ISBN 978-3-86321-306-0
www.mabuse-verlag.de
Häusliche Pflege und Paternalismus
Die Ergebnisse zeigen, dass diese Personen anhaltenden Stress- und Belastungssituationen ausgesetzt sind. Dabei stellen sie häufig hohe Ansprüche an sich selbst und leiden vielfach unter Schuldgefühlen. Entscheidungen für die älteren Angehörigen werden immer wieder paternalistisch getroffen, was ein enormes Konfliktpotenzial birgt. Das Buch richtet sich sowohl an Betroffene und Interessierte als auch an Fachpersonen.
Benjamin Schmidt
Häusliche Pflege und Paternalismus Intergenerationelle Beziehungskonflikte und Belastungen
Benjamin Schmidt
Menschen, die ältere Angehörige betreuen, sind vielen Belastungen ausgesetzt. Welche psychischen und sozialen Auswirkungen die Pflegesituation auf sie hat und wie Rollenanforderungen, Beziehungs- und Entscheidungskonflikte diese beeinflussen, untersucht diese Arbeit. Im Fokus stehen insbesondere Menschen, die sowohl hilfebedürftige ältere Angehörige betreuen als auch eigene Kinder großziehen, sich also in einer sogenannten Sandwich-Position befinden.
9 783863 213060 ISBN 978-3-86321-306-0
Mabuse-Verlag
(iUSLICHE 0FLEGE UND 0ATERNALISMUS ¯ )NTERGENERATIONELLE "ELASTUNGEN UND "EZIEHUNGSKONFLIKTE
ZUR SITUATION P¾EGENDER AP¾EGENDERPFFFFFFFFFFFFF¾LENGERNGEHyRIGER
Der Autor Benjamin Schmidt, Dr., Pflegewissenschaftler, Diplom-Pflegewirt (fh), arbeitet in Forschung und Lehre am Department für Gerontologie und demografische Entwicklung der Landesuniversität Tirol (umit) und am Forschungsinstitut für Bildung, Altern und Demografie (fibad). :UR 3ITUATION P¾EGENDER !NGEHyRIGER
"ENJAMIN 3CHMIDT
(iUSLICHE 0FLEGE UND 0ATERNALISMUS ¯ )NTERGENERATIONELLE "ELASTUNGEN UND "EZIEHUNGSKONFLIKTE
-ABUSE 6ERLAG &RANKFURT AM -AIN :UR 3ITUATION P¾EGENDER !NGEHyRIGER
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren AutorInnen und zum Verlag finden Sie unter: www.mabuse-verlag.de. Wenn Sie unseren Newsletter zu aktuellen Neuerscheinungen und anderen Neuigkeiten abonnieren möchten, schicken Sie einfach eine E-Mail mit dem Vermerk „Newsletter“ an: online@mabuse-verlag.de. © 2016 Mabuse-Verlag GmbH Kasseler Straße 1 a 60486 Frankfurt am Main Tel.: 069-70 79 96-13 Fax: 069-70 41 52 verlag@mabuse-verlag.de www.mabuse-verlag.de www.facebook.com/mabuseverlag Satz und Gestaltung: Walburga Fichtner Umschlaggestaltung: Franziska Brugger und Marion Ullrich, Frankfurt am Main Umschlagabbildung: © Rauluminate / istockphoto.com Druck: Beltz Bad Langensalza GmbH ISBN 978-3-86321-306-0 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten :UR 3ITUATION P¾EGENDER !NGEHyRIGER
)NHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
%INLEITUNG
:UM 3TAND DER &ORSCHUNG
2.1 2.2
Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter Zur Situation pflegender Angehöriger
)NTERGENERATIONALE &AMILIENBEZIEHUNGEN 4HEORIETEIL )
3.1
Zum Ansatz des Generationenkonzeptes 3.1.1 Konzeptionelle Annäherung 3.1.2 Gesellschaftliche Generationen 3.1.3 Familiale Generationen Veränderungen der Familienstrukturen 3.2.1 Biografie der Familie 3.2.2 Familienstruktur und demographischer Wandel 3.2.3 Die multilokale Mehrgenerationenfamilie Familiale Unterstützungen 3.3.1 Familiale Bindungen 3.3.2 Sozialpolitik und familiale Unterstützungen Generationenkonflikte 3.4.1 Ambivalenz in familialen Generationenbeziehungen 3.4.2 Kooperation und Konflikt
7EITERE INTERDISZIPLINiRE 'RUNDLAGEN 4HEORIETEIL ))
4.1
Systemische Betrachtungsweisen 4.1.1 Systemtheoretische Grundlagen 4.1.2 Systemische Beziehungsansätze
3.2
3.3
3.4
Zum Konzept des Paternalismus 4.2.1 Konzeptionelle Ann채herung 4.2.2 Zum medizinischen Paternalismus 4.2.3 Paternalismus in Betreuungssituationen Relevante gerontologische Bez체ge 4.3.1 Gerontologische Begriffe 4.3.2 Alter als soziale Konstruktion 4.3.3 Gesellschaftliche und wissenschaftliche Bedeutung 4.3.4 Lebensverl채ufe aus gerontologischer Perspektive Pflegebezogene Grundlagen 4.4.1 Pflegebed체rftigkeit und Betreuungsbedarf 4.4.2 Auswirkungen auf Betreuung in Familien
-ETHODIK UND &ORSCHUNGSPROJEKT
5.1
5.2
Methodologische Aspekte 5.1.1 Aspekte qualitativer Sozialforschung 5.1.2 Zum qualitativen Interview 5.1.3 Zum Experteninterview 5.1.4 Induktive Kategorienbildung nach Mayring 5.1.5 Aspekte der Grounded-Theory-Methodologie Forschungsprojekt 5.2.1 Forschungsziel und Forschungsfragen 5.2.2 Forschungsgruppen 5.2.3 Methode und Erhebungsinstrumente 5.2.4 Datenerfassung und Datenauswertung 5.2.5 Ablauf 5.2.6 Zu erwartende Ergebnisse
