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Recht
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„Die LMIV 1169/2011 kommt“ Serie DLR: Kennzeichnung von technisch hergestelltem Nanomaterial Levke Voß Nanomaterialien finden seit Jahren u. a. in der Industrie, in Medizin und Umweltschutz (z. B. Reinigung von Abwasser) Anwendung. Über den tatsächlichen Einsatz solcher Materialien als Zutaten bei der Herstellung in Lebensmitteln liegen demgegenüber dem deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) derzeit keine Informationen vor (Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zur Einrichtung eines Nanoprodukt-Registers, zu BR-Drs.: 344/13).
Das Bundesinstitut für Risikobewertung
Lebensmittelzusatzstoffe; VO 258/97 über
schließt trotz fehlender klarer Belege
neuartige Lebensmittel, deren Anwen-
den Einsatz von Nanomaterialien in Le-
dungsbereich bei der anstehenden Revi-
bensmitteln nicht gänzlich aus (Bsp. Ein-
sion diesbezüglich sogar noch erweitert
satz von nanopartikulärem Siliziumdi-
werden soll). Lediglich eine ausdrückliche
oxid als Rieselhilfe; BfR, Delphi-Studie
Regelung zur Kennzeichnung von Nano-
zur Nanotechnologie – Expertenbefra-
materialien in Lebensmitteln existierte
gung zum Einsatz von Nanomaterialien
bislang nicht.
in Lebensmitteln und Verbraucherprodukten, 2009).
Kennzeichnung nach LMIV 1169/2011
Status quo zu Nanomaterialien
Der
Während aber gerade für den Einsatz
scheint sich der (diffusen) Sorge in der
z. B. in Medizin und Umweltschutz die
Bevölkerung bezüglich der Verwendung
Akzeptanz in der Bevölkerung hoch aus-
von Nanomaterialien angenommen zu ha-
fällt, stehen Verbraucher der Anwendung
ben und trifft mit der Regelung in Art. 18
dieser sich rasch entwickelnden Technik
Abs. 3 LMIV 1169/2011 eine weitere Neu-
in Lebensmitteln eher kritisch gegenüber
erung, wonach alle Zutaten, die in Form
(BfR, Nanoview – Einflussfaktoren auf die
technisch hergestellter Nanomaterialien
Wahrnehmung der Nanotechnologien
im Lebensmittel vorhanden sind, im Zu-
und zielgruppenspezifische Risikokom-
tatenverzeichnis eindeutig aufgeführt
munikationsstrategien, Abschlussbericht
werden müssen. Dies geschieht, indem im
2013). Schon derzeit stellen allerdings
Zutatenverzeichnis auf die Bezeichnung
spezifische Rechtsvorschriften den vor-
der Zutat das in Klammern gesetzte Wort
sorgenden gesundheitlichen Verbrau-
„Nano“ folgt.
