutes Dutzend weiterer expliziter Angehörigentitel. Im Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen gründete sich erst im Mai 2017 das GeschwisterNetzwerk. Lange Zeit standen die Mütter als „Hauptsorgetragende“ alleine im Fokus und Väter, Brüder, Schwestern und Kinder irgendwo am Rande. Das alles macht den „Wahnsinn um drei Ecken“ so besonders. Das zweite Novum ist die Art und Weise der Erlebnisvermittlung: „Franz Kafka hat eine neue Textform erfunden, sagen die Literaturwissenschaftler: kurze Erzählungen, die seelisches Erleben schlaglichtartig vermitteln. (...) Uns ist dies ähnlich ergangen: Was für uns in den Krisen nicht auszuhalten war, konnten wir nur in kurzen Texten beschreiben, die sich im späteren Verlauf aufeinander bezogen haben“, heißt es in der Einleitung. Wie tiefgehend-bewegend und gleichzeitig prägnant diese Textperlen sind, möge folgendes Beispiel aus der Sicht der Schwester illustrieren: „Ich hatte meinen Bruder auf eine besondere Art verloren: er war noch da, aber nicht mehr erreichbar. Es war erleichternd für mich, als jemand dieses Gefühl als ‚Verlust‘ benannte. Die Kommunikation mit meinem Bruder war nicht mehr auf die gewohnte Art möglich, als der Bruder, den ich kannte, war er nicht mehr erreichbar. Er war da und nicht da. Angefühlt hat es sich wie ein Tod.“

Bestattung & Begleitung in Frauenhänden

Dr. med. Mabuse 231 · Januar / Februar 2018

Vor allem Gefühle der hilflosen Ohnmacht und der Verzweiflung am psychiatrischen System bei aller zehrenden Sorge um die Zukunft von Sohn, Bruder und Familie stehen im Zentrum der Schilderungen – und das in einer ausgesprochen unmittelbaren und zugleich literarischen Sprache. Diese Achterbahnfahrt der Emotionen über acht Jahre hinweg wird im Buch – wie wohl auch im Leben – in drei Kapitel unterteilt: 1. Schock und Ohnmacht, 2. Isolation und Rückzug, 3. Den eigenen Ort finden. Der Tenor der Texte: „Das Gefühl des Betroffenen, nichts mehr steuern zu können, übertrug sich teilweise auf uns. Wir erlebten die Tage wie im Blindflug und waren heillos überfordert.“ Die existenzielle Verwirrung wird deutlich in dem Satz der Mutter: „Ich weiß manchmal nicht, ob ich seinen Schmerz spüre oder meinen eigenen.“ In diesem Buch kommt nun allerdings auch noch das verunsicherte Erleben der Tochter hinzu: „Ich muss meist raten, ob meine Mutter für sich selbst spricht oder für meinen Bruder. Wann und wie meine Mutter ihre Meinung ändert, ist für mich unberechenbar.“ Und: „Mein Gefühl war ständig: Ich darf mich auf nichts verlassen, ich darf keine Bedürfnisse haben und muss umgekehrt immer parat sein.“ Die Schwester findet ein bestechendes Bild der kleinen Familie, wenn sie schreibt: „Ich war nur ein Bauernopfer. Und das war keine Familie mehr, sondern ein Schachspiel. Mein Bruder als der König: Zu mehr als einem kleinen Schritt ist er nicht fähig, aber er muss um jeden Preis verteidigt werden, er bestimmt das ganze Spiel. Meine Mutter ist die weiße Dame, die quer durch die Felder über das Spielfeld flitzt, die am meisten tut. Gemeinsam kämpfen wir gegen die schwarzen Figuren, gegen die verschiedenen inneren Leiden meines Bruders. Der Gegner ist immer noch

in voller Aufstellung, und wir nur noch zu dritt. Nein, zu zweit.“ So wird dieses Buch zu einem längst überfälligen systemischen Buch im besten Sinne: Hier werden die Sicht- und Erlebensweisen von Mutter und Tochter einzeln und immer wieder aufeinander bezogen geschildert, sodass Widersprüche, Missverständnisse sowie die schwer erkämpfte Klärung deutlich nachvollziehbar werden. So etwas Spannendes – vor allem auch die reflektierenden Gedanken über die emotionalen Verbindungen zu den Vorgenerationen – habe ich vorher noch nicht gelesen. Ich bin den Autorinnen sehr dankbar, dass sie die Mühen des Aufschreibens auf sich genommen und den Mut aufgebracht haben, so ehrlich über das Erlebte zu berichten. Denn: „Meine Mutter und ich sind uns einig, dass wir die schlimmste Zeit nicht aussparen dürfen. Wir können dieses Buch nicht um das Loch in der Mitte herumschreiben. Gerade wenn wir beide die schlimmste Zeit thematisieren, wird deutlich, wie sehr unsere Wahrnehmungen voneinander abweichen und wie schwer, manchmal unmöglich es ist, sie miteinander zu vereinbaren, zueinander in ein Verhältnis zu setzen oder überhaupt nur der anderen mitzuteilen. Ich fange also endlich damit an.“ Und das müssen Sie nun wirklich – sorry – selbst lesen! Wie gesagt: Dieses Buch ist eine einzigartige Premiere. Sie verdient Standing Ovations – minutenlang. Hartwig Hansen, Mitherausgeber von „Angehörige sind Erfahrene – Ein Ermutigungsbuch“

BALANCE buch + medien verlag, Köln 2017, 174 Seiten, 16 Euro

Wir sind Bestatterinnen & ’Seelen-Hebammen’. Liebevolle Begleitung ist unser Herzensanliegen - überall in Deutschland seit 1999! Ajana Holz & Merle von Bredow Tel 0700 - 361 797 33 (12c/min) . Büro 07977 - 911 874 www.die-barke.de . info@die-barke.de

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Buchbesprechungen

Zum Verhältnis von Sauberkeit, Macht und Arbeit im Krankenhaus

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ygiene als Thema löst im Krankenhaus Verwunderung aus. Die meisten Handgriffe, die Hygiene herstellen und Hygienestandards wahren sollen, laufen nebenbei, routiniert und fast automatisiert ab. Steriles Arbeiten wird als Luxus und als wenig praktikabel in der Alltagshektik bezeichnet. Zeitdruck, Personalmangel und ein struktureller Mangel an direkten Kontrollmechanismen stärken Hygienemängel zusätzlich. Das Buch befasst sich mit dem Thema Hygiene im Krankenhaus. Im Gegensatz zu anderen Studien verknüpft die Soziologin und Erziehungswissenschaftlerin Käthe von Bose in ihrer ethnografischen Studie die Frage nach der sozialen Bedeutung von Schmutz und Sauberkeit mit den sozialen Implikationen von Reinigungsarbeiten. Sie macht deutlich, dass die Differenz zwischen schmutzig/sauber und hygienisch rein/unhygienisch auch in klinischen Räumen nicht nur auf medizinische Prinzipien der Infektionsabwehr verweist. Es geht vielmehr um Funktionsweisen eines sozialen Gefüges, die der sozialen Praxis unterliegen und in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse verstrickt sind. Im Rahmen ihrer Dissertation hat von Bose eine Feldforschung in zwei deutschen Universitätskliniken durchgeführt. Sie hat in verschiedenen Arbeitsbereichen teilnehmend beobachtet, zahlreiche Gespräche und leitfadengestützte Interviews geführt. Der Forschungsstil und die Methodik orientierten sich hierbei an der Grounded Theory. Ihre Fokussierung während des Forschungsprozesses wurde zudem von macht-, raum- und affekttheoretischen Ansätzen geprägt. Die Autorin skizziert im Buch grundlegende Reinigungsarbeiten und Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Auch die Auswirkungen von Sauberkeit und Hygiene auf die gesellschaftliche Arbeitsteilung bilden einen Schwerpunkt. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Outsourcing und der pflegerisch-medizinischen Versorgung unter den Bedingungen des DRG-Systems, in dessen Rahmen sie die Personalkürzungen bei gleichbleibendem Aufgabenpensum und die stetiDr. med. Mabuse 232 · März / April 2018

transcript, Bielefeld 2017, 314 Seiten, 34,99 Euro

www.klett-cotta.de/schattauer www.klett-cotta.de/schattauer

NEU 16 S e i t e n, b ro s c hi e r t 2 2017. 017. 2 216 Seiten, broschiert €1 9,99 ((D) D) 19,99 ISBN 978-3-608-43270-1 978 - 3 - 608 - 43270 -1 ISBN

Klinisch rein

ge Feminisierung von Reinigungsarbeit problematisiert. Der Arbeitskittel markiert die Stellung des Einzelnen im Gefüge der sozialen Ordnung und unterstützt die Hierarchie zusätzlich. Das Verhältnis von Sauberkeit und Macht wird als dynamisch diskutiert. So steht Hygiene im klinischen Alltag immer wieder zur Disposition. Die soziale Ordnung des Arbeitsraums Krankenhaus scheint durch das Changieren zwischen Gewissheit und Ungewissheit über hygienische Reinheit bestimmt zu werden. Grundsätzlich werden Reinigungskräfte sozial degradiert und feminisiert. Zudem gelten Reinigungsarbeiten schlicht als nicht erstrebenswert. Auf der Ebene der Arbeitsorganisation werden Unklarheiten und Handlungsspielräume bezüglich der Arbeitsteilung von Reinigungsarbeiten dazu genutzt, die professionellen „Schmutzbereiche“ stets neu zu bestimmen und so die eigene Position im sozialen Raum zu festigen. Verweist eine Reinigungskraft hingegen auf die geltenden Hygienestandards, delegiert sie zugleich Putzarbeit oder hauswirtschaftliche Aufgaben an die Pflegekräfte und kann so die Rang- und Statusfolge verändern. Wissen über Hygiene birgt also auch eine gewisse Handlungsmacht. In sich ist das Buch stimmig und theoretisch umfassend untermauert. Mit ihrer Feldforschung bietet die Autorin einen detaillierten Einblick in die zahlreichen Aushandlungsprozesse von AkteurInnen um Sauberkeit und Hygiene im Krankenhaus und verdeutlich die damit verbundene Komplexität. Praxisbeispiele und Zitate aus den Interviews veranschaulichen die Theorie. Lediglich die Methodik hätte ausführlicher beschrieben werden können. Thematisch ist es ein zentrales Buch für die Aufdeckung der Bedeutung von theoretischer und praktischer Sauberkeit im Krankenhaus und ist somit für alle Akteure aus dem Krankenhauskontext sowie Interessierte relevant. Carina Schiller, M.A., Erziehungswissenschaftlerin und wissenschaftl. Mitarbeiterin der Universität Bielefeld

Thomas Thomas Köhler Köhler

R Ruhm uhm uund nd Wahnsinn Wahnsinn PPsychische sychische Störungen Störungen bekannter b e ka n n t e r PPersönlichkeiten ersönlichkeiten Thomas Thomas Köhler Köhler beschreibt beschreibt die die unterunterschiedlichen schiedlichen psychischen psychischen Störungen Störungen detailreich anschaulich anhand d etailreich uund nd a nschaulich a nh a n d von Beispielen zahlreicher von B eispielen za hlreicher berühmter b e r ü hm t e r Menschen Menschen

2 012. 3 12 S e i t e n, b ro s c hi e r t 2012. 312 Seiten, broschiert 19,99 (D) (D) € 19,99 ISBN 978-3-608-42911-4 978 - 3 - 608 - 42911- 4 ISBN

Käthe von Bose

J ürg e n G e ye r Jürgen G.. M Meyer

Da r win, Mendel, Mendel, Darwin, LLamarck amarck & Co. Co. Die Partitur Par titur dder er EEvolution volution Die zzum um H omo ssapiens a p i e ns Homo D er epochale epochale Evolutionsdisput Evolutionsdisput iim m Der C lub der der toten toten Gelehrten. Gelehrten. Durch Durch die die Club g eschickte S ynthese von von FFakten akten uund nd geschickte Synthese FFiktion iktion sschlägt c hl ä g t d as B uch eeine ine B rücke das Buch Brücke zzwischen wischen B elletristik un d wi ssenschaf t Belletristik und wissenschaftllichem ichem S achbuch. Sachbuch.

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Buchbesprechungen

Christian Kohlross

Kollektiv neurotisch Warum die westlichen Gesellschaften therapiebedürftig sind

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chon der Titel macht neugierig – gerade in Zeiten von Individualisierung, Selbstoptimierung und eines übersteigerten Gesundheitsbewusstseins, in der der Selfie-Kult, das Aufwachsen von Kindern in Kleinstfamilien und die wachsende Anzahl von Single-Haushalten einige der Anzeichen einer fortschreitenden Atomisierung menschlicher Gemeinschaften sind. Wie stellt sich das im Titel genannte „Kollektiv“ insgesamt und vor allem „neurotisch“ dar? Sind die hier analysierten Neurotiker im Kollektiv der westlichen Gesellschaften therapiebedürftig und wenn ja, welche Methoden oder Therapien können beim Einzelnen wie auch beim Kollektiv zum Gelingen von – ich nenne es mal – gesünderen, weniger destruktiven, depressiven und anderen Beziehungen beitragen? Der Autor fragt in seinem Vorwort, ob spätere Generationen das Vergessen der tiefendynamischen Psychologie begreifen werden und ob der Glaube an die aufklärende Vernunft allein das emotionale Durchleben eigener Erfahrungen ersetzen kann. In dem Buch werden anhand psychoanalytischer Kategorien vier Grundmuster neurotischer Symptombildungen erläutert. Sie unterscheiden sich in depressive, hysterische, zwanghafte und narzisstische Persönlichkeitsstile, die auch in gemischten Formen auftreten können. Die Grundmuster, etwa beim abhängigen Säugling, bewegen sich zwischen Lust und Unlustvermeidung. Sehr eingreifende Versagenserlebnisse bleiben im Gedächtnis (Unterbewusstsein) bestehen: etwa Hunger, Durst, Schmerz, Einsamkeit, Verlassenheit und die Suche nach einer schützenden Mutter wie auch andere Frustrationen, Gewalt oder Entbehrungen, die einem Kind im Zuge der Entwicklung zugemutet werden. Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit erleben manche als unüberbrückbar. Zu starke, verletzende, schmerzhafte Erinnerungen müssen verdrängt, verleugnet und abgewehrt werden, das kann im Einzelfall für das Überleben wichtig sein. Um sich den familiären und späteren gesellschaftlichen Normen anzupassen, muss

schon das Kleinkind Kompromisse eingehen, die mit Triebverzicht und Verleugnung eigener – vitaler – Impulse einhergehen. Verlassen oder ausgestoßen zu werden, ist individuell wie auch für Gruppen die größte Furcht, weshalb man sich in die Masse flüchtet. Das Ausmaß der unbewussten und verdrängten negativen Erfahrungen können in Form von symptomatischer Neurosenbildung wie Urangst (Panikattacken bis zur Psychose), hungriger Gier (Konsum), unstillbarer SehnSUCHT (nach Anerkennung, Aufmerksamkeit, Liebe), fehlender Impulskontrolle, wie Aggressionen mit destruktiven Tendenzen, die gesamte Entwicklung einer Persönlichkeit begleiten. Sie finden ihren Niederschlag auch in Gruppen und in der Gesellschaft. Diverse Grundkonflikte und typische Reaktionsbildungen gibt es in jedem Leben. Um das eigene unbewusste, oft destruktive Agieren nicht verstehen zu müssen, wird das Aufdecken solcher Impulse abgewehrt und ist gegebenenfalls von heftigen inneren Widerständen begleitet. Der Autor sagt: „Wer die Abwehr durchbricht oder umgeht, muss sich vorher Gewissheit verschaffen, dass das, was da zum Vorschein kommt, auch ausgehalten werden kann.“ Und an anderer Stelle: „Was so augenscheinlich wird, ist, dass im Kampf der Kulturen nicht friedliebende Freiheit einem gewaltbereiten Fanatismus gegenübersteht, sondern nur eine Gewalt der anderen – man könnte sagen, eine zivilisierte Gewalt einer barbarischen. (...) Ohne einen Feind konnte der Westen (nach Ende des Kalten Krieges) nicht lange auskommen (…) er bringt im Gegenteil immer neue (Feinde) hervor, ohne dass er verstünde, wie ihm die eigene Gewalt in Form einer anderen Gewalt begegnet“. Ein Beispiel ist die Aufwärtsspirale beim Wettrüsten. Es sollen Ängste vor Zerstörung und Krieg gemindert werden, dabei ist bekannt, dass Aufrüsten stets neue Kriege zur Folge hatte. Die verleugneten eigenen Täteranteile – dazu gehört die unterdrückte, destruktive Wut – wird auf den „bösen“ Feind projiziert. So ist es legitim, den (kollektiv vorhandenen) zerstörerischen Impulsen unter Umständen kriegerisch nachzugeben: die Politik der Terroristen, Diktatoren, Demagogen. Donald Trump und andere bieten derzeit ein Zeugnis dieser sich aufschaukelnden Mechanismen. Die Kriegstreiber definie-

ren sich als die Guten, die mit vollem Recht den bösen Aggressor bekämpfen. Selbsterfahrung ist hilfreich für den Erwerb der Freiheit, damit für eigene destruktive Impulse nicht ständig andere verantwortlich gemacht werden. Allzu schmerzliche Erinnerungen können so allmählich bewusst werden. Dazu gehören unter anderem Trauer über Verluste wichtiger Beziehungen, abgewehrte, ohnmächtig machende Abhängigkeit, wie auch Schwäche, Wut, die Tendenz zu Polygamie, die Ängste angesichts eigener Vergänglichkeit. Es handelt sich um diejenigen Impulse, die ein Leben lang durch erzwungenen (zivilisatorisch eingeforderten) Triebverzicht unterdrückt werden müssen und sich bei zu großem Druck doch in Form von neurotischen Symptomen/Krisen Bahn brechen können. Kohlross empfiehlt, den Prozess einer Selbsterfahrung allgemein zu fördern, sei es einzeln oder im Kollektiv. Das kann in Schulen, Institutionen, bei politischen Entscheidungsträgern, zum Erkenntnisgewinn in Gruppen oder in Form von Mediation angeboten werden. Es wäre auch ein Institut für Psychopolitik denkbar. Die Erforschung der Psychodynamik internationaler Konflikte sollte Selbstverständlichkeit sein. Folgerichtig sollte weder die Wirkung psychodynamischer Prozesse, die bisher nur seelisch Erkrankten und Leidenden in Therapien zugutekommt, dem Zufall eines „pathogenen Schicksals“ noch die Ausbildung zu Therapeuten dem naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin- und „Gesundheitssystem“ überlassen werden. Psychodynamisches Verstehen könnte eine sinnvolle und effektive Methode für gewaltfreie, gesellschaftliche und internationale Konfliktlösungen sein. Die Anregungen und Deutungen in diesem Buch sind vielfältig und sehr nachdenkenswert. Dr. med. Charlotte Köttgen, Fachärztin für Kinder- u. Jugendpsychiatrie/-psychotherapie, Hamburg

Dietz, Bonn 2017, 144 Seiten, 16,90 Euro

Dr. med. Mabuse 232 · März / April 2018


Buchbesprechungen

Reimer Gronemeyer, Jonas Metzger u. a.