$ARSTELLUNG DER %RGEBNISSE
6.1
Ergebnisse der Forschungsgruppe 1 6.1.1 Darstellung der Daten und Kategorienbildung 6.1.2 Kategorien der Forschungsgruppe 1
4.2
4.3
4.4
6.5
6.1.4 Eindrücke und Erkenntnisse des Autors 6.1.5 Ableiten von Schlussfolgerungen Ergebnisse der Forschungsgruppe 2 6.2.1 Darstellung der Daten und Kategorienbildung 6.2.2 Kategorien der Forschungsgruppe 2 6.2.4 Eindrücke und Erkenntnisse des Autors 6.2.5 Ableiten von Schlussfolgerungen Beantworten der Forschungsfragen Ergebnisse der Forschungsgruppe 3 6.4.1 Darstellung der Daten und Kategorienbildung 6.4.2 Ausgewählte Experten der Forschungsgruppe 3 6.4.3 Kategorien der Forschungsgruppe 3 Ableiten von Interpretationsansätzen
$ISKUSSION RELEVANTER %RGEBNISSE
7.1 7.2 7.3
Interpretationsansätze Kritische Würdigung der methodischen Vorgehensweise Belastungserleben und Auswirkungen auf die Beziehungen
3CHULD UND "EZIEHUNGEN
8.1
Schuld – eine begriffliche Differenzierung 8.1.1 Zur Herkunft und Entwicklung des Begriffs 8.1.2 Begriffliche Verwendung in verschiedenen Disziplinen Schuld und Beziehungsgerechtigkeit 8.2.1 Schuld in der Mehrgenerationenperspektive 8.2.2 Ein kultureller Diskurs 8.2.3 Schuld zwischen Eltern und Kindern 8.2.4 Finanzielle Reduktion der Schuld Schuld und Entscheidungen 8.3.1 Dilemmata in Betreuungssituationen 8.3.2 Paternalismus im Betreuungsalltag
6.2
6.3 6.4
8.2
8.3
8.4
Relevante Grundlagen zur Konfliktbewältigung 8.4.1 Individuation 8.4.2 Das Innere Parlament
!USBLICK
9.1 9.2 9.3 9.4
Zusammenschau Limitation Weiterer Forschungsbedarf Anstatt eines Ausblicks
,ITERATURVERZEICHNIS !NHANG $ANKSAGUNG
6ORWORT
Die vorliegende Abhandlung geht auf einen Text zurück, der Ende 2012 an der Tiroler Landesuniversität (umit) Hall i. Tirol mit dem Titel „Paternalismus in Familien – Belastung bei der Betreuung älterer Familienangehöriger“ als Dissertation eingereicht wurde. Der Autor bearbeitete mit dieser Promotion ein bisher vernachlässigtes Forschungsfeld in der familiensoziologischen Alternsforschung. Sowohl Gerontologie wie auch Familiensoziologie sind multidisziplinäre Forschungsfelder mit dem Anspruch, durch interdisziplinären Dialog zu einer Transdisziplinarität zu gelangen. Diese Schrift basiert auf einer interessanten Forschungsfrage: „Wie nehmen betreuende Personen die Belastung bei der Betreuung älterer Angehöriger wahr und welchen Einfluss hat dies auf die persönlichen Beziehungen?“ Die Idee, drei unterschiedliche Gruppen zu befragen und die Ergebnisse zu vergleichen ist innovativ. Der Verfasser demonstriert, dass er in der Lage ist, wissenschaftliche Theorien unterschiedlicher Disziplinen inhaltlich zu bearbeiten. Er geht auf die Bedeutung von intergenerationalen Familienbeziehungen ein. Bedeutsam erscheint mir die Veränderung der Familienstrukturen und zukunftsweisend der Ansatz der „multilokalen Mehrgenerationenfamilie“. Weiterhin zeigt der Autor die systemische Betrachtungsweise von Familien und Bindungen, paternalistische Entscheidungskonflikte und relevante gerontologische Bezüge auf. Hier entwickelt er eine umfassende Darstellung des Begriffes und Konzeptes des Paternalismus als theoretisches Fundament seiner Darlegungen. Erwähnenswert erscheinen mir seine Theorien zu „Schuld und Beziehung“. Ein gelungenes Kapitel, das m. E. als ,Filetstück‘ betrachtet werden kann. Neben der Herleitung des Schuld-Begriffes, seine Verwendung in den verschiedenen Disziplinen, geht er auf familientherapeutische Ansätze ein und differenziert so die paternalistische Verpflichtung gegenüber Angehörigen. Eine hervorragende Monografie, die begeisternd zu lesen ist und in der die familiensoziologische Situation um Familienangehörige aus einer niveauvollen Perspektive beschrieben wird. Mit dieser Lektüre wünsche ich dem interessier6ORWORT
ten Leser Einblicke in die familiensoziologische Alternsforschung; vor allem das Erkennen von Zusammenhängen über die Alltags- und Lebenssituation von pflegenden Familienangehörigen. Die Bedeutung der vorliegenden Schrift liegt in ihrer theoretischen Fundierung und Verquickung. Mit klarer Sprache und Engagement lässt sich ohne Zweifel erkennen, dass sich Dr. Benjamin Schmidt sicher im Wissenschaftsfeld zu bewegen weiß.
