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QUO VADIS ARBEITSMARKT?

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„VIELES WERDEN WIR UNS IN ZUKUNFT NICHT MEHR LEISTEN KÖNNEN“

Der steirische Arbeitsmarkt steht so gut da wie seit Jahrzehnten nicht. Trotzdem gibt es Handlungsbedarf, will man die heimische Wirtschaft weiter stärken. In welchen Bereichen genau und wie die Herausforderungen bewältigt werden könnten, erklärt AMSLandesgeschäftsführer KarlHeinz Snobe im Gespräch.

TEXT: LISSI STOIMAIER, FOTOS: AMS STEIERMARK/OPERNFOTO, SHUTTERSTOCK

„Die Steiermark steht wirtschaftlich exzellent da. Das liegt auch daran, dass kluge Menschen vor uns für ein breites Wirtschaftsspektrum vorgesorgt haben.“

KARL-HEINZ SNOBE

AMS-Landesgeschäftsführer A nfang des Monats twittert AMS-Steiermark-Chef KarlHeinz Snobe: „Heute wird es historische Arbeitsmarktvergleiche der Jänner-Daten geben.“ Und die Zahlen konnten sich wahrlich sehen lassen: Mit Ende Jänner 2022 waren 40.568 Menschen als arbeitslos registriert – zuletzt lag die Arbeitslosigkeit in der Steiermark im Jahr 1991 auf einem ähnlich niedrigen Niveau.

Klingt gut, ist gut. Heißt aber nicht, dass man sich entspannt zurücklehnen kann. Denn die Problemfelder haben sich verschoben. Vor allem die Herausforderung des Arbeits- und Fachkräftemangels wird sich weiter verschärfen. Langzeitarbeitslosigkeit, Arbeitslose 50plus und – immer schon – gesundheitliche Themen treffen auf die Inflexibilität von manchen Betrieben. Der Wandel vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt ist längst nicht mehr nur Annahme, sondern Realität.

Wie der steirische Arbeitsmarkt erfolgreich seinen Weg durch die Pandemie geschafft hat, was die größten Herausforderungen sind und wie diese bewältigt werden könnten, erklärt der AMS-Landesgeschäftsführer im Interview.

BUSINESS MONAT: Die steirische Wirtschaft befindet sich nach zwei Jahren Pandemie im Aufwind, die Arbeitslosenzahlen sind historisch niedrig, obwohl sie sich vor einem Jahr noch auf einem Rekordhoch befanden. Was ist Ihre Erklärung dafür?

Karl-Heinz Snobe: Ganz überraschend ist es nicht.

Wenn man sich die Entwicklung der Zahlen über die vergangenen Jahre hinweg anschaut, war diese Entwicklung sogar erwartbar.

Inwiefern?

Alleine im Zeitraum von 2016 bis 2019 registrierten wir in Summe 10.000 Arbeitslose weniger. Mit Pandemie-Beginn im März 2020 gingen die Arbeitslosenzahlen natürlich massiv nach oben. Aber jetzt haben wir ein massives Wirtschaftswachstum – zu erwarten sind rund fünf Prozent. Das hatten wir das letzte Mal in den 1970er-Jahren. Außerdem gab es coronabedingt einen Rückstau in puncto Investitionen. Dieser Nachzieheffekt gepaart mit der Wirtschaftsentwicklung erklärt die schnelle Erholung bei den Zahlen. Jetzt liegen wir wieder auf dem schon vor der Pandemie erkennbaren linearen Kurs.

Also wäre sogar eine weitere Entspannung erwartbar?

Laut Prognosen wird die Zahl der vorgemerkten Arbeitslosen im Laufe des Jahres im Durchschnitt um elf Prozent auf 33.100 sinken, jene der Personen in Schulung hingegen um 3,1 Prozent auf 8.600 ansteigen. Die Arbeitslosenquote soll um 0,8 Prozentpunkte auf 5,7 Prozent sinken – dies wäre der niedrigste Wert seit Mitte der 1980er-Jahre.

Worin sehen Sie wirtschaftlich die „Kraft der Steiermark“?

Die Steiermark steht wirtschaftlich exzellent da. Das liegt auch daran, dass kluge Menschen vor uns für ein breites Wirtschaftsspektrum vor-

ZUR PERSON

Karl-Heinz Snobe, geboren und aufgewachsen in Kärnten, zog für das Studium (Erziehungswissenschaften und Jus) nach Graz und war ab 1987 nebenbei im damaligen Arbeitsamt Graz tätig. 2002 wurde er stellvertretender Landesgeschäftsführer des Arbeitsmarktservice Steiermark, seit 2004 ist er Landesgeschäftsführer des AMS Steiermark.

gesorgt haben. Diese gesunde Mischung macht’s aus, denn sie bietet Menschen viele Möglichkeiten.

Wie steht die Steiermark im Österreichvergleich da?

Gut. Aktuell haben die westlichen Bundesländer durch den wieder angelaufenen Tourismus die Nase etwas vorne. Im Großen und Ganzen ist die Steiermark aber durch den Tourismus und die starke Industrie gut abgesichert.

