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MFG EDITORIAL
WIR SIND FINANZMINISTER von Johannes Reichl
Die Bestellung Hans Jörg Schellings zum Finanzminister löste in St. Pölten eine regelrechte Schellingmania aus und sorgte für Rauschen im Blätterwald. Die NÖN etwa titelten „St. Pölten stellt Finanzminister“, also doch nicht, wie bislang angenommen, die ÖVP. Die Bezirksblätter wiederum jubelten über „Unser Mann im Finanzministerium“, was ebenfalls überraschte, war Schellings journalistische Tätigkeit doch bis dato unbekannt. Und eines fragt man sich schon: Warum zum Teufel brauchen die Bezirksblätter einen eigenen Mann im Finanzministerium? Am Allerbuntesten aber trieb es MFG, das aus reiner Gagsucht den berühmten Schelling-Schnauzer einfach aufs Cover knallte und seine Leser im Blattinneren vergeblich auf die Suche nach einer dazu passenden Story schickte – es gibt sie nicht! Die Euphorie ist aber verständlich. Immerhin ist Schelling der erste St. Pöltner seit Julius Raab dem Ministerehren zuteil werden, ganz eingedenk des Raabschen, lyrisch äußerst formschönen Bonmots „Willst was gelten, kommst aus St. Pölten.“ Wobei es Schelling ja eigentlich in „Willst was gelten, kommst nach St. Pölten“ abgewandelt hat, ist „unser“ St. Pöltner doch Vorarlberger. Dafür aber auch der beliebteste, v. a. bei den Parteikollegen. Eine VP-Stadträtin etwa gurrte: „Ich bin durch ihn in die Politik gekommen“, und Vizebürgermeister Matthias Adl stellte fest: „Schelling kennt als ehemaliger Stadtrat in St. Pölten die Arbeit an der Basis der Volkspartei.“ Das zur Genüge – 2004 wurde er von seiner eigenen Partei ausgebremst. Nicht zuletzt deshalb ist des Bürgermeisters Lob jedenfalls aufrichtig, denn Stadler war damals heilfroh, dass ihm die ÖVP dankenswerterweise in einem Husarenstück weitsichtiger Oppositionspolitik den größten und einzig ernstzunehmenden Herausforderer aus dem Weg räumte, und sich Schelling daraufhin aus der aktiven Kommunalpolitik zurückzog. Wen wundert‘s also, dass sich der Bürgermeister nun ärgerte, dass der nächstjährige Hauptstadtwein schon vergeben ist, wo die historischen Umwälzungen doch geradezu erfordert hätten, die edlen Tropfen vom Stiftsgut Herzogenburg
zu nehmen, die Schelling keltert. Um den Fauxpas zu beheben, wurde umgehend eine Taskforce im Magistrat unter dem Kürzel „HSW16/Schelling“ eingerichtet, die bereits eifrig an passenden Namen für den Rebensaft bastelt. Die Palette reicht aktuell von „Schnauzer“ über „Gsiberger“ bis zu „Unsriger“. Vom historisch negativ behafteten „HJ“ hat man ebenso Abstand genommen wie von der Sommerweinhommage „Griechischer Wein“ – die finanzielle Reputation des Mittelmeerstaates scheint mit einem österreichischen Finanzminister inkompatibel. Weiters ist angedacht, der gesamten Familie Putz, die unter Schellings Ägide als Lutz-Chef erfunden wurde, die Ehrenbürgerschaft zu verleihen sowie den ehemaligen Lutz-Slogan „Oiso i find des supa“ als neuen Hauptstadt-Claim einzuführen. Unübersehbar wirkt der Schelling-Effekt aber auch schon auf Ministerebene, sehr zum Vorteil der Landeshauptstadt. So ließ der logischerweise vom Gesundheits- zum Infrastrukturminister avancierte Alois Stöger (die Materien sind praktisch ident) im Standard-Interview mit der Verkehrsforderung aufhorchen „Wenn wir St. Pölten – New York mit nur einmal umsteigen schaffen, dann ist das eine attraktive Perspektive.“ Auf die ungläubige Nachfrage wiederholte er: „St. Pölten – New York, das ist eine schöne Sache. Ich bin überzeugt, wir schaffen das.“ Weniger schön soll dafür der Landeshauptmann Schellings Bestellung aufgenommen haben, besteht nun doch die berechtigte Gefahr, dass die beliebten Pröll-Merchandise-Artikel, wie z.B. die berühmte Pröllhaube zu Ladenhütern verkommen, weil alle nur mehr Schelling-Schnauzer wollen. Conchita Wurst soll deshalb sogar einen Nervenzusammenbruch erlitten haben, weil ihr Rang als berühmteste(r) Bartträger(in) der Nation nunmehr ernstlich in Gefahr ist. Das Trauma arbeitet sie in ihrem neuen Song „Fall Like A Phönix“ auf. Last but not least gibt es natürlich auch schon die ersten Trittbrettfahrer: So sehen sich die Euroskeptiker jetzt wieder stark im Aufwind. „Wir haben schon immer gesagt, dass der harte Schelling wieder eingeführt gehört!“
Offenlegung nach §25 Medien-Gesetz: Medieninhaber (Verleger): NXP Veranstaltungsbetriebs GmbH, MFG - Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten. Unternehmensgegenstand: Freizeitwirtschaft, Tourismus, und Veranstaltungen. Herausgeber/Geschäftsführer: Bernard und René Voak. Grundlegende Blattlinie: Das fast unabhängige Magazin zur Förderung der Urbankultur in Niederösterreich. Redaktionsanschrift: MFG – Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten; Telefon: 02742/71400-330, Fax: 02742/71400-305; Internet: www.dasmfg.at, Email: office@dasmfg.at Chefredakteur: Johannes Reichl Chefredakteur-Stv.: Michael Müllner Chef vom Dienst: Anne-Sophie Settele Redaktionsteam: Katja Billensteiner, Thomas Fröhlich, Gotthard Gansch, Sascha Harold, Siegrid Mayer, Michael Müllner, Michael Reibnagel, Andreas Reichebner, Thomas Schöpf, Anne-Sophie Settele, Beate Steiner Kolumnisten: Herbert Binder, Thomas Fröhlich, Michael Müllner, Primadonna, Roul Starka, Beate Steiner Kritiker: Helmuth Fahrngruber, Thomas Fröhlich, Wolfgang Hintermeier, David Meixner, Felicitas Nouschak, Manuel Pernsteiner, Johannes Reichl, Robert Stefan, Markus Waldbauer, Mr. Ship Karikatur: Andreas Reichebner Bildredaktion: Simon Höllerschmid, Hermann Rauschmayr Coverfoto: Andreas Reichebner Art Director & Layout: Mr. Shitakii Hersteller: NÖ Pressehaus Druck- und Verlagsgesellschaft mbH Herstellungs- und Verlagsort: St. Pölten Verlagspostamt: 3100 St. Pölten, P.b.b. Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2. Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Für den Inhalt bezahlter Beiträge ist der Medieninhaber nicht verantwortlich.
INHALT
Urban 6
KULTUR 48
SZENE 64
SPORT 74
URBAN
8 Zu Gast in ST. Islam 12 DARK ROAD OF THE TOWN 18 PARK? PLATZ? PROBLEM? 22 STP MACHT MOBIL 26 über die Stränge geschlagen 28 WAS HÄNSCHEN NICHT LERNT ... 36 STARK FÜR DIE SCHWACHEN 38 UNSERE PARLAMENTARIER 42 Das deutsche Mädel kommt nach Hause
KULTUR 50 56 58 64
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SZENE 68
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SPORT 74
6 IN WAS FÜR EINER STADT 7 SHORTCUTS URBAN 48 SHORTCUTS KULTUR 66 SHORTCUTS SZENE 76 KRITIKEN 77 VERANSTALTUNGEN
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Sa, 22. 11.
Tischlerei Melk Kulturwerkstatt
DIE WOHL SYMPATHISCHSTE BAND FAMILIE LÄSSIG
Sa, 29. 11.
Kellerschlössel Dürnstein
AMERIKA PHILIPP HOCHMAIR
So, 30. 11.
Minoritenkirche Krems-Stein
DIE GESCHICHTE EINES FREMDEN UDO SAMEL & MARTIN PTAK
So, 02. 11.
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In der das Magistrat noch nicht einmal seine Aussendung zur „Kommunikationsoffensive“-Pressekonferenz ausgeschickt hatte (in der es um den neuen online-Auftritt des St. Pölten konkret, öffentliches w-lan und einen online-Eventkalender ging), und schon vorher eine Replik der ÖVP St. Pölten darauf eintrudelte, welche ätzte: „Offenbar wollte man bereits bestehenden Angeboten einen neuen Anstrich verpassen und sich der Bürgermeister feiern lassen.“ Damit hatte man natürlich absolut recht, denn die im Anschluss an die Frohe Botschaft spontan durchgeführten Autokorsos mit glücklichen, Stadlerfahnen schwingenden Bürgern, die lauthals „konkret – konkret“ und „Vivat Stadler“ skandierten, waren ebenso wenig zu übersehen, wie der Streitwagen, auf dem das Stadtoberhaupt rund um den abgesperrten Europaplatz fuhr, um die Ovationen des enthusiasmierten Volkes entgegenzunehmen. Der Bürgermeister versteht halt, auf welch unglaublich publikums- und medienwirksame Themen er setzen muss – die ÖVP auch?
Open House
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19./20.09. 20
Premieren Auswahl
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Joseph Roth Radetzkymarsch und Die Rebellion REGIE: Philipp Hauß ab 3. 10. 2014 ........................................................................................................... Ödön von Horváth Geschichten aus dem Wiener Wald REGIE: Birgit Doll ab 11. 10. 2014 Eine Koproduktion mit der Bühne Baden ........................................................................................................... Gotthold Ephraim Lessing Minna von Barnhelm REGIE: Katrin Plötner ab 5. 12. 2014 ........................................................................................................... Bernd Liepold-Mosser Traummaschine. Freud-Projekt Uraufführung REGIE: Bernd Liepold-Mosser ab 17. 1. 2015 ........................................................................................................... Jean-Paul Sartre Die schmutzigen Hände REGIE: Maaike van Langen ab 23. 1. 2015 ...........................................................................................................
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In der Volksanwälte auf irritierende Weise ihres Amtes walten. So präsentierte Volksanwalt Peter Fichtenbauer bei einer Pressekonferenz zahlreiche angeblich aktuelle Fotos von Müllbergen beim Frequency 2014 und erregte sich darüber, dass viel zu wenige Sanitäranlagen und Mistkübel für die Menschenmassen bereitstünden: „Dagegen muss etwas unternommen werden.“ Den Einwurf einer Journalistin, dass die vorgelegten bunten Fotos alt und altbekannt seien und der Müll längst auf der Deponie gelandet sei, ließ Fichtenbauer nicht gelten. Er habe Bilder und Information von einer Anrainerin des Festivalgeländes erhalten. Vor Ort selbst überzeugt hat sich der Anwalt des Volkes allerdings nicht, und er hat offensichtlich auch nicht andere Stimmen, Betrachtungen, Meinungen eingeholt oder sich über das aktuelle System informiert. Seltsam. Denn als Jurist sollte ihm ein noch immer gültiger Satz aus dem römischen Recht geläufig sein: „Audiatur altera pars.“ Und Volk kommt noch immer von populus und nicht populismus.
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Tim Price Die Radikalisierung Bradley Mannings Österreichische Erstaufführung REGIE: Daniela Kranz ab 28. 2. 2015 Eine Koproduktion mit den Vereinigten Bühnen Bozen ........................................................................................................ Anna Jablonskaja Familienszenen Deutschsprachige Erstaufführung REGIE: Sarantos Zervoulakos ab 14. 3. 2015 ........................................................................................................ Maxim Gorkij Sommergäste REGIE: Cilli Drexel ab 24. 4. 2015 ........................................................................................................ Gastspiele, Lesungen, Blätterwirbel 2014, Bürgertheater, Kindertheater, Klassenzimmertheater und vieles mehr…
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In der Samir Kesetovic den Schlager „Ob blond ob braun, ich liebe alle Frauen“ aufs politische Parkett überführt hat. Taucht er doch immer wieder mit einer neuen politischen Geliebten am Arm auf. Sind es ursprünglich die Grünen, für die lange Zeit sein Herz schlug, so verblüffte der AK-Kammerrat bei den letzten St. Pöltner Gemeinderatswahlen mit seiner amour fou mit Claudia Tobias vom BZÖ, was den beiden den Namen „Twinni“ einbrachte. Und nun hat er sich eine ganz junge Begleitung in Pink geangelt: In Wilhelmsburg möchte er für die NEOS antreten. NEOS Regionalkoordinator Wolfgang Grabensteiner jubelt darob in den Bezirksblättern: „Samir ist Goldes wert“, weil sich bei den NEOS u. a. Leute finden, die sich nicht dafür interessieren, „welchen Posten sie als nächsten bekommen.“ Auch Kesetovic schimpft gerne auf die Sesselkleber – einen schnappen möchte er sich aber offensichtlich immer, egal in welcher Konstellation. Und so hört man dieser Tage ein neues Lied in Wilhelmsburg: „Ob pink, orange, ich bin überall zuhaus!“
Fotos: savoieleysse/Ingo Bartussek, arsdigital (alle Fotolia.com), zVg
In was für einer Stadt leben wir eigentlich...
SHORTCUT URBAN
Denksport
Hebi Das neue Schuljahr hat eben begonnen, da soll auch der treuen herangewachsenen MFG-Leserschaft intellektuelle Herausforderung angeboten werden.
PAUSCHAL-URLAUB
Fotos: savoieleysse/Ingo Bartussek, arsdigital (alle Fotolia.com), zVg
Endlich hat St. Pölten ein Incoming-Reisebüro, bei dem Interessierte eine Vielzahl an Tourismus-Packages direkt buchen können. Kurze Städtereisen liegen im Trend, der Komfort einer zentralen Buchung von Hotel samt Rundherum-Erlebnissen ist den Gästen ein Anliegen. So vereinen die Packages etwa Übernachtung mit Kulinarik und Kultur – und sollen in den nächsten Jahren helfen, trotz Wirtschaftskrise, das hohe Nächtigungsniveau zu halten. Auch wir St. Pöltner sollen Packages entdecken und zu Botschaftern werden – warum denn auch immer in die Ferne schweifen? 2014 dürfte ein schwieriges Jahr für den städtischen Tourismus werden: Zwar sind seit heuer beide 4-Stern-Häuser in der Hand der Hoteliers-Familie Mangold, die erwarteten Synergieeffekte werden aber erst greifen. Bis dahin fehlen wohl Einbuchungen der früheren Eigentümer, der Verkehrsbüro Group. Und St. Pölten als klar positionierte Destination im NÖ-Tourismus ist noch immer Wunschdenken, obwohl Bürgermeister Stadler die Richtung vorgibt: Messen, Seminare & Tagungen!