europäische
Verordnungsgeber
cherschutz bei einem potenziellen Einsatz
Die Kennzeichnungsvorschrift für „tech-
von technisch hergestellten Nanomateri-
nisch hergestelltes Nanomaterial“ gilt ge-
alien sicher (vgl. u. a. VO 1333/2008 über
mäß Art. 2 Abs. 2 lit. t LMIV 1169/2011 für:
DLR | April 2014
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RAin Dr. Levke Voß
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Zur Person
meyer.rechtsanwälte
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170
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Recht
Lebensmittel
6,6
17,6
32,1
Männer
7,8
Frauen
5,3
15,1
Salzgehalt
6,9
22,3
Männer
19,6
8,5
Frauen
8,1
Männer
8,1
Frauen
8,1
Sonnencremes
11,5
Männer Frauen
0
30,1
18,6
35,9
29,2
32,1
30,4
17,2
30,1
37,0
14,8
30,6
30
40
50
60
2,3
80
2,7 2,9 2,6
19,6
70
2,5
2,8
23,1
39,5
20
14,2
31,0 38,3
10
3,2
27,5
34,1
10,1
2,9
23,0
38,9
12,8
3,1
25,2 33,2
18,5 10,9
3,1
33,7 36,0
14,7
3,2
26,0
38,7
32,8
Frauen
3,1
29,7 37,3
22,3
2,4
16,6
38,0
27,6
Männer
2,2
36,4 30,2
19,4
Hautcremes
Folienqualität
33,9
25,1
5,2
2,3
41,4
90
100
Zahl der Antworten [%] Nutzen übertrifft Risiken bei weitem
Nutzen übertrifft Risiken bei weitem
Risiken etwas größer als Nutzen
Risiken übertreffen Nutzen bei weitem
weiß nicht/ keine Angabe
Risiko-Nutzen-Verhältnis von Anwendungen in Lebensmitteln und Kosmetika: „Wie schätzen Sie bei den folgenden Anwendungen von Nanomaterialien jeweils das Verhältnis von Risiko zu Nutzen ein?“ (n = 1 000#, Quelle: BfR, Nanoview – Einflussfaktoren auf die Wahrnehmung der Nanotechnologien und zielgruppenspezifische Risikokommunikationsstrategien, Abschlussbericht 2013)
„[…] jedes absichtlich hergestellte Ma-
oder weniger haben, einschließlich Struk-
terial, das in einer oder mehreren Di-
turen, Agglomerate und Aggregate, die
mensionen eine Abmessung in der Grö-
zwar größer als 100 nm sein können, de-
ßenordnung von 100 nm oder weniger
ren durch die Nanoskaligkeit bedingte Ei-
aufweist oder deren innere Struktur oder
genschaften jedoch erhalten bleiben.“
Oberfläche aus funktionellen Komparti-
Ausnahmen von der Kennzeichnungs-
menten besteht, von denen viele in einer
pflicht als „nano“ gelten lediglich für
oder mehreren Dimensionen eine Abmes-
solche Bestandteile, für die Art. 20 LMIV
sung in der Größenordnung von 100 nm
1169/2011 generell eine Ausnahme vom Erfordernis der Angabe im Zutatenverzeichnis normiert (vgl. Kommission, Fra-
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Technisch hergestelltes Nanomaterial
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Die Antwortkategorien heißen vollständig:
gen und Antworten zur Anwendung der
„Erhöhung der Wirksamkeit von Sonnen-
VO 1169/2011, 31. Januar 2013, Ziffer 2.7.1
schutzcremes“, „Verbesserung von Folien-
S. 8 f.), insbesondere also:
qualität zur Erhöhung der Haltbarkeit von
• Lebensmittelzusatzstoffe und Lebens-
Lebensmitteln“, „Befürwortung der Anwen-
mittelenzyme,
dung von Nanomaterialien für Wirkstoffe
– die im Enderzeugnis keine technolo-
von Hautcreme, die tiefere Hautschichten er-
gische Wirkung mehr ausüben oder
reichen“, „Reduzierung des Salzgehalts von
– die als Verarbeitungshilfsstoffe ver-
Lebensmitteln bei gleichem Geschmack“, „Anreicherung
von
Lebensmitteln
Vitaminen und anderen Nährstoffen“.
mit
wendet werden; • Trägerstoffe und andere Stoffe, die keine Lebensmittelzusatzstoffe sind,
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April 2014 | DLR
» aber in derselben Weise und zu dem-
Funktionen beabsichtigt sein muss (lit. iv
selben Zweck verwendet werden wie
des Entwurfs) und erklärte damit deutli-
Trägerstoffe und die nur in den unbe-
cher, dass „natürliche“ oder „nicht ziel-
dingt erforderlichen Mengen verwen-
gerichtet“ hergestellte Nanomaterialien,
det werden;
wie sie in vielen tierischen und pflanzli-
• Stoffe, die keine Lebensmittelzusatz-
chen Produkten, wie z. B. in Milch, Ma-
stoffe sind, aber auf dieselbe Weise
yonnaise, Mehl oder Kaffee vorkommen
und zu demselben Zweck wie Verar-
oder z. B. durch Feinstaub aus der Luft
beitungshilfsstoffe verwendet werden
in das Produkt gelangen können, nicht
und – selbst wenn in veränderter Form
in den Anwendungsbereich der Verord-
– im Enderzeugnis vorhanden sind.
