Die Verbraucherwarnung nach § 40 Abs. 1a LFGB Pranger vor Rechtsstaat – eine Analyse bisheriger Rechtsprechung Dr. Walther Michl, LL . M. Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer
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Behr’s Verlag l Hamburg l ZKZ 9982 Erscheinungsjahr: 2013 Herausgeber
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109. Jahrgang Feb. 2013 Behr’s Verlag l Hamburg l ZKZ 9982 1 10
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Die Verbraucherwarnung nach § 40 Abs. 1a LFGB Pranger vor Rechtsstaat – eine Analyse bisheriger Rechtsprechung
Walther Michl und Alfred Hagen Meyer# meyer.rechtsanwälte Partnerschaft, Sophienstr. 5, 80333 München
1. Der Rechtskonflikt Am 1. September 2012 trat das Gesetz zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation in Kraft (BGBl. 2012, Teil I Nr. 14, Seite 476); damit wurde nicht nur das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) geändert bzw. verschärft, sondern auch mit § 40 Abs. 1a LFGB der Pranger bezüglich Höchstmengenüberschreitungen und renitentem Verhalten eingeführt (ausführlich hierzu Pache/Meyer, in Meyer/Streinz, Kommentar LFGB, 2. Auflage 2013, § 40 LFGB, Rdnr. 25–42). Seine vordergründig verlockende Verheißung ist die „gläserne Verwaltung“. Mit § 40 Abs. 1a LFGB ist die zuständige Behörde u. a. in der Pflicht, bei jedem hinreichend begründeten Verdacht auf einen nicht unerheblichen Verstoß gegen Hygienevorschriften, der ein Bußgeld von mindestens 350 € erwarten lässt, die Öffentlichkeit unter Nennung des Lebensmittels und des Lebensmittelunternehmers zu informieren. Diese Pflicht besteht völlig unabhängig von etwaigen entgegenstehenden Rechten der betroffenen Unternehmen, sodass auf Rechtsfolgenseite das Ermessen der Behörde bezüglich der Verbraucherinformation auf null reduziert ist. Ginge es tatsächlich allein um die Transparenz des Verwaltungshandelns, wäre dieser Ansatz durchaus löblich. Der Bürger könnte sich so im Internet laufend informieren, ob die Behörden ihren Aufgaben in befriedigender Weise nachkommen und für ein hinreichendes Verbraucherschutzniveau Sorge tragen. Ein freier Zugang zu den Informationen und die dadurch erhöhte Markttransparenz könnten einer Stärkung der eigenverantwortlichen Kaufentscheidungen der Verbraucher dienen. Die Information über Höchstmengenüberschreitungen oder renitentes Verhalten ist jedoch nicht nur ein Akt innerhalb des zweipoligen Rechtsverhältnisses zwischen der Verwaltung und der interessierten Öffentlichkeit, sondern betrifft darüber hinaus maßgeblich auch die Rechtsstellung der angeprangerten Lebensmittelunternehmen. Dies kann nur abstreiten,
wer irrig meint, der Lebensmittelunternehmer/Gastwirt bewege sich „mit seinem Gesetzesverstoß, welcher alleine in seinem Verantwortungsbereich liegt, […] außerhalb des Schutzbereichs der Verfassung“ (so ein Landesministerium, ein gem. Art. 1 Abs. 3 GG den Grundrechten verpflichteter Träger öffentlicher Gewalt). Für die ebenfalls den Grundrechten verpflichteten Verwaltungsgerichte sollte sich die Warnung der Vollzugsbehörden nach § 40 Abs. 1a LFGB jedenfalls als mehrpoliges Rechtsverhältnis darstellen. Sie sehen sich nun vermehrt mit der undankbaren Aufgabe konfrontiert, bisher zu allem Überfluss auch noch im einstweiligen Rechtsschutz die widerstreitenden Rechtsgüter und Interessen in eine Norm einzupassen, deren Struktur keinerlei Abwägung vorsieht.
