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Das Bauernland im Kopf

Wird Liechtenstein auf seinen Reichtum und seine Banken reduziert, wird gerne relativiert und auf die bäuerliche Vergangenheit oder die innovative Industrie verwiesen. Doch wie viel Bauer steckt noch in uns?

Ein Forschungsprojekt am Liechtenstein-Institut geht dieser Frage nach und erkundet, was es mit bäuerlichen «Mentalitäten», also mit unhinterfragten, gewohnheitsmässigen Denk- und Handlungsweisen, auf sich hat –mit Mentalitäten, die in der langen Periode der hauptsächlich bäuerlich lebenden Bevölkerung geprägt worden sind.

Boden als Sozialversicherung

Als in Schellenberg vor etwa 80 Jahren der erste Mann ein Haus ohne Stall gebaut habe, habe man fast Mitleid mit ihm gehabt, erzählte mir ein Schellenberger Landwirt. Als Gipser habe dieser nur noch ein paar Schweine und Hühner gehabt, wäre aber anders als die anderen im Dorf kein richtiger Selbstversorger mehr gewesen. Bis in die 1960er-Jahre hätten noch viele Familien das Selbstversorgerdasein hochgehalten, in den 1970er-Jahren dann immer mehr darauf verzichtet. Dadurch sei zunehmend Boden für die verbleibenden Landwirte freigeworden. Ein Blick in die Statistik bestätigt diese Beobachtung: Zählte das Land 1955 noch 1366 landwirtschaftliche Betriebe, waren es 1975 noch 582 und 2020 gerade noch 95. Mit dieser Entwicklung hörte der Boden gleichzeitig auf, seine Funktion als Sozialversicherung der grösstenteils kleinbäuerlich wirtschaftenden Bevölkerung zu übernehmen. Viele Familien besassen wohl Boden oder hatten als Bürgerfamilien Anrecht auf entsprechende Anteile am genossenschaftlich verwalteten und genutzten Gemeindeboden. Doch dessen Bewirtschaftung besorgten immer weniger und immer grössere, immer besser ausgestattete Landwirtschaftsbetriebe.

Ich statt Boden, Familie und Kirche?

Zwischen 1901 und 2020 hat sich die Wohnbevölkerung des Landes von 7531 auf 38’756 Personen mehr als verfünffacht. Statt Anrecht auf Gemeindeboden, Solidarität in Familie und Gemeinde und kirchlichen Institutionen gewährleisten heute Sozialversicherungen die Grundversorgung der Bevölkerung. Dass das in der Lebensplanung und im Denken und Handeln der Menschen Spuren hinterlässt, liegt auf der Hand. Durch Interviews und Quellenstudien kann es auf der einen Seite bestätigt werden, auf der anderen Seite lässt sich ein gewisses Trägheitsmoment feststellen: Wir werden nach wie vor kleinräumig – in einer Familie, in einem Dorf, in einer lokalen Gesellschaft – sozialisiert. Rund 70 Prozent der Bevölkerung sind laut Volkszählung 2020 noch römisch-katholisch, obwohl die Kirchenbänke immer leerer werden. Denken und Werte verschwinden nicht einfach, sie werden tradiert und zwischen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren, Generationen, Berufsständen, Kulturen, Geschlechtern, schliesslich von uns allen immer wieder neu ausgehandelt.

Um die Basis für das Forschungsprojekt zu erweitern, wäre es interessant zu wissen, wo die Leserschaft in ihrer persönlichen Erfahrung dörfliche oder bäuerliche Prägungen im eigenen Denken, Handeln und Empfinden oder dem ihrer Umgebung beobachtet hat oder beobachtet.

Wir freuen uns auf Ihre Überlegungen dazu unter: toni.buechel@liechtenstein-institut.li

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