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Veröffentlichung schon bei bloßem Verdacht? Walther Michl LL.M., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ludwig-Maximilians-Universität München, Lehrstuhl Öffentliches Recht und Europarecht Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, meyer.rechtsanwälte München
Die rechtswidrige Ausweitung staatlicher Informationsbefugnisse durch LFGB un onsregimen ausgesetzt: seit 2005 der Einzelregelung des § 40 LFGB und seit 2007 dem Verbraucherinformationsgesetz (kurz: VIG). Beide waren von Anfang an rechtsstaatlich höchst bedenklich und werden mit Wirkung zum 1.September 2012 nun sogar weiter verschärft.
Unvereinbarkeit des § 40 LFGB mit höherrangigem Recht
Medien frohlocken schon; die Süddeutsche unkte, dass »schwarze Schafe in der Lebensmittelbranche künftig schneller bekannt« würden. Während Lebensmittelunternehmen nach der ursprünglichen Konzeption des Art. 10 der LebensmittelBasisverordnung (EG) Nr. 178/2002 (kurz: BasisVO) nur dann behördliche Mitteilungen über ihre Produkte an die Öffentlichkeit dulden mussten, wenn ein Lebensmittel ein Risiko für die Gesundheit mit sich bringen konnte, sehen sie sich seit einiger Zeit zwei weiteren staatlichen Informati-
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Schon die bisherige Fassung des § 40 LFGB hält einer Überprüfung am Maßstab höherrangigen Rechts nicht stand. Die Regelung enthält zwei besonders kritische Erweiterungen gegenüber der unionsrechtlichen Informationsbefugnis vor Gesundheitsgefahren: § 40 Abs. 1 S. 2 gibt den Behörden auch für Fallgruppen des bloßen Täuschungsschutzes eine Informationsbefugnis, insbesondere bei einem erheblichen Ausmaß an Verstößen gegen § 11 LFGB (Nr. 2 lit. b) und bei Verdacht, dass ein zwar nicht gesundheitsschädliches, aber zum Verzehr ungeeignetes Lebensmittel in nicht unerheblicher Menge oder über einen längeren Zeitraum in den Verkehr gelangt ist (Nr. 4).
Ab 1. September 2012 statuiert § 40 Abs. 1a LFGB darüber hinaus die dem behördlichen Ermessen entzogene Rechtspflicht, die Öffentlichkeit unabhängig vom Bestehen einer Gesundheitsgefahr unter Nennung von Produkt- und Firmennamen zu informieren, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen bestimmter Inhaltsstoffe überschritten wurden oder Verstöße gegen Täuschungsschutz- oder Hygienevorschriften vorliegen, die ein Bußgeld von mindestens 350 EUR erwarten lassen. Wie die Entstehungsgeschichte, der erkennbare Gesetzeszweck und der Regelungszusammenhang der Informationsbefugnis aus Art. 10 BasisVO zeigen, hat die Europäische Union mit ihrer strikt auf Gesundheitsgefahren begrenzten Regelung jedoch eine Vollharmonisierung geschaffen, die eine Erweiterung der behördlichen Eingriffsbefugnisse über das unionsrechtlich vorgesehene Maß hinaus ausschließt. Des Weiteren ist § 40 LFGB, soweit er über die Vorgaben des Art. 10 BasisVO hinausgeht, auch unter grundrechtlichen Gesichtspunkten höchst bedenklich: Die Lebensmittelunternehmen genießen einen Schutz aus ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht gem. Art. 7 der europäischen Grundrechtecharta bzw. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes. Dem steht jedoch unterhalb der Schwelle der Gefahr für Leib und Leben von Menschen regelmäßig kein gleichwertiges grundrechtlich geschütztes Rechtsgut gegenüber, sodass eine Abwägung im
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Rahmen der sowohl unionsrechtlich als auch grundgesetzlich erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung regelmäßig zugunsten der Unternehmen ausfallen dürfte. Daher sind im Wege unionsrechts- und verfassungskonformer Auslegung § 40 Abs. 1 S. 3 und § 40 Abs. 2 LFGB als Einfallstore für das höherrangige Recht heranzuziehen, die einer staatlichen Informationstätigkeit außerhalb des Bereichs von Gesundheitsgefahren entgegenstehen. Sollte dies im Einzelfall, insbesondere bei einer angedachten Anwendung des § 40 Abs. 1a LFGB einmal nicht möglich sein, greift der Anwendungsvorrang des EURechts und sperrt die Heranziehung des § 40 LFGB, soweit er über die Vorgaben des Art. 10 BasisVO hinausgeht.