Die fremde Seele ist ein dunkler Wald Über den Umgang mit Demenz in Familien mit Migrationshintergrund

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ie vorliegende Studie beschäftigt sich mit einem im deutschsprachigen Raum noch weitgehend unbeforschten Thema: Migration und Demenz, hier insbesondere mit der Situation von Familien mit Migrationshintergrund bei vorliegender Demenz. Dieses Thema wird in der Zukunft von erheblicher Relevanz sein, da die Menschen, die in der ersten sogenannten Gastarbeitergeneration nach Deutschland kamen, inzwischen alt werden und der Anteil an Menschen mit Demenz steigen wird. Einige Projekte beschäftigen sich aktuell mit diesem Thema, so beispielsweise das Forschungsprojekt OPEN (Interkulturelle Öffnung der Pflegeberatung), durchgeführt vom Hessischen Institut für Pflegeforschung, oder auch das bundesweit von der Robert Bosch Stiftung durchgeführte Forschungsprojekt DeMigranz, das die Angebotsstruktur für Familien mit Migration und Demenz untersucht und eine Vernetzung anstrebt. Dieses recht kleine Buch gibt eine Übersicht zu Methodik und Ergebnissen des Forschungsberichtes, in dessen Mittelpunkt folgende Untersuchungsfragen fokussiert wurden: — Wie wird Demenz in Familien mit Migrationshintergrund verstanden? — Wie sieht der Umgang mit Demenz aus und wie werden die Betroffenen gepflegt? — Welche kulturellen, familialen, traditionellen Orientierungen wirken sich aus? — Welche Kenntnisse über ambulante und institutionelle Dienstleistungen gibt es? — Welche unterstützenden, kultursensiblen Angebote und Dienstleistungen werden gebraucht? Zunächst wird die methodische Vorgehensweise beschrieben. Es wurden 22 qualitative personenzentrierte Interviews mit pflegenden Angehörigen (Einzelpersonen, Familien sowie kleinere Gruppen) sowie vier Interviews mit ExpertInnen in Deutschland durchgeführt. Ergänzend (und kontrastierend) gab es eine FeldDr. med. Mabuse 232 · März / April 2018

studie mit acht Interviews mit pflegenden Angehörigen in der türkischen Stadt Izmir. Fokussierte Interviewpartner waren europäische MigrantInnen, die als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen waren, Familien mit türkischem oder mit russlanddeutschem Migrationshintergrund. So ist auch der Titel des Buchs „Die fremde Seele ist ein dunkler Wald“ ein russisches Zitat aus einem der Interviews, das im Rahmen der Studie der Forschungsgruppe um Gronemeyer durchgeführt wurde. In der Ergebnisdarstellung, die mit vielen Ankerzitaten belegt wird und so einen direkten Zugang zu der Perspektive der pflegenden Angehörigen ermöglicht, wird beispielsweise thematisiert, wie wichtig Zuwendung, Fürsorge und Wärme sind. Ebenso wird die Bedeutung von Religion im Kontext der Erkrankung dargestellt. Weiterhin werden Erfahrungen mit Dienstleistungen, etwa die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MDK), familiäre Zuständigkeiten und Veränderungen durch den Generationenwechsel erörtert. Deutlich wird durchweg die besondere Verantwortung der Familie – „Wir packen das allein“ –, insbesondere von Frauen. Im Anhang findet sich schließlich ergänzend eine Auswahl an Interviews. Die Bedeutung dieser Untersuchung ist als hoch einzuschätzen. Gleichwohl fehlen detaillierte methodische Hinweise, zum Beispiel zum Feldzugang oder zur Auswertungsmethode. Da die Stärke der Erkenntnisse unmittelbar vom methodischen Vorgehen abhängt, wären hier genaue Angaben sehr sinnvoll gewesen, zumal das schmale (fast möchte man sagen zierliche) Buch dafür durchaus Raum gelassen hätte. Andrea Schiff, Professorin für Pflegewissenschaft, Köln

Psychosozial-Verlag, Gießen 2017, 149 S., 16,90 Euro

facultas senior Die neue Reihe für ältere Menschen und alle, die sie betreuen und pflegen

Alle Bände beruhen auf aktuellen Erkenntnissen und langjähriger Erfahrung in der Arbeit mit Älteren sowie Menschen mit Demenz. Sie sind auf die Fähigkeiten und speziellen Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt und sind zum einen in Pflegeeinrichtungen und Tagesstätten, zum anderen in der Angehörigenpflege zu Hause einsetzbar. Das Themenspektrum • Malvorlagen • Konzentrations- und Gedächtnisübungen • Interaktionen und Vorlesegeschichten • Aktivitäten für Menschen mit Demenz Die Reihen werden laufend erweitert.

facultas.at/senior

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Buchbesprechungen

Werteorientierte Pflege Was macht eine gute Pflege aus? Grundlagen ethischer Bildung für Pflegende

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ie Fürsorge und die Fremdsorge stehen als handlungsleitende Paradigmen über der pflegerischen Arbeit. Andere ethische Prinzipien finden in der Praxis nur selten Beachtung. In der Aus-, Fort- und Weiterbildung professionell Pflegender haben ethische Fragen gleichfalls kaum Bedeutung. Lösungen für konkrete Sorgen und Nöte erkrankter oder behinderter Menschen werden unentwegt verwirklicht. Fragen nach dem Wie werden selten gestellt. Mit dem Buch „Werteorientierte Pflege“ unterstreicht der kanadische Pflegewissenschaftler Derek Sellman die Notwendigkeit alltäglicher ethischer Reflexion. Vor allem dekliniert Sellman dies an der Verletzlichkeit des Menschen, der jeder Pflegende in seiner Berufsrealität begegnet. Dem Feigenblatt-Charakter ethischen Unterrichts in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pflegenden setzt Sellman den Begriff der ethischen Bildung entgegen. Das Entwickeln von Tugenden sowie die Verkörperung einer professionellen Vernunft sieht Sellman als Ziele ethischer Bildung. Für Sellman heißt dies auch, einen Perspektivwechsel zu wagen: von der Vermittlung von Kompetenzen hin zur Entwicklung von Tugenden.

Klassisch lernen beispielsweise Auszubildende in Pflegeberufen, wie Problemlösungsprozesse vonstattengehen müssen. Auch wenn Sellman es nicht in dieser Ausdrücklichkeit formuliert, so wird unter einer ethischen Maxime mehr Wert auf den Beziehungsprozess bei pflegerischem Handeln gelegt. Andeutungen finden sich im Text: „Pflegeausbildung als eine Form ethischer Bildung aufzufassen, ruft uns in Erinnerung, dass Gedanken und Handlungen, Verstand und Emotion, Charakter und Verhalten untrennbar miteinander verbunden sind. (...) Dient die pflegerische Praxis in erster Linie dazu, den Zustand besonders verletzlicher Menschen zu verbessern, ist es nicht nur entscheidend, was Pflegende tun, sondern auch, wie sie es tun.“ Sellman betont die Bereitschaft, die eigene Praxis zu entwickeln. Einer Berufsgruppe, die sich als Gemeinschaft versteht, weniger individualistisch denkt und fühlt, wird dies sicher schwerfallen. Hilfreich erscheint es, dass Sellman mit seinem Buch einen ersten Diskurs-Beitrag geleistet hat, nicht nur die Berufsausbildung, sondern auch die Berufsidentität fortzuentwickeln. Sellman versteht Pflege als ethische Praxis. Es wird immer wieder spürbar, dass pflegerische Praxis, aber auch theoretische Untermauerung von zahlreichen Ambivalenzen geprägt sind. Nicht immer löst Sellman diese Ambivalenzen auf. Dies trägt letztendlich zum Nutzen des Buchs bei. Denn als Leser und pflegeri-

scher Praktiker bleibt die Aufgabe, den einen oder anderen Gedanken auf die eigene Handlungsmatrix hin anzuwenden. Die Schweizer Pflege-Publizistin Diana Staudacher ordnet in einem ausführlichen Essay im ersten Teil des Buchs Sellmans Beitrag in die deutschsprachige Pflegewelt ein. Dies trägt sicher zum Erfolg des Sellman-Buchs bei. Sie schreibt unter anderem: „In der Pflege nimmt die ethische Sensibilität für den anderen Menschen eine professionelle Form an. Somit erweist sich die Pflege als eine Insel des Sozialen und des Ethischen in einer individualistischen, ökonomisierten Gesellschaft.“ So ist dem Sellman-Buch zu wünschen, dass es kein Exoten-Dasein auf einer einsamen Insel fristet, sondern im Binnenland professioneller Pflege eine Breitenwirkung erleben wird. Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Wesseling

Hogrefe, Bern 2017, 152 Seiten, 29,95 Euro

Jürgen Zulley

Schlafkunde Wissenswertes rund um unseren Schlaf 132 Seiten, 12,95 Euro, ISBN 978-3-86321-400-5 Schlafen – kennt jeder. Aber was ist Schlaf überhaupt? Je mehr man sich mit diesem alltäglichen, oder besser allnächtlichen, Zustand befasst, desto unsicherer wird man und merkt, wie sehr der normale Schlaf noch im Dunkeln verborgen liegt. Schlaf ist ein ungeheuer faszinierender und geheimnisvoller Teil unseres Daseins. Der renommierte Schlafforscher Jürgen Zulley erläutert verschiedene Facetten des Schlafs in verständlicher und unterhaltsamer Weise, aber auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse.

www.mabuse-verlag.de

Derek Sellman

Neuerscheinungen im Mabuse-Verlag

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»Sich mit dem Schlaf zu beschäftigen, kann auch jede Menge Spaß bereiten.« (Das Schlafmagazin)

Dr. med. Mabuse 232 · März / April 2018


Buchbesprechungen

Das Unbewusste Eine Brücke zwischen Psychoanalyse und Neurowissenschaften

www.museele.de

Dr. med. Mabuse 232 · März / April 2018

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, 314 Seiten, 40 Euro

15. 2. — 15. 7. 2018

ieses überaus spannende Fachbuch richtet sich meines Erachtens primär an Menschen, die über vertiefte Grundkenntnisse bezüglich Psychoanalyse, Neurobiologie und Neuropsychologie verfügen. Ich tue dies leider nicht und deshalb will ich gleich eingangs eingestehen, dass ich nicht alles verstanden habe, was ich las, manches sogar gar nicht, zum Beispiel den mathematisch argumentierenden Aufsatz des Neurowissenschaftlers Karl Friston „Ich bin – also denke ich“. Der Band enthält zehn Vorträge der Joseph-Sandler-Research-Conference, die 2014 zum siebten Mal am SigmundFreud-Institut in Frankfurt am Main stattfand und sich dem interdisziplinären Dialog zwischen Psychoanalyse und Neurowissenschaften widmet. Das Unbewusste – eines der zentralen Konzepte der Freud’schen Theorie – galt (und gilt für viele heute noch) als empirisch nicht untersuchbar und wurde von der experimentellen Psychologie daher eher als gedankliches Konstrukt denn als realer Bestandteil der menschlichen Psyche angesehen. Doch das hat sich seit einigen Jahren grundlegend geändert. Laut Robert M. Galatzer-Levy, Psychiater in Chicago, spiegelt der vorliegende Sammelband das „wunderbare Sammelsurium von Ideen“ wider, in dem wir uns aktuell hinsichtlich des Denkens über die unbewussten Mentalfunktionen befänden. In seinem Ausblick auf den „Brückenschlag zwischen Psychoanalyse und Neurowissenschaften“ identifiziert er fünf Entwicklungsströme: die Ausarbeitung der psychoanalytischen Theorie des Unbewussten, die rasante Entwicklung von Rechenmaschinen und Computern sowie unserem Denken über sie, die immer weiter reichenden Aufschlüsse über Gehirnfunktionen, die fortschreitenden Erkenntnisse über nicht-bewusste mentale Prozesse sowie die Erforschung des Einflusses von Traumata auf das Bewusstsein. Und somit steht der eingangs erwähnte mathematiktheoretische Aufsatz neben der Erörterung der Frage von Theodore J.

ANTIKE VORSTELLUNGEN VOM BELEBTEN KÖRPER

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Gaensbauer, ob frühkindliche nonverbale traumatische Erinnerungen automatisch auch unbewusst sind, oder neben Erläuterungen zur psychoanalytisch fundierten Studie „Trauma, Traum und Transformation in der Psychoanalyse“ von Tamara Fischmann, für die auch bildgebende Verfahren genutzt wurden (EEG/ fMRT-Studie). Mark Solms, Mitbegründer der International Neuropsychoanalysis Society, legt in seinem 30-seitigen Einführungsbeitrag den seiner Überzeugung nach „aktuellen wissenschaftlichen Rang“ von Freuds Verständnis der Psyche dar. Er erörtert, inwieweit die neurowissenschaftliche Forschung Sigmund Freuds zentrale Thesen (u.a. zum Unbewussten, zur Verdrängung, zum Ich und zum Lustprinzip) heute bestätigen kann. Dem Neuroanatomen und klinischen Neurologen Freud standen in seinem Bemühen, zum Beispiel das psychogene Vergessen und die hysterische Konversion zu verstehen, die modernen diagnostischen Methoden der Hirnforschung nicht zur Verfügung, weshalb er seine psychoanalytische Theorie aus der klinischen Beobachtung und systematischen Sammlung introspektiver Beschreibungen seiner PatientInnen entwickelte. Heute kann man mithilfe von bildgebenden Verfahren oder der Messung von Hirnströmen und Botenstoffen neurophysiologische und -pathologische Abläufe anders und genauer darstellen als Freud vor über 100 Jahren mit seiner hermeneutischen Herangehensweise. Gleichwohl betont Solms abschließend, dass Freuds Werk nach wie vor das „kohärenteste und intellektuell ergiebigste Verständnis der Psyche“ repräsentiere, über das wir bis heute verfügten. Und plädiert damit engagiert dafür, den eingeschlagenen Weg der „verbindungsstiftenden Interdisziplin Neuropsychoanalyse“ fortzusetzen. Dr. Monika Zoege, Diakovere Fachschulzentrum Gesundheitsberufe, Hannover

DIE SEELE IST EIN OKTOPUS

Marianne Leuzinger-Bohleber, Simon Arnold, Mark Solms (Hg.)

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Bücher für starke Kinder im Mabuse-Verlag

Andrea Hendrich, Monika Bacher, Ulrich Koprek Yunis und Aziza 3 Ein Kinderfachbuch über Flucht und Trauma Die Flüchtlingskinder Yunis und Aziza sind neu im Kindergarten. Wie sie sich fühlen und wie Erwachsene und Kinder mit ihnen umgehen können, zeigt dieses sensible Kinderfachbuch auf. Gerichtet an alle, die Kindern das Thema Flucht und Trauma behutsam und verständlich erklären wollen. 2016, 49 S., gebunden, vierfarbig, 16,95 EUR, Nr. 202315

Anne Südbeck Papa Panda ist krank 3 Ein Bilderbuch für Kinder mit depressivem Elternteil

Regina Deertz, Leonie Rösler Mondpapas 3 Ein Buch für Kinder mit abwesenden Vätern

Der junge Pandabär Paul liebt es, mit seinem Vater zu spielen. Doch in letzter Zeit will Papa nicht mehr, er hat zu gar nichts mehr Lust. Die Eltern streiten sich jetzt oft. Paul hat Angst, dass Papas seltsames Verhalten seine Schuld sein könnte. Doch als er seiner Mutter davon erzählt, erklärt sie ihm, dass Papa krank ist. Er hat eine Depression. Das Buch bearbeitet insbesondere die Angst von Kindern, Schuld am Verhalten der Eltern zu sein. 2016, 69 S., gebunden, vierfarbig, 16,95 EUR, Nr. 202296

„Wo ist Papa? Warum holt er mich nicht vom Kindergarten ab?“ Ist ein Vater dauerhaft abwesend, sind solche Fragen schwer zu beantworten. Schnell wird es emotional. Oft sind die Gründe komplex. Das Buch gibt Erklärungen an die Hand, um die Situation altersgerecht verständlich zu machen. Liebevolle Zeichnungen und ein Ratgeberteil machen es zu einer wertvollen Hilfe für das Gespräch mit kleinen Kindern. 2. Aufl. 2016, 45 S., gebunden, vierfarbig, 12,90 EUR, Nr. 202230

Anette Temper Schattenschwester 3 Ein Kinderfachbuch für Kinder mit einem depressiven Geschwisterkind Dieses Buch thematisiert Ängste und Gefühle bei der Depression eines Geschwisterkindes und zeigt Wege des Umgangs mit der Situation in einfachen Sätzen und schönen Bildern auf. Abgerundet durch einen Kinderfachteil bietet es (nicht nur) für Eltern die Möglichkeit, psychische Erkrankungen und die mit ihnen verbundenen Ängste und Fragen von Kindern sensibel zu thematisieren. Das Buch richtet sich an Kinder ab dem Kindergartenalter. 2016, 72 S., 16,95 EUR, Nr. 202308

Schirin Homeier, Andreas Schrappe Flaschenpost nach irgendwo 3 Ein Kinderfachbuch für Kinder suchtkranker Eltern

Schirin Homeier Sonnige Traurigtage 3 Ein Kinderfachbuch für Kinder psychisch kranker Eltern

Schirin Homeier, Irmela Wiemann Herzwurzeln 3 Ein Kinderfachbuch für Pflege- und Adoptivkinder

Irgendwas muss sich ändern: Marks Papa trinkt zu viel, die Eltern streiten nur noch, und in der Schule geht alles drunter und drüber. Einfühlsam, liebevoll illustriert und im bewährten Stil des Buches „Sonnige Traurigtage“ erhalten Kinder von suchtkranken Eltern durch eine Bildergeschichte und einen altersgerechten Erklärungsteil Hilfestellung für ihren Alltag. Ein Ratgeber für erwachsene Bezugspersonen und Fachkräfte rundet das Kinderfachbuch ab. 3. Aufl. 2015, 143 S., gebunden, vierfarbig, 22,90 EUR, Nr. 00117

In letzter Zeit ist mit Mama etwas anders: sie ist so kraftlos und niedergeschlagen. Auf diese „Traurigtage“ reagiert Mona wie viele Kinder psychisch kranker Eltern: Sie unterdrückt Gefühle von Wut oder Traurigkeit, übernimmt immer mehr Verantwortung und sehnt sich nach glücklichen „Sonnigtagen“. Erst als sich Mona einer Bezugsperson anvertraut, erfährt sie, dass ihre Mutter unter einer psychischen Krankheit leidet und fachkundige Hilfe benötigt. 6. Aufl. 2014, 127 S., gebunden, vierfarbig, 22,90 EUR, Nr. 01416

