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BÜHNE UND BABY
MUSIKERIN UND MUTTER
& Musikerin
Sehr ehrliche Instagram-Postings und der Song „Lazo“ über die Mutterschaft berühren tief und wecken große Neugier: Daraufhin dürfen wir Sigrid Horn im Mostviertel besuchen.
Text: Viktória Kery-Erdélyi Fotos: Viktória Kery-Erdélyi, Magdalena Blaszczuk, Ceci Gervaso, Cabong Studios
Fémina sind zwei Schwestern und eine Freundin, sie sind Superstars aus Argentinien und die Herzensband von Sigrid Horn. Als sie sie 2019 in Wien bei einem Konzert erlebte, hatte eine
Musikerin aus dem Trio ihre Kinder mit, eine andere war hochschwanger. „Ah, das geht: eine internationale Tour als
Mutter“, dachte sich die Dialekt-Liedermacherin damals.
Zwei Jahre später hält Sigrid Horn einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Ihre Karriere blüht gerade auf; trotz coronabedingtem Rückschlag und verschobener Konzerte feiern Musikliebende und Menschen aus der Branche ihr Album „i bleib do“, 2021 erhält sie den Hubert von Goisern-Kulturpreis.
Sie fragt sich: „Was mach‘ ich jetzt? Kann ich Musikerin sein oder ändere ich mein
Leben und ziehe mich zurück?“
April 2022. In der Küche duftet es köstlich, große Fenster geben den Blick in die hügelige, saftig grün leuchtende Landschaft frei. Sigrid Horn übergibt das strahlende Baby Papa Felipe Scolfaro Crema, damit sie sich aufs Interview konzentrieren kann. „Bitte nimm dir“, zeigt sie auf den Teller. Ihre Mini-Marmor-Cheesecakes sind himmlisch.
NIEDERÖSTERREICHERIN: Ist das eine neue Facette, seit du Mama bist?
Sigrid Horn: Gar nicht! Ich hab‘ schon als Teenagerin haufenweise Muffins gemacht. Dem hab‘ ich meine Mathematura zu verdanken, weil uns ein Freund eine Formel anhand von Schoko- und Vanillemuffins erklärt hat (lacht).
Bei unserem Zoom-Interview 2020 war grad Lockdown, du hattest dein zweites Album herausgebracht, aber alle Konzerte wurden abgesagt …
Und ich bin im Haus nebenan in meinem alten Kinderzimmer gesessen, weil ich ein bisschen aus der Stadt musste. Meine Eltern haben immer davon geträumt, hier statt dem alten Stadel etwas für Gäste oder die Kinder zu machen. Wenige Tage nachdem sie mit dem Fundament angefangen haben, erfuhr ich von der Schwangerschaft und ich hab‘ gefragt, ob wir uns ein bisschen in die Planung einbringen dürfen (lacht). Ich wollte mit dem Baby Zeit am Land verbringen, wie ein Lachs in die mütterlichen Gewässer zurückkommen – und zwischen unserer kleinen Wiener Wohnung und dem Mostviertel pendeln.
Wie hast du die Schwangerschaft erlebt?
Das Komische war: Wegen der Lockdowns haben das sehr wenige mitgekriegt. Pamela Rußmann hat mit mir über die Webcam ein schönes Fotoshooting im Winter gemacht, dann hab‘ ich
Sigrid Horn wuchs im Mostviertel als Jüngste von drei Geschwistern auf. 2018 veröffentlichte die Dialekt-Liedermacherin – sie spielt am liebsten Klavier und Ukulele – ihr Solodebüt „sog i bin weg“, 2019 gewann sie mit „baun“ gegen die Verbauung des ländlichen Raums den FM4 Protestsongcontest. 2020 präsentierte sie das Album „i bleib do“ in der Elbphilharmonie Hamburg. 2020/21 wurde sie als Künstlerin des „New Austrian Sound of Music“-Förderprogramms ausgewählt und erhielt den Hubert von Goisern-Kulturpreis. Sie lebt mit ihrem Partner, dem italo-brasilianischen Produzenten und Musiker Felipe Scolfaro Crema, und dem gemeinsamen Baby in Wien und im Mostviertel.
Konzerttermine: www.sigridhorn.at
sie gefragt: Magst du ein Foto mit meinem Bauch machen? (siehe Artikel S. 14) Ich wollte zeigen, dass ich mit der Musik weitermachen will, auch wenn ich Mutter werde. Bis heute wirst du als Frau in eine Schublade gesteckt, sobald du ein Kind bekommst. Ich fand, ich muss mich dem in der Öffentlichkeit stellen, meinen Schädel dafür hinhalten.
Als ich beschlossen hatte, Musikerin zu werden, schloss ich unbewusst aus, dass ich Kinder kriegen werde. Das hat sich für mich widersprochen; das ist das Bild, das die Gesellschaft vermittelt. Dann wurde ich schwanger und dachte mir: Ich zimmere mir meine eigene Schublade.
Sigrid Horn
Was magst du über die Geburt deines Babys erzählen?
Ich war zehn Tage drüber und es war sooo heiß! Die Stimmung war wie in einem Western: Es liegt viel Spannung in der Luft, weil gleich etwas passieren könnte – aber vielleicht auch nicht (lacht). Ich hatte einen Kaiserschnitt, weil es medizinisch notwendig war. Ich will schlimme Erfahrungen von anderen nicht kleinreden, aber ich sage das offen, um Frauen die Angst zu nehmen: Für mich war es auch mit Kaiserschnitt eine total schöne Geburtserfahrung.
