Business Developer Vertriebsmanagement Zeitung

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No. 2

Dezember 2017

ePaper fĂźr modernes Vertriebsmanagement

Xing vs. LinkedIn

Wer macht das Rennen um die Vertriebler? Interview

Analyse

Portrait

S. 22

S. 56

S. 28

So denkt ein Olympiasieger

Die Zukunft der Spielzeugindustrie

Der Verkäufer an der Spitze von SAP


EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser, wir alle hatten ihn: einen Kindheitstraum. Ab einem unbestimmten Zeitpunkt in unserem Leben begannen wir damit, diesen Traum Stück für Stück in ein Karriereziel umzuformulieren. Nur in seltenen Fällen blieb nach dieser Transformation viel von dem übrig, was wir im Kindesalter als traumhaft erdacht hatten. Einer, bei dem Kindheitstraum und Karriereziel eines geblieben sind, ist Olympiasieger Fabian Hambüchen. Mit ihm haben wir über seinen Weg zum Ziel, die Rolle mentaler Stärke und darüber gesprochen, was nach dem Erreichen so eines Ziels eigentlich noch kommen kann. Allen anderen, die bis zu ihrem Ziel noch Meter machen müssen, versprechen die Karrierenetzwerke Xing und Linkedin bereitwillig ihre Hilfe. In unserer Titelgeschichte haben wir analyisert, wie sich diese Hilfestellungen unterscheiden und welche für Sie und Ihre Ziele die beste Wahl sind. Ein produktives Arbeiten in entspannender Atmosphäre und somit Hilfe bei dem Erreichen von Unternehmenszielen versprechen auch die Anbieter von Coworking Spaces, die Arbeitsplätze zur Miete in den Ballungsgebieten der Bundesrepublik bereitstellen. Dabei ist interessant zu beobachten, wie die Generation der Disruptiven mit Community-Spirit und familiärer Atmosphere seinen Kunden das verspricht, was die letzten knapp 30 Jahre Globalisierung zunehmend fragmentiert haben. Dass in einer Karriere nichts unmöglich ist und Statistiken nur Zustände, aber nicht die Zukunft beschreiben, das zeigt der Weg von Bill McDermott. Denn der SAPChef ist unter den DAX-CEOs der einzige „echte“ Vertriebler. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie im Sinne eines unserer Zitatgeber in die Lektüre der zweiten Ausgabe des Business Develope Plus entlassen: bleiben Sie

Ihr Norbert P. Wessendorf Managing Editor Business Developer

© Jana Legler

offen für Veränderungen und bleiben sie bereit, zu lernen.

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I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

12/2017

THEMA: Karriere im Vertrieb TITEL

STEUERN & ENTSCHEIDEN

13 Kampf der Giganten: Xing vs Linkedin D U R C H S TA R T E N

05 07 08 20

Vertriebler packen aus Nachgefragt: der beste Ratschlag Podcasts: Vertrieb für die Ohren Fünf Tipps für Xing und Linkedin

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56 Strukturkrise in der Spiel warenindustrie B E R AT E N & V E R K A U F E N

60 65 Fabian Hambüchen im Interview

28 Portrait: SAP-Chef Bill McDermott STEUERN & ENTSCHEIDEN

33 37 42 47

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„Frauen haben ein Problem mit dem Vertrieb“ Portrait: Daimler Vertriebsvorstand Britta Seeger Onboarding im Vertrieb Was IBMs Watson für den Vertrieb bedeutet

Wo Vertriebler kreativ werden

Was Krisen & Skandale für den Vertrieb bedeuten Dresscode: Wie Sie Ihr Unternehmen repräsentieren

AUFSTEIGEN & LEBEN

80 85 86 89

Die Zukunft des Key Account Managements Wie Nachwuchs-Vertriebler über Kariere denken Interview: Darauf kommt es auf dem Weg nach oben an Interview: Hat Kaltakquise eine Zukunft?

70 Der BdVM informiert 92 Dealer der Ausgabe

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D U R C H S TA R T E N

Vertriebler packen aus

© itellegence AG

Im Vertrieb zu arbeiten heißt auch, auf Reisen zu gehen. Damit alles glatt läuft, darf im Gepäck nichts fehlen.

Arbeitsmitteln, gefolgt von iPad und iPhone – sie sind mein Notizblock und auch mein wandelndes Kundenlexikon, ersetzen aber nicht meinen Laptop. Das iPad ist für mich wichtig, da ich unser CRM und die mir zugeordneten Kunden damit immer dabei habe. Im Kundentermin kann ich so auf Auftragshistorien schauen und habe vergangene Projekte und Aktivitäten immer im Blick. Auch die direkte Eingabe meiner Gesprächsnotizen während des Kundentermins erspart mir viel Zeit bei der Nachbereitung. Wenn ich zum Kunden unterwegs bin, gibt es ein paar Gegenstände in meiner Tasche, die für mich eine besondere Bedeutung haben. So überlebt auch mal ein Stein mehr als 2 Jahre in meiner Tasche, mit dem ich meine ganz eigene Geschichte verbinde.“

© itellegence AG

„Mein Firmenwagen gehört zu meinen wichtigsten

Franziska Dodic ist Account Manager Installed Base Bestandskunden beim SAPBeratungshaus intelligence AG.

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D U R C H S TA R T E N

© BCD Travel

„Mein eigentlicher Bürositz ist in München, aber sehr oft führt mich mein Weg in die wunderschöne Hansestadt Hamburg. Hamburg ist wettertechnisch immer für eine Überraschung gut, deshalb gibt es neben den Klassikern Smartphone, Tablet und Laptop ein paar Essentials, die in meinem Reisegepäck nicht fehlen dürfen: Sabine Oswald ist Director Strategic Account Management EMEA bei BCD Travel.

Ein Schirm, der am besten auch einen stürmischen Tag übersteht, und auch ein Schal ist immer dabei. Der ist im Übrigen auch Gold wert, wenn Meetings in stark klimatisierten Räumen stattfinden. Für den Fall, dass die Sonne mal unverhofft zum Vorschein kommt, habe ich eine Sonnenbrille dabei, die ist vor allem beim Autofahren unabdingbar. Und – last but absolutely not least – meine zwei Retter in der Not: ein Erfrischungstuch für schnelle Hilfe bei Flecken oder Krümel auf dem Anzug sowie mein analoges Schreibset für den Fall, dass die Technik doch mal versagt oder die Ladekapazität des Laptops nicht mehr ausreicht.“

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D U R C H S TA R T E N

Mein bester Ratschlag Sich perfekt vorbereiten, nie zufrieden sein oder das Gespräch auf Augenhöhe suchen: Auch für diese Ausgabe haben wir wieder in der Community nach dem besten Ratschlag gefragt, den Vertriebler in ihrer Karriere erhalten haben.

Gehe nie in ein Kundengespräch ohne dein Produkt – und ohne einen Plan B. Nichts geht über 110-prozentige Vorbereitung. Dazu gehört auch, sich ein Ziel zu setzen, den Weg dahin zu planen und mögliche Alternativen zu © BullGuard

durchdenken. Stefan Wehrhahn ist Country Manager DACH von BullGuard

Der beste Ratschlag, den ich erhalten habe, war, nicht zufrieden zu sein mit der jetzigen Situation. Das heißt: Die Bereitschaft, Veränderungen in sein Leben aufzunehmen. Was ich bei Google gelernt habe und von den Menschen, © Yext

mit denen ich hier zusammenarbeite, ist enorm. Und Grundvoraussetzung dafür ist die Offenheit, zu lernen. Michael Hartwig ist Managing Partner Central Europe bei Yext

Mein erster Chef gab mir gleich zu Beginn meines Arbeitslebens einen Rat: Echte Gespräche auf Augenhöhe können wir nur führen, wenn wir ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen und Schmerzpunkte des © Adito Software

Kunden haben. Mit Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit im eigenen Handeln schafft man die Basis einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Tobias Krämer leitet den Vertrieb von Adito Software 7


D U R C H S TA R T E N

© Thinkstock / RedlineVector

Schon gehört? Die Podcasts für den Vertrieb Wer gerne und viel redet, dem bietet ein eigener Podcast die Bühne, um sich der Außenwelt mitzuteilen. Online stößt man auf eine Vielfalt dieser Produktionen. Eine Auswahl derer, bei denen sich ein Reinhören lohnt.

Step into the arena © Anthony Innarino

Anthony Innarino Link zur Folge Englisch

alle 2 Wochen

30 min.

Sprecher: Anthony Innarino, Speaker, Autor und Personalvermittler mit Abschluss von der Harvard Business School. Wo genau er Erfahrungen in der Praxis gesammelt hat, lässt sein Linkedin-Profil offen. Eindruck beim ersten Hören: Wer das Intro überlebt, kommt in den Genuss der angenehmen Sprecherstimme von Anthony Innarino. Es folgt ein für Podcasts nicht unüblicher Werbeblock zu Sponsoren oder anstehenden Buchveröffentlichungen. Empfohlene Folge: Innarino spricht in einer Folge über die Notwendigkeit, Vertriebsleiter von administrativen Aufgaben zu befreien. Nur so können sie ihre Energie voll auf die Motivation ihres Sales-Teams leiten und Verkaufszahlen steigern. Besonders wichtig dabei: das Vertrauen in den einzelnen Mitarbeiter. 8


D U R C H S TA R T E N

Stephan Heinrich überzeugt

© Hendrik Pfeifer

Stephan Heinrich Link zur Folge Deutsch

Wöchentlich

15 min.

© The Advanced Selling Podcast

Sprecher: Stephan Heinrich ist im Marketing und im Vertrieb der Software- und Technik-Branche groß geworden. Dann hat Heinrich sich mit Management Consulting selbstständig gemacht und auf Vortragsredner und Autor umgeschwenkt. Mittlerweile ist er eines der Gesichter der Vertriebs-Community. Eindruck beim ersten Hören: Eine etwas überkorrekte Aussprache und ein langsames Erzähltempo. Die Erklärung: Heinrich liest seine BlogBeiträge vor. Dadurch erlangt der Podcast im Vergleich zu den anderen Podcasts eher Hörbuchcharakter. Inhaltlich stehen die Folgen den anderen Podcasts aber in nichts nach. Empfohlene Folge: So etwa in der Episode, die die Kaltkakquise per Sprachnachricht erklärt. Ein willkommener Ratgeber in Zeiten, in denen lästige Anrufe gerne an die Mailbox verwiesen werden.

The Advanced Selling Podcast Bryan Neale & Bill Caskey Link zur Folge Deutsch

Wöchentlich

15 min.

Sprecher: Bryan Neale (Sales Trainer und NFL-Schiedsrichter mit Vertriebserfahrung bei Procter & Gamble) und Bill Caskey (Sales Trainer und Leadership Coach bei Wood Equipemnts)

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D U R C H S TA R T E N

Eindruck beim ersten Hören: Nach dem angenehmen Intro beginnen die Sprecher die Folge meist mit einer Geschichte aus ihrem Alltag. Es folgt der standardmäßige Werbeblock, bevor es ans Eingemachte geht. Wie etwa in der Folge, die ich Ihnen nahelegen möchte. Empfohlene Folge: In der Folge „Artifically Deflating Yourself“ sprechen beide darüber, warum Sie anfallende Aufgaben annehmen sollten. Mit der Einstellung „Das geht mich nichts an“ komme man nach Ansicht der Sprecher weder im Vertrieb noch im Privatleben sonderlich weit. Also im Sinne von FDP-Chef Christian Lindner: Herausforderungen sind nur dornige Chancen!

Vertriebsfunk

© Christopher Funk

Christopher Funk Link zur Folge Deutsch

Wöchentlich

30 min.

Sprecher: Christopher Funk, Inhaber der Personalberatung für Vertriebler Xenagos. Er war früher selbst als Vertriebler einer Online-Stellenbörse tätig und hat sich dann mit seiner Personalberatung selbstständig gemacht. Eindruck beim ersten Hören: Funk beginnt seine Podcasts mit lockerer Erzählstimme und verzichtet auf eine geschliffene Aussprache. Ähnlich wie die amerikanischen Kollegen macht Funk in seinem Podcast die persönliche Ebene auf und spricht direkt zu seinen Hörern – und nimmt auch Anregungen für neue Themen auf. Empfohlene Folge: In der Folge „Richtig Netzwerken im Vertrieb“ zerlegt Funk das große Thema „Netzwerken“ in seine Einzelteile. Dazu gehört der anthropologische Hintergrund von Netzwerken und ihr Stellenwert für die die Arbeit im Vertrieb.

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D U R C H S TA R T E N

B2B Growth

© Sweetfishmedia

James Carberry & Jonathan Green Link zur Folge Englisch

Täglich

15 min.

Sprecher: James Carberry und Jonathan Green mit wechselnden Gästen, die ihr eigenes Unternehmen und ihre Person vorstellen. Eindruck beim ersten Hören: Der Podcast klingt zunächst wie eine reine Werbeveranstaltung. Dem amerikanischen Glaubenssatz folgend, „everything“ sei „awesome“, stellen Unternehmer hier ihre Produkte vor. Allerdings bietet dieser Podcast die Gelegenheit, die neuesten Entwicklungen am Markt von denen zu erfahren, die sie vorantrieben. Fokus liegt hier auf Marketing-Themen, mit Ausnahme der Folge, die ich Ihnen ans Ohr legen möchte. Empfohlene Folge: In „How To Bake Thought Leadership Into Your Sales Process“ berichtet der Gast, wie er die Tätigkeit des Firmengründers als Autor in unter anderem dem Forbes-Magazin als Türöffner bei Inbound- und Outbound-Anrufen einsetzte. Nach Verweis auf die veröffentlichten Artikel seien die Gesprächspartner schnell Feuer und Flamme für eine Geschäftsbeziehung gewesen, erzählt er.

INFO Podcast setzt sich zusammen aus „iPod“ und „Broadcast“. Es gibt ihn als Video- oder Audiodatei, wobei letzteres weiter verbreitet ist. Ob Vertrieb, Kochen, Sport oder Beziehungen: Zu jedem erdenklichen Thema erzählen Laien oder Experten über ihre Leidenschaft oder tauschen sich im Rahmen einer lockeren Unterhaltung darüber aus.

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© 2017 Matthias Niggehoff Psytraining UG

Lerne Psychologie Matthias Niggehoff Link zur Folge Deutsch

2x pro Woche

10 -15 min.

Sprecher: Der studierte Psychologie mit Informatikhintergrund Matthias Niggehof hat sich 2012 mit der Neuromarketing Manufaktur selbstständig gemacht. Seitdem berät er Unternehmen in ihrem Online-Marketing-Auftritt. Eindruck beim ersten Hören: Etwas eigenwillige Akzentuierung, die nach kurzer Eingewöhnung aber nicht weiter auffällt. Empfohlene Folge: Die Titel der Episoden lesen sich ein wenig wie ein „Best of“ von Vertriebsmanager.de. Niggehoff bespricht Themen wie den Aufbau von nachhaltigem Vertrauen oder gibt Tipps zum Überzeugen sachlicher Menschen. Aus seiner Tätigkeit als Berater gibt er außerdem vereinzelt Tipps zum Thema Marketing. So etwa in der Folge, in der er das EGO-Labeling erklärt. Für Vertriebler, die sich mit Hilfe von Social Media öffentlich platzieren wollen, eine Chance, sich weiterzuentwickeln.

Anmerkung der Redaktion: Die Reihenfolge der Podcasts enthält keine Wertigkeit.

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Illustration: © Kim Pham

TITEL

Ein Kopf an Kopf rennen: Linkedin und Xing buhlen um Ihre Mitgliedschaft.

Wer das Rennen um die Vertriebler macht Immer mehr Jobs werden über Karrierenetzwerke vergeben. Deswegen ist es für Vertriebsmanager umso wichtiger, sich auf Portalen wie Xing und Linkedin zu präsentieren. Auf welches sie letztendlich setzen, ist Geschmackssache – könnte man meinen. Doch dem ist mitnichten so: Es gibt einen klaren Favoriten. AUTORIN: Anna Friedrich Wer per Xing oder Linkedin eine neue Stelle finden will, muss nicht unbedingt selbst aktiv werden. Meist reicht es schon, einen Blick in den Posteingang zu werfen. Viele hochqualifizierte Angestellte können sich vor Angeboten von Unternehmen und Personalberatern kaum retten. Personaler tragen den Kampf um Talente längst nicht mehr auf Jobmessen oder den unternehmenseigenen Karriere-Websites aus. Vielmehr sind die Business-Netzwerke Xing und Linkedin die Arena.

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TITEL

Umso wichtiger ist es also für Berufstätige, sich auf den Portalen zu präsentieren. Das gilt selbst dann, wenn gerade keine berufliche Veränderung ansteht. Das Kerngeschäft der Karrierenetzwerke ist es zwar, Unternehmen und Berufstätige zu vernetzen. Doch sie informieren auch über Branchenneuigkeiten, bieten Veranstaltungen an und sorgen dafür, dass sich Kollegen und Business-Kontakte miteinander verdrahten. Berufstätige sollten sich allerdings gut überlegen, ob sie nur bei Xing, nur bei Linkedin oder womöglich beiden Portalen aktiv sind. Denn: Bei welchem Netzwerk sie sich letztendlich anmelden, stellt womöglich die Weichen für die Zukunft.