Candy wartet auf dich Woran erkennt man das zarte Sprießen von Urbanität? U. a. daran, dass Carsharing in St. Pölten Einzug gehalten hat. Stefan Melzer von Betreiber zipcar freut sich „über die bereits positive Resonanz. Es wird gut angenommen!“
V. a. der neue Standort am Bahnhofsplatz soll zur weiteren Bekanntheit beitragen. „Die Frequenz ist dort hoch, die Leute gehen vorbei und denken sich: ‚Moment, was ist das? Das könnte für mich auch interessant sein!‘“ Für jene, die nur selten fahrbaren Autountersatz benötigen, stimmt dies zu 100%, wobei das Modell einfach ist: Die Jahresmitgliedschaft kostet 60 Euro, abgerechnet wird nach Stunden (acht Euro/Stunde, Tagessatz 90), Versicherung, Benzin, Vignette inklusive. Aktuell hat man erst ein Auto im Einsatz, „aber wenn es gut anläuft, denken wir natürlich an einen Ausbau.“ Dieses (ein roter Mitsubishi Colt) hat dafür einen klingenden Namen: „Candy“. Infos unter www.carsharing.at
In der Folge daher zu Saisonbeginn ein paar regionalspezifische Denksportaufgaben. Ein wenig Anstrengung kann Ihnen nicht schaden, alsdann: Welche Baustelle dauerte länger: Jene der mittelalterlichen Dombauhütte zu St.Stephan in Wien, die Cheops-Pyramide zu Gizeh oder die laufende Generalsanierung des evangelischen Pfarrzentrums an der Promenade in St. Pölten? Was mag der Grund dafür sein, dass die St. Pöltner Opposition bisher noch immer nicht darauf reagiert hat, dass es ins neue „City Splash“ (vormals logopädisch etwas einfacher „Kaltbad“), dass es da im Verlauf der beiden letzten Monate immer wieder hinein geregnet hat? Sollte nun nach dem richtungweisenden, zeitgeistigen Newspeak bei selbigem städtischen Sommerbad nicht doch endlich auch die St. Pöltner Fernheizung in „Urban Teleheating“ umbenannt werden? Was ist leichter zu planen: Ein hauptstadtwürdiger Domplatz, der zusätzlich auch Parkplatz sein soll, oder ein künftiges Naherholungsgebiet im Süden der Stadt, auf dem auch ein Flugplatz in Betrieb sein wird? Und schließlich für politische Feinschmecker - was ist die größere Leistung: Beispielsweise als Harlander an Heinzl vorbei Kassier der St. Pöltner SPÖ zu werden oder als St. Pöltner an Pröll vorbei schwarzer Finanzminister der Republik Österreich?
MFG 09.14
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MFG URBAN
Zu Gast in ST. Islam Integration ist an sich ein komplexes Thema. Und seit neuerdings durchgeknallte Glaubensfanatiker von Österreich aus in den Heiligen Krieg ziehen, wird über politisch-radikalen Islam heißer diskutiert denn je. Rund acht Prozent der St. Pöltner Bevölkerung gehören zur muslimischen Glaubensgemeinschaft. Eine Bestandsaufnahme.
Ö
sterreichs Neutralität ging lange Jahre Hand in Hand mit einer konsequenten „Wurschtigkeit“. Ausländische Terror-Chefs blieben unbehelligt, so lange sie im Land nicht kriminell auffielen. Doch in den letzten Jahren ist die Welt komplizierter geworden, Grenzen bieten nicht mal mehr vermeintlichen Schutz. Und nach 9/11 erlebten auch europäische Metropolen wie London und Madrid die Verletzlichkeit öffentlicher Verkehrsmittel. Kein Wunder, dass es am Durchschnittsösterreicher nicht spurlos vorbeigeht, wenn junge Menschen die hiesigen Annehmlichkeiten gegen ein Leben als Gotteskrieger eintauschen. Junge Menschen, die jahrelang hier leben, zur Schule gehen und dann plötzlich radikal werden, ihre sieben Zwetschken packen und in den Heiligen Krieg ziehen? Unglaublich und dennoch berichtete der österreichische Verfassungsschutz im August von rund 130 Personen, die von Österreich aus in Kriegsgebiete gereist sind, um dort an religiös-motivierten Kriegen teilzunehmen. Doch wie kommt es dazu? Und wie ist die Lage in St. Pölten und Umgebung?
GASTGEBER. Und aufgeschlossene Gesprächspartner: „Was hattet ihr vor eurem Besuch erwartet, was wir hier so machen?“
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Keine Hinweise? Ernst Fürlinger leitet das „Zentrum für Religion und Globalisierung“ an der Donau-Universität Krems. Im August veröffentlichte er auf Basis empirischer Forschung ein Werk über die „Muslimische Vielfalt in Niederösterreich“. Dabei untersuchte er, wie sich die Muslime organisieren. „Der politische Islam manifestiert sich in St. Pölten – wie im übrigen Österreich auch – in Form sunnitischislamistischer Organisationen und Bewegungen primär mit türkischer Herkunft, die auch jeweils Moscheevereine aufbauen“, so Fürlinger. In St. Pölten dominiere die große Moschee des muslimischen Dachverbands „Islamische Föderation“. Fürlinger betont, wie wichtig es ist, diese etablierten Organisationen von den wirklichen Problemquellen zu unterscheiden. Gefahr gehe nämlich vielmehr von „den einzelnen Personen und Splittergruppen aus, die zu den radikalen, salafistischen Strömungen gehören und die an ihren rechten Rändern zur djihadistischen, gewaltbereiten Szene übergehen.“ Aber sind derartige Gruppierungen in St. Pölten auch aktiv? „Bei meiner Feldforschung bin ich auf keine Hinweise gestoßen, dass solche Kreise in St. Pölten existieren. Jedoch hat mich das Landeskriminalamt NÖ damals informiert, dass sich sehr wohl radikalisierte Personen im muslimischen Spektrum in Niederösterreich aufhalten. Im Unterschied zu Wien bilden diese Personen aber in Niederösterreich keine Gruppen oder Institutionen“, so der Experte. Eine weitere Expertin auf dem Gebiet ist die St. Pöltnerin Susanne Fuhs, Sozialarbeiterin bei „Nordrand
Mobile Jugendarbeit St. Pölten“. Ihr Team arbeitet mit Kindern, die meistens zwischen 13 und 15 Jahren alt sind. Wie der Name Streetwork vermuten lässt, treten die Sozialarbeiter dabei auf den Straßen mit den Kindern in Kontakt – und bauen so über die Zeit zu den Kindern eine Vertrauensbeziehung auf. „Wir gehen ein Stück des Weges miteinander, reden mit den Kids über ganz verschiedene Dinge. Im Laufe der Zeit entsteht dann eine Vertrauensbasis und sie rücken im Fall des Falles auch mit ernsten Anliegen raus“, beschreibt Fuhs ihre Arbeit. Bei den Mädchen handelt es sich meist um klassische Mädchen-Themen wie die erste Liebe oder Verhütung. Die Burschen thematisieren meistens das Männlichkeitsbild, wie muss ein Mann sein, welches Verhalten wird erwartet. „Da spielt die Religion gar nicht primär eine Rolle, es geht grundsätzlich um Werte, die werden von der Familie im Rahmen der Erziehung weitergegeben, quasi über die Religion ins Leben der Kinder weitergereicht“, so Fuhs. Nach Syrien gegangen? Die Arbeit mit den Kids läuft anonym, es ist ein großer Vertrauensbeweis, wenn sich Kinder mit Sorgen oder Problemen an die Sozialarbeiter wenden. Ob auch über radikalen Islam gesprochen wird? „Bei den Kids ist das kaum ein Thema, die kriegen das, wenn überhaupt, dann nur durch die Eltern mit, wenn eben über Politik gesprochen wird. Viele kennen zum Beispiel die Türkei nur als Land, wo man Urlaub macht und entfernte Verwandte trifft. Aber es kommt schon vor, dass Kinder andeuten, dass sie
TEXT: Michael MÜLLNER | Fotos: Hermann Rauschmayr, ZVG
ten darf. Es kann gut sein, dass ein Kind oder Jugendlicher mit solchen Andeutungen auch einfach nur unsere Reaktion austesten will.“ Laut Religionsexperten Ernst Fürlinger gebe es noch wenig empirische Forschung darüber, welche Faktoren bei der Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen tatsächlich eine Rolle spielen. Jedoch kenne er Untersuchungen aus denen hervorgeht, dass „speziell Jugendliche, die ohne religiöse Bildung – vor allem vom Elternhaus her – aufwachsen, in einem höheren Ausmaß für Radikalisierungsprozesse gefährdet sind. Ich interpretiere das so, dass das Vakuum religiöser Verwurzelung und religiösen Wissens leichter von einem sehr vereinfachten, ideologisierten islamischen Glaubenswissen gefüllt werden kann.“ Ein weiterer Aspekt, der in der wissenschaftlichen Literatur genannt wird, dürfte in eigens erlebten Diskriminierungs-Erfahrungen liegen. Diese Erfahrungen möchte man scheinbar mit einer besonders „aggressiven, machtvollen, machohaft auftretenden Islam-Repräsentation ausgleichen“, so Fürlinger.
NACH OSTEN. Den Gebetsraum betritt man ohne Schuhe. Der Muezzin ruft zum Gebet, dann betet der Imam vor. Alle blicken dabei in Richtung der heiligen Stadt Mekka. Zum Freitagsgebet kommen bis zu 400 Personen, über Flatscreens wird das Gebet in Nebenräume live übertragen.
da jemanden kennen würden, einen älteren Verwandten, der jetzt nach Syrien gegangen sei“, erklärt Fuhs. Wie reagiert man auf solche Situationen? „Wenn jemand sowas anspricht, dann fragen wir nach, was er oder sie davon hält. Die Kinder finden das salopp gesagt einfach ‚scheiße‘. Viele
sind selber noch von Kriegen schwer traumatisiert und versuchen das Erlebte so gut es geht zu verdrängen. Die verstehen nie im Leben, wie man freiwillig in den Krieg ziehen kann. All diese Andeutungen und Erzählungen bleiben aber auch immer sehr vage, weshalb man nichts überbewer-
Diskriminierungs-Erfahrungen Über eigene Erfahrungen mit Diskriminierung kann auch Nicole Buschenreiter berichten. Die St. Pöltner Gemeinderätin der Grünen konvertierte rund um das Jahr 2000 zum Islam: „Ich hatte keine typisch-österreichische Religionserziehung genossen und bin schon immer eine Anhängerin von einem echten EthikUnterricht an den Schulen gewesen. Nachdem ich einen Araber geheiratet und mich während der Ehe mit dem Islam auseinandergesetzt hatte, reifte mit der Zeit der Entschluss zu konvertieren. Nach der Geburt meines Sohnes hab ich mich entschlossen auch ein Kopftuch zu tragen – aus eigener, freier Entscheidung. Ich habe immer gesagt: Wenn ich als Frau das Recht habe mich auszuziehen, dann will ich auch das Recht haben, dass ich mich anziehe, wie ich will. Für meine Familie war das immer okay, sie hatten eher Angst vor den ProMFG 09.14
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MFG URBAN
HORIZONT ERWEITERN. Die malerische Villa an der Ecke Matthias Corvinus Straße und Herzogenburger Straße steht immer für interessierte
Besucher offen. Bei türkischem Tee und herzlicher Atmosphäre kommt richtiges Urlaubsflair auf, während aufgeschlossene Menschen über ihr Leben und ihren Glauben berichten. Das Zentrum bietet zahlreiche Freizeitaktivitäten, hier wird nicht nur der Koran gelehrt und gemeinsam mit dem Imam gebetet, hier wird als Gemeinschaft zusammengelebt. Sogar ein Friseur hat sich eingemietet.
blemen von außen, die das Kopftuch bringen würde.“ Einige Jahre trug Buschenreiter eine sehr „europäische Form des Kopftuchs. Ich habe ein dickes Fell und bin damit zurechtgekommen, dass man mich angespuckt, beschimpft und auch angegriffen hat. Aber als ich beim Schuleintritt meiner Kinder bemerkt habe, dass mein Kopftuch dazu führt, dass meine Kinder diskriminiert werden,
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da habe ich es abgelegt. Wäre es nicht gesellschaftlich ein Problem, würde ich heute noch ein Kopftuch tragen.“ Depperte gibt es immer Generell sei der Islam für Buschenreiter mit dem Kommunismus zu vergleichen: „Eine großartige Idee, das Problem ist halt: es sind dabei Menschen involviert. Die Frau etwa ist im Islam dem Mann nicht untergeordnet.
„Nicht jeder, der einen Vollbart trägt, sprengt sich in der nächsten Minute in die Luft.“ Nicole Buschenreiter, Muslima und Gemeinderätin
Aber die Religion wird halt von Menschen angewandt und ausgenutzt, um die Macht zu erhalten.“ Von radikalen Strömungen in St. Pölten weiß die Gemeinderätin nichts: „Es gibt keine Fundi-Strömungen, das sind alles total gemäßigte Leute. Der Koran sagt ja nichts anderes als die Bibel: ‚Sei lieb zu den Menschen!‘ Und Depperte gibt es immer und überall, aber die Muslime in St. Pölten, die machen doch nix Seltsames. Nicht jeder, der einen Vollbart trägt, sprengt sich in der nächsten Minute in die Luft. Aber die Leute haben halt Angst vor Dingen, die sie nicht kennen.“
Zu Gast in Sankt Islam
» Diskriminierung nimmt zu Interview Ali Firat
Ali Firat kam 1989 in St. Pölten zur Welt, seine Eltern waren 1971 nach Österreich gezogen. Nach seinem Zivildienst bei den „Kinderfreunden“ gründete er mit 21 Jahren eine neue Ortsgruppe („Neu-Viehofen“). 2011 setzte ihn die SPÖ zwar nur auf ein „Kampfmandat“, aber mit beeindruckenden 695 Vorzugsstimmen rückte er in der Kandidatenliste nach oben und schaffte so den Einzug in St. Pöltens Gemeinderat.
Menschen ziehen freiwillig in den Syrien-Krieg, in Europa steigt die Angst vor politisch motiviertem Terrorismus. Wie geht es vor diesem Hintergrund der islamischen Gemeinschaft in St. Pölten?
man auch Diskriminierungsfälle ansprechen, die Integration erschweren. Ich behaupte, dass derartige Fälle zunehmen, die Strafen bei Rassismus werden aber nicht verschärft.
vergleichsweise gut. Ich bin überzeugt, dass man bei uns nicht
Bei Diskotheken ist es für Betroffene wohl eine große Hürde Schadensersatz einzuklagen.
wegschauen würde, sollte es Probleme mit radikalen Personen
Natürlich. Aber Diskriminierung gibt es nicht nur im privaten
geben – aber bis dato ist mir kein einziger Fall bekannt. Die ver-
Bereich. Mich ärgern beispielsweise niederösterreichische Lan-
schiedenen Vereine pflegen untereinander Freundschaften, wir
desgesetze, die Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft be-
leben eben nicht in einer absoluten Anonymität, wie dies viel-
nachteiligen. Wenn ich beispielsweise an den Familienpass oder
leicht bei Großstädten öfters der Fall ist.
den Wohnzuschuss denke, diese Förderungen gibt es nur für
Die Community ist sehr gut vernetzt, darum geht es uns auch
Österreicher oder gleichgestellte EU-Bürger. Verwandte von mir,
Sehen Sie Fortschritte im Bereich der Integration?
türkische Staatsbürger, die seit Jahren hier leben, arbeiten, brav
Ja, die gibt es definitiv! Das offizielle Beratungsangebot wurde
Steuern zahlen und sich anständig integrieren, erhalten diese
ausgebaut und es gibt Deutschkurse, die auch angenommen
Unterstützung aber nicht. Das ist doch unfair und populistisch.
werden. Sprache ist das Um und Auf für erfolgreiche Integration. wichtigen Beitrag geleistet. Ich glaube, dass heute Probleme
Wie bedeutend ist dieses Thema für Ihre politische Aufgabe und welche Rolle spielt dabei Ihre SPÖ?
auch schon im Kindergarten erkannt werden können. Vieles liegt
Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, meine Großeltern ge-
natürlich in der Verantwortung der Eltern, Erziehung und Bildung
hörten zu den ersten St. Pöltner Gastarbeitern, Kreisky war schon
sind ein Schlüssel für Integration.
in meiner Kindheit ein Vorbild. Über die Sozialistische Jugend bin
Auch das eigene Staatssekretariat für Integration hat hier einen
ich zur Politik gekommen, in meiner Kinderfreunde-Ortsgruppe
Wo liegen die größten Schwierigkeiten?
sitzen Menschen aus sechs verschiedenen Nationen im Vorstand
Jeder muss sich um Integration bemühen. Leider werden oft Ne-
– natürlich ist mir Integration und der Kampf gegen Diskriminie-
gativbeispiele in der Öffentlichkeit breit diskutiert, das verzerrt die
rung eine Herzensangelegenheit. Ich will in erster Linie für die Bür-
Realität und führt auch dazu, dass sich Menschen ausgegrenzt
ger dieser Stadt aktiv sein, darum bin ich im Gemeinderat sehr
fühlen und Gefahr laufen sich zu isolieren. Bei dem Punkt muss
glücklich, auch wenn ich es anfangs wirklich nicht leicht hatte.
