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NACHGEFRAGT
QUO VADIS
STEIRISCHE WIRTSCHAFT?
Der BUSINESS MONAT hat die steirischen Sozialpartner zu Chancen und Herausforderungen für das Jahr 2022 befragt.
REDAKTION: LISSI STOIMAIER, FOTOS: OLIVER WOLF, FURGLER, MARIJA KANIZAJ, TEMEL/AK STEIERMARK, LK MELBINGER
JOSEF HERK
Präsident WKO Steiermark
RÜCKKEHR ZUR NORMALITÄT NOTWENDIG
Den massiven Corona-Einschränkungen ist im vergangenen Jahr ein starkes Wachstum gefolgt – das erhoffen wir uns auch für 2022. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings eine ehestmögliche Rückkehr zur Normalität, keine Wirtschaftshilfe der Welt kann das ersetzen. Darüber hinaus müssen wir Lösungen für den immer akuteren Arbeits- und Fachkräftemangel finden. In unserem aktuellen Wirtschaftsbarometer geben schon jetzt – trotz Pandemie – rund 82 Prozent der Unternehmen diesen Mangel als zentrale Herausforderung an, das ist Platz eins im Ranking der Standortsorgen. Und diese Situation wird sich angesichts der demografischen Entwicklung noch weiter zuspitzen, wie ein Blick auf die Statistik zeigt. Demnach ist die Zahl der über 50-jährigen unselbstständig Beschäftigten innerhalb von nur 15 Jahren von 68.893 auf 146.401 gestiegen. Das ist mehr als eine Verdoppelung! Gleichzeitig hat sich die Zahl der Jugendlichen in den letzten 40 Jahren halbiert. Man muss kein großer Mathematiker sein, um die Folgen abschätzen zu können. Darum haben wir in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Initiativen gestartet – vom Talentcenter bis hin zu den EuroSkills –, um junge Menschen bestmöglich ihren Interessen und Talenten entsprechend in Ausbildung zu bringen. Wir werden aber auch, so ehrlich muss man sein, nicht an qualifizierter Zuwanderung vorbeikommen.
HORST SCHACHNER
Vorsitzender ÖGB Steiermark
VERTEILUNGSGERECHTIGKEIT GEFORDERT
Die Gesundheitskrise ist noch nicht überwunden, aber es mehren sich doch die Anzeichen, dass dies bald der Fall sein könnte. Aus diesem Grund müssen wir unseren Blick wieder verstärkt auf soziale und wirtschaftliche Themen richten. Wirtschaftsdaten weisen darauf hin, dass Großunternehmen in gewissen Geschäftsfeldern von Corona profitiert haben und auch Vermögende zum Teil deutlich reicher geworden sind. Dies muss bei der Aufteilung der Krisenkosten berücksichtigt werden. So ist es für den ÖGB nicht vorstellbar, dass es bei den ArbeitnehmerInnen Einschnitte gibt und gleichzeitig Steuergeschenke für Unternehmen ausgezahlt werden.
Wen die Krise besonders getroffen hat, der gehört auch weiterhin unterstützt, das gilt für Klein- und Mittelbetriebe corona-geschüttelter Branchen wie auch für die vielen arbeitslosen Menschen in Österreich. Demgegenüber aber sollen die Profiteure der Krise auch bei den Kosten ihren Anteil leisten.
Der ÖGB Steiermark wird bei seiner heurigen Landeskonferenz Verteilungsgerechtigkeit und die Bewältigung der Klimakrise in den Mittelpunkt seiner Beratungen stellen.
STEFAN STOLITZKA
Präsident IV Steiermark
VORREITERROLLE AUSBAUEN
„Volle Kraft voraus, Steiermark“ – so unser Motto für das neue Jahr, das einige Herausforderungen birgt, aber auch zahlreiche Chancen für die Steiermark bereithält. Es kann uns beispielsweise mit Elan und Weitblick gelingen, schon bis 2024 Vorreiter in Sachen Glasfaser- und Breitbandausbau zu werden. Die Voraussetzungen sind gut und die Initiativen des Landes vielversprechend. Volle Kraft und Einsatz wird auch das Standortthema Nummer 1 von uns verlangen: 7 von 10 steirischen Industriebetriebe, gaben zuletzt an, nicht die Mitarbeiter:innen einstellen zu können, die sie benötigen. Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist allgegenwärtig und die Steiermark muss ihr Beschäftigungspotenzial erhöhen, verbessern und vergrößern. Der IV-Steiermark-Maßnahmenkatalog reicht etwa von Qualifizierung bis hin zur Optimierung von Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das neue Jahr ist aber auch eine Weichenstellung für große Infrastrukturprojekte. Die Chancen stehen gut, die Pyhrn-SchoberAchse in die EU-Liste der Transeuropäischen Netze aufzunehmen. Beharrlich bleibt die Industrie jedenfalls in den Fragen des Neubaus des Bosrucktunnels, eines Bahnhofs am Flughafen sowie dem Ausbau der A9 südlich von Graz.