Netzwerke setzen auf Rabattaktionen Die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Netzwerk fällt dabei gar nicht so leicht. Denn auf den ersten Blick sind sich die Angebote sehr ähnlich. Es gibt Personen- und Arbeitgeberprofile, Stellenanzeigen und Employer-Branding-Seiten. Viele Basis- Leistungen sind kostenlos. Will man aber sehen, wer das eigene Profil besucht hat, sich aktiv auf Jobsuche begeben oder Nutzer außerhalb des eigenen Netzwerks direkt anschreiben, stößt man auf eine Bezahlschranke. Wie viel Nutzer monatlich für das volle Angebot zahlen, hängt von Plattform und Laufzeit der kostenpflichtigen Mitgliedschaft sowie vom gebuchten Paket ab. Zudem werben Xing und Linkedin regelmäßig mit Rabattaktionen. Privatnutzer, die beispielsweise aktiv nach einem neuen Arbeitgeber Ausschau halten, zahlen bei Linkedin 26 Euro im Monat und bei Xing 25 Euro. Dafür tauchen sie unter anderem in den Suchergebnissen von Recruitern ganz oben auf und können Unternehmen direkt anschreiben.

Xing will die 20 Millionen Für Personaler ist der Preis, den sie an ein Netzwerk zahlen, meist zweitrangig. Denn für ihren monatlichen Beitrag erhalten sie Zugang zu einem riesigen Pool von Talenten, der buchstäblich Gold wert ist. Im 14


TITEL

deutschsprachigen Raum sind rund 13 Millionen Menschen bei Xing angemeldet, der Löwenanteil entfällt auf die Bundesrepublik. Auf bis zu 20 Millionen Mitglieder will das Netzwerk in den kommenden Jahren noch wachsen. Das ist durchaus realistisch. Denn ein Blick auf die Nutzerzahlen der ersten neun Monate dieses Jahres zeigt: Den Hamburgern geht es gerade ziemlich gut. Zwischen Januar und September 2017 haben sich 1,5 Millionen neue Mitglieder registriert – so viele wie noch nie in diesem Zeitraum. Aber auch Linkedin punktet: Das Netzwerk verzeichnete innerhalb von sieben Monaten – von Oktober 2016 bis Juni 2017 – einen Mitgliederzuwachs von einer Million Usern im deutschsprachigen Raum. Das international ausgerichtete Portal Linkedin kommt hierzulande nun auf mehr als zehn Millionen registrierte Nutzer. Weltweit hat Linkedin mehr als 530 Millionen Mitglieder.

Gründungsjahr 2003 2003 Hauptsitz Hamburg Mountain View, USA Mitglieder DACH-Region 13 Mio.

10 Mio.

Umsatz 2016 148 Mio. Euro

200 Mio.Euro*

* Umsatz in den Regionen Europa, Mittlerer Osten und Afrika, Stichtag 30.09.2016

Je mehr Mitglieder Xing und Linkedin haben, desto relevanter werden sie für Unternehmen. Mit wenigen Klicks haben Personaler und Berater Zugang zu einem Viertel aller Berufstätigen hierzulande. Um passende Kandidaten zu finden, bieten Xing und Linkedin detaillierte Suchfunktionen: Lebensläufe analysieren, passende Interessen herausfiltern, Gehaltsvorstellungen ermitteln – all das übernehmen die Netzwerke automatisch und ersparen Personalverantwortlichen und Beratern viel Zeit. Recruiter müssen lediglich ihre Präferenzen einstellen und erhalten prompt passende Kandidaten, die sie dann direkt anschreiben können. Xing bietet diese Leistungen in seinem Tool „Talentmanager“, Linkedin im „Recruiter“. 15



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Obwohl beide Anwendungen ähnlich funktionieren, setzen deutsche Recruiter vor allem auf Xing. Denn: Das Netzwerk hat sich auf den hiesigen Markt spezialisiert und bietet allein durch die höhere Mitgliederzahl einen breiteren Zugang. „Mein Gefühl ist, dass Xing die Bedürfnisse des deutschen Marktes besser versteht und sie gezielter adressiert“, urteilt Nicolas Reuter, Vorstandsvorsitzender des Personaldienstleisters Etengo. „Als professioneller Nutzer des Netzwerks sehe ich auch große Unterschiede in der Anwendung. Linkedin ist für mich oft überfrachtet und eher nutzerunfreundlich.“

Xing hat die Nase vorn Auch der Betreiber des Frankfurter Flughafens, die Fraport AG, setzt bei der Mitarbeitergewinnung überwiegend auf Xing: „Hier ist unsere Zielgruppe stärker vertreten“, sagt Jonas Wiedemann, Referent Personalmarketing. „Alle in der Fraport-Jobbörse veröffentlichten Stellen werden automatisch auch bei XING in den Stellenmarkt eingespeist.“ Linkedin spielt für Fraport im Recruiting dagegen kaum eine Rolle. Der Flughafenbetreiber nutzt Linkedin lediglich zur Imagepflege und zum Vernetzen mit ausländischen Kontakten. Wiedemann prophezeit aber: „Linkedin wird mit Sicherheit in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen.“

© Xing AG

© By LPS.1 (Own work) [CC0], via Wikimedia Commons

Laut der Studie „Recruiting Trends 2017“ des Heidelberger Institute for Competitive Research setzt die Hälfte der befragten Unternehmen hierzulande auf Karrierennetzwerke. Favorit dabei: Xing.

Digitale Machtzentren: Linkedins Firmenzentrale im kalifornischen Mountain View nahe San Jose und der Empfang des Hauptsitzes von Xing in Hamburg. 17


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Knapp 60 Prozent von ihnen nutzen Xing zur Direktansprache von Talenten, nur rund 35 Prozent setzen auf Linkedin. Das internationale Netzwerk hat in den vergangenen drei Jahren allerdings massiv aufgeholt. Die Tendenz sei weiter steigend, prognostizieren die Studienautoren.

Nur acht Prozent wollen zahlen Um sich langfristig am Markt behaupten zu können, kommt es aber vor allem auf zahlende Nutzer an. Im Geschäftsjahr 2016 verzeichnete Xing 929.000 zahlende Mitglieder im deutschsprachigen Raum. Berechnet auf die Gesamtmitglieder zahlen also weniger als acht Prozent für die Leistungen. Seit Jahresanfang konnte die Plattform jedoch mehr als 56.000 neue Bezahlmitglieder gewinnen – ein Anstieg von 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Linkedin dagegen veröffentlicht seit September 2016 keine Premium-Mitgliederzahlen mehr. Damals standen die zahlenden Mitglieder für einen Umsatz von 161 Millionen US-Dollar.

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Der verhältnismäßig geringe Anteil an Premium-Mitgliedern zeigt: Vielen Nutzern reichen die Basisleistungen. „Im Vergleich zu Xing bietet Linkedin seinen Mitgliedern deutlich mehr Leistungen ohne zu bezahlen“, sagt Frank Bärmann, Unternehmensberater und Geschäftsführer der Content-Agentur Conpublica. XING dagegen beschneide laut Bärmann die Funktionen der kostenlosen Mitgliedschaft immer weiter, um mehr Argumente für eine Premium-Mitgliedschaft zu sammeln. Das deutsche Netzwerk ist nämlich stark auf die Zahlungsbereitschaft der Nutzer angewiesen: Die zahlende Kundschaft macht 65 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Bei Linkedin sind es dagegen nur 17 Prozent. Das internationale Portal verdient vor allem am B2B-Geschäft, also durch Recruiting-Tools, Marketing-Lösungen und Werbeangebote. Für Berufstätige, die per Karrierenetzwerk einen neuen Job zu finden hoffen, bedeutet all das unter dem Strich: In Deutschland ist es unverzichtbar, ein Profil bei Xing zu haben. Dennoch sollte man Linkedin nicht außer Acht lassen – erst recht nicht, wenn man international Karriere machen will.

Wo Vertriebler am besten verdienen Durchschnittswerte aller Vertriebsberufe ohne PV (24.879 Datensätze)

1. Hessen 49.299 € 2. Baden-Württemberg

4

48.738 €

11

3. Bayern 47.264 € 4. Hamburg

46.850 €

5. Nordrhein-Westfalen

44.449 €

6. Rheinland-Pfalz

43.964 €

42.953 €

7. Bremen

7

8 10

5

9. Saarland 41.711 €

40.931 €

11. Schleswig-Holstein

40.348 €

12. Thüringen

35.476 €

13. Sachsen

34.924 €

14. Brandenburg

34.549 €

15. Sachsen-Anhalt

34.175 €

14

15

8. Berlin 41.942 € 10. Niedersachsen

16

1

13

12

6

9

3 2

16. Mecklenburg Vorpommern 32.817 € Quelle: www.compensation-partner.de

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D U R C H S TA R T E N

Pimp Your Profile Jetzt wissen Sie: Recruiter setzen bei der Suche nach Kandidaten auf Xing und Linkedin. Mit diesen Ratschlägen stellen Sie sicher, dass Recruiter bei Ihnen finden, wonach sie suchen. tt Laden Sie ein Bild hoch. Profile mit Bildern erhalten auf Linkedin 14 Mal mehr Klicks als Profile ohne Bild. Ihre Kleidung auf dem Bild sollte branchengerecht sein. Suchen Sie sich für Ihr Linkedin-Profil außerdem ein Hintergrundbild aus, das zu Ihrem Beruf passt. Das hebt Ihr Profil positiv von den anderen Profilen ab.

tt Vermeiden Sie unpräzise Angaben über Ihre aktuelle Tätigkeit und Ihren Werdegang. Beim Scrollen über Ihr Profil muss jedem potenziellen Arbeitgeber sofort klar sein, woran er bei Ihnen ist.

tt Nutzen Sie ihren „Profilspruch“ (Xing) und die „Zusammenfassung“ (LinkedIn) für präzise Angaben. Platzieren Sie hier einen prägnanten Text zu dem, wer Sie sind, wo Sie hin wollen und was Sie antreibt.

tt Linkedin: Laden Sie Empfehlungen hoch! Bitten Sie Ihre Teamkol-

tt Xing: Sollten Sie auf der Suche nach einer neuen Herausforderung sein: Lassen Sie es Recruiter wissen. Xing bietet im geschützten Karriere-Bereich die Optionen „offen für Karrierechancen“, „derzeit auf Jobsuche“ und „ich bin derzeit nicht an Angeboten interessiert“.

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© Thinkstock / Rawpixel

legen oder Ex-Mitarbeiter um eine aussagekräftige Empfehlung. Revanchieren Sie sich im Gegenzug mit einer Empfehlung auf dem Profil der betreffenden Person.



© Frank Hoermann/Sven Simon

AUFSTEIGEN & LEBEN

Fabian Hambüchen nach dem Gewinn seiner Goldmedaille am 16.08.2016 in Rio de Janeiro.

„Ich wollte alles herausbrüllen“ Fabian Hambüchen ist auch nach Ende seiner internationalen Karriere das Gesicht des olympischen Sports in Deutschland. Im Interview sprachen wir mit ihm über seine Goldmedaille in Rio, seine Erfahrungen im Vertrieb und welche Rolle mentales Training für Spitzenleistungen spielt. INTERVIEW VON: Norbert Wessendorf BDPlus: Herr Hambüchen, haben Sie schon einmal etwas verkauft? Fabian Hambüchen (lacht): Letztendlich ist es ja so, dass ich mein Buch verkaufe. Auch wenn das natürlich über den Verlag und die Buchhändler läuft: Ich bewerbe das Produkt und probiere es an die Leute zu bringen. Ansonsten habe ich bei diversen Charity-Aktionen mitgeholfen, Lose zu verkaufen. BDPlus: Fällt Ihnen das leicht? FH: Es ist immer die Frage, ob es fremde Menschen sind, oder ob es Leute sind, die ich kenne. Wenn es um mein Buch geht, fällt mir das nicht schwer. Ich stehe voll dahinter und finde das Buch weltklasse. 22


AUFSTEIGEN & LEBEN

BDPlus: War es eine Herausforderung für Sie, das Buch zu schreiben? FH: Nachdem, wie Rio gelaufen ist, hatten mein Autor und ich überlegt, wie wir das Thema angehen. Am Schluss war es schon eine Herausforderung. Ist aber trotzdem ein mega gutes Ding geworden. BDPlus: Was auch sehr gut gelaufen ist, war Ihr Auftritt bei den Olympischen Spielen in Rio 2016. Neben der Physis spielte dabei, wie auch im Verkauf, sicherlich die mentale Vorbereitung eine zentrale Rolle. FH: Mentales Training machte einen großen Bestandteil der Vorbereitung aus. Die Physis muss erst einmal da sein. Aber nachher macht dann die Psyche die letzten zwei, drei Prozent aus. Wir haben uns immer intensiv auf die Wettkämpfe vorbereitet, probiert, sich die Situation visuell vorzustellen, zu überlegen, wie die Stimmung sein wird. Gerade für die olympischen Spiele haben wir sehr viel mentale Vorbereitung gemacht. Im Turnen hast du nur eine Chance am Gerät. In der Zeit musst du gedanklich nur bei dir sein damit Körper und Geist eins sind. Dann kannst du umsetzen, was du im Training vorbereitet hast.

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

BDPlus: Wie kann man sich so ein mentales Training vorstellen? FH: Mein Mentaltrainer ist mein Onkel Bruno. Er ist Diplompädagoge und hat sich auf Mental-Coaching spezialisiert. Wir arbeiten viel mit Selbsthypnose. Mit klassischer Hypnose hat das nichts zu tun. Da gibt einem der Therapeut externe Anweisungen.

INFO Fabian Hambüchen (30) ist 1,64 groß und 63 kg schwer. Der „Turnfloh“ blickt auf Gold, Silber und Bronzemedaillen bei Olympia sowie Weltermeister- und Europameistertitel zurück. Aktuell studiert er an der Deutschen Sporthochschule Köln „Sport und Leistung“. Vor kurzem ist sein zweites Buch „Den Absprung wagen“ im Ariston Verlag erschienen.

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AUFSTEIGEN & LEBEN

Bei der Selbsthypnose bist du voll bei Bewusstsein, gehst in dich rein und holst dir die Antworten, die du brauchst. So erkennst du, was die Problemstellen sind und wo die wichtigen Eckpunkte liegen. Neben der Selbsthypnose haben wir die mit offenen Gesprächen herausgearbeitet. BDPlus: Was bedeutet das für die Kür? FH: Das Ziel des Ganzen ist, dass alles intuitiv abläuft. Körper und Geist arbeiten so zusammen, dass sich Bewegungen automatisch aneinanderreihen und du gar nicht mehr viel denkst. Mentaltraining ist keine Garantie, dass es auf jeden Fall klappt. Bei vielen Übungen habe ich zwischendurch nachgedacht, musste manchmal improvisieren. Aber bei den besten Übungen und den großen Erfolgen war ich meistens voll im Flow. Und so war es auch in Rio. BDPlus: Wenn man die Übertragung Ihrer Kür in Rio anschaut, kann einem die Lautstärke in der Halle nicht entgehen. Haben Sie etwas davon mitbekommen? FH: Wenig bis gar nichts. Vertraute Stimmen höre ich schon. Wenn Mannschaftskollegen, mit denen ich mich wochenlang vorbereitet habe, etwas rufen, dann höre ich gewisse Bruchteile. Aber eigentlich höre ich nur bei meinem Vater, was genau er sagt. BDPlus: Wo wir schon beim Thema Fokus sind: Ihr Ziel war es immer, olympisches Gold zu gewinnen. Auf dem Weg dahin waren Sie schon sehr erfolgreich. Gab es Momente, in denen Sie gedacht haben: „Gut, jetzt bin ich Weltmeister, eigentlich reicht das“? FH: Ich hatte von klein an den Traum, Olympiasieger zu werden. Das hat mich jeden Morgen wieder aus dem Bett geholt, mich jeden Tag angetrieben, wieder in der Halle Alles zu geben. Ich habe den Sport immer gemacht, weil es meine Leidenschaft ist. Das zum Beruf zu machen, war schon die Erfüllung eines Traumes. Aber es gab Punkte, an denen ich echt zu kämpfen hatte. Da hatte ich körperliche Probleme und habe mir gesagt, „es reicht auch irgendwann.“ Aber ich habe mir auch gesagt: „Egal was kommt, zieh das jetzt durch, mach das!“

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BDPlus: In den Momenten, in denen es mit der Schulter schwierig wurde und in denen, in denen Sie gezweifelt haben: Wer hat Ihnen Mut gemacht? FH: Grundsätzlich immer meine Familie und Freunde, aber in der schweren Phase kurz vor Rio gab es eigentlich nur zwei Leute, die ganz fest daran geglaubt hatten, dass ich es doch noch schaffe. Das war mein Physiotherapeut Cyrus Salehi in München und Dr. Müller-Wohlfahrt. Das waren die zwei, die die ganze Zeit dafür gekämpft haben, dass ich körperlich wieder fit werde und schmerzfrei bin. Alle anderen, auch mein Vater, haben es für sich ein bisschen relativiert. Mein Vater hat gesagt „Junge wenn es nicht ist, dann ist es nicht.“ Das war auch gut. Hätte er mich dann noch unter Druck gesetzt, hätte ich ihm den Vogel gezeigt. Jeder hat ja verstanden, dass ich echt Probleme hatte, dass ich mich sehr schwer mit allem getan hatte. Da Das Reck ist Hambüchens Spezialgerät ist dann auch keiner dabei gewesen, (Hier beim Gewinn der Weltmeisterschaft 2007 in Stuttgart). der gesagt hat, „ey, jetzt stell dich nicht so an und mach mal!“. Der Physio hat alles gegeben und dann gesagt, „Ich reiß mir nicht hier umsonst den Arsch auf, dass du dich hier irgendwie hängen lässt. Wir kämpfen das jetzt durch!“ Und Müller-Wohlfahrt hat als erstes gesagt, dass er will, dass ich noch einmal an den olympischen Spielen teilnehme. BDPlus: Vor diesem Hintergrund haben Sie es geschafft, als erster Deutscher nach 20 Jahren eine Olympische Goldmedaille am Reck zu gewinnen. Was ist Ihnen in dem Moment durch den Kopf gegangen, als klar war, dass Sie gewonnen haben? FH: Das kann ich nicht mit Worten beschreiben. In dem Moment wollte ich nur noch alles herausbrüllen. Ich habe mich extrem gefreut. Alles, auf das ich verzichtet habe, die vielen Trainingsstunden… wie viel Tränen geflossen sind. Es kam in dem Moment alles zusammen. Ich wusste, 25