Da ist sie wieder, die Angst. Doch scheinbar unbegründet, sofern man nicht an Vorurteilen und fertigen Denkmustern festhalten möchte. Wir nehmen Enes Pek beim Wort. Er ist Jugendobmann des Islamischen Zentrums in St. Pölten, bis zu 400 Muslime treffen sich dort zum Freitagsgebet, rund 100 Kinder und Jugendliche werden in der Jugendgruppe betreut. Die Villa an der Ecke Matthias Corvinus Straße und Herzogenburger Straße entführt uns schon nach wenigen Augenblicken in eine andere Welt. Es ist ruhig und freundlich, obwohl viele Menschen da sind, ein ständiges
Kommen und Gehen. Junge Männer begrüßen uns in perfektem Deutsch, freuen sich sichtbar, dass wir da sind und Interesse an ihnen haben. Sie führen uns durch das Haus, erklären uns die Angebote. Wir trinken Tee und diskutieren über die Welt und das Überirdische, dann tüfteln wir an richtigen Fotoeinstellungen: Wir wollen Einblicke in das Innere der Moschee geben, zugleich sollen die Fotos möglichst authentisch bleiben. Unglaublich offen wird uns der Glaube erklärt, werden uns Prinzipien und Hoffnungen offen gelegt. Ein junger Mann stößt mit seiner kleinen Toch-
ter zu unserer Gruppe. Ein Österreicher. Kein Türke, kein Araber. Er erzählt uns, wie vor einiger Zeit vieles in seinem Leben schief gegangen ist, wie Menschen gestorben sind und er sich gedacht hat, dass das ja wohl nicht einfach nur Zufall sein kann. Gute Gespräche mit Freunden weckten sein Interesse am Islam, heute sitzt er hier, als einer von „denen“, von denen „wir“ so wenig wissen. Obwohl man hier jederzeit vorbeischauen kann und bei einem Glas Tee entdecken, dass hier weder am Kalifat noch an Bomben gebastelt wird, sondern einfach an guten Menschen. MFG 09.14
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MFG URBAN
Interview enes Pek
» Warum sollte ich nicht integriert sein? Welche Rolle spielt der „Islamische Kultur- und Wohlfahrtsverein“ in St. Pölten?
Unser Verein ist seit 1996 in St. Pölten aktiv, in der Jugendgruppe sind wir momentan circa 100 Personen, davon 17 Leute im Vorstand. Im Moment richten wir uns noch primär an Leute mit türkischem Background, auf Dauer möchten wir aber breiter aufgestellt sein. Grundsätzlich geht es uns um eine Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche. Wir wollen ihnen die Prinzipien des Islam vermitteln und dafür sorgen, dass sich unsere Mitglieder mit dem Islam in die österreichische Gesellschaft integrieren.
Wie geht ihr mit den erschreckenden Meldungen über radikalisierte Jugendliche um? Wir bringen den Leuten den Islam bei. Wer
VEREINSLEBEN. Enes Pek ist Jugendobmann eines islamischen Vereins. Rund 100 Kinder und Jugendliche werden in den Jugendgruppen betreut.
seine Religion kennt, der wird nicht Op-
Koran kennen, wenn sie in einer Gemein-
Afghanen, Araber und auch Österreicher,
fer von Radikalen. Wir wollen erreichen,
schaft integriert sind, dann kommt doch
die zum Islam konvertieren. Deutsch als
dass unsere Kinder und Jugendlichen zu
keiner auf die Idee, dass er irgendwohin
gemeinsame Sprache macht also Sinn.
nützlichen Menschen in der Gesellschaft
in den Krieg zieht oder dass er auf die ra-
werden. Das bedeutet nicht nur eine rein
dikale Propaganda hereinfällt.
sönlichkeitsbildung an, haben sehr viele
Wer lehrt denn den Koran?
Ein ewiges Reizthema ist das Kopftuch. Welche Vorschriften gibt es in Ihrer Gesellschaft?
Freizeitangebote. Bei uns kann man plau-
Anerkannte Rechtsschulen geben die
Die muslimische Frau hat sich laut Koran
dern, Tee trinken, Fußball spielen. Es gibt
große Linie vor, Religionslehrer und -lehre-
zu bedecken. Wie sie das handhabt, liegt
Fernseher, eine Playstation, es ist ein gro-
rinnen vermitteln den Koran. Für die Seel-
aber an ihr. Das ist eine Sache der Familie
ßer Treffpunkt für Menschen. Bei den Kin-
sorge sind die Imame verantwortlich.
und vor allem der Gläubigen selbst.
tersklassen, damit alle auf ihre Rechnung
Wo werden diese ausgebildet?
kommen. Pro Woche gibt es zirka acht
In Wien wird derzeit eine Imam-Schule ge-
Aktivitäten, jeden Tag ist etwas los. Es geht
baut. Das ist ein langjähriger Wunsch der
Wie würden Sie reagieren, wenn beispielsweise Ihre Schwester kein Kopftuch trägt?
also über einen reinen Religionsunterricht
türkischstämmigen Community, dass wir
Ich respektiere, wenn eine Frau kein Kopf-
hinaus, wir sind ein Zentrum für Menschen.
endlich in Österreich Imame ausbilden
tuch trägt. Es steht uns keinesfalls zu, zu
können. Ich verstehe, dass es für Österrei-
richten. Es ist eine Angelegenheit zwischen
Aber die Vermittlung des Korans ist die Grundlage?
cher seltsam wirkt, wenn aus dem Ausland
ihr und Allah. Wir wissen, dass Menschen
ein Imam kommt und predigt – der noch
nicht perfekt sind, aber man soll sich stets
Wir wollen in der Gemeinschaft auch den
dazu wahrscheinlich gar nicht deutsch
bemühen sein Bestes zu geben und Allah,
Koran lernen und lehren. Dafür gibt es ei-
spricht. Wir wünschen uns übrigens, dass
wenn nötig, um Verzeihung bitten.
gene Klassen, wie bei den Christen in der
die Imame in Zukunft deutsch sprechen,
Schule der Religionsunterricht. Wenn Men-
weil ja auch in unserer Moschee nicht
schen den Islam kennen, wenn sie den
alle türksich sprechen. Wir haben Bosnier,
religiöse Ausbildung, wir bieten auch Per-
dern und Jugendlichen achten wir auf Al-
»
12
Oft hat man als christlich-europäisch geprägter Mensch den
„Die tägliche Mühe, die wir für unsere Gemeinschaft aufwenden, damit wir zu guten Menschen werden, das ist unser Dschihad.“
Zu Gast in Sankt Islam
Sinngemäß heißt es im Koran an einer
Für mich ist es unerklärlich, dass man von Österreich aus in ein Kriegsland geht um dort Menschen abzuschlachten. Wie erklären Sie sich das?
Stelle: ‚Warum denkt ihr denn nicht?‘ Also
Ich kann mir das auch nicht erklären. Wer
ja, der Mensch soll hinterfragen, auch
den Islam wirklich kennt, der kann auf
die eigene Ohnmacht. Zweifel mit guter
solche Fehlinformationen nicht reinfallen.
Absicht sind wohl keine Sünde. Im Islam
Diesen Leuten fehlt der Glaube. Wenn je-
kommt es aber immer sehr auf die Ab-
mand Dschihad machen will, dann muss
sicht an. Wenn man beispielsweise Soli-
er beim eigenen Ego anfangen. Dschi-
darität mit Palästinensern ausdrücken will,
had heißt ja, dass man regelmäßig betet,
dann ist der Protest legitim, wenn er gute
dass man sich für andere Menschen ein-
Absichten hat und auch richtig ausge-
setzt, dass man freiwillig fastet, dass man
übt wird. Aggressive Proteste zum Beispiel
selbstlos Schwächeren hilft. Aber in den
könnte ich nicht gutheißen. Viele Leute
Medien wird der Begriff immer wieder
reduzieren den Islam auf das Kopftuch
nur mit einem verrückten Krieg gleichge-
oder darauf, dass man fünf Mal am Tag
setzt. Die tägliche Mühe, die wir für unsere
betet. Der Islam will aber das ganze Le-
Gemeinschaft aufwenden, damit wir zu
ben regeln, eben einen guten, nützlichen
guten Menschen werden, das ist unser
Menschen schaffen. Vielleicht wirken wir
Dschihad. Uns treibt ja nicht Zivilcourage,
darum auch oft fremd. Jedenfalls müssen
sondern eine ehrliche Frömmigkeit an.
wir es schaffen, die Vorteile beider Welten
Das ist unser Gebet.
und Kulturen zu vereinen. Warum sollte ich etwa nicht in Österreich integriert sein, nur
Was sind eure nächsten Ziele?
weil ich eine besondere Kultur und eine
Wir haben viel erreicht, aber es liegt noch
besonderen Glauben habe?
viel vor uns. Wir möchten in den näch-
Oft geht es um Kultur, Wertvorstellungen und Traditionen, die vom Durchschnitt abweichen.
sten Jahren wachsen und Menschen mit
Da fällt mir ein Beispiel ein. Wir hatten da-
wir Jahr für Jahr, diese Erfolge wollen wir
mals Maturafeier und eine Dame, wahr-
gerade im Hinblick auf die gelungene
scheinlich die Oma einer Klassenkolle-
Integration in Zukunft stärker nach außen
gin, stand in meiner Nähe. Wir wollten ein
tragen. Unser Haus steht aber schon heute
Gruppenfoto machen und ich überlegte,
immer offen, wir freuen uns über Leute, die
wie ich die ältere Dame ansprechen soll,
sich ein Bild über uns machen wollen. Das
damit sie zu uns aufs Foto kommt. In un-
hilft allen, um Vorurteile abzubauen. Und
serer Kultur spricht man ältere Menschen
natürlich gibt’s auch immer was am Ge-
mit Oma oder Onkel an, das ist eine eh-
bäude zu reparieren – da wird uns nicht
renvolle Bezeichnung, auch wenn man
langweilig. Wir finanzieren uns ja nur aus
nicht verwandt ist. Hätte ich die Dame als
Mitgliedsbeiträgen und Spenden, und da
Oma angesprochen, hätte sie es aber si-
ist an einem so großen Haus nie alles fer-
cher als Beleidigung aufgefasst.
tig, wir arbeiten Stück für Stück weiter.
anderem kulturellen Hintergrund ansprechen. Durch die Jugendarbeit wachsen
Kein Kommentar
Michael Müllner Wenn es schwierig wird, kann man sich‘s auch einfach machen: „Kein Kommentar.“ Was bei Privatangelegenheiten legitim sein mag, wird zum Problem, wenn die bequeme Kein-Kommentar-Haltung ausufert. Es würde uns nämlich schon interessieren, wie eine Bank den massiven Vorwürfen von Gemeindepolitikern begegnet, sie hätte sich auf Kosten der Gemeindebürger unverfroren bereichert. Faire Berichterstattung in Medien wird erschwert, wenn sich einer aus der Diskussion ausklinkt. Besonders ärgerlich wird es, wenn jene schweigen, die eigentlich ganz viel zu sagen hätten. Wenn man sich nach „reiflicher Überlegung im Team“ entschließt nichts zu sagen, weil ... Sie wissen … alles heikel ... und die Medien sowieso alle so arg … Aber gerade wenn es heikel ist, wären Fachleute in der Pflicht, Medien dabei zu helfen ihre Arbeit besser zu machen. Sie müssten uns sogar in die Verantwortung nehmen, die Realität in all ihrer Komplexität und Problematik einzufangen und seriös darzustellen. Schweigen ist natürlich einfacher. Keine Gefahr falsch verstanden oder gar instrumentalisiert zu werden. Doch es ist ein Armutszeugnis, wenn sich etablierte Einrichtungen zu einem brandaktuellen und komplexen Thema in diesem Medium nicht äußern wollen. Auch wenn sich andere Experten finden und das Bild in Summe ohnedies stimmig ist – gerade als öffentlich finanzierte Einrichtung hat man einen Auftrag. Der besteht auch darin, die eigene Sinnhaftigkeit durch die eigene Kompetenz zu belegen. Schade darum. Denn Medien können mehr, als Fußballturniere mit einem Zweizeiler ankündigen, oder dann als nützlicher Kanal dienen, wenn wieder mal um die Subventionshöhe gekämpft wird. Und: die politischen „Masterminds“ sind gefordert ihre Fachleuten zu stärken – anstatt Maulkörbe umzuhängen.
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Foto: Nomad_Soul/Fotolia.com
Eindruck, dass im Islam alles streng geregelt ist und Zweifel und Widerspruch nicht geduldet werden. Täuscht das?
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MFG URBAN
Dark Road An allen Ecken und Enden der Stadt wird gebaut und behübscht. Aufbruchsstimmung also, vom Bahnhof bis zum Rathausplatz. Und dann kommt sie, die Linzer Straße, „the dark road of the town“.