Durch eine liebevoll illustrierte Bildergeschichte und einen altersgerechten Informationsteil erhalten Pflege- und Adoptivkinder sowie deren Bezugspersonen in diesem Buch Erklärungen und Anleitungen, um ihre spezielle Situation besser zu verstehen und anzunehmen. Ein prägnanter Ratgeberteil für Erwachsene rundet das Kinderfachbuch ab. 2016, 175 S., gebunden, vierfarbig, 22,95 EUR, Nr. 202226

Carolina Moreno Alexandra Haag

Mabuse-VerlagMabuse-Verlag

Alexandra Haag Paula und die Zauberschuhe 3 Ein Bilderbuch über körperliche Behinderung Paula ist ein Vorschulkind und fährt einen Rollator. Auch wenn in ihrem Körper eine Spastik wohnt, geht sie mit ihren körperlichen Herausforderungen ganz natürlich um. Paula weiß, was sie will und was sie kann – und ist meistens fröhlich. Wenn sie aber mit ihrer körperlichen Behinderung an ihre Grenzen kommt, kann sie richtig sauer oder traurig werden. Das liebevoll illustrierte Buch wendet sich an alle, die mit Vorund Grundschulkindern zum Thema Infantile Cerebralparese (ICP), Körperbehinderung und Spastiken lesen möchten. 2017, 56 S., 16,95 EUR, Nr. 202317

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Claudia Schumann

Frauenheilkunde mit Leib und Seele Aus der Praxis einer psychosomatischen Frauenärztin

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ine Frauenarztpraxis in der Kleinstadt. Das klingt unspektakulär, nach Alltag im deutschen Gesundheitswesen eben, wo nicht viel Berichtenswertes geschieht. Wie falsch diese Annahme ist, zeigt Claudia Schumann. Die psychosomatisch orientierte Frauenärztin und Psychotherapeutin hat jahrzehntelang eine solche Praxis geleitet und legt mit ihrem Buch nun einen Rückblick auf ihre vielfältige Tätigkeit vor. In einem klaren und angenehmen Stil beschreibt sie die unterschiedlichen Patientinnen, die zu ihr kommen: Schwangere in den verschiedensten Lebenssituationen, gewollt oder ungewollt schwanger, in freudiger Erwartung oder mit hohen Risiken belastet; den Umgang mit Pränataldiagnostik; Jugendliche in der Mädchensprechstunde, bei denen es um die HPVImpfung oder die Pille geht; Frauen mit Kinderwunsch; Fragen zur Verhütung und Sexualität; Frauen in den Wechseljahren; alte Frauen ... Als Psychosomatikerin liegt der Schwerpunkt von Claudia Schumann auf dem Gespräch und sie beschreibt aus ihrer Sicht geglückte, aber auch missglückte Begegnungen und spart auch den ärztlichen Umgang mit Fehlern nicht aus.

Viel Raum nimmt die Schilderung der Kommunikation mit an Krebs erkrankten älteren und jüngeren Frauen ein sowie denen, die zur Krebsfrüherkennung oder zur Krebsnachsorge kommen. Auch hier ist eine gelungene Kommunikation der wichtigste Baustein der Behandlung. Bewegend ist die Geschichte einer Patientin, die sich über Monate weigerte, fortgeschrittene Zellveränderungen am Gebärmutterhals trotz des dringenden Rates der Ärztin mit einem kleinen Eingriff entfernen zu lassen: „Beim nächsten Termin, drei Monate später, versuche ich es anders: Statt ihr weiter ins Gewissen zu reden, frage ich sie endlich (!), warum sie eigentlich den kleinen Eingriff nicht machen lassen wolle. Sie wird ganz ernst, Tränen steigen ihr in die Augen: ‚Bei meiner Tante war es genauso mit den Abstrichen. Sie hat sich dann operieren lassen, und sechs Monate später war sie tot. (…)‘ Ich begreife endlich: Hinter ihrer rigiden Ablehnung steckt eine Todesangst, sie wird überschwemmt von früheren Erinnerungen. Plötzlich geht eine Tür auf, ich bekomme wieder Zugang zu ihr.“ Nach weiteren Gesprächen stimmt die Patientin dem Eingriff zu und ist erleichtert, dass die veränderten Zellen vollständig entfernt werden können. Besonders lesenswert ist auch das Kapitel über die Angst der Patientin und die Angst der Ärztin. Die Patientinnen haben Angst, dass die Ärztin „etwas findet“, wohingegen Claudia Schumann ihre Sorge beschreibt, etwas zu übersehen oder falsch einzuschätzen. Wie sie mit diesem „Grund-

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rauschen“ in der täglichen Arbeit umgegangen ist, beschreibt sie sehr reflektiert und man wünscht sich, dass alle ÄrztInnen einen so klaren Blick auf die mögliche Dynamik der Ängste von Patientin und Ärztin haben mögen. Claudia Schumann war nie „nur“ Ärztin in der Praxis, sondern war und ist auch in der Fachgesellschaft „Deutsche Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe“ (DGPFG) und im „Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft“ (AKF) aktiv. So verbindet sie ihre langjährige Erfahrung mit großem Fachwissen und einem klaren sozialpolitischen Blick auf ihr Tätigkeitsfeld. Davon profitiert die Leserin sehr, denn so werden Themen wie Pränataldiagnostik, Leben mit einem behinderten Kind, Mutterschutz, die Kooperation von Frauenärztin und Hebamme oder die Zweiklassenmedizin nicht nur am Einzelfall erläutert, sondern auch in einen größeren Zusammenhang gestellt. Und so schlägt man das Buch zu und ist um viele Erkenntnisse reicher – unter anderem die, dass es wenige interessantere Mikrokosmen geben dürfte als die Frauenarztpraxis in der Kleinstadt.

Sonja Stodiek, Journalistin, Köln

Psychosozial-Verlag, Gießen 2017, 194 Seiten, 16,90 Euro

Erinnerungen wecken mit Geschichten, Sprichwörtern und Musik NEU

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Ulrike Eiring Christoph und Waltraud Borries

Aktivieren

Hochbetagte und Menschen mit Demenz

mit Dingen des Alltags, Sprichwörtern und Musik

aktivieren

Sommer ***

M a te ri a li e n fü r A n g e h ö ri g e, E h re n a m tl ic he und P fl e g e n d e

Lieder, Geschichten, Gedichte und Anregungen

Praxismodelle für die Begleitung hochbetagter und demenzkranker Menschen

ED 22905

Hochbetagte und Menschen mit Demenz aktivieren MA 0559-07 · 0418

Ulrike Eiring Aktivieren mit Dingen des Alltags, Sprichwörtern und Musik 96 Seiten + CD ISBN 978-3-7957-1295-2 ED 22905 · 19,50

ED 22620

Christoph und Waltraud Borries Sommer

112 Seiten + CD

ED 22620 / ISBN 978-3-7957-1122-1 / € 18,50

Herbst

112 Seiten + CD

ED 22500 / ISBN 978-3-7957-0971-6 / € 18,50


Buchbesprechungen

Pflegedinge Materialitäten in Pflege und Care

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bwohl Pflegende in ihrem Alltag sowohl mit Menschen als auch mit Dingen, etwa Massenartikeln wie Einmalhandschuhen oder auch technischem Gerät wie einer Beatmungsmaschine, zu tun haben, stand diese materielle Seite der Pflege bislang nicht im Blick pflege- oder kulturwissenschaftlicher Forschung. In diesem Buch sind unterhaltsam, informativ und sehr abwechslungsreich Ergebnisse eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts mit dem Titel „Die Pflege der Dinge – Die Bedeutung von Objekten in Geschichte und gegenwärtiger Praxis der Pflege“ präsentiert. Es werden in knappen Features solche „Pflegedinge“ wie die Schnabeltasse, das Rasiermesser oder Urinflaschen für Frauen vorgestellt. Ausführlich werden Theorien zu Materialitäten in der Pflege diskutiert oder wie von Carolin Kollewe Überlegungen zu hoch technisierten Wohnungen und komplexen Assistenzsystemen für ältere und alte Menschen angestellt. Das interdisziplinäre AutorInnenteam aus den Bereichen Gerontologie, Sozial- und Organisationspädagogik, Pflegewissenschaft und Medizingeschichte zeigt par excellence, wie bereichernd ein Blick abseits der eigenen Profession und der Dialog mit VertreterInnen anderer Fachrichtungen sein können.

Grundlegend ist bei allen Objektgeschichten und Analysen das Konzept, zunächst das Pflegeding zu beschreiben und davon ausgehend weitere Fragen zu stellen. So geht es um Materialität, Funktion oder darum, wie sich Pflege und der Umgang mit Dingen und ihr Einsatz bei den Pflegenden und Pflegebedürftigen darstellen, wodurch letztlich auch Beziehungen konstruiert werden. Dass Pflegedinge eine Funktionserweiterung erfahren, wird in dem Aufsatz zur „Veralltäglichung grenzwertiger Arbeit durch Pflegedinge“ von Lucia Artner und Daniela Böhringer deutlich. Sie stellen dar, wie der Toilettenstuhl auch als Fortbewegungsmittel vom Bett ins Bad, als Sitzmöbel während der Körperpflege oder als Ablage genutzt wird und ihm das Schamhafte eines „stillen Örtchens“ immanent bleibt. Hartmut Remmers und André Heitmann-Möller gehen der Bedeutung des Pflegebetts als Werkzeug und der Wirkung dieses Gegenstands auf die Akteure, das heißt, die Pflegebedürftigen und das Pflegepersonal, nach. Die dazu durchgeführten Interviews und teilnehmenden Beobachtungen erfassen die charakteristischen Funktionen, Arbeitsweisen und individuellen Umgangsweisen sowie auch Tücken des Objekts in Pflegesituationen. So berichtet eine Pflegefachkraft davon, dass sich das Bett einmal nicht mehr bedienen ließ und sie trotz aller möglichen Interventionen keine andere Möglichkeit sah, als das Bett auszuwechseln. Wiederholt nutzen die AutorInnen auch Beschreibungen aus aktuellen oder

historischen Lehrbüchern der Krankenpflege, in denen beispielsweise bei dem Gebrauch der Urinflasche auf Themen wie Ekel, Scham und ebenso das eigene sittsame Verhalten verwiesen wird. Der intensiv fragende Zugang an die Pflegedinge lässt erkennen, dass durch dieselben und deren Geschichte Themenkomplexe wie Vorstellungen von Pflege, Krankheit, Gesundheit und Gebrechlichkeit vermittelt werden oder sich diese, wie in der Einführung bereits erwähnt, in die Objekte „eingeschrieben“ haben. Die Lektüre dieses mit Objektillustrationen bunt gestalteten Sammelbands macht Lust auf weitere solche Studien: Denn dieses Buch und jeder einzelne Aufsatz ist wissenschaftlich fundiert, oft auch mit Theorien hinterlegt, flüssig formuliert und zudem ernsthaft mit großer Anerkennung für die Pflegearbeit geschrieben und es präsentiert sich voller Leichtigkeit. Gudrun Silberzahn-Jandt, Koordinatorin im Hospiz Esslingen, freiberufl. Kulturwissenschaftlerin

transcript, Bielefeld 2017, 244 Seiten, 32,99 Euro

Corinna Leibig

Der kleine Bauchweh 2. Auflage 2018, 44 Seiten, 12,95 Euro, ISBN 978-3-86321-348-0

Der kleine Bauchweh sitzt in seiner Höhle und hat ganz schlimme Bauchschmerzen – aber woher kommen die wohl?, fragt er sich. Vom zu späten und zu schnellen Essen etwa, den Runden in der Achterbahn? Oder war es der Streit mit dem großen Bauchweh? Vielleicht aber hat es ja auch mit dieser bösen Angst zu tun, die ihn manchmal packt … Eine Geschichte für kleine Menschen mit großen Gefühlen, die oft auch Bauchweh machen können.

www.mabuse-verlag.de

Lucia Artner, Isabel Atzl u. a. (Hg.)

Kinderfachbücher im Mabuse-Verlag

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»Ein ausdrucksstark illustriertes Buch in klaren, verständlichen Aussagen, das sich kindgerecht mit dem Umgang mit Gefühlen auseinandersetzt.« (Klein&Groß 02-03/2018)

Dr. med. Mabuse 233 · Mai / Juni 2018


Buchbesprechungen

Ingrid Mühlhauser

Unsinn Vorsorgemedizin Wem sie nützt, wann sie schadet

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icht nur in den kinderärztlichen Praxen wie der des Rezensenten nehmen die sich ständig erweiternden Vorsorgeuntersuchungen, die im Alter von drei Monaten bis fünf Jahren in vielen Bundesländern sogar gesetzlich vorgeschrieben sind, einen immer größeren Teil der Arbeitszeit in Anspruch. Vielerorts ist es inzwischen kaum mehr möglich, bei KinderärztInnen, FrauenärztInnen, UrologInnen oder AugenärztInnen zeitnah einen Termin zu bekommen, wenn man wirklich „etwas hat“. Aber wem nützen diese vielen und immer aufwendigeren Untersuchungen? Ingrid Mühlhäuser ist in ihrem Buch dieser Frage nachgegangen, wobei die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder nicht im Mittelpunkt stehen. Es geht allgemein um die Frage, ob Früherkennung – die ja keine wirkliche Prävention, sondern eben nur ein früheres Erkennen bereits beste-

hender Erkrankungen ist – dem Patienten wirklich nutzt oder nicht vielmehr sonst Gesunde in unverantwortlicher Weise beunruhigt, zu Patienten macht und ihnen letztlich schadet. So ist die vorgeburtliche Diagnostik in ihrer Konsequenz ebenso infrage zu stellen wie die jährlich empfohlene Früherkennung auf Gebärmutterhalskrebs, das Mammographiescreening oder andere Krebsfrüherkennungsmaßnahmen, etwa Darmspiegelungen oder Prostatauntersuchungen – ganz abgesehen von den vielen Laboruntersuchungen, die nach dem Motto „einmal ist keinmal“ immer ein „Wiederholungsrisiko“, eine Nachkontrolle, in sich bergen und selten wirklich dem Ausschluss von Erkrankung dienen können. Die Autorin, Internistin und Professorin für Gesundheitswissenschaften in Hamburg, war viele Jahre Vorsitzende des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin (www.ebm-netzwerk.de), das sich damit beschäftigt, welche medizinischen Maßnahmen bewiesenermaßen in der Versorgung einzelner Kranker, bestimmter Patientengruppen oder der ganzen Bevölkerung sinnvoll sind. Sie hat sich über

viele Jahre mit dem Sinn und Unsinn medizinischer Maßnahmen beschäftigt, die in dem Buch getroffenen Aussagen sind gut belegt und können nicht damit abgetan werden, aus irgendeiner alternativen Ecke querzuschießen. Es ist ein Lichtblick in Bezug auf den durch wirtschaftliche und Standesinteressen, aber auch durch die allgemeinen hypochondrischen (und fleißig geschürten) Ängste geprägten Trend, den unser weitgehend kommerzialisiertes Gesundheitswesen unbeirrt vorantreibt. Ganz nach dem Motto: „Mehr desselben, obwohl es bislang auch nicht geholfen hat“. Das preiswerte Büchlein verdient eine allgemeine Verbreitung auf dem Weg zu einer kompetenten informierten Entscheidungsfindung, wie sie die Autorin fordert, von deren Umsetzung wir aber noch weit entfernt sind. Dr. Stephan Heinrich Nolte, Kinderarzt, Marburg

rororo, Reinbek 2017, 224 Seiten, 9,99 Euro

Medirud®Biebertal (Medizinische Blutegel)

entzündungshemmend schmerzlindernd durchblutungsfördernd Therapeuten liste unter www.bluteg elapotheke.d

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nature`s innovative solutions Arzneimittel: Medirud®Biebertal (Medizinische Blutegel: Hirudo medicinalis/verbana/orientalis). Anwendungsgebiete: Akute und chronische Gelenkschmerzen (z.B. Kniegelenks-, Daumensattelgelenksarthrose); Krampfadern/Besenreiser/Unterschenkelgeschwüre, Sehnen und Sehnenscheidenentzündungen (z.B. Tennisellenbogen, Golfarm); Bluthochdruck (unterstützende Behandlung); Rheumatische Erkrankungen, Mittelohrenentzündung/Tinnitus; Furunkel/Karbunkel/Abszesse; Wirbelsäulen- und Kreuzbeinsyndrome; Durchblutungsstörungen nach Haut- und Gewebetransplantationen. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt, Heilpraktiker oder Apotheker. Pharmazeutischer Unternehmer: Biebertaler Blutegelzucht GmbH. Weitere Informationen unter: www.blutegel.de | Stand: April 2016

bbez GmbH · Talweg 31 · 35444 Biebertal · fon: 06409/66140-0 · fax: 06409/66140-75 · blutegel@blutegel.de · www.blutegel.de

Dr. med. Mabuse 233 · Mai / Juni 2018

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Buchbesprechungen

www.klett-cotta.de/schattauer

2018. 337 S eit e n, 10 A b b., kar t. € 24,99 ( D ) ISBN 978 -3- 608 - 43292-3

NEU

Fre d Christmann

Faszination Psyche Sich selbst und andere besser verstehen Wer sich selbst und andere besser versteht, hat es ein ganzes Stück weit leichter im Leben. Das neue Buch des bekannten Verhaltenstherapeuten Dr. Christmann öffnet die Türen zu den faszinierenden Facetten unserer Psyche.

NEU 2017. 296 S eit e n, 6 A b b., kar t. € 19,99 ( D ) ISBN 978 - 3 - 608 - 43296 -1

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Mar tin Grabe

Wie funktioniert Psychotherapie? Ein Buch aus der Praxis für alle, die es wissen wollen Selten wurde ein Buch so konsequent aus der Praxiserfahrung heraus geschrieben: Dr. Martin Grabe, Leiter eines psychotherapeutischen Weiterbildungsinstitutes und Chefarzt einer psychosomatischen Abteilung, schildert fern jeglicher grauer Theorie, wie erfahrene Therapeutinnen und Therapeuten arbeiten und Psychotherapie gelingt.

Jochen Vollmann (Hg.)