Univ.-Prof. Dr. Bernd Seeberger Institut für Gerontologie und demografische Entwicklung Hall in Tirol / im Januar 2016
6ORWORT
%INLEITUNG
Der soziodemographische Wandel und daraus resultierende erhöhte Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit im Alter stellen sowohl die Familien als auch die gesamte Gesellschaft vor erhebliche Herausforderungen. Die meisten betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen werden überwiegend ambulant und häufig sogar einzig und allein von den Familien versorgt. Besonders die Betreuung und Pflege demenziell erkrankter Angehöriger kann dabei für die Familien eine Überforderung darstellen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2002, S.21). Gesellschaftliche und sozialpolitische Veränderungen sind somit von enormer Bedeutung. Denn die „[…] Familie, aktuell die größte und leistungsfähigste „Pflegeinstitution“, wird in Zukunft […] immer weniger Pflegepotenzial bereitstellen können“ (Thelen, Scheidt-Nave et al. 2012, S.995). Die Belastungen und Anforderungen für die Familien werden somit weiter zunehmen. Gesellschaftliche Entwicklungen und sozialpolitische Rahmenbedingungen erfüllen ihre Anforderungen bislang nicht, was durch Forderungen nach dringenden strukturellen Veränderungen verdeutlicht werden kann (Thelen, Scheidt-Nave et al. 2012, S.991f.). Die Brisanz dieses Themas kann zudem an der Medienpräsenz und einer Vielzahl veröffentlichter Ratgeber und Informationsbroschüren zu Belastungen pflegender und betreuender Angehöriger verdeutlicht werden. Auch die Diskussionen um meist osteuropäische Pflegekräfte als Haushaltsunterstützung weisen auf die hohen Belastungen der Familien und auch fehlende Unterstützung hin. Pflege und Betreuung von Familienangehörigen haben Einfluss auf das gesamte Familiensystem. Aufgrund demographischer Entwicklungen sehen sich pflegende und betreuende Angehörige immer häufiger mehreren Generationen gegenüber verpflichtet; sie befinden sich in einer Sandwich-Position zwischen eigenen Kindern und den Eltern. Pflegende und betreuende Menschen werden dabei häufig von ihren älteren Angehörigen parentifiziert. Dies kann zu hoher Verantwortung für die älteren Angehörigen und schwierigen Entscheidungen führen. (Ernst 2008, S131f.) Der Autor der vorliegenden Studie kam bereits in %INLEITUNG
einer vorangegangenen Untersuchung mit dem Titel „In Würde altern“ (Billmann, Schmidt, Seeberger 2009) zu der Erkenntnis, dass Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit erhebliche soziale Auswirkungen mit sich bringen und stets von schwierigen Entscheidungs- und Bestimmungskonflikten begleitet werden. Die eingeschränkte Autonomie hilfebedürftiger Personen spielt dabei stets eine entscheidende Rolle. Eigene Erwartungen und Ansprüche der pflegenden und betreuenden Personen stehen dabei häufig in einem ambivalenten Verhältnis zu den Bedürfnissen und Erwartungen der hilfebedürftigen Menschen. Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung zu dem Belastungserleben von Menschen in Betreuungssituationen und den Auswirkungen auf deren persönliche Beziehungen ist somit von großer Bedeutung. Die vorliegende Studie verfolgt somit das Ziel, sich dem Belastungserleben bei der Betreuung älterer Angehöriger auf interdisziplinäre Weise zu nähern. Verdeckt liegende Motive, Konflikte, soziale Auswirkungen und Veränderungen des Beziehungsverhaltens der beteiligten Personen stehen dabei im Fokus der Forschung. Auf Basis der Pflegewissenschaften findet eine Annäherung an dieses Forschungsthema unter interdisziplinärer gerontologischer Perspektive statt. Schwerpunkt liegt bei der theoretischen Ausarbeitung des relevanten familiensoziologischen Bezugsrahmens und psychologisch relevanter Einflussfaktoren. Es findet somit eine deutliche Abgrenzung von dem Begriff der Pflegebedürftigkeit und der häuslichen Pflege von älteren Angehörigen statt. Denn nicht die pflegerischen Belastungen, sondern vielmehr Beziehungs- und Bindungskonflikte, Veränderungen im Sozialleben sowie den Einfluss gesellschaftlicher