Ich wunderte mich oft über Komplexe und Neurosen von Müttern, bis ich selbst eine wurde und feststellte, was man alles zu hören bekommt: Wie man zu sein hat, was man zu tun hat, wie man ausschauen soll. Am besten gleich nach der Geburt genauso wie davor. Natürlich verändert ein Kind den Körper. Heute fühl‘ ich mich mit den Generationen vor mir mehr verbunden; es ist, als wäre ich einem Geheimklub beigetreten.
Seit dem Herbst stehst du wieder auf der Bühne. Wie managt ihr das?
Ein Privileg unserer Situation ist, dass wir beide selbstständig sind und zusammenarbeiten, weil Felipe bei uns die Tontechnik macht. Wir haben gedacht, das ist cool und easy – das ist es nicht, und trotzdem ist es toll. Der Plan war, er bindet sich die Trage um und kann während seiner Arbeit aufs Kind schauen. Das war naiv, ein Baby hängt ja nicht da wie ein Sackerl, es braucht Aufmerksamkeit (lacht). Also machen wir es jetzt so: Felipe macht vorher den Soundcheck, übergibt dann an den Techniker vor Ort und schaut dann aufs Kind,
GRENZENLOSE VERBUNDENHEIT.
Sigrid Horn (im Bild oben mit Bandmitgliedern Sarah Metzler und Bernhard Scheiblauer) veröffentlichte kürzlich mit den argentinischen Superstars „Fémina“ (unten) den deutsch-spanischen Song „Lazo“ (= „Verbindung/Schleife“). Ermöglicht wurde das Projekt mit einer Förderung im Rahmen der Initiative „Internationale Musikdialoge“ (Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten), um die die österreichische Liedermacherin angesucht hatte.
STARKE BILDER.
Das bemerkenswerte Video zum Song „Lazo“ kommt aus den brasilianischen Cabong Studios.
während ich auftrete. Wenn meine Eltern sich kümmern können, ist es das Allernetteste, ein Luxus.
Wie erlebst du die Konzerte?
Mein Glück ist, dass ich meine Leidenschaft und meinen Beruf in einem habe. Wenn ich jetzt auf der Bühne stehe, ist es noch heiliger und schöner, ich erlebe es viel bewusster. Das klappt nur, weil alle Rücksicht nehmen: unsere Band, die Agentur, meine Eltern … – viele helfen zusammen.
Es hat mich berührt, als du gepostet hast, dass du ein Konzert abgebrochen hast, weil du mit dem Baby ins Spital musstest …
Zum Glück war es dann nichts Schlimmes, aber das war zach. Wenn es super läuft, ist es so schön und ich denk‘ mir: Wir machen das Richtige. Wenn es nicht gut läuft, zweifle ich. Ich hab‘ so schöne Reaktionen bekommen, als ich wieder aufgetreten bin, wie inspirierend das für andere Mütter sei. Ich will nicht vorgaukeln, es ist alles perfekt. Ich bin mit meiner Musik so ehrlich wie möglich, so will ich in den sozialen Medien auch sein. Natürlich macht mich das auch vulnerabel.
Was ist die größte Herausforderung?
Dass ich bei jeder Entscheidung mitdenken muss, ob das fürs Baby funktioniert: Wo vorher fünf Fragen waren, sind es jetzt 500. Ich schaue fast mit Entzücken auf mein altes Ich zurück, worüber ich mir Sorgen gemacht habe (lacht). Heute kann ich die Hälfte meines Outfits vergessen, es ist mir wurscht. Hauptsache ich kann auf die Bühne!
Wir haben Glück, unser Kind ist so unkompliziert. Trotzdem ist es anstrengend. – Oh, ich sag‘ das heute viel zu oft! Wir hatten keine gute Nacht (lacht).
Ich liebe meine Kinder auch, aber es ist anstrengend!
Um ein Kind groß zu ziehen, braucht es ein Netzwerk, du kannst es nicht allein schaffen.
Sigrid Horn, Dialekt-Liedermacherin
Und es ist ein Tabu, zu sagen, dass es anstrengend ist. Es gibt überhaupt viele Tabus in Verbindung mit Mutterschaft; da muss ich ansetzen. Manche Musikerinnen thematisieren das gar nicht, das ist gescheit, sie kriegen nicht das Pickerl: „Die ist Mutter“. Für mich fühlt sich mein Weg trotzdem richtig an. Ich will in einer Gesellschaft ankommen, in der man einander mit weniger Vorurteilen begegnet. Jeder Mensch soll sich entfalten können, wie er will. Elternschaft gehört dazu.
Du hast mit „Fémina“ das zweisprachige Lied „Lazo“ veröffentlicht. Was ist der Hintergrund?
Wir haben uns darüber ausgetauscht, was es braucht, um Musikerin UND Mutter zu sein: ein Netzwerk, einen Halt, gesellschaftliche Strukturen, die das Ganze unterstützen. Du kannst es nicht allein schaffen. Wir haben uns gegenseitig Strophen und Refrains geschickt und sie zusammengefügt. In meinem Part geht es um
Ängste, Fémina singt übersetzt:
Mit vereinten Kräften bringen wir
Felsen zum Zerbersten. Der Refrain lautet: Die Umarmung ist die Verbindung – und ich singe: „Das geht sich alles aus, auch wenn du es manchmal nicht glaubst.“ Wie sind deine Zukunftspläne? Wir werden demnächst mit einem Streichquartett auftreten, später soll ein Album entstehen.
Und ich habe ein Musiktheaterstück über meine Großeltern geschrieben, die vor dem Zweiten Weltkrieg nach Chile ausgewandert sind. Sie waren Bildhauer, meine Großmutter bekam sieben Kinder und gab ihre künstlerische Karriere auf. Bei der Entscheidung, meinen Weg fortzusetzen, fühlte ich mich mit ihr sehr verbunden; ich mach‘s ein bisschen auch für sie, sie hatte nicht die Möglichkeiten, die ich heute habe.