OSTKURVE '16 - Januar

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OSTKURVE ‘16 Das Magazin aus dem Regine-Hildebrandt-Haus Nr. 11 – 29. Januar 2016

EUROPA,

was ist los mit Dir?


Ostkurve ‘16 Inhalt AKTUELLES 15

Die Wahlkampfsaison hat begonnen Mindestens 16 kommunale Wahlgänge im Jahr 2016

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Über die Integration von Flüchtlingen in Neukölln Interview mit Dr. Franziska Giffey

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Brandenburger Köpfe Personalien aus der SPD

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Trauer um Klaus Ness Ein bewegender Abschied

„zutiefst schockiert“

Martin Schulz über das Auftreten von Rechtspopulisten im Europäischen Parlament

Seite 9

TITEL 4

EUROPA Was ist los mit Dir?

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Wölfe im Schafspelz Susanne Melior über die Rechtspopulisten im Parlament

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Interview mit Martin Schulz Union sich verändert

Wie die Europäische

Anmelden und mitmachen!

WISSEN

Gemeinsam Neues lernen und erleben

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Der Vorwärts Historisches Schlaglicht

16

Unsere neue Parteischule Wissen sammeln, Handwerk lernen, ein Angebot für Parteimitglieder

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Schon gewusst? Helmholtz und die Augenklappe

Seite 16

VERMISCHTES 14 22

Kopfnoten für die, die sie wirklich verdienen Neumitglied des Monats Rathenow

Mike Großmann,

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Abpfiff. Die Kurven-Glosse

24

Ortsvereins-Liga Brandenburg

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Von Neukölln lernen.

Die 18 Größten

Interview mit Bezirksbürgermeisterin Dr. Franziska Giffey

Seite 18


Ostkurve ‘16 Liebe Leserinnen und Leser, das gesellschaftliche Klima hat sich in unserem Land spürbar verändert. Rechtspopulisten sehen ihre Stunde gekommen. Ihre Reden werden zu­ nehmen radikaler. Sie versuchen aus der Verunsicherung vieler Menschen Wut und Verachtung zu erzeugen: ge­ gen Ausländer, gegen Politiker, gegen Journalisten und gegen unsere De­ mokratie. Sie suchen keine Lösungen für unser Land, sie schmeißen Brand­ fackeln mitten in unsere Gesellschaft. Das bereitet mir große Sorgen, weil

aus Worten viel zu oft auch Taten wer­ den. Die steigende Zahl von rechtsmo­ tivierten Gewaltverbrechen ist Aus­ druck dessen. Dagegen müssen wir klare Haltung zeigen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Hass die Mensch­ lichkeit übersteigt. Deutschland steht mit diesem Problem nicht alleine da. In ganz Europa sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Sie predigen den Nationalstaat, wollen alte Grenzen neu errichten. Das ist brandgefährlich. Der Weg vom Populismus zum Ex­ tremismus ist nicht weit. Unser Konti­ nent hat leidvoll erfahren, was Natio­ nalismus bedeutet.

Eure

Klara Geywitz Generalsekretärin

Schlaglichter sozialdemokratischer Geschichte Der „Vorwärts“ In diesem Jahr feiert die SPD-Zeitung „Vorwärts“ ihr 140-jähriges Jubiläum. Die Ausgabe Nr. 1 erschien am Sonntag, dem 1. Oktober 1876. Wenige Wochen zuvor, im August 1876, hatte der Parteikongress in Gotha beschlossen, die beiden bisherigen Zentralorgane „Neuer Social-Demokrat“ und „Volksstaat“ zu verschmelzen. Ab dem 1. Oktober 1876 erschien der Vorwärts dreimal wöchentlich. Die Frage des Verlags- und Redaktionsortes war auf dem Gothaer Kongress lebhaft diskutiert worden. Wilhelm Liebknecht, erster Herausgeber des Vorwärts, erklärte, dass er nicht für Berlin, sondern für Leipzig stimmen werde. In Berlin sei die Partei verboten, man müsse sich dort mit kleinen Winkelzügen behelfen, und dies sei der Partei unwürdig. Die Wahl des Parteikongresses fiel daraufhin auf Leipzig. In den folgenden Monaten wurden weitere 18 Parteizeitungen neu gegründet. Bald drauf verfügte die SPD über rund 40 Tages- und Wochenzeitungen.

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EUROPA IN DER KRISE Nationalismus auf dem Vormarsch 2016 wird wohl ein entscheidendes Jahr für die Europäische Union. Es geht um die Existenz des vereinten Europa, um die Existenz unserer Wertegemeinschaft und um die Existenz dieses einzigartigen Friedensprojektes. Die Aussichten am Jahresanfang sind nicht gut: So viel Streit und so viel Unversöhnlichkeit gab es zwischen den 28 EU-Staaten selten, vielleicht nie. Nach der Eurokrise um Griechenland erhitzt die hohe Zahl an Flüchtlingen seit Monaten die Gemüter. Wo solidarische Unterstützung notwendig wäre, herrscht nationaler Egoismus. Profiteure der Krise sind augenscheinlich vor allem rechtspopulistische Parteien. Sie setzen auf Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus. Jenen Nationalismus, der unseren Kontinent noch immer ins Unglück gestürzt hat. Rechtspopulistische Parteien sind in Europa nicht neu. In den meisten Ländern der europäischen Union haben sie eine lange Geschichte. Neu hingegen, ist die Intensität, mit der sie mit ihrer fremdenfeindlichen und anti-europäischen Politik in breite gesellschaftliche Schichten vordringen. Spätestens seit der globalen Finanzkrise 2008 genießt die EU für eine zunehmende Zahl europäischer Bürgerinnen und Bürger nicht mehr das gewünschte Maß an Vertrauen. Das Versprechen Europas, ökonomischen Erfolg und soziale Sicherheit zu vereinen, hat in der Finanzkrise erheblichen Schaden genommen. Bei der Eu-

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ropawahl vor zwei Jahren wurden die Folgen deutlich: rechtspopulistische Parteien erzielten Rekordergebnisse. Der „Prozess der Aushöhlung der europäischen Demokratien“, wie es der Politologe Peter Mair nennt, ist bereits weit fortgeschritten. Was sind das für Parteien, die quer über den Kontinent auf dem Vormarsch sind? Die OSTKURVE gibt einen kurzen Überblick: Österreich Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) hat nach dem Tod des Rechtspopulisten Jörg Haider einen noch radikaleren Kurs eingeschlagen. Der neue Frontmann Heinz-Christian Strache hat eine klar rechtsradikale Vergangenheit. Schon in seiner Jugend beteiligte er sich in Deutschland an mindestens einem Nazi-Aufmarsch der zwischenzeitlich verbotenen Wiking-Jugend. Bei einer Kundgebung der rechtsradikalen DVU mit 4.000 Nazis wurde er zusammen mit 10 anderen Personen von der Polizei festgenommen. Strache besuchte auch Veranstaltungen des Holocaust-Leugners David Irving und verkehrte regelmäßig mit bekannten Nazi-Größen aus Deutschland und Österreich. Auch an mindestens einer „Wehrsportübung“ nahm er mit anderen Nazis teil.