Ethik in der Psychiatrie Ein Praxisbuch

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er sich in der psychiatrischen Versorgung bewegt, der muss sich zwangsläufig ethischen Fragen stellen. Denn psychiatrisch zu arbeiten, heißt immer auch in Grenzbereiche ethischer Fragen zu kommen. Die Selbstbestimmung und Einwilligungsfähigkeit der von einer seelischen Erkrankung betroffenen Menschen, mögliche Zwangsmaßnahmen – diese Stichworte erscheinen nur vordergründig. In begrenztem Maße findet sich jedoch nur Literatur, die orientierungsgebenden Charakter hat. Mit dem Praxisbuch „Ethik in der Psychiatrie“, das der Psychiater und Medizinethiker Jochen Vollmann herausgegeben hat, ist nun wieder ein kleiner roter Faden zu erkennen, der die aktuellen Fragen in der psychiatrischen Praxis zur Sprache bringt. Vollmann ist es gelungen, ein multiprofessionelles anschauliches Buch auf die Beine zu stellen, in dem vor allem auch die Sichtweisen der betroffenen Menschen zur Sprache kommen. Menschen, die inzwischen als Genesungsbegleiter im klinischen Kontext arbeiten, kommen sogar selbst zu Wort. Insofern läutet das Buch geradezu einen Abschied vom Paternalismus ein. Die eigentlichen Experten ihrer Erkrankung berichten den Behandelnden, was sie für ethisch geboten halten. Der Paradigmenwechsel im Miteinander von Betroffenen, Angehörigen und psychiatrisch Tätigen ist noch nicht umfänglich vollzogen. Dies liegt unter anderem daran, dass Angehörige keine Gelegenheit gefunden haben, auf dieser Bühne ethische Fragen zu stellen und abzuwägen. Das trialogische Miteinander an sich wäre eines spannenden ethischen Diskurses würdig. Erfahrungsgemäß sind die Perspektiven der drei Seiten spannungs- und konfliktreich und bedürften unbedingt einer ausführlichen Erörterung. Die AutorInnen konkretisieren viele Themen, die im psychiatrischen Handlungsfeld aktuell sind. Der Psychiater Horst Haltenhof blickt differenziert auf das Phänomen der Suizidalität. Viele werden sich mit seiner sensiblen Einfühlung schwertun, wenn er schreibt: „Die Fürsorge gebietet es grundsätzlich, alle Möglichkei-

ten auszuschöpfen, um suizidgefährdeten Menschen andere Bewältigungsmöglichkeiten ihrer Situation zu eröffnen“. Haltenhof sieht das menschenwürdige und selbstbestimmte Dasein als Ziel psychiatrischen Handelns. Birgit Hahn und Michael Schulz, beide psychiatrisch Pflegende, blicken auf steigende ethische Anforderungen in spezifischen Pflegesituationen. Sie diskutieren etwa, wie schwierig es ist, freiheitsentziehende Maßnahmen an Wochenenden oder zur Nachtzeit zu beenden. Die Tatsache, dass die Letztverantwortung von Medizinern getragen werde, führe dazu, dass Freiheitseinschränkungen aufgrund von Organisationsabläufen nicht rechtzeitig beendet würden und Personalressourcen nicht zielgerecht genutzt werden könnten. Darüber hinaus werden Vorausverfügungen in der Psychiatrie diskutiert, ethische Aspekte offener Psychiatrie erläutert und Grundlagen ethischer Falldiskussionen erklärt. Man gewinnt den Eindruck, dass die AutorInnen des Bandes eine große Bereitschaft zeigen, „heiße Eisen“ anzufassen. So wägen Bernward Siegmund und Jens Rainer Pehlke ab, ob die stationäre Langzeitunterbringung bei Borderline-Persönlichkeitsstörung wegen eines fehlenden betreuten Wohnplatzes gerechtfertig ist. Natürlich plädieren sie für eine Einzelfallbetrachtung. Sie betonen die Gefahr der Verwahrpsychiatrie, in der Betroffene erheblichen Schaden nehmen könnten. Das Buch „Ethik in der Psychiatrie“ ist als Wegweisung zu verstehen, wie künftig Entscheidungen zum Wohle der Betroffenen gefällt werden könnten. Es zeigt auf, mit welchen Konfliktfeldern sich Verantwortungsträger in den kommenden Jahren beschäftigen müssen, was sich letztlich auch in den Versorgungsstrukturen niederschlagen müsste. Insofern ist mit Neugierde das nächste Ethik-Buch aus dem Psychiatrie Verlag zu erwarten, das vor allem sozialpsychiatrische Impulse setzt. Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Wesseling

Psychiatrie Verlag, Köln 2017, 239 Seiten, 30 Euro Dr. med. Mabuse 233 · Mai / Juni 2018


Buchbesprechungen

Christiane Gödecke

Langzeitbeatmung im eigenen Lebensumfeld Sichtweisen auf die Pflege in der außerklinischen Beatmung

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ie Situation in der ambulanten Intensivpflege ist in den letzten Monaten stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt: Versorgungsqualität und Qualifikation der Beschäftigten werden diskutiert. Mehr als zehntausend Patienten, die kontinuierlich oder zeitweise beatmet werden müssen, werden in häuslichen Settings (überwiegend in einer 1:1-Betreuung) oder in sogenannten BeatmungsWGs versorgt. Christiane Gödecke hat jetzt eine Buchveröffentlichung vorgelegt, die auf ihrer Dissertation an der pflegewissenschaftlichen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar beruht. Ihr Vorhaben ist es, die pflegerische Versorgung aus Sicht der Menschen, die auf eine technische Unterstützung der Atmung angewiesen sind, und ihrer Angehörigen darzustellen. Dieser Forschungszielsetzung liegen 20 narrative Interviews mit Betroffenen zugrunde, die von der Autorin in der häuslichen Situation durchgeführt und nach den Grundlagen des Grounded Theory-Ansatzes (Glaser/Strauss) ausgewertet wurden. Als theoretischer Zugang zum Feld wurde zuerst „Technik“ als Hintergrund gewählt. Dabei geht es sowohl um die dingliche Form von Technik im Sinne von Geräten als auch um Handlungen, die daraus erwachsen und mit Begrifflichkeiten wie unter anderem Entfremdung, Aufmerksamkeitsverschiebung und

Dr. med. Mabuse 233 · Mai / Juni 2018

Kontrolle beschrieben werden. Zentral ist dabei auch der Kontext, in dem diese Handlungen auftreten. Bereits bei der Analyse des ersten Interviews wurde deutlich, dass in den Erzählungen der Betroffenen nicht Technik, sondern die Beziehung und Beziehungsgestaltung zwischen Betroffenen, Angehörigen und Pflegekräften wesentliche Aspekte sind. Daher wurde als zweiter theoretischer Bezugspunkt die Care-Ethik herangezogen. Dadurch fällt der Blickwinkel unter anderem darauf, wie sich die Machtverteilung zwischen Pflegenden und Gepflegten gestaltet, Interaktionen ablaufen, Autonomie oder Empowerment auftauchen oder wie sich „gute Pflege“ gestaltet. Den umfangreichsten Teil des Buches bildet das Kapitel zur Ergebnisdarstellung. Auf fast 100 Seiten ist eine sehr dichte Beschreibung der gefundenen Kategorien zu finden, illustriert durch Zitatauszüge aus den Interviews. Hier die Hauptkategorien: Mein Leben leben; Es ist immer jemand da; Zwischen abhängig sein, etwas selber machen und bestimmen wollen; Kommunizieren können; Experte werden; Ein Team haben; Familie im Hintergrund. Daraus werden Schlussfolgerungen für die Praxis abgeleitet: Gute Pflege wird von den Betroffenen als solche wahrgenommen, wenn die Pflegefachkraft bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen praktiziert, die die Forderungen nach Sicherheit, Vertrauen, Autonomie und Selbstbestimmung berücksichtigen und Technik als ein Instrument zur Gewährleistung von Sicherheit betrachten. Kurz angesprochen werden im Fazit Fragestellungen, die sich dem Organisationsmodell der pflegerischen Sicherstellung der Heimbeatmung widmen: So

kann ein Vertrag mit einem ambulanten Pflegedienst geschlossen werden oder der/ die Betroffene ist Arbeitgeber mit angestellten Pflegekräften. Jedoch kann diese Diskussion nicht mehr vertiefend geführt werden, wie auch Fragen nach der Sicherstellung von Qualifikation der informell und professionell Pflegenden. Die Veröffentlichung von Gödecke gibt einen tiefen Einblick in den Alltag von Menschen, die wegen einer technischen Unterstützung bei der Atmung zu Hause pflegerische Versorgung benötigen. Das Buch bietet den in der ambulanten Intensivpflege tätigen Menschen zahlreiche Anknüpfungspunkte, ihr pflegerisches Handeln auf der ausgebreiteten Folie zu reflektieren. Zudem ist die Veröffentlichung eine Fundgrube für Pflegewissenschaftler, da es der Autorin gelingt, ihren Forschungsprozess mit den theoretischen Grundlagen und Annahmen transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Sie zeigt, wie das Konstrukt „gute Pflege“ inhaltlich begründet ausgestaltet werden kann. Heinrich Recken, Hamburger Fernhochschule

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2018, 258 Seiten, 39,95 Euro

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Eike Sanders, Kirsten Achtelik, Ulli Jentsch

Kulturkampf und Gewissen Medizinethische Strategien der „Lebensschutz“-Bewegung

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ange Zeit kannte man die Abtreibungsgegner_innen der „Pro Life“-Bewegung vor allem aus der Berichterstattung aus den USA. In Deutschland galten die selbst bezeichneten „Lebensschützer“ als aussterbende Art und wurden als nicht ernst zu nehmende Randerscheinung mit ausgedienten Positionen betrachtet. Doch seit einigen Jahren geht die „Lebensschutz“-Bewegung merklich in die Offensive. Sie „fühlt sich im Aufwind und hat aktiv den Burgfrieden um den § 218 aufgekündigt.“ Sie profitiert dabei von einem rechten Backlash sowie dem politischen Aufstieg konservativer und extrem rechter Organisationen und Protagonist_innen, mit denen sie sich teilweise nicht nur in ihren Argumenten, sondern auch strukturell und personell deckt. Das Buch von Eike Sanders, Kirsten Achtelik und Ulli Jentsch leistet eine notwendige aktuelle Bestandsaufnahme und Analyse der Positionen und Strategien der Bewegung und ihrer wichtigsten Akteur_innen. Denn seit der letzten großen öffentlichen Debatte um Abtreibung hat sich die Bewegung mit ihrer Argumentation erstaunlich diversifiziert und angepasst. Statt der Beschränkung auf den

traditionellen Fokus von Abtreibung als vermeintlichem Mord hat die Bewegung einen „Kulturkampf“ ausgerufen, den sie in verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen austragen und gewinnen will. Es geht den Akteur_innen um die Aufrechterhaltung einer angeblichen binären Geschlechterordnung, bei der die Rolle der Frau auf das Muttersein festgeschrieben ist. Zudem wenden sie sich gegen einen „Werteverfall“ durch feministische Kämpfe nach Selbstbestimmung und zeichnen sich durch Homophobie, Antifeminismus und einen „Antigenderismus“ aus, der in der Gleichstellungspolitik eine Zerstörung „bewährter Strukturen“ sieht. Doch wie das Buch verdeutlicht, bleibt die „Lebensschutz“-Bewegung nicht bei diesen vorausschaubaren rechts-konservativen bis extrem-rechten Argumenten, sondern hat ein weiteres Standbein entwickelt, um in einer zunehmend säkularen Gesellschaft erfolgreich zu sein. Regelmäßige Besucher_innen der Gegenkundgebungen zum „Marsch für das Leben“ gegen Abtreibung in Berlin konnten beobachten, wie diese im Laufe der Jahre zunehmend behindertenpolitische Themen für ihren Zweck vereinnahmten. Den Autor_innen gelingt es, diese Beobachtung durch ihre Recherche und Analyse der Bewegung zu unterfüttern und die Strategie dahinter aufzuzeigen: „Lebensschützer_innen“ versuchen, an die Behindertenbewegung anzuknüpfen und sich als Kritiker_innen von selektiven Techniken wie Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik zu profilieren.

„Dabei übernehmen sie Argumentationsweisen, die Feminist*innen in der Auseinandersetzung mit einem neoliberalen Selbstbestimmungsbegriff seit den 1980er Jahren entwickelt haben“. Den Raum zu diesen Themen hätten sie einnehmen können, weil aktuelle feministische und behindertenpolitische Kräfte sich zu wenig zu diesen komplexen Themen positioniert hätten. Zudem würden sie die Widersprüche und Leerstellen in juristischen Regelungen und öffentlichen Debatten nutzen. Daher, so das Fazit der Autor_innen, sei es umso wichtiger, diese aufzulösen und ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch gesetzlich festzuschreiben. Die Lektüre des Buches verdeutlicht, dass ein Ignorieren der „Lebensschutz“Bewegung keine Lösung ist. Schließlich geht es den Akteur_innen in ihrem „Kulturkampf“ letztendlich um die sexuellen und reproduktiven Rechte aller. Die Recherchen und Analysen des Buches bieten eine hervorragende Grundlage für das „explizit feministische, faktenfundierte Gegenhalten“, das die Autor_innen fordern. Isabelle Bartram, Gen-ethisches Netzwerk, Berlin

Verbrecher Verlag, Berlin 2018, 160 Seiten, 15 Euro

bewegt euch! Streitschrift für eine würdevolle Pflege in Deutschland 2018, 112 Seiten, 9,95 Euro, ISBN 978-3-86321-401-2

In Zeiten des zunehmenden Fachkräfte- und Personalmangels in den Pflegeberufen muss sich etwas bewegen! In dieser Streitschrift kommen pflegende Personen aus unterschiedlichen Bereichen zu Wort. Gemeinsam mit dem Verein „Pflege in Bewegung“ beleuchten sie verschiedene Probleme des Pflegesystems in Deutschland und zeigen Lösungsmöglichkeiten für die Praxis auf.

www.mabuse-verlag.de

Pflege in Bewegung e.V. (Hrsg.)

Pflege im Mabuse-Verlag

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Pflege ist ein gesellschaftlicher Wert. Zusammen lässt sich etwas bewegen!

Dr. med. Mabuse 234 · Juli / August 2018


Miriam Haagen

Mit dem Tod leben Kinder achtsam in ihrer Trauer begleiten. Ein Ratgeber für verwitwete Eltern

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ir sterben. Das wissen wir. Wir sterben, wenn wir alt sind. Das hoffen wir. Wir sterben, wenn wir jung sind. Das fürchten wir. Der Umgang mit Tod und Sterben ist für uns alle eine Herausforderung und jeder stellt sich dieser auf seine eigene Art und Weise. Aber wenn Kinder oder Jugendliche ein Elternteil verlieren, ist dies eine besondere Situation, die ohnmächtig und hilflos machen kann, weil sie die Frage aufwirft: Wie weiterleben? Sei es als verwitwete Mutter oder Vater, als (halb-) verwaistes Kind oder als Angehöriger. Miriam Haagen, ärztliche Psychotherapeutin aus Hamburg, greift diese Frage auf und versucht, sie mit einem Buch zu beantworten: „Mit dem Tod leben. Kinder achtsam in ihrer Trauer begleiten. Ein Ratgeber für verwitwete Eltern“. Das Buch, das bei Kohlhammer erschienen ist, reiht sich im Verlagsprogramm in die Rubrik „Rat und Hilfe für Betroffene und Angehörige“ ein und hat dort seinen Platz als Hilfsangebot verdient. Haagen schöpft aus ihrem langjährigen Erfahrungsschatz als Kinder- und Jugendlichentherapeutin und beschreibt den Blick auf trauernde Familien aus der Perspektive der verwitweten Eltern wie auch der des (halb-)verwaisten Kindes, wobei letzteres im Fokus steht. Über weite Strecken haben die Erklärungen zur Elternschaft und zum Umgang mit den eigenen Kindern allgemeingültigen Charakter, die für fast alle Eltern hilfreich sein dürften, denen aber in der Verlustsituation eines Partners beziehungsweise Elternteils besondere Bedeutung zukommt. Zentral ist für Haagen der Begriff des „Beelterns“, worunter sie „die Art und Weise, wie Eltern mit ihren Kindern leben, wie sie sie aufziehen und ganz besonders auch darum, wie sie über das Kind/die Kinder und sich selbst nachdenken“ versteht. Die Beziehung und nicht die Erziehung steht für sie im Vordergrund. Und die Beziehung zum Kind sollte nie abreißen. Der edukative Ton, den das Buch gerade zu Beginn anschlägt, mag für den ein oder anderen ein wenig verunsichernd Dr. med. Mabuse 234 · Juli / August 2018

sein, weil ein Gefühl entsteht, als trauerndes Elternteil auf so viele Dinge gleichzeitig achten zu müssen: das traurige Kind, sein Verhalten, seine Innenwelt, aber auch die verinnerlichten Bilder der eigenen Kindheit, die Trauer, die (Un-)Angemessenheit der Reaktionen. Nichts davon ist falsch und doch scheint es schon für gesunde Eltern ein Wunder, dass so vieles gut geht. Und so ist es das Thema Resilienz, das ein wenig ausführlicher hätte dargestellt werden können, weil gerade darin die Kraft und die Hoffnung verborgen ist, dass vielen – wenn auch nicht allen – Familien die grundsätzliche Fähigkeit innewohnt, die Herkulesaufgabe des Verlustes gemeinsam bewältigen zu können. Umso bedeutsamer ist der wiederkehrende Hinweis darauf, dass das gezeigte Verhalten eines Kindes nicht zwangsläufig dem inneren Erleben des Kindes entsprechen muss. Ein abweisendes, sich zurückziehendes Kind will nicht unbedingt alleine sein, sondern weiß unter Umständen einfach nicht, wie es dem Gegenüber angesichts seines Gefühlschaos begegnen soll. Hierzu gibt es eine Vielzahl von praktischen Fallbeispielen, die das Dilemma eindrücklich vermitteln. Vor zehn Jahren publizierte der deutsche Kinderarzt Dietrich Niethammer sein Buch „Das sprachlose Kind“, in dem er über seine Erfahrungen mit schwer kranken und sterbenden Kindern schrieb. Das Schlimmste für die Kinder sei gar nicht mal der Tod an sich, sondern die Sprachlosigkeit, die Unmöglichkeit, mit den Eltern über den Tod, das Sterben, die Angst und die Verzweiflung sprechen zu können. Diese Sprachlosigkeit ist vielleicht mit dem Tod so eng verbunden wie das Sprechen mit dem Leben. Tote können nicht mehr sprechen, Lebende schon. Haagens Buch ist eine Ermunterung zum Sprechen, zum In-Beziehung- und zum Mutig-Sein. Der Zu-Mutung des Todes begegnen, um mit ihm weiterleben zu können. Dr. Sven Eisenreich, Frankfurt am Main