S
of the Town
chreibwaren Wunderbaldinger, Nähmaschinen Erd, Konditorei Haider, Cabrio, Bichler-Moden, Fleischhauerei Orthofer, Trachten Prochaska, Hippolyt-Buchhandlung – wer bei diesen Namen ein Bild vor Augen hat, der hat schon vor langer Zeit in St. Pölten gelebt. In einer Zeit, als diese Geschäfte die Linzer Straße prägten, sie zu einer wichtigen Einkaufsmeile der Stadt machten. Doch die Zeiten ändern sich. Wo Schüler Buntstifte, Wurstsemmerl
„Eine verkehrsberuhigte Zone bis zum Linzer Tor würde uns helfen.“ Michael Glöckel und Reclam-Hefte erstanden, ist jetzt nichts mehr los. Gezählte elf Shops stehen hier, am Südwestrand der Fußgängerzone, leer, viele Häuser wirken 14
desolat und abgewohnt – ein irritierender Kontrast zur aufblühenden City rund um Herrenplatz und Kremser Gasse. Wer durch die Linzer Straße geht, schlendert nicht zum WindowShopping durch, sondern sucht gezielt ein Geschäft auf. Wie zum Beispiel den SOMA-Markt, vor dem reges Treiben herrscht, oder den Tee- und Räucherstäbchen-Spezialisten Ettenauer oder Orthopädieschuhmacher Leeb, in der Nähe des Linzer Tors. Das Spezialgeschäft ist vor einigen Jahren von der Fußgängerzone hierher in ein größeres Lokal gezogen, „und es hat am Anfang auch sehr gut funktioniert“, berichtet Gabriele Leeb. Allerdings sind mit den kleinen Linzer-StraßenGeschäften auch die Laufkunden verschwunden, „zu uns kommen fast nur mehr Stammkunden“, so Leeb. Auf die setzt auch Wolfgang Löff-
ler von Immobilien Weiretmair: „Wir sind mit dem Standort sehr zufrieden“, sagt der Immobilienprofi, für den ein zentrumsnahes Geschäftslo-
„Die Linzer Straße braucht noch zwei bis drei weitere Leitprojekte neben dem LT1.“ Anton Hintermeier
kal mit Auslagen wichtig ist: „Da ist die Schwelle geringer als in Büros, die nicht im Erdgeschoß liegen – die Leute schauen einfach rein.“ Wichtig ist für Löffler auch, dass die Leute in der Nähe parken können, „das fußläufige Publikum ist nicht unseres.“ Genau dieses Publikum soll aber bald wieder angelockt werden. Denn die Stadtverantwortlichen setzen große Hoffnung in ein Projekt, das zu Beginn des nächsten Jahres gestartet
TEXT: beate Steiner | Fotos/MONTAGE: Hermann Rauschmayr
wird: Am Linzer Tor entsteht LT1, ein Büro-und Geschäftshaus, für viele die Initialzündung zur Wiederbelebung der Linzer Straße. Hoffnungsschimmer Die archäologischen Arbeiten und eine geringfügige Planänderung haben den Baustart für das vom ArchitektenTeam AllesWirdGut geplante Stadthaus verzögert, aber im Frühjahr 2015 geht’s los, bestätigt Rechtsanwalt Anton Hintermeier, einer der Bauherren: „Das Grundkonzept bleibt gleich.“ Im Erdgeschoß wird Josef Weinhofer seine Möbel ausstellen, eventuell ein Gastrobetrieb einziehen. Zwei BüroEbenen bespielen die Rechtsanwaltskanzlei Hintermeier und Steuerberater Höchtl und im Dachgeschoß sind einige Wohnungen geplant. In längstens eineinhalb Jahren soll das LT1 bezugsfertig sein – inklusive Tiefgarage für den Eigenbedarf. Zug um Zug mit dem Bau des Leitprojekts dürfte aber auch ein neues Verkehrskonzept realisiert werden. Derzeit ist die Linzer Straße „auf zwei Funktionen degradiert“, sagt Anton Hintermeier, „als Zufahrt zum Rathausplatz und zum Parken.“ Das könnte sich bald ändern. Eine „gut funktionierende durchdachte Verkehrslösung zwischen Josefstraße – Promenade – Linzerstraße – Rathausplatz“ wird gesucht, sagt St. Pöltens Masterplan-Gestalter Josef Wildbur-
ger. Im Klartext: Die Linzer Straße soll zur verkehrsberuhigten Zone, zum Teil einer Umweltverbundachse werden. Umweltverbundachsen sind Lebensraumstraßen, in denen den Fußgängern und Radlern mehr und attraktiverer Raum zugestanden wird. So steht das im Generalverkehrskonzept,
„Man sollte eine AnrainerDiskussion als Grundlage bürgernaher Stadtplanung starten, bei der die Bedürfnisse erfasst werden. Ich könnte mir eine verkehrsberuhigte Zone mit einem Branchenmix mit Gastro und Lebensmittelgeschäften vorstellen.“ Heribert Weidinger so sehen das auch die meisten Politiker. Bürgermeister Matthias Stadler stellt sich die Linzer Straße in einigen Jahren als „urbanen Straßenzug vor, mit erheblicher Verkehrsberuhigung und Flächen im öffentlichen Raum, die auch das zu Fuß gehen wieder attraktiv machen.“ Die grüne Gemeinderätin Nicole Buschenreiter wünscht sich eine fußgängerfreundliche Zone als lebenswertes Umfeld für die St. Pöltner, und VP-Stadtrat Markus Krempl will zwar nicht die Autos verbannen, steht aber einer attraktiven Umweltverbundachse durchaus positiv gegenüber. Lediglich FP-Gemeinderat Klaus Otzelberger ist überzeugt, dass die St. Pöltner Fußgängerzone ohnedies
schon zu groß ist und nur Autos Frequenz zu den Geschäften bringen. Jens De Buck, oberster Stadtplaner, ist Realist. Es werde noch einige Jahre dauern, bis eine anziehende Linzer Straße eine neue Verkehrslösung rund um das Rathaus erlaube: „Wir müssen die Anrainer überzeugen, dass Fließverkehr nicht das einzig Wahre ist.“ Aber wie attraktiviert sich eine Straße? „Die Stadt kann nur die Rahmenbedingungen schaffen“, meint Markus Krempl, und: „Wir sollten uns mit den Hauseigentümern an einen Tisch setzen.“ Vielleicht habe die Linzer Straße als Einkaufsstraße ausgedient, sei dafür aber als Wohnstraße begehrt. „Eine wirtschaftlich starke Innenstadt ist Garant für eine vitale Entwicklung, auch wenn man nicht jeden Winkel als Wirtschaftsfläche nutzen muss.“ Auch Bürgermeister Matthias Stadler ist überzeugt, dass vom Linzer Tor bis zur Prandtauerstraße „hohes Potential für kleinteilige gemischte Strukturen“ vorhanden ist, mit „Handel, Büros und vor allem Wohnen.“ Hoffnungsschimmer Den entscheidenden Kick dafür kann ein Projekt am Karmeliterhof brin-
„Ich wünsche mir private Boutiquen und Shops für die Linzer Straße. Spezialisten leben hier weiter, Filialisten greifen sicher nicht.“ Wolfgang Löffler MFG 09.14
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MFG URBAN
DARK ROAD OF THE TOWN
In The Ghetto? Nein, mitten in the city! Unsere Montage hat die „Highlights“ der Linzerstraße aufgefädelt. Leerstehende Geschäfte, bröckelnde Fassaden, holzverplankte Schaufenster, Rost und Grind.
gen, das soeben fixiert wurde. Die Karmeliterhof Projektentwicklungsgesellschaft mit Peter Nikolaus Lengersdorff und Michael Rieder will dort auf 12.000 Quadratmetern Büros, Handelsflächen und auf 4.000 Quadratmetern Wohnungen errichten, inklusive großer Tiefgarage – und möglichem Zugang zur Linzer Straße. Dabei könnte noch ein Haus eine entscheidende Rolle spielen, das zum einen der
„Wir müssen ein lebenswertes Umfeld schaffen, in dem sich die Leute bewegen können, vielleicht mit Urban Gardening und Vertikalbegrünung.“ Nicole Buschenreiter
Bürgerspitalstiftung (also der Stadt) und zum anderen der Diözese gehört – das Haus Linzer Straße 10. „Natürlich bin ich weiterhin daran interessiert, dieses Gebäude in unser Projekt zu integrieren“, sagt Peter Lengersdorff. Baustart für das 35-Millionen-EuroProjekt könnte 2016 sein. Sunny Side der Linzer Straße Je nordöstlicher die Linzer Straße sich windet, desto mehr verändert sie sich. Die Fassade des Klosters „Congregatio Jesu“, also der Englischen Fräulein, gehört zum Pflichtprogramm jeder Stadtführung. Und rundherum macht sich quasi auf der Hinterseite des Rathauses der städtische Verwaltungsbe16
zirk breit. In diesem FußgängerzonenTeil der Linzer Straße keimt zaghaft so etwas wie urbanes Leben auf. Nur ein Haus steht leer, in das angrenzende der Lengersdorff Entwicklungsgesellschaft zieht in den nächsten Wochen das Bildungs- und Heimatwerk ein. Rund um die Lokale „Emmi“ und „Lorenz“ hat auch die Linzer Straße städtisches Flair. Noch nicht lange. „Die Linzer Straße war ja eine Zeitlang wie der ‚Wilde Westen‘, da war nix nach dem Riemerplatz“, sagt Inge Tauchner. Und: „Es gibt jetzt noch immer Lieferanten die fragen, ob ich sicher bin, dass ich die richtige Adresse angegeben habe.“ Mittlerweile habe sich die Frequenz aber gesteigert. „Ein erster Schritt zur Wiederbelebung war die Öffnung der Pforte des Instituts, weil da jetzt Eltern und Schüler durchgehen und bei uns vorbeikommen.“ Die Delikatessen- und Gastro-Fach-
„Zu einer Verbesserung der Situation in der Linzer Straße können nur mehrere Faktoren beitragen, nämlich eine starke Innenstadt mit vielen Kunden, Besuchern und Bewohnern sowie Mut sich von fixen Vorstellungen zu trennen.“ Markus Krempl frau freut sich, dass sie gemeinsam mit den „Emmi“-Betreibern Michael Glöckel und Heribert Weidinger und ihrem gemeinsamen „Verein zur Bele-
bung der Linzerstraße“ schon einiges bewirkt hat: „Wir punkten zum Beispiel mit Veranstaltungen. Damit Flair entsteht, braucht es kleine Initiativen, Menschen vernetzen ist dabei sehr wichtig.“
„Die Linzer Straße ist in einer Negativ-Spirale. Es braucht einen Impuls, damit wieder etwas investiert wird.“ Klaus Otzelberger
Michael Glöckel, der mit Heribert Weidinger nach dem erfolgreichen Café Schubert am Herrenplatz mit dem „Emmi“ auch in die Linzer Straße lockt, ist ähnlicher Ansicht: „Man sieht, dass durch uns die Linzer Straße bespielt wird. Wir schaffen Platz, wo die Leute sich entspannen können.“ Den dunklen Teil der Straße sieht er als Chance für innovative Menschen. „Uns würde jeder helfen, der wie wir so wahnsinnig ist und Leute mit einem Geschäft herzieht.“ Allerdings: „Es ist alles so überreguliert, viele geben gleich wieder auf, wenn sie damit konfrontiert werden. Da sollte die Behörde einmal darüber nachdenken und den Ermessensspielraum nutzen.“ Nichtsdestotrotz ist Michael Glöckel überzeugt: „St. Pölten ist in einem schönen Aufwind, da wird sehr viel umgesetzt, sehr viel gebaut. Wenn mehr Leute da sind, da wohnen, hat die Linzer Straße eine Chance.“
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Park? Platz? Problem? Ein bisschen kommt es einem vor, als würde man auf Zeit spielen – nach wie vor harrt man der Präsentation des Architektenvorschlages für die Domplatzneugestaltung sowie der damit einhergehenden Beantwortung der Gretchenfrage: Parkplätze ja oder nein, und wenn ja – wie viele?
D
erweil gibt man sich auch innerhalb der Bevölkerung der Spekulationslust hin, wobei eine Frage immer wieder auftaucht: Warum ist eigentlich eine Tiefgarage unter dem Domplatz kein Thema? Für einen Alt-St. Pöltner wie Baumeister Sepp Weidinger, der noch erlebte, wie am Herrenplatz (am Rathausplatz sowieso) geparkt wurde und am Riemerplatz die Autos brausten, völlig unverständlich. „Ich habe bereits Anfang der 70er-Jahre gemeinsam mit Julius Eberhardt ein Parkraumkonzept entwickelt – damals war ganz klar, dass auf Sicht drei Standorte für eine Tiefgarage Sinn machen: Der Bahnhof, wo nunmehr das Parkhaus entsteht; der Rathausplatz, der umgesetzt wurde, aber leider zu klein; 18
und der Domplatz. Das versteht doch keiner, dass das dort nicht möglich sein soll.“ Weidinger spricht damit vielen aus der Seele, welche ebenso wenig nachvollziehen können, dass der Platz – nachdem er alsbald archäologisch dokumentiert ist – einfach wieder zugeschüttet wird und nur oberflächlich gestaltet werden darf. Der Grund dafür liegt in einem Bescheid des Bundesdenkmalamtes, welches Teile des Domplatzes (nicht den ganzen) als erhaltungswürdiges Bodendenkmal klassifiziert hat. Was unter dem sperrigen Terminus zu verstehen ist, erläutert der Abteilungsleiter für Archäologie des Bundesdenkmalamtes, Bernhard Herbert: „Laut Denkmalschutz handelt es sich dabei um von
Menschen geschaffene unbewegliche und bewegliche Gegenstände oder Bodenformationen von geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung“, und die Stoßrichtung der Unterschutzstellung bezwecke: „An erster Stelle die Bewahrung des Denkmals in all seiner Materialität als Zeugnis der Vergangenheit. Daher sind im Wesentlichen Veränderungen oder Zerstörungen eines Denkmals so gering wie möglich zu halten oder überhaupt zu vermeiden.“ Für Weidinger wie andere „im Falle des Domplatzes ein Irrsinn. Ich kann doch nicht aus jedem Scherben eine Wissenschaft machen und zulassen, dass das Denkmalamt die Nutzung eines derart zentralen Platzes verhindert. Da ist die Politik gefordert, dem Rechtsempfinden des Volkes Rechnung zu tragen und einzugreifen.“ Dies wird wahrscheinlich nicht geschehen, denn die derart Adressierten haben den Bescheid quer durch alle Lager widerspruchslos hingenommen. „Ich kann die Sichtweise des Bundesdenkmalamtes durchaus nachvollziehen. St. Pölten stellt ös-
TEXT: Johannes REICHL | Fotos: Johannes REichl, Josef Vorlaufer
terreichweit ein besonderes Gebiet dar, nirgends sonst sind historisch relevante Funde in dieser Dichte zu finden“, lässt etwa Vizebürgermeister Franz Gunacker (SPÖ) wissen, und auch Klaus Otzelberger von der FPÖ („Wenn das Bundesdenkmalamt diesen Platz als ‚Bodendenkmal‘ einstuft, ist dieser Bescheid zu akzeptieren“) und Vizebürgermeister Matthias Adl von der ÖVP („Es gibt keine Diskussion darüber, ob diese Entscheidung richtig oder falsch ist, denn sie ist ein Faktum“) schlagen in dieselbe Kerbe. Freilich, in Frage gestellt hat „das Faktum“ bislang niemand, denn wie Herbert Auskunft gibt: „Gegen den Bescheid wurde kein Einspruch erhoben.“ Ein Grund für das nicht stattgefundene „Engagement“, so wird gemunkelt, liege auch darin, dass viele an der Rentabilität einer wohl nur mit großem Aufwand realisierbaren Tiefgarage am Domplatz zweifeln bzw. die Stadt befürchtet, dass die Kosten letztlich an ihr allein hängen bleiben. Dazu passen indirekt auch die Ausführungen von Vizebürgermeister Gunacker auf die Frage nach Alternativparkplätzen. „Schon jetzt gibt es in unmittelbarer Nähe Parkhäuser mit freien Kapazitäten, und auch die neue P&R-Anlage am Bahnhof liegt direkt in der Innenstadt. Gerade aufgrund der freien Kapazitäten in den anderen Parkhäusern ist es nicht so einfach Betreiber zu finden. St. Pölten hat schon jetzt auf die Einwohner gerechnet die höchste Parkplatzdichte in der Innenstadt, bei teilweise geringer Auslastung.“ Dies freilich wirft, wie immer wieder von Parkplatzgegnern aufgezeigt, die Grundsatzfrage auf, warum man dann überhaupt auf Parkplätze beharrt, wenn es doch ohnedies genügend freie Kapazitäten gibt bzw. neue Flächen – Stichwort Parkhaus am Bahnhofsplatz – geschaffen werden. Die Parteien SPÖ, ÖVP und FPÖ argumentieren diesbezüglich ziemlich ähnlich. „Wir werden nicht über die Interessen der Anrainer und Innenstadtkaufleute drüberfahren“, erklärt etwa Vizebürgermeister Gun-
acker, und Vizebürgermeister Adl sowie Klaus Otzelberger verweisen auf Parkgewohnheiten. „Es sind zurzeit keine entsprechenden Oberflächenparkplätze als Ersatz in Sicht. Viele können und wollen auch keine Tiefgaragen und Parkhäuser nutzen, zum Beispiel Familien, die Kinderwägen transportieren müssen“, so Adl, und Otzelberger ist überzeugt: „Vor allem
Frauen und Pensionisten benützen nicht so gerne Parkgaragen und parken lieber am zentralen Domplatz.“ Autofrei könnte sich seine Partei nur vorstellen „wenn dementsprechende zentrale Ersatzplätze geschaffen werden, die es den Innenstadtkunden ermöglichen, die Geschäfte der City in fünf Minuten fußläufig zu erreichen – dann wäre das ein gangbarer
» Bester Schutz ist unter der Erde Interview RONALD RISY
Nach wie vor wird am Domplatz archäologisch gegraben. Wir sprachen mit Ausgrabungsleiter Ronald Risy über die bisherigen Erkenntnisse.
Sie haben intensiv den Domplatz erforscht – was waren bilsang die bemerkenswertesten Funde? Kurz zusammengefasst: Erstens die Entdeckung eines römischen Verwaltungspalastes aus dem 4./5. Jahrhundert n. Chr., der nahelegt, dass die Bedeutung von Aelium Cetium in der Spätantike offensichtlich viel höher war als bisher angenommen, was auch Auswirkungen auf unser Wissen über die spätantike Verwaltungsstruktur hat. Zweitens konnten wir eine der ältesten Kirchen Niederösterreichs aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. nachweisen und auch der „Beginn“ des Friedhofes liegt in dieser Zeit und nicht, wie bisher angenommen, im 11. Jahrhundert. Wir haben weiters den vollständigen Grundriss der romanischen Kirche aus dem 12. Jahrhundert n. Chr. und den vollständigen Grundriss der gotischen Kirche aus dem 14./15. Jahrhundert n. Chr. freigelegt, zudem bislang 5.834 Bestattungen. Was dabei europaweit sicherlich einzigartig ist: Wir haben dadurch in ihrer Bedeutung noch nicht abschätzbare Informationen über die Lebensbedingungen und den Gesundheitszustand der Bevölkerung in St. Pölten im Mittelalter erhalten. Auch Teile des mittelalterlichen Klosters mit Latrine aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts n. Chr. haben wir ausgegraben, und das sind nur die bedeutendsten Erkenntnisse.
