8 minute read
VILLA POLESE
„Wir waren immer ein sehr offenes Haus!“
Die 130 Jahre alte Villa Polese in Unterach am Attersee steckt voller Geschichten und Leben. Wenn das Sonnenlicht magisch durch die alten Butzenscheiben in den Salon fällt und die alte Holzstiege charmant knarzt – die Besitzerin Sonja Polese kennt hier jede Ecke und weiß viel zu erzählen. Ein Hausbesuch.
Ansicht Salon mit Blick in den Garten und am See.
Es ist ein ruhiger Montagnachmittag in der Vorsaison, an dem ich das Ufer in Unterach entlangfahre, auf der Suche nach einem Haus, das ich nur von einer alten Schwarz-Weiß-Fotografie kenne. Die Villa steht direkt am Wasser. Ich gehe durch den Garten, vorbei an den Pfingstrosen, die kurz vor der Blüte stehen. Die verspielte Holzfassade mit den Schnitzereien im Salzkammergutstil sieht aus wie auf dem Foto. Auf der Sitzgarnitur vor der Villa reckt sich ein großer, getigerter Kater und genießt sichtlich die Sonne.
Da kommt mir auch schon die Dame des Hauses entgegen: eine zierliche, sehr junggebliebene Frau mit langen blonden Haaren. Sie trägt eine zinnoberrote Bluse und bittet mich in den Wintergarten. Wir nehmen auf antiken, neu bezogenen Biedermeier-Sofas Platz und trinken einen Espresso. An der Wand hängen ein paar Strohhüte und schmücken den Raum. Ein Gefühl von Sommerfrische pur!
Über die Polese-Bar spricht man heute noch
Diese Villa ist seit mittlerweile 40 Jahren der Lebensmittelpunkt von Sonja Polese. Anfang der 1980er-Jahre lernt sie den Besitzer der Villa, Tasso Polese, ihren verstorbenen Mann, kennen. Tasso Polese führte mit seinem Bruder während ihrer Studienzeit in den 1960er-Jahren das Haus als Pension. „Die Großmutter war der Küchenchef, sie hat gekocht und die ‚Buben‘ haben serviert, die Zimmer gemacht und die damals sehr populäre ‚Polese Bar‘ geführt. Sogar Heinz Conrads war hier regelmäßig zu Gast. Mit dieser Pension haben die Brüder Polese ihr Studium finanziert. Bis in die frühen 1970er-Jahre wurde das Haus so geführt“, erzählt die Besitzerin. Oft sei es die ganze Nacht durchgegangen und die beiden Studenten mussten dann am Morgen gleich wieder in die Küche das Frühstück zubereiten.
So wurde damals der Wintergarten zu einem Speisesaal umgebaut und das Haus im Stil der 1960er-Jahre erneuert. Nach gut drei Jahrzehnten hat das Ehepaar Polese die Veranda und die Fassade nach einem alten Stich wieder in den ursprünglichen Zustand zurückgebaut. „Damals hatte man leider kein Gespür für die alte Substanz. Details, die den Charme des Hauses ausmachten, wurden abgerissen“, erinnert sich die Villenbesitzerin. Später wurde dann eine Bodenheizung verlegt und das Sommerfrischedomizil winterfest gemacht.
„Wir begannen dann, ab und an hier für die Öffentlichkeit Jazzkonzerte, klassische Konzerte und Lesungen zu organisieren. Nach dem Tod meines Mannes 2014 habe ich mich schließlich auf Lesungen und Märchenerzählstunden beschränkt“, verrät uns Sonja Polese. Rauhnacht-Märchen im Winter, Geschichten mit Bezug zum See oder zur Fischerei im Sommer. Die nächste Veranstaltung, so Polese, sei für diesen Juni geplant.
Polese zeigt eine handschriftliche Widmung der Schriftstellerin Bertha von Suttner.