Kohlhammer, Stuttgart 2017, 100 Seiten, 19 Euro


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Buchbesprechungen

Renate Feistner

Essstörungen – Heilung ist möglich Ein Praxishandbuch

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ch arbeite seit inzwischen 20 Jahren therapeutisch mit Menschen mit Essstörungen, war als Jugendliche selbst Betroffene und bin von dem neuen Buch der Psychologischen Psychotherapeutin Renate Feistner begeistert: Endlich gibt es ein Buch über die Heilung von Essstörungen, statt bei der Erkrankung und deren Ursachen „hängen zu bleiben“. Mir gefällt, dass es ein Buch mit breit gefächertem Inhalt ist, das umfassend alle mir bekannten Aspekte der Heilung von Essstörungen darstellt, und zwar sowohl für Fachleute wie für Betroffene, Angehörige, Selbsthilfegruppen oder Journalisten. Es ist angenehm und verständlich geschrieben, zeigt in Grafiken und Beispielen anschaulich Zusammenhänge auf, bringt viele Beispiele aus der langjährigen Praxis der Verfasserin und enthält sogar den Bericht einer Betroffenen über ihren kompletten Heilungsprozess. Ergänzt wird dies durch Interviews von MitarbeiterInnen aus Institutionen der Behandlungskette sowie durch aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen. Kompetent wird herausgearbeitet, was die Heilung fördert beziehungsweise sie verhindert, welches die Rahmenbedingungen für den Heilungsprozess sind und in welchen Phasen dieser verläuft. Das Herzstück des Buches bildet die detaillierte Darstellung eines ambulanten integrativen Therapiekonzeptes zur Behandlung von Essstörungen, welches auf der 35-jährigen Berufserfahrung der

Verfasserin beruht, mit eigens entwickelten Therapiematerialien und Interventionen. Dieses vom Mainstream abweichende, integrative Behandlungskonzept hat sich bei einer hohen Zahl von EssstörungspatientInnen bewährt und gezeigt: Heilung ist möglich. Was mich persönlich beschäftigt, ist die Tatsache, dass sich kaum jemand in Wissenschaft und Praxis mit dem Thema Heilung bei Essstörungen beschäftigt, sondern überwiegend mit der Krankheitsseite. Warum eigentlich? Daneben fehlten bislang Heilungskriterien und Fragebögen zum Heilungsgrad als Grundlage jeder Therapie. In diesem Buch werden die ersten Schritte in diese Richtung gemacht, es müsste aber weiter daran gearbeitet werden. Schließlich werden PatientInnen falsch, nämlich zu negativ über die Heilungschancen bei Essstörungen informiert. Dies beeinflusst den Therapieprozess negativ. Essstörungen scheinen mir bis heute noch immer eine stigmatisierte Erkrankung zu sein – ähnlich wie bei Borderline. Hier macht dieses Buch nicht nur Hoffnung, sondern es schafft konkrete Abhilfe, denn es zeigt das volle Heilungspotenzial von Menschen mit Essstörungen. Dankeschön dafür! Dr. Ute Mahr, PRAXIS für körperorientierte Psychotherapie, Nürnberg

Klett-Cotta, Stuttgart 2018, 304 Seiten, 34 Euro

Zeitschrift mit Informationen und Kritik zu Gentechnik und Biopolitik

Kate Swaffer

„Was zum Teufel geschieht in meinem Hirn?“ Ein Leben jenseits der Demenz

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ie Empörung darüber, dass stets andere – berufliche Experten oder Angehörige – über Menschen reden und schreiben, die mit einer kognitiven Beeinträchtigung leben, war ein Grund für die Entstehung des Buches „Was zum Teufel geschieht in meinem Hirn?“. Geschrieben hat es die in Australien geborene Kate Swaffer, die mit 49 Jahren eine Demenzdiagnose erhielt. Nicht zuletzt angeregt durch den verstorbenen Demenzaktivisten Richard Taylor, den die Autorin als ihren Helden bezeichnet, fand Swaffer zu einem intensiven Engagement für die Anliegen und Interessen von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Dies äußert sich in der Mitarbeit in verschiedenen Organisationen und eben auch in dem von ihr verfassten Buch. Mit Formulierungen wie „ein gutes Leben mit Demenz“ hat die Autorin nach eigener Aussage durchaus Schwierigkeiten. Sie präferiert daher die Bezeichnung „Leben jenseits der Demenz“. Damit soll der Blick darauf gerichtet werden, dass sich trotz aller Beeinträchtigungen und schwerwiegenden Bekümmernisse, die eine kognitive Veränderung mit sich bringt, eine Reduzierung der Person und ihres Erlebens darauf verbietet. Genau eine solche Reduzierung erfolgt fast immer durch eine wenig verständnisvolle und in defizitären Bildern verhaftete Umwelt. Dagegen anzugehen, ist ein Ziel des Buches. Es geht um Diagnosen (frühe oder späte?) und um die Kinder Frühbetroffener,

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um das Autofahren und um Einsamkeit. Und natürlich um die Gefühle, mit denen man als Betroffene/r immer wieder zu kämpfen hat: etwa die Trauer über Verluste oder Schuldgefühle. Zu Beginn des Buches gibt Swaffer in einem Kapitel auch einen kurzen Einblick in ihr Leben vor der demenziellen Veränderung. Nun hat es bereits Bücher von Demenzbetroffenen gegeben, man denke da an Richard Taylor, Christian Zimmermann oder Christine Bryden, in denen ähnliche Fragen thematisiert und durchgespielt worden sind. Jedes dieser Bücher hatte dabei seine ganz spezifische Qualität und Aussagekraft. In „Was zum Teufel geschieht in meinem Hirn?“ hat mich besonders ein Aspekt beeindruckt: Swaffer, die es sehr bedauert, seinerzeit auf Anraten der Ärzte ihre Berufstätigkeit aufgegeben zu haben, widmet sich dort der Frage der „verordneten Inaktivität“ (prescribed disengagement), die in der Tat für viele Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zum Fluch wird. Sobald nämlich eine sogenannte Demenz diagnostiziert wird, geschieht das, was Kate Swaffer selbst auch erleben musste: Man wird von einem Moment zum anderen zum Opfer und zum Leidenden gemacht. Es wird einem geraten, nach „Hause zu gehen und sich aufzugeben anstatt um ihr (sein, Anm.d.V.) … Leben zu kämpfen“. Dagegen rebelliert Swaffer: „Ich fordere mein früheres Leben zurück“, schreibt sie und rät ebenfalls Betroffenen, die auch dem Rat von Experten gefolgt sind und sich zur Inaktivität haben bewegen lassen, diese Empfehlung zu ignorieren und sich wieder dem Leben zuzuwenden. Dem klassischen Versorgungsmodell der verordneten Inaktivität setzt sie ein Modell entgegen, das auf Kompensation der eingetretenen Beeinträchtigungen und die Fortsetzung des früheren Lebens setzt. Wer sich weiter in ihr Buch vertieft, wird dort noch viele positive Beispiele und Anregungen finden, die demonstrieren, wie so etwas funktionieren kann. Dafür ist der Autorin zu danken. Peter Wißmann, Demenz Support Stuttgart

Hogrefe, Bern 2017, 304 Seiten, 29,95 Euro Dr. med. Mabuse 234 · Juli / August 2018

Thomas Großbölting, Niklas Lenhard-Schramm (Hg.)

Contergan Hintergründe und Folgen eines Arzneimittel-Skandals

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in Typoskript im Format DIN A4, 690 Seiten stark, versehen mit 3.485 Fußnoten – das sind die äußeren Daten eines Forschungsberichts, der 2016 im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) erschienen ist. Es geht darin um die Haltung dieses Bundeslandes „zu Contergan und den Folgen“. NRW war damit besonders befasst, weil dort die Firma Grünenthal ansässig ist, die Contergan nach eigener Aussage als „völlig ungiftiges Beruhigungsmittel“ vor allem für Schwangere entwickelt und vertrieben hatte. Das war vor rund 60 Jahren. Auch nach so langer Zeit wird darüber immer wieder geforscht und gestritten. Erstaunlich ist das nicht. Nach allgemeiner Einschätzung steht dieses Mittel mit dem damals nicht genügend getesteten Wirkstoff Thalidomid für den größten deutschen Medizin- und Pharmaskandal. Bis heute aber lehnt es der Konzern mit seinen beträchtlichen Gewinnen (früher auch aus dem Contergan-Absatz) ab, seine Schuld einzugestehen. Immerhin hat er nach langem Hin und Her hohe Millionenbeträge an die Opfer gezahlt. Doch trotz eines jahrelangen Prozesses wurde kein Grünenthal-Angestellter jemals für die schweren Schäden bei Neugeborenen verurteilt, die auf Contergan zurückzuführen sind. Nicht selten war es sogar zu Fehlgeburten gekommen. Dieser Forschungsbericht war zugleich die Dissertation von Niklas LenhardSchramm an der Universität Münster. Sein Doktorvater ist der Historiker Thomas Großbölting. Die Arbeit erschien kurz danach auch als Buch mit 944 Seiten bei Vandenhoeck & Ruprecht. Nun haben die beiden im selben Verlag einen Sammelband herausgegeben, der sich ebenfalls dem Thema Contergan zuwendet. Er enthält, wieder reich gespickt mit Fußnoten und Literaturhinweisen, auf 221 Seiten neun Aufsätze zu einzelnen Aspekten. Diese reichen von der Pharmaziegeschichte über das Erörtern schädlicher Substanzen, juristische Einschätzungen und politische Erwägungen bis zur Frage, wie man damals und heute mit Risiken umgeht. Der Soziologe Hans-Jochen Luh-

Kinderrn n profeessio n den Rüc ell ken stärken

Das Buch zeigt auf, auf, wie im Praxisalltag gute Kinderschutzarbeit möglich wird. Es macht Mut und stärkt den Rücken. Strukturen vor Ort werden ebenso beachtet, wie Haltungs- und Methodenfragen. 2018, 454 Seiten, broschiert, € 29,95 ISBN 978-3-7799-3690-9 Auch als E-Book erhältlich

Das Lehrbuc h zu Entw wicklun r psycholo gsgie

Dieses Buch führt in die Entwicklungspsychologie speziell aus einer Perspektive der Sozialen Berufe Berufe ein. Zudem werden zahlreiche Praxisbeispiele, Hinweise und Tipps für sozialpädagogische Arbeitsf beitsfelder elder gegeben. 2017, 226 Seiten, broschiert, € 19,95 ISBN 978-3-7799-3798-2 Auch als E-Book erhältlich

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mann legt dazu dar, wie der Fall Contergan in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft wahrgenommen wurde, als „es nicht einmal ein Monitoring von fehlgebildeten Neugeborenen gab“. Er würdigt dabei die Aufmerksamkeit des Kinderarztes Widukind Lenz, dem gehäufte Missbildungen aufgefallen waren und der sie Ende 1961 publik machte. Hätte es damals schon das Bundesinstitut für Risikobewertung mit seinen rund 800 Angestellten gegeben – wären die Schäden gründlicher aufgespürt und schneller erforscht worden? Aufschlussreich ist auch das, was der Berliner Medizinhistoriker Ludger Wimmelbücker über das Mittel „Grippex“ in Erinnerung ruft, das 1956/1958 in den Handel kam. Wie Contergan stammte es von Grünenthal und enthielt das gefährliche Thalidomid. Dies war aber kaum bekannt. „In den Akten des Contergan-Strafverfahrens finden sich nur wenige Belege für eine teratogene Schädigung durch Grippex“, stellt Wimmelbücker fest. Längst haben sich die Spuren verloren, die zur Aufklärung beitragen könnten. So viele wichtige Details der Band auch darstellt, so fehlen doch Kapitel – etwa zu den schweren Folgen, die Contergan für die Krankenpflege, die Reha und die Physiotherapie brachte. Zu wenig bekannt ist auch, wie erfinderisch Orthopädiemechaniker waren, um den Betroffenen etwa mit Eigen- und Fremdkraftprothesen, Rollbrettern und Anziehständern wenigstens etwas zu helfen. Nicht eigens erwähnt werden die zahlreichen Selbsthilfegruppen, die sich zusammenfanden, und das sehr lange Gefeilsche über die Renten und Einmalsummen zugunsten der Geschädigten. Insgesamt aber enthält das Buch sehr viele informationsreiche und gut belegte Darstellungen zu Vorgängen, aus denen viel zu lernen war. Was damals und später jedoch mit dem Schering-Präparat Duogynon geschah (siehe Dr. med. Mabuse, Nr. 231, S. 8), zeigt, dass genau das bis heute nicht genügend gelungen ist. Dr. Eckart Roloff, Medizinjournalist, Bonn

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, 221 Seiten, 50 Euro

Bettina Schmidt

Exklusive Gesundheit Gesundheit als Instrument zur Sicherstellung sozialer Ordnung

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n der Gesundheitsförderung unterscheidet man seit Langem die Verhaltensvon der Verhältnisprävention. Erstere zielt auf die Verhaltensänderung der einzelnen Menschen, bei letzterer liegt der Fokus auf einer gesundheitsförderlichen Umgebung. Auch wenn die Begriffe Gesundheitsförderung und Prävention nicht immer scharf zu trennen sind, so ist doch heute unumstritten, dass Gesundheit sowohl von persönlichen Faktoren als auch von Umgebungsfaktoren abhängt. Die Autorin greift in ihrem Buch die Gesundheit aus Sicht der Erzählforschung auf. Ausgehend von der These, dass die zurzeit in der Bundesrepublik vorherrschende Gesundheitspolitik eher auf die Verantwortung des einzelnen Menschen für seine Gesundheit zielt, plädiert sie für die Stärkung der Verhältnisprävention. In den Hauptkapiteln geht die Autorin zunächst auf die Ansätze der Erzählforschung ein, bearbeitet dann die „tugendhafte Reinheit“ aus historischer Perspektive, greift die „Erzählung von der guten Gesundheit“ auf und entwickelt im letzten Kapitel eine alternative Sichtweise auf Gesundheit. Als Ergebnis der Analyse der aktuellen Gesundheitserzählung hält die Autorin fest, dass diese von den Eliten, die über entsprechendes „Bildungs-, Sozialund Finanzkapital verfügen“, geprägt wird. Gesundheitsverhalten sei im Sinne Bourdieus für die Eliten ein Unterscheidungsmerkmal zu den weniger privilegierten Schichten. Es sei nicht statisch festgelegt, sondern könne sich im Laufe der Zeit verändern, sei somit kulturell produziert. Dies verdeutlicht die Autorin an zahlreichen Beispielen, unter anderem an der veränderten gesellschaftlichen Akzeptanz des Rauchens. Dem von den Eliten geforderten gesundheitsorientierten Verhalten setzt sie eine alternative Gesundheitserzählung gegenüber, die davon ausgeht, dass Gesundheit eben nicht das oberste Ziel für jeden Menschen ist, sondern auch alternative Lebensziele eine genauso große oder größere Rolle spielen können. Auch sei es erforderlich anzuerkennen, dass nicht

alle Gesundheitsbedingungen individuell zu beeinflussen seien. Die derzeitige Konzentration auf die biologische Sichtweise der Gesundheit sei zu einseitig. Die Autorin fordert eine „benutzerfreundliche Gesundheitsförderung“, die eher auf die Förderung gesunder Verhältnisse setzt als auf Verbote. Die Eliten seien hier gefordert, Verantwortung für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu übernehmen. Um diese Verantwortungsübernahme zu erreichen, sei daher eine Förderung der „health literacy“ eher für die Eliten erforderlich als für die benachteiligten Schichten der Bevölkerung. Das Buch liefert eine Fülle von Anregungen, sowohl die aktuelle Situation der Gesundheitsförderung als auch der gesundheitlichen Versorgung in der Bundesrepublik kritisch zu reflektieren. Gerade vor dem Hintergrund, dass vor einigen Monaten die Umsetzung des „Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ gestartet wurde, kann ein Perspektivwechsel zum Thema Gesundheitsförderung sehr nützlich sein. Laut Klappentext richtet sich das Buch an Sozial- und GesundheitswissenschaftlerInnen, SozialarbeiterInnen und MedizinerInnen. Es kann aber auch allen anderen empfohlen werden, die im Bereich des Gesundheitswesens tätig sind. Mit einer Fülle von Literaturverweisen bietet es für wissenschaftlich Arbeitende reichlich Anregungen zum Weiterlesen. Praktisch tätige Berufsgruppen, die Programme zur Gesundheitsförderung umsetzen, bekommen die Möglichkeit, ihre Arbeit aus einer anderen Perspektive zu betrachten und damit die Chance, die Nutzersicht stärker zu berücksichtigen. Mathilde Hackmann, wissenschaftl. Mitarbeiterin, Ev. Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie Hamburg

Springer VS, Wiesbaden 2017, 310 Seiten, 44,99 Euro

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Dr. med. Mabuse 235 ¡ September / Oktober 2018

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144 Seiten, broschiert, mit zahlreichen Abbildungen ₏ 20,– (D). ISBN 978-3-608-96262-8

Ulrike Balke-Holzberger Zittern Sie sich frei! Erlernen Sie eine neue und hochwirksame Entspannungsmethode: ÂťFaszien-Stress-ReleaseÂŤ, einfache KĂśrperĂźbungen, die auf sanfte Weise ein unwillkĂźrliches Muskelund Faszienzittern hervorrufen. Die entspannende Wirkung erfolgt augenblicklich, Stress, Verspannungen, Ă„ngste und Schmerzen lĂśsen sich auf.