Ostkurve ‘16 Belgien Vlaams Belang

4,16%

Dänemark Dansk Folkeparti

26,6%

Länder mit nennenswerten rechtspopulistischen Parteien; Wahlergebnisse Europawahl 2014

Deutschland AfD

7,1%

Finnland Wahre Finnen

12,9%

Frankreich Front National

24,95%

Griechenland Goldene Morgenröte

9,38%

Großbritannien UKIP

27,49%

Italien Lega Nord

6,15%

Niederlande Partij voor de Vrijheid

13,2%

Österreich FPÖ

19,5%

Polen

PiS KNP

Schweiz SVP

32,1 3% 7,06%

*29,4%

Kein EU-Mitglied *Nationalratswahl 2015

Schweden Schwedendemokraten 9,7% Slowakei SNS Tschechien ANO

3,61% 16,13%

Ungarn Jobbik 14,68% Fidesz 51,49%

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EUROPA IN DER KRISE Die Führungspersonen der FPÖ stammen in großer Zahl aus dem Milieu der Burschenschaften. Die Partei hetzt vor allem gegen Migranten und Asylsuchende, aber auch gegen Homosexuelle. Die FPÖ stellt sich klar gegen die Emanzipation der Frauen. Aus ihrer Sicht sollen sich Frauen vornehmlich um Haushalt und Familie kümmern. Ein zentrales Anliegen der FPÖ ist auch Abschaffung des Wie-

Ostkurve ‘16 verbunden sieht sie Frankreichs Sozialsystem in Auflösung und befördert mit ihren Parolen die Angst der Menschen vor dem wirtschaftlichen Abstieg. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage Frankreichs, fallen ihre Forderungen, dass nur noch französische Staatsbürger Anrecht auf Sozialleistungen haben dürfen und bei Arbeitsplätzen und Wohnung bevorzugt behandelt werden

nerhalb der britischen Gesellschaft. Sie gewann vor allem in den traditionellen Arbeiterhochburgen Großbritanniens. UKIP thematisiert den sozialen Abstieg der einstigen Arbeiterklasse, stellt sich gegen die britische EU-Mitgliedschaft und will weitere Zuwanderung auf die Insel verhindern. Sie setzt die etablierten Parteien erheblich unter Druck, in dessen Folge Premierminister David Cameron bereits ein Referen­dum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens angekündigt hat. Dänemark

derbetätigungsverbots in der österreichischen Verfassung, das unter anderem den Anschluss Österreichs an Deutschland untersagt. Frankreich Zu den bekanntesten Rechtspopulisten in Europa zählt Marine le Pen vom „Front National“ (FN). Sie hat ihre Partei als dritte Kraft im Land profiliert. Zentrales Thema des FN ist die Furcht vor der muslimischen Überfremdung Frankreichs. Damit

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müssen, auf fruchtbaren Boden. Sie verspricht eine Rückkehr zu christlichen Wurzeln, kämpft für die Ausbürgerung französischer Staatsbürger mit Migrationshintergrund und will Frankreich aus dem Euro herausführen. Großbritannien Mit 27 Prozent Wahlsieger bei der EU-Wahl wurde die rechtspopulistische „UK Independence Party“ (UKIP). UKIP ist Ausdruck einer tiefen Kluft in-

Die „Dänische Volkspartei“ (Dansk Folkenparti, DF) gehört zu den erfolgreichsten rechtspopulistischen Parteien in Europa. Sie war bereits mehrfach an der Regierung beteiligt. 2014 wurde sie bei der EU-Wahl mit über 26 Prozent stärkste Partei in Dänemark. Zur Mobilisierung ihrer Wählerschaft stellt sie sich vor allem gegen die Einwanderung von Menschen aus islamischen Staaten. Sie verspricht den Erhalt nationaler Identität und die Sicherung des sozialen Wohlstands. Die DF hat eine klare anti-europäische Rhetorik. Niederlande Die „Partei für die Freiheit“ (PVV) ist eigentlich nur eine One-Man-Show von Geert Wilders. Als rechter Hardliner


Ostkurve ‘16 will er Ausbürgerungen von niederländischen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund ermöglichen. Das Tragen von Kopftüchern will er besteuern. Wilders setzt auf einen nationalen Sozialstaat, der aus der EU und dem Euro austritt. Politiker von etablierten Parteien bezeichnet er als „linke Clique“. Bei der Europawahl 2014 musste die PVV entgegen dem Trend Verluste einstecken und erzielte 12,2 Prozent (-4,8). Italien Die „Lega Nord“ holte bei den Europawahlen nur sechs Prozent, was wohl auf diverse Skandale des Vorsitzenden Umberto Bossi zurückzuführen ist. Bei Umfragen liegt sie derzeit wieder stabil über zehn Prozent. Im Norden Italiens holte sie bereits Stimmenergebnisse bis 40 Prozent. Die Lega Nord war bereits mehrfach in einer Koalition mit Silvio Berlusconi an der Regierung beteiligt. Sie vertritt einen offen fremdenfeindlichen Kurs und fordert die Schließung der Grenzen. Seit 2014 wettert sie radikal gegen den Euro. Im EU-Parlament bildet die Lega Nord gemeinsam mit dem rechts-

radikalen Front National eine gemeinsame Fraktion. Polen Die meisten Schlagzeilen der letzten Wochen hat die polnische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) gemacht. Seit wenigen Monaten stellt sie die Regierung in Polen. Unter ihrem Vorkämpfer Jaroslaw Kaczynski vertritt die Partei einen katholischen Nationalismus, gepaart mit einem starken antieuropäischen Kurs. In den vergangenen Wochen beschnitt die PiS die Rechte des Verfassungsgerichts, wenig später maßregelte sie die öffentlich-rechtlichen Medien. Die EU-Kommission hat bereits ein rechtsstaatliches Prüfungsverfahren angestoßen, weil sie demokratische Grundwerte in erheblicher Gefahr sieht. Auch im Inland gibt es mittlerweile viele Proteste gegen den neuen Kurs der Regierung. Vertreter der PiS behaupten indes, die Proteste im In- und Ausland seien aus Berlin und Moskau gesteuert. Tschechische Republik In Tschechien holte die Partei „Aktion unzufriedene Bürger“ (ANO) bei