und sozialstaatlicher Entwicklungen gilt es dabei zu erfassen. Durch diese Vorgehensweise soll eine multiperspektivische Datenlage geschaffen werden, um die Veränderungen im Leben dieser Menschen unter Berücksichtigung unterschiedlichster Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu beschreiben. In Kapitel 2 wird eine umfangreiche Literaturrecherche dargestellt, die sich dem Thema auf Basis verschiedener Ansätze annähert. Der Stand der Forschung bezieht sich dabei auf das Jahr 2012. Hierbei werden relevante Studien und Erkenntnisse sowohl zu Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter als auch zur Situation pflegender Angehöriger dargestellt. Im darauffolgenden Kapitel 3 werden relevante familiensoziologische Grundlagen aufgezeigt. Dabei werden das Generationenkonzept, Entwicklungen der Familienstrukturen %INLEITUNG
unter Einfluss des Sozialstaates und des soziodemographischen Wandels sowie Transfer- und Unterstützungsleistungen der einzelnen Familienmitglieder thematisiert. Auch Konfliktpotentiale und die Ambivalenz der Generationenbeziehungen werden dabei einbezogen. Grundsätzlich gilt es zu erwähnen, dass die oftmals medial heraufbeschworenen Generationenkonflikte in dieser Form eher selten zu beobachten sind. Im Gegenteil, intergenerationale Familienbeziehungen im Erwachsenenalter zeichnen sich vielmehr durch ein hohes Maß an Solidarität und Kooperationsbereitschaft aus. Dennoch beinhalten diese Beziehungen enormes Konfliktpotential und werden mit unterschiedlichsten Belastungen – emotional, psycho-sozial, ökonomisch, rechtlich etc. – konfrontiert. Daher werden nachfolgend in Kapitel 4 weitere relevante theoretische Grundlagen fokussiert. In diesen Zusammenhang werden sowohl systemische und gerontologische als auch bindungsbezogene Zusammenhänge erörtert. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf das Konzept des Paternalismus gelegt. Weiter werden neben einem interdisziplinären Blick auf die beziehungsebene und deren Rahmenbedingungen auch konkrete pflege- und betreuungsrelevante Grundlagen und Einflussfaktoren aufgeführt. Neben statistischen Daten sind auch aktuelle rechtliche und politische Entwicklungen – insbesondere ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff – zu nennen. Das darauffolgende Kapitel 5 beschreibt methodologische Grundlagen und das Vorgehen des Forschers. In dem folgenden Kapitel 6 werden die Ergebnisse der einzelnen Forschungsgruppen dargestellt und Interpretationsansätze abgeleitet. Im siebten Kapitel werden ausgewählte Interpretationsansätze diskutiert. Thematisiert wird dabei das Belastungserleben bei der Betreuung der Eltern und dessen Auswirkungen auf persönliche und familiale Beziehungen. In diesem Zusammenhang kann etwa die Annahme formuliert werden, dass eine Betreuung der Eltern das eigene Altern erschwert und eigene persönliche Lebensverlaufsplanungen dadurch enorm irritiert werden. Zudem gilt es zu diskutieren, dass eine Sandwich-Position im mittleren und hohen Erwachsenenalter zwischen eigenen Kindern und pflege- und hilfebedürftigen Eltern in Betreuungssituationen zu enormen Belastungen führt. Weiter soll ein Blick auf das multidimensionale Belastungserleben dieser Menschen geworfen werden. Aufgrund der Tatsache, dass empfundene Schuld und Entscheidungskonflikte nahezu die gesamte Betreuungssituation begleiten und beeinflussen, werden diese Themen darauffolgend in Kapitel 8 nochmals detailliert diskutiert. Hier%INLEITUNG
bei wird neben einer differenzierten Annäherung an den Schuld-Begriff v.a. Beziehungsgerechtigkeit in einer Mehrgenerationenperspektive erörtert. Nach einem kulturellen Diskurs dieser Bindungen werden die Beziehungsqualität und das Schuldempfinden in Eltern-Kind-Beziehungen betrachtet. Danach werden sowohl Dilemmata in Betreuungssituationen und besonders der Paternalismus im Betreuungsalltag als auch Lösungsansätze und Strategien beschrieben. Im letzten und neunten Kapitel werden Zusammenschau, Limitation und sich ergebende weitere Forschungsansätze dargestellt.