Der Domplatz ist als Baudenkmal eingestuft – viele sagen, dies sei angesichts der ohnehin erfolgten Dokumentation ein Luxus, weil es u. a. eine Tiefgaragenlösung verhindere. Wie sieht das der Archäologe? Als wichtiger Punkt ist festzuhalten, dass wir nicht alles ausgegraben und dokumentiert haben, sondern nur in kleinen Abschnitten wirklich bis auf den gewachsenen Boden gegraben haben. Das bedeutet, dass noch immer historische Schichten unerforscht am Domplatz vorhanden sind. Bei einer Tiefgaragenlösung müssten daher weitere Grabungsjahre mit den entsprechenden Kosten eingeplant werden. Und prinzipiell stehe ich aufgrund der Bedeutung des festgestellten Gebäudeensembles von der Spätantike bis in das Spätmittelalter jedenfalls voll hinter der Entscheidung des Bundesdenkmalamtes, dieses zu bewahren – und der beste Schutz ist der unter der Erde.
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MFG URBAN
Park? Platz? Problem?
Multitasking
Primadonna
Foto: zVg
Ein Schüler fragte einmal seinen Meister, warum dieser immer so ruhig und gelassen sein könne. Der Meister antwortete: „Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich.“ So sollte es sein, hat jeder schon mal gehört! Aber in der Praxis ziemlich schwierig! Gehen tu ich nämlich eher nicht, dafür viel Auto fahren, noch dazu Autobahn, und da ist es einfach viel zu langweilig nur Auto zu fahren. Da kann man die Vorbereitung für den Tag nochmal durchgehen, Radio hören, telefonieren (mit Freischaltung natürlich!). Essen ist auch so eine Sache! Nur essen? Sich auf jeden einzelnen köstlichen Bissen konzentrieren, die zarte Konsistenz des Mozzarellas mit der Säure des Paradeisers und dem leicht bitteren Abgang des Olivenöls auf der Zunge spüren, kauen und schlucken. Bewusst in sich hineinhören: „Brauch ich noch eine weitere Portion?“ Hm! Viel besser ist es doch, die Tageszeitung nebenbei liegen zu haben, das ipad auf der anderen Seite für Hintergrundrecherchen oder Facebook, und das Handy auf neue whatsapp Infos abzuchecken! Multitasking! Wenn mir dann allerdings noch mein Mann etwas von seinem Tag berichtet und er nach meinem dritten unbeteiligten “Mmh!“ einen Lachkrampf bekommt, weil die letzten Sätze, die er mir erzählt hat, ca. so klangen: „Und dann hab ich einen Termin gehabt und eine nackte Salsatänzerin hat sich in der U-Bahn auf mich gesetzt und sich an mir gerieben und ich hab sie zu uns eingeladen, weil sie keine Übernachtungsmöglichkeit hat…“ – dann wird es Zeit, etwas runterzuschalten! Dann räum ich schnell alles weg, was nicht auf den Esstisch gehört, und rufe zum dritten Mal meinen Sohn zum Abendessen. Der dann allerdings nicht kommt, weil er spielt. Und wenn er spielt, dann spielt er!
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QUO VADIS? Der Domplatz wird (außer Donnerstag- und Samstagvormittag sowie räumlich durch die Grabungen eingeschränkt) als Parkplatz genutzt. Die Folgenutzung ist umstritten.
Weg.“ Wie MFG in einem Selbsttest – langsamen Schrittes – eruiert hat, ist dies aber, wenn man den Rathausplatz als Zentrum definiert, aber schon jetzt von praktisch allen bestehenden Stellflächen und Parkgaragen rund um die City der Fall, und 115 Ersatzparkplätze für Kunden werden mit dem neuen Parkhaus geschaffen. Die einzige Fraktion, die sich ganz klar für einen autofreien Domplatz einsetzt, sind die Grünen, wobei Fraktionsvorsitzende Nicole Buschenreiter aber auch der Tiefgaragendiskussion nichts abgewinnen kann. Zum einen widerspricht sie dem Befund, dass es nicht genügend freie Stellflächen außerhalb des Domplatzes gäbe – „das ist ein Wahrnehmungsproblem, es ist immer etwas frei“ – zum anderen glaubt sie auch nicht an eine Erziehbarkeit der Autofahrer. „Du wirst die Leute nicht dazu bringen, freiwillig in eine Tiefgarage zu fahren. Die würden, wenn es möglich wäre, am liebsten direkt mit dem Auto in den DM hinein fahren.“ Die Grünen fordern deshalb einen prinzipiellen Paradigmenwechsel, der die Autos außen vor lässt. „Man könnte sich die ganze Diskussion sparen, wenn man öffentliche Alternativen schafft. Wenn das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln attraktiv ist, nehmen es die Leute auch an
– dazu genügt ein Blick nach Wien, und das hat nichts damit zu tun, weil Wien eine Großstadt ist, sondern weil dort das Angebot stimmt.“ Wenn man sie danach fragt, woher das Geld für eine bessere Vertaktung und Anbindung der Öffis kommen soll, tritt sie für eine Umschichtung ein. „Wir geben es ja auch für die Parkplätze aus. Wenn ich mir etwa anschaue, was uns das Parkhaus am Bahnhofsplatz kostet – da müsste es von den ÖBB ja zu jedem Parkplatz eine Dusche vorort, einen persönlichen Portier, der mein Gepäck zum Bahnsteig bringt, und persönliche Lektüre meiner Wahl geben.“ Dem sich abzeichnenden „Kompromissweg“ der anderen Parteien, der unter dem Schlagwort multifunktional firmiert und jedenfalls Parkplätze am Domplatz vorsieht, kann sie überhaupt nichts abgewinnen. „Das ist doch absoluter Blödsinn – eine typische St. Pöltner Lösung, die weder Fisch noch Fleisch ist. Wie stellt man sich das vor? Dass die Kids dann neben den Abgasen spielen, und man gemütlich neben den Autos seinen Kaffee trinkt – da kann man gleich einen Drive-In bauen. In der Frage gibt es keine Form der Vereinigung der Ansätze – da gibt’s nur zwei Optionen: Entweder autofrei, oder man lässt gleich den Parkplatz bestehen.“
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MFG URBAN
StP macht mobil
Im Frühjahr präsentierte die Stadt das neue Generalverkehrskonzept, die Vorgängerversion aus dem Jahre 1989 ist damit obsolet. MFG fragte nach, welche konkreten Projekte derzeit geplant sind und was für die Verkehrspolitik der Stadt zu erwarten ist.
I
m März ließ das Rathaus per Pressemeldung verlauten, dass die Planungen für ein neues Verkehrskonzept abgeschlossen seien. Die Vorbereitungen dauerten etwas mehr als ein Jahr und bezogen auch die Bürger mit ein. 1.500 Bewohner brachten per Fragebogen ihr Mobilitätsverhalten zu Papier und lieferten eine der Grundlagen, auf denen das neue Konzept fußt. Das Wiener Verkehrsplanungsbüro Rosinak und Partner zeichnet sich für den Groß22
teil des Entwurfes verantwortlich. Die Zusammenarbeit passierte auf Stadtebene hauptsächlich mit den zuständigen Beamten, während die Gemeinderäte in regelmäßigen Abständen von den Fortschritten informiert wurden. Das erklärt möglicherweise auch die, mit Ausnahme der Grünen, vergleichsweise milden bis wohlwollenden Reaktionen der Oppositionsparteien. Vizebürgermeister Matthias Adl (ÖVP) findet vor allem an der Bürgerbeteiligung Gefallen und sieht
im Verkehrskonzept „viele Denkanstöße und Forderungen, die zu begrüßen sind.“ Ein konstruktives Miteinander aller Verkehrsteilnehmer vom Rad über Öffis hin zum Auto, wo es notwendig ist, sieht Adl als entscheidend. Auch Klaus Otzelberger (FPÖ) betont die Wichtigkeit des neuen Konzeptes und geht mit den meisten Maßnahmen d’accord. „Besonders wichtig ist jetzt, dass das angedachte Verkehrskonzept so schnell wie möglich realisiert wird“, so der blaue Ge-
TEXT: SAscha HArolD | Fotos: freshidea/fotolia.com
Schwerpunktsetzung Die generelle Stoßrichtung des Konzeptes ist klar: Der „grüne“ Verkehr, also Rad- & Fußwege sowie öffentlicher Verkehr, soll gestärkt werden, während versucht wird, den Individualverkehr zu minimieren. Gegliedert ist das Konzept dabei in die fünf Schwerpunkte Straßenbau, öffentlicher Verkehr, Radverkehr, öffentlicher Raum und ruhender Verkehr. Eine der Maßnahmen, die vor allem letztgenannten Punkt betrifft, ist die Parkraumbewirtschaftung. Sie soll generell ausgedehnt werden und damit die angespannte Parkplatzsituation vor allem in der Innenstadt entlasten. Auch bekannte Forderungen, wie jene nach einem autofreien Domplatz, finden sich im Konzept wieder.
Konkrete Projekte Im Moment ist erst in Ansätzen abzuschätzen, wann und durch welche Maßnahmen sich die einzelnen Schwerpunkte und Ideen umsetzen lassen werden. Zumindest mit der Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung scheint eine Maßnahme aus dem Konzept relativ schnell und einfach machbar. Andere Projekte wie die Verbindung von Nord-
Absurdistan
Beate Steiner Der Amtsschimmel wiehert jetzt im Netz. Hat mir ein Geschäftsmann erzählt, der an den Bund eine Rechnung stellen wollte. Seine Erlebnisse hören sich an wie die altbekannte Asterix-Geschichte, in der die Gallier einen Schein organisieren sollen, dabei von einem Schalter zum nächsten und zum nächsten geschickt werden. In der österreichischen Gegenwart funktioniert das halt im Netz. Da muss sich der Rechnungsleger registrieren, was nur mit telefonischer Unterstützung der Dame vom Amt möglich ist, mehrere Codes eingeben, die aufs Handy kommen – schwer zu lesen, während des Telefonierens. Und der letzte Code erlaubt nicht etwa die E-Rechnungslegung – nein, er ist der Schlüssel dafür, dass die Verwaltung einen weiteren Code per RSA-Brief mit der Post schickt. Aufwand für die Rechnungslegung: Eine Stunde plus drei Tage Wartezeit auf den Brief. Rechnungssumme: 28 Euro. Von der Businesswelt zu den ganz Kleinen unserer Gesellschaft. Die lernen im Kindergarten jetzt Besonderes: Dass die Kindergartentanten Essen nur mit Handschuhen anrichten dürfen, dass Erdbeeren nach zwei Tagen verdorben sind, dass Kinder keine Milch trinken, dass selbstgemachte Säfte pfui sind. Klingt verrückt? Ist aber so. Laut einer neuen Verordnung dürfen die Eltern nur mehr Essen mitbringen, das als Beipacktext die Inhaltsstoffe und das Kaufdatum angibt. Erdbeeren werden nach zwei Tagen weggeworfen, weil sie dann verdorben sein müssen. Elterliche Ribiselsaftspenden sind ein „No-Go“, weil nicht kontrollierbar, und beim Essen herrichten dürfen die Kids selbstverständlich auch nicht mehr mithelfen – dazu müssten sie ja Handschuhe anziehen. Muss eine seltsame Welt für die Kinder sein: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Papa oder Mama daheim die Semmerl mit Handschuhen füllen ...
MFG 09.14
Foto: Nomad_Soul/Fotolia.com
meinderat weiter. Doch welche Maßnahmen sind das konkret?
Oliver Wurz vom zuständigen Planungsbüro möchte den Entwurf allerdings nicht missverstanden wissen: „Mir ist es lieber von einem Konzept als von einer Planung zu sprechen. Es geht um lange Zeiträume und Richtungsvorgaben, weniger um konkrete Maßnahmen, auch wenn sie natürlich eine Rolle spielen.“ Bewusst wurden deshalb im Konzept Zeitpläne und genaue Umsetzungsstrategien weggelassen, auch im Rathaus ist man generell vorsichtig mit öffentlich angekündigten Zeitplänen, zu komplex und vielschichtig seien viele der Projekte, heißt es dort. Die Schwerpunktsetzung lässt erahnen, dass das Konzept nicht nur eine bessere Verkehrssteuerung zum Ziel hat, sondern auch den öffentlichen Raum mit einschließt. Damit im Zusammenhang wurde das Stadtgebiet in sogenannte „Lebensachsen“ unterteilt, die durch verschiedene Maßnahmen aufgewertet und neu gestaltet werden sollen. Das Verkehrskonzept verfolgt damit einen ganzheitlichen Ansatz, was auch Gregor Gradnitzer von der Stadtplanung als wesentliche Neuerung sieht: „Das neue Generalverkehrskonzept sieht sich, noch stärker als die bisherigen Verkehrskonzepte, als Fachbereichskonzept eines größeren Ganzen, nämlich dem neuen Stadtentwicklungskonzept St. Pöltens.“ Neben den konkreten Projekten werden auch laufend zu evaluierende Strukturen, wie die Radwege oder Busfahrpläne, als Priorität vorgegeben. Durch diesen prozesshaften Charakter soll auf Unwägbarkeiten, mit denen in einem Zeitraum von 15-20 Jahren definitiv zu rechnen ist, besser reagiert werden können.
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MFG URBAN
und Südteil der Stadt sind ebenfalls Thema, der Baustart zur Kerntangente Nord soll beispielsweise im nächsten Jahr erfolgen und weitere Verkehrsentlastung bringen. Die Planungen befinden sich dahingehend in der Endphase. An diesem Punkt haken allerdings die Grünen ein. Gemeinderätin Nicole Buschenreiter (Grüne) sieht eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen der propagierten Förderung des „grünen“ Verkehrs einerseits und Projekten wie der Nordtangente, der S34 oder der Park and Ride Anlage andererseits. „Solange die Stadtregierung sich derart gegen ein tatsächliches Umdenken sperrt und uns mit ‚Alibiprojekten‘ abspeist, wird das Bedürfnis nach unabhängiger Mobilität der Bevölkerung nicht gestillt werden“, so Buschenreiter. Tatsächlich findet sich im Verkehrskonzept die Anmerkung, dass neue Straßenprojekte nur dann durchzuführen sind, wenn es der spürbaren Entlastung im Sinne des Anrainerschutzes zuträglich ist. Ob die Nordtangente, die von sämtlichen anderen Parteien gefordert und unterstützt wird, diese Entlastung bringt, wird sich zeigen. In punkto öffentlicher Verkehr sollen v.a. auch die umliegenden Gemeinden mit einbezogen werden. „Unter anderem wird derzeit an einer Verbesserung des Personennahverkehrs auf Schiene, v. a. der Traisentalbahn gearbeitet“, berichtet Stadtplaner Jens de Buck. Mit der nächsten Fahrplanänderung habe die ÖBB hier bereits Verbesserungen angekündigt. Mittelfristiges Ziel ist die bessere Frequentierung von Traisentalbahn und der Kremser Bahnstrecke im Halbstundentakt - hier braucht es klarerweise Verhandlungen mit den österreichischen Bundesbahnen. Das neue Generalverkehrskonzept ist jedenfalls nicht als Einzelprojekt zu sehen, sondern als eine langfristige Orientierung für die Verkehrspolitik der Landeshauptstadt. Ankommen wird es auf die entsprechende Umsetzung der Zielvorgaben, über die zum jetzigen Zeitpunkt freilich nur in den Anfängen berichtet werden kann. 24
St. Pölten macht mobil
» Alternative Straßenbahn?