„Ich kann hier Hausmädchen, Villenbesitzerin oder Opernsängerin spielen. Dafür muss ich dem Haus auch dankbar sein.“ Sonja Polese
Außen verspielt – innen gediegen
Ursprünglich wurde die Villa während der 1890er-Jahre von Architekt Oskar Marmorek aus Wien für die Familie Baum gebaut. Eine Spezialität von Mamorek war es, das vornehm Wienerische mit dem Ländlichen aus dem Salzkammergut zu verbinden. Die verspielten Holzelemente im Holzbau außen, das gediegen Städtische innen. In der Zwischenkriegszeit kam die Villa dann in den Besitz der Familie Polese aus Wien.
„Die Villa wurde zum Sommerhaus der Großeltern meines Mannes. Mein Mann besuchte hier am Attersee den Kindergarten und die Volkschule. Tasso ist hier aufgewachsen, aber dann später wieder weggezogen.“ Zum Hauptwohnsitz von Sonja und Tasso Polese wurde die Villa erst 1989. „Wir haben uns zwischen Wien und Salzkammergut für letzteres entschieden. Hier am Attersee ist die Lebensqualität einfach göttlich, die Gegend paradiesisch und dieser Platz direkt am Wasser hat etwas ganz Besonderes.“ Auf meine Frage, wo denn ihr Lieblingsplatz im Haus sei, springt Polese von dem gemütlichen Polstermöbel auf und meint: „Lieblingsplätze gibt es hier viele und als Draufgabe noch einen Lieblingsausblick von mir auf den See.“ Doch dazu müssen wir hoch hinauf unter die Mansarde. Unsere Besichtigungstour beginnen wir gleich nebenan, im Salon.
Lichtspiele vom Feinsten
Die Holzvertäfelung im Salon und der offene Kamin machen diesen Raum zu dem, was er ist: ein äußerst gemütliches, stimmungsvolles Refugium. „Die Fenster an der Westseite der Villa dienen mit Sicherheit dazu, die wunderschöne Abendsonne in den Salon zu lassen“, ist die Besitzerin überzeugt. Durch die alten, farbigen Butzenscheiben entsteht ein Farbenspiel aus tänzelnden Lichtreflektionen. “Ich liebe dieses Spektakel an der Wand. Das Licht flimmert hier sozusagen wellenförmig durch den Raum, fast wie bei einem modernen Videoclip“, so Frau Polese und witzelt gleich darauf: „Dass diese 130-jährigen Fenster jemand anderer putzt außer mir, das geht gar nicht, das halte ich nicht aus!“
An der Wand im Salon hängt ein Bild der österreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer, der Autorin des erfolgreichen Romans „Die Wand“ aus dem Jahre 1963. „Sie war etliche Male hier im Haus und hat an ihren Büchern geschrieben. Ihr Sohn war mit meinem Mann sehr gut befreundet.“ Haushofer habe dabei oben in der Mansarde übernachtet. Es habe im Sommer immer wieder geregnet, weshalb der Kamin im Salon auch im Juni eingeheizt wurde, was die Schriftstellerin dazu bewogen hat, Folgendes zu schreiben (Frau Polese setzt ihre Brille auf und liest die Handschrift vor):
„Hier war es so gemütlich wie im Advent. Kerzenlicht, ein prasselnder Ofen und dann das trauliche Regengeplätscher. Nur die Bratäpfel haben gefehlt. Aber es war wirklich erholsam. Sollte es einmal wieder einen verregneten Juni geben, komme ich wieder.“ „Sie hat sich sichtlich wohlgefühlt hier“, kommentiert Frau Polese diese Zeilen gerührt.
Prominente Gäste
Doch nicht nur Schriftstellerinnen fühlten sich hier wohl, auch Filmregisseure, Dirigenten und Schauspieler waren gern zu Gast. Der österreichische Dirigent Franz Bauer-Theussl hat bei Besuchen, wie Frau Polese erzählt, immer seine neuesten CDs präsentiert. Wohlgemerkt mit Gehstock in der Hand wurden die Gäste instruiert, um – sobald die Partitur zu Ende war – ebenso den Takt anzugeben, wann das Essen angerichtet werden durfte. Sonja Polese lacht, wenn sie daran denkt und meint: „Durch ihn habe ich einen Zugang zu Operetten gefunden!“
„In ein neues Haus muss man erst Leben hineinbringen, in einem alten Haus ist schon Leben drin!“
Sonja Polese
Den alten Flügel wollte keiner, daher wurde dieser Teil des Gartens.