%INLEITUNG
:UM 3TAND DER &ORSCHUNG
'ENERATIONENBEZIEHUNGEN IM %RWACHSENENALTER :UR 3ITUATION PFLEGENDER !NGEHyRIGER
'ENERATIONENBEZIEHUNGEN IM %RWACHSENENALTER
„Der Forschungsstand zu Generationenbeziehungen unter Erwachsenen ähnelt Inseln, um die herum weites unerforschtes Gebiet liegt: Terra incognita, [‌] wohl auch, weil man lange von einem Auseinanderleben der Generationen ausging, sobald die Kinder das Elternhaus verlassen haben“ (Szydlik 2008, S.13). Dennoch sind besonders in den letzten Jahren einige bedeutende Studien zu Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter erschienen (z.B. Kohli 2012; Vogel, KĂźnemund et al. 2011; Igel, Brandt et al. 2009; Blome, Alber et al. 2008; Bianchi, Hotz et al. 2006). Der Deutsche Alters-Survey (deas) stellt die wohl bedeutendste Erhebung von Generationenbeziehungen im Alter dar. Diese Studie kann als erste umfassende und somit fĂźr die gesamte Bundesrepublik bedeutsame Datenerhebung zu diesem Thema genannt werden. Der deas basiert auf einer Quer- und Längsschnittbefragung von Menschen, die 40 Jahre oder älter sind. Bislang wurde die Datenerhebung in drei Wellen durchgefĂźhrt. Die erste Welle wurde 1996 von der Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf (fall) der Freien Universität Berlin, der Forschungsgruppe Psychogerontologie der Universität Nijmegen und in Zusammenarbeit mit infas-Sozialforschung in Bonn durchgefĂźhrt. Die Studie umfasst viele Aspekte von Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter, wie Transfers und UnterstĂźtzungsleistungen, Beziehungssolidarität und -qualität, Wohn- und Lebenslagen, sowie Kontakte und Entfernungen der FamilienangehĂśrigen. Weitere Wellen wurden als Replikationsstichproben in den Jahren 2002 und 2008 durchgefĂźhrt. Allerdings wurden dabei nicht zu allen Themen und Fragestellungen von 1996 erneute Vergleichsdaten erhoben. Die Ergebnisse wurden in mehreren VerĂśffentlichungen detailliert dargestellt. Besonders zur ersten Erhebungswelle von 1996 sind viele Ver'ENERATIONENBEZIEHUNGEN IM %RWACHSENENALTER
öffentlichungen zu nennen (z.B. Kohli, Szydlik et. al. 2000; Kohli, Künemund et al. 2000; Kohli 2007). Zu den Ergebnissen der weiteren Wellen kann vor allem die Veröffentlichung von Tesch-Römer und Engstler et al. (2006) genannt werden. Ausgewählte Ergebnisse werden detailliert in Kapitel 3 geschildert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die intergenerationalen Familienbeziehungen keineswegs von Konflikten, sondern vielmehr von starken Bindungen in Form von Solidarität und Unterstützungsleistungen geprägt sind. Die Älteren sind dabei keineswegs reine Empfänger, die Unterstützungsleistungen fließen in beide Richtungen. Zudem haben sich die familialen Wohn- und Lebensstrukturen zwar gewandelt – hin zu kleineren Haushalten und größeren Entfernungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern – die Beziehungen und Bindungen bleiben aber weiter in einem multilokalen Netzwerk bestehen. Besonders wohlfahrtsstaatliche und Familien unterstützende sozialpolitische Entwicklungen üben entscheidenden Einfluss auf Familientransfers und Familiensolidarität aus. Das Ermöglichen von mehr Zeit und mehr Ressourcen fördert familiale Unterstützungsleistungen und weist den Familien dabei aber auch mehr Verantwortung zur eigenen Existenzsicherung zu. Einen umfassenden Überblick intergenerationaler Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und deren älteren Angehörigen bietet die aus den usa stammende Studie von Bianchi, Hotz et al. (2006). Die Studie umfasst vier Schritte. Im ersten Schritt werden alternative Theorien fokussiert, die Ansätze bieten, intergenerationale Bindungen zu erklären. Im zweiten Schritt werden bisherige empirische Befunde thematisiert. Der Schwerpunkt wird dabei auf Koresidenz, zeitliche Unterstützung und finanzielle Transfers gelegt. Im dritten Schritt werden demographische und politische Zusammenhänge und deren Wechselwirkungen mit dem Familienleben dargestellt. Im vierten Schritt werden die erhobenen Daten diskutiert. Die Studie zeigt auf, dass demographische Veränderungen sowohl positive als auch negative Einflüsse auf intergenerationale Familienbeziehungen haben. Zum einen erhöht sich die Anzahl der lebenden Generationen einer Familie, was das familiale Netzwerk vergrößert. Zum anderen verringert sich die Anzahl der Kinder, auf die ältere Menschen bei Unterstützungsbedarf zurückgreifen können. Allerdings entstehen z.B. durch erneute Heiraten auch erweiterte Familienbeziehungen. Diese Beziehungen zeichnen sich aber durch weniger Bindung und somit auch fehlender Bereitschaft für Transferleistungen aus. Die Zusammenhänge von Transferleistun :UM 3TAND DER &ORSCHUNG
gen in Familien und sozioĂśkonomischer Einflussfaktoren sind bislang unzureichend untersucht worden: „[‌] we believe there is still substantial scope for improving the measurement of transfers in survey data [‌] Unfortunately, prospective, longitudinal data with information on cognitive, social, and economic characteristics of individuals and their families are extremely rare“ (Bianchi, Hotz et al. 2006, S.40). Dabei zeigen sich besonders in Studien, die eine gegenseitige Einschätzung der Transfers untersuchen, erhebliche Unterschiede in der intergenerationalen Betrachtungsweise dieser Leistungen. So konnte festgestellt werden, dass pflegende und betreuende Kinder den Zustand ihrer hilfebedĂźrftigen Eltern häufig wesentlich schlimmer einschätzen, als dieser tatsächlich ist. Derartige Einschätzungen haben natĂźrlich erheblichen Einfluss auf die Betreuungs- und Pflegesituationen.