2. Erste verwaltungsgerichtliche Entscheidungen Die bisher mit dieser Zumutung konfrontierten Verwaltungsgerichte sind dabei zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. In tatsächlicher Hinsicht boten die jeweiligen Fälle durchwegs keinerlei Schwierigkeiten, d. h., die zur Veröffentlichung vorgesehenen Verstöße waren zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig. In rechtlicher Hinsicht wurden jedoch insbesondere Grundrechtsverletzungen der betroffenen Lebensmittelunternehmen, Bedenken wegen der fehlenden Normierung für die Dauer einer Veröffentlichung sowie eine Sperrwirkung des Art. 10 BasisVO 178/2002 thematisiert. Hinsichtlich all dieser Gesichtspunkte ergeben sich durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der behördlichen Informationstätigkeit nach § 40 Abs. 1a LFGB (so auch aktuell VGH Mannheim, 28.1.203, Az.: 9 S 2423/12), wie folgt:
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2.1 Vereinbarkeit mit den Grundrechten Sowohl das VG Regensburg (Beschluss vom 23. Oktober 2012, Az.: RO 5 E 12.1580) als auch das VG Oldenburg (Beschluss vom 22. November 2012, Az.: 7 B 4916/12; bestätigt OVG Lüneburg, 18.1.2013, Az.: 13 ME 267/12) erkannten zutreffend, dass die Grundrechte des jeweils betroffenen Lebensmittelunternehmers aus Art. 12 Abs. 1 (Berufsfreiheit) und Art. 2 Abs. 1 (Recht auf informationelle Selbstbestimmung) einschlägig wären. Zusätzlich lässt sich anfügen, dass die Fälle auch unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (Veröffentlichung der Namen von Unternehmensinhabern, gegen die ein Ordnungswidrigkeitenverfahren läuft) behandelt werden müssten. Einen Grundrechtseingriff durch die beabsichtigte Veröffentlichung setzten die Gerichte dabei stillschweigend voraus; dieser ist in der Tat nach dem modernen Eingriffsbegriff des Bundesverfassungsgerichts selbstverständlich. Auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung wurden die Gerichte allerdings schludrig. Das VG Oldenburg stellte apodiktisch fest, „dass die Lebensmittelsicherheit ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (sei), dessen maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften die zuständigen Behörden insbesondere gegenüber Lebensmittelunternehmen i. S. v. § 40 Abs. 1a LFGB unbedingte Geltung verschaffen“ müssten. Hierbei macht das Gericht gleich zwei erhebliche Fehler: Zum einen hätte es gerade nicht auf die Lebensmittelsicherheit abstellen dürfen, denn diese ist nach der gängigen Terminologie des Art. 14 BasisVO 178/2002 erst bei einer Unsicherheit des beanstandeten Lebensmittels gegeben, für die das Instrument der behördlichen Warnung nach Art. 10 BasisVO und § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB zur Verfügung stünde. Das tatsächlich gegen die genannten Grundrechte streitende Gemeinschaftsgut ist jedoch in den hier behandelten Fällen der Schutz der Verbraucher vor Täuschung. Auch dieser ist sicherlich bedeutend, aber nicht als so „überragend wichtig“ einzustufen wie der Schutz vor Gesundheitsgefahren. Zum anderen wäre es verfassungsrechtlich unhaltbar, die unbedingte Durchsetzung eines Gemeinschaftsguts zu postulieren. Eine Abwägungsfestigkeit trotz unstreitig entgegenstehender verfassungsrechtlich garantierter Rechte ist in der deutschen Rechtsordnung der unantastbaren Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG vorbehalten. In allen anderen Fällen hat das befasste Gericht dem Rechtsstaatsprinzip folgend zwingend zu prüfen, ob der geplante behördliche Eingriff im Verhältnis zum verfolgten Ziel geeignet, erforderlich und angemessen, also verhältnismäßig ist. Hieran dürfte es in den meisten Konstellationen allerdings fehlen: Der Schaden, der durch die Veröffentlichung einer behördlichen Warnung gegen ein Lebensmittelunternehmen im Internet entsteht, ist enorm. Aufgrund der Funktionsweise von Suchmaschinen wie Google dürfte in vielen Fällen bei einer Anfrage nach dem Namen eines Unternehmens eine offizielle Behördenseite mit einer aktuellen Verbraucherinformation weit oben unter den ersten zehn Treffern auftauchen. Angesichts der zunehmenden Tendenz der