Jüngst hat DI Otfried Knoll, FH-Studiengangsleiter für Eisenbahn-Infrastrukturtechnik, die Tram in Gmunden gerettet. Und eine Bim für St. Pölten? Was macht den Reiz einer Straßenbahn aus? Welche Vorteile hat sie gegenüber dem Bus? Eine Straßenbahn bietet ganz einfach einen höheren Fahrkomfort, sie fährt auf Schienen, weshalb es keine unangenehmen Vertikal- und Querbeschleunigungen gibt. Eine Straßenbahn ist außerdem schmäler als Busse, trotzdem bietet sie mehr Fassungsraum. Also: Sie läuft ruhiger, braucht weniger Platz, weniger Energie und fährt elektrisch – ohne Abgase.
Aber sie fährt schon lange nicht mehr in St. Pölten. Zu einer Zeit, als in der Landeshauptstadt noch kein moderner Lup-Bus kurvte, haben Sie mit einem sympathischen Verkehrs-Projekt Aufsehen erregt: Sie wollten die Straßenbahn hier wieder aus der Remise holen. Ja, damals, 2004, habe ich mit der Idee einer City-Tram für St. Pölten den ersten Preis beim Wettbewerb „City lebt“ gemacht. Unter dem Motto „Legt Schienen zwischen Stadt und Land“ sollten die beiden Stadtentwicklungspole, nämlich die Innenstadt und der Kulturbezirk, auf sympathische Weise miteinander verbunden werden. Das wäre auch ein sinnvolles Alleinstellungsmerkmal für St. Pölten gewesen, die Stadt hätte neue Identität gewinnen können. Wie zum Beispiel in Istanbul – da fährt auch eine alte Bahn neue Wege und ist immer bis auf den letzten Platz voll.
Heute steht die St. Pöltner Tram im Straßenbahnmuseum in Mariazell. Könnte sie wieder einen Platz in ihrer alten Heimat bekommen? Macht eine Straßenbahn als Öffi in St. Pölten auch 2014 Sinn? Die alte Straßenbahn hatte eine andere Aufgabe. Sie war eine Güterbahn, die die Firmen Glanzstoff, Salzer und Harlander versorgt hat. Der Personenverkehr war dabei damals nur ein „Add-on“. Jetzt geht es im Generalverkehrskonzept um Alltagsverkehr. Und weil moderne Straßenbahnen ein Verkehrsmittel für dichte urbane Räume sind, wäre ein Reaktivieren der Straßenbahn in ihrer alten Form nicht vernünftig. St. Pölten hat zur Zeit die notwendige Dichte nicht – könnte sie aber bekommen.
St. Pölten ist also straßenbahntauglich, wenn es zur Großstadt wächst? Wenn die Stadt die notwendige Dichte erreicht, z. B. in der Nord-Süd-Achse, macht es Sinn, über eine Straßenbahnverbindung zwischen dem Bahnhof, der Fachhochschule und dem Traisenpark nachzudenken. Und wenn uns die Stadt als Fachhochschule dann beauftragt, solch eine Verbindung zu planen, machen wir das natürlich.
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Altert der lineare TV-Konsum mit seinen Konsumenten? In dieser Frage sind sich die Experten – wie so immer eben Experten anderer Meinung sein können – nicht einig. Fakt ist aber, dass immer mehr Menschen auf Online-Contents zugreifen. Social-Media-Dienste machen es den TV-Stationen schon lange vor. P3tv hat schon in Zeiten der ISDN-Telefonleitungen mit Videos im Internet „gespielt“. Mehr war das damals noch nicht. Es hat gepixelt, gewackelt und das Bild ist auch stecken geblieben. Heute ist der „Offline TV Konsum“ durch schnelle Internetanbindungen kein Thema mehr.
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Seit dem Durchbruch von „Smartphone und Tablet“ ist der TV-Konsum „immer & überall“ möglich. Er wird vor allem vom jüngeren TV-Publikum genutzt. Man will heute nicht warten, bis eine Sendung im TV zu sehen ist. Hat man diese verpasst, gibt es die Videotheken und Online-Portale. Vor allem auch die Zeitungsmacher nutzen elektronischen Content – der zwar kaum Geld in die Kassen spült, jedoch Aufmerksamkeit erweckt.
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MFG URBAN
„Der Richter hat weit über die Stränge geschlagen!“ Es geht um sehr viel Geld für St. Pölten – oder die Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien (RLB). Seit Mai steht das Verfahren am Handelsgericht Wien über ein katastrophales SWAP-Geschäft still, weil die Stadt die Ablehnung des Richters beantragt hat. Wir fragten Stadtanwalt Lukas Aigner nach den Gründen sowie seine Sicht der Dinge. Bei der letzten Verhandlung am Handelsgericht Wien beantragten Sie die Ablehnung von Richter Martin Ogris. Was hat für diesen nicht alltäglichen Schritt den Ausschlag gegeben?
Das Verfahren war schon von Anbeginn über weite Teile durchaus emotional, die Medien und die Öffentlichkeit haben entsprechendes Interesse gezeigt. Harte Diskussionen kommen bei Gericht oft vor, müssen aber immer sachlich bleiben. Der Richter hat in der letzten Verhandlung mit seinen Aussagen aber weit über die Stränge geschlagen. Sein Verhalten war mit den Grundsätzen eines objektiven Verfahrens nicht mehr in Einklang zu bringen. Zu einem Zeitpunkt, als die Zeugenbefragung in vielen Punkten nicht abgeschlossen war, wurden zentrale Zeugen persönlich angegriffen und Beweise vorab gewürdigt. Dabei sieht die Zivilprozessordnung klare Spielregeln vor – diese wurden nicht eingehalten. Ich bin durch meine jahrelange Vertretungstätigkeit vor Gericht einiges gewöhnt und musste bisher noch nie einen Richter in der Verhandlung ablehnen. Als Sie den Ablehnungsantrag formulierten, waren alle Anwesenden überrascht. Hatten Sie diesen Schritt im Vorfeld mit der Mandantin erläutert bzw. sich dafür das nötige Pouvoir geholt?
Die Zivilprozessordnung sieht eine 26
unverzügliche Rügepflicht vor, wenn der Anwalt den Eindruck gewinnt, dass der Richter zu einer unbefangenen Verfahrensführung nicht mehr in der Lage ist. Daher musste der Antrag auch sofort gestellt werden, als er aus meiner Sicht geboten war. Eine Konsultation mit der Mandantin wäre also in einer solchen Situation gar nicht möglich. Außerdem vertrete ich nur die Interessen der Mandantin. Das inkludiert natürlich auch derar-
»
tige Schritte, wenn diese geboten sind, um die Interessen zu schützen. Als Prozessbeobachter hatte man den Eindruck, dass im Verfahren wenig weitergeht. Ewig wurde um des Kaisers Bart diskutiert. Nun sind wieder vier Monate seit dem Ablehnungsantrag verstrichen. Spielt St. Pölten hier auf Zeit?
Die Verhandlungshoheit obliegt dem Richter. Der überwiegende Teil der
„Die Bank behauptet einen Schaden von 66 Millionen – sie wird ihre eigenen Bücher offenlegen müssen.“
TEXT: Michael MÜLLNER | Foto: Fotostudio Wilke Wien
Argumente liegt ja bereits vor einer mündlichen Verhandlung in Form von Schriftsätzen vor, die mündlichen Sachvorträge während einer Verhandlung sind eher die Ausnahme. Wie viel
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mit Kommunen Derivativgeschäfte geschlossen haben: Diese Produkte haben offenbar dem Geschäftsmodell nach einen hohen negativen Anfangswert, den aber nur die Bank kennt.
„Die Bank hatte einen massiven Wissensvorsprung vor ihrem Kunden und nutzte diesen aus.“
diskutiert wird, liegt in erster Linie an der Verhandlungsführung des Richters, er gibt die Linie und die Richtung vor, er kann Diskussionen befeuern oder abdrehen. Diskussionen sind ja hilfreich, um den Prozessstoff zu gliedern. Grundsätzlich hat der Richter ja die Aufgabe im Beweisverfahren alle Beweismittel zu sichten, insbesondere die Zeugen zu hören, erst danach fällt er sein Urteil. Da ist es natürlich wichtig, dass er das Verfahren auch aktiv lenkt. Als Klägerin und als Beklagte muss man die Möglichkeit haben, alle relevanten Aspekte vorzubringen. Es ist sinnvoll, dass der Richter auch herausarbeitet, an welchen Aspekten er denkt, dass sich das Verfahren entscheiden wird. Und zu diesen Punkten sollen dann beide Parteien ihre Argumente und Beweise vorbringen. Da muss man sich nicht an Nebenschauplätzen aufhalten. Dass ein solches komplexes Verfahren länger dauert, ist normal, da kann man dem Richter keinen Vorwurf machen. Der negative Anfangswert des umstrittenen Geschäftes führte oft zu Grundsatzdiskussionen zwischen Ihnen und dem Richter. Warum ist Ihnen dieser Aspekt so wichtig?
Es wäre meiner Meinung nach ein kluger erster Schritt, wenn man durch ein Gutachten eines Bankfachmanns genau dieses Geschäft bankfachlich in allen relevanten Aspekten ausleuchten würde. Das wurde im Verfahren Bruck an der Leitha auch gemacht und hat rasch zu einem Urteil geführt. Eine Fülle von Privatgutachten liegt ja bereits vor. Wir sehen das Phänomen eines hohen negativen Anfangswerts auch in anderen Fällen, bei denen Banken
Dieser wirkt sich über mehrere Ebenen sehr negativ für den Kunden aus. Ein weiteres zentrales Problem ist, dass Gemeinden weder die nötige Technik noch das nötige Know-How haben, um derartige komplexe Geschäfte wirklich zu managen – das können nur größere Banken. Dort gibt es spezialisierte Abteilungen, die das Risiko von Anfang an genau abschätzen, laufend messen, überwachen und im Fall des Falles auch in der Sekunde begrenzen können. Die Überwachung erfolgt rund um die Uhr, durch einen ganzen Stab an Experten mit komplexer EDV-Unterstützung. Würde man sich im gegenständlichen Fall die Stadt St. Pölten wegdenken, so hätte die RLB das Geschäft gar nicht mit Meryll-Lynch abschließen können – sie hätte es laut den uns vorliegenden Zahlen gar nicht ohne Sicherung in ihren Bankbüchern untergebracht, weil das Risiko selbst für die Bank und deren Limits viel zu hoch war. Das erkennt aber nur ein Derivate-Fachmann mit finanzmathematischer Ausbildung. Der Deutsche Bundesgerichtshof hat bereits 2011 ein Grundsatzurteil gefällt, dass eine Bank bei derartigen Geschäften dem Kunden den eigenen Interessenskonflikt und den negativen Startwert des Geschäfts offenlegen muss. Die Gemeinde glaubt, die Bank empfiehlt ein für die Gemeinde vorteilhaftes Geschäft – in Wahrheit ist das aber nicht der Fall, das Geschäft ist wegen dem negativen Startwert massiv unausgewogen. Das provoziert nicht nur einen Interessenkonflikt, sondern wirkt sich auch massiv auf das Risiko der Gemeinde aus. Die Bank wettet damit gewissermaßen gegen den Kunden.
Wäre das gegenständliche Geschäft nicht von den Banken geschickt als „Swap“ mit geringem Nominal getarnt worden, sondern so wie es der Wirklichkeit entspricht als Kombination von 67 Währungs-Optionsgeschäften im Schweizer Franken, hätte es von Anfang an nie und nimmer in den Betrags- und Risikolimits untergebracht werden können, welche der Gemeinderat von St. Pölten vorgegeben hatte. Limits, die übrigens gemeinsam mit der RLB erarbeitet wurden. Die Bank hatte also jederzeit einen massiven Wissensvorsprung vor ihrem Kunden und hat diesen nach unserem Standpunkt auch ausgenützt. Mit Ende März hat St. Pölten die Zahlungen an die RLB aus diesem Geschäft eingestellt, als Reaktion stellte die Bank das Geschäft glatt und kündigte eine Gegenklage über 66 Millionen Euro an. Ist diese bereits eingelangt?
Nein, wir wissen davon noch nichts. Die Bank behauptet nun einen Schaden von 66 Millionen Euro zu haben. Wir können dies aber nicht nachvollziehen. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass die Bank bereits vor längerer Zeit das Risiko des Geschäftes zwischen ihr und Meryll-Lynch durch Gegengeschäfte abgesichert oder das Geschäft schon davor geschlossen hat. Vielleicht war ja ihr eigentlicher Schaden dadurch nur 5 Millionen Euro? Somit würde man von St. Pölten nun auch nur eine Art von „Wettgewinn“ fordern. Die Bank wird ihre eigenen Bücher offenlegen müssen. Bis dato liegt diese Gegenklage jedenfalls noch nicht am Tisch.
ZUR Person Rechtsanwalt Lukas Aigner ist bei „Kraft & Winternitz“ Experte für Kapitalmarkt-, Bankund Versicherungsrecht. Er vertritt die Stadt St. Pölten im Zivilprozess gegen die Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien (RLB). Seine Kanzlei betreut auch die Stadt Linz in ihrem Zivilstreit mit der BAWAG sowie die Stadt Bruck an der Leitha, welche sich nach einem Erfolg in erster Instanz vor Kurzem mit Raiffeisen verglich.
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MFG URBAN
SERIE BILDUNG
Kindergarten
Was Hänschen nicht lernt …
Der Kindergarten ist die erste Stufe des österreichischen Bildungssystems. Hier wird das Fundament für die Entwicklung der Kinder gelegt. Doch wie brauchbar ist dieses Fundament?