:UR 3ITUATION PFLEGENDER !NGEHyRIGER
Umfassende Ergebnisse Ăźber die häusliche Pflege und Betreuung älterer FamilienangehĂśriger liefert das von der Europäischen Union gefĂśrderte Forschungsprojekt eurofamcare – Services for Supporting Family Care of elderly People in Europe: Characteristics, Coverage and Usage. Dieses Forschungsprojekt stellt eine Multi-Center-Studie dar und wurde von acht Universitäten in sechs europäischen Ländern koordiniert. (Kofahl, Mestheneos et al. 2005; Kofahl 2008, S.130f.; Lamura, Mnich et al. 2006, S.429f.) Ein aus diesem Projekt abgeleiteter nationaler Hintergrundreport fĂźr Deutschland liegt vor (DĂśhner, Kofahl et al. 2007; Meyer o.J.). Die Daten fĂźr Deutschland zeigen auf, dass sowohl die älteren pflegebedĂźrftigen Menschen als auch die pflegenden AngehĂśrigen Ăźberwiegend weiblich sind. Emotionale Bindungen und persĂśnlich-moralische Verpflichtungen kĂśnnen als hauptsächliche Motive zu Pflegeleistungen fĂźr ältere AngehĂśrige genannt werden. Auch soziale Verpflichtungen haben hierauf groĂ&#x;en Einfluss. Zudem ist festzustellen, dass der Grad der PflegebedĂźrftigkeit in engem Zusammenhang mit dem AusmaĂ&#x; der Erwerbstätigkeit der pflegenden AngehĂśrigen steht. Die pflegenden AngehĂśrigen sind mehrheitlich nicht erwerbstätig oder fĂźhren Teilzeitarbeiten oder Mini-Jobs aus. Besonders der Betreuungsbedarf demenziell Erkrankter erschwert eine Erwerbstätigkeit der pflegenden und betreuenden Personen. Auffällig ist auch, dass in Deutschland deutlich weniger externe Dienste in Anspruch genommen werden, als dies im :UR 3ITUATION PžEGENDER !NGEHyRIGER
europäischen Durchschnitt der Fall ist. Die bürokratischen Hürden für den Empfang von Unterstützungsleistungen werden in Deutschland überproportional hoch bewertet. Den Einfluss des sozialen Umfeldes auf zeitliche und räumliche Dimensionen bei der Pflege von älteren Angehörigen fokussiert eine Studie von Blinkert und Klie (2006). Dabei wurde bei 230 Pflegebedürftigen die Pflege- und Betreuungszeit sowie die Anzahl und Aufteilung der Pflege- und Betreuungsarbeit auf helfende Personen erfasst. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass das soziale Umfeld der Pflegebedürftigen erheblichen Einfluss auf die tatsächliche Pflegezeit besitzt. Die erbrachten zeitlichen Pflege- und Betreuungsleistungen bei niedrigen Pflegestufen schwankten zwischen zwölf und 80 Stunden; bei höheren Pflegestufen sogar zwischen 20 und 100 Stunden. Für pflegebedürftige ältere Menschen, deren Hauptpflegepersonen in einem städtischen Umfeld leben und in der Regel einen hohen sozialen Status besitzen, steht eher wenig Zeit zur Verfügung. Das Unterstützungsnetzwerk und die zeitliche Verfügbarkeit der pflegenden Personen sind in diesen Fällen meist gering ausgeprägt. Eine häusliche Versorgung bei aufwendigerer Pflegebedürftigkeit spielt daher in diesen Fällen eine eher geringe Rolle. In einem eher vormodernen sozialen Umfeld sind dagegen die zeitliche Verfügbarkeit und auch die Bedeutung von häuslicher Pflege und Betreuung weitaus höher. Diese Unterscheidung trifft zum einen auf den Unterschied zwischen städtischem und ländlichem Umfeld und zum anderen auf höhere und niedrigere soziale Milieus zu. Eine weitere Studie, die sich mit den Einflüssen sozialer Unterschiede bei der Pflege und Betreuung dementer Angehöriger beschäftigt, liegt von Karrer (2009) vor. Dabei wurde eine qualitative Untersuchung in Form von leitfadengestützten Interviews bei 61 Angehörigen von demenziell erkrankten Menschen durchgeführt. Diese bestanden sowohl aus pflegenden und betreuenden Ehepartnern als auch aus pflegenden und betreuenden Kindern. Beide Erhebungsgruppen wurden aus fünf unterschiedlichen Regionen des sozialen Raums ausgewählt. Karrer kam allerdings zu entgegengesetzten Ergebnissen wie Blinkert und Klie (2006). Karrer zeigt auf, dass gerade Angehörige im unteren Bereich des sozialen Raumes dazu neigen, ihre demenziell erkrankten Angehörigen zu unterfordern und deren Erkrankung nicht ernst zu nehmen. Angehörige aus höheren Bereichen des sozialen Raumes neigen hingegen eher dazu, ihre demenziell erkrankten Angehörigen zu überfordern und zu viel erreichen zu wollen. :UM 3TAND DER &ORSCHUNG