Verbraucher, sich vor einem Restaurantbesuch – ähnlich wie bei Hotelbuchungen – Informationen zur Lokalität im Internet zu besorgen und Rezensionen anderer Besucher zu lesen, kann die prominente Anzeige eines Hygieneverstoßes sich ruinös auswirken. Der VGH Mannheim stellte hierzu richtig fest, dass Verwaltungshandeln durch Information irreversibel ist und eine Verbraucherinformation zu – angeblichen – Rechtsverstößen eines Unternehmens für dieses existenzgefährdend, gar existenzvernichtend sein kann (VGH, Urteil 13.09.2010, Az. 10 S 2/10, NVwZ 2011, 443 und 2.3.2010, 9 S 171/09). Wenn wir uns zudem vergegenwärtigen, dass insbesondere große Restaurantketten, wie McDonald’s oder Burger King, mit einem FranchiseSystem arbeiten, kann die Veröffentlichung einer behördlichen Warnung zur deutschlandweiten Diskreditierung einer Marke führen und auch diejenigen Unternehmer massiv nachteilig betreffen, die keinerlei Verantwortung für etwaige Verstöße von Kollegen anderer Filialen trifft. Unter diesem Gesichtspunkt genügt es zur Rechtfertigung keineswegs, dass es – so das Verwaltungsgericht Oldenburg in einem Obiter Dictum – „hinreichend wahrscheinlich“ sei, dass „die Unternehmen sich strikter als bisher an den lebensmittelrechtlichen Anforderungen in hygienischer Hinsicht u. a. ausrichten“ würden. Eine solche generalpräventive Erwägung, die empirisch nicht belegt ist, mag zwar legitim sein, dürfte aber angesichts der gewichtigen Gegenrechte der Unternehmen regelmäßig spätestens auf der Ebene der Angemessenheitsprüfung zurücktreten. Dies gilt insbesondere in der Vielzahl der Fälle, in denen die Hygienemängel zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits unstreitig behoben sind, was meist der Fall sein wird, sind Mängel an der Hygiene doch eher lediglich zeitlich punktuelle. Noch weniger Gewicht kann der vom VG Regensburg angeführten Erwägung zukommen, es gebe ein abstraktes öffentliches Informationsbedürfnis und der Gesetzgeber habe den Willen, behördliches Handeln transparent zu machen. Auf der Ebene des Grundgesetzes steht den Grundrechten der Daten- und Informationsinhaber (vornehmlich das Persönlichkeitsrecht des Unternehmers aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG; daneben gibt es auch ein Unternehmenspersönlichkeitsrecht, vgl. BGH NJW 2008, 21102112) allenfalls eine unter sehr engen Voraussetzungen eingreifende Schutzpflicht des Staates für Leib und Leben von Menschen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, aber kein verfassungsrechtlich verbürgtes Informationsrecht von Verbrauchern oder eine objektive verfassungsrechtliche Informationspflicht des Staates – mithin kein gleichrangiges, verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut – gegenüber (Pache/Meyer, in: Meyer/Streinz, Kommentar, § 40 LFGB Rdnr. 25). Würde in der Transparenz ein Wert an sich gesehen, dürfte dieser jedenfalls in der Abwägung mit Grundrechten nicht sonderlich schwer wiegen. Dabei ist sich stets vor Augen zu halten, dass in den Fällen des § 40 Abs. 1a LFGB keine Gesundheitsgefährdung der Verbraucher in Rede steht.