© (c) by Torsten Hauptvogel, via Wikimedia Commons

AUFSTEIGEN & LEBEN


AUFSTEIGEN & LEBEN

das ist mein letzter internationaler Wettkampf. Es war so, als wäre die ganze Karriere noch einmal blitzschnell in meinem Kopf durchgelaufen. Ich finde die Bezeichnung Vollendung passt perfekt. BDPlus: Jetzt sind Sie Weltmeister, Olympiasieger und zweifacher Buchautor – und im Oktober sind Sie gerade 30 erst geworden. Was kommt als nächstes? FH: Momentan erstmal das Studium, das hat Priorität. BDPlus: Seit 2012 studieren Sie an der Sporthochschule in Köln Sport und Leistung. Wie reagieren denn die Kommilitonen, wenn da ein Fabian Hambüchen steht? FH: Wenn die Erstsemester da sind, dann wird schon erst geredet und geguckt. Die stehen auch manchmal in der Turnhalle und gucken beim Training zu. Das legt sich aber. Alle merken schnell, dass ich wie jeder andere bin. Ich bekomme ja auch keine Extrawurst. Ich mache ganz normal mein Studium, integriere mich, setze mich in die Mensa. BDPlus: Die Uni Mensa ist vielleicht nicht immer der beste Ort für jemanden, der auf sein Gewicht achten muss. FH: Es hängt letztendlich davon ab, was du machst. Klar gibt es da auch manchmal Currywurst mit Pommes. Aber wir haben eine Riesen-Salatbar in der Mensa in Köln. Als Turner machst du alles mit deinem eigenen Körpergewicht. Da musst du so leicht wie möglich sein. Quasi 365 Tage im Jahr eine Low-Carb-Diät. Auf Dauer ist das echt anstrengend. Da verzichte ich schon abends darauf, mit Freunden was zu trinken. Ich sitze dann mit einem Wasser dabei. BDPlus: Ihr Buch heißt ja „Den Absprung wagen“. Auch, wenn Sie sich von der internationalen Bühne zurückgezogen haben: vorbei ist es mit dem Turnen für Sie noch nicht. FH: Die Leidenschaft wird immer bleiben. Ich werde auch immer etwas mit dem Turnen zu tun haben. Ich habe mich nach Rio an der Schulter operieren lassen und in der Reha Vollgas gegeben. Mein Ziel war es, dieses Jahr in der Bundesliga-Saison anzutreten. Das hat alles geklappt. 26


Am kommenden Samstag haben wir noch das Bundesliga-Finale.

Anmerkung der Redaktion: Drei Tage nach diesem Interview turnte Fabian Hambüchen am 2. Dezember beim Finale der Deutschen Turnliga in Ludwigsburg seine letzten drei Übungen für den KTV Obere Lahn. Einen Tag zuvor hatte er in der Bild-Zeitung bereits sein Karriereende angekündigt.

BDPlus: Gibt es für die angesprochene Trainerlaufbahn schon konkrete Pläne? FH: Ganz konkret noch nicht. Ich habe jetzt angefangen, in Wetzlar ein Haus zu bauen. Mein Vater geht in zweieinhalb Jahren in Rente. Vielleicht trete ich in seine Fußstapfen. Aber ich habe auch gerade einen Vertrag mit Eurosport unterschrieben. Die sind jetzt Übertragungssender für die Olympischen Spiele. Im Februar bin ich dann in Korea bei den Winterspielen und 2020 bei den Sommerspielen in Tokio nur für Turnen zuständig. Ansonsten halte ich Vorträge im mentalen Bereich, mache viel mit Sponsoren und Partnern. Es ist also einiges zu tun. BDPlus: Gibt es da irgendetwas, was Ihnen jetzt schon besonders Spaß macht? FH: Es ist alles spannend. Ich hatte ja nie Zeit, solche Dinge zu machen. Ich hing immer in der Turnhalle und habe mich auf den nächsten Wettkampf vorbereitet. Aber wie sagt man so schön in Köln: „Et Kütt wie et Kütt.“

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© SAP AG

D U R C H S TA R T E N

Bill McDermott ist CEO der SAP AG.

Der einzige Vertriebler auf einem DAX-Chefsessel Bill McDermott ist der Chef des Software-Riesen SAP. Der Amerikaner hat eine beeindruckende Karriere hingelegt. Und sie ist noch nicht am Ende. AUTOR: David Krenz

HÖRBAR AUF:

Popcorn raus, Film ab, „Being Bill McDermott“: Erste Szene, Grundschule. Bill werde höchstens Lastwagenfahrer, attestiert die Lehrerin den Eltern. Schnitt, ein New Yorker Arbeiterviertel, Bill, 11, trägt Zeitungen aus und bietet an den Haustüren bald auch Grußkarten, sein Geschäftssinn erwacht. Eigener Sandwichladen mit 17, Hunderte Kunden jeden Tag, das schleift sein rhetorisches Talent. Im 99-Dollar-Anzug beeindruckt er als 21-Jähriger die Chefs eines Kopiererherstellers, ergattert einen Vertriebsjob, eine steile Karriere durch die Welt der Konzerne folgt. Auch ein schlimmer Sturz bremst ihn nicht. Er habe ein Auge verloren, aber Weitsicht gewonnen, sagt er, inzwischen CEO eines deutschen Softwareriesen. 28


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Klingt nach Aufsteigermärchen à la Hollywood, von „Das Streben nach Glück“ abgekupfert. Trug sich aber alles so zu. Quelle: Bill McDermott selbst. Etliche Male hat der 56-Jährige seine Geschichte erzählt, wäre sie eine VHS-Kassette, würde die leiern, krisseliges Bild. Der SAP-CEO ist ja auch eine einmalige Figur: Nicht nur seine Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen macht ihn zum Exoten unter den DAX-Vorständen. Er ist in dem erlesenen Kreis gleichzeitig der einzige gelernte Vertriebler.

Der Eine aus Tausenden Warum finden sich so wenige mit Sales-Vergangenheit in den obersten Konzernetagen? Gibt es eine gläserne Decke für Vertriebler? Falls ja, wie gelang es Bill McDermott, sie zu überwinden? Seit seinem Amtsantritt 2010 wuchs der Börsenwert von SAP auf das Zweieinhalbfache, liegt bei mehr als 100 Milliarden Dollar. Klar, er profitiert vom Techboom, aber man muss eine gute Welle auch surfen können: So verließ er sich nicht auf das Stammgeschäft Lizenzsoftware.

© Andreas Pohlmann

Info Bill McDermott wurde 1961 in New York geboren. In einem Arbeiterviertel aufgewachsen, machte er schnell Karriere. Nach Stationen bei Xerox und Gartner kam er 2002 als CEO zu SAP America. 2010 folgte dann der Aufstieg zum CEO des gesamten SAP-Konzerns. Zunächst gemeinsam mit Jim Hagemann Snabe, seit 2014 hat er die Funktion alleinig inne. Im Sommer 2015 fiel er im Haus seines Bruders nachts die Treppe herunter. Das Wasserglas in seiner Hand zerschlug, durch eine Scherbe verlor er das linke Augenlicht. Seitdem trägt er bei öffentlichen Auftritten eine Sonnenbrille.

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Er stärkte durch milliardenschwere Zukäufe die Cloudsparte, Kunden können Software jetzt mieten. Den SAP-Produkten, lange als kompliziert verschrien, verordnete er Bedienfreundlichkeit, führte intern das Motto „Run Simple“ ein. Von den Mitarbeitern forderte er, Kunden besser mitzunehmen, empathischer zu sein. Das sei wichtiger Teil seines Erfolgs, sagen Experten: Dass er jede Entscheidung konsequent vom Kunden her denkt.

Ein Start mit Schwierigkeiten Eine Haltung, die für Vollblutvertriebler selbstverständlich sei, sagt Unternehmensberater Roland Jäger, der seit vielen Jahren Führungskräfte coacht. Ein weiterer hilfreicher Wesenszug für die Managerkarriere: „Genau zu wissen, welche Botschaft ich senden will und wie ich das tue, Kunden oder Mitarbeiter emotional anzusprechen, darin sind die meisten Vertriebler sehr gut.“ Obwohl McDermott bei seinem ersten Auftritt vor der Belegschaft gewirkt habe, wie „die Persiflage eines amerikanischen Staubsaugervertreters“, wie ein Mitarbeiter mal im „Spiegel“ schilderte, erweist er sich längst als mitreißender Motivator, der alle im Haus zu Höchstleistungen anzuspornen weiß. Ein Team aufzubauen gelänge sicher vielen Vertriebsleuten – aber wenige wollen es: „Wenn ich andere erfolgreich mache, überlasse ich ihnen das Rampenlicht. Das kann nicht jeder“, sagt Jäger. Auch erfordere das Führen von Mitarbeitern Geduld und FrustrationsBill McDermott toleranz. Während einer wie McDermott sehr strategisch denke, einen Blick für Finanz- und Portfo„Wenn man lio-Management beweise, lernt Jäger immer wieder deutsche Ingenieure Vertriebler kennen, die nach ihrer Beförderung über und ein bisschen die vielen Aufgaben stöhnten. „Die wollten am liebamerikanisches sten einfach nur verkaufen.“ Zumal sie als Top-VerMarketing käufer oft besser verdienten als im Management. kombiniert, hat man eine mächtige

Vielleicht liegt‘s also an den Verkäufern selbst, dass man sie unter den Spitzenmanagern kaum findet.

Mischung.“

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Geht den Konzernen da etwas verloren? Wie sagte McDermott in einem Interview: „Wenn man deutsche Ingenieure und ein bisschen amerikanisches Marketing kombiniert, hat man eine mächtige Mischung.“

Charismatische Verkaufsprofis überall Keinen Mangel sieht Ove Jensen, Professor für Vertriebsmanagement an der WHU Vallendar. „Die Konzernetagen sind voll von charismatischen Verkaufsprofis“, sagt er. Nur seien die – etwa Joe Kaeser (Siemens) – „nicht unbedingt im Vertrieb groß geworden“. Vor allem in mittelständischen Unternehmen sei die Führung inzwischen gar deutlich vertriebsorientierter: Durch den Trend zu Digitalisierung und neuen Geschäftsmodellen braucht es Challenger-Verkäufer, die dem Kunden nicht nur Produkte, sondern neue Einsichten vermitteln. „Die besten Challenger sind meist die Führungskräfte.“ Während die WHU-Studierenden früher vor allem in Konzerne und Banken strebten, hätten die meisten inzwischen ein anderes Ziel, berichtet Jensen: „Ihr Traum ist es, Entrepreneur zu werden.“ Für Bill McDermott sind es neben seinen Vertriebsjahren vor allem die Erfahrungen als junger Gründer, denen er seinen märchenhaften Aufstieg zuschreibt.

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© Thinkstock / FluxFactory

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Noch trauen sich zu wenige Frauen in den Vertrieb.

„Frauen haben ein Problem mit dem Vertrieb“ Noch immer sind Frauen im Vertrieb und im Vertriebsmanagement in der Minderheit. Damit vergeben sie enorme Chancen. Die Unternehmen auch. Ein Wandel muss her. AUTORIN: Britta Schmeis

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Für Franziska Brandt-Biesler ist die Sache klar: „Der Vertrieb hat kein Problem mit den Frauen, sondern die Frauen mit dem Vertrieb.“ Damit allerdings, so schiebt die ehemalige Vertrieblerin und heutige Verkaufstrainerin und Unidozentin hinterher, ist noch nichts über die Gründe gesagt und schon gar keine Bewertung vorgenommen. Sie selbst war vor vielen Jahren in ihrem Job bei einem Logistikunternehmen „schweren Herzens“ vom Innen- in den Außendienst gewechselt. Klinkenputzen, beim Kunden anbiedern und dann auch noch in eine Männerdomäne? Wer tut sich das selbst denn an? Doch schnell stellte sie fest: Vertrieb liegt ihr. Denn beim Verkauf geht es viel mehr um geschickte Gesprächsführung, Kundenbindung, Empathie. Und nicht ums Aufschwatzen irgendwelcher 33


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Produkte oder Dienstleistungen. Immerhin ist der Anteil von Frauen im Vertrieb in den vergangenen Jahren leicht von 36 auf 39 Prozent gestiegen, wie eine internationale Studie des Karrierenetzwerks LinkedIn von 2014 zeigt. Und trotzdem: Das Image des Vertrieblers ist und bleibt schlecht - und es schreckt Frauen ab.

Das Image schreckt ab Das können Gabriele Smith und Gabriele Becker nur bestätigen. Smith ist seit 20 Jahren im Vertrieb, einen Großteil davon in Führungspositionen, Becker hat ihre Karriere als Softwareentwicklerin gestartet und ist nach unterschiedlichen Stationen nun Vertriebsleiterin Bestandskunden Mittelstand im Bereich Diskrete Fertigung bei SAP Deutschland. Beide engagieren sich im BdVM in der Fachgruppe Frauen im Vertriebsmanagement. „Es gibt gleich mehrere Gründe, warum sich Frauen von dem Job nicht angesprochen fühlen“, erklärt Smith, die inzwischen an der Schiller International University in Heidelberg lehrt. „Da ist zum einen das Image, zum anderen sind da Aspekte wie der sehr hohe Druck in einem von Zahlen getriebenen Geschäft, die provisionsbasierte Bezahlung, die extrem hohe Reisetätigkeit und der selbst auferlegte Perfektionismus vieler Frauen.“ Beckers Rat an junge Frauen lautet: „Das eigene Licht niemals unter den Scheffel stellen und authentisch sein.“ Allerdings: Vorsichtige Formulierungen mit: könnte, würde, wäre schön, seien absolut kontraproduktiv. Schließlich geht es nicht darum nett zu sein, sondern kompetent. Gleichzeitig aber sollten sich Frauen auf ihre Fähigkeiten besinnen. „In der Regel sind Frauen empathisch, wirken oft deeskalierend, leben Beziehungsmanagement anders als Männer, sind kontakt- und kommunikationsfreudig und sie verfügen sehr oft über ein sehr gutes Organisationstalent“, sagt Becker. Entscheidende Faktoren für einen erfolgreichen Vertrieb. Die Realität allerdings sieht da noch anders aus, denn noch immer wird Erfolg ausschließlich an (Verkaufs-)Zahlen gemessen.

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Der Nachwuchs bleibt männlich Die größten Defizite in der fachlichen Vertriebskompetenz liegen laut einer Untersuchung der Sales & Marketing Departments (SMD) der Ruhr-Universität Bochum in der Kundenanalyse und dem Kundenverständnis, im Beziehungsmanagement mit den Kunden sowie in der Verhandlungsfähigkeit. Zugleich belegen zahlreiche Studien, dass Frauen in Führungsetagen den Firmengewinn steigern. Da tun Unternehmen gut daran, Frauen zu fördern, wie auch die an der Untersuchung beteiligten SMD- Wissenschaftlerinnen Dr. Sabrina Scheidler und Janina-Vanessa Schneider fordern. Grundsätzlich sei längst erkannt, dass sich die Anforderungen an den Vertrieb rasant ändern, langfristige Kundebeziehungen, Verhandlungsgeschick und Erkennen der Kundenbedürfnisse an Bedeutung gewinnen, in der Praxis ist das aber noch längst nicht angekommen – nicht einmal in der Theorie. „Wir sind europaweit die erste Universität, die seit 2016 den regulären Masterstudiengang in Sales Management anbietet“, erzählt Dr. Scheidler, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der am SMD der Ruhr-Universität. Dabei sei erstaunlich, dass es immer noch mehr Bewerber als Bewerberinnen gebe. Die Vorbehalte gegen den Vertrieb seien auch unter den Studierenden groß. Es müsse darum gehen, das Image zu verbessern und aufzuzeigen, dass Vertrieb auch etwa Key Accounting, bedeute und strategisches wie konzeptionelles Arbeiten beinhalte. Noch viel entscheidender allerdings ist die Flexibilisierung der „Arbeitsmodelle“: Arbeitszeiten und Arbeitsplätze. „Die Unternehmen müssen sich endlich den Realitäten anpassen“, fordert Brandt-Biesler. Erst Mitte November hatte sich der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt für eine Aufhebung des strikten Acht-Stunden-Tages ausgesprochen, um den Herausforderungen der digitalisierten Welt zu begegnen. „Das wünschen sich auch viele Frauen“, sagt Vertriebsmanagerin Gabriele Smith. Unternehmen müssten Modelle finden, dass Mütter etwa morgens einige Stunden arbeiteten, dann eine längere Pause für die Kinder einlegten, um am Abend weiterarbeiten zu können. Auch eine Büropräsenz sei in vielen Fällen überhaupt nicht notwendig. „Die Reisetätigkeiten lassen 35


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sich zudem auf feste Tage in der Woche festlegen, sodass sie für die Familien besser planbar sind“, gibt sie zu bedenken. Entscheidend sei ein optimales Zeitmanagement, das auch vom Arbeitgeber getragen werden muss. Und Becker berichtet von „zwei tollen jungen Frauen“, die sie gerade jeweils für eine 60-Prozent-Stelle einstellt, damit sich ihre Tätigkeiten überlappen. „So kann das Unternehmen zwei hochqualifizierte Mitarbeiterinnen gewinnen“, gibt sie zu bedenken. Frauen im Vertrieb müssen mutig sein, fachlich kompetent sowieso und selbstbewusst ihre Stärken einbringen – das dürfen auch weibliche Eigenschaften sein, lautet das Credo der Vertriebsexpertinnen. An den Unternehmen aber sei es, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

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© Daimler AG

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Britta Seeger verantwortet den Vertrieb der Daimler AG.