Wölfe im Schafspelz von Susanne Melior, MdEP

Die Rechtspopulisten im Europäischen Parlament zeigen sich meistens adrett und frisch gekämmt, äußerlich als Biederfrau und Biedermann. Sie behaupten, sie seien die Stimme des Volkes – natürlich des jeweiligen Natio­ nalstaates, denn das Europaparlament wollen sie auflösen und aus der EU austreten. Die fachliche Arbeit in Aus­ schüssen ist allerdings nicht ihre Sache. Nur die Plenardebatten nutzen sie als Bühne und erhalten damit öffentliche Aufmerksamkeit für ihre anti-europäi­ sche Propaganda. Aber auch da halten sich die sonst so korrekten Rechtsaußen nicht an die Regeln. Für die Vorsitzen­ de des französischen Front National stimmte in namentlichen Abstimmun­ gen einer ihrer Vasallen ab. Sie selbst zog es vor, der Sitzung fernzubleiben, um die Presse zu agitieren. Konsequent wäre es, die Demagogen würden gar nicht zu den Sitzungen kommen, dann würden sie auch kein Geld erhalten.

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Ostkurve ‘16 der EU-Wahl aus dem Stand über 16 Prozent und wurde stärkste Partei. Auch innenpolitisch kann sie punkten. Bei der Parlamentswahl 2013 lag sie mit rund 19 Prozent auf Platz zwei. Zentrales Thema der ANO ist die angebliche Unfähigkeit des etablierten Parteiensystems. Dabei kommt ihr zugute, dass die tschechischen Parteien von diversen Korruptionsskandalen erschüttert wurden und sich eine schleichende Repräsentationskrise gebildet hat. Geführt wird die ANO von Medienmogul Andrej Babič. Ihm gehören unter anderem einflussreiche Zeitungen sowie private Fernsehsender, Internetportale und Druckereien. Die ANO ist thematisch kaum zu greifen. Das klassische LinksRechts-Muster lässt sich nur schwer anwenden. Die ANO ist wenig ideologisch eingegrenzt und verzichtet bislang auf offene Fremdenfeindlichkeit. Ungarn Der „Bund junger Demokraten“ („Fidesz“) von Viktor Orban erzielte bei der EU-Wahl 51,5 Prozent der Stimmen. Die Partei zeigt seit Jahren ein zunehmend radikaleres Gesicht. Orban, bereits seit 1993 unangefochtener Parteivorsitzender, propagiert

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den starken Nationalstaat und eine klar anti-westliche Haltung. Politisch steht er für einen nationalistisch und religiös ausgeprägten Sozialkonservatismus. Schuld an Problemen der Vergangenheit seien der ungehemmte Liberalismus sowie die freiheitliche Demokratie. Mit seiner Weigerung, muslimische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, hat er sich an die Spitze derjenigen EU-Staaten gestellt,

?

die von einer solidarischen Verteilung nichts wissen wollen. Er hält die Flüchtlingskrise ausschließlich für ein „deutsches Problem“. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass unter seiner Regierung auch im Inland bereits mehrfach rechtsstaatliche Prinzipien ausgehöhlt wurden. Auch die Medien hat Orban längst unter staatliche Kontrolle gebracht. Deutschland In Deutschland erzielte die AfD

bei der Europawahl 7,1 Prozent der Stimmen und zog mit sieben Abgeordneten ins Parlament ein. Bundesweit kann sie in Umfragen mittlerweile zweistellige Werte erzielen. Im Osten ist sie noch deutlich stärker. Positionierte sich die Partei anfangs vor allem gegen die europäische Gemeinschaftswährung, hat sie sich zwischenzeitlich zu einer rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Partei entwickelt. Der stellvertretende Vorsitzende Alexander Gauland bezeichnete das Leid der Flüchtlinge als „Geschenk für die AfD“ und betitelte Flüchtlingshelfer als „nützliche Idioten“. In der fremdenfeindlichen PEGIDA-Bewegung sieht er einen „natürlichen Verbündeten“. Inzwischen treibt die Partei immer stärker nach rechts außen. In der so genannten „Erfurter Erklärung“ heißt es unter anderem, die AfD sei „eine Bewegung unseres Volkes gegen Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte“. Auch von einer „Widerstandsbewegung“ ist die Rede. Und für den Thüringer Björn Höcke ist klar: „Weil wir keine Partei im Bundestag haben, die endlich mal deutsche Interessen vertritt, brennt unser Land bald lichterloh.“ MATTHIAS BEIGEL


„Diese Menschen wollen Europa zerstören.“

INTERVIEW MIT MARTIN SCHULZ

Bei der Wahl zum EU-Parlament haben rechtspopulistische Parteien quer über den Kontinent Rekordergebnisse eingefahren. Hat sich die Arbeit im Parlament dadurch verändert? Die Arbeit hat sich insofern verändert, als man jetzt im Parlament Dinge hört, die ich nicht für möglich gehalten hätte und die mich zutiefst schockieren. Da wird geredet von menschlichem Abschaum, der an unsere Küsten gespült wird, da heißt es „wenn ich die Flüchtlingsboote im Mittelmeer sehe, dann will ich Kanonendonner hören“, da wird offen die Würde anderer Menschen mit Füßen getreten. All das ist unerträglich. In fast jeder Sitzung muss ich als Präsident Abgeordnete zu mir zitieren und Sanktionen verhängen. Vor 20 Jahren, als ich zum

ersten Mal ins Europäische Parlament gewählt wurde, war die Rhetorik eine andere. Ich frage mich manchmal schon, wie es so weit kommen konnte. Wichtig ist, dass wir jenen, die Hass säen, nicht das Feld überlassen, sondern uns ihnen entgegenstellen und kämpfen. Diese Menschen wollen Europa