„Der Kommissar“ wurde hier in den 1960er-Jahren mit Günther Schramm gedreht. Jahrzehnte später, 2004, folgte ein weiterer Dreh mit Schramm: Heidelinde Weis und Erol Sander spielten in „Liebe hat Flügel“, erinnert sich Polese. „Sie wollten auch den ‚Stockinger‘ bei uns drehen, doch dafür hätten wir ein halbes Jahr ausziehen müssen.“ Das kam dann doch nicht infrage, auch wenn es sich um eine beliebte Krimiserie handelte. Ebenso wenig kam das Haus als Location für das Filmdrama „Funny Games“ von Regisseur Michael Haneke infrage. „Wir waren in puncto Locationvermietung damals eher zurückhaltend“, erklärt Polese.
Die Stiege knarrt
Wir steigen über die Stiegen hinauf in den ersten Stock. Bei jedem Schritt knarrt das alte Holz. „Heimliches über die Treppe schleichen gibt es im Hause Polese nicht“, scherzt die Dame des Hauses. Nach dem ersten Treppenaufgang führt rechts eine Treppe zu einer Türe und Frau Polese erklärt, dass dies der einstige Dienstboteneingang war. „Diesen separaten Eingang hatten die alten Villen hier früher alle. Auch die Küche hatte einen eigenen Eingang, so mussten die Dienstboten nicht durchs Haus.“
Einige der Bilder am Treppenaufgang stammen von Frau Polese selbst, eigentlich wollte sie einmal Malerei und Grafik studieren, bevor sie sich anders entschied. Seit fast vier Jahrzehnten beschäftigt sich Sonja Polese nun mit Keramik und entwirft handgefertigte Unikate in ihrem angrenzenden Atelier an die Villa mit Blick in den Garten. Dort entstehen Skulpturen, Bilder, Reliefs, Schalen, Vasen und vieles mehr, was wir später auch zu sehen bekommen.
Das Schlafzimmer im ersten Stock beherbergt eine kleine, aber sehr außergewöhnliche Bibliothek. Diese Sammlung ist deshalb besonders, weil eine Großtante von Tasso Polese bereits als Kind längere Zeit in London und in Paris verbracht hat. Von ihr stammt die Literatur in englischer und französischer Sprache, welche Tasso Polese von ihr geerbt hat. Darunter befinden sich Originalausgaben von Thomas Mann oder Oscar Wilde. Der Bruder der Großtante war ebenfalls Schriftsteller und mit der österreichischen Schriftstellerin Bertha von Suttner befreundet. Sie hat für ihn übersetzt, daher kommt es, dass in einem der Bücher eine persönliche Widmung der berühmten Schriftstellerin zu finden ist. Noch ein Treppenaufgang und wir sind in der neu renovierten Mansarde angelangt. Hier oben riecht es angenehm nach frisch gesägtem Holz und unsere Stimmen hallen in den noch leeren Räumen. Es steht lediglich ein Biedermeiersofa mit Blick zum See gerichtet. „Das ist der Bereich, wo ich laut Musik höre, erzählt Polese mit einer gewissen Begeisterung in der Stimme und fährt fort: „Da höre ich am liebsten Opern und singe alle Partien mit – ganz falsch und ganz leidenschaftlich!“
Der allerschönste Blick
Frau Polese öffnet die Balkontüre in der Mansarde und schwärmt: „Und das ist mein Lieblingsblick!“ Sie genießt den Ausblick für eine Weile und meint: „Eine besondere Stimmung ist aber auch kurz vor einem Sturm. Das ist wie großes Theater! Wenn die Wellen über die Ufermauer zischen und der Regen wie eine Wand auf einen zukommt. Da verwandelt sich der See in eine grandiose Kulisse …“