Die Frau an der Spitze Britta Seeger ist Vertriebschefin bei einem der prestigeträchtigsten Autohersteller der Welt. Seit fast einem Jahr verantwortet sie als Vorstandsmitglied den Bereich Cars Sales & Marketing bei Mercedes-Benz. AUTOR: Florian Sturm Eigentlich stehen auf dem Genfer Autosalon traditionell Cabriolets, Geländewagen und Limousinen im Rampenlicht. Doch am 7. März dieses Jahres ist eine Person mindestens genauso wichtig: Britta Seeger. Seit 1. Januar 2017 ist sie neuestes Vorstandsmitglied der Daimler AG und verantwortlich für den Bereich Mercedes-Benz Cars Sales & Marketing. Jener Sparte also, die einen Großteil des jährlichen Milliardengewinns im Unternehmen ausmacht. Die Ruhe und Selbstsicherheit, mit der sie ihren ersten weltöffentlichen Auftritt in der bislang wichtigsten Position ihrer Karriere meisterte, ist beeindruckend. Aber nicht überraschend. Völlig unaufgeregt präsentierte sie auf der 87. Autoshow in der Schweizer Metropole das E-Klasse 37


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Coupé. Was acht Wochen zuvor in Detroit noch Daimler-Chef Dieter Zetsche vorbehalten war, übernahm nun die 48-Jährige aus Bonn. Eine Geste, mit der die Verantwortlichen des Konzerns untermauern, was bisher primär als offizielles Statement vorlag: „Mit Britta Seeger berufen wir eine erfahrene Managerin, die seit 2013 weltweit in führenden Vertriebspositionen erfolgreich tätig ist. Zugleich stellen wir den Vorstand jünger auf und zeigen, dass wir hervorragende Frauen für Vorstandspositionen haben“, sagt Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Bischof.

Mit 19 zu Daimler Seeger ist – neben Compliance-Chefin Renata Jungo Brüngger – die zweite Frau in der achtköpfigen Führungsetage an der Spitze des DaxKonzerns. Eine besondere Rolle komme ihr deswegen jedoch nicht zu, meint sie. „Letztendlich zählen Qualifikation und Leistung, denn Spitzenleistungen sind unabhängig von Geschlecht, Alter und Herkunft“, sagt sie im Interview mit dem Business Developer Plus; ergänzt allerdings, dass sie die unternehmensinternen Maßnahmen zur Frauenförderung Anzeige

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– spezielle Recruiting-Maßnahmen, flexible Arbeitszeitmodelle sowie eine betriebliche Kleinkind- und Kinderbetreuung – sehr begrüße. Britta Seeger wurde am 25. September 1969 in Bonn geboren und absolvierte ihr Abitur am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Fellbach, unweit von Stuttgart. Im Rahmen eines Betriebswirtschaftsstudiums an der Stuttgarter Berufsakademie betritt sie bereits als 19-Jährige das Daimler-Universum – um anschließend die Karriereleiter Schritt für Schritt emporzusteigen.

Die Person hinter der Funktion Bis heute hat Seeger mehr als ein Dutzend leitende Positionen im Unternehmen bekleidet, war Managerin beim Verkaufs- und Markentraining für Pkw, leitete die Bereiche Service Operations and Service Sales sowie

1992 Customer Care Mercedes-Benz AG Zentrale 1996 Marketing Academy; Verkaufs- und Markentraining Pkw Mercedes-Benz AG Zentrale 1997 Manager, Verkaufs- und Markentraining Pkw, Mercedes-Benz AG Zentrale 1998 Manager, Programm Management CRM, DaimlerChrysler AG Zentrale 2000 Senior Manager, eBusiness Unit, DaimlerChrysler AG Zentrale 2002 Senior Manager, Vertrieb Customer Connect, DaimlerChrysler AG Zentrale 2003 Senior Manager, Marktforschung Kunden- und Wettbewerbsmonitoring, After Sales Marketing, DaimlerChrysler AG Zentrale 2005 Senior Manager, Vertrieb und Marktcontrolling After-Sales, DaimlerChrysler AG Zentrale

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ZUR PERSON

Britta Seeger „Chef sein heißt für mich, Coach zu sein, und das derjenige, der ein Thema verantwortet, entscheiden darf.“

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2006 Senior Manager, Produktmanagement Mercedes-Benz Pkw & Smart After-Sales, Daimler AG, Stuttgart 2008 Director, Service Operations & Service Sales, Daimler AG, Stuttgart 2010 Director, Sales & Marketing Teile, Daimler AG, Stuttgart 2013 Director, President & CEO, Daimler Trucks Korea und Mercedes-Benz Korea Limited, Seoul 2015 Vice President, President & CEO, Mercedes-Benz Türk A.S., Istanbul, 2017 Vorstandsmitglied der Daimler-AG, Mercedes-Benz Cars Marketing & Sales

Britta Seeger „Mein Ziel war immer und ist es bis heute: mein Wissen darüber zu vertiefen, wie in anderen Ländern das Kundengeschäft funktioniert und was die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Märkten sind.

Sales & Marketing Teile und war maßgeblich daran beteiligt, Daimler fit zu machen für den Kundenkontakt via Internet. 2013 wurde sie Direktorin von Mercedes‘ Truck-Sparte in Korea – als erste Frau an der Spitze eines ausländischen Unternehmens in der koreanischen Automobilbranche überhaupt. Zwei Jahre später wechselte Seeger in die Türkei, um dort alle Lkw- und Bus-Aktivitäten zu leiten. Auf privater Ebene etwas über die 48-Jährige zu erfahren – Hobbies, Leidenschaften, Freizeitbeschäftigungen – gestaltete sich in der Recherche äußerst schwierig. In den Medienberichten steht ausschließlich die berufliche Seite Seegers im Vordergrund und als Vorstandsmitglied eines der größten Autobauers weltweit sickert durch die Presseabteilung erwartungsgemäß wenig durch. Obwohl Seegers neuer Job erst zum Jahresanfang 2017 begann, kehrte die dreifache Mutter schon mehrere Monate vor Amtsantritt nach Deutschland zurück. Zeit, die sie zur Vorbereitung auf ihre neue Rolle als Vorstandsmitglied nutzte: „In Südkorea und der Türkei hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, alle Händler zu besuchen. Mein Ziel war immer und ist es bis heute: mein Wissen darüber zu vertiefen, wie in anderen Ländern 40


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das Kundengeschäft funktioniert und was die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Märkten sind. In meiner neuen Position ist die Bandbreite an Märkten und Themen sehr viel größer. Deswegen investierte ich viel Zeit in Gespräche und Diskussionen.“ Wie lautet ihr Plan? Will sie eine Revolution im Vertrieb des Autobauers? Nein, eher einer Evolution. Im März sagte sie gegenüber der NZZ, es käme einem Fehler gleich, die Dinge nach dem so erfolgreichen Jahr 2016 „dramatisch zu ändern“. Flexibilität wolle und müsse der Konzern jedoch in allen Bereichen beibehalten: „Wir befinden uns inmitten der größten Transformation seit der Erfindung des Automobils – und diesem Wandel stellen wir uns im Vertrieb.

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Aller Anfang ist schwer Im Kampf um geeigneten Nachwuchs für den Vertrieb sind die ersten Monate nach der Einstellung entscheidend. Was Sie beim „Onboarding“ von Vertriebsfachkräften berücksichtigen sollten. EIN GASTBEITRAG VON: Hans Bachinger Jedes Unternehmen hat seine eigenen ungeschriebenen Gesetze sowie seine individuelle Mitarbeiterkultur. Neue Verkaufstalente müssen nicht nur immer schneller Verkaufserfolge vorweisen, sondern auch eine ganz persönliche Bindung zum neuen Dienstgeber gewinnen. Sehr oft scheitern aber diese neuen Dienstverhältnisse nicht an fachlicher oder persönlicher Leistung des neuen „Vertrieblers“, sondern an fehlender oder falscher Kommunikation mit dem Unternehmen im Allgemeinen beziehungsweise mit Vorgesetzten und Kollegen im Speziellen.

Neue Vertriebler sind teuer Grund dafür ist oftmals der berühmte „Sprung ins kalte Wasser“ des neuen Mitarbeiters. Obwohl eine Studie von Talentry beweist, dass 42


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Neueinstellungen von Top-Vertriebsmitarbeitern mit bedeutenden Investitionen verbunden sind, werden genau diese Probleme der Integration schon beim Start im neuen Unternehmen unterschätzt beziehungsweise aufgrund von Zeitmangel aller Beteiligten nicht ausreichend beachtet. Viele wichtige Informationen werden nicht oder nur schlecht mit dem neuen Mitarbeiter ausgetauscht. Selbst notwendige Informationen zu Standards und informellen Regeln und ungeschriebenen Gesetzen des Unternehmens werden nicht systematisch vermittelt. Nicht selten weichen auch die Erwartungen des Vorgesetzten von denen des neuen Vertriebsmitarbeiters ab beziehungsweise werden nicht ausführlich und klar kommuniziert.

Die kritischen fünf Monate Untersuchungen aus über 500 Recruiting-Projekten zeigen, dass die Grundlagen für den späteren Erfolg des Verkäufers bereits vor Beginn des Dienstverhältnisses und sehr früh nach Arbeitsbeginn gelegt werden. In den ersten 90 bis 150 Tagen zeigen sich die größten Dropout-Raten bei neu eingestellten Vertriebsmitarbeitern. Erfolgreiches Onboarding (also „Andocken“ ans Unternehmen) lässt sich in zwei Phasen einordnen. Es beginnt in der Regel schon vor dem Tag, an dem der neue Mitarbeiter seinen Dienstvertrag unterschreibt. Und endet, wenn der neue Mitarbeiter im Unternehmen „angekommen ist” – fachlich wie menschlich. Unternehmen müssen in beiden Phasen (vor und nach Arbeitsbeginn) sicherstellen, dass der Onboarding-Prozess den Firmenzielen und Erwartungen gerecht wird. Folgende Tipps sollen Unternehmen helfen, ihre neu rekrutierten Mitarbeiter im Vertrieb auch auf lange Sicht halten zu können.

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1. Erfolgreiches Onboarding beginnt bereits mit einer exakten Stellenausschreibung und einem guten Einstellungsgespräch! Ein genaues Tätigkeitsprofil mit den exakten Erwartungen verhindert bereits im Vorfeld, dass der neue Mitarbeiter später Probleme beim Erreichen seiner Ziele und Aufgaben hat. Besonders das Thema Erwartungen muss von beiden Seiten in einem ausführlichen Einstellungsgespräch für beide Seiten zufriedenstellend besprochen und vereinbart werden. Genau diese Erwartungen sollten dann auch im weiteren Prozess durch eine laufende und strukturierte Kommunikation (idealerweise mit moderner Onboarding-Technologie) immer wieder abgestimmt werden.

2.Inklusion auf drei Ebenen Onboarding ist mehr als nur eine einfache Integration. Besser ist eine wirkliche Inklusion im Unternehmen. Die ist dann verwirklicht, wenn der neue Mitarbeiter in seiner Individualität vom Unternehmen akzeptiert wird. Damit hat er die Möglichkeit, in vollem Umfang am zukünftigen Erfolg des Unternehmens mitzuwirken, aber auch teilzunehmen. Eine gelungene Inklusion des neuen Mitarbeiters ist dann gegeben, wenn diese auf der fachlichen, sozialen und werteorientierten Ebene, erfüllt ist.

3. Der Erfolg liegt in der Struktur des Onboardings! Wie schon erwähnt, scheitern viele Dienstverhältnisse an fehlender oder falscher Kommunikation. Worauf ist nun dabei besonders zu achten? Der Inklusionsprozess liegt zwar im beiderseitigen Interesse, doch bedarf es in den ersten Monaten einer stark strukturierten Vorgehensweise und einem intensiven Zeitaufwand, damit dieser funktioniert. Die Erfahrung von „Menschen im Vertrieb“ zeigt, dass es im Alltag sowohl an den zeitlichen Ressourcen als auch an der strukturierten Verfolgung des Eingliederungsprozesses mangelt. Das Resultat ist ein eklatantes Fehlen an offener und lösungsorientierter Kommunikation.

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Die mündet wiederum in auseinanderdriftenden Erwartungshaltungen. Ein strukturierter „Online-Boarding-Pass“ (eine wiederkehrende Online-Befragung mit laufendem Controlling in Form eines Ampelsystems) kann dabei für beide Seiten eine notwendige Hilfestellung für eine Kommunikation im Gleichklang darstellen. Der fixe, wiederkehrende Rahmen der Befragung mit klar definierten Meilensteinen garantiert eine gelungene Kommunikation.

Vertrauen und Integrität als Magnet Für eine hohe Mitarbeiterbindung und die positive Identifikation des Vertriebsmitarbeiters mit dem Unternehmen ist natürlich eine werteorientierte Unternehmenskultur von großem Nutzen. Obwohl in Zahlen kaum messbar, führen Aspekte wie Vertrauen, Integrität und Mitarbeiterzufriedenheit langfristig nicht nur zu einer besseren Performance, sondern auch zu einer starken Bindung des neuen Vertriebsmitarbeiters.

© Menschen im Vertrieb

Erfolgreiches Onboarding senkt die Fluktuationsrate, verbessert das Betriebsklima und stärkt das Employer Branding jedes Unternehmens – und damit die Kampfkraft um zukünftige Verkaufstalente.

Autor Hans Bachinger war viele Jahre Geschäftsführer von Mercedes-Benz- und BMW-Niederlassungen in Österreich und gründete vor zehn Jahren das Vertriebsberatungsunternehmen Menschen im Vertrieb. Als Experte für Recruiting, Training und Consulting im Vertrieb ist er auch Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Campus02 in Graz. Mit seinem Unternehmen ist er Gewinner des Österreichischen Beratungspreises „Constantinus Award“.

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© IBM/HO

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Mit „Watson“ hat IBM künstliche Intelligenz auf das nächste Level gebracht.

Schaltkreise, die die Welt verändern IBMs Supercomputer „Watson“ gilt vielen als Bedrohung für die Versicherungsbranche. Doch noch sind die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz im Allgemeinen begrenzt. AUTOR: David Krenz Zu Jahresbeginn sorgte eine kleine Meldung aus Japan für Wirbel: Der Lebensversicherer Fukoku streiche ein Drittel der Stellen in der Schadensbemessung, die Arbeiten – etwa ärztliche Dokumente auswerten – erledige künftig IBMs „Watson“, eine intelligente Analysesoftware. Weniger die Zahl betroffener Mitarbeiter (34) löste in der deutschen Versicherungswirtschaft Aufregung aus, vielmehr die Kernbotschaft: Maschine ersetzt Mensch. Erlebt die Branche gerade ihren Deep-Blue-Moment? Rechner „Deep Blue“, ebenfalls von IBM, schlug 1997 den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow. Die Partie gilt als Wendepunkt, 47


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Künstliche Intelligenz (KI) überflügelte erstmals menschliches Genie. Werden 20 Jahre später die Beschäftigten in der Versicherungsbranche matt gesetzt?

Investitionen in Millionenhöhe Es blieb ja nicht bei den 34 Japanern. Die Allianz hat angekündigt, in den nächsten drei Jahren deutschlandweit 700 Arbeitsplätze abzubauen. Im gleichen Zeitraum fallen bei der Ergo 2. 400 Vollzeitstellen weg, vorwiegend im Vertrieb. Die deutsche Zurich streicht bis Ende 2018 rund 860 Stellen – und investierte zuletzt einen dreistelligen Millionenbetrag in seine IT. Eine McKinsey-Studie sieht gar voraus, dass im Laufe der nächsten zehn Jahre bis zu 40 Prozent aller Versicherungsjobs verschwinden könnten. Nach den Sachbearbeitern, sagen Experten, sei vor allem der Vertrieb betroffen. Matthias Gröbner wird von seinen Kunden in letzter Zeit zu Begriffen wie „Machine Learning“, „Blockchain“ und „Chatbots“ gelöchert. Anzeige

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Als einer der Partner von Detecon Consulting berät er Versicherungen in Digitalisierungsfragen. Er hört dann auch die Sorgen der Beschäftigten. Was er dann tue: „Alle auf den Boden der Realität zurückholen.“ Ein Supercomputer, der Mitarbeiter entlang der gesamten Versicherungs-Wertschöpfungskette wegrationalisiert, sei schlicht Sciencefiction, sagt Gröbner, der zu KI promoviert hat. Die Anwendungsfelder heutiger Verfahren seien begrenzt: Sie klassifizieren beispielsweise Briefe, ob sie Schadenmeldung oder Antrag sind, „aber das ersetzt nicht die Schritte dahinter“. Vieles steckt im Experimentierstadium: Nach einer Studie von Simon-Kucher & Partners investierten in den vergangenen drei Jahren bereits 91 Prozent aller Versicherer in digitalisierte Prozesse, lediglich 15 Prozent gaben an, die Maßnahmen hätten ihren Umsatz bereits messbar beeinflusst. Ein Großteil der Stellenstreichungen sei „der KI nicht in die Schuhe zu schieben“, sagt er. Es handele sich um schon länger laufende Optimierungsprozesse.