Die Situation ist gefährlich. Denn uns muss eines klar sein: Es gibt Alternativen zur EU. Aber das sind keine guten. 2015 ist das Scheitern des Europäischen Projekts in bedrohliche Nähe gerückt. Diesen Trend müssen wir 2016 unbedingt umkehren. Wir dürfen es nicht zulassen, dass sich jeder

„Rechtspopulisten sind Konjunkturritter der Angst.“ zerstören – und das sagen sie ja auch ganz offen. Das dürfen wir nicht zulassen, und ich kämpfe mit allem was ich habe, gegen diese Leute. Der Nationalismus scheint in vielen Staaten ungehemmt auf dem Vormarsch. Für wie gefährlich hältst Du die Situation?

in seinen nationalen Schrebergarten zurückzieht. Kein Land allein kann die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – etwa Klimawandel, Migration, internationalen Handel, internationale Kriminalität und Sicherheit, den Kampf gegen Steuerbetrug und -vermeidung – alleine meistern. Wer

den Leuten anderes erzählt, will sie für dumm verkaufen. Das geht nur zusammen, als Gemeinschaft. Lassen wir uns auseinanderdividieren, driften wir in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit ab und werden zum Spielball anderer. Für mich steht fest: Die EU ist die größte zivilisatorische Errungenschaft seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Dieses Projekt steht für 70 Jahre Frieden, Wohlstand, Freiheit und Sicherheit. Dafür hat die EU 2012 den Friedensnobelpreis bekommen. Europa hat nach furchtbarem Leid, Rassenwahn, Krieg und Vertreibung wieder zusammengefunden und einen historisch einmaligen Wiederaufstieg erlebt. Wir dürfen unsere Kinder und Enkelkinder nicht dahin zurückschicken, wo unsere Eltern und Großeltern herkamen.


INTERVIEW MIT MARTIN SCHULZ

Wie erklärst Du Dir den Zulauf der Rechtspopulisten? Die Rechtspopulisten sind die Konjunkturritter der Angst. Als Globalisierungsverweigerer

Ostkurve ‘16 xe Probleme bedürfen komplexer Antworten. Die Populisten haben für alles einen Sündenbock, aber für nichts eine Lösung. Sie haben nichts aus der Geschichte gelernt und erzählen den

es derzeit noch innerhalb der EU? Es gab schon mal mehr Zusammenhalt, das ist richtig. 2015 war ein schlimmes Jahr – ich habe so ein schwieri-

Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments und Europa-Beauftragter der SPD

nutzen sie die Sorgen und Ängste der Bürger aus und bieten scheinbar einfache Lösungen an. Der Front National in Frankreich, UKIP in Großbritannien, die AfD in Deutschland: Sie alle versuchen, den Menschen weiszumachen, dass mit platten Parolen wie ‚Grenzen dicht‘ oder ‚Ausländer raus‘ die Probleme gelöst werden können. Das ist völliger Unsinn, denn komple-

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Leuten Märchen. Der Frieden in Europa ist keine Selbstverständlichkeit. Solche Leute setzen nicht nur das europäische Friedensprojekt sondern auch unser wirtschaftliches Wohlergehen leichtfertig aufs Spiel. Die griechische Eurokrise und die hohe Zahl an Flüchtlingen haben Spuren hinterlassen. Wie viel Solidarität gibt

ges Jahr in meiner gesamten politischen Arbeit noch nicht erlebt. Die Flüchtlingsbewegungen haben sich ja nur deshalb zu einer Krise ausweiten können, weil sich zu viele Länder verweigern und die Mitgliedsstaaten untereinander nicht mehr solidarisch sind. Wir haben also eine Krise im doppelten Sinne, die vor allem zuerst eine Solidaritätskrise

und dann eine Flüchtlingskrise ist. Eine Millionen Flüchtlinge auf alle 28 Mitgliedsstaaten mit insgesamt 508 Millionen Einwohnern zu verteilen, wäre überhaupt kein Problem. Aber wenn die nationalen Regierungen die Beschlüsse, die sie selbst mit gefasst haben, nicht umsetzen, dann sieht es schlecht aus. Hinzu kommt: Es sind oft genau die Mitgliedstaaten, die sich verweigern und eine Lösung blockieren, die der EU vorwerfen, sie könne die Krise nicht lösen. Das ist zynisch. Das Europäische Parlament hat in dieser Frage schnell gehandelt. Die Umverteilung von 160.000 Menschen hätte ein gutes Beispiel dafür werden können, dass ein Verteilungsschlüssel innerhalb der EU gut funktionieren kann. Aber dass die Umsetzung nicht vorankommt, ist eine Schande. Der Lösungsansatz ist trotzdem noch nicht gescheitert. Die Zeit läuft uns aber davon. Viele Menschen verbinden mit der EU das Versprechen, ökonomischen Erfolg und


Ostkurve ‘16 soziale Sicherheit zu vereinen. Gilt dieses Versprechen noch? Das Versprechen gilt noch. Die Europäische Union ist der reichste Binnenmarkt der Welt. Und davon profitieren wir alle. Aber die EU läuft Gefahr, Opfer ihres eigenen Erfolgs werden. Denn der wirtschaftliche Erfolg Europas hängt direkt mit den vier Grundfreiheiten zusammen. Neben der Personenfreizügigkeit sind das die Freiheit des Warenverkehrs, die Freiheit, seine Dienstleistungen überall in der EU anbieten zu können sowie der freie Kapitalverkehr. Wenn in Europa tatsächlich Grenzen geschlossen werden und wir Schengen zu Grabe tragen, dann werden wir das ganz schnell auch wirtschaftlich zu spüren bekommen, und zwar massiv. Dann stehen ganz schnell in vielen Firmen die Förderbänder still. Die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Europas, zumal eines Europas mit einer gemeinsamen Währung, in dem es wieder Grenzen gibt, wären katastrophal. Ich selbst wohne an der

deutsch-niederländischen-belgischen Grenze. Da kann man die Grenzen nicht einfach schließen. Wir sollten besser vorwärts den-

erlassen, die berechtigte Fragen aufwerfen. Die EU ist nicht nur ein Binnenmarkt, sondern auch eine Rechtsgemeinschaft mit Werten