Sehr umfassende Ergebnisse zu dem Belastungserleben pflegender und betreuender Angehöriger bietet das Forschungsprojekt leander – Längsschnittstudie zur Belastung pflegender Angehöriger von demenziell Erkrankten (Zank, Schacke et al. 2007). Die Datenerhebung hat in mehreren Phasen stattgefunden. In der ersten Phase wurde die Belastungssituation von knapp 900 pflegenden Angehörigen von demenziell Erkrankten mit einem standardisierten Fragebogen untersucht. Belastungsunterschiede der einzelnen pflegenden und betreuenden Gruppe betreffen dabei stets nur einzelne Belastungsdimensionen. Die Ergebnisse zeigen, dass Ehepartner die stärkste Belastung bei der Pflege und Betreuung demenziell Erkrankter verspüren. Frauen leiden zudem vermehrt an persönlichen Einschränkungen und fehlender sozialer Anerkennung der Pflegeund Betreuungstätigkeiten, als dies bei Männern der Fall ist. Das gesellschaftliche Bild schreibt häusliche Pflege und Betreuung noch zu großen Teilen den Frauen als Selbstverständlichkeit zu. Männer hingegen erhalten für diese Unterstützungsleistungen wesentlich mehr Anerkennung. Weiter sind Frauen stärker als Männer in unterschiedliche familiäre Aufgaben, Rollen und Verpflichtungen eingebunden. Das Konfliktpotenzial von unterschiedlichen familiären Anforderungen ist dadurch höher. Der mittlere Demenzgrad führt bei pflegenden und betreuenden Angehörigen zu der höchsten Belastung. In der zweiten Phase des Projekts wurden über drei Jahre kritische Lebensereignisse bei der Pflegeund Betreuungsübernahme durch Angehörige dokumentiert. Es wurde deutlich, dass mindestens ein Drittel der vorher ambulant gepflegten und betreuten Angehörigen in eine stationäre Versorgung wechseln mussten. Der körperliche und geistige Zustand der demenziell Erkrankten verschlechterte sich während des Erhebungszeitraumes zunehmend. Dies führte zu erheblichen zeitlichen Belastungen, bis zu einer Rund-um-die-Uhr-Pflege, bei den pflegenden und betreuenden Personen. Mit zunehmender Erkrankung stieg die Beaufsichtigungsnotwendigkeit zuerst an, nahm dann aber im fortgeschrittenen Stadium wieder ab. Die basalen Unterstützungsleistungen nahmen hingegen aber stetig zu. Die Unterstützung des Umfeldes nahm dahingegen zunehmend ab. Auffällig ist zudem, dass auch während eines stationären Aufenthaltes der demenziell erkrankten Menschen die subjektive Belastung der Angehörigen gleich blieb. Der Beziehungsverlust erschien als besonders schmerzhaft und führte zu anhaltenden Unterstützungsangeboten. Die Konflikte zwischen Pflege und Betreuung und dem beruflichen Leben nahmen in dieser Situation aber ab. :UR 3ITUATION P¾EGENDER !NGEHyRIGER
Die eingangs der vorliegenden Studie beschriebene Sandwich-Position pflegender und betreuender Angehöriger (Ernst 2008, S.131f.) birgt enormes Belastungs- und Konfliktpotenzial. Besonders Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum fokussieren psychische Auswirkungen der Pflege- und Betreuungssituation auf die pflegenden und betreuenden Angehörigen. In diesen Studien wird häufig auch ein deutlicher Zusammenhang mit den verschiedenen Rollen der pflegenden und betreuenden Angehörigen in einer SandwichPosition thematisiert. Depressive Symptomatik bei diesen Personen wird in der Studie von Chumbler, Pienta et al. (2004) fokussiert. Die Studie stützt sich auf die erhobenen Daten der Health and Ritirement Study (hrs). Im Rahmen dieser Studie wurden in einer ersten Welle über 12.000 pflegende und betreuende Angehörige zu psychologischen Konsequenzen ihrer Pflege- und Betreuungsleistungen interviewt. Replikationserhebungen finden seitdem alle zwei Jahre statt. Bei dem Rollenverhalten pflegender Angehöriger sind zwei Perspektiven von besonderer Bedeutung: „Role strain and role enhacement“ (Chumbler, Pienta et al. 2004, S.343). Einige Rollen müssen somit eingeschränkt und andere Rollen wiederum erweitert werden. Aus der Perspektive der Verzichte in einzelnen Rollen ist zu sagen, dass eine Beteiligung an mehreren Rollen unausweichlich negative Konsequenzen mit sich bringt. Häufig sind dies ansteigende depressive Symptome. Um ihr psychisches Wohlbefinden zu erhalten, können diese Personen keine dieser Rollen aufgeben und sehen sich daher gezwungen, die Einschränkungen in hinnehmbaren und tolerierbaren Grenzen zu halten. Aus der Perspektive der Rollenerweiterung ist zu sagen, dass sich durch eine Teilhabe an vielen unterschiedlichen Rollen auch die soziale Integration und damit verbundene Privilegien erweitern können. Dies kann sich unter günstigen Voraussetzungen auch positiv auf die psychische Verfassung der betreuenden und pflegenden Personen auswirken. Eine Vergleichsstudie (Rubin, White-Means 2009) von pflegenden und betreuenden Angehörigen in einer Sandwich-Position und solchen, die keine weiteren Rollen ausüben müssen, kam ebenfalls zu interessanten Ergebnissen. Die Studie stützt sich auf die Daten des National Long Term Survey (nltcs). Die analysierte Stichprobe beinhaltete knapp 800 Interviews mit pflegenden und betreuenden Personen in unterschiedlichen Lebenssituationen mit unterschiedlichen Rollenverpflichtungen. Verschiedene Rollenverpflichtungen hatten nicht automatisch Einfluss auf die Zeit, die den pflege- und betreuungs :UM 3TAND DER &ORSCHUNG