Veränderte Ansprüche an Vertriebler Den großen Wandel am Horizont bestreitet aber niemand. Immer mehr Menschen schließen Versicherungen online ab, im Spot des Maklerportals „Check24“ wird einem Herrn Kaiser die Tür gewiesen. Künstliche Kundenberater seien nicht allzu fern, sagt auch Gröbner. Zumindest für einfache Produkte (KfZ, Haftpflicht). Bei Leistungen wie Lebensversicherungen oder Rentenversorge erfordere größeres Kontextwissen zur Lebenssituation und den Plänen der Kunden. „Da übernimmt weiterhin der Vertriebler“, sagt er. „Er muss dann aber auch zu qualifizierter Beratung in der Lage sein.“ Dort könnte sich KI dem Vermittler gar als wertvoller Kollege erweisen. Big-Data-Analysen helfen, Bedürfnisse zu verstehen und passgenaue Leistungen anzubieten. Zum Beispiel einem Kunden, dessen Social-Media-Aktivitäten auf Heirat, Hausbau oder Nachwuchs hindeuten. Ein weiterer Punkt sei Stornoprävention, sagt Gröbner. „Wer Hinweise auf eine finanzielle Notsituation seines Kunden erhält, kann ihm eine Stundung 49


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der Beiträge vorschlagen und so die Kündigung der Lebensversicherung verhindern.“ Mit dem Internet der Dinge steht außerdem ein Paradigmenwechsel bevor: Die Versicherungen werden vom Schadenmanager zum Schadenverhinderer. Melden die Sensoren eines Smart Home Einbrecher oder Wasserohrbruch, kann die Versicherung mit Sofortmaßnahmen den Versicherten vor größerem Schaden bewahren. Solche komplexen Leistungen und die Technik dahinter muss der Vermittler erklären können. Ebenso wie Fragen der Kunden zum Datenschutz.

Versicherungswesen bleibt luktratives Berufsfeld Mitarbeiter sind dafür zu schulen. „Da sind die Unternehmen noch nicht so schrecklich weit, glaube ich“, sagt Martina Grundler, Fachgruppenleiterin Versicherungen bei Verdi. Die Konzerne machen derzeit mit „Hackathons“ für IT-Talente oder dem „Insurlab Germany“, eine Art Labor für Insurtech-Start-ups, von sich reden. Weniger mit Qualifizierungsoffensiven. Auch die heute Beschäftigten seien aber mitzunehmen, sagt Grundler. Für die Vertriebsmitarbeiter, die künftig statt Verkäufer eher Berater sein sollen, gelte mit Blick auf ihre Bezahlung zu prüfen, ob provisionsbasierte Modelle noch richtig seien. „Mischmodelle mit höherem Grundverdienst würden mehr Absicherung bieten.“ Und der junge Mensch, der sich heute fragt: Rein oder nicht rein in den Versicherungsvertrieb? „Ich würde zuraten“, sagt Matthias Gröbner. Wer gewillt sei, sich in komplexe neue Felder wie Autonomes Fahren oder E-Health einzuarbeiten und den Versicherungsvertrieb als umfassenden Service zu denken, dem stehe in der Branche eine „superspannende“ Zeit bevor. Scheint, als böte die Digitalisierung den Vermittlern außer Risiken auch Chancen. Schwarz oder weiß gibt es eben nur im Schach.

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Der Loungebereich bei Rent24 verspricht kreative Pausen.

Freiräume für den Vertrieb Produktneuheiten und wachsende Konkurrenz stellen hohe Anforderungen an den Verkauf. Wer überleben will, muss kreativ sein und sich weiterentwickeln. Die Anbieter von Coworking Spaces wollen Unternehmen dabei helfen, auf diese Herausforderung eine Antwort zu finden. AUTOR: Norbert Wessendorf Das Rezept für Innovationen klingt einfach: Bringe Menschen verschiedenen Alters aus verschiedenen Unternehmensbereichen mit verschiedenen Hintergründen zusammen und lasse sie miteinander reden. Während diese Zutat für die meisten Unternehmen kein Problem darstellen dürfte, gestaltet sich ein anderer Faktor schwieriger: guter Kaffee und inspirierende Räumlichkeiten. Aus diesem Umstand wollen die Anbieter von Coworking Spaces Kapital schlagen. Die Anbieter locken mit hip eingerichteten Räumlichkeiten zu vergleichsweise geringen Kosten. So bekommen Mieter unter anderem Lounge-Areas geboten, die jeden Café-Besitzer im Prenzlauer 51


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Berg neidisch machen würden. Neben der Einrichtung soll auch die Mischung der Mieter den Rahmen für kreatives Arbeiten schaffen.

Etablierte Unternehmen setzen auf Coworking

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„Von 18-jährigen Studenten bis 60 Jahre plus ist hier jede Altersgruppe vertreten“, sagt Selina Zehden, Chief Operations Officer beim Berliner Coworking-Space-Anbieter Rent24. „Man denkt vielleicht, dass Startups und Gründer eine andere Vorstellung eines Büros haben, als die etablierten Konzerne.“ Dass das ein Irrglaube ist, zeigt ein Blick auf die Wand mit den Logos der Mieter neben dem Eingang der Filiale in der Oberwallstraße in Berlin-Mitte. Dort prangen neben Amazon auch die Namen von der Deutschen Bahn oder Deloitte. Unternehmen, die nach Disruption klingen, finden sich zumindest hier in dem ehemaligen Konfektionshaus nur vereinzelt.

Coworking-Space Rent24 in der Oberwallstraße in Berlin.

Der Gründer von Rent 24 ist Robert Bukvic. Mit diversen Internetportalen, die unter anderem Werkzeuge zur Miete anbieten, war der ehemalige Profibasketballer schon vor Rent24 erfolgreich. Aus Ressourcengründen legte er seine Unternehmen an einen Ort zusammen. „Da hat er erkannt, welches Synergiepotenzial das Zusammenbringen von Menschen in ungezwungener Atmosphäre birgt“, erzählt Zehden.

Weltweit eine halbe Millionen Coworker Bukvic ist mit dieser Erkenntnis nicht der Einzige gewesen. Alleine in Berlin gibt es mittlerweile weit mehr als zwanzig Anbieter von Co52


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Jede Ecke haben die Designer von Rent 24 mit Liebe bedacht.

© We Work

Der Coworking Space von WeWork im Sony Center Berlin bietet einen szenischen Blick über den Tiergarten.

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working-Spaces. Und laut einer Studie arbeiten weltweit circa eine halbe Millionen Menschen in rund 7. 800 geteilten Büroräumen. Unternehmen wie Experten sprechen von geringen Kosten, umweltfreundlichen Arbeitsplätzen und einer Umgebung, die neue Denkweisen ermöglicht. In einer Arbeitswelt, in der Innovationen und Kreativität eine der wesentlichen Ressourcen sind, ist das unabdingbar. Der Ansicht ist auch Udo-Ernst Haner, der am Fraunhofer Institut das Team „Information Work Innovation“ leitet. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung sagte er, dass die herkömmliche Büroordnung dem tayloristischem Verständnis von Arbeit entspringe, „in dem genau festgeschrieben war, welcher Arbeitsschritt einem anderen folgt, was zu tun ist und zu welchem Ergebnis das führt.“ Damit einhergehend seien Einzel- und klassische Großraumbüros ein Hindernis für kreative Arbeit. Bei der Gestaltung moderner Büroräume sei es unter anderem wichtig, dass die Gestaltung der Räume bei den Angestellten Wohlbefinden auslöst.

Wohlbefinden hat Priorität Ob man bei WeWork, dem Betahaus oder eben Rent 24 auf einem der zahlreichen Sofas Platz nimmt, eines fühlt man sich mit Sicherheit: wohl. Dem Wohlbefinden der Mieter widmet sich bei Rent24 sogar ein dafür abgestellter Community-Manager. Der organisiert unter anderem Partys und leistet Unterstützung bei kleineren Problemen. Bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten und dem Abgesang auf klassische Großraumbüros, die von Weiß und Grautönen dominiert werden: Ganz ohne Nachteile ist der Gang in den geteilten Raum nicht. Je nach Ausstattung kann es dort genau so laut werden wie in einem Großraumbüro. Gravierender als die Lautstärke dürfte jedoch der mangelnde Schutz von Unternehmenswissen sein, den die Autoren einer Studie bemängeln. Wer die nächste große Idee hat, der tut gut daran, sie nicht gleich beim Gang zur Kaffeemaschine auszuplaudern.

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© Thinkstock / M-image

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Bald keine Spielwaren mehr unter dem Christbaum? Die Branche schwächelt.

Ausgespielt Vielen Spielwarenherstellern hat es kurz vor dem für die Branche so wichtigen Weihnachtsfest die Stimmung verhagelt. Ausgerechnet in der umsatzträchtigsten Jahreszeit holen die strukturellen Probleme der Branche namhafte Hersteller und Händler ein. AUTORIN: Sarah Sommer

HÖRBAR AUF:

Leuchtende Kinderaugen, ellenlange Wunschzettel, spendierfreudige Eltern und Großeltern – so soll es sein in den entscheidenden Wochen und Monaten vor den Weihnachtsfeiertagen. Nichts, aber auch gar nichts darf schieflaufen in der Hauptsaison des Spielzeugvertriebs, wenn die Spielwarenbranche innerhalb weniger Wochen fast 30 Prozent ihres gesamten Jahresumsatzes einfährt. Das Lächeln der Verkäufer muss sitzen, die Werbebotschaften müssen perfekt platziert, die Trends in Kindergärten und Schulen gesetzt sein, und kein Lieferengpass, kein fehlerhaftes Produkt darf die Freude am Spielzeugkauf verderben. Wenn es um das Weihnachtsgeschäft geht, verstehen Spielwarenhersteller und Spielzeughändler keinen Spaß. 56


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Dieses Jahr fällt es vielen Unternehmen der Branche allerdings schwer, die besinnlich-fröhliche Fassade aufrecht zu halten. Mit dem weltweit tätigen US-Konzern ToysRUs hat einer der weltweit wichtigsten stationären Spielzeughändler Ende September in den USA Insolvenz angemeldet. Zwar bemühen sich seither alle Beteiligten, die Bedeutung dieser Nachricht herunterzuspielen: Die sogenannte „Chapter 11“-Insolvenz nach amerikanischem Recht sei keine Pleite, sondern die Chance, sich während einer Phase des Gläubigerschutzes neu aufzustellen, heißt es aus dem Unternehmen. Das Geschäft der Filialen außerhalb der USA sei nicht betroffen. Das Weihnachtsgeschäft gehe auf jeden Fall und unter allen Umständen ungestört weiter. Doch schon wenige Wochen später wurden die tatsächlichen Auswirkungen der ToysRUs-Krise klar: Mattel, der nach Umsatz zweitgrößte Spielehersteller der Welt und einer der größten ToysRUs-Gläubiger, meldete einen hohen Quartalsverlust und setzte Dividendenzahlungen an seine Aktionäre aus. Die Folge: Der drittgrößte Spielzeugkonzern der Welt, Hasbro, der nur etwa halb so viele ausstehende Forderungen an ToysRUs verkraften muss wie der etwas größere Konkurrent Mattel, plant nun dessen Übernahme. Es lässt sich kaum verbergen, dass der Markt für Spielwaren sich mitten in einem tiefgreifenden Umbruch befindet, der selbst die Größten der Branche vor sich her treibt.

Schnelllebige Trends wie in der Modewelt Der Spielwarenvertrieb, einst geprägt von einer Vielzahl kleiner Fachhändler mit einigermaßen überschaubaren Sortimenten, hat sich zu einem extrem schnelllebigen Geschäft gewandelt. In den Spielwarenläden folgen die neuesten Trends inzwischen so schnell aufeinander wie sonst nur die Kollektionen bei Mode-Massenvertrieben wie Zara und H&M. „Die Händler liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die neuesten Trends, die Sortimente wechseln immer schneller“, berichtet Willy Fischel, Geschäftsführer beim Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels (BVS). Jeder Fachhändler biete im Schnitt 25.000 Produkte an. Nur etwa die Hälfte aller Produkte bleibt länger als zwei Jahre auf dem Markt. Rund die Hälfte des Jahresgeschäfts hängt von zugkräftigen 57


STEUERN & ENTSCHEIDEN

Neuheiten ab. Und Online-Händler wie Amazon treiben den stationären Handel vor sich her: Nur noch 63 Prozent des Spielwaren-Umsatzes in Deutschland werden über den stationären Handel vom Spielwarenfachgeschäft bis zum Warenhaus vertrieben. „Online hat sicherlich die stärksten Wachstumsraten“, räumt BVS-Chef Fischel ein. „Wir diskutieren allerdings schon längst nicht mehr über Online oder Offline. Der Kunde will ohnehin beides, stationär und online einkaufen“. Alle Händler, ob stationär, Multi-Channel oder reine Online-Vertriebe, investierten daher derzeit in Logistik und Prozessoptimierung, in digitale Präsenz und interaktive Kommunikation mit Kunden, berichtet Fischel. Wie diese Entwicklungen sich auf die Vertriebsstrategien der Spielzeugindustrie auswirken werden, sei bereits in Grundzügen erkennbar, berichtet Axel Dammler vom Marktforschungsinstitut Iconkids in München. „Zum einen sehen wir eine Zweiteilung in einen Markt für Babys und Kleinkinder auf der einen Seite und für ältere Kinder auf der anderen Seite, die über verschiedene Vertriebsstrategien bearbeitet werden“, analysiert er. Im Kleinkindbereich werde weiterhin viel stationär eingekauft, weil Eltern und Großeltern am eher emotional gesteuerten Kauf von Plüschtieren und Babyspielzeug im Laden mehr Spaß hätten. Spielwarenhersteller würden daher weiter auf den Fachhandel als Vertriebsweg setzen und diese dabei unterstützen, Einkaufserlebnisse mit Eventcharakter anzubieten wie etwa „Babys erstes Weihnachten“. „Bei den Spielwaren für ältere Kinder wird sich hingegen der Online-Vertrieb immer stärker durchsetzen“, sagt Marktkenner Dammler voraus. Schulkinder und Jugendliche hätten sehr konkrete Vorstellungen davon, welches Spielzeug sie sich wünschen – oft bekommen Eltern und Großeltern von ihren Sprößlingen inzwischen digitale Wunschzettel per E-Mail oder Whatsapp-Nachricht, erstellt direkt im Online-Shop der Hersteller oder Händler.

Erste Anlaufstelle Online-Shop Ein weiterer Trend, der die Zukunft des Spielwarenvertriebs prägen wird: „Die großen Spielwarenhersteller setzen darauf, nicht mehr einzelne 58


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Spielzeuge, sondern ganze Spielewelten zu entwickeln“, sagt IconkidsChef Dammler. Zu einer Spielfigur gibt es dann etwa gleich eine ganze Themenwelt mit passenden weiteren Figuren und Spielumgebungen, Brett- und Videospielen, Büchern, Apps, Filmen und Serien, Kleidung und Accessoires. Der Vertrieb werde künftig Content-getriebener – will heißen: Über für die Zielgruppe attraktive Inhalte werben und binden die Hersteller die junge Kundschaft. „Ich kaufe zum Beispiel eine Spielzeugfigur, die ich aus Büchern oder Filmen kenne, lade eine passende App herunter und kann über die App oder ein Online-Spiel dann direkt weitere Produkte kennenlernen und kaufen“, erklärt Dammler. Im Idealfall kommt die junge Kundschaft so gar nicht erst auf die Idee, das Produkt im Sortiment eines Online-Händlers wie Amazon zu suchen, sondern kauft direkt in der digitalen Spielewelt des Herstellers. Ob sich Filialisten mit großen Flächen und Vollsortiment wie ToysRUs in dieser Gemengelage als wichtiger Vertriebsweg halten werden, ist zumindest fraglich, meint Dammler. „Für die Hersteller werden sicherlich spezialisierte stationäre Einzelhändler, Online-Shops und eigene digitale Vertriebswege wichtiger.“

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© Collage aus Thinkstock / Toa55 und Thinkstock / eestingnef

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Wann Reputationskrisen sich auf den Verkauf auswirken – und wann nicht Der Abgasskandal hat VW tief getroffen. Doch nicht jede Krise macht einem Verkäufer das Leben schwer. Wann ein Imageschaden den Absatz schmälert – und wie Sie das verhindern können. EIN GASTBEITRAG VON: Thorsten Hofmann Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, heißt es so schön in einem altbekannten Sprichwort und passender ließe sich der Abgasskandal um Volkswagen aus der Sicht einiger Betrachter kaum beschreiben. Der Verkäufer, der nun ein Diesel-Fahrzeug verkaufen soll, steht plötzlich am Ende einer schwierigen Krisenkommunikation und muss mit der angeschlagenen Reputation seines Unternehmens bei seinen potenziellen Kunden umgehen.

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Ein Verkauf und die anschließende Preisverhandlung ruhen dabei immer auf zwei Säulen: zum einen der vertrauensvollen Beziehung zwischen Verkäufer und Kunde. Zum anderen dem Vertrauen des Kunden in die Produktmarke. Allerdings ist die Unterscheidung im Kopf des Kunden nicht immer ganz klar. Der Verkäufer wird immer mit seiner Marke verbunden. Die Reputation der Marke kann seine Arbeit unterstützen oder erschweren. So auch bei VW.

Wie gefährlich Krisen sind Vertrauen ist eine Komponente von Reputation, die sich aus drei weiteren Komponenten zusammensetzt: Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Verantwortung. Jene vier Elemente also, die den Volkswagenkonzern über Jahrzehnte hinweg zu einer Marke gemacht und Millionen Kunden überzeugt haben. Sowohl Geschäftskunden als auch Privatleute wussten, was sie bekamen: ein verlässliches Fahrzeug, einen guten Service und abschließend einen guten Wiederverkaufswert. Krisen und öffentliche Diskussionen werfen Fragen auf, können Kaufzurückhaltung auslösen und Sorgen um die Zuverlässigkeit und die Glaubwürdigkeit des Produktes befeuern. Sie müssen es allerdings nicht. Erinnern Sie sich an eine der LIDL-Krisen im Jahr 2008. Von Bespitzelungsskandal bis hin zu Arbeitsbedingungen. Der Discounter hatte ein Reputationsproblem und befand sich in einem Shitstorm. Neben Medienkritik echauffierten sich Kunden in den sozialen Medien und erste gegründete Initiativen riefen zum Boykott auf. Lidl musste zwar eine Strafe von 1,5 Millionen zahlen, doch Auswirkungen im Verkauf gab es keine. Die Jahresbilanzen wiesen keine großen Verluste aus. Der Reputationsverlust war da, führte aber nachweislich nicht zu einem Umsatzeinbruch. Ähnlich verhält es sich auch bei den enthüllten ParadisePapers. Nike und Apple waren genannte Unternehmen und nutzten kritisch bewertete, aber legale Steuertricks. Trotz medialer Schelte ließ dies den Kunden kalt. 61


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Wann Kunden abspringen

© Peter Steffen/dpa

Zurückzuführen ist dies auf die Art und Weise der Betroffenheit von Verbrauchererwartungen und -bedürfnissen an Unternehmen und Produkt. Verbraucherwartungen werden dabei von rationalen Kriterien gekennzeichnet, die ohne tiefere Wirkung auf das sensible Empfinden des Kunden abzielen. Sie stützen sich auf Faktoren, die der Kunde in jedem Fall erwartet, wie die Produktqualität oder das Preis-Leistungs-Verhältnis. Bei LIDL liegt die Erwartung des Kunden darin, dass in unmittelbarer Nähe ein großes Lebensmittelsortiment zu einem guten Prei-Leistungs-Verhältnis zur Verfügung gestellt wird.

Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei VW-Dieselfahrzeugen bringt den Automobilkonzern in Schwierigkeiten.

Wenn diese „primären“ Erwartungen nicht erfüllt werden, entsteht zwangsläufig ein Vertrauensentzug und damit verbunden ein Verkaufsrückgang. Wenn Mitarbeiter bespitzelt werden, wird dies zwar sozial geächtet, führt aber nicht zwingend zu einer Verhaltensänderung. Einzig: Der Kunde könnte den Anbieter wechseln, statt LIDL dann zu einem anderen Discounter wechseln. Eine Verletzung der primären Erwartungshaltung dagegen hat Auswirkungen. Die „geschäftliche Beziehung“ wird vom Kunden abgebrochen. 62


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Während des „Gammelfleischskandals“, war diese Verletzung sehr gut zu beobachten. Das Einkaufsverhalten der Kunden änderte sich und LIDL und Co. litten unter Umsatzschwund. Bei VW lässt sich nun beobachten, wie die tief verwurzelten Verbraucherbedürfnisse nach vorne treten: Kunden und Geschäftspartner klagen nicht, weil der vor kurzem erworbene Golf mehr Emissionen ausstößt als angegeben, sondern weil sie sich betrogen fühlen. Kurz: Der Kunde klagt, weil er nicht das bekommen hat, was er gekauft hat. Das Bedürfnis von Vertrauen und Wertschätzung ist verletzt worden, gleichwohl bleibt die positive Erwartung an das Produkt erhalten.

Was den Fall VW besonders macht Die unsicheren politischen Rahmenbedingungen für den Diesel erschweren dem Verkäufer allerdings trotzdem als Vertrauensgebende und vom Kunden mit Kompetenz ausgestattete Person nun die Preisverhandlung. Idealerweise ist er daher in der Verhandlungssituation mit einem umfassenden Paket zur Kundenbindung und Vertrauensstärkung ausgestattet. Reaktionsstrategien auf kritische Fragen und Kenntnisse über ein verändertes Kaufverhalten müssen dem Vertriebsmitarbeiter vom Konzern mit auf den Weg gegeben werden. Zusätzlich sollte in die Fähigkeit des Vertrieblers investiert werden eine schnelle und enge Beziehung zum Kunden aufzubauen. Als reputativer Markenbotschafter kommt ihm hierbei eine noch größere Bedeutung zu. Die Option des direkten Vertrauensaufbaus und des Beziehungsmanagements zum Kunden muss insbesondere in der aktuellen Situation der medialen Darstellung der Marke entgegenwirkend sein. Kenntnisse über das Erkennen verschiedener Persönlichkeitstypen in der Verhandlung, dem Einsatz von vertrauensbildenden Sprachmustern, psychologischen Faktoren wie kognitiver Dissonanz und Urteilsheuristik sollten zum Rüstzeug des neuen Verhandlers werden. Das Gleiche gilt für das eigene Businessgeschäft. Denn das persönliche Gefühl dominiert ganz wesentlich die Antwort auf die Frage, welche Modelle zukünftig überhaupt 63


noch ins Sortiment des Autohauses gelangen. Es zahlt sich aus, wenn Ängste vorweggenommen werden können und die Wertschätzung für Kundenanliegen vorhanden ist. Dafür müssen Vertriebsmitarbeiter von VW allumfassend mit Fragen und Antworten auf Sorgen und Zweifel der Kunden vorbereitet werden. Der „angemessene“ Preis eines Produktes ist die Zurechnung seines subjektiven Wertes, die der Kunde durchführt. Eine adäquate Vorbereitung aus inhaltlichen Bausteinen zum Umgang mit Sorgen und Ängsten und einer psychologischen Befähigung der Vertriebsmitarbeiter zum besseren Beziehungsmanagement hilft, um die Produkte der Marke in B2B und B2C Verhandlungen zu stärken.

© Die Hoffotografen GmbH Berlin

Über Thorsten Hoffmann Thorsten Hofman ist geschäftsführender Gesellschafter von Advice Partners. Er berät Unternehmen unter anderem bei der Risiko- und Krisenkommunikation. Dabei profitiert er von seiner Erfahrung aus seiner Tätigkeit in verschiedenen Ministerien und der Risiko-Analyse für Mitglieder der Bundesregierung.

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© Quadriga Media Berlin / Veronika Neubauer

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Stilsicher in jeder Branche unterwegs mit dem Dresscode-Guide.

Das Dresscode 1x1 der Vertriebsbranche Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Mit einem freundlichen Lächeln, einem festen Händedruck und aktivem Zuhören können Sie bei ihrem Kunden ein gutes Bild hinterlassen. Allerdings entsteht der Eindruck bereits viel früher. AUTOR: Dennis Hoff ILLUSTRATIONEN: Veronika Neubauer Was man nun als „gute Kleidung“ bezeichnet und was nicht, wird wohl immer ein Streitthema bleiben. In Sachen Mode gibt es allerdings feste Regeln, die einen ersten Anhaltspunkt liefern, wenn es darum geht, kleidungstechnisch den richtigen Ton zu treffen: Dresscodes. Jeder Kunde hat gegenüber einem Vertriebler eine gewisse Erwartungshaltung, welche in den meisten Fällen mit der Kleidung beginnt. Wird diese Erwartung nicht erfüllt, ist es nicht unmöglich, aber definitiv schwerer, einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Mithilfe von Dresscodes passt sich Ihre Kleidung praktisch an die Erwartungshaltung des Kunden an. 65


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Eine feste Erwartungshaltung vom Kunden an den Vertriebler gibt es allerdings nicht, denn sie wird durch Faktoren wie die spezifische Branche, den Anlass des Gesprächs oder beispielsweise den Bekanntheitsgrad zum Kunden beeinflusst. Folgendermaßen kann es nicht den „einen Dresscode“ für die Vertriebsbranche geben. Im Gegensatz dazu lässt sich jedoch eindeutig sagen, welche generellen No-Go’s bezüglich Ihres Outfits bestehen:

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Tennissocken Sandalen Kurze Hosen Durchsichtige Blusen

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Extrem bunte Kleidung Großgemusterte Kleidung tt Abgetragene Kleidung

Um das Thema Dresscodes genauer beleuchten zu können, ist es notwendig, die einzelnen Vertriebsbranchen genauer zu betrachten und für jede ihre eigenen Regeln zu bestimmen.

Dresscode in der Finanzbranche Im Bereich der Finanzbranche sprechen wir über einen sehr klar definierten Dresscode, welcher relativ wenig Spielraum für Experimente lässt. Für Männer ist ein gut sitzender, dunkler Anzug Grundvoraussetzung und Pflicht bei jedem Outfit. Dieser meist schwarze Anzug wird kombiniert mit einem weißen oder einem hellen, langärmligen Hemd. Kurze oder auffällig gemusterte Hemden zählen in dieser Branche als No-Go! Die Krawatte ist ebenfalls ein Muss und sollte als Kontrast zum hellen Hemd in einer dunklen Farbe gewählt werden.

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Vermieden werden sollten bei diesem Dresscode zu auffällige Accessoires wie beispielsweise übermäßig große Uhren oder Ringe. Außerdem sollten die Kleidungsstück nicht mehr als 2-3 Farben enthalten. Braun und Bordeaux sind generell zu vermeiden. Unternehmensinterne Hemden oder Anzüge sind hier eher selten zu finden und passen grundsätzlich nicht in das Bild der Branche. Für Frauen zählt der gleiche Grundsatz: Neutrales, dunkles und unauffälliges Outfit! Ein klassisches Kostüm in dunklen Farben, kombiniert mit einer hellen Bluse ist dabei die eleganteste Lösung. Als Faustregel für das passende Schuhwerk ist eine Absatzhöhe von maximal 6cm zu beachten. Generell muss bei diesem Dresscode darauf geachtet werden, dass so wenig nackte Haut wie möglich zu sehen ist. Zu weite Ausschnitte und zu kurze Röcke sowie schrilles Make-Up und offene Haare sind nicht gern gesehen.

Dresscode im Bereich Engineering Im Gegensatz zur Finanzbranche, ist der Dresscode in Branchen wie beispielsweise Maschinenbau zwar etwas lockerer, jedoch gibt es auch hier klare Richtlinien. Auf die klassische Anzugshose darf der Mann verzichten und alternativ auf Chinohosen oder andere Hosen aus hochwertigem Material zurückgreifen. Eine Jeans ist jedoch nach wie vor nicht erwünscht! Ein gut geschnittenes Hemd und ein dunkles Sakko machen das Outfit zu einem echten Hingucker. Wer möchte, 67


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darf gerne auf die Krawatte verzichten. Besonders in den kalten Wintermonaten, ist ein farblich abgestimmter Kaschmirpullover eine echte Alternative zum klassischen Hemd. Um sich als stolzer Vertreter des Unternehmens präsentieren zu können, werden gerne kleine Veredelungen an Hemden oder Sakkos eingebracht. Die wohl bekannteste Variante ist hierbei ein Stick mit Logo oder Text auf dem Kragen oder der Brust, da diese auch mit Sakko gut zur Geltung kommen. Trotz des gelockerten Dresscodes sind Poloshirts oder Kleidungen mit ausgewaschenen Effekten keine Alternativen. Eine klassisch geschnittene Hose mit Blazer oder ein eleganter Rock mit Bluse sind die häufigsten Kombinationen für Frauen. Sogar kleine, auffallende Accessoires dürfen als Highlights verwendet werden. Zwar sind Turnschuhe oder Sneaker ein absolutes No-Go, aber Ballerinas und elegante Chealsea Boots sind definitiv eine gern gesehene Möglichkeit.

Dresscode in der Handels- und Handwerkindustrie Dieser Dresscode fordert etwas Fingerspitzengefühl, da er weder zu förmlich noch zu legere wirken sollte. Im Gegensatz zu den anderen Varianten gibt es hier keine eindeutigen Vorschriften. Für Männer eignet sich in jedem Fall ein farbiges Hemd mit Button-Down-Kragen oder ein klassisches Poloshirt. Optional werden bei der Farbauswahl die Unternehmensfarben berücksichtigt oder firmeninterne Kleidung wie 68


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beispielsweise bestickte Poloshirts mit Logo verwendet. Passend dazu können einfache Jeans getragen werden. Zwar besteht die Möglichkeit, etwas mehr zwischen schick und legere zu variieren, kurze Hosen und zerrissene Jeans sind jedoch trotzdem ein No-Go!

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Autor Dennis Hoff absolviert sein Praxissemester im Bereich Onlinemarketing bei Textil ONE, einem Premiumanbieter für „High Quality Corporate Wear“. Das junge Unternehmen digitalisiert komplexe Bestellungen und macht das Leben für Einkäufer leichter. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Unternehmenswebseite.

© Dennis Hoff

Auch Frauen haben mehr Freiraum für modische Trends und persönliche Vorlieben, von einer Jeans oder einem zu kurzen Rock sollte jedoch abgesehen werden. Eine Baumwollhose in Kombination mit Bluse oder Pullover sind in jedem Fall eine passende Variante.

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Mitglieder entscheiden sich für Satzungsänderung und Beitragsanpassung Bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Bundesverbands der Vertriebsmanager e. V. (BdVM) am 16. November 2017 in Berlin lagen den Mitgliedern auf Antrag des Präsidiums zwei Anträge zur Entscheidung vor: Die Anträge zur Satzungsänderung und Beitragsanpassung, welche als Ergebnis der Strategie-Klausurtagung in Nieder-Olm durch den Gesamtvorstand formuliert wurden. Nach der Konstituierung und Begrüßung durch die Präsidentin, Christina Riess, und Dagmar Blume, der geschäftsführenden Vizepräsidentin, berichtete die Präsidentin über die strategische Neuausrichtung. Sie ging dabei auf die Verbandsarbeit der vergangenen Monate ein, berichtete zu aktuellen Projekten und gab einen Ausblick auf die strategischen Pläne bis zum Jahr 2020.

Veränderungen in der Geschäftsstelle „Wir im Gesamtvorstand haben in den vergangenen Monaten die Handlungsfelder bestimmt und freuen uns nun auf eine vertrauensvolle und produktive Zusammenarbeit mit Justus Walf“, sagte Riess und begrüßte in diesem Rahmen Herrn Walf als neuen Leiter der Bundesgeschäftsstelle. Jetzt sei es möglich, die anvisierte und die für den Verband strategisch wichtige Neuausrichtung anzugehen. Die Abstimmung zur Satzungsänderung wurde von der Mitgliederversammlung einstimmig angenommen. Damit können zukünftig problemlos auch solche Kolleginnen und Kollegen in den Verband aufgenommen werden können, die nicht klassisch als Vertriebsmanager „angestellt“, 70


sondern beispielsweise als (Interims-)Geschäftsführer einer Vertriebsorganisation „tätig“ sind. Dem Antrag auf Anpassung des Jahresbeitrags auf 150 € für das Jahr 2018 wurde ebenfalls zugestimmt. Neben der allgemeinen Deckung der gestiegenen Kosten (z.B. durch Neubesetzung und Aufwertung bzw. Erweiterung der Bundesgeschäftsstelle) ist die Beitragsanpassung insbesondere für die Umsetzung der strategischen Neuausrichtung nötig. In Zukunft soll die Verarbeitung von Inhalten für Veranstaltungen und Informationsangebote an die Mitglieder stärker fokussiert und diversifiziert werden; Key Account Manager und Geschäftsführer werden von nun an ebenfalls integriert. Des Weiteren wird der Verband verstärkt in die Außenwirkung gehen, um in Form von Lobbyarbeit als Meinungsbildner wahrgenommen zu werden. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Beirats will der Verband die Nachwuchsförderung im Vertrieb signifikant voran treiben. Event-Schwerpunkt wird außerdem der Vertriebsmanagementkongress 2018 sein. Eine Schirmherrschaft durch eine gewichtige Vertriebspersönlichkeit aus der Wirtschaft ist ebenfalls in Planung. Im Rahmen der Präsidiumspräsentation wurde durch die anwesenden Mitglieder auch reges Interesse an den Details der strategischen Planungen bekundet, welche durch Christina Riess gerne mitgeteilt und ausgeführt wurden. Dabei konnte die Präsidentin viele konstruktive Vorschläge mitnehmen, die nun in der Umsetzung berücksichtigt werden können.

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Die Geschäftsstelle hat einen neuen Leiter AUTORIN: Christina Riess, Präsidentin BdVM Das Präsidium freut sich, auf diesem Wege Justus Walf als neuen Leiter der Bundesgeschäftsstelle vorzustellen. Er hat zum 01. November 2017 die Leitung übernommen und löst Herrn Pietsch ab, der die Geschäftsstelle zu Ende Oktober verlassen hat. Herr Walf hat bereits die Organisation der außerordentlichen Mitgliederversammlung verantwortet und war zur Versammlung vor Ort. Der Schwerpunkt seiner Arbeit für die nächsten Monate wird in der strategischen Ausrichtung des Verbandes liegen, um unsere Ziele Wachstum und Professionalisierung voranzubringen und den Grundstein für den Ausbau unserer Services, Nachwuchsförderung und PR-Arbeit zu legen. Für regionale Veranstaltungen steht Ihnen wie gewohnt Frau Anja Rösicke als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Wir wünschen Herrn Walf einen guten Start und freuen uns auf eine vertrauensvolle und produktive Zusammenarbeit.

© Justus Walf

Justus Walf, Leiter der Bundesgeschäftstelle des BdVM Justus Walf ist seit 10 Jahren im Vertrieb tätig und bringt dazu für das Verbandsmanagement Erfahrungen aus dem Sportbereich mit. Er hat Wirtschaftspsychologie studiert und forscht in der Arbeitsgruppe Vertriebspsychologie von Prof. Dr. Jens Nachtwei. Derzeit bereitet er sich, neben der Tätigkeit für den BdVM, auf seine Dissertation zum Thema „Performance im Vertrieb“ vor.

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„Heb‘ den Stein auf und bedanke dich bei ihm.“ Frank Völkner ist Vizepräsident des Bundesverbandes der Vertriebsmanager und als Vertriebsdirektor Mitglied der Geschäftsleitung beim rheinland-pfälzischen Getränkehersteller Eckes-Granini. Wir sprachen mit ihm über seine Vorliebe für Süßes und den Tipp, den er Kollegen mit Ambitionen auf eine Führungsposition geben würde. INTERVIEW VON: Justus Walf BDPlus: Herr Völkner, Sie haben Ihre Karriere bei Bahlsen gestartet und jetzt sind Sie schon einige Jahre bei Eckes-Granini. Haben Sie einen „sweet tooth“, wie die Engländer sagen würden? Frank Völkner: Ich bin mir gar nicht so bewusst darüber, warum das so ist. Fakt ist, dass es mir riesigen Spaß macht alle unsere Marken von Eckes-Granini zu verkaufen. Wenn man zu 100 Prozent hinter den Produkten stehen kann, die man verkauft, macht es das Berufsleben schon viel einfacher. Und ich bin mit Sicherheit auch ein Genussmensch. Es ist nach wie vor für mich ein Genuss, die Produkte zu konsumieren, die ich verkaufen darf – gar keine Frage. Und wahrscheinlich habe ich in meinem tiefen Unterbewusstsein einen süßen Zahn. BDPlus: Welches Ziel hatten Sie sich zu Beginn Ihrer Karriere gesetzt? FV: Ich hatte mir immer vorgenommen, ein richtig guter Vertriebsmann zu werden. Ich habe mir nicht das Ziel gesetzt, irgendwann in der Geschäftsleitung eines Mittelständlers zu sein. Ich wollte einen guten Job machen und dann sehen, was möglich ist. Dementsprechend habe ich auch gehandelt und mich gefragt: „Passt dieser nächste Schritt zu mir?“ BDPlus: Würden Sie heute sagen, dass Sie dieses Ziel erreicht haben? FV: Wenn ich mir anschaue, was ich erreicht habe und vor allem, wie ich 73


es erreicht habe, dann kann ich sagen: Ja, ich habe dieses Ziel erreicht. Mittlerweile ist aus dem Ziel der persönliche Anspruch an meine tägliche Arbeit geworden. Wobei ich nicht immer von Sieg zu Sieg gerannt bin. Auf dem Weg gab es natürlich auch unheimlich viele Stolpersteine, sei es rein geschäftlich oder persönlich. Aber wenn man die richtigen Schlüsse aus Rückschlägen zieht, macht das stärker. Getreu dem Motto: Wenn du auf dem Weg über einen Stolperstein fällst, dann heb ihn auf und bedanke dich bei ihm. BDPlus: Welchen Tipp würden Sie einem Vertriebler also geben, der in das Top-Management aufsteigen will? FV: Ich würde jedem raten, sich genau das nicht vorzunehmen. Man sollte Schritt für Schritt gehen und sich bei jedem Schritt überlegen: passt der nächste Schritt in meiner Karriere gut zu mir? Nach meiner Überzeugung liegt das berufliche Glück nicht in einer hierarchischen Stufe. Man sollte mit sich und mit dem, was man tut, völlig im Reinen sein und sagen können: Ja, der nächsten Herausforderung kann ich mich stellen. Natürlich sind auch andere Herangehensweisen erfolgreich. Das ist einfach die Beschreibung meines persönlichen Erfolgsweges – so wie er zu mir passt.

© Laurin Schmid

Frank Völkner ist seit 2011 Vertriebsdirektor und Mitglied der Geschäftsleitung der Eckes-Granini Deutschland GmbH. Davor war er viele Jahre bei der Bahlsen GmbH und Co & KG angestellt. Dort entwickelte der Diplomökonom sein Vertriebsund Marketing-Wissen kontinuierlich über verschiedenste Funktionen und Aufgaben im Absatzbereich und war zuletzt von 2008 bis 2011 als Country Manager Deutschland tätig.

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Aufbruchsstimmung im Vertrieb

Sind Sie schon bereit für die digitale Welt? ➘➘ Welche Trends der Digitalisierung verändern den Vertrieb? ➘➘ Wie digital ist der Vertrieb? ➘➘ Mit welchen Handlungsempfehlungen können Sie auf die nächste Stufe? Die Autoren der Humboldt Universität zu Berlin und der Quadriga Hochschule Berlin analysieren den Status quo der deutschen Vertriebslandschaft und zeigen die Trends des Berufsfeld auf. Fazit: Vertriebsorganisationen, die vor der Digitalisierung die Augen verschließen und diese als Trend ohne Zukunft betrachten, werden den Anschluss verlieren. Die BdVM-Servicebroschüre können Sie sich kostenlos herunterladen. Weitere Servicebroschüren des BDVM finden Sie hier.

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Stammtisch – mal wieder ganz anders Es ist allgemein bekannt, dass Startups andere Werte leben, als man das in der großen Masse der gestandenen Unternehmen tut. Büros, deren Lage oder Ausstattung, Firmenwagen und vieles mehr sind bei den Neu-Unternehmern kein Thema. Ihnen geht es um Schnelligkeit, kurze Kommunikationswege, Vernetzung unter Gleichgesinnten, Kreativität und unkomplizierte, sofortige Unterstützung. Unter den Leitlinien:

➘➘ Be committed

➘➘ Focus on goals

➘➘ Respect each other

➘➘ Sell, sell, sell

➘➘ Be passionate

➘➘ Get started

starten im Leipziger SpinLab jeweils sechs aus einer Qualifizierung hervorgegangene Neugründungen ihren Unternehmensaufbau. Für die 76


Dauer von 6 Monaten erhalten sie kostenfrei die Arbeitsplätze, superschnelle Nachrichtenverbindungen, Büroservice, Schulungen, Coaching durch erfahrene Unternehmer und anderes mehr. Die Regionalgruppe Mitteldeutschland des BdVM hatte zu einem Stammtisch in die Räume des SpinLabs eingeladen. Dieses unkonventionelle Umfeld hat zu einer zahlreichen Teilnahme angeregt. Bis spät in den Abend wurde über die Vorteile diskutiert, die eine solch konzentrierte Gründerszene, betrieben von der HHL Leipzig Graduate School of Management unter Nutzung ihres ausgezeichneten Netzwerks, bietet. Auffällig war, dass an diesem Abend sehr viel neue Netzwerkkontakte hergestellt wurden, neben der allgemeinen Beeindruckung durch das ungewöhnliche Umfeld und die unkomplizierte Arbeitsweise.

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Regionalgruppentreffen AUTORIN: Anne Männel, Vertriebsleiterin Am 19. Oktober 2017 lud die Regionalgruppe Mitteldeutschland zum Regionalgruppentreffen nach Sehmar ein. Nach einem Best-Case von Heiko Weit zu „Worte und Inhalte kundenorientiert verändern. Neue Messeauftritte am Beispiel der Dresdner Weitsicht 2017“ gab Anne Männel einen Einblick in das „Content Marketing im Mittelstand“. Wir bedanken uns bei unserem Gastgeber. „Wir sind sehr stolz, dass gestern bei uns im Unternehmen in Sehma das Regionalgruppentreffen Mitteldeutschland stattgefunden hat. Etwas Sorge hatten wir bezüglich des weiten Anfahrtsweges, fern ab von den großen Landeshauptstädten und nur acht Kilometer entfernt von der tschechischen Grenze, mitten im Erzgebirge. Was viele jedoch nicht wissen ist, dass man hier die größte Industriedichte in Sachsen findet. Es war uns deshalb eine Ehre die Produktion zu zeigen und unsere selbst konstruierten, voll-automatisierten Fertigungsanlagen. Die Vorstellung von einem Kabelkonfektionär war eher, in Handarbeit Kabelbäume zusammenzusetzen, aber da konnten wir alle Teilnehmer überraschen. Im Zuge der Unternehmenserweiterung haben wir in diesem Jahr ein zusätzliches Produktionswerk in Chemnitz eröffnet. Damit planen wir den Umsatz in 2018 insgesamt auf circa 40 millionen Euro zu steigern. Und es ist natürlich für das nächste BdVM Treffen eine leichtere Anfahrt.“ 78


Bastian Brankovic,

Franz Wittmann,

Salome Wagner,

Alfred Ralf Menzel,

Udo Braam,

Stephan Gründel,

Christop Rade,

Ilhami Cal,

Joachim Hunger,

Martin Wintel,

Dirk Gleisner,

Hans-Hermann Krick,

André Braukmann,

Michael Kümpfel,

Stefan Lukowski,

Oliver Büchel,

Guido Lukie,

Lars Mohr,

Robert Lüneberger,

Daniel Lüpke,

Nicola Bennewitz,

Rainer Schmitt,

Natascha de Raad,

Thomas Guggenmos,

Sabine Fliehmann,

Dr. Michael Stolz,

Hans-Gerhard Lang,

Stefan Gribbe,

Annegret Willems,

Ralf Stenzel,

Tobias Jasinski,

Alexander Böhm,

Georg Bercker,

Matthias Kaulisch-

Kamila Glowinska,

Andreas Burkhardt,

Schneeweiß,

Bernd Hotze,

Berthold Grünhagen,

Benjamin Klotzbücher,

Dominic Jünemann,

Christoph Martin,

Sascha Krammig,

Christian Kaiser,

Martin Philberth,

Franz Lettner,

Matthias Kerk,

Christian Prange,

Ulrich Rust,

Jörg Land,

Alexandra Schanz,

Guido Weber,

Helga Schorn,

Jochen Opp,

Uwe Brückner,

Holger Schubert,

Mario Kohlmann,

Dietmar Müller,

Janine Lorei,

Wolfgang Stoltmann

© Quadriga Media Berlin GmbH

Wir begrüßen unsere neuen Mitglieder im Verband und freuen uns auf eine wundervolle Zeit!

Michael Normann, Gunter Rick Voigt, Johannes Heindel, Andrea Klein, Volker Klüber, 79


AUFSTEIGEN & LEBEN

In Zukunft haben die Key Accounter die Nase vorn Die Bedeutung des Key Account Managements nimmt im Zuge des digitalen Wandels rasant zu. Dem klassischen Außendienst stehen indes schwierige Zeiten bevor. EIN GASTBEITRAG VON: Nils Prüfer Im Zuge der Digitalisierung und der rasanten Änderung von Geschäftsmodellen im Wettbewerbs- und Kundenumfeld zeichnen sich massive Konsequenzen für den Vertrieb ab. Um diese neuen Herausforderungen transparent zu machen, haben wir im Rahmen vieler Projekte mit Vertriebsschwerpunkt sowie einer Reihe qualitativer Interviews mit Vertriebsleitern und Vertriebsgeschäftsführern Thesen zur Zukunft des Vertriebs herausgearbeitet. Im Hinblick auf Rollen, Anforderungen und Karriere im Vertrieb ergibt sich dabei ein grundsätzlicher Wandel der klassischen Profile.

Ein Drittel weniger Vertriebler Die Digitalisierung wird zu einem großen Transformationsbedarf in den Vertriebsabteilungen der Unternehmen führen. Es werden laut Schätzung der interviewten Führungskräfte circa 30 Prozent weniger Außendienstmitarbeiter benötigt, da sich vor allem leicht vergleichbare Commodity-Produkte wie beispielsweise Elektronikartikel und Bücher zunehmend in den Onlinekanal verschieben. In diesem Zuge rückt der Verkauf von Lösungen und Services stärker in den Vordergrund. Für die klassische Karriere im Flächenvertrieb bedeutet das den zunehmenden Bedarf an online-affinen Profilen, die in der Lage sind, produktbezogene Umsätze gezielt in das Onlinegeschäft zu verlagern und für Kunden kanalübergreifend die besten Lösungen zu finden. In der Praxis wird dieses gewünschte Verhalten oftmals durch starre Provisionsmodelle 80


AUFSTEIGEN & LEBEN

konterkariert, welche die eigenen Umsätze des Vertrieblers zu stark betonen, anstatt den kanalübergreifenden Gesamtumsatz zu belohnen. Insgesamt zeigt sich ein stark wachsender Bedarf an spezialisierten E-Commerce-Experten, denen auch heute schon attraktive Karriereund Verdienstmöglichkeiten geboten werden müssen.

Ausblick: Starker Rückgang der Außendienstmitarbeiter. Quelle: Kienbaum Vergütungsreport 2017 „Führungskräfte und Spezialisten in Marketing und Vertrieb“

Grundsätzlich wachsen dadurch die Anforderungen an die Veränderungsbereitschaft und das Schnittstellenverständnis der Vertriebler: Sie müssen sich stärker als bisher als Teamplayer in die komplexer werdenden Vertriebsprozesse integrieren. Weiterhin wird sich der Fokus noch stärker in Richtung Neukundengeschäft verlagern, wodurch Kompetenzen wie Abschluss- und Kommunikationsstärke zunehmend nachgefragt werden.

Key-Account-Fähigkeiten als zentraler Erfolgsfaktor Während sich die Rolle des klassischen Vertrieblers in den automatisierten Onlinekanal verlagert, nimmt die Bedeutung der traditionellen KeyAccount-Rolle parallel deutlich zu. Insbesondere in stark technisch geprägten Umfeldern sowie im Bereich komplexer Dienstleistungen und Investitionsgüter rückt die Kundenbeziehung stärker in den Vordergrund. Der Key Account Manager entwickelt sich zum zentralen 81


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Schnittstellenmanager zwischen dem Kunden und dem eigenen Unternehmen, und muss die relevanten Spezialisten- und Linienfunktionen gezielt zusammenführen. Vor dem Hintergrund zunehmender Co-Creation-Ansätze bei der Produktentwicklung in direkter Zusammenarbeit mit dem Kunden, bekommt das gezielte Zusammenbringen von Personen eine zentrale Bedeutung. Gleichzeitig wird der wachsende Anspruch an die persönliche und kulturelle Passung der Key Account Manager zu den jeweiligen Key Account Kunden eine größere Rolle bei der Mitarbeiterauswahl und –besetzung spielen. Auch für diese Position gilt es, zukunftsorientierte, attraktive Bedingungen für Karriere- und Vergütungssteigerungen zu schaffen. Indem der Vertrieb zunehmend professionalisierten Einkaufsorganisationen gegenübersteht, welche im digitalen Zeitalter ihren bestehenden Informationsvorsprung tendenziell vergrößern, steigt der Bedarf an Kernkompetenzen wie Überzeugungskraft, Eloquenz und Verhandlungsgeschick.

Stärkerer Fokus auf Führung und Steuerung All diese Veränderungen und Herausforderungen bedingen einen stärkeren Fokus auf Mitarbeiterführung und die Entwicklung von wirksamen Führungsmodellen für eine effiziente Veränderung des Vertriebs. Durch integrierte Prozesse, Mehrkanalsysteme und anspruchsvollere Vertriebspositionen wächst die Komplexität der Führungsrolle im Vertrieb. Historisch haben die Vertriebschefs der alten Schule (Stichwort „den besten Vertriebler zum Chef machen“) eher zu einer Produkt- statt einer Vertriebsexcellence geführt. Führungskräften im Vertrieb kommt somit zunehmend ein breiteres Aufgabenportfolio zu, welches beispielsweise die kanalübergreifende Umsatz- und Ergebnisoptimierung, die effiziente Digitalisierung der Prozesse, die Etablierung klarer Vertriebssteuerungssysteme, aber auch das gezielte Coachen und Weiterentwickeln der spezialisierten Fachkräfte umfasst. Die Führungskraft im digitalen Zeitalter zeichnet sich damit neben digitalen Skills und Kompetenzen vor allem durch eine stärkere Kundenorientierung, Fähigkeiten der transformationalen Führung 82


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sowie umfassende methodische Kenntnisse zur effizienten Steuerung der Vertriebsaktivitäten aus. Nicht zuletzt in weitestgehend automatisierten Onlinevertriebskanälen haben Daten und Fakten das vertriebliche Bauchgefühl längst abgelöst. Die umfassende Nutzung digitaler, datengetriebener Lösungen sowie die zielgerichtete Einbindung dieser neuen Quellen in die tägliche Führungs– und Steuerungspraxis werden in der Zukunft zum zentralen Erfolgsfaktor.

*Durchschnitt der Gesamtvergütung über alle Branchen und Unternehmensgrößen. Quelle: Kienbaum Vergütungsreport 2017 „Führungskräfte und Spezialisten in Marketing und Vertrieb“

Konsequenzen und Ausblicke für das HR Management Die dargestellten Entwicklungen werden weitreichende Folgen für den klassischen Employee Life Cycle im Vertriebsumfeld nach sich ziehen. Angefangen bei der Rekrutierung gilt es von Beginn an, die neuen Schlüsselkompetenzen und Skills gezielt im Markt zu finden. Grundsätzlich sollten sich die Entwicklungs- und Schulungskonzepte stärker an den differenzierteren Anforderungen der veränderten Rollen ausrichten und 83


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dem Aspekt des stetigen Wandels im Vertrieb Rechnung tragen. Insbesondere die Key Account- und Managementfunktionen sollten durch die Nutzung diagnostischer Instrumente gezielt für komplexere Aufgaben ausgewählt und dahingehend entwickelt werden. Dies impliziert auch ein Aufweichen der klassischen Führungskarriere im Vertrieb, die tendenziell durch Fachkarrieren für Spezialisten und hochrangige Key Accounter sowie Projektkarrieren in langfristigen Investitionsgüterprojekten ergänzt wird. Nicht zuletzt werden sich auch die Vergütungs- und Steuerungssysteme den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Grundsätzlich zeigt sich im Markt der Trend, individuell getriebene Provisionssysteme mit hohen variablen Anteilen zunehmend durch strategiegeleitete Zielsysteme zu ersetzen, die verstärkt auch Teamkomponenten beinhalten können. Prinzipiell bleibt jedoch festzuhalten, dass im Moment keine „One-Size-Fits-All“ Lösung im Markt zu finden ist, sondern vielmehr auf die Strategie und Kultur abgestimmte HR-Systeme, die das gewünschte Vertriebs- und Führungsverhalten unterstützen. Detaillierte, empirisch erhobene Informationen finden Sie in der Kienbaum Vergütungsstudie Führungskräfte & Spezialisten in Marketing und Vertrieb 2017.

© Kienbaum Consulting

Über Nils Prüfer Nils Prüfer ist Principal bei der Kienbaum Consultants International GmbH und seit über acht Jahren in der Beratung tätig. Sein Hauptfokus liegt in der Entwicklung und umfassenden Implementierung schlagkräftiger Vertriebsvergütungs- und Vertriebssteuerungskonzepte für ein breites Kundenportfolio vom Großkonzern bis zur kleinen Vertriebsgesellschaft. Weiterhin verantwortet er das übergreifende Thema Performance Management zur effizienten Unternehmenssteuerung in klassischen und modernen Organisationsformen.

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Topseller von Morgen Die Suche nach geeignetem Nachwuchs für den Vertrieb ist auch Thema dieser Ausgabe. Deswegen haben wir einen aufstrebenden Vertriebler nach seinen Zielen und seinem Verständnis von Karriere gefragt.

Karriere bedeutet für mich in erster

© Zalando

Linie, Chancen geboten zu bekommen und diese zu nutzen. Ziele sind dabei für mich aus meiner Arbeit kaum wegzudenken. Das Erreichen kleinerer Ziele wird häufig nur mit einem Lächeln oder aber einer kurzen Siegerfaust gefeiert. Das Erreichen größerer Ziele bedarf dann doch einer größeren Selbstbelohnung. Ob ein Abendessen mit der Freundin in einem netten Restaurant oder die Erfüllung eines länger gehegten Wunsches – Belohnung muss sein. Danach werden dann wieder die Ärmel hochgekrempelt, neue (höhere) Ziele definiert und daran gearbeitet, sie zu erreichen. Tim Seelmann ist Key Account Manager bei Zalando

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„Es kommt darauf an, Menschen zu verstehen“ Ohad Hecht hat im Marketing und im Vertrieb gearbeitet. Heute ist er CEO von Emarsys, einem Anbieter von Marketing-Cloud-Software. Am Rande einer Veranstaltung in Berlin sprachen wir mit ihm über modernes Einkaufverhalten und die Bücher, die ihn weitergebracht haben. INTERVIEW: Norbert Wessendorf BDPlus: Herr Hecht, kaufen Sie eigentlich noch offline ein? Ohad Hecht: Auf jeden Fall. Mein individuelles Problem ist: Ich habe eine Obsession mit bestimmten Produkten. Der typische Käufer sucht vielleicht nach einem Paar Jeans, geht in einen Laden und kauft sie. Aber das bin nicht ich. Ich suche mir ein Produkt aus und recherchiere erst einmal im Netz. Wenn ich etwa eine Jacke kaufen möchte, googele ich zum Beispiel „die 10 besten Jacken für Männer“. Dann lese ich ein paar Artikel. Finde ich Modelle, die mir gefallen, suche ich noch nach Erfahrungsberichten. Meine Favoriten vergleiche ich anschließend noch einmal mit Blick auf die Preise. BDPlus: Sie sind also kein impulsiver Käufer. OH: Auf gar keinen Fall. Aber so bin ich, wir sind alle Individuen. Deswegen funktionieren standardisierte Kaufprozesse auch nicht. BDPlus: Wann gehen Sie denn mal in einen Laden? OH: Wenn ich meine Recherchen abgeschlossen habe und es ein teures Produkt ist. Dann gehe ich in einen Laden und probiere die Jacke oder die Hose an. Wenn sie das entsprechende Kleidungsstück da haben und es mir passt, kaufe ich es sehr wahrscheinlich auch. Wenn sie es nicht vorrätig haben, kaufe ich es online – egal wo. Es gibt für mich also kein reines Online- oder Offline-Einkaufen. 86


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BDPlus: Wie muss der Einzelhandel Ihrer Meinung nach in Zukunft aussehen? OH: In Zukunft werden die Verkäufer im Laden Informationen zur Verfügung haben, die der Kunde beim Surfen im Internet hinterlassen hat. Dadurch kennen die Verkäufer die Bedürfnisse des Kunden, sobald er den Laden betritt und können sich darauf einstellen BDPlus: Macht es Sie als Online-Shopper nicht nervös, dass so viele Informationen über Sie verfügbar sind? OH: Nein. Denn ich wusste, worauf ich mich mit der Anmeldung bei Facebook eingelassen habe. Auch jeder Android-Nutzer ist beispielsweise ein Datenlieferant für Google. Es ist dabei nur wichtig, dass die Unternehmen diese Daten verantwortungsvoll nutzen; zum Wohle der Kunden und nicht zu ihrem Nachteil. BDPlus: Ab Mai 2018 gilt die Datenschutzgrundverordnung. Sie soll einen sensibleren Umgang mit Verbraucherdaten gewährleisten. Stellen die neuen Regularien der EU für Sie ein Problem da? OH: Nein. Wir sind im österreichischen und deutschen Markt groß geworden. Hier sind die Regularien schon jetzt sehr streng. Unsere amerikanischen Wettbewerber werden hier größere Probleme haben. Außerdem haben wir im Sommer dieses Jahres mit der Überprüfung unserer Datenschutzrichtlinien begonnen, wobei für unsere deutschen Kunden keine großen Veränderungen bezüglich GDPR zu erwarten sind. BDPlus: Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen? OH: Wir unterstützen unsere Kunden stets dabei datenschutzkonformes Marketing zu betreiben. Dazu haben wir uns intensiv mit der neuen Datenschutzgrundverordnung auseinander gesetzt. Zudem achten wir darauf, dass unsere Produkte diesen Regularien entsprechen und entsprechend vertrauensvoll genutzt werden. Darüber hinaus ist Emarsys sowohl ISO27001 als auch ISO27018 zertifiziert. » Sie haben mir geholfen, Menschen besser zu verstehen. Und darauf kommt es an. « 87


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BDPlus: Zum Abschluss: Als CEO mit Sales-Erfahrung stellen Sie im deutschsprachigen Raum eine gewissermaßen seltene Spezies da. Was würden Sie Vertrieblern raten, die auf das Executive Level kommen wollen? OH: Ich sage mal so: Menschen müssen bereit für Veränderungen sein. Man sollte sich klar machen, was die eigenen Ziele sind. Möchte man sein Erfahrungslevel weiter ausbauen und neues lernen? Lernen beziehungsweise » Jeder Android-Nutzer sich weiterbilden ist in einer schnelllebigen ist Datenlieferant für Branche, wie der unseren, sehr wichtig. Google. « Dabei können unter anderem Blogs und Bücher helfen. BDPlus: Hätten Sie da einen Tipp? OH: Ich könnte viele aufzählen. Aber um zwei konkret zu nennen: „Sapiens“ von Yuval Noah Harari über die Evolution des Menschen und auch „Schnelles Denken, langsames Denken“ von Daniel Kahnemann sind sehr gute Bücher. Diese haben mir geholfen, Menschen besser zu verstehen. Und genau darauf kommt es an.

© Emarsys

Über Ohad Hecht Nach Stationen in Marketing und Vertrieb bei Emarsys ist Hecht seit 2016 CEO des Unternehmens. Er hat bei Gründung, dem Ausbau und der Organisation zahlreicher Unternehmen einen hohes Expertenwissen aufbauen können.

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„Kaltakquise ist mit dem Inbound-Ansatz Geschichte“ Hubspot will mit seiner Inbound-Methodik den Vertrieb revolutionieren. Was in den USA schon klappt, soll auch im europäischen Raum forciert werden. Ein Gespräch mit JD Sherman und Katie Burke von Hubspot über Karriere in den USA und die Zukunft der Kaltakquise. INTERVIEW: Norbert Wessendorf BDPlus: Frau Burke, was braucht es, um – mit Blick auf den amerikanischen Markt – bei Hubspot Karriere zu machen? Katie Burke: Der US-Markt ist ein dynamisches Umfeld, das viel Flexibilität und Agilität verlangt. Die Tech-Branche kommt als weiterer Faktor hinzu. Außerdem befinden wir uns aktuell in einer Phase sehr großen Wachstums und der Expansion in neue Märkte. Gerade haben wir einen ersten Standort auf dem europäischen Festland in Berlin eröffnet. Unsere Mitarbeiter müssen daher anpassungsfähig sein, positiv mit Veränderungen umgehen und unsere Werte teilen. Dann bieten sich ihnen exzellente Entwicklungsperspektiven. BDPlus: Hubspots Vertriebsaktivitäten basieren auf der Inbound-Marketing-Strategie. Mit der wird die Kaltakquise quasi ausgehebelt – eine Technik, die von Vertrieblern gleichsam geliebt wie gehasst wird. Wie sieht die Arbeit eines Vertriebsmitarbeiters bei Hubspot aus? JD Sherman: Unsere Vertriebsmitarbeiter gehen intensiv auf die Bedürfnisse von potenziellen Kunden ein. Sie wollen genau verstehen, mit welchen Problemen Leads zu kämpfen haben und ob und wie HubSpot ihnen helfen kann, ihre Herausforderungen zu bewältigen. Unsere Mitarbeiter bauen ein Vertrauensverhältnis mit den potenziellen Kunden auf und agieren als „Trusted Advisor“. Das geschieht tatsächlich häufig übers Telefon oder eine Video-Konferenz. Der Unterschied ist aber, 89


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dass unser Vertriebspersonal nicht nach Leads suchen muss. Eigene Recherche und notgedrungene Kaltakquise sind bei Unternehmen, die auf den Inbound-Ansatz setzen, Geschichte. Stattdessen liefert das Marketing-Team kontinuierlich qualifizierte Leads an den Vertrieb, die mehr über die Produkte und Dienstleistungen erfahren möchten. So können unsere Vertriebsmitarbeiter einen effektiven und intensiven Kundenkontakt aufbauen. BDPlus: Wo wir beim Thema sind: Was genau erwarten Sie von Ihren Vertriebsmitarbeitern? Katie Burke: Für unseren Unternehmenserfolg bauen wir auf Mitarbeiter, die bescheiden, einfühlend, anpassungsfähig, bemerkenswert und transparent sind. Diese Charakterzüge sind gerade auch für unsere Vertriebsmitarbeiter sehr wichtig. Sie verkaufen nicht nur eine Software für Marketing, Sales und Kundenservice, sondern bringen das Business unserer Kunden voran. Um im Sinne des Inbound-Ansatzes zum „Trusted Advisor“ zu werden, brauchen sie eine beratende Service-Orientierung und viel Einfühlungsvermögen. Sie müssen Verständnis für Prozesse bei Unternehmen und Agenturen entwickeln, abstrahieren können und ihr Wissen auf unterschiedliche Branchen übertragen. Dafür sind natürlich auch Marketing-Kenntnisse und technologisches Verständnis für die Software-Lösungen von HubSpot nötig. BDPlus: Das Thema Diversität wird auch im Vertrieb in Deutschland immer bedeutender. Allgemein brauchen Trends und Zustände aus den USA immer drei bis vier Jahre, bis sie auf dem europäischen und dem deutschen Markt ankommen. Wie würden Sie den Status quo in Sachen Diversität im amerikanischen Vertrieb beschreiben? JD Sherman: Es ist schwierig, hier eine allgemeingültige Aussage zu treffen, da sich Vertriebsteams und -abteilungen je nach Branche und Unternehmen stark unterscheiden. Bei HubSpot vertreten wir die Meinung, dass Vielfalt immer von Vorteil ist. Durch unsere weltweite Präsenz und unser schnelles Wachstum in verschiedenen Märkten sind unsere Teams in der Regel sehr heterogen und vereinen diverse Hintergründe und Nationalitäten. 90


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BDPlus: Und wie wichtig ist Diversität für die Leistung einer Vertriebsmannschaft? JD Sherman: Wir haben dies immer als Bereicherung und Gewinn wahrgenommen. Vielfalt durch unterschiedliche Persönlichkeiten, verschiedene Erfahrungen und Eindrücke erweitern den Horizont und vergrößern das Potenzial unserer Teams. Deswegen setzen wir auch bei unserem Team an unserem gerade eröffneten Standort in Berlin auf Diversität. Unterschiedliche Bildungswege und berufliche Stationen sowie kulturelle und persönliche Hintergründe – je breiter der gemeinsame Erfahrungsschatz unserer Teams ist, desto besser können sie sich in unterschiedliche Lagen hineinversetzen, Situationen analysieren und Herausforderungen bewältigen – mit und für unsere Kunden.

Katie Burke ist Chief People Officer bei HubSpot und für HubSpots Employer Branding verantwortlich.

© Hubspot / © Hubspot

JD Sherman ist Hubspots President und Chief Operating Officer. Er legt HubSpots Unternehmensziele fest und sorgt dafür, dass sie erreicht werden.

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Dealer der Ausgabe

„Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ „Nicht um jeden Preis.“ Dieser Leitsatz gilt, seitdem Menschen an Menschen verkaufen. Genau daran hat sich FDP-Chef Christian Lindner (38) gehalten, als er die Sondierungsgespräche Mitte November platzen ließ. Dabei hätte eine Regierungskoalition mit CDU/CSU und den Grünen dem ehrgeizigen Blondschopf ein machtvolles Ministeramt in Aussicht gestellt: Finanzminister hätte er werden können, als Nachfolger von Wolfgang Schäuble. Eine Regierungsbeteiligung hätte außerdem ein weiteres Ausrufezeichen hinter Lindners Erfolgsstory gesetzt: Nach vier Jahren der Schmach wäre die FDP nicht nur in den Bundestag eingezogen. Lindner und ein oder zwei seiner Kollegen aus der Parteispitze hätten sich fortan wöchentlich im Bundeskanzleramt einfinden dürfen. Doch zu welchem Preis? Wer mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel koaliert, der verschwindet in der Versenkung. Die SPD kann davon berichten, die FDP hat es am eigenen Leib erfahren. Lindner dürfte bei den Sondierungsgesprächen nicht nur die Aufgabe zentraler Punkte aus dem Wahlprogramm ein Dorn im Auge gewesen sein. Auch die Zukunft seiner Partei stand auf dem Spiel. Jetzt kann er 2021 sagen, er habe 2017 auf einen persönlichen Machtgewinn verzichtet und das getan, was das Beste für seine Partei war. Wie ein exzellenter Vertriebler eben.

© Bernd von Jutrczenka

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IMPRESSUM Herausgeber: Rudolf Hetzel, Torben Werner, Frederik Nyga Redaktion: Norbert Wessendorf Mitarbeiter dieser Ausgabe: Anna Friedrich, David Krenz, Carolin Sachse-Henninger, Britta Schmeis, Toni Seibicke, Sarah Sommer, Florian Sturm, Justus Walf Gastautoren: Hans Bachinger, Thorsten Hofman, Nils Prüfer Cover: Kim Pham Gestaltung: Janice Arpert Foto: Laurin Schmidt

Anzeigen: Norman Wittig, norman.wittig@quadriga.eu Abonnentenkonditionen: Stand: 49 Euro/Jahr für 2 Ausgaben, Studenten: 20/Euro für 2 Ausgaben Social Media: Xing , Facebook , Twitter Verlagsanschrift: Quadriga Media Berlin GmbH, Werderscher Markt 13, 10117 Berlin, Tel +49 (0)30/848590, Fax +49 (0)30/84859200, E-Mail: info@vertriebsmanager.de


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