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Beltz Verlag, Weinheim 2017, 2 DVDs, Laufzeit: 278 Minuten, 89 Euro

Leben Lernen 302 288 Seiten, broschiert ₏ 29,– (D). ISBN 978-3-608-89225-3

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ideobasierte Wissensvermittlung ist mittlerweile in fast allen Praxisfeldern alltäglich geworden – von der EinfĂźhrung in die Quantentheorie Ăźber Schminkanleitungen bis hin zum TomatenzĂźchten. Umso naheliegender, diesen Zugang auch im Bereich der Trauma-Psychotherapie vermehrt zu nutzen. Sie ist an Anschaulichkeit und Nutzbarkeit fĂźr die Anwendung kaum zu Ăźberbieten. Gerade die psychotherapeutische Behandlung von Traumatisierten stellt fĂźr BehandlerInnen eine besondere Herausforderung dar: Meist ist das Trauma nicht nur durch eine schwerwiegende Symptomatik gekennzeichnet, etwa durch Albträume, WutausbrĂźche, Flashbacks und Suizidalität, sondern auch die Behandlungssituation selbst ist geprägt vom Auftreten traumaspezifischer GefĂźhle wie dissoziativem Abspalten, Ohnmacht, Ăœberforderung und Resignation. Diese quälen die PatientInnen, aber sie kĂśnnen während der Therapie auch die Behandler erfassen, gleichsam „vorĂźbergehend infizieren“. So kommt es, dass viele Praxen Traumatherapie entweder nicht anbieten oder die Behandlungen ins Stocken kommen und auch die TherapeutInnen eher Angst haben, eine tatsächliche Bearbeitung der Traumata anzugehen. Die von Mitarbeiterinnen der Trauma-Ambulanz der Goethe-Universität in Frankfurt am Main herausgegebene LehrDVD stellt fĂźr dieses Feld nun einen hilfreichen Methodenkoffer zur VerfĂźgung, der Einblick in unterschiedliche methodische Zugänge gibt und somit Kenntnis und Sicherheit erhĂśht. In nachgestellten, leider bisweilen etwas hĂślzern-kĂźnstlich wirkenden Szenen von exemplarischen Behandlungsverläufen lernen die Zuschauer Techniken kennen (z. B. EMDR oder Imagery Rescripting) und kĂśnnen das therapeutische Vorgehen in der unmittelbaren Anwendung nachvollziehen. Zusätzlich wird auch das Arbeiten mit traumaspezifischen Phänomenen wie der Umgang mit Dissoziation oder ausgeprägten SchuldgefĂźhlen vorgestellt. Die AusfĂźhrungen zu psychoedukativer Arbeit, etwa die Prävention von Reviktimisierung, Fra-

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Beltz Video-Learning

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Posttraumatische BelastungsstĂśrung

gen des Täter-Umgangs oder Achtsamkeit, runden das Bild ab. Unsicherheiten oder BefĂźrchtungen in Bezug auf das therapeutische Handeln kĂśnnen sich mit dieser Hilfestellung nachhaltig auflĂśsen. Die DVD regt dabei an, die vorgestellten Interventionen nicht per se zu Ăźbernehmen, sondern auch kritisch zu reflektieren und eher als UnterstĂźtzung zum Finden eines eigenen therapeutischen Stils zu nutzen. Es versteht sich von selbst, dass traumatherapeutische Methoden in ein umfassenderes Behandlungskonzept von fundiert ausgebildeten PsychotherapeutInnen eingebettet werden mĂźssen. Die Stärke der DVD liegt in der Methodenvielfalt – wobei natĂźrlich längst nicht alle traumatherapeutischen Techniken vorgestellt werden. GemäĂ&#x; der verhaltenstherapeutischen Ausrichtung der Herausgeberinnen fehlen hier etwa hypnotherapeutische oder tiefenpsychologische Zugänge, die natĂźrlich im Rahmen eines solchen Video-Learnings auch schwieriger zu vermitteln wären. Alles in allem vermag der aus zwei DVDs bestehende Methodenkoffer gerade all jene TherapeutInnen wirksam zu unterstĂźtzen, die aufgrund der vermehrten Nachfrage durch PatientInnen mit Kriegs- und Fluchterfahrungen auf der Suche nach Erweiterung ihrer traumatherapeutischen Kompetenzen sind. Dr. Vera Kattermann, Berlin

Meike MĂźller-Engelmann, Clara Dittmann

Hanne Seemann Schmerzen – Notrufe aus dem KÜrper

Andreas Kruse

Lebensphase hohes Alter Verletzlichkeit und Reife

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s ist schwierig, den Inhalt dieses Buchs zusammenzufassen, weil es unglaublich faktenreich und vielschichtig ist. Der Autor Andreas Kruse, Direktor des Heidelberger Instituts fßr Gerontologie, betrachtet das hohe Alter aus einer biopsychosozialen und kulturkritischen Perspektive und hebt dabei insbesondere die Potenziale der vierten Lebensphase (ab etwa 80 Jahren) hervor. Um keine Missverständ-

Wenn der KĂśrper uns mit der Beharrlichkeit und Vehemenz eines chronischen Schmerzes eine StĂśrung meldet, sollten wir hinhĂśren! Mit dem hier vorgestellten hypnosystemischen Ansatz kann das Schmerzgeschehen tiefer verstanden und wirksamer behandelt werden.

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nisse zu erzeugen: Es wird hier nichts beschönigt, sondern ein ausgesprochen differenziertes Bild der Einschränkungen und Ressourcen, der Gewinne und Verluste des Lebens im hohen Alter inklusive der vielfältigen gesellschaftlichen, strukturellen und individuellen Einflussfaktoren gezeichnet. Schon im ersten Hauptkapitel „Was ist Alter(n)?“ wird klargestellt, dass gerade die Verletzlichkeit des Alters zu den Voraussetzungen für Weiterentwicklung und Reife gehört. Das Hauptproblem liegt demnach nicht in den Alterungsprozessen an sich, sondern in der weitverbreiteten defizitorientierten Sichtweise sowie der Gleichsetzung von Alter und Krankheit. Das folgende Kapitel führt eines der zentralen Themen des Buches ein: Die „Sorge“, im Sinne von aktiver Teilhabe, Engagementbereitschaft und (politischer) Mitgestaltung, also eine positiv konnotierte Sorge um andere Menschen und um die Welt. Neben der Sorge stellen nach Kruse eine gereifte Form der Selbstreflexion (Introversion und Introspektion), Offenheit (Neugier und Toleranz als Ergebnis von Entwicklungsprozessen im Lebenslauf) und Wissensweitergabe auf der Grundlage von Lebenserfahrung die wesentlichen Potenziale des hohen Alters dar. In weiteren Kapiteln werden empirische Befunde aus der Hochaltrigkeitsforschung vorgestellt und sowohl in einen ethisch-philosophischen als auch sozialpolitischen Kontext eingeordnet. Die Bedeutung sozialer Ungleichheiten wird anhand der Determinanten Geschlecht, sozioökonomischer Status, Armut und Migration beleuchtet. Ein gesondertes Kapitel ist dem Thema Demenz gewidmet.

Hier konkretisiert sich die biopsychosoziale und ressourcenorientierte Sichtweise des Autors besonders deutlich, indem ausführlich beschrieben wird, wie eine gute Lebensqualität und „Inseln des Selbst“ unter günstigen Rahmenbedingungen auch bei weit fortgeschrittener Erkrankung erhalten werden können. Auch das Thema Pflege kommt nicht zu kurz. Die diesbezüglichen Abschnitte beziehen die Sicht der betreuenden Angehörigen, Entlastungsmöglichkeiten für diese Gruppe (auch über gesetzgeberische Maßnahmen) und förderliche Kommunikationsstile ein. Das letzte Kapitel ist aus meiner Sicht das wichtigste. Der Titel dieses Kapitels spricht hier für sich: „Die Würde im Alter erkennen, anerkennen, lebendig werden lassen – eine Aufgabe von Individuum, Gesellschaft und Kultur“. Dieses Buch verdient es, ein Standardwerk der Gerontologie zu werden. Es ist darüber hinaus lesenswert für alle, die mit älteren Menschen leben oder arbeiten, selbst gerne alt werden möchten oder es schon sind und vor allem für diejenigen, die mitverantwortlich sind für die Gestaltung von Lebensbedingungen (für Menschen jeden Alters) in unserer Gesellschaft. Dr. Brigitte Borrmann, Vlotho

Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2017, 495 Seiten, 25 Euro

Christine Altstötter-Gleich, Fay Geisler

Perfektionismus Mit hohen Ansprüchen selbstbestimmt leben

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etze ich mir hohe Standards? Und was heißt hier genau „hoch“? Zeitigen sie gute Leistungen, wird daraus Erfolg? Und bin ich dann glücklich? Oder fühle ich mich überfordert, unter Druck und eigentlich nie gut genug? Könnte ich’s nicht doch besser machen? Wirklich befriedigend gelingt mir kaum etwas, aber von meinen Ansprüchen gehe ich auf gar keinen Fall runter … Wer sich mit solcherart Gedanken herumschlägt, ist gut bedient mit dem kleinen Ratgeber von Christine AltstötterGleich und Fay Geisler. Man möge das Buch von vorn nach hinten durchlesen, sich Zeit nehmen, nichts weglassen, gerne Notizen machen, heißt es am Anfang, und es lohnt sich über die gut 150 Seiten. Den Gedankengängen der Autorinnen lässt sich locker folgen – etwa wenn sie als erstes den Duden bemühen, um das Übertriebene und Abwertende des „Perfektionismus“ im Verhältnis der mit Vollendung und Fehlerlosigkeit assoziierten „Perfektion“ herauszuarbeiten. Nicht die Fehler an sich sind im Zweifelsfall problematisch, sondern vielmehr Ängste, Schamund Schuldgefühle der Betroffenen. Das Titelbild illustriert einen Lösungsansatz, indem es die „Kintsugi“-Methode aus dem Zen-Buddhismus zitiert: Die vergoldeten Kittstellen einer zerbrochenen Keramik würdigen die Fehlerhaftigkeit und unterstreichen geradezu ihre Schönheit als grundlegend neue Qualität. Nach der Einleitung widmen sich die ersten Kapitel der Definition und den Ur-

Mit einem Buch aus multidisziplinärer Sicht auf das Thema Hochsensibilität stellen sich sechs Autoren einem aktuell umstrittenen Begriff mit ungenauer Definition. Ihr gemeinsames Ziel: Bestimmung eines genaueren Profils und eine differenzierte Betrachtung. Jutta Böttcher et al. FACHBUCH HOCHSENSIBILITÄT 978-3-903072-66-4 // € 49,80 [D] // € 51,20 [A]

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Dr. med. Mabuse 235 · September / Oktober 2018


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Eine Biographie der ReichshebammenfĂźhrerin

Reih e Wis s e n & L e b e n M i t e in e m G e l e i t wo r t vo n G u n t h e r S c h mi d t 2017. 208 S eit e n, b ros c hie r t. â‚Ź 19,99 ( D ) ISBN 978 - 3 - 608 - 43211- 4

nja Katharina Peters beschäftigt sich in ihrem Werk, dem ihre Dissertation zugrunde liegt, mit der Biographie von Nanna Conti (1881–1951), deren Rolle im Nationalsozialismus (NS) bislang zu wenig beachtet worden ist. Die Arbeit ist ausfĂźhrlich anhand von erst seit 1990 zugänglichen Archivalien und Zeitzeugenberichten recherchiert und zeigt unterschiedliche Facetten der ehemaligen Leiterin der Reichshebammenschaft auf. Peters sucht Herleitungen fĂźr Contis nationalsozialistische Auffassungen in deren Erfahrungen in der protestantisch und vĂślkisch geprägten Herkunftsfamilie, ohne diese fĂźr Entschuldigungen heranzuziehen. Ihre Eltern standen den Gedanken der Eugenik grundsätzlich positiv gegenĂźber (S. 39). 1893 siedelte die Familie nach Lugano um, wo die 17-Jährige 1898 den Schweizer Posthalter Silvio Conti heiratete. Die Ehe dauerte nur fĂźnf Jahre und wurde aufgrund von Untreue des Ehemanns geschieden. In dieser kurzen Zeit erlebte sie mehrere Schwangerschaften, zwei SĂśhne und eine Tochter Ăźberlebten. Sie und ihre Kinder behielten zeit ihres Lebens das Schweizer Heimatrecht. Nach ihrer Scheidung 1902 absolvierte Conti die Hebammenausbildung und arbeitete in Berlin. Ihre Mutter betreute die drei Kinder. Sohn Leonardo, der spätere ReichsgesundheitsfĂźhrer, Chef der Reichsärztekammer und Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen Ă„rztebundes, war farbenblind; Sohn Silvio zeigte psychische Auffälligkeiten (S. 93). Damit zeigt Peters, dass Conti nicht dem arischen Frauenund Mutterbild des NS entsprach. Dennoch machten sie und ihre SĂśhne in dieser Diktatur Karriere. Conti betreute als Hebamme viele Hausgeburten, bis 1937 auch bei jĂźdischen Familien (S. 69). Ebenso arbeitete sie 15 Jahre lang in einer Klinik, die von einem jĂźdischen Arzt geleitet wurde. Später denunzierte sie ihn, indem sie angab, er fĂźhre verbotenerweise Abtreibungen durch. Seit 1924 war sie Mitglied in einem antisemitischen Bund (S. 109). Das Aufzeigen dieser Gegensätze macht die Spannung des Werkes aus und geht Ăźber die meisten bisherigen Arbeiten zu Hebammen im NS, die sich eher auf die

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Mit Leichtigkeit mentale Superkräf te ent falten. Alltagsstress, GrĂźbelfallen – und zu allem Ăœberfluss raubt uns eine PrĂźfung oder ein anstehendes Bewerbungsge spräch nachts auch noch den Schlaf: Manchmal scheint das Leben nichts Besseres zu tun zu haben, als uns Steine in den Weg zu legen.

Lamparter ƒ Schmidt

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Coach Dich doch selber!

Somatische Differenzialdiagnosen in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie

Ina Hullmann

Wirklich psychisch bedingt?

2018. 472 S eit e n, zahlreic h e A b b., ge bun d e n. â‚Ź 59,99 ( D ) ISBN 978 -3- 608 - 43135 -3

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Dr. med. Mabuse 235 ¡ September / Oktober 2018

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Nanna Conti (1881–1951)

Balance buch + medien verlag, KĂśln 2017, 160 Seiten, 16 Euro

Anja Katharina Peters

sachen von Perfektionismus. Zwischen „gesundem Leistungsstreben“, perfektionistischen Tendenzen ohne Leidensdruck bis hin zu belastenden Alltags- und Lebensbeeinträchtigungen wird sorgsam unterschieden. Begrifflichkeiten sind differenziert und gut verständlich erklärt, Interessierte kĂśnnen den Stand der Forschung anhand der zitierten Quellen vertiefen. Grafisch gut integrierte Textboxen bieten Ăœbungen, Selbsttests und Zusammenfassungen. Immer wieder wird die oder der Lesende unmittelbar mit typischen Gedankenformulierungen angesprochen, nicht wenige finden sich vermutlich in dem einen oder anderen IchSatz wieder. Man erhält sogar behutsame Hilfestellung bei der persĂśnlichen Ursachenforschung, soweit sie fĂźr die Akzeptanz eigener perfektionistischer Tendenzen nĂźtzlich sein kann. Der Abschnitt zur Therapie fĂźhrt rasch und logisch begrĂźndet zur Kognitiven Verhaltenstherapie. Er vermittelt eine Vorstellung Ăźber die Vorgehensweise und gibt Antworten auf die Frage, woran man die Notwendigkeit therapeutischer UnterstĂźtzung erkennt. Ebenso klar werden hier die Grenzen und MĂśglichkeiten eines Ratgeberbuches benannt: In erster Linie informiert es und kann dabei helfen, wesentliche Fragen aufzuwerfen, ohne jedoch individuelle Antworten zu geben. Gleichwohl folgt hier die Einladung, alleine an den eigenen perfektionistischen Tendenzen zu arbeiten, wenn man es denn erst mal selbst versuchen mĂśchte. Das längste Kapitel „Hilfe zur Selbsthilfe“ fordert auf, kritisch Nutzen und Kosten des eigenen Perfektionismus versus denen einer eventuellen Veränderung auszuloten, um so die Motivation zu ergrĂźnden. Erst nach einer kurzen RĂźckschau auf belastende und problematische Aspekte geht es zur Sache mit mĂśglichen Strategien, konkreten Vorschlägen samt Hinweisen auf denkbare Fallstricke. Alles in allem lohnt sich dieses interessante, gut recherchierte und praktisch nutzbare Buch fĂźr – eventuell – Betroffene ebenso wie fĂźr diejenigen, die therapeutisch, coachend oder beratend tätig sind. Alice Nennecke, Hamburg

Ulrich Lampar ter, Hans-Ulrich Schmidt ( Hrsg.)

Wirklich psychisch bedingt? Somatische Dif f erenzialdiagnosen in der Psychosomatischen Me dizin und Psychotherapie Gerade bei seltenen primär soma tischen Krankheitsbildern werden Symptome of t vorschnell als psychisch bedingt aufgefasst. Dadurch werden die Patienten of t langjährig diagnostisch verkannt und erhalten nicht die eigentlich not wendige Therapie. Anhand von realen Fällen aus der klinischen Praxis wird in diesem Handbuch das not wendige Wissen zu somatischen Differenzialdiagnosen vermittelt.


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Auswertung von Hebammenzeitschriften beschränken, hinaus. Contis Arbeit am Hebammengesetz von 1938, das in Deutschland und Österreich in seinen Grundzügen noch erhalten ist, wird jedoch etwas zu zögerlich bewertet. Ihre Rolle sowohl im NS als auch in der Verbandsarbeit wird dagegen detailreich dargestellt und die Frage, inwieweit sie als Täterin zu beurteilen ist, wird angesichts der Tatsache, dass sie nie angeklagt wurde, ausführlich behandelt. Peters zeigt anhand zahlreicher Beispiele auch die familiären Verknüpfungen Contis zu ihrem politisch einflussreichen Sohn Leonardo auf. Wichtig ist die Darstellung der Besitzverhältnisse der Reichshebammenschaft und der Überführung eines möglichen Grundstücksgeschenks der NSDAP in den Besitz der Nachkriegsorganisation Bund Deutscher Hebammen. Auch die unreflektierten Lobesreden ihrer Hebammenkolleginnen über die Verdienste Contis anlässlich ihres Todes 1951 werden richtigerweise hervorgehoben. Eine erste Auseinandersetzung mit der Rolle der Hebammen im NS wagte der Hebammenverband erst 2006. Die Aufarbeitung von Peters wird helfen, diesen notwendigen Prozess weiterzuführen. Die Autorin regt weitere Forschungsschritte an: die Aufarbeitung der Geschichte des internationalen Hebammenverbandes, zu dessen Vorsitzenden auch Conti zählte, sowie weitere Untersuchungen zur Nachkriegszeit, die von Hebammenseite ungenutzt blieb, eine neue berufliche Rolle zu kreieren. Die Autorin gruppiert die Inhalte thematisch – eine Chronologie der Ereignisse wird nicht zusätzlich bereitgestellt. Diese hätte geholfen, noch weitere Verbindungen zu ziehen. Das Buch ist aber sehr flüssig und ansprechend zu lesen. Es ist ein wichtiges und längst überfälliges Werk zur Aufarbeitung der Rolle der Hebammen im NS und dem bisher wenig reflektierten Erbe aus dieser Zeit. Christine Loytved, Hebamme/Medizinhistorikerin, und Kristin Hammer, Hebamme/Historikerin, Dozentinnen an der ZHAW Winterthur

LIT Verlag, Münster 2018, 456 Seiten, 44,90 Euro

Kathrin Fezer Schadt, Carolin Erhardt-Seidl

Weitertragen Wege nach pränataler Diagnose. Begleitbuch für Eltern, Angehörige und Fachpersonal

