3 minute read

mitUnterwegs meinen Yaks

ROSULA BLANC

Ich beobachte das Wiegen der wolligen Rücken vor mir, die langen Schweife, die im Takt des Schrittes leicht hin und her schwingen, die feinen Gesten der Hörner, mit denen die Yaks untereinander kommunizieren.

Advertisement

Nayan neigt seinen Kopf etwas zur Seite, um mich aus den Augenwinkeln zu beobachten. « Alles ok », antworte ich ihm und zeige mit meinem Stock nach vorne.

Von Zeit zu Zeit fragen die Yaks nach, ob ich aufmerksam und bei ihnen bin, und ob ich mit meinem Körper dasselbe sage, wie der Hirte an der Spitze der Herde. Unterwegs kommunizieren wir kontinuierlich mit kleinen Gesten und der Positionierung unserer Körper. Manchmal werfe ich ihnen ein Wort – oder auch mal einen Tannenzapfen – zu, um sie zum Weitergehen zu ermuntern. Wenn ich als Hirtin hinter der Herde laufe, tauche ich ganz in ihre Welt und ihren Rhythmus ein. Am Ende der Herde bin ich am Platz des bricht und auseinanderfällt. Es sind nicht dieselben Pausen, nicht die gleiche Art des Innehaltens. Nur in den Momenten, in denen die Musik zu stocken droht, bringe ich mich treibend ein und ermutige und unterstütze die Karawane mit meiner Energie. Sobald die Yaks den Rhythmus wieder aufgenommen haben, lasse ich mich wieder treiben und schwimme mit dem Strom der Karawane. Es gibt Momente, in denen ich in die Stille eintauche und mit den Yaks die Landschaft betrachte, und es gibt Momente, in denen ich voller Freude und Übermut mit meinen Yaks die Geröllhalden hinunterlaufe.

Im Val d’Hérens (Schweiz) geht alles ein wenig beschaulicher zu.

Stieres, der meist das Schlusslicht der Karawane bildet und die Herde vor Gefahren von hinten schützt. Ich fühle mich nicht in der Rolle eines Hirtenhundes, der als externes Element die.

Herde vorwärts treibt, sondern vielmehr in der. eines grossen, wohlwollenden Stieres, der die.

Herde zusammenhält. Das ist eine ganz andere Qualität des Treibens. und der Beziehung zur Herde.

Es ist ein Rhythmus, in dem die Zeit sich verlängern oder verkürzen kann.

Gleichzeitig bin ich aber auch die Hüterin des Rhythmus. Ich spüre den Takt der Karawane in meinem Körper und lasse ihren Gesang durch mein Wesen fließen. Ich spüre, wann Pausen Teil der Symphonie sind, und ich spüre auch, wenn der Rhythmus

Der Rhythmus der Natur ist nicht präzise wie ein Metronom, sondern fliessend und zyklisch wie der Atem. Aktivität und Ruhe wechseln sich ab. So ist der Rhythmus der YakKarawane kein steifer, maschineller Rhythmus, sondern ein lebendiger Rhythmus wie ein Bach, der seinen Weg durch ein unregelmäßiges Gelände sucht: Manchmal fließt das Wasser schneller, manchmal langsamer, manchmal stürzt es über einen Felsen wild nach unten, manchmal schlängelt es sich schlendernd durch eine Ebene oder verweilt sich in einem Becken. Es ist ein Rhythmus, in dem die Zeit sich verlängern oder verkürzen kann; ein Rhythmus, der im Dialog mit dem Land, den Bergen und der Natur entsteht.

Yaks gehen nie regelmässig. Immer wieder halten sie an, um sich zu ori-

Auf Trekkingtour mit interessierten Gästen

entieren. Auf steilen Wegen bewegt sich die Karawane wie eine Ziehharmonika: der Leityak an der Spitze der Herde geht zügig voraus, dann bleibt er stehen, um zu verschnaufen und auf die anderen Mitglieder der Herde zu warten. Sobald alle aufgeholt haben, setzt er sich wieder in Bewegung, um nach ein paar hundert Metern wieder stehen zu bleiben und erneut auf die anderen zu warten.

1970 in Basel geboren und über ihre Mutter Roswitha, geb. Eidenbenz sowie über ihre Urgroßmutter Hanna mit uns Pfleiderern verwandt, träumt Rosula Blanc schon als Teenager davon, in den Himalaya zu reisen.

Mit 19 kommt sie nach Tokio, lebt fünf Jahre in Japan, wo sie eine Ausbildung als Tänzerin und Bühnenbildnerin in einer Butoh-Tanz -

Und so geht es weiter bis zum Pass: Laufen – Warten, Laufen – Warten. Das ist ein Yakrhythmus.

Die Karawane zwingt uns, unsere Konzepte des von Maschinen geprägten Industriezeitalters loszulassen, und konfrontiert uns wieder mit der Natur. Sie verbindet uns mit der Landschaft und lässt uns die Berge mit den Augen der Yaks betrachten und verstehen. ● theatergruppe absolviert. Diese energetische Arbeit wird sie ihr ganzes Leben lang begleiten und ihren Umgang mit Yaks stark beeinflussen. Sie sagt, dass sie mit ihren Yaks tanzt.

Nach ihrer Rückkehr nach Europa absolviert Rosula in London einen Master in Bühnenbild und setzt ihr Studium der energetischen Arbeit durch TaiChi und QiGong fort.

Gemeinsam mit dem Berg- führer André Georges wird schließlich eine alte Scheune in La Giette umgebaut und renoviert. 2008 Gründung des Bauernhofes „Yak shu lo ché“ („Yaks auf dem Felsen“ im Dialekt von Evolène).

Von Anfang an hat Rosula die Vision, mit Yaks zu arbeiten, d. h. sie tragen zu lassen und mit ihnen durch die Berge zu reisen, wie es die Völker des Himalaya tun. Auf sich allein gestellt – nach der Trennung von André übernimmt Rosula den Hof – beginnt sie zu beobachten und zu experimentieren. Sie organisiert und leitet Trekkingtouren in den Bergen in Begleitung von Gästen.

Doch ihre wahre Leidenschaft ist es, allein (oder mit einer Freundin) mit ihren Yaks auf Reisen zu gehen und mit ihnen in die Berge einzutauchen. Fast selbst- ständig über Stock und Stein zu gehen, der Sonne, dem Regen, dem Schnee und dem Wind zu begegnen, sich von den Bergen formen zu lassen und ständig mit den Yaks zusammenzuleben. So kann sich eine subtile Verbindung zwischen Menschen, Yaks und der wilden Natur entwickeln. Rosula, die mit Leib und Seele Geschichten weitergibt, teilt ihre Erfahrungen und Beob - achtungen mit uns durch ihre zahlreichen Talente – Grafikerin, Zeichnerin, Schriftstellerin, Forscherin, Tänzerin und QiGong-Praktizierende, eine versierte Künstlerin mit vielen Facetten.

Kontakt zu Rosula

Rosula Blanc

La Giette

CH-1984 Les Haudères www.yakshuloche.ch

Aus einer Stuttgarter Tageszeitung, 1934

This article is from: