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GANZ VIEL GESPÜR

Pamelas

GESPÜR FÜR DEN MOMENT

In einer Ausnahmezeit gelangen Pamela Rußmann bewegende Porträts: in ihren vier Wänden, ohne dafür Lockdown-Regeln zu brechen. Ihren Pandemiefrauen widmet sie nun ein wundervolles Buch.

Text: Viktória Kery-Erdélyi Fotos: Pamela Rußmann

Sarah ist eine Schönheit, aber daran allein liegt es nicht, dass das Buchcover einen beinahe hypnotisiert. Sie ist Schauspielerin und Stand-up-Comedian. Noch bevor der erste Lockdown ausgesprochen wurde, wurde ihr alles verboten, womit sie ihre Existenz bestritt. Aber Sarah lacht auf diesem Foto, strahlt übers ganze Gesicht. Das erinnert in einem Sekundenbruchteil daran, dass sich das auch in schlimmen Zeiten ausgeht.

Diesen besonderen Moment fing die Fotografin Pamela Rußmann am 31. Dezember 2020 mit ihrer Kamera ein – und das, ohne die Wohnung während des Lockdowns zu verlassen: Sie fotografierte mithilfe der Webcam. Gleich zu Beginn der Pandemie hatte sie erkannt, dass diese Art und Weise, Menschen zu porträtieren und eine Ausnahmezeit zu dokumentieren, nicht nur sie fesselte. Kürzlich veröffentlichte sie das bemerkenswerte Buch „Irgendwann geht auch das vorbei. Frauen in Zeiten von Corona“ (Leykam Verlag).

Von Nähe und dem Anfang.

Pamela Rußmann hat ein besonderes Gespür. Bei einer Preisverleihung beispielsweise macht sie weit mehr als Bilder von Nominierten, Ausgezeichneten und Mitfeiernden. Sie erzählt mit ihren Bildern Geschichten. Auch abseits des Scheinwerferlichts, häufig in Schwarz-Weiß. „Ich mag es wahnsinnig gern, mich auf Menschen und Situationen einzulassen, wenn ich mit meiner Kamera fast verschwinde, wenn mich die Menschen, die ich fotografiere, vergessen.“

Als der erste Lockdown vor der Tür stand, zog sie mit ihrer Tochter – sie macht gerade Matura – für einige Wochen von Wien in die Steiermark zu ihren Eltern. Sie hatte schnell einen klaren Blick auf die Situation: „Mein Horrorszenario waren fünf Jahre Pandemie“, erinnert sie sich im Interview. Vorm Fernseher sitzend, kombinierte sie beinahe im selben Atemzug, dass es nicht bei den medizinischen und wirtschaftlichen Fol-

muss

Am meisten tut es mir leid, dass ich meine Oma nicht umarmen kann.

Sigrid, Singer-Songwriterin, lebt in Wien und im Mostviertel. Shooting am 12. Jänner 2021

gen bleiben würde. „Als ich die Pressekonferenzen der Regierung gesehen hab‘, hab‘ ich immer gehofft, dass es im Hintergrund auch Expertinnen und Experten für die psychosozialen Aspekte gibt.“

In Wort und Bild. Pamela Rußmann fotografiert seit ihrer Kindheit; bis heute teilweise sogar mit original Equipments aus den 1970er-Jahren von Papa und Onkel. Parallel dazu schwingt stets die Liebe zu(m) Texten mit: Sie arbeitete beim ORF-Radiosender FM4, ist Gründungsmitglied der ORF-LateNight-Show „Willkommen Österreich“ und verschlingt und diskutiert mit großer Leidenschaft Literatur im von ihr gehosteten Buchklub „Salon Sorority“.

Für das Jahr 2020 hatte sie ein neues Lebenskapitel geplant; der Schritt war intensiv durchdacht: Sie zog einen Schlussstrich unter ihre Fernsehtätigkeit, ab Mitte März war alles darauf ausgerichtet, den Fokus komplett auf die Fotografie zu legen. Doch dann kam der erste Lockdown und ihr bereits schön gefüllter Kalender war plötzlich leergefegt. Die Situation erlebte sie „mit einem mentalen Vorsprung“, sagt sie. „Ich hab‘ ja einen Neustart geplant und war somit auf ein vielleicht holpriges Jahr eingestellt. Ich war schon geschockt, aber nicht unvorbereitet.“

HERZLICHE BUCHEMPFEHLUNG.

Die Worte am Umschlag treffen es punktgenau: Pamela Rußmanns Werk ist „ein berührendes Zeitdokument, das die großen Fragen unseres Lebens stellt“. „Irgendwann geht auch das vorbei“, Leykam Verlag, € 24

Ich habe gemerkt, wie wenig ich eigentlich brauche, um zufrieden zu sein.

Mari, Moderatorin, Journalistin, Podcasterin, aufgewachsen in Bruck an der Leitha. Shooting am 27. Jänner 2021

Und während die Gesellschaft begann, in den digitalen Raum auszuweichen, lud sie bereits am 23. März 2020 zum ersten Shooting: Sie fotografiert ihre Freundin Sarah – mit ihrem Equipment, aber via Webcam. Sie ist fasziniert von der Ästhetik der Fotografien und davon, wie die Porträtierte sich vor und mit dem Laptop bewegend Einfluss auf das Bild nimmt. „Ich wollte aber auch wissen, wie es Sarah ging; das Gespräch interessierte mich zusätzlich zu den Fotos.“ Sie teilt Sarahs Bildgeschichte auf den sozialen Medien und eine Welle der Begeisterung bestärkt sie, ihre Serie fortzusetzen. Manche Frauen kontaktiert sie direkt, andere finden sie, nachdem sie aktiv einen Aufruf startete.

Pamela Rußmann besucht online Singles, Frischverliebte, Mütter und Partnerinnen, Frauen mit unterschiedlichen Berufen und in mehreren Ländern. Sie begegnet Camilla in Kopenhagen, Zara in Oslo, Anja in Tirol. Viele trifft sie mehrmals; sie möchte erfahren, wie sich ihre Leben während der Pandemie verändern.

Konstanze ist die Jüngste im Bunde; zunächst bekommt sie einen Einblick in ihr Leben als Medizinstudentin, später erlebt sie sie nach einem anstrengenden Tag im Spital. Die Singer-Songwriterin Sigrid entflieht der kleinen Wohnung in Wien und der Tristesse leerer Konzertkalender ins Mostviertel; beim zweiten Fototermin zeigt sie glücklich ihren Babybauch. Katha hat einen fordernden Job und vier Kinder. Ihr Familienleben muss neu ausgerichtet werden, ihr Mann wird ihr „Krisenstabsleiter des Herzens“, beschreibt sie. „Er hält die Stellung im Haushalt, in der Versorgung und im Homeoffice.“

Für immer. Vor Kurzem erscheint Pamela Rußmanns Buch über ihre Pandemiefrauen, ihr dokumentarisches Projekt setzt sie aber fort: „Bis die WHO das Ende der Pandemie verkündet.“

Sie mag diese so besonderen Shootings und die Gespräche; es gelang ihr, selbst im digitalen Raum, den Menschen unerwartet nahezukommen. Parallel dazu ist ihre Freude, wieder mit der Kamera unterwegs sein zu können, groß. „Die kräftige Energie, die man im echten Leben spürt, kann man nicht ersetzen.“

muss

Mir fehlt das Rudel. Ich bin ein Rudeltier. Und Feste feiern und ins Kino gehen.

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