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ie Welt bleibt stehen“ – so ist es für Betroffene meist, wenn sie erstmalig und tief in ihrem Innersten getroffen damit konfrontiert werden, dass ihr ungeborenes Kind eine Krankheit, ein Syndrom, eine Besonderheit hat, wie sie in diesem Buch in den verschiedensten Ausprägungen besprochen werden. Der erste gut gemeinte Rat, der dann oft folgt, ist der zum baldmöglichsten Schwangerschaftsabbruch. Eine Alternative dazu, über die kaum jemand informiert ist, ist die Möglichkeit des Weitertragens bis zur Geburt. Die Autorinnen informieren in aller Ruhe detailreich über den Weg zur vorgeburtlichen Diagnose sowie darüber, was nach der ersten Diagnose geschieht. Dabei ist es keinesfalls ein Anti-Abtreibungsbuch! Doch die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch oder für ein Weitertragen braucht Informationen. So werden hier viele Wege aufgezeigt, die Betroffenen nicht ohne Weiteres in den Sinn gekommen wären. Ich selbst habe einige Jahre in der Geburtshilfe gearbeitet, bin nun viele Jahre in der Palliativversorgung tätig und auch für mich waren etliche Punkte bedenkenswert, hilfreich und neu. Neben einer umfangreichen Faktenvermittlung legt das Buch großen Wert auf die mit dem Abbruch oder Weitertragen verbundenen Emotionen und Gedankengänge, die durch außergewöhnlich viele Zitate aus Interviews mit Betroffenen und Versorgenden immer wieder eingestreut werden. Es ist beeindruckend zu lesen, wie viel Glück, Liebe, sogar Zufriedenheit und Dankbarkeit – auch und gerade in einer solchen Schwangerschaft – von den Eltern empfunden werden können, wenn sie in angemessener Weise begleitet werden. Und das, obwohl sie wissen, dass das Wunschkind vermutlich fast ohne Lebenschance bleibt oder vielleicht tot zur Welt kommen wird. Dabei sind die vielen Hinweise und Leitlinien sicher keine Gebrauchsanweisung für Laien, jedoch ein wertvoller Wissensfundus für professionelle Experten. Das Buch ist nichts für den schnellen Leser. Nicht nur, weil die Kost selbst nicht

so wirklich leicht verdaulich ist. Teils ist es durch die (Über-)Fülle an Informationen zumindest für den Rezensenten etwas unübersichtlich gewesen. Ganze neun Seiten Inhaltsverzeichnis zeigen schon gleich zu Beginn: Hier geht es in alle Details. Dass einige Kernaussagen mehrmals wiederholt werden, erleichtert das Lesen, gerade wenn man zunächst einmal ein Kapitel überblättert. Deshalb gibt es von den Autorinnen auch gleich am Anfang eine Art Leseanleitung: Man kann das Buch als Ganzes lesen, eher punktuell die fachlichen Teile auswählen oder solche, die vielleicht gerade emotional zu sehr belasten würden, weglassen. Gerade dann kann das Buch für Betroffene besonders hilfreich sein. Ich hätte mir eine etwas leichtere Lesbarkeit gewünscht, etwa durch klarere Abschnittsund Kapiteltrennungen. Das schmälert sicher nicht den Wert des Inhalts, doch das mit 336 doch recht eng bedruckten Seiten nicht gerade schmale Buch wäre damit noch wertvoller geworden. Eine abschließende Bemerkung: Sehr oft herrscht beim Thema Totgeburt oder Schwerbehinderung Sprachlosigkeit. Dass dies nicht sein muss, zeigt das Buch auf jeder einzelnen Seite. Ganz am Ende wurde ich überrascht – mit Formulierungsvorschlägen für eine Geburtsanzeige, für einen Brief an das Umfeld und auch dazu, wie betroffene Eltern in angemessener Weise positives oder negatives Feedback an die Versorger (KinderärztInnen, GynäkologInnen, Hebammen, Pflegepersonal oder SozialarbeiterInnen) geben können. Das Buch ist für jeden empfehlenswert, der sich zum weiten Feld der Pränataldiagnostik informieren will, sei es als Einstieg mit einem schnellen Durchblättern, sei es zum langsamen Lesen, Nachdenken und Durchdiskutieren. Für Menschen, die Eltern zu Schwangerschaftsabbruch oder Weitertragen beraten und deren Entscheidung begleiten, oder Eltern, die selbst betroffen sind, ist das Wissen um die beschriebenen Fakten und die möglichen Gedankengänge fast schon ein Muss. Thomas Sitte, Fulda

edition riedenburg, Salzburg 2018, 336 Seiten, 27,90 Euro Dr. med. Mabuse 235 · September / Oktober 2018


Buchbesprechungen

Sylvelyn Hähner-Rombach, Pierre Pfütsch (Hg.)

Entwicklungen in der Krankenpflege und in anderen Gesundheitsberufen nach 1945 Ein Lehr- und Studienbuch

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n der historischen Pflege- und Berufsforschung bildet die Entwicklung der Pflege und anderer Gesundheitsberufe nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und der Entstehung zweier deutscher Staaten bisher noch ein wenig erforschtes Untersuchungsfeld. Bereits 2011 hatte Sylvelyn Hähner-Rombach eine kommentierte Quellensammlung zur Geschichte der Pflege im Mabuse-Verlag herausgegeben, die in erster Linie anhand übergeordneter Themenfelder Quellen bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fokussiert. Jetzt hat sie zusammen mit Pierre Pfütsch, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, ein Lehr- und Studienbuch erstellt, das zwei Einführungen aufweist und in zwölf Einzelbeiträgen Forschungsergebnisse zu spezifischen Fragestellungen der Berufsentwicklung ab 1945 darlegt. Sieben Beiträge untersuchen Themenfelder aus der Krankenpflege, zwei aus der Altenpflege und jeweils einer wendet sich dem Hebammenwesen, den Rettungssanitätern sowie den Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufen zu. In einer knappen Einführung von 17 Seiten versucht Sylvelyn Hähner-Rombach, den historischen Rahmen, der sich auf die staatliche, gesellschaftliche, sozialund gesundheitspolitische Entwicklung bezieht, für die Themenfelder der Gesundheitsberufe aufzubereiten. Dadurch bedingt treten gewisse Ungenauigkeiten oder Zweideutigkeiten auf. Dies trifft zum Beispiel auf die Ausführung zur Regelung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu: Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 des Grundgesetzes wird die Berufszulassung von ärztlichen und anderen Heilberufen über Bundesgesetze geregelt. Die Altenpflege taucht hier aber erst seit 2002 auf. Das liegt an einer Änderung der Ausbildungsinhalte, mit der sich die Altenpflege nicht mehr als sozialpflegerischer, sondern als heilkundlicher Beruf konstituierte. Auch die Formulierung „Trennung Dr. med. Mabuse 235 · September / Oktober 2018

von Grund- und Funktionspflege“ (S. 18) erscheint in dieser Form befremdlich. Hier ist wohl die Trennung von Grundund Behandlungspflege gemeint, während Funktionspflege ein bestimmtes Pflegesystem bezeichnet. Die Aufsätze zur Krankenpflege beschäftigen sich mit folgenden Themenfeldern: Männer in der Pflege, Psychiatriepflege, Arbeits- und Lebensalltag in der evangelischen Krankenpflege, Abschied vom zölibatären Berufsbild – Gewerkschaftspolitik in der Pflege, Aus- und Weiterbildung in der Krankenpflege, quantitative Entwicklung des Krankenpflegepersonals, Objekte (z.B. Spritzen, Kittel) als Quellen in der pflegehistorischen Forschung. Die Einführung zu den nichtärztlichen Gesundheitsberufen unterliegt einer ähnlichen Problematik wie die allgemeine Einführung. Der Verweis auf 98 unterschiedliche Berufe, die im Gesundheitswesen angesiedelt sind, ist hier wenig zielführend. Interessanter wäre als verbindende Klammer das Dach der ärztlichen und anderen Heilberufe gewesen. Dass die Altenpflege in der Kapitelabgrenzung nicht zu den Pflegeberufen gerechnet wird (S. 240), hätte an dieser Stelle erläutert und der Paradigmenwechsel von einem sozialpflegerischen zu einem heilkundlichen Beruf dargestellt werden können. Die einzelnen Beiträge bieten interessante, zum Teil bisher unbekannte oder neue Einblicke in spezifische Arbeitsfelder der Pflege- und weiterer Gesundheitsberufe. Der Sammelband ist für alle Ausbildungsstätten (Berufsfachschulen und Hochschulen) ein zwingend notwendiger Fundus, um Entwicklungslinien in der neueren Geschichte der Berufe nachzeichnen zu können. Trotz der kleinen Ungenauigkeiten ist der Veröffentlichung eine große Verbreitung – auch über den kleinen Kreis der PflegehistorikerInnen hinaus – zu wünschen. Heinrich Recken, Hamburger Fern-Hochschule

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2018, 422 Seiten, 49,95 Euro

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In dem Ratgeber geht es um alltägliche Probleme junger Menschen, aber auch um die Möglichkeiten von Hilf ilfen en zur Erziehung und Beratung durch das Jugendamt. 3., überarbeitete Auflage 2018 209 Seiten, broschiert, € 8,95 ISBN 978-3-7799-3881-1 Auch als E-Book erhältlich

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Erstmalig schreiben Mädchen und junge Frauen, die herausfor herausfordernde Lebensumstände gemeistert haben, mit Profis ein Buch zum Traumaverstehen und darüber, darüber, was hilft, hilft, zurechtzukommen. Es macht Jugendlichen Mut und hilft hilft pädagogischen Fachleuten. 2018, 196 Seiten, broschiert, € 19,95 ISBN 978-3-7799-3168-3 Auch als E-Book erhältlich

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Buchbesprechungen

Christian Lummer

Teamleitung in der Pflege „Wir statt ich“: Führen Sie mit Vertrauen, Loyalität und Wertschätzung

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as Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Dieses Aristoteles zugeschriebene Zitat stellt Lummer seinem Buch voran und macht so deutlich, dass er der Teamleitung die zentrale Rolle bei der Teambildung zuschreibt. Wenn er von Teamleitung spricht, adressiert er in erster Linie die mittlere Führungsebene, also Stations- und Wohnbereichsleitungen. Einleitend beschreibt Lummer grundsätzliche Herausforderungen (Kapitel 1), denen sich Teamleitungen stellen müssen, dazu zählt er unter anderem „Leiten und Führen“. Zudem stellt er die verschiedenen Rollen der Teamleitung (u.a. Entscheider, Coach oder Visionär) vor. In Kapitel 2 widmet er sich den unterschiedlichen Erwartungen, die von Vorgesetzten und Mitarbeitenden an die in einer „Sandwichposition“ agierende Teamleitung gestellt werden können. Die Zusammenarbeit zwischen Teamleitung und ihrer Stellvertretung betrachtet er in Kapitel 3. Anschließend geht es in Kapitel 4 um die Voraussetzungen, die eine gute Teamleitung „mitbringen“ sollte, um ihren Aufgaben gerecht werden zu können. Hierzu erläutert er unter anderem verschiedene Führungsstile und betont die Bedeutung sogenannter Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit und Einfühlungsvermögen.

Aber auch generationengerechtes Führen wird in Anbetracht der sich durch den demografischen Wandel verändernden Arbeitswelt ausführlich beleuchtet. Wer führt, benötigt dafür Unterstützung. Möglichkeiten und Voraussetzungen für eine solche Unterstützung werden auf organisatorischer und beraterischer Ebene in Kapitel 5 betrachtet. Die gesamte zweite Hälfte des Buches (Kapitel 6) widmet sich dann einem „Werkzeugkoffer“. Dieser beinhaltet Instrumente und Werkzeuge, die nutzbar sind, um die Aufgaben der Teamleitung bewältigen zu können. Dazu werden sowohl Informationen über Theorien und Modelle der Teamentwicklung sowie über Analyseinstrumente vorgestellt als auch praxisorientierte Anwendungshilfen sowie Tipps, Leitfäden und Anregungen aufgeführt. Alle Kapitel beinhalten neben theoretischem Hintergrundwissen immer auch solche praktischen Aspekte, die im Arbeitsalltag genutzt werden können. Die praktische Umsetzung theoretischen Wissens zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch und macht es wirklich gut nutzbar. Es gibt jedoch auch ein paar kleine Kritikpunkte: So wird im Vorwort darauf hingewiesen, dass es sich bei dem vorliegenden Werk um ein Arbeitsbuch handelt und dieses nicht von A bis Z gelesen werden muss. Vielmehr könnten auch im Sinne eines Nachschlagewerks gezielt ausgesuchte Abschnitte genutzt werden, ohne die anderen Kapitel ebenfalls lesen zu

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müssen. Dies sollte dann allerdings auch ohne allzu viel Verwirrung möglich sein. Wer beispielsweise mit dem Kapitel über die „Sandwichposition“ einer Stationsleitung starten möchte, trifft auf einen ersten Satz, der verwirrt und nicht verstanden werden kann, ohne die letzten zwei Seiten des vorherigen Kapitels gelesen zu haben. Es wird auch nicht auf die entsprechende Seite verwiesen. Zudem hätte es dem Buch nicht geschadet, wenn den Unterstützungsmöglichkeiten für die Teamleitung etwas mehr Raum gegeben worden wäre. Insgesamt hinterlässt das Buch jedoch einen positiven Eindruck. Praxisorientierung, gespeist aus Praxiserfahrung, sowie eine zeitgemäße Auswahl der Theorien, Modelle und Methoden weisen den Weg zu einer modernen und professionellen Führungskultur – auch und gerade in den mittleren Führungsebenen der Pflegeeinrichtungen. Highlights sind auf jeden Fall der Abschnitt über das generationenangepasste Führen sowie der ausführliche Werkzeugkoffer. Martin Schieron, Dipl.-Pflegewissenschaftler (FH)/ wissenschaftl. Mitarbeiter an der Universität Bielefeld

Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2018, 168 Seiten, 29,95 Euro

Erinnern – Entspannen – Gespräche anregen facultas senior: Materialien für Altenbetreuung und Demenztraining

erscheint im März 2019

ISBN 978-3-7089-1605-7

ISBN 978-3-7089-1606-4

Erhältlich im Buchhandel und auf facultas.at/senior

ISBN 978-3-7089-1821-1


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Buchbesprechungen

Martin Hirte

Impfen – kurz & praktisch Eine Orientierungshilfe für Eltern bei der Impfentscheidung

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as Thema Impfen ist ein Dauerbrenner, aber durch die jüngst immer wieder aufgeworfene Frage einer allgemeinen Impfpflicht besonders im Fokus. Dabei ist es erst einmal falsch, vom „Impfen“ an sich zu sprechen. Die Frage ist nicht, ja oder nein, sondern was, wann, warum und welche? Jede einzelne Impfung muss für sich betrachtet werden, mit ihren Indikationen, Problemen, Kontraindikationen und unerwünschten Nebeneffekten. Eigentlich gelten die häufig emotional und unversöhnlich geführten Impfdiskussionen im gegenwärtigen Paradigma als unnötig, denn es herrscht das Dogma vor, dass Impfen immer und überall nur gut ist. Gegen diese Impfmilitanz tritt als Gegenpol die totale Impfgegnerschaft in Erscheinung. Oft wird um jede einzelne Impfung gefeilscht, dann setzt ein verbaler Machtkampf ein. Mit dem Schüren von Ängsten oder mit Beispielen und Bildern von Kindern aus armen Ländern wird dann zu überreden versucht. Viele Ärzte lassen sich auf eine Impfdiskussion gar nicht erst ein. Um solch eine unwürdige Situation zu vermeiden, ist eine angemessene und ergebnisoffene Impfaufklärung unumgänglich, und keiner kann sich einfach hinter die Empfehlungen der STIKO, der ständigen Impfkommission am Robert KochInstitut, zurückziehen: Denn nach der Patientenrechtgesetzgebung (§ 630e BGB: Aufklärungspflichten) ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, „wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können“. Aber dazu muss der aufklärende Arzt mögliche Alternativen wie reduzierte Impfschemata erst einmal selbst kennen! Neu erschienen ist jetzt das Buch „Impfen – kurz & praktisch. Eine Orientierungshilfe für Eltern bei der Impfentscheidung“. Das schlanke, übersichtliche und gut verständliche Buch stammt von Martin Hirte, dessen Buch „Impfen – Pro und Contra“ ein langjähriges, inzwischen zu einem Handbuch herangewachsenes und immer wieder aktualisiertes kritisches Standard-

werk geworden ist. Das neue Büchlein ist gut geeignet, um sich einen kurzen Überblick über die impfpräventablen Erkrankungen und die derzeitig auf dem Markt befindlichen Impfstoffe und deren Kombinationen zu verschaffen. Frischgebackene Eltern haben wenig Zeit. Sie werden sich über ein Buch freuen, welches in einer knappen Stunde durchgelesen ist und dennoch aus einer impfkritischen Position die wichtigsten Fragen und Kritikpunkte anschneidet, ohne direktiv zu sein. Wer mehr Zeit hat, dem seien etwas umfangreichere und ausführlichere Bücher ans Herz gelegt, wie auch das des Rezensenten („Maßvoll impfen“), welches sich in einem ähnlichen Tenor etwa zwischen den beiden Werken von Martin Hirte ansiedelt. Dr. Stephan Heinrich Nolte, Marburg

Knaur Taschenbuch, München 2018, 96 Seiten, 9,99 Euro

Thomas Schulz

Zukunftsmedizin Wie das Silicon Valley Krankheiten besiegen und unser Leben verlängern wird

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luttests entdecken Krebs, Computer diagnostizieren Alzheimer anhand von Hirnscans, Algorithmen warnen vor drohenden Erkrankungen, Gentherapien heilen die Bluterkrankheit mit einer einzigen Anwendung. Letzteres funktioniert, weil ein eingeschleustes Molekül die Zellen im Körper umprogrammiert, sodass sie neue Proteine produzieren, die Krankheiten bekämpfen. Der eigene Körper wird zur Medikamentenfabrik. Mit diesen Beispielen illustriert der deutsche Journalist Thomas Schulz die knackige These seines neuen Buches: Die nächste Medizinrevolution kommt aus dem Silicon Valley. Daten-Konzerne wie Google oder Amazon, aber auch Hunderte von Biotech-Start-Up-Firmen arbeiten in Kalifornien bereits an neuen datenbasierten Behandlungsmethoden. Am Ende sollen Therapien stehen, die auf jeden ein-

zelnen Patienten passgenau zugeschnitten sind, weil Computer ihre individuelle Krankengeschichte und ihr Erbgut analysieren und Lösungen ausspucken. Die Zukunft gehört laut Schulz der „personalisierten Medizin“, die die Massenmedizin mit ihren Medikamenten für alle ablöst. Der Autor bietet einen gelungenen Überblick über neue Ansätze der Datenmedizin. Allerdings verliert er zweierlei aus dem Blick: Noch ist unklar, welche Versprechungen der Hersteller die neuen Methoden wirklich einlösen können. Das müssen erst noch klinische Tests und die Praxis klären. Genauso offen ist, wer am Ende von den neuen Therapien profitieren wird. Der Autor verliert jedenfalls kein Wort über die zwei Milliarden Menschen, die laut der Weltgesundheitsorganisation WHO heute noch nicht mal Zugang zu den elementaren Medikamenten haben. Das Schweigen ist kein Wunder: Die Produkte der digitalen Medizin werden sich die meisten Patienten in Ländern des globalen Südens nicht leisten können. Die erste Gentherapie, die Blinde heilen soll, heißt „Luxturna“ und soll 850.000 US-Dollar pro Patient kosten. Der Schweizer Pharmakonzern Novartis verlangt in den USA für seine Immuntherapie „Kymriah“ gegen seltene Formen der Leukämie 475.000 US-Dollar. Daher spitzt die neue digitale Medizin auch im globalen Norden die Frage weiter zu, die dort durch exorbitant teure Heilmittel gegen Krebs oder Hepatitis C aufgeworfen wurde: Wie können solidarisch getragene Krankenversicherungen teure Therapien noch finanzieren, die nur wenigen Patienten zugutekommen? Hier gibt es nur eine Antwort: Entweder schaffen es die Politiker, die Profitinteressen der Konzerne zu zügeln und nicht-kommerzielle Modelle der Medikamentenentwicklung zu etablieren, oder nur wenige Patienten werden in den Genuss der neuen Behandlungen kommen. Der Autor blendet diese entscheidende Problemstellung weitgehend aus. Eric Breitinger, Autor und Redakteur, Pratteln/Schweiz