nung fallen. Zwischenzeitlich kam es im Europäi-
Änderung der Begriffsbestimmung – Das Straucheln der Kommission
schen Parlament zu Diskussionen über diesen Änderungsvorschlag der Definition, in deren Verlauf sich eine grund-
Die Begriffsbestimmung der LMIV 1169/
sätzliche Stimmung gegen Nanomaterial
2011 für Nanomaterialien stand von Be-
in Lebensmitteln manifestierte. In der
ginn an in Diskussion; selbst der Ver-
Sitzung vom 12.03.2014 verhinderte das
ordnungsgeber
bei
Parlament schließlich endgültig die Ver-
Verabschiedung der Verordnung die Not-
öffentlichung der Änderung. Nach dem
wendigkeit einer Überarbeitung. Er sah
mit absoluter Mehrheit angenommenen
aus diesem Grund in Art. 18 Abs. 5 LMIV
Entschließungsantrag richtete sich die Kri-
1169/2011 vor, die Definition an den wis-
tik in erster Linie gegen die beabsichtigte
senschaftlichen und technischen Fort-
Regelung zu Zusatzstoffen. Diese sollten
schritt oder die auf internationaler Ebene
ausdrücklich von dem Begriff der Nano-
vereinbarten Begriffsbestimmunen an-
materialien in der LMIV 1169/2011 und
zupassen. Bei dieser Anpassung kam je-
damit von der Kennzeichnungspflicht
doch die Europäische Kommission selbst
ausgenommen und stattdessen allein im
in Straucheln. Bereits am 19.12.2013 ver-
Rahmen der Reevaluierung der Zusatz-
öffentlichte sie im Amtsblatt L 343/26 die
stoffe über spezifische Zusatzstoff-Bestim-
Verordnung (EU) Nr. 1363/2013 mit einer
mungen nur möglicherweise einer geson-
neuen Begriffsbestimmung für „tech-
derten Kennzeichnungspflicht zugeführt
nisch hergestellte Nanomaterialien“ zur
werden (vgl. Egr. 12 der „berichtigten“
Änderung der LMIV. Bereits am nächs-
VO 1363/2013). Es wird nun ein neuer Vor-
ten Tag erklärte sie diese jedoch für „null
schlag der Kommission erwartet, der ins-
und nichtig“ (Amtsblatt der Europäischen
besondere diesen Punkt neu behandeln
Union L 346/89, 20.12.13), weil die erfor-
soll. Die genaue Ausgestaltung bleibt ab-
derliche Beteiligung des Europäischen Par-
zuwarten.
erkannte
schon
laments und des Rates noch nicht durchgeführt worden war. Die „versehentlich“ veröffentlichte Verordnung orientierte sich im Wesentlichen an einer Empfehlung der Kommission zur Definition von Nanomaterialien vom 18.10.2011 (2011/696/EU), wobei allerdings die Besonderheiten des Lebensmittelsektors Beachtung finden sollten. Die neue Definition sollte klarer hervorheben, dass mit der Herstellung der „technisch hergestellten Nanomaterialien“ die Erzielung spezifischer Eigenschaften oder
DLR | April 2014
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Anschrift der Autorin RAin Dr. Levke Voß meyer.rechtsanwälte Sophienstr. 5 80333 München voss@meyerlegal.de www.meyerlegal.de
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Recht
171
Notwendigkeit der Überarbeitung
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