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Bewegungstherapie & Long-Covid

Was hilft bei Long-Covid?

Bewegungstherapie hilft beim Post-Covid-Syndrom!

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Schon während des letzten Jahres ist es klar geworden, dass Covid-Erkrankte nach ihrer Genesung noch mit einer ganz anderen Gefahr rechnen müssen, die ihr Leben und ihre Lebensweise nachhaltig beeinflussen kann. Welche Therapien können den Betroffenen helfen?

Als Spätfolgen der Erkrankung treten Organschäden und psychische Auswirkungen wie Ängste und Depressionen auf. Auch wird häufig starker Schwindel beklagt, aber auch ausgeprägte Müdigkeit und Abgeschlagenheit bis hin zur chronischen Erschöpfung. Das Krankheitsbild ist äußerst vielfältig und die medizinische Wissenschaft steht erst noch am Anfang. Ein Erscheinungsbild erweist sich jedoch als sehr prominent: PostCovid-Fatigue. Die körperliche Belastbarkeit mindert sich stark, eine Überlastung muss vermieden werden. Atemtherapie und Physiotherapie spielen in der Behandlung des PostCovid-Syndroms eine große Rolle. Welche Aspekte könnten in der Bewegungstherapie für eine LongCovid-Therapie infrage kommen? Diese Frage stellte TT-DIGI Dr. med. Peter Niemann, Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie, der seit 2009 vornehmlich in den USA arbeitet und lebt. In seinem Buch „Das Long-Covid Syndrom überwinden“ , das wir in der letzten Ausgabe vorstellten, geht er auf klassische und alternative Therapien ein, um Betroffenen zu helfen, zu neuer Lebenskraft zurückfinden.

TT-DIGI: Herr Dr. Niemann, Physiotherapie spielt in der Reha nach einer Covid-Erkrankung eine große Rolle. Welche Interventionen haben sich bisher bewährt?

Dr. Peter Niemann: Physiotherapie spielt meiner Meinung nach die wichtigste Rolle, aber da Long-Covid eine den gesamten Körper betreffende Erkrankung ist, sind gerade auch Atmungstherapie, manuelle Thera-

pien wie Osteopathie oder Chiropraktik wichtig – wobei Saunatherapie die stärkste Evidenz hinsichtlich ihrer Wirksamkeit hat. Natürlich spielen Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel und, für viele vielleicht überraschend, Akupunktur eine ebenfalls große und wichtige Rolle.

TT-DIGI: Long-Covid-Patienten sind beeinträchtigt hinsichtlich Ausdauer, Kraft und Belastungsfähigkeit. Kann trotz alledem eine Bewegungstherapie helfen?

Dr. Peter Niemann: Natürlich! Genau diese Patienten profitieren besonders stark von einer Bewegungstherapie, wobei hier ein langsamer Beginn und eine auf Monate oder gar Jahre angelegte Behandlung wichtig sind.

TT-DIGI: Welche Voraussetzungen müssen dafür vorliegen, welche Testungen durchgeführt werden?

Dr. Peter Niemann: Ärzte sollten unbedingt ein großes Blutbild, Nieren- und Leberwerte, aber auch Entzündungsparameter bestimmen. Meistens lohnen sich auch ein Röntgenbild der Lungen und eine Lungenfunktionsprüfung, gerade auch um bestimmen zu können, inwieweit der Betroffene Fortschritte gemacht hat. Für einen Physiotherapeuten lohnt sich vor allem aber die gründliche Evaluierung der Belastungsfähigkeit, wie auch einzelner Muskelpartien. Überproportional häufig sind die Rücken- und Brustmuskeln negativ beeinträchtigt. Außerdem beobachtet man bei einer nicht ganz kleinen Minderheit einen extremen Ausschlag des Pulses bei Belastung – das sollte nicht beunruhigen, aber man sollte doch als Regel gelten lassen, möglichst nur bei 60 Prozent des altersbedingten Ruhepulses zu arbeiten.

TT-DIGI: Ausdauer und Kraft, Koordination und Beweglichkeit sind Schwachpunkte der Patienten. Wo kann hier eine Therapie unter Berücksichtigung von Post-CovidFatigue ansetzen? ››› Dr. PeterNiemann

Dr. Peter Niemann: Die meisten Long-Covid-Patienten sollten am Anfang nur einfaches Gehen üben, gerade wenn sie hospitalisiert waren. Das heutzutage so beliebte HIIT-Training scheint bei Long-Covid-Patienten eher wenig hilfreich zu sein. Natürlich ist jeder Patient individuell zu sehen, aber im Allgemeinen würde ich zunächst leichtes Laufbandtraining machen, wobei ab zehn Minuten Laufbandtraining die muskulär freigesetzten Myokine antientzündlich zu wirken beginnen, weshalb ich ein Minimum von zehn Minuten empfehlen würde. Am Anfang sollten einfache Dehn- und Atemübungen stehen – zum Beispiel zehn Mal ein- und ausatmen im Liegen, Sitzen, Stehen –und, sofern möglich, Teile der Physiotherapie nach außen, also outdoor, verlagern.