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» 2.2 Fehlende Regelung des Veröffentlichungszeitraums Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten irritierend ist die Ansicht sowohl des VG Regensburg als auch des VG Oldenburg, das unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots bedenkliche Fehlen einer gesetzlichen Frist für die Dauer einer Veröffentlichung einer Warnung sei deshalb gerechtfertigt, weil es schwierig wäre, hierfür starre Fristen festzulegen. Beide Gerichte stellen sich auf den Standpunkt, es könne von Fall zu Fall verschieden lang dauern, bis ein Ordnungswidrigkeitenverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei und mithin feststehe, ob der in der Veröffentlichung genannte Verstoß tatsächlich vorliege. Damit räumen die Gerichte zum einen ein, dass es ohne Weiteres zu Fällen kommen kann, in denen – ohne dass dies aus Gründen des Gesundheits- oder Täuschungsschutzes unerlässlich wäre – über Monate eine falsche Anprangerung im Internet kursiert. Zum anderen führt die Begründung der Gerichte zu dem rechtsstaatlich unhaltbaren Ergebnis, dass es von der Ergreifung eines Rechtsbehelfs durch den Betroffenen abhängen würde, wie lange eine Behörde eine Veröffentlichung aufrechterhalten könnte. Konsequent zu Ende gedacht, würde dies bedeuten, dass gerade in den Fällen, in denen die Tatsachenbasis für die behördliche Warnung umstritten ist und das betroffene Unternehmen – evtl. über mehrere Instanzen – den Rechtsweg bestreitet, die Anprangerung zeitlich am weitesten ausgedehnt werden könnte. Dies würde einen eklatanten Verstoß gegen Art. 19 IV GG darstellen. Wirksame Abhilfe kann nicht dadurch geschaffen werden, dass die jeweils handelnde Behörde autonom eine Frist für die Dauer der Veröffentlichung setzt. Zum einen ist hier der Willkür Tür und Tor geöffnet, wie sich schon daraus ableiten lässt, dass das VG Regensburg in seinem Fall sechs Monate, das VG Oldenburg jedoch sogar das Doppelte – zwölf Monate – akzeptiert hat. Zum anderen ist nicht ersichtlich, in welcher Rechtsform die Befristung erfolgt und wie hieraus eine verlässliche, justiziable Einschränkung der Veröffentlichungsdauer folgen soll. Wie beide Gerichte in ihren Zulässigkeitsprüfungen zutreffend festgestellt haben, handelt es sich bei den Veröffentlichungen im Internet nicht um Verwaltungsakte, denen die Befristung als auflösende Bedingung oder zumindest als begünstigende Nebenbestimmung beigefügt werden kann. Für eine rechtsstaatlich hinreichende Konkretisierung der Norm auf der Anwendungsebene, die den abstrakten Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebots heilen könnte, genügt die bloße Ankündigung eines bestimmten Veröffentlichungszeitraums durch die handelnde Behörde jedenfalls nicht. 2.3 Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht Schließlich ist auch die Einschätzung aller bisher mit der Frage befassten Gerichte im Hinblick auf die Vereinbarkeit des § 40 Abs. 1a LFGB mit dem Unionsrecht zurückzuweisen. Sowohl das VG München (Beschluss vom 13. September 2012, LMRR 2012, 59) als auch die beiden oben erwähnten Entscheidungen des VG Regensburg und des VG