Gibt es innerhalb der Steiermark starke regionale Unterschiede?

In Liezen verzeichnen wir mit –48,3 Prozent den höchsten Rückgang im Vergleich zum Vorjahr, während es in Weiz –21,3 Prozent sind. Da ist natürlich eine saisonale Tendenz zu beobachten, aber im Prinzip ist in der gesamten Steiermark übers Jahr gesehen eine sehr homogene wirtschaftliche Entwicklung gegeben.

Die guten Zahlen verleiten ja dazu zu sagen: Alles wunderbar. Aktuell gibt es keinen Handlungsbedarf. Sie sind da anderer Meinung.

„Ein Weiterdenken Richtung ErwachsenenLehre oder Lehre nach der Matura wäre notwendig.“

KARL-HEINZ SNOBE AMS-Landesgeschäftsführer

Ja, die Problemfelder haben sich nicht aufgelöst, sondern verschoben.

In welchen Bereichen?

Der Personalbedarf der heimischen Unternehmen ist zuletzt deutlich gestiegen. Es ist daher klar davon auszugehen, dass sich der Arbeits- und Fachkräftemangel weiter verschärfen wird. Die demografische Entwicklung – viele gehen bis 2030/40 in Pension, weniger Junge kommen nach, der Zuzug aus dem Ausland nimmt ab – verstärkt die Problematik. Auf der anderen Seite haben wir hingegen Langzeitarbeitslose, Menschen über 50 Jahre,

Frauen in Teilzeitarbeit und Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die oft nur wenig Chancen am Arbeitsmarkt haben.

Was wird seitens des AMS getan, um diese Problematik zu lösen?

Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Projekte. Eine Möglichkeit ist es, Personen ohne Facharbeiterqualifikation speziell für Unternehmen zu qualifizieren. Aktuell haben 43 Prozent aller vorgemerkten Arbeitslosen keine formale Ausbildung über die Pflichtschule hinaus. Das sind rund 18.000 Menschen, Tendenz steigend. Bei arbeitsplatznahen Qualifizierungen wie Stiftungen zum Beispiel werden in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen passende Bewerberinnen und Bewerber geschult und können so direkt und gut vorbereitet in ein neues Dienstverhältnis einsteigen. Mit mehr als vier Millionen Euro fördern AMS und Land Projekte zur Ausbildung arbeitsuchender Personen zu dringend benötigten Fachkräften.

Der Arbeitsmarkt wandelt sich zunehmend vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt. Welche Herausforderungen bringt das für Unternehmen mit sich?

Die Diskrepanz zwischen offenen Stellen und verfügbaren gut qualifizierten Arbeitskräften bedeutet, dass sich Ar-

beitnehmer mehr und mehr aussuchen können, wo sie in Zukunft arbeiten wollen. Viele Betriebe haben das noch nicht realisiert.

Ihre Forderung diesbezüglich?

Die Denke muss sich ändern. Vieles werden wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können. Etwa auf Arbeitskräfte zu verzichten, nur weil sie nicht dem oftmaligen Wunschschema jung, gut qualifiziert und männlich entsprechen. Dass 50 Prozent der unselbstständig arbeitenden Frauen nur Teilzeit arbeiten – alleine schon wegen der Gefahr der Altersarmut. Oder darauf, junge Menschen auf dem Weg in die Berufswelt zu verlieren. Hier sind auch die Schulen und Ausbildungsstätten gefragt.

Aktuell sind beim AMS Steiermark 3.000 offene Lehrstellen gemeldet. In diesem Bereich spricht man von der sogenannten Lehrlingslücke.

Aktuell gibt es doppelt so viele Lehrstellen wie Suchende. Hier muss man sich vom Festhalten typischen Altersvorstellungen verabschieden. Die meisten Betriebe fokussieren auf die Altersgruppe der 15- bis 16-Jährigen. Fast das gesamte duale System ist derzeit darauf aufgebaut. Eine Weiterentwicklung Richtung Erwachsenen-Lehre oder Lehre nach der Matura wäre notwendig.

Ein Appell zum Schluss.

Der Arbeitsmarkt dreht und verändert sich – und das in einer affenartigen Geschwindigkeit. Es ist Zeit für Unternehmen, die Politik sowie die Branchenvertreter, umzudenken und zu reagieren.

ZAHLEN ZUM STEIRISCHEN ARBEITSMARKT

(Quelle: AMS Steiermark, Stand Jänner 2022) • Mit Ende Jänner 2022 waren 40.568 Menschen als arbeitslos beim AMS registriert, gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 27,1 %. • Einschließlich der 8.175 TeilnehmerInnen an Schulungen sind damit derzeit 48.743 Steirerinnen und Steirer ohne Job. • Die Arbeitslosenquote liegt bei 7,1 Prozent (–2,7 Prozentpunkte). • In der derzeit laufenden Phase 5 der Corona-Kurzarbeit haben bisher mehr als 4.000 Betriebe

Kurzarbeit für rund 40.000

Beschäftigte beantragt. • Mehr als 3.000 offene Lehrstellen sind derzeit beim AMS Steiermark gemeldet.

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