„Ich kämpfe mit allem, was ich habe, gegen diese Leute.“ ken und nicht auf halber Strecke stehen bleiben. Wir brauchen in vielen Bereichen mehr Europa, um die anstehenden Probleme zu lösen. Gemeinsam sind wir stärker, nur so können wir unseren globalen Einfluss behalten – und damit auch unseren Wohlstand sichern. Seit einigen Wochen schauen wir verunsi-

und Grundrechten, die fester Bestandteil des EU-Rechts sind. Deshalb ist es auch keine Einmischung in innere Angelegenheiten, wenn wir uns dazu äußern. Die EU-Kommission tat gut daran, ein Verfahren einzuleiten. Bei diesem Verfahren analysieren zunächst einmal die Rechtsexperten die Vereinbarkeit dieser Maßnah-

„2015 ist das Scheitern des europäischen Projekts in bedrohliche Nähe gerückt.“ chert über unsere Landesgrenze nach Polen. Wie beurteilst Du die Entwicklung dort? Die neue Regierung hat in sehr kurzer Zeit eine Vielzahl an Gesetzen, vor allem im Justiz- und Medienbereich

men mit europäischem Recht. Was dabei herauskommen wird, kann ich noch nicht abschätzen. Ich hoffe aber, dass es nicht zum Sanktionsfall kommen wird. Die polnische Regierung kann ihre Position nun erläutern,

INTERVIEW MIT MARTIN SCHULZ

vielleicht auch an einigen Stellen korrigieren, und der Besuch der Premierministerin im Europaparlament war dabei eine wichtige Etappe. Polen bleibt ein Schlüsselland in der EU, und deshalb ist es gut, wenn wir den Konflikt beilegen. Allerdings werden wir bei der Verteidigung von demokratischen Standards, bei Rechtsstaatlichkeit und Medienpluralität nicht nachgeben. Wie schaffst du es, trotz der vielen Krisen und Probleme, Deinen Optimismus zu behalten? Wenn man nicht frustrationstolerant ist, dann wird man weder Fan des 1. FC Köln, noch geht man in die Europapolitik. Ich bin FC-Fan und seit über 20 Jahren im Europäischen Parlament. Ich glaube also, ich kann mit Krisen umgehen. Es ist natürlich auch ein Knochenjob. Aber ich brenne für Europa. Und ich bin fest davon überzeugt, dass die europäische Integration das Beste ist, was diesem geschundenen Kontinent passieren konnte. Dafür zu kämpfen, lohnt sich jeden Tag.

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Ostkurve ‘16

12 Sonnenuntergang in der Lausitz

www.f60.de


Ostkurve ‘16

Mein

liebstes

StĂźck Brandenburg13


Kopfnoten McDonald’s:

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es hierzulande bei McDonald’s neben den Kalorienbomben in Burgerform seit vielen Jahren sogar Salate. Auch im McCafé kann man mittlerweile ohne schlechtes Gewissen einfach nur einen Espresso genießen. Das kommt gut an. Eklig hingegen klingt das, was die Fast-Food-Kette seit 3 Tagen den Japanern auftischt: Fritten mit Schokoladenüberzug oder anders gesagt: „Pommes braun-weiß“. Igitt.

Das gute Image ist dem umsatzstärksten Fast-FoodKonzern der Welt besonders wichtig. Und weil zumindest bei Europäern gesunde Ernährung hoch im Kurs steht, gibt

Winter:

2–

Erst hatten wir gedacht, er kommt nicht mehr. Temperaturen bis 17 Grad, Regen statt Schnee, so war das „Winterwetter“ noch im Dezember. Auf den Weihnachtsmärkten blieben viele Händler auf großen Glühweinbeständen sitzen. Auch der Grünkohl mochte ohne Winterjacke nicht so richtig schmecken. Zum Jahresbeginn gab er sich

FAKTENCHECK Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg

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Mühe: Starker Frost und Schneefall machten viele Seelen glücklich. Auch wenn die Schneemänner jetzt schon wieder getaut sind: Das Gefühl, dass der Winter dem Klimawandel noch nicht vollständig zum Opfer gefallen ist, ist uns dann doch viel wert.

Praktizierende Ärzte im Land Brandenburg

9.233 2014

2010

8.542


Ostkurve ‘16 Die Wahlkampf-Saison hat begonnen. Jetzt geht‘s wieder los: Allein im Frühjahr werden in Brandenburg 10 neue Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister gewählt. Und schon am 10. April steht die erste Landratswahl ins Haus.

Georg Abel

Ralf Tebling

Martin Gorholt

Georg Abel (SPD) ist 25 Jahre alt und von Beruf Rettungs­ assistent. Auch in der Freizeit setzt er sich für andere Menschen ein, bei der Freiwilligen Feuerwehr in Groß Pankow in der Prignitz. Da liegt es nahe, dass der Bürgermeister-Kandidat, wenn er gewählt ist, das Thema „Ehrenamt“ ganz groß schreiben will. Er kommt aus der Praxis und hat praktische Ideen für engagierte Helfer. Mehr Aufmerksamkeit für die Ortsteile von Premnitz, beitragsfreie Kitas, ein dauerhafter Bürgerdialog ­– Ralf Tebling hat ein ambitioniertes Programm für seine Gemeinde, deren Bürgermeister er am 3. April werden will. Sozialdemokrat Tebling, 53, kennt sich in der Politik aus. Er ist Vorsitzender der Premnitzer SVV und Büroleiter von Landrat Burkhard Schröder. Im Landkreis Havelland wird am 10. April ein neuer Landrat gewählt. Der soll Martin Gorholt heißen, findet die

Havelländer SPD, die ihn bei der Delegiertenkonferenz am 23. Januar nominiert hat. Martin Gorholt, Kulturstaatssekretär, Urgestein der Brandenburger SPD, setzt auf die Zukunftsthemen Gesundheit, Infrastruktur und Bildung, um die Wählerinnen und Wähler im Havelland zu überzeugen.