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as österreichische Bildungssystem wird seit jeher kontrovers diskutiert. Gerade für ein rohstoffarmes Land wie Österreich sei Bildung das höchste Gut, hört man seitens der Politik. Vielerorts werden jedoch nur ideologische Grabenkämpfe gefochten, große Veränderungen scheitern oft an der mangelnden Reformbereitschaft oder bleiben halbgare Kompromisse. Der Kinder28
garten stellt dabei die erste Stufe des Bildungssystems dar. War in früheren Zeiten der Kindergarten (auch) schlicht eine Notlösung, um Kinder vormittags abzugeben, ist die Wichtigkeit dieser ersten Bildungseinrichtungen heutzutage bekannt. Zahlreiche Studien zeigen den Nutzen für das Kind deutlich auf. Dennoch ist gewiss nicht alles perfekt, es gibt überall Verbesserungspotential. Kernthemen der Diskussion um Kindergärten sind etwa Ausbildung und Bezahlung der Kindergartenpädagogen, die Herabsetzung des frühestmöglichen Eintrittsalters in den Kindergarten oder Probleme beim Übertritt zur Volksschule. Einerseits merkt man im Gespräch mit Beteiligten die Begeisterung, andererseits ist da und dort auch eine gewisse Angst um den
TEXT: Gotthard Gansch, Marion Pfeffer | Fotos: Karl Stadler, Gennadiy Poznyakov/Fotolia.com zVg
Gruppenhöchstzahlen in NÖ Landeskindergärten Regelgruppe................................... Höchstzahl 25 bis zu 4 Kinder unter 3 Jahre.......... Höchstzahl 20 5 Kinder unter 3 Jahre.................... Höchstzahl 19 6 – 12 Kinder unter 3 Jahre............ Höchstzahl 16 13 – 16 Kinder unter 3 Jahre.......... Höchstzahl 16 und zusätzlich eine 2. Kinderbetreuerin
NÖ Landeskindergärten in St. Pölten (Kindergartenjahr 2014/15) 1.479 Kinder 1.629 Plätze 77 Kindergartengruppen 101 Pädagogen (inkl. Sonderkindergartenpädagogen, interkulturelle Mitarbeiter) 82 Kindergartenbetreuer (inkl. Stützkräfte)
liche Aufnahme auf das vollendete 2,5te Lebensjahr, weshalb auch die Stadt St. Pölten unter finanzieller Mithilfe des Landes NÖ eine Kindergartenoffensive gestartet hat, um dem neuen Platzbedarf gerecht zu werden. In der Amtszeit von Bürgermeister Matthias Stadler wurden daher bisher 14 Kindergärten ausgebaut und die Gruppenanzahl um 22 auf derzeit 77 aufgestockt. In der Stadt gibt es zudem sieben Integrationsgruppen, deren Standort je nach Bedarf flexibel ist. Weiters gibt es vier heilpädagogisch-integrative Kindergartengruppen im Stadtgebiet. Neben den Landeskindergärten existieren auch Privatkindergärten, sie spielen in Niederösterreich allerdings ob des kostenfreien Besuches des öffentlichen Äquivalents eine kleinere Rolle als in anderen Bundesländern. In St. Pölten gibt es etwa einen Evangelischen Kindergarten, die Kindergruppe Luna Loo, die Spielwerkstatt oder die Biku Villa. Job mit dabei. Angst, etwas Falsches, etwas Unerwünschtes zu sagen. Man merkt, dass es sich um ein emotionales und polarisierendes Thema handelt. Status quo Der Besuch eines Kindergartens ist in Niederösterreich wie in den meisten Bundesländern (außer Burgenland) von Montag bis Freitag von 7:00 bis 13:00 Uhr kostenlos. Allein in St. Pölten versehen im angelaufenen Kindergartenjahr 101 Pädagogen (inkl. Sonderkindergartenpädagogen und interkultureller Mitarbeiter) und 82 Kinderbetreuer (inkl. Stützkräfte) ihren Dienst in NÖ Landeskindergärten, um die 1.479 Kinder in den 77 Kindergartengruppen im Stadtgebiet zu betreuen. Dabei sind sogar Kapazitäten frei, 1.629 Plätze gäbe es derzeit, erklärt Andreas Schmidt, Leiter des Schulamtes. Davon sind insgesamt 229 für unter 3-Jährige vorgesehen. Nachdem das NÖ Kindergartengesetz 2006 neu herausgegeben und seither zweimal (zuletzt 2009) novelliert wurde, beläuft sich nun die frühestmög-
Beruf und Berufung Claudia Wagner-Kresta, Leiterin des NÖ Landeskindergartens am Pernerstorferplatz in St. Pölten, skizziert die Anforderungen im Kindergartenalltag: „Die Liebe zu den Kindern und zum Beruf ist das Wichtigste. Jeder Tag ist anders, der Beruf ist sehr abwechslungsreich, aber auch sehr erfüllend.“ Die Herabsetzung des frühestmöglichen Eintrittsalter stelle ein tolles Angebot dar: „Dies ist eine große Unterstützung für das Elternhaus, gerade wenn man berufstätig ist. Die Eltern nützen das Angebot gerne. Es freut uns, dass Eltern uns vertrauen und ihre Kinder liebevoll betreut wissen.“ Etwa 7.300 2,5-jährige Kinder besuchten im vergangenen Schuljahr einen niederösterreichischen Kindergarten, allein am Pernerstorferplatz sind zwei Gruppen ausschließlich für die Kleinsten reserviert. Dadurch änderten sich auch die Anforderungen an das Personal, wie Wagner-Kresta weiter ausführt: „Die Kleingruppenarbeit gewinnt an Bedeutung. Das Erfahren, das Spüren, der Kontakt untereinander und zueinander ist bei kleineren MFG 09.14
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denken: ‚Ich bin wichtig, ich bin wertvoll.‘ Dann wird auch das Selbstwertgefühl gestärkt.“ Auch die Elternarbeit sei in diesem Zusammenhang ganz entscheidend: „Die Eltern sollen wissen, was wir machen.“ Es sei ein breites Lernfeld, aber Kinder machen große Lernfortschritte, wenn sie sich wohl fühlen.
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„Es freut uns, dass Eltern uns vertrauen und ihre Kinder liebevoll betreut wissen.“ Claudia Wagner-Kresta, NÖ Landeskindergarten
Kindern noch wichtiger.“ Die Kleinen würden dabei von den Großen, die Großen aber auch umgekehrt von den Kleinen lernen: „Der soziale Aspekt steht hier im Vordergrund.“ Zusätzlich existiert an diesem Standort eine heilpädagogisch-integrative Kindergartengruppe, wo altersgemäß entwickelte und Kinder mit besonderen Bedürfnissen gemeinsam betreut werden, wobei hier zusätzlich ein Sonderkindergartenpädagoge zum Einsatz kommt. Die starre Gruppeneinteilung wird bei offenen Angeboten aufgebrochen: Beim großflächigen Malen oder in der Bewegungslandschaft können sich die Kinder individuell nach ihren eigenen Bedürfnissen austoben. Hier spielt das Miteinander der Kinder eine große Rolle, aber auch ein eingespieltes Betreuerteam ist notwendig. Kulturelle Vielfalt Im NÖ Landeskindergarten Heinrich-Schneidmadl-Straße ist Integration wieder aus einem anderen Blickwinkel ein großes Thema: Den Kindergarten besuchen Kinder aus zwölf verschiedenen Nationen, 80 Prozent haben eine andere Erstsprache als Deutsch. Leiterin Brigitte Hutterer kennt die besonderen Herausforderungen, die dadurch entstehen: „Unterrichtssprache ist Deutsch. Jede Sprache hat aber den gleichen Stellenwert. Die Kinder sollen verstehen, dass es schön ist, unterschiedliche Sprachen hier zu haben.“ Nicht nur sprachlich, auch kulturell sind die Kinder verschieden. „Die Kinder müssen sich angenommen fühlen trotz der Unterschiedlichkeit. Wichtig ist dafür Wertschätzung für jedes einzelne Kind.“ Partizipation sei entscheidend, die Kinder müssten mit einbezogen werden. „Wenn sich die Kinder emotional gut und sicher fühlen, entwickeln sie Vertrauen. Das kann erstaunliche Lernprozesse in Gang setzen“, schildert sie weiter. „Die Kinder müssen 30
Alternative Wege Im Privatkindergarten „Spielwerkstatt“ gibt es hingegen gar keine Gruppen. Die rund 20 Kinder dürfen sich am Gelände und im Haus gänzlich frei bewegen, und fallen je nach Aufenthaltsort in die Zuständigkeit einer der drei Betreuerinnen. Der in Pottenbrunn situierte Privatkindergarten wird von Eltern getragen und stützt sich auf reformpädagogische Erkenntnisse: Man orientiert sich an der Pädagogik von Montessori, Piaget oder dem Ehepaar Wild. „Die Pädagogik geht vom Kind aus. Die Entwicklungsprozesse von Kindern sollen nicht unterbrochen werden“, skizziert Renate Liangos, eine der drei Pädagoginnen, die Grundidee: „Wir wollen emotionale Geborgenheit. Wir nehmen die Kinder so an, wie sie sind.“ Regeln gibt es nur wenige, ebenso keine altersmäßige Trennung. Der Schwerpunkt liegt auf vielfältigen Erfahrungen im sensorischen, motorischen und sozialen Bereich. „Der Kindergarten soll nicht verschult werden. Kinder sollen tun, wozu die Kindheit da ist: Viel ausprobieren und das auf spielerischer Basis.“ Es wird nicht vorgegeben, was die Kinder tun sollen. Kinder sollen einfach ihren Interessen nachgehen. „Es geht vor allem um die Selbsttätigkeit der Kinder. Dem einen Kind macht das mehr Spaß, dem anderen das. Jeder soll so sein dürfen, wie er ist.“ So gäbe es zwar etwa Bastelangebote für die Kinder, diese seien aber nicht verpflichtend. „Wir vertrauen darauf, dass das für jedes Kind stimmig ist“, fährt Liangos fort. In der Spielwerkstatt werden Kinder ab 2,5 Jahren nur in Ausnahmefällen aufgenommen, wenn es zum Beispiel Geschwister sind, die sich leichter tun. „Sonst ist es für kleinere Kinder überfordernd, etwa das große Areal. Es wird aber von Kind zu Kind unterschiedlich gehandhabt“, erklärt Liangos. Marcel Högl ist Vater eines Kindes, das die Spielwerkstatt besucht. „Wir haben ein äußerst kritisches Kind. Im Regelkindergarten hat es nicht gepasst. Wir hatten kein gutes Gefühl“, erklärt er die Beweggründe. „Vielleicht war es einfach nur die falsche Betreuerin im öffentlichen Kindergarten. Aber hier ist auf alle Fälle ein anderer Umgang mit den Kindern.“ Die gesamte Struktur sei offener, es gäbe Schnuppertage, wo die Eltern allein kommen. „Aber auch sonst ist man viel involvierter, weil es eben ein elterngeführter Verein ist. Es gibt viel Elternarbeit, man wächst dadurch zusammen, wird eine richtige Gemeinschaft“, schwärmt er. Er ist sich sicher: „Das ist der ideale Kindergarten für mein Kind.“ Eine Frage des Geldes Auch Liangos ist überzeugt, dass man dem idealen Kindergarten schon „ziemlich nahe“ gekommen ist: „Die Kinder kommen gern und entwickeln sich gut. Sie können
Kindergarten – Was Hänschen nicht lernt…
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MFG URBAN
Univ.-Prof. Stefan Hopmann, Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien
» Kinder sind keine Trivialmaschinen Was sind die dringendsten aktuellen Themen betreffend (Regel-)Kindergarten? Der Umgang mit
Was ist Ihrer Ansicht nach verbesserungswürdig? Viele Kindergär-
es nach so manchen Forderungen ginge,
ten leisten ganz sicher ausgezeichnete
schulförmig gelernt. Entwicklungspsycho-
Arbeit. Dennoch: Während wir im üb-
logisch ist das Unsinn: Kinder sind keine
rigen Bildungssystem im internationalen
Trivialmaschinen, die beliebig gefüllt und
Vielfalt: Kinder waren und
Vergleich überdurchschnittlich viel Geld
beschleunigt werden können. Früher Lei-
sind sehr unterschiedlich.
ausgeben (und zum Teil auch verschwen-
stungsdruck produziert häufig Spätschä-
Sie bedürfen dementspre-
den), hinkt Österreich bei der Ausstattung
den in der Lernfähigkeit. Deshalb sollten
chend sehr unterschied-
des frühkindlichen Bereichs deutlich hin-
uns die Erfahrungen anderer Länder
terher. Wir brauchen kleinere Gruppen mit
warnen: Beispielsweise hat die vor knapp
besser qualifizierten Fachkräften, als heute
zwei Jahrzehnten durchgesetzte Vorverle-
meist der Fall ist.
gung der Einschulung um ein Jahr in Nor-
licher Förderungen und Forderungen.
würde schon im Kindergarten viel mehr
Was wäre Ihr Idealtyp eines Bildungssystems für Zwei- bis Sechsjährige? Vermutlich eine Organisation
Was bedarf es zur Änderung?
die langfristige Leistungsentwicklung eher
wie in den meisten skandinavischen Län-
Mehr Geld, mehr Personal und mehr
noch beschädigt.
dern: ein breites freiwilliges Angebot vom
Engagement. Kindergärten sind die Visi-
ersten bis sechsten Lebensjahr mit Grup-
tenkarte für die soziale Qualität einer Ge-
pengrößen, die den Altersgruppen und
meinde und einer Gesellschaft.
wegen nicht nur nichts gebracht, sondern
dem jeweiligen Förderungsbedarf ange-
finanzierte Pflichtkindergartenjahre und
Sind Kindergärten heutzutage noch eine Schnittstelle zur Schule? Ja sicher, eher mehr als sie es
vollmundige
sind
früher waren. Das hängt mit den gestei-
nur Augenauswischerei, wenn man nicht
gerten Erwartungen von Eltern und Gesell-
passt sind. Letztendlich kommt es auf die Qualität des jeweils Gebotenen an. Unter-
Sollten Kindergartenpädagogen eine universitäre Ausbildung genießen? Nicht alle, aber sie sollte für Leitungs- und Fachfunktionen eine Selbstverständlichkeit sein.
für eine nachhaltige Aufwertung der Aus-
schaft zusammen: Immer mehr wird von
Sollten Kindergartenpädagogen gleich viel verdienen wie zum Beispiel Volksschullehrer?
bildung und Arbeitsbedingungen sorgt.
den Kindern immer früher erwartet. Wenn
Ja.
Bildungsprogramme
eine glückliche Zeit erleben.“ Mehr Betreuer wären ihr Wunsch, Problem sei hier aber das Geld. Das Personal sei nämlich das teuerste. In dieselbe Kerbe schlägt der Universitätsprofessor Stefan Hopmann (siehe Interview, Anm.), der sich kleinere Gruppen und qualifiziertere Fachkräfte wünscht, und dafür mehr Geld und Personal fordert, denn: „Kindergärten sind die Visitenkarte für die soziale Qualität einer Gemeinde und einer Gesellschaft.“ Edmund Lobinger, Direktor der BAKIP/BASOP in St. Pölten, findet hier jedoch klare Worte: „Alles, was Schule betrifft, liegt gemäß Verfassung in der Bundeskompetenz, das Kindergartenwesen dagegen ist rechtlich Sache der Länder. Es gibt daher ein bundeseinheitliches Schul- und Lehrerdienstrecht, aber neun verschiedene Kindergartengesetze, in denen u.a. festgeschrieben ist, wer im Kindergarten arbeitet. Es gibt dementsprechend in Österreich auch unterschiedliche Rechtsträger von Kindergärten: Länder, Gemeinden und diverse
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„Kindergärten sind die Visitenkarte für die soziale Qualität einer Gemeinde und einer Gesellschaft.“ Univ.-Prof. Dr. Stefan Hopmann
kirchliche und private Träger. Das Interesse vor allem der Länder und Gemeinden an höher qualifizierten Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen ist also schlicht aus finanziellen Gründen endenwollend. Sie müssten als Dienstgeber ein tertiär ausgebildetes Personal ja besser bezahlen. Kurz gesagt: Solange wir unsere föderale Verfassung haben, wird sich daran nur schwer etwas ändern.“ Der Psychologe und Universitätsprofessor Holger Brandes sah im StandardInterview die Entlohnung mit als einen Grund an, weshalb etwa so wenige Männer in die Kinderbetreuung gehen: „Es geht auch ums Geld. Der Erzieherberuf müsste aber finanziell aufgewertet werden, weil die Arbeit mit Kindern ein hochwertiger und wichtiger Beruf ist – das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Man kann nicht die Pädagogik nach dem Alter der Adressaten entlohnen: Also einem Kindergärtner sehr wenig und einer Universitätsprofessorin sehr viel bezahlen. Das ist eine ganz merkwürdige Logik. Das Wichtigste ist aber vermutlich, dass viele Männer immer noch finden: Kinderbetreuung und Kinderbildung sind Sache der Frauen.“ Fundierte Ausbildung Die Frage stelle sich aber auch, so BAKIP/BASOP-Direktor
Kindergarten – Was Hänschen nicht lernt…
» Lobinger weiter, ob eine tertiäre Ausbildung (also an Pädagogischen Hochschulen und/oder Universitäten) überhaupt sinnvoll, notwendig, wünschenswert sei: „Die Meinungen dazu sind durchaus differenziert. Außer Frage steht, dass die Anforderungen an das pädagogische Personal im Kindergarten massiv gewachsen sind. Es herrscht Konsens darüber, dass der Kindergarten keine Bewahranstalt, sondern die erste Bildungseinrichtung ist.“ Der Wert der bestehenden Ausbildung liege in der starken Verknüpfung von Theorie und Praxis. „Im Rahmen einer tertiären Ausbildung müsste unbedingt sichergestellt sein, dass diese Praxisrelevanz nicht einer reinen Verwissenschaftlichung zum Opfer fällt. Kindergartenpädagoginnen und –pädagogen brauchen auch ein hohes Maß an sozialer und emotionaler Kompetenz und Persönlichkeitsbildung. Dies wird an Pädagogischen Hochschulen und Unis erfahrungsgemäß nur sehr bedingt vermittelt.“ Außerdem gebe es bislang kein brauchbares Konzept, was mit den 25 BAKIPs (davon sechs in NÖ) passiere, falls die Ausbildung an die Hochschulen komme. Weiters bräuchten die Pädagogischen Hochschulen (nach interner Expertenmeinung) noch mindestens zehn Jahre, um genügend wissenschaftlich qualifiziertes Personal im Bereich der Elementarpädagogik aufzubauen, um einen Output in der Größenordnung der BAKIPs (jährlich rund 1.200 Absolventen) zu gewährleisten. Tatsächlich befinden alle Pädagogen, mit denen wir sprachen, die derzeitige Form der Ausbildung für gut und sehr fundiert. Alle anderen Pädagogen werden aber mittlerweile an Pädagogischen Hochschulen oder Universitäten ausgebildet. Der schwierige Übergang Als potentielle Schwachstellen des österreichischen Bildungssystems werden oftmals auch die Übergänge zwischen den Bildungseinrichtungen identifiziert. Um dem entgegenzuwirken, wird nun seitens des Ministeriums für Bildung und Frauen (BMBF) an 35 Standorten eine Volksschulreform ausgerollt. Dabei soll eine engere Kooperation zwischen Kindergarten und Volksschule stattfinden, sie sollen mehr miteinander verschmelzen. Eine Arbeits-
„Kinder sollen tun, wozu die Kindheit da ist: Viel ausprobieren und das auf spielerischer Basis.“ Renate Liangos, Pädagogin
gruppe arbeitet derzeit daran, die konkrete Umsetzung zu entwerfen und gesetzliche Barrieren zu identifizieren und abzubauen. Ministerin Heinisch-Hosek wünscht, dass sich Volksschullehrer über Portfolios – auf freiwilliger Basis – bereits ein Bild über die Kinder machen können. Um diesen besagten Übergang zu erleichtern, gibt es seitens des Landes NÖ bereits das Übergangsportfolio und Übergangsgespräche. „Das Übergangsportfolio ist eine Mappe, die in die Schule vom Kind mitgenommen wird. Hier wird die Lerngeschichte dokumentiert. Dies dient auch Volksschullehrern als Hilfe, was die Kinder bereits erlebt oder gelernt haben“, erzählt Wagner-Kresta vom NÖ Landeskindergarten Pernerstorferplatz: „Es gibt aber etwa auch bereits Schuleinschreibungen mit Eltern und Kindergartenpädagoginnen gemeinsam.“ Dies funktioniere alles sehr gut, es gebe laufend Verbesserungen. Der Kindergartensektor ist also merkbar im Wandel, neueste pädagogische Erkenntnisse fließen in die Betreuung ein. Eines bleibt aber bestehen: Eine geringere Bezahlung der Kindergartenpädagogen, die Bereitschaft zur Änderung bleibt wohl ein Lippenbekenntnis.
