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Recht
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„Die LMIV 1169/2011 kommt“ DLR Serie: „Alsbaldiger Verzehr“ ist nicht übermorgen – Anmerkung zum Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Juli 2013, Az: 9 CS 13.599 Hanna Knörnschild Orientierungssätze
1. Eine Fertigpackung ist nur dann zur alsbaldigen Abgabe an den Verbraucher bestimmt, wenn sie noch am gleichen oder spätestens am nächsten Tag verkauft werden soll. 2. Von einer Selbstbedienung kann nur dann nicht ausgegangen werden, wenn die Ware lediglich vom Verkaufspersonal aus dem Verkaufsmöbel genommen werden kann.
Streitgegenstand war der Verkauf von
sentiellen Kennzeichnungselemente (des
Süßwaren in Fertigpackungen, die kein
§ 3 Abs. 1 LMKV), wie eben das Zuta-
Haltbarkeitsdatum und kein Zutatenver-
tenverzeichnis (§ 3 Nr. 3) und das Halt-
zeichnis aufwiesen.
barkeitsdatum (§ 3 Nr. 4) sind gem. § 3 Abs. 3 S. 1 LMKV auf der Fertigpackung
Der Fall
(oder einem mit ihr verbundenen Etikett)
Die Antragstellerin vertrieb Süßwaren
anzubringen. Hiervon macht Art. 1 Abs. 2
(Gummibärchen und dergleichen), die
LMKV allerdings (aber nur dann) eine
sie in Abwesenheit der Käufer in einen
Ausnahme, indem er solche Lebensmittel
Beutel abpackt und diesen mit einem
in Fertigpackungen von der Kennzeich-
Clip verschließt. Die Verpackungen wer-
nungspflicht ausschließt, die in der Ver-
den nur je nach Bedarf in geringen Men-
kaufsstätte zur „alsbaldigen Abgabe“ an
gen gefertigt, sodass diese Produkte für
den Verbraucher hergestellt und dort, je-
wenige Tage zur Verfügung stehen. Die
doch „nicht zur Selbstbedienung“, abge-
Waren liegen in offenen Regalen, aus de-
geben werden.
nen die Kunden sie selbst nehmen kön-
Die Antragstellerin machte geltend,
nen. Die grundsätzlich vorgeschriebenen
ihre Waren seien von der Ausnahme des
Kennzeichnungselemente, wie Zutaten-
§ 1 Abs. 2 LMKV umfasst. Der Verkauf in-
liste und Mindesthaltbarkeitsdatum, fehl-
nerhalb weniger Tage sei „alsbald“. Dar-
ten auf den Beuteln.
über hinaus läge keine Selbstbedienung
Nach Art. 1 Abs. 1 LMKV gilt die Kenn-
vor. Es existieren keine Einkaufswägen
zeichnungspflicht der § 3 Abs. 1 und 4 ff.
und -körbe für eine Selbstbedienung.
LMKV für die für Verbraucher bestimm-
Auch würden die Kunden durch den ge-
ten Lebensmittel in Fertigpackungen (im
samten Einkauf begleitet, was auch bei
Sinne des § 6 Abs. 1 des EichG). Die es-
mehreren Kunden problemlos möglich
DLR | Mai 2014
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Hanna Knörnschild
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Zur Person
meyer.rechtsanwälte
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Recht
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„Unmittelbarer Verkauf“ heißt „sofort“
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sei, da die Verkaufsfläche 20 m² nicht
nahmetatbestand vereitelnde Selbstbe-
überschreitet.
dienung vor. Zutreffend argumentierte der Gerichts-
Rechtliche Würdigung
hof zunächst, dass für die Bestimmung
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof
der „alsbaldigen“ Abgabe objektive
entschied, dass die Ausnahme von der
Maßstäbe gelten müssen (anders Hagen-
Kennzeichnungspflicht im vorliegenden
meyer, in: LMKV Kommentar, Beck-Ver-
Fall nicht greife. Von Fertigpackungen
lag 2. Auflage, § 1, Rn. 14). Diese objek-
sei auszugehen. Hier wurden die Süßwa-
tive Grenze dürfe aber schon nach dem
ren in Abwesenheit der Käufer verpackt
allgemeinen Sprachgebrauch zwei Tage
und mit einem Clip verschlossen, wes-
nicht überschreiten. Von einer „alsbaldi-
halb der Inhalt nicht ohne Öffnen oder
gen“ Abgabe könne demzufolge nur die
merkliche Änderung der Packung verän-
Rede sein, wenn die Fertigpackung noch
dert werden konnte. Das Vorliegen ei-
am gleichen oder spätestens am nächsten
ner Ausnahme von der Kennzeichnungs-
Tag verkauft werden soll.
pflicht verneinte der BayVGH. Es fehle
Auch finde der Verkauf durch offene
zum einen an einer alsbaldigen Abgabe,
Regale, in denen die Waren zur Entnahme
zum anderen läge auch eine den Aus-
bereit lägen, und gerade nicht ausschließ-
essen
Wie das, was wir , unsere beeinflusst
Gene
Wieso und seit wann essen wir eigentlich so, wie wir es gewohnt sind? Warum vertragen manche Menschen Laktose, andere nicht? Diesen Fragen geht Fritz Höffeler auf den Grund: Er ist der Wechselwirkung zwischen Genen und Ernährung auf der Spur. Die Bestandteile unserer Nahrung lösen jeweils bestimmte Reaktionsketten im Körper aus. Umgekehrt regulieren unsere Gene, wie wir Nahrung verarbeiten: Manches können, anderes müssen wir essen, und einiges ist für uns unverdaulich. Warum, das erklärt Höffeler spannend, informativ, fundiert – und bestens lesbar.