Bürgermeisterwahlen 2016 Kloster Lehnin Lübbenau/Spreewald Groß Pankow Mühlberg Angermünde Premnitz Uckerland Wittenberge Stahnsdorf Gumtow Schwarzheide Bad Belzig Müncheberg Kremmen

20.03.2016 20.03.2016 03.04.2016 03.04.2016 10.04.2016 10.04.2016 10.04.2016 10.04.2016 17.04.2016 29.05.2016 11.09.2016 25.09.2016 25.09.2016 06.11.2016

Landratswahlen 2016 Havelland 10. April Potsdam-Mittelmark 25. September

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Unsere neue Parteischule: Ostkurve ‘16

Wissen sammeln. Die SPD Brandenburg hat eine neue Parteischule. Sie steht allen Mitgliedern offen und bietet Seminare und Fortbildung zu Politik und Partei. Exkursionen an spannende Orte, wo täglich Politik gemacht wird, runden das Programm ab. Schaut mal rein!

TRADITION SEIT 1906.

Von Beginn an war die sozialdemokratische Bewegung von dem Gedanken geprägt, möglichst vielen Menschen Wissen zu vermitteln. Bereits seit den 1830er Jahren entstanden auf dem Gebiet des Deutschen Bundes erste Arbeiterbildungsvereine. Daraus entstand der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV), der am 23. Mai 1863 in Leipzig gegründet wurde. Er gilt als Vorläufer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 16

Am 15. November 1906 wurde die zentrale Parteischule der SPD in der Lindenstraße 3 in Berlin eröffnet. Das Kursangebot der Schule richtete sich an „parteigenössische Agitatoren in Wort und Schrift“, die – wie es im Schulprogramm hieß, das „für die Aufklärung der breiten Massen erforderliche Maß von Wissen und theoretischer Schulung“ erwerben sollten. Die Eröffnungsrede hielt August Bebel.


Ostkurve ‘16

Handwerk lernen. as Gleich d rdern: m anfo Program andenburg.de d-br info@sp

BRANDENBURGER MODERNE. Mit den Lehrmethoden des Jahres 1906 hat die Brandenburger Parteischule nicht mehr viel zu tun. Heute steht für uns der Spaß am Lernen im Vordergrund. Wissen und Handwerk, darum geht es in unserer Parteischule.

In unserer Akademie bieten wir unseren Mitgliedern ein hoch attraktives Programm zu einem Top-Preis. Unsere Referenten kommen alle aus der Praxis und vermitteln neben wichtigen Grundkenntnissen viele Tipps für den täglichen Politikbetrieb. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Die Teilnehmer unserer Akademie können sich

neben wenigen Pflichtkursen das Programm nach ihren eigenen Interessen individuell zusammenstellen. Unsere Exkursionen stehen auch Nicht-Mitgliedern offen. Gemeinsam mit prominenten Gästen besichtigen wir spannende Orte in und um Brandenburg. Die Teilnahme an Exkursionen ist in der Regel kostenlos.

Weitere Informationen gibt‘s beim SPD-Landesverband Brandenburg Tel. 0331 730 980 0 Mail: info@spd-brandenburg.de 17


„Mit der Pritsche in der Turnhalle ist es nicht getan.“ Keine andere Verwaltung in Deutschland hat mehr Erfahrungen in Integrationsfragen als das Bezirksamt Neukölln. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation in Neukölln und darüber hinaus ein? Die sozialen Problemlagen mit einer Arbeitslosigkeit von über 14 % und einem Armutsrisiko von 24 % der Bevölkerung und über 75 % Kinderarmut in Nord-Neukölln sind immens. Die größte Herausforderung bei allem ist die Bildungsferne. Über 26 % der Bevölkerung haben einen niedrigen Bildungsstand, über 34 % keine Berufsausbildung, 28.000 funktionale Analphabeten leben in Neukölln. Eng damit verbunden ist die hohe Zahl der Transferleistungsempfänger. Mit 78.000 Menschen erhält fast jeder dritte Neuköllner unter 65 Jahren Hartz 4. Über 40.600 sind Langzeitkunden des Jobcenters. Oft müssen wir ausgleichen, was in der familiären und frühkindlichen Förderung der Kinder nicht passiert ist. Dafür halte ich den frühen Kita-Besuch für ganz entscheidend. Aus meiner Sicht muss institutionelle Förderung vor individuelle Förderung ge-

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Gespräch mit der Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Dr. Franziska Giffey (SPD) über die Integration von Flüchtlingen

hen. In Neukölln nützt es nichts, das Kindergeld um 10 Euro zu erhöhen. Aber die Voraussetzungen für Ganztagsschulen, für eine gute Betreuung, für Schulstationen und für Lernwerkstätten zu schaffen - das hilft wirklich weiter. Nach wie vor halte ich daher das Thema Bildung für eines der Schlüsselthemen für die Zukunft Neuköllns. Dabei geht es darum, gute Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es beim Bildungserfolg eines Kindes nicht darauf ankommt, in welcher Familie es geboren und aufgewachsen ist. Aber Neukölln ist mehr als die Summe seiner Probleme. Wir haben auch sehr gute Potenziale und große Chancen. Die Neuköllner Wirtschaft steht gut da. Und wir sind Anziehungs-

punkt für Kreative und Künstler, die zunehmend hierher kommen, weil sie Neukölln als Lebens- und Arbeitsmittelpunkt einfach attraktiv finden. Für viele andere Städte in Deutschland, die auch von Zuwanderung betroffen sind, sind wir eine Blaupause. Viele finden uns interessant, weil sie wissen wollen, wie wir die Dinge lösen, mit pragmatischen Lösungen einerseits, aber auch mit viel kreativem Engagement. Wir lösen vieles mit anderen Wegen als den herkömmlichen. Und wir haben Menschen, die sich hier sehr engagieren und die jeden Tag dafür arbeiten, dass dieser Bezirk sich in eine gute Richtung entwickelt. Bei uns ist vieles möglich, das macht Neukölln so besonders.