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Oldenburg begnügen sich mit der wörtlichen Wiedergabe der Ansicht von Boch, Kommentar zum LFBG, in: Das Deutsche Bundesrecht, Loseblatt, Mai 2012, Nr. IV K 7, § 40 LFGB Rn. 7. Diese stützt sich im Wesentlichen darauf, dass die BasisVO 178/2002 nicht als Instrument der Vollharmonisierung konzipiert sei und lediglich Mindeststandards für die Informationstätigkeit der nationalen Behörden festlegen solle. Diese Aussage ist in ihrer Pauschalität falsch. Vielmehr stehen dieser mannigfaltige Gesichtspunkte entgegen (dazu ausführlich Michl/Meyer, ZLR 2012, 557, 558 ff. m. w. N.). Von diesen ist insbesondere hervorzuheben, dass es sich bei der BasisVO um einen Hybridrechtsakt handelt, der in einigen Teilen tatsächlich lediglich eine Teilharmonisierung vorsieht und den Mitgliedstaaten den Erlass ergänzender Regelungen überlässt, in anderen hingegen alle relevanten Gesichtspunkte selbst regelt und dem nationalen Gesetzgeber lediglich gestattet, den Inhalt der unionsrechtlichen Vorgaben im Rahmen eines einheitlichen nationalen Gesetzeswerks zu replizieren (näher Michl/Meyer, ZLR 2012, 557, 559). Für eine Konzeption des Art. 10 BasisVO als Vollharmonisierung spricht insbesondere die Entstehungsgeschichte der Norm, die im laufenden Gesetzgebungsverfahren bewusst dem sog. „horizontalen Gesamtrahmen“ nach Art. 4 Abs. 2 BasisVO unterstellt wurde. Dieser wurde wiederum bewusst so eingeengt, dass Ausgestaltungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten nur unter den Bedingungen des Art. 4 Abs. 3 und 4 BasisVO erfolgen können (ausführlich Michl/Meyer, ZLR 2012, 557, 561 f.). Diese sind im Falle des § 40 Abs. 1a LFGB jedoch nicht erfüllt. Zum anderen ist auch auf das Telos des Art. 10 BasisVO hinzuweisen, der insbesondere aus den Erwägungsgründen der Verordnung abzulesen ist. Die ebenfalls erst im Zuge der Beschlussfassung im Rat eingefügten Erwägungsgründe 4 und 5 der BasisVO zeugen davon, dass es dem Unionsgesetzgeber gerade darauf ankam, sämtliche Abwägungsentscheidungen aus dem Anwendungsbereich des Primärrechts herauszunehmen, „um eine gemeinsame Grundlage für Maßnahmen des Lebensmittel- und Futtermittelsektors zu schaffen, die in den Mitgliedstaaten und auf Gemeinschaftsebene [jetzt: Unionsebene] erlassen werden“ (Egr. 5) (Michl/Meyer, ZLR 2012, 557, 562). Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Ansicht von Schoch zu entkräften, eine Sperrwirkung des Art. 10 BasisVO scheitere daran, dass die BasisVO u.a. ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 4 lit. b EGV (jetzt Art. 168 Abs. 4 lit. b AEUV), eine Bestimmung zum Gesundheitswesen, und gerade nicht auf Art. 153 EGV (jetzt Art. 169 AEUV) gestützt sei (Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1503). Hinter dem „u. a.“ verbirgt sich nämlich auch Art. 95 EGV (jetzt: Art. 114 AEUV), der gerade die in den Erwägungsgründen 4 und 5 angesprochene Harmonisierung der anderenfalls nur in Einzelfallentscheidungen zu Art. 34 ff. AEUV zu bewältigenden Abwägungen zwischen der Warenverkehrsfreiheit und den zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls nach der Cassis-Formel, von denen der Verbraucherschutz der prominenteste ist, in die Kompetenz des Unionsgesetzgebers stellt.
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Dass es sich hierbei sogar um einen klassischen Anwendungsfall der Binnenmarktharmonisierungsklausel handelt, zeigt insbesondere die Verpflichtung des Unionsgesetzgebers auf ein hohes Verbraucherschutzniveau in Art. 95 Abs. 3 (jetzt Art. 114 Abs. 3 AEUV).