nommenen) Informationen, die einer Behörde im Zusammenhang mit der Verfolgung mutmaßlicher Abweichungen von Anforderungen des Lebensmittelrechts über ein Unternehmen vorliegen, verschafft. Unter dem alten VIG gab es noch einen Streit darüber, wann man von einem Verstoß gegen das Lebensmittelrecht sprechen konnte, bezüglich dessen die Öffentlichkeit ein Auskunftsrecht hat. So konnte mit guten Argumenten die Meinung vertreten werden, hierfür sei die Ahndung in einem Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren erforderlich. Dann hätte die zitierte Ausnahmevorschrift automatisch immer gegriffen. Eine weitere einschränkende Ansicht forderte jedenfalls den Erlass eines Verwaltungsakts mit entsprechenden Beanstandungen. Nach der neuen ab 1. September 2012 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VIG muss die zuständige Behörde eine nicht zulässige Abweichung von Anforderungen des Lebensmittelrechts lediglich im naturwissenschaftlich-analytischen Sinne festgestellt haben, ausdrücklich ohne dass ein vorwerfbares Verhalten vorliegen müsste (Bundestagsdrucksache 17/7374, S. 15). In Zusammenschau mit § 3 S. 1 lit. b Hs. 2 VIG n.F. bedeutet dies, dass jeder vor dem förmlichen Abschluss der behördlichen Willensbildung über mögliche Maßnahmen Informationen aus den Akten samt Hinweis auf das Verfahren erhalten und verbreiten kann. Unabhängig vom tatsächlichen Ausgang des Verfahrens führt die öffentliche Diskussion darüber oft bereits zu einer irreparablen Rufschädigung. Umso unver-
ständlicher ist es, dass es nicht einmal einen gesetzlichen Ansatzpunkt für die Vornahme einer Güter- und Interessenabwägung gibt, obwohl das Unternehmenspersönlichkeitsrecht das bloße Informationsinteresse Dritter klar überwiegt. Darüber hinaus sind Informationen im Zusammenhang mit Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Vorschriften nach § 3 S. 5 VIG n.F. von der Ausnahmeklausel des § 3 S. 1 Nr. 2 lit. c VIG n.F. ausgenommen, denen zufolge kein Anspruch auf Auskunft über Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sowie ihnen gleich zu achtende wettbewerbsrelevante Informationen besteht. Dies bedeutet, dass bei Anfragen im Bereich des LFGB-Vollzugs Betriebsoder Geschäftsgeheimnisse gesetzlich keinen Schutz genießen, obwohl diesen in der Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungs- als auch des Bundesverwaltungsgerichts einen hohen Stellenwert unter dem Mantel des Art. 12 GG zukommt. Flankiert wird diese Reihe bedenklicher Regelungen von § 6 VIG n.F., der die Behörde in Abs. 3 S. 1 außerhalb des Bereichs personenbezogener Daten von der Pflicht entbindet, die Richtigkeit der herausgegebenen Information zu prüfen, und damit eine Haftungsfreistellung für etwaige Amtshaftungsfälle bewirkt.
Ausblick Während die Regelung des § 40 LFGB derzeit Gegenstand eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof ist (Vorlage des LG München I, Beschluss 5.12.2011 – 15 O 9353/09) und wohl im Ergebnis fallen wird, harrt das VIG noch der höchstrichterlichen Überprüfung. Hier wird sich eines Tages das Bundesverfassungsgericht einmal mehr als Reparaturbetrieb des Gesetzgebers betätigen müssen.
Rechtswidrige Regelungen im VIG Dasselbe gilt, soweit die Behörden auch nach § 6 Abs. 1 S. 3 VIG neuer Fassung von Amts wegen Informationen verbreiten dürfen, die das nach Art. 10 BasisVO zulässige Maß überschreiten. Die eigentliche Besonderheit des VIG ist jedoch, dass es in seinem § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 n.F. dem Einzelnen einen Anspruch auf Auskunft über fast alle (d.h. alle nicht in § 3 VIG n.F. ausdrücklich ausge-
Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, meyer.rechtsanwälte, München, Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständerecht mit all seinen Facetten wie Produktentwicklung, Kennzeichnung und Health Claims, Risk Assessment und Krisenmanagement sowie Lobbyarbeit auf nationaler und europäischer Ebene. Honorarprofessur an der TU München.
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