Nun zur uns alle bewegenden Flüchtlingsfrage. Welche Voraussetzungen müssen seitens des Staates geschaffen werden, damit die Flüchtlinge bei uns integriert werden können? Mit der Pritsche in der Turnhalle ist es nicht getan. Wenn täglich hunderte und an einigen Tagen sogar über tausend Menschen in Berlin ankommen, ist die akute Nothilfeversorgung mit einem Schlafplatz und Essen in der Tat die dringendste Aufgabe. Aber was, wenn die Menschen auf der Pritsche in der Turnhalle angekommen sind und wissen wollen, wie es weitergeht. Wenn sie monatelang auf die Entscheidung über ihr Asylverfahren und die Anerkennung ihrer Schul- und Berufsabschlüsse warten müssen.


Ostkurve ‘16 Am schwersten zu ertragen sind dann Langeweile und Perspektivlosigkeit. Über die Erstversorgung hinaus muss daher zügig daran gearbeitet werden, die Kinder in den Willkommensklassen der Schulen unterzubringen und die Erwachsenen in Deutschkurse zu vermitteln. Neukölln erbringt mit inzwischen 54 Willkommensklassen für Kinder ohne Deutschkenntnisse und 640 Volkshochschulkursen für Deutsch als Zweitsprache allein im letzten Jahr eine enorme Integrationsleistung. Gefördert werden müssen Ansätze, die integrativ arbeiten. Wenn Willkommensklassen, dann gemischt mit anderen Kindern, die einzig eint, dass sie alle kein Deutsch können, aber so schnell wie möglich in die Regelklasse wollen. Wenn Frauenprojekte, dann nicht ausschließlich für Flüchtlingsfrauen, sondern breiter aufgestellt. Wenn neuer langfristiger Wohnraum geschaffen wird, dann keine reinen Flüchtlingssiedlungen, sondern sozialer Wohnungsbau für alle Berlinerinnen und Berliner mit einem Anteil an Wohnungen für Flüchtlinge. Die Konzentration bestimmter Flüchtlingsgruppen in sozialen Brennpunkten führt wieder zu Parallelstrukturen, die später zu Integrationsproblemen führen. Die Fehler aus den Zeiten der Gastarbeitergenerationen dürfen nicht wiederholt werden.

Was muss getan werden, um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können? Berufliche Qualifikationen der Flüchtlinge müssen ermittelt und der Zugang zum Arbeitsmarkt befördert werden. Es ist allerdings auch so, dass es sich bei dem syrischen Arzt, der schon fließend Deutsch spricht und sofort im deutschen Gesundheitswesen einsetzbar ist, eher um ein Ausnahmebeispiel handelt. Auf der anderen Seite der Medaille steht die Tatsache, dass viele Flüchtlinge eben nicht sofort in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Viele brauchen Alphabetisierung und Grundbildung. Die Arbeitsmarktinstrumente des Jobcenters zur beruflichen Eingliederung müssen daher viel stärker an die Sprachförderung und die Vermittlung von Grundwissen angepasst werden. Allein das Jobcenter Neukölln rechnet mit über 3.500 Neukunden, wenn die Asylverfahren abgeschlossen sind. Viele Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen es keine Demokratie und kaum Toleranz gegenüber anderen Glaubens- oder Lebensformen gibt. Wie können wir die Entstehung weiterer Parallelgesellschaften verhindern? Wir müssen die Menschen, die hier neu ankommen, so integrieren, dass sie ihren Platz in der deutschen Gesellschaft finden können.

Dazu gehört, dass sie Bildung erfahren und selbst tätig werden können, dass sie einen Beitrag zum Wohlstand des Landes leisten können. Am Anfang kosten Willkommensklassen und zusätzliche Sprachkurse natürlich mehr Geld. Aber noch teurer wird es langfristig, wenn wir diese Investitionen nicht tätigen. Und noch unverantwortlicher wird es, wenn wir die Integration und Aufnahme denjenigen überlassen, die die Parallelstrukturen noch verfestigen. Ein Großteil der Flüchtlinge kommt aus Mitgliedsländern der internationalen Organisation der Islamischen Konferenz, in denen der Islam die Religion der Bevölkerungsmehrheit ist. Erste Anknüpfungspunkte für diese Menschen in einem fremden Land sind vielfach die Moscheen. Allein in Neukölln gibt es 19 Moscheevereine, viele organisieren eigene Projekte und Unterstützungsleistungen für die Flüchtlingshilfe. Dagegen ist erst einmal grundsätzlich nichts zu sagen. Wir bemerken jedoch, dass auch fundamentalistisch geprägte Moscheevereine, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, die Flüchtlingsarbeit als Rekrutierungsinstrument für sich entdecken. Hier müssen staatliche Organisationen wachsam sein und die rechtsstaatlichen Prinzipien unserer Verfassung verteidigen und durchsetzen.

Wie kann der einheimischen Bevölkerung die Angst vor der Flüchtlingskrise genommen werden? Das Schlimmste, was bei der Bewältigung der aktuellen Probleme passieren kann, ist, dass staatliche Institutionen steuerungsund handlungsunfähig werden. Wenn die Bevölkerung den Eindruck gewinnt: „Die da oben haben die Lage nicht mehr im Griff.“ Hier müssen Verfahren und Strukturen professioneller aufgestellt werden. Und ganz wichtig ist auch, dass die Flüchtlingsarbeit nicht zu Lasten anderer Leistungen für die Bevölkerung gehen darf. Wenn die Schlangen vor den Berliner Bürgerämtern nicht kürzer werden, Schul- und Vereinssport wegen der Einrichtung von Notunterkünften in Turnhallen nicht mehr stattfinden kann, Schulgebäude ma­ rode, Kitaplätze nicht ausreichend und bezahlbare Wohnungen rar sind, wird die Akzeptanz für die Flüchtlingshilfe sinken. Ein Verteilungskampf um die öffentliche Daseinsvorsorge und die damit verbundene Gefährdung des sozialen Friedens müssen verhindert werden. Darauf müssen sich alle Kräfte und Bemühungen in den kommenden schwierigen Zeiten richten. Getreu nach dem Neuköllner Rütli-Schwur: „Nicht in Zuständigkeiten, sondern in Verantwortung denken.“