3. Handlungsoptionen der Gerichte Angesichts der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht muss im Ergebnis klar sein, dass der Klage eines betroffenen Lebensmittelunternehmers bzw. einem entsprechenden Antrag gem. § 123 VwGO im Regelfall stattzugeben sein wird. Angesichts des zwingenden Charakters des § 40 Abs. 1a LFGB lässt sich dieses Ergebnis nicht durch eine Ermessensreduzierung auf null zuungunsten der Veröffentlichung auf Rechtsfolgenseite erreichen. Eine dogmatisch elegante Lösung findet sich in Beschlüssen der Verwaltungsgerichte Karlsruhe (7.11.2012, Az. 2 K 2430/12; bestätigt VGH Mannheim, 28.1.2013, Az.: 9 S 2423/12), Regensburg (23.10.2012, Az. RO 5 E 12.1580), Berlin (28.11.2012, Az. 14 K 79.11), Trier (29.11.2012, Az. 1 L 1339/12.TR), Stuttgart (11.12.2012, Az. 4 K 3720/12) und Würzburg (12.12.2012, Az. W 6 E 12.994), die jeweils einem Antrag auf einstweilige Anordnung stattgaben. Die Gerichte legten dabei den Tatbestand des § 40 Abs. 1a LFGB eng aus. Nicht ein abstrakter Gesetzesverstoß, sondern die Information über ein Lebensmittel als Objekt des Verstoßes soll Gegenstand der Veröffentlichung sein, um dem Verbraucher in seiner Konsumentscheidung betreffend bestimmte Lebensmittel eine verbesserte Entscheidungsbasis zur Verfügung zu stellen. § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB berechtigt die Behörden daher nicht zur Information über allgemeine Hygienemängel, etwa die Betriebshygiene oder Reinigungsmängel, denn Ausgangspunkt und zentrales Bezugselement der Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a ist das betroffene Lebensmittel (VG Würzburg unter Bezugnahme auf Kühne/Preuß, § 40 Abs. 1a LFGB – Augen zu und durch? ZLR 2012, 284, 304). Für die verpflichtende Nennung des Lebensmittels spricht schon der ausdrückliche Wortlaut von § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB, wonach die zuständige Behörde die Öffentlichkeit „unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels“ informiert. Nicht rechtlichen Vorgaben entsprechen nach Auffassung des VG Würzburg die auf der Internetseite des Bayerischen
Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit veröffentlichten Hinweise, wonach der Name des Produkts nur gegebenenfalls anzugeben ist. Schon hierüber lassen sich die meisten Fälle ausscheiden. Das VG Stuttgart verlangte darüber hinaus auch, dass ein hygienisch bedenkliches Lebensmittel in den Verkehr gelangt sein müsse. Darüber hinaus wies es in einem Obiter Dictum zutreffend darauf hin, dass das Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit nach dem Wortlaut der Norm kumulativ neben eine Bußgelderwartung von mehr als 350 € treten müsse. Dies sei so zu verstehen, dass insbesondere die unverzügliche Behebung eines festgestellten Mangels der Erheblichkeit entgegenstünde. Es ist damit vorgezeichnet, dass insbesondere das Ergebnis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes im oben dargelegten Rahmen dazu führen kann, dass etliche Verstöße als nicht erheblich im Rechtssinne einzustufen sind. Es handelt sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist. Soweit im Einzelfall eine tatbestandliche Einschränkung methodisch unvertretbar erscheint, kann sich jedes Gericht seiner Bindung an § 40 Abs. 1a LFGB (Art. 20 Abs. 3, 97 GG) dadurch entledigen, dass es gem. Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des EuGH zur Verifizierung der Sperrwirkung des Art. 10 BasisVO einholt, die dann eine Verdrängung des § 40 Abs. 1a LFGB kraft des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs nach sich zieht. Leitfall hierzu die Vorlage des LG München I, 5. 12. 2011, 15 O 9353/09, abgedruckt in LMuR 2012, 32 (mit ausführlicher Rezension von Michl/Meyer, ZLR 2012, 557). Sollte der EuGH wider Erwarten eine Sperrwirkung des Art. 10 BasisVO ausschließen, könnte das Gericht den Rechtsstreit unter Hinweis auf die dann entscheidungserheblichen (zum Vorrang der unionsrechtlichen Klärung im Kontext von Harmonisierungsmaßnahmen BVerfG NJW 2012, 45) Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Befugnisgrundlage im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens gem. Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zum Zwecke der Nichtigerklärung des § 40 Abs. 1a LFGB vorlegen. Bis dahin sind die Gerichte befugt und zur Wahrung des Rechts auch dazu verpflichtet, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes durch eine Regelungsanordnung den Vollzug des § 40 Abs. 1a LFGB auszusetzen.
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