JOSEF PESSERL
Präsident AK Steiermark
RAHMENBEDINGUNGEN VERBESSERN
Große Herausforderungen gibt es 2022 unter anderem beim Fachkräftebedarf und bei der Langzeitarbeitslosigkeit im Allgemeinen. In den Bereichen Pflege und Kinderbetreuung ist die Situation besonders dramatisch. Hier braucht es ganz dringend mehr Personal und bessere Rahmenbedingungen sowie ausreichend Kinderbetreuungsplätze. Die Stärkung der Massenkaufkraft wird, vor allem im Lichte der aktuellen Preisentwicklung, eine ganz besondere Rolle spielen. Davon profitieren alle. Neben der Entwicklung der Löhne und Gehälter bedarf es einer steuerlichen Entlastung der Einkommen aus Arbeit. Wir haben immer noch das Phänomen, dass Einkommen aus Arbeit wesentlich höher besteuert wird als Einkommen aus Vermögen. Der Hausverstand sagt einem, dass es, im Interesse aller, dringend erforderlich ist, die Steuerlasten fairer zu verteilen. Dies macht nicht nur wirtschaftlich Sinn, es ist auch zur Sicherung des sozialen Friedens und der Demokratie mehr als geboten.
Einen Beitrag dazu leistet auch die Arbeiterkammer, deren Leistungsbilanz 2021 wieder beeindruckende Zahlen ausweist. Die Expertinnen und Experten der AK Steiermark haben rund 63 Millionen Euro für die AK-Mitglieder erwirkt und 261.000 Auskünfte erteilt. Dazu kommen noch zahlreiche Beratungen und Förderungen in den Bereichen Konsumentenschutz, Bildung, Steuer, Digitalisierung, Arbeitnehmerschutz, Pflege oder Frauen und Gleichstellung.
FRANZ TITSCHENBACHER
Präsident Landwirtschaftskammer Steiermark
ERNEUERBARE ENERGIE STATT GREENWASHING
Die 35.000 steirischen Bauernfamilien tragen wesentlich zur Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln, hohen Lebensqualität sowie zum Erfolg des steirischen Tourismus bei. Allein im Grünen Herz Österreichs sichert die Land- und Forstwirtschaft gemeinsam mit den nachgelagerten Verarbeitungsbetrieben direkt 100.000 Arbeitsplätze. Doch die steigenden Kosten und die fehlenden Herkunftskennzeichnungen bringen die Landwirtschaft enorm unter Druck. Zusätzlich sind die Bäuerinnen und Bauern stark vom fortschreitenden Klimawandel betroffen, sie sind aber gleichzeitig ein wichtiger Teil der Lösung. Die Klimakrise ist nur durch erneuerbare Energie zu bewältigen und nicht durch Greenwashing von Atomkraft oder durch Nutzungseinschränkungen und Außernutzungstellen unserer Wälder. Letzteres hat die EU ebenfalls vor.
Umzusetzen ist auch die verpflichtende Herkunftskennzeichnung. Woher Eier, Milch und Fleisch in verarbeiteten Lebensmitteln wie Nudeln, Käse oder Wurst sowie im Essen von Kantinen und Mensen stammen, muss ausgewiesen werden. Laut Regierungsprogramm hätte dies schon im Jahr 2021 erfolgen sollen. Das Zaudern des Gesundheitsministeriums schadet nicht nur der Landwirtschaft und der gesamten Lebensmittel-Wertschöpfungskette, sondern ist auch eine grobe Missachtung der Konsumentenwünsche nach einer klaren Herkunftskennzeichnung.