Neumitglied des monats Für Politik interessiere ich mich ... weil sie das Leben und die Zukunft meiner Kinder beeinflusst. Warum ist es die SPD? Eigentlich war ich nie SPD-Fan, ich habe jahrelang die CDU gewählt. Allerdings bin ich sozial eingestellt. Dann habe ich erlebt, dass die SPD die einzige Partei war, die sich für unser ehrenamtliches Engagement in Rathenow interessiert hat, uns unter die Arme gegriffen und unterstützt hat. Zur SPD gekommen bin ich ... weil der OV-Vorsitzende Hartmut Rubach uns als Vertreter des Kita- und Hortbeirates Rathenow (KHoBRa) in den Ortsverein der SPD eingeladen hat. Wir sind hingegangen, um uns schlau zu machen. Dort hat mich vor allem Martin Gorholt überzeugt. Ich halte ihn für nett und kompetent. Er hat mich aber nicht nur durch Argumente oder Inhalte beeindruckt, sondern durch sein Auftreten. Er hat uns ernst genommen. In der SPD will ich ... mich für meine Stadt Rathenow engagieren. Mein erstes Ziel ist es, in die Fraktion der Stadtverordnetenversammlung zu kommen. Ich war dort als Gast und hatte den Eindruck, dass viele alte Leute über Dinge diskutieren und entscheiden, zu denen sie manchmal gar keinen Bezug haben. Ich finde, dass junges Blut in die SVV muss.

Mit dem Roten Adler durchs Jahr Mehr auf der Facebook-Seite der SPD Brandenburg

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Mike Großmann, 37 Rathenow


Ostkurve ‘16 Brandenburger Köpfe

Mike Bischoff ist neuer Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Ihm zur Seite steht der neu gewählte parlamentarische Geschäftsführer Björn Lüttmann.

Am 12. Dezember wählte der Bundesparteitag Thorsten Jobs zum stellvertretenden Vorsitzenden der Bundesschiedskommission.

Robert Dambon wurde am 16. Januar vom SPD-Parteitag in Seddin zum neuen Vorsitzenden der SPD Potsdam-Mittelmark gewählt.

Der Augenspiegel Hermann von Helmholtz: Straßen, Schulen, eine ganze Forschungsgemeinschaft sind nach ihm benannt. Wer war er? Helmholtz, 1821-1894, war Physiologe und Physiker, Universalgelehrter und Professor. Geboren wurde er in Potsdam. In eine seiner Erfindungen mussten wir alle schon einmal hineingucken, in den Augenspiegel. Die Idee für dieses Gerät kam Helmholtz beim Betrachten von leuchtenden Katzenaugen. Da Katzen keine eingebauten Laternen haben (das war ihm als Universalgenie sofort klar), muss es sich um eine Lichtreflexion handeln. Helmholtz ertüftelte einen halbtransparenten Spiegel, mit dem im selben Winkel, in dem der Arzt ins Auge blickt, Licht hineingeworfen werden kann.

Fotos: Humboldt-Universität Christoph Knoch rechts: Internet-Folklore

Schon gewusst?

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Bewegender Abschied Über 300 geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft waren am 6. Januar nach Potsdam gekommen, um Abschied von Klaus Ness zu nehmen. „Sehr würdevoll“, so bezeichneten nahezu alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Trauerfeier im Plenarsaal des Brandenburger Landtages. In ihren Reden erinnerten Ministerpräsident Dietmar Woidke, SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Wirtschaftsminister Albrecht Gerber an den Politiker, Menschen und guten Freund Klaus Ness. Auch Brandenburgs CDU-Vorsitzender Ingo Senftleben erinnerte in einer persönlichen und bewegenden Rede an den im Dezember überraschend verstorbenen Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion und früheren Generalsekretär der Brandenburger SPD. Er war ein großer Sozialdemokrat und wird uns fehlen. Ruhe in Frieden, lieber Klaus Ness!


Wir trauern um Klaus Ness


abpfiff.

Ortsvereinsliga Brandenburg

D i e Ku r v e n - G l o s s e

Die 18 größten Ortsvereine der SPD Brandenburg

Angela im Dschungelcamp Es gibt eine Sache, die wichtiger ist als der Rückrundenstart der Bundesliga: Das Dschungelcamp „beim RTL“. Eine Gruppe wenig talentierter Menschen kriecht tagelang durchs Unterholz und geht sich auf die Nerven. Sie streiten sich, wenn Ekel-Prüfungen in die Hose gehen und der Wohlstand der Gruppe (Essen!) in Gefahr gerät. Sie giften sich an und streuen miese Gerüchte über ein auserkorenes Opfer. Angela Merkel muss sich neulich bei der CSU-Klausur genau so gefühlt haben. Weil sie bei der Flüchtlingsprüfung keine Sterne holt, ist die zum Gespött der christsozialen Gruppe geworden. Dschungelcamper wissen, was das bedeutet: Statt Dschungelkönigin zu werden, wird sie in geraumer Zeit im Bundestag ans Mikro treten und rufen: „Ich bin ein Star. Holt mich hier raus!“

Der SPD-Landesverband im Regine-Hildebrandt-Haus Alleestraße 9, 14469 Potsdam 0331 –73 09 80 - 0

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Rang 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Ortsverein Potsdam-Mitte Nord Babelsberg Falkensee Kleinmachnow Potsdam-West Oranienburg Hohen Neuendorf Teltow Potsdam-Süd Schwedt Neuruppin Fürstenwalde Cottbus-Nord Cottbus-Mitte/Ströbitz Neustadt-Wilhelmsdorf Bernau Prenzlau Königs Wusterhausen

Mitgl. 231 191 189 130 111 108 102 98 83 79 76 73 72 71 68 67 67 65

Januar 2016

IMPRESSUM. Klara Geywitz Generalsekretärin (V.i.S.d.P.) Daniel Rigot Landesgeschäftsführer Matthias Beigel Stellv. Landesgeschäftsführer Birgit Gorholt Arbeitsgemeinschaften Wilma Jacobi Finanzen Arnulf Triller Politik und Kommunikation

Bildnachweise: clipdealer.de (S.1,2,6,14,17); www. franziska-giffey.de (S.2,18); Oliver Lang (S.3,15); www. susanne-melior.de (s. 7); (C) Union Européenne (S.8;10); www.martin-schulz.eu (S.9); www.f60.de (S.12); Georg Abel (S.15); Ralf Tebling (S.15); FES-Archiv (S. 16); Mike Großmann (S.20); SPD-Landtagsfraktion (S21,23); Thorsten Jobs (S.21); Julian Frohloff (S.21); Arnulf Triller (S.22)

Ostkurve.


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