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Mai 2014 | DLR
» lich über eine Theke statt. Keine Selbst-
kauf ohne nennenswerte Vorhaltezeit
bedienung liege aber nur vor, wenn die
verstanden werden, also maximal einige
Ware lediglich vom Verkaufspersonal aus
wenige Stunden, nicht aber Tage, auch
dem Verkaufsmöbel entnommen werden
nicht der Folgetag. Dafür spricht auch der
könne.
Vergleich mit der englischen und der fran-
Schließlich weist das Gericht richtiger-
zösischen Fassung der LMIV, die von ‚di-
weise darauf hin, dass es auf die Aus-
rect sale’ und ‚vente immédiate’ sprechen.
nahme des § 3 Abs. 5 Nr. 2 LMKV, in Er-
Diese Auslegung wird auch von der dies-
mangelung eines alsbaldigen Verkaufs,
bezüglich gleichlautenden Kosmetikver-
gar nicht ankäme. Danach können die
ordnung (EG) 1223/2009 gestützt, die in
Angaben nach § 3 Abs. 1 LMKV nur ent-
Art. 19 Abs. 4 bei vorverpackten kosme-
fallen, sofern die Unterrichtung des
tischen Mitteln auf den ‚sofortigen’ Ver-
Verbrauchers – wie hier durch die Ver-
kauf abstellt. Auch wenn deren englische
käufer – auf andere Weise gewährleis-
Fassung leicht abgewandelt auf den ‚im-
tet wird.
mediate sale’ Bezug nimmt, ist doch die französische Fassung wortlautgleich mit
Ausblick
‚vente immédiate’. Nach der LMIV läge für
Zukünftig ab 13.12.12014 schreibt Art.
die (hier) abgepackten Süßwaren folglich
12 Abs. 2 LMIV 1169/2011 die Kennzeich-
erst recht keine Ausnahme von der Kenn-
nungspflicht für ‚vorverpackte Lebens-
zeichnungspflicht vor.
mittel’ vor. Darunter wird jede Verkaufs-
Das in der LMKV zusätzlich vorgese-
einheit verstanden, die als solche an den
hene Kriterium „keine Selbstbedienung“
Endverbraucher und an Anbieter von Ge-
findet sich allerdings nicht in der LMIV.
meinschaftsverpflegung abgegeben wer-
Hier wird lediglich alternativ zum ‚unmit-
den soll und die aus einem Lebensmittel
telbaren Verkauf‘ die Möglichkeit eröff-
und der Verpackung besteht, in die das
net, von der Kennzeichnungspflicht dann
Lebensmittel vor dem Feilbieten verpackt
abzusehen, wenn das Lebensmittel auf
worden ist, gleichviel, ob die Verpackung
Wunsch des Verbrauchers am Verkaufs-
es ganz oder teilweise umschließt, jedoch
ort verpackt würde.
auf solche Weise, dass der Inhalt nicht verändert werden kann, ohne dass die Verpackung geöffnet werden muss oder eine Veränderung erfährt; Lebensmittel dagegen, die auf Wunsch des Verbrauchers am Verkaufsort verpackt oder im Hinblick auf ihren unmittelbaren Verkauf vorverpackt werden, werden von dem Begriff „vorverpacktes Lebensmittel“ nicht erfasst (Art. 2 Abs. 2 Buchst. e LMIV 1169/2011). Die (hier) in Beuteln abgepackten Süßwaren sind auch nach der LMIV 1169/2011 als Fertigpackungen zu beurteilen. Der
Anschrift der Autorin Hanna Knörnschild meyer.rechtsanwälte Partnerschaft mbB Sophienstr. 5 80333 München info@meyerlegal.de meyerlegal.de
sachliche Anwendungsbereich für die Kennzeichnungspflicht bleibt demzufolge gleich. Allerdings gestattet die LMIV die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht nur bei ‚unmittelbarem Verkauf‘, während die LMKV die ‚alsbaldige Abgabe‘ vorsieht. Unter ‚unmittelbar‘ kann schon nach dem Wortlaut nur der direkte Ver-
DLR | Mai 2014
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Das Urteil finden Sie unter www.dlr-online.de → DLR Plus Passwort: Arriba
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Lebensmittel, die auf Wunsch des Verbrauchers am Verkaufsort verpackt oder im Hinblick auf ihren unmittelbaren Verkauf vorverpackt werden, werden von dem Begriff „vorverpacktes Lebensmittel“ nicht erfasst.
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