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018, 288 Seiten, 20 Euro Dr. med. Mabuse 236 · November / Dezember 2018


Buchbesprechungen

Geschichte der internationalen Gesundheitspolitik 1940–1970

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esundheit ist ein Zustand des vollständigen kĂśrperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ Diese wohl bekannteste Definition von Gesundheit ist wahrscheinlich jeder im Gesundheitswesen tätigen Person schon einmal begegnet. Viele werden auch wissen, dass die World Health Organisation (WHO) hinter dieser Definition steht, die sie in ihrem GrĂźndungsjahr 1946 formuliert hat. Doch viel mehr Ăźber die Geschichte der WHO werden sicherlich nur die wenigsten wissen. Die Bekämpfung von Krankheiten und die Stärkung der Gesundheit waren in der Geschichte lange Zeit vor allem Aufgaben der einzelnen Territorialherren beziehungsweise Nationalstaaten. Internationalisierungs- und Globalisierungsprozesse haben dazu gefĂźhrt, dass seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gesundheit und Krankheit zentrale Themen auf weltpolitischer Ebene wurden. Die GrĂźndung der WHO ist wohl der sichtbarste Ausdruck dafĂźr. Der internationalen Gesundheitspolitik von 1940 bis 1970 nimmt sich Thomas Zimmer in seinem Buch mit dem gewollt utopisch anmutenden Titel „Welt ohne Krankheit“ an. Dem Autor geht es dabei vor allem darum, drei Leitfragen zu klären: Warum wurde die Vorstellung einer kollektiven Weltgesundheit in dieser Zeit so populär? Wie prägte die Idee einer Weltgesundheit die Institutionalisierung derselbigen? Und wie verhielt sich die internationale Gesundheitspolitik im Verhältnis zu den politischen Spannungsfeldern des 20. Jahrhunderts? Bei solch einem umfassenden Anliegen ist es nachvollziehbar, dass nicht alle Formen der internationalen Gesundheitspolitik umfassend untersucht werden kĂśnnen, daher hat sich Zimmer auf vier Untersuchungsfelder konzentriert: auf die Rolle der WHO als wichtigste Organisation auf dem Feld der internationalen Gesundheitspolitik sowie die Funktion der USA auf diesem Gebiet, auf den Stellenwert Indiens als zentraler Akteur und auf die Bedeutung einzelner Gesundheitsexperten. Die Quellenbasis der Studie ist sehr Dr. med. Mabuse 236 ¡ November / Dezember 2018

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Ăœb e rset z t un d b e arb eit et vo n E va - Lot t a B rake m eie r, I s ab e l S c h amo n g un d Simo n B o llm ann; inkk l. D ow nl o a d - M a t. 2018. 160 S eit e n, b ros c hie r t â‚Ź 34,99 ( D ) . I SB N 978 - 3 - 608 - 43291- 6

Welt ohne Krankheit

umfangreich und besteht unter anderem aus Verlagspublikationen, VerĂśffentlichungen von Organisationen und Archivmaterial (etwa aus dem WHO-Archiv). Das Buch besteht aus fĂźnf Hauptkapiteln, die chronologisch aufgebaut sind. Im ersten Kapitel werden ausgehend von den ersten internationalen Gesundheitskonferenzen ab 1851 die Anfänge und Vorläufer der internationalen Gesundheitspolitik beschrieben. Als zentralen Akteur, der die internationale Gesundheitspolitik voranbrachte, kann Zimmer die Rockefeller Foundation ausmachen und damit auch die Rolle nicht staatlicher Organisationen im politischen Bereich herausarbeiten. Im zweiten Kapitel steht mit der GrĂźndungsgeschichte der WHO die eigentliche Startphase der internationalen Gesundheitspolitik im Zentrum. Der dritte Teil widmet sich der Weltgesundheit im Spannungsfeld der internationalen Beziehungen und hier besonders dem Umgang mit Kolonien und dem Kalten Krieg. Im anschlieĂ&#x;enden vierten Kapitel stehen die Inhalte und MaĂ&#x;nahmen der Weltgesundheitspolitik im Mittelpunkt: Es geht beispielsweise um die zu Beginn der Arbeit der WHO gestarteten 50 Pilotprojekte zur Eindämmung von Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten und Malaria. Dabei stand oftmals Indien im Fokus der WHO, da es als der „Krankheitsherd“ schlechthin galt. Das abschlieĂ&#x;ende Kapitel widmet sich den ersten Krisen der internationalen Gesundheitspolitik in den 1960er-Jahren, etwa dem Abbruch des Malaria Eradication Programms, und gibt einen Ausblick auf die Zeit nach 1970. Zimmers Untersuchung ist fĂźr die Medizingeschichte ein groĂ&#x;er Gewinn, denn insbesondere in der Neuzeit lassen sich viele, auch mikrohistorische Entwicklungen nur verstehen, wenn man neben den Besonderheiten des Untersuchungsgebietes auch globale Entwicklungen einbezieht und reflektiert. Pierre PfĂźtsch, Stuttgart

NEU Giovanni A. Fava

Well-Being Therapie (WBT) Eine Kurz zeit therapie zur psychischen Stabilisierung. Behandlungsmanual – Arbeitsmaterialien – Klinische Anwendungen Wie kann Psychotherapie eine Haltung vermitteln, durch die Patienten ihr Wohlbefinden aktiv selbst beeinflussen kĂśnnen, auch unabhängig von ihrer StĂśrung? Dieses Buch zeigt, wie dies Sitzung fĂźr Sitzung mit dem neuen Well - Being-Therapie - Ansatz (WBT), basierend auf der positiven Psycholo gie, gelingt.

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Reih e Wis s e n & L e b e n 2018. 337 S eit e n, 10 A b b., b ros c hie r t â‚Ź 24,99 ( D ) . ISBN 978 -3- 608 - 43292-3

Thomas Zimmer

Fre d Christmann

Faszination Psyche Sich selbst und andere besser verstehen Wer sich selbst und andere besser versteht, hat es ein ganzes StĂźck weit leichter im Leben. Das neue Buch des bekannten Verhaltenstherapeuten Dr. Christmann Ăśffnet die TĂźren zu den faszinierenden Facetten unserer Psyche. Sie werden feststellen: Nichts ist bloĂ&#x;e Wissenschaf t, alles betriff t Sie persĂśnlich.

Wallstein Verlag, GĂśttingen 2017, 439 Seiten, 42 Euro

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Buchbesprechungen

Harald Blonski

Hoffnung im Alter Eine interdisziplinäre Betrachtung

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arald Blonksi thematisiert in dem von ihm herausgegebenen Sammelband das interkulturelle Phänomen Hoffnung. Dabei fokussiert der Sozialpädagoge und Psychogerontologe die Bedeutung von Hoffnung für alte Menschen. Er lädt dazu Experten verschiedener Disziplinen ein. So entsteht ein facettenreiches Bild mit Perspektiven der pflegerischen Versorgung und der Pflegewissenschaft, der psychotherapeutischen Arbeit und Beratung, der Seelsorge und des Rechts. Die Publikation enthält neben einer Einleitung von Blonski sieben Beiträge verschiedener AutorInnen. In der Einleitung legt Blonski mit Einblicken in seine Tätigkeit in der Altenhilfe seinen persönlichen Bezug zum Thema dar. Über die Etymologie des Begriffs Hoffnung führt er dann zu ausgewählten Hoffnungskonzepten und deren Anwendungsbereichen. Damit leitet er die Vorstellung der sich anschließenden Kapitel ein. Die Psychologin Hanne Seemann zeigt mit einer Fallvignette, wie sich in einer reflektierten Selbstwahrnehmung die Beurteilung der Lebensbilanz positiv verändern kann. Brigitte Dorst, die Leiterin des Sophia-Zentrums für Meditation und spirituelle Psychologie in Münster, beschreibt in ihrem Beitrag „Hoffnung und Ermutigung in schwierigen Zeiten“ die vielen Gesichter, die das Alter hat, sowie Alterskrisen mit ihren Ursachen und Symptomen. Danach erläutert sie, welche Bedeutungen der Hoffnung in der Lebensphase Alter zugeschrieben werden. Die Pflegewissenschaftlerin Angelika Zegelin thematisiert „Hoffnung und Pflegebedürftigkeit“. Sie legt das Hoffnungsverständnis in der Pflegearbeit dar und veranschaulicht an einem Fallbeispiel, dass Ermutigung eine pflegerische Aufgabe ist. In weiteren Beispielen aus ihrer beruflichen Praxis zeigt sie eindrücklich, wie Hoffnungsunterstützung im Altenheim, auf der Intensivstation oder im Hospiz geleistet werden kann. Corinna Schmohl berichtet als Pfarrerin von ihren seelsorgerischen Erfahrungen im Krankenhaus und verbindet Hoffnung mit Spiritualität und Fragen nach dem Sinn des Lebens. Ergänzt wird die

theologische Sicht auf Hoffnung im Alter durch „Reflexionen aus Bibel und Pfarrei“ vom Pfarrer Willi Stroband. Die Soziologin Margot Klein widmet sich dem Thema „Hoffnung und Hoffnungslosigkeit in der Beratung älterer Menschen“, gespeist aus eigenen Erfahrungen in einer Beratungsstelle. Rechtsanwalt Jürgen Rieck beleuchtet mit seinem Beitrag juristische Aspekte zur Hoffnung im Alter. Er geht dabei auch auf Themen wie Selbstbestimmung und Patientenverfügung ein. Die vorliegenden Beiträge bieten interessante und teilweise neue Einblicke in die Handlungsfelder von Gerontologie, Pflege, Psychologie, Soziologie und Seelsorge, deren VertreterInnen mit ihren Erfahrungen im Umgang mit alten Menschen das Thema Hoffnung, wie im Titel angekündigt, einer interdisziplinären Betrachtung zuführen. Die Publikation ist für Personen empfehlenswert, die einen gut verständlichen Zugang zum Thema Hoffnung suchen. Die darin enthaltenen Denkanstöße können zur Selbstreflexion und als Diskussionsgrundlage in interdisziplinären Teams dienen. Univ.-Prof. Dr. Margit Haas, Universität Trier

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2018, 184 Seiten, 24,95 Euro

Werner Bartens

Emotionale Gewalt Was uns wirklich weh tut: Kränkung, Liebesentzug und wie wir uns dagegen schützen

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erner Bartens ist leitender Redakteur des Wissenschaftsressorts der Süddeutschen Zeitung und für seine medizinkritische Grundhaltung bekannt. In diesem Sachbuch begründet er seine These, dass emotionale Gewalt nach wie vor ein unterschätztes Problem für jeden Einzelnen von uns sein kann und darüber hinaus destruktiv in die Gesellschaft hineinwirkt: „Kränkung, Erniedrigung und Missachtung sind nicht nur schmerzhaft und verletzend, sie können das Seelen-

heil massiv beschädigen und Menschen dauerhaft krank machen“ (S. 14). Der Autor stützt seine Aussagen auf eine gut dokumentierte Literaturauswahl sowie auf zahlreiche Gespräche mit VertreterInnen der psychosozialen Disziplinen wie der klinischen Medizin und der Ethik. Es wird breit erläutert, was unter emotionaler Gewalt im Alltag, in der Familie, in der Arbeitswelt, in jeder Begegnung verstanden werden muss, und dass es auch wichtig ist, nicht jeden unvermeidlichen Konflikt sogleich als krankmachend zu bezeichnen. Bartens legt Wert darauf, dass es in begrenztem Umfang sehr wohl möglich und notwendig ist, sich gegen erfahrene emotionale Gewalt zur Wehr zu setzen. Das setzt voraus, dass dieses Thema öffentlich verhandelt wird, dass es in die Bildungsgänge Einzug hält, was am Beispiel Gegenwehr gegen Mobbing ja auch ansatzweise schon geschieht. Bartens geht schließlich darauf ein, welche Möglichkeiten pharmakologische und vor allem psychotherapeutische und beratende Ansätze zur Linderung von psychischem Leid bieten, wenn aus Kränkung Krankheit geworden ist oder deren Eintritt befürchtet wird. Dabei werden Trends angesprochen, wie der Einsatz von Schmerzmitteln „gegen Liebeskummer, Einsamkeit und Gemeinheiten vom Chef“ – inzwischen in der Realität keine Fiktion mehr und natürlich potenziell hoch problematisch. Bartens fordert verstärkte Forschung zu den psychoemotionalen Folgen der Einnahme von Schmerzmitteln. Darüber hinaus werden Studien zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung besprochen. Hier wäre es ratsam gewesen, auf methodische Probleme wie vor allem das Fehlen von Langzeitergebnissen hinzuweisen. Leider ist der einschlägige Bericht des Kompetenzzentrums Psychiatrie und Psychotherapie des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen noch nicht veröffentlicht – ist die Posttraumatische Belastungsstörung ja nun fraglos ein lange Zeit verkanntes und wohl auch noch immer unterschätztes Problem für das Gesundheitssystem und viele andere gesellschaftliche Institutionen. Nicht zuletzt weist Bartens mehrfach darauf hin, wie wichtig die primäre Prävention im Falle emotionaler Gewalt bleibt. Das ist ein – auch mit aktuellen politischen Beispielen versehener – HinDr. med. Mabuse 236 · November / Dezember 2018


weis auf den großen historischen Gewinn, den zivile Gesellschaften für jeden Einzelnen bedeuten. Norbert Schmacke, Bremen

Rowohlt Berlin, Berlin 2018, 304 Seiten, 20 Euro

Michael Hölzer, Wolfgang Wöller, Götz Berberich (Hg.)

Stationäre Psychotherapie Von der Anmeldung bis zur Entlassung

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ie stationäre Psychotherapie boomt, wenn auch mit ungewisser Zukunft und trotz eines nie da gewesenen ambulanten Psychotherapieangebotes. Minimal bietet sie eine Art „Auszeithaus“ – auch für die, die in der ambulanten Psychotherapie keinen Platz finden. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass therapeutische Angebote in einem geschützten Rahmen wirksam werden können. Dennoch braucht es mehr als einen Ort, in dem das Essen auf den Tisch gestellt und das Bewegungsprogramm angeleitet wird. Als Ergebnis eines langjährigen Qualitätszirkels psychosomatischer Chefärzte unterschiedlicher Therapieausrichtungen haben die Herausgeber zusammengestellt, was zur Therapie dazugehören sollte – von der Anmeldung bis zur Entlassung. Entstanden ist so ein sehr dickes Buch, das mit unterschiedlichen Therapiefacetten beschreibt, was eine vollstationäre und teilstationäre Behandlung ausmachen kann. Es verdeutlicht darüber hinaus auch, was idealerweise für ein multiprofessionelles Zusammenwirken bedeutsam ist, vom Hausmeister über die ÄrztInnen, die PsychotherapeutInnen, das Pflegepersonal und die Co-TherapeutInnen. Auch die Rolle der MitpatientInnen wird reflektiert. Hinzu kommen Fragen hinsichtlich der Indikationen, der Diagnostik, der Medikation und nicht zuletzt die immer wieder über allem schwebenDr. med. Mabuse 236 · November / Dezember 2018

den Themen der juristischen Absicherung und der finanziellen Rendite. Dieser „Hauptteil“ des Buches kann für die eine gute Orientierung bieten, die sich in die Institution „stationäre Psychotherapie“ begeben – sei es „freiwillig“ oder notgedrungen als Zwischenschritt auf dem Weg zur Approbation oder um Fachwissen zu erwerben. Dazu ist das Buch eine Fundgrube sowohl an theoretischen Ansätzen wie als Orientierungsmöglichkeit für den Soll-Zustand, um im Zweifel auch den Ist-Zustand daran abzumessen. Spannende Fragen werden im Vorwort und im Abspann gestellt: — Welche Funktion hat Psychotherapie im gesellschaftlichen System und wie könnte meine persönliche Rolle darin sein? — Kann stationäre Psychotherapie mehr als eine Auszeit bedeuten, um eine Reparatur oder eine Erholung für „bedrohte Randgruppen“ zu ermöglichen? — Wie viel Begegnung und Therapie im psychotherapeutischen Sinne ist im kassenärztlich bezahlten Rahmen realisierbar, unter Bedingungen, in denen eher Personalmangel und ein zunehmender Bürokratisierungswahn herrschen? – Wie gehe ich mit den Versuchungen und Ansprüchen der privat versicherten Klientel um? — Wie weit noch müssen sich die AkteurInnen dem Primat der Ökonomie beugen und was bleibt dann noch? — Wie kann stationäre Psychotherapie für die nachfolgenden Berufsgruppen attraktiv werden? Fragen, für die es keine einfachen Antworten gibt, die aber auf der Tagesordnung stehen und von den LeserInnen entlang des Buches auf einer soliden Grundlage reflektiert werden können. Dr. med. Helmut Schaaf, Bad Arolsen, www.drhschaaf.de

Schattauer Verlag, Stuttgart 2018, 627 Seiten, 79,99 Euro

GIN MACHT DÜNN, SAUNA IST GUT GEGEN DEMENZ, WER AUF FACEBOOK VERZICHTET, IST GLÜCKLICHER, ROTWEIN HÄLT LÄNGER JUNG...

WER’S GLAUBT. ZWEI WISSENSCHAFTLER RÄUMEN MIT DEN MEDIZINMYTHEN AUF.

AB

18.9. IM HANDEL

VON: DR. MARLEEN FINOULST UND DR. PATRIK VANKRUNKELSVEN 224 SEITEN, ZWEIFARBIG, KARTONIERT € 14,90 (D), € 15,40 (A) ISBN 978-3-86851-171-0


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