Diätrecht wird zusammengestrichen Diätetika sollen Sonderstellung verlieren – Schlankmacher und Sportlernahrung als normale Lebensmittel – Viele Probleme
Presse
01. Juli 2011/lz 26-11
Brüssel. Die Europäische Kommission will das Recht für Diätprodukte zusammenstreichen. Künftig soll es nur noch eine Verordnung mit Regelungen für Säuglings- und Kleinkindernahrung sowie Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke geben. Für andere Diätetika gelten dann die strengen Anforderungen der so genannten Health-Claims Verordnung. THOMAS FEDRA
Im vorigen Jahr wurden die Diabetikerlebensmittel aus der deutschen Diätverordnung (DiätV) gestrichen, nun soll nach dem Willen der Kommission andere Verordnungen und Richtlinien für Diätetika der Deregulierung zum Opfer fallen. Schlankmacher und laktose- oder glutenarme Produkte werden danach zu normalen Lebensmitteln und müssten sich an den Bestimmungen für Nahrungsergänzungsmittel, für angereicherte Lebensmittel und für gesundheitsbezogene Angaben (Health-ClaimsV) messen lassen. Deregulierung sei zwar grundsätzlich zu begrüßen, doch es sei fraglich, ob die weitgehende Abschaffung der Diätvorschriften Freiräume für die Wirtschaft schaffe, meint die Gummersbacher Lebensmittelrechtlerin Dr. Sandra Heck. Die Erfahrungen mit der Health-ClaimsV lassen sie eher das Gegenteil befürchten. Ob die vorgesehene Übergangsfrist von zwei Jahren ausreiche sei ebenso unklar wie die künftige rechtliche Position so umsatzstarker Sortimente wie
FÜR EINE BESONDERE ERNÄHRUNG
Diätregal: Viele Kunden suchen hier Gesundheit durch Essen.
Die Diätverordnung definiert diätetische Lebensmittel als Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Die Zielgruppe sind: Personen, deren Verdauungs- oder Resorptionsprozess oder Stoffwechsel gestört ist, Personen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befinden und
laktosefreie Produkte oder Sportlernahrung. Die gute Nachricht: Für die Hersteller von Baby- und Kleinkindnahrung sowie Beikost ändert sich voraussichtlich wenig. Auch die Anbieter von Lebensmitteln für bestimmte medizinische Zwecke haben wenig zu befürchten: Der Vorschlag der Kommission schreibt die bestehenden Vorschriften weitgehend fort. Prof. Ferdinand Haschke, Vizeprä-
deshalb einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen können und gesunde Säuglinge und Kleinkinder. Diätlebensmittel müssen sich durch ihre Zusammensetzung oder Herstellungsverfahren deutlich von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs unterscheiden.
sident von Nestlé Nutrition, lehnt die Streichung großer Teile des Diätrechts trotzdem ab. Es gebe keinen Grund, an dem 35 Jahre lang bewährten Recht zu rütteln, sagte der Präsident des Internationalen Diätverbandes IDACE auf der Jahrestagung des Verbands vorige Woche in Lissabon. Das allgemeine Lebensmittelrecht reiche nicht aus, Sicherheit und Gesundheitsschutz für einen gefährdeten Teil der Bevölkerung
zu gewährleisten. Prof. Alfred Meyer ist ganz anderer Meinung. Der Münchner Lebensmittelrechtler begrüßt den Vorschlag der Kommission als „notwendige Bereinigung“. Regelungen für Nahrungsergänzungsmittel, Anreicherungen und nährwert- und gesundheitsbezogene Aussagen genügen nach seiner Ansicht, um den Herstellern nach einer angemessenen Übergangszeit Rechtssicherheit zu bieten. Seriöse Anbieter von Gewicht reduzierenden Diätprodukten müssen nach Meyers Ansicht die Prüfung ihrer Wirkungsversprechen durch die Europäische Lebensmittelbehörde Efsa nicht fürchten. Die „Winkelzüge“, die andere „unter dem Deckmantel des Diätrechts“ machten, würden dagegen erschwert. Das alte Recht biete „eine lyrische Basis“ für viele zweifelhafte Produkte, die vor allem in Apotheken und im Internet verkauft würden. Die wissenschaftliche Überprüfung der Frage, ob eine Ernährungstherapie wirkt oder nicht, würde künftig die Efsa vornehmen. Ganz neu wäre das nicht: Schon in jüngster Vergangenheit wurden einige Diätetika in Parma nach den Kriterien der Health-ClaimsV bewertet: Produkte mit dem Enzym Laktase gegen Laktoseintoleranz, andere mit Pektin für Diabetiker und zuletzt auch typische Schlankmacher. Wer auf diesem Feld auch ohne Diätrecht aktiv sein möchte, dem rät Meyer, so bald wie möglich einen gut durchdachten Antrag nach der Health-ClaimsV zu stellen. Die Voraussetzungen müsse die Kommission zügig schaffen. Christoph Murmann/lz 26-11