bedürftigen älteren Angehörigen zur Verfügung gestellt wird. Entscheidenden Einfluss hat darauf die Tatsache, ob weitere Personen die Pflege und Betreuung unterstützen können und ob der pflege- und betreuungsbedürftige Angehörige noch geistige Herausforderungen bewältigen kann. In beiden Fällen nahmen Zeit und der Stress für die Person in der Sandwich-Position ab. Dies führte auch zu weniger Belastungen durch das Berufsleben. Grundlegend wird in dieser Studie aber deutlich, dass Personen in einer Sandwich-Position erheblich höhere Belastungen und Stress empfinden, als andere pflegende und betreuende Personen: „Sandwiched caregivers were significantly more likely to indicate having more than they can handle and higher subjective stress/objective burden“ (Rubin, White-Means 2009, S.262) Diese Personen werden somit häufig über ihre Belastungsgrenzen hinaus beansprucht, haben enormen Stress und zudem weniger Zeit für sich selbst. Eine aufschlussreiche Studie über zwischenmenschliche Beziehungsproblematiken in häuslicher Pflege und Betreuung, liegt von Salomon (2005) vor. Ziel der Studie ist die Erstellung eines Leitfadens zur Beratung pflegender Angehöriger im häuslichen Umfeld. Die gemeinsame Biografie, die zwischenmenschlichen Beziehungen und Konfliktpotenziale innerhalb der Familie werden dabei fokussiert. Die Datenerhebung erfolgte in Form von fünf Interviews mit pflegenden Angehörigen zu deren Belastungserleben und dessen unterschiedlicher Wahrnehmung. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Belastungen von den pflegenden Angehörigen höchst unterschiedlich wahrgenommen werden. Das Belastungserleben ist aber sehr komplex und nicht an direkte Pflegehandlungen gebunden. Pflegende Angehörige nehmen das Ausmaß der eigenen Belastung und ihre Belastungsgrenzen häufig selbst nicht wahr. Das Belastungserleben ist geringer, wenn bereits vor der Betreuungs- und Pflegesituation die Familienbeziehungen partnerschaftlich und respektvoll waren. Dies beinhaltet die Einbeziehung sowohl positiver als auch negativer Emotionen im Umgang miteinander. Neben moralischen Motiven spielen besonders situative Zwänge eine entscheidende Rolle bei der Übernahme von Pflege- und Betreuungsleistungen. Sorgen um die finanziellen Situation der Familie und das Familienerbe stellen ein erhebliches Risiko bei der Inanspruchnahme institutioneller Pflegeleistungen dar. Zudem werden pflegende Angehörige häufig von starken Schuldgefühlen begleitet. Generell bestehen in häuslichen Pflegeinteraktionen erhebliche familiäre Konfliktpotenziale. Diese können sehr individu :UR 3ITUATION P¾EGENDER !NGEHyRIGER
elle Ausprägungen annehmen und stellen daher in der Angehörigenberatung eine individuelle und pflegeprozessorientierte Aufgabe dar. Die Studie von Seidl, Walter et al. (2007) bezieht sich sowohl auf das Belastungserleben pflegender Angehöriger von demenziell erkrankten Menschen als auch auf die Ressourcen und Stärken der pflegenden Angehörigen. Die Studie stellt einen qualitativen Forschungsansatz in Form von Leitfadeninterviews dar. Es wurden 20 pflegende Angehörige interviewt. Das Belastungserleben ist sehr vielschichtig und komplex. Hauptbelastungsfaktoren sind unter anderem: Verhaltensoriginalitäten der demenziell Erkrankten, die Stress und Aggressionen bei den pflegenden Angehörigen auslösen können; Angebunden-Sein in Form von fehlenden Freiräumen und permanenter Beaufsichtigung; soziale Ausgrenzung der betroffenen Personen; gesundheitliche Beeinträchtigungen, die Pflege- und Betreuungsleistungen erschweren; mangelnde Freizeit; finanzielle Belastungen und Wohnraumanpassungen; inadäquate professionelle Unterstützung; Veränderung der zwischenmenschlichen Beziehungen, wobei häufig eine Umkehr der Eltern-Kinder-Rolle stattfindet. Die Ressourcen der pflegenden Angehörigen sind in interne (Lebensgewohnheiten, Einstellungen etc.) und externe (finanzielle Mittel, Unterstützung etc.) zu unterscheiden. Das Erkennen der eigenen Ressourcen und deren Nutzung können dabei die empfundenen Belastungen reduzieren. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse wird deutlich, dass eine SandwichPosition und daraus entstehenden Rollenkonflikten starken Einfluss auf die Belastungssituation der betroffenen Menschen haben. (Ernst 2008, S.131f.) Besonders der Prozess der Parentifizierung, eine Rollenumkehr von Eltern und Kindern, und daraus resultierenden Rollen- und Entscheidungskonflikten sind dabei von Bedeutung. Auch tiefer liegende Strukturen der Bindungen und Verpflichtungen der Personen in Betreuungssituationen mit unterschiedlichen Rollen sollen weiter ergründet werden. In Anbetracht widersprüchlicher Aussagen nimmt der Autor von einer Differenzierung des sozialen Status und des Lebensraumes Abstand. Aus den gewonnen Erkenntnissen lässt sich daher folgende Forschungsfrage generieren: Wie nehmen betreuende Personen die Belastungen bei der Betreuung älterer Angehöriger wahr und welchen Einfluss hat dies auf die persönlichen Beziehungen?
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