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10 JAHRE NDU! EINE ERfOLGESCHICHTE MIT ZUKUNFT Die New Design University (NDU) wurde vor zehn Jahren von der Wirtschaftskammer Niederösterreich und ihrem WIFI aus der Taufe gehoben. St. Pölten avancierte zur Universitätsstadt, und die NÖ Bildungslandschaft wurde um eine Einrichtung reicher, die in ihren Studienangeboten den pulsierenden Bereich Creative Industries fokussiert und Absolventen hervorbringt, die den Wandel der Gesellschaft mit Pioniergeist und Verantwortungsbewusstsein vorantreiben. Sonja Zwazl, Präsidentin der Wirtschaftskammer NÖ, die gemeinsam mit Kammerdirektor Franz Wiedersich und WIFI Institutsleiter Andreas Hartl die Gründung der Universität auf Basis eines Konzeptes des Bildungsstrategen und Lehrenden Barry J. Hewson in die Gänge gebracht hat, ist stolz auf die Entwicklung der NDU: „Unsere Privatuniversität hat sich bis dato nicht nur gut, sondern auch breit weiterentwickelt und ist im Spannungsfeld von Wirtschaft und Kreativität mittlerweile ein Zentrum der Inspiration, das keinen Vergleich zu scheuen braucht, weder innerhalb der blau-gelben Hochschullandschaft noch über die Grenzen des Landes hinaus.“ Ist die NDU 2004 mit nur zwei Studiengängen gestartet, bietet sie – nur zehn Jahre später – bereits zehn an (siehe Infokasten). Dabei stellt sie sich bewusst den komplexen Herausforderungen, die moderne Universi-
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täten zu bewältigen haben. „Universitäten müssen heute mehr denn je auch aktiv Stellung beziehen zu sozialen, ökonomischen, politischen Fragestellungen und sich neuen, auch impliziten Formen der „Wissens- und Innovationsproduktion“ öffnen“, so Rektor Schmidt-Wulffen. „Daher haben wir die Curricula strategisch in diese Richtung vertieft bzw. neu formuliert. Der Begriff Design steckt also nicht nur im Namen unserer Universität, sondern ist auch Programm und bildet die inhaltliche Verknüpfung unserer drei Fakultäten Gestaltung, Technik, Business.“ „Aber auch die Erprobung und Umsetzung des Wissens in der Praxis sowie der Erwerb und die Anwendung fundierter Kenntnisse in den Bereichen Wirtschaft und Marktkommunikation spielen in allen NDU-Studiengängen eine bedeutende Rolle“, ergänzt Prorektor Johannes Zederbauer. „Daher haben wir 2012 das NDU Future Lab gegründet. Hier bündeln wir sämtliche Aufgabenstellungen, die die Wirtschaft und die öffentliche Hand an uns herantragen und geben unseren Studierenden die Chance, unter Anleitung erfahrener Lehrender Realprojekte interdisziplinär zu bearbeiten“, so Zederbauer weiter. Sichtbare Spuren des NDU Future Labs sind niederösterreichweit zu entdecken wie etwa im Design des Stadtbusses Lup oder in jenem der Bücherregale der NÖ Leseumwelten. Im Spiegel dieser Dynamik sind die Anzahl
der Studierenden und damit der Platzbedarf in den vergangenen Jahren markant gestiegen. Daher ist die NDU unlängst ins neu errichtete Zentrum für Technologie und Design übersiedelt. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk kann es wohl kaum geben. Die offizielle Eröffnung findet am 10.10. statt. Ab 14 Uhr ist das neue Haus für Besucher offen! Come & see! Eintritt frei. NDU Bachelor-Studiengänge Grafik- & Informationsdesign Innenarchitektur & 3D Gestaltung Design, Handwerk & materielle Kultur Event Engineering Business & Design (in Akkreditierung, Start: Oktober 2015)
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TEXT: Siegrid Mayer | Foto: ZVG
Stark für die Schwachen
„Die Heidi ist da!“, hören wir bei unserem Rundgang durch die Tagesheimstätte, wo Heidemaria Onodi im Vorstand sitzt. Praktisch jeder der hier betreuten Menschen mit besonderen Bedürfnissen scheint die St. Pöltner Politikerin zu kennen – sie wird umarmt und geherzt. Ein berührendes Szenario, und nichts wirkt – wie es schon mal bei Politrundgängen vorkommen kann – gestellt oder unecht. Sie waren einmal SP-Landesparteivorsitzende, dann wurden Sie quasi als „zu brav“ durch Sepp Leitner ersetzt. Der ist mittlerweile Geschichte, der Neue Matthias Stadler fährt einen ähnlichen Kurs wie Sie damals – erfüllt Sie das mit Genugtuung?
Genugtuung ist sicher das falsche Wort für mich – so habe ich es eigentlich nie empfunden. Die Beurteilung damals war aber falsch. Wir hatten 2003 seit 25 Jahren erstmals wieder bei Wahlen zugelegt, das war schon eine Leistung. 2008 gab es dann mehrere Umstände, die gegen mich gewirkt haben, andere Bundesländer hatten ebenfalls einen Einbruch. Ich bin jedenfalls nach wie vor der Meinung, dass ein konstruktiver Umgang miteinander für das Land besser ist als Konfrontation. Wie ist es Ihnen damals in der Zusammenarbeit mit der ÖVP und dem Landeshauptmann ergangen? Was hat sich gegenüber früher geändert?
Aus meiner Sicht gab es immer eine sehr gute Zusammenarbeit. Natürlich hatten wir sachliche Diskussionen, aber trotzdem war stets Kooperation das Ziel – und das habe ich durch meine Überzeugung und meinem gelebten Bekenntnis dazu auch erreicht. Um große Probleme zu lösen, ist das einfach notwendig – nicht nur im Landtag, sondern auch auf Ebene der Bundesregierung – es ist etwa höchste Zeit, etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu unternehmen! Das führt uns zu ihrer Corporate Identity, wenn man es so nennen möchte. Sie sind vielen ja als Sozialpolitikerin ein Begriff, woher rührt dieses Engagement eigentlich?
Eindeutig von meiner Ausbildung – ich bin ja gelernte Krankenschwester, habe auch in dem Bereich als Lehrerin gearbeitet. Prinzipiell setze ich mich einfach gerne für 36
Menschen ein, die sich selbst nicht so helfen können – und das mache ich jetzt. In allen Facetten. Zum Beispiel im Vorstand der Geschützten Werkstätte (GW). Worum geht’s da?
Ab dem 15. Lebensjahr haben hier behinderte Personen eine Arbeitsstätte. Es werden auch Lehrlinge ausgebildet. Sie stehen in einem ordentlichen Dienstverhältnis, was zum einen für das Selbstwertgefühl wichtig ist, zum anderen aber auch wichtige soziale Aspekte erfüllt, wie zum Beispiel Geld zu verdienen und Pensionszeiten zu erwerben. Insgesamt haben wir in der GW 410 Mitarbeiter. 75% des Budgets werden vom Betrieb selbst erarbeitet! In der Tagesheimstätte wiederum gibt es 140 Betreute, hier betragen die Förderungen 75%, die restlichen 25% werden in arbeitsorientierten Bereichen und durch Sponsoren erwirtschaftet. Ein Anliegen war Ihnen auch „Betreutes Wohnen“, das gerade realisiert wird.
Ja, in der Nähe des Behindertenwohnheimes „DomiZiel“ in Spratzern entstehen 18 von der Volkshilfe betreute Wohneinheiten. Dass dies gelungen ist, darauf blicke ich mit ehrlichem Stolz zurück. Das hat lange gedauert, aber jetzt wird es Realität. Sie waren schon so ziemlich alles: Nationalrätin, zweite Landtagspräsidentin, Landtagsabgeordnete, Parteivorsitzende, Gemeinderätin – fehlt eigentlich nur mehr Bürgermeisterin. Eine Option, wenn Matthias Stadler doch irgendwann der Ruf des Bundes ereilen sollte?
(schüttelt lachend den Kopf) Nein, das steht wirklich nicht zur Diskussion. Außerdem bleibt Matthias Stadler, wie er es jüngst in einem Interview wieder bestätigt hat, Bürgermeister von St. Pölten – davon bin ich überzeugt!
Living in a Box
Vor gut einem Jahr öffnete der erste Coworkingspace Niederösterreichs „dieBox“ in St. Pölten. MFG machte einen Lokalaugenschein und besuchte Mitgründer Matthias Nolz. TEXT: KATJA BILLENSTEINER | Foto: KARL STADLER
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ie Idee hinter dem Konzept erklärt Nolz folgendermaßen: „Wir möchten Jungunternehmern, Start-ups, Freiberuflern oder Studenten die ersten Schritte zur bzw. in die Selbstständigkeit erleichtern. Vielen wird in der ersten Phase ja das Heimbüro zu klein, ihnen fällt sprichwörtlich die Decke auf den Kopf. Daher sind sie oftmals gezwungen, sich in ein Büro einzumieten, was aber sehr teuer werden kann.“ Die Box liefert hier eine kostengünstige Alternative mit Zusatznutzen: „Der Coworkingspace bietet nicht nur einen komplett eingerichteten Arbeitsplatz, sondern ermöglicht auch das Entstehen von Synergien durch den Branchenmix.“ Gemeinsam ist mehr. Dabei soll man in der „Box“ nicht nur selbstständig arbeiten, sondern auch mit den anderen Coworkern zusammen. „Das Miteinander mit Menschen aus verschiedenen Branchen ermöglicht das jeweilige Know-How des anderen zu nutzen, sich kompetente Hilfe zu holen, gemeinsame Problemlösungen zu erarbeiten oder ganz allgemein Kontakte zu knüpfen – kurzum Networking mit den anderen Selbstständigen zu betreiben.“ Aktuell bevölkern die „Box“ Coworker aus den Bereichen Architektur, Webdesign und Recht, wobei Nolz auf die Frage, wen er sich noch wünschen würde, festhält: „Menschen aus jeder kreativen Branche sind eine Bereicherung, jeder bringt dem anderen etwas!“ Was ihn zudem fasziniert ist der Umstand, dass sich durch den Austausch zwischen den Coworkern oft neue gemeinsame Projekte ergeben. Vom Arbeitszimmer ins Wohnzimmer. In der „Box“ soll nach Nolz‘ Vorstellung aber nicht nur die Arbeit im Vordergrund stehen, sondern auch die gemeinsame Freizeitgestaltung. Wichtig ist ihm beispielsweise das gemeinsame Frühstück oder Mittagessen: „Das gibt einem das Gefühl, vom Arbeitszimmer direkt ins Wohnzimmer zu
kommen.“ Abendveranstaltungen wie Kochkurse oder zuletzt ein Grillworkshop komplettieren das Angebot, „um den Teamgeist unter den Coworkern zu stärken!“ Um die „Box“, ihr Angebot und die Idee dahinter noch stärker zu vermitteln, möchte Nolz im Frühjahr 2015 einen Tag der Offenen Tür veranstalten. Bis dahin kann man direkt in der Birkengasse 53 oder digital auf www.diebox. info vorbeischauen.
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Was machen die dort eigentlich im
Parlament?
183 Abgeordnete zum Nationalrat vertreten uns Bürger. Wir starten eine Serie und werfen einen regelmäßigen Blick auf das Wirken „unserer“ Abgeordneten im Parlament. Doch wer sind die überhaupt? Wer vertritt denn das Einzugsgebiet rund um St. Pölten? Und wissen unsere Vertreter überhaupt, welche Themen uns auf lokaler Ebene bewegen?
A
lso stellten wir den befragten Mandataren die gleichen Fragen – in der Hoffnung so ausloten zu können, ob wir diese als „unsere“ Mandatare durchgehen lassen können. In St. Pölten und Umgebung ist Anton Heinzl wohl der bekannteste Nationalrat, als rotes Urgestein ist er trotz Bundespolitik-Job mit der Lokalpolitik eng verwoben. Die Frage, wie denn St. Pöltens Bürgermeister und die Vizebürgermei38
ster heißen, war da mehr Formsache. Auch die Hintergründe zum Domplatz-Streit kennt er. Doch was ist eigentlich seine Meinung zur umstrittenen S34? „Aus Sicht der Stadt und des Landes ist die S34 unbedingt notwendig, die bestehende Straße ist mit über 20.000 Fahrzeugen täglich überlastet und hat teilweise mehr Frequenz als die A1. Die West-Führung macht aus vielerlei Gründen Sinn, darum ist es wichtig,
dass im Herbst die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) endlich startet“, so Heinzl. Welche Vision hat er für den Raum St. Pölten in 20 Jahren? „St. Pölten soll alle Annehmlichkeiten einer modernen, urbanen Stadt bieten, sich aber trotzdem die Liebenswürdigkeit des dörflichen Charmes und die vielen Grünbereiche bewahren.“ Und welche Nutzung wünscht er sich, unabhängig von der Realisier-
TEXT: Michael Müllner | Fotos: Peter Korrak, Photo Simonis
SERIE NATIONALRAT
barkeit, für das Glanzstoff-Areal? „Eindeutig sozialer Wohnbau. In dem Bereich setze ich mich auch bundespolitisch ein, wir brauchen eine eigene Kategorie in der Flächenwidmung für sozialen Wohnbau, damit Spekulation auf diesen Flächen ausgeschlossen ist. Auch wenn Genossenschaften noch so preiswert bauen, der Anteil der Grundkosten an einer Wohnung ist das Problem. Da müssen wir für leistbares Wohnen unbedingt ansetzen. St. Pölten ist in der Hinsicht auch ein Vorreiter. Schön wäre, wenn 20 bis 30 Prozent des riesigen Glanzstoff-Areals in Zukunft für sozialen Wohnbau genