LEADER Juni/Juli 2020

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Wirtschaft

Was das Virus mit uns macht Der Bund prognostiziert einen Wirtschaftseinbruch von 6,7 Prozent im 2020. Richtig aufwärtsgehen soll es erst 2021. Wie verändert die Corona-Krise Wirtschaft und Gesellschaft? Der LEADER hat darüber mit Ökonom Wilfried Lux und Psychologe Urs Braun gesprochen.

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise brachten bis Mai 2020 einige Tiefenrekorde hervor: So ist der Konjunkturindex der Region St.Gallen-Appenzell auf einen neuen Tiefstand gefallen; auch im Thurgau hat sich die Konjunktur markant abgekühlt. In bisher unbekanntem Tempo ist die Kurzarbeit auf einen Rekordwert angestiegen, arbeiten doch rund ein Drittel der Erwerbstätigen in der Ostschweiz zurzeit kurz. «Und noch nie wurde der Geschäftsgang von den Detailhändlern unserer Region so schlecht beurteilt wie heute», weiss Peter Eisenhut, Managing Partner der Wirtschafts- und Politikberatung Ecopol. Ebenfalls noch nie ist im Bau die Geschäftslage gegenüber dem Vormonat so stark gesunken wie im April 2020. Zudem ist die Konsumentenstimmung auf ein historisches Tief gefallen. Schon jetzt ist klar: Wirtschaft und Gesellschaft «zahlen einen relativ hohen Preis dafür, dass wir nicht ausreichend auf eine Pandemie vorbereitet waren», hält Eisenhut fest.

«Wir sind uns bewusst geworden, wie verletzlich diese globalisierte Welt ist.» Urs Braun, Psychologe

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Nachholbedarf nach Lockerungen Mit den neusten Lockerungen des Bundesrates Ende Mai beginnt nun eine Rückkehr zu einer gewissen Normalität. Wie wirkt sich das auf das Konsumverhalten aus? Wie gross ist der Nachholbedarf? Wilfried Lux, Leiter Kompetenzzentrum für Finanzmanagement und Controlling an der FHS St.Gallen, unterscheidet zwischen kleineren Gütern und Dienstleistungen, die man sich nun wieder gönnt, weil dies während des Lockdowns nicht möglich war. Etwa ein Restaurantbesuch oder eine Reise. «Hier erwarte ich den grössten Nachholbedarf», so Lux. Das Problem sei, dass sich die Verluste etwa für Hoteliers und Gastronomen fast nicht wettmachen liessen. «Man kann ja ein Zimmer nicht zwei- oder dreifach belegen, nur weil es drei Monate leer stand.» Bei grösseren Investitionen wie etwa einem Autokauf erwartet Lux Zurückhaltung, insbesondere wegen der Arbeitsplatzunsicherheit. Die Wirtschaft reagiere mit Angeboten und Rabatten. «Die nächsten Monate werden zeigen, mit welchem Erfolg», so Lux. Unsicherheit bleibt Für Urs Braun, Leitender Psychologe der Psychiatrie St.Gallen Nord und dort Leiter des Coronavirus-Krisenstabs der Klinik, ging die Strategie des Bundesrates bisher auf, weil er immer an die Vernunft der Menschen appellierte und nicht wie andere Länder rigorose Verbote erliess. «Dies brachte die grosse Mehrheit der Bürger dazu, die Massnahmen einzuhalten», so Braun. Für ihn hat das nichts mit Obrigkeitsgläubigkeit zu tun, sondern damit, dass die Bevölkerung die Notwendigkeit verstand: zu verhindern, dass das Gesundheitssystem kollabiert. Klar sei aber, dass die Corona-Krise eine direkte Auswirkung auf die menschliche Psyche habe. «Wir leben in einer dauernden Bedrohungslage. Der Mensch hat Mühe, mit Unsicherheiten zu leben», so Braun. Wichtig sei, sich selber zu schützen und zum Beispiel den Nachrichtenkonsum einzuschränken, da verunsichernde Nachrichten den Körper in Stress versetzen. Dies empfehlen auch Forscher der Universität Basel: In ihrer aktuellen Online-Umfrage fühlte sich die Hälfte der Befragten während des Lockdowns gestresster als vor der Corona-Krise; die Häufigkeit von schweren depressiven Symptomen hat sich fast verdreifacht. Auf der anderen Seite fühlte sich ein Viertel der Befragten während des Lockdowns weniger gestresst. Für Braun widerspiegelt dies die Erfahrungen aus anderen Studien. «Wichtig ist, dass man gut


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