2 5 9 0 0 7 3 0 o l i a o t F TT-DIGI: Welche Prozesse eines körperlichen Trainings helfen den Betroffenen?

Dr. Peter Niemann: Wenn ich ehrlich bin: Jegliche Bewegung, die den Herzschlag auf etwa 60 Prozent des altersbedingten Maximums bringt. 220 – Alter ist eine gute Faustregel. Wenn 80 Prozent überschritten werden, läuft man Gefahr, dass die mit Long-Covid sehr häufig vergesellschaftete Fatigue den Patienten bis zu einer Woche lang erschöpft. Daher die Empfehlung HIIT-Training gerade am Anfang zu meiden.

TT-DIGI: Menschen, die vor der Erkrankung sehr viel Sport getrieben haben, wollen ihre Lebensenergie zurückgewinnen und wieder Sport treiben und trainieren. Was empfehlen Sie Therapeuten, wie diese Menschen zum Training zurückfinden können?

Dr. Peter Niemann: Das Ziel sollte es sein, nach 12 Wochen wieder beim ursprünglichen Sportniveau zu sein, wobei das bei vielen schon nach vier Wochen erreicht sein wird.

TT-DIGI: Wie findet ein Physiotherapeut, ein Sporttherapeut die richtige Belastungsintensität für seine Patienten?

Dr. Peter Niemann: Ich denke hier sind drei Dinge zu nennen: Erstens

der schon mehrfach erwähnte Herzschlag, der bei etwa 50 bis 60 Prozent, aber nicht über 80 Prozent liegen sollte. Zweitens die Sauerstoffsättigung, die gerade in den ersten zwei Wochen regelmäßig gemessen werden sollte. Es ist nicht ungewöhnlich, bei Belastung Sauerstoffwerte unter 85 Prozent zu sehen, aber das würde ich unbedingt vermeiden, denn es drohen dann Schwindel und Bewusstlosigkeit. Drittens, die Müdigkeit, aber nicht während des Sports, sondern danach. Wenn ein Patient länger als 24 Stunden benötigt, um sich von der Physiotherapie zu erholen, war es eindeutig zu viel.

TT-DIGI: Würden Sie auch unter Umständen ein Zirkeltraining befürworten und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Dr. Peter Niemann: Nur in zwei Fällen: Erstens, wenn die Person keine besonders ausgeprägten Long-CovidSymptome hatte. Das ist meistens dann der Fall, wenn sie nicht stationär behandelt wurde. Zweitens, wenn die Person mindestens vier Wochen Physiotherapie absolviert hat und sich fit genug fühlt, um das zu machen. Wenn der Sauerstoffwert bei Belastung zu stark absinkt oder der Herzschlag zu stark steigt, droht die Gefahr einer mehrtägigen Fatigue.

TT-DIGI: Sie sprechen in Ihrem Buch auch eine Sauna-Therapie an. Können Sie das etwas näher ausführen?

Dr. Peter Niemann: Das ist sehr einfach: Studien aus dem skandinavischen Raum, wo vor allem der bei uns bekannte Typus der Trockenluftund Aufgusssauna praktiziert wurde, wiesen nach, dass Saunagänger nicht nur gesünder waren, sondern seltener COVID-19 bekamen und Long-Covid ebenfalls weniger auftrat. Ich würde daher jedem Long-Covid-Patienten raten – nach dem grünen Licht durch den Hausarzt, weil ein Saunagang doch Kreislauf und Atmung belasten kann –, mindestens einmal die Woche in eine Sauna zu gehen, besser noch dreimal die Woche. Es scheinen hier vor allem antientzündliche Effekte zu sein, die hilfreich sind.

TT-DIGI: Welche Ernährungstipps sind für die Betroffenen wichtig?

Dr. Peter Niemann: Wenig überraschend vor allem Obst und Gemüse, also pflanzenbasierte Kost. Aber es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Zucker- und Kohlenhydratkonsum bei COVID-19 und Long-Covid. Deshalb würde ich raten, die tägliche Zuckereinnahme auf unter 10 Prozent der täglichen Kalorien zu senken. Nüsse und Fische sind ebenfalls hilfreich durch die großen Mengen an Omega-3-Fettsäure. ››› DGP-Empfehlungen zur pneumologischen Rehabilitation bei COVID-19

Glöckl R, Buhr-Schinner H, Koczulla AR, Schipmann R, Schultz K, Spielmanns M, Stenzel N, Dewey S. DGP-Empfehlungen zur pneumologischen Rehabilitation bei COVID-19 [Recommendations from the German Respiratory Society for Pulmonary Rehabilitation in Patients with COVID-19]. Pneumologie. 2020 Aug(8):496-504. German. doi: 10.1055/ a-1193-9315. Epub 2020 Jun 24. PMID: 32583378; PMCID: PMC7516360.

TT-DIGI: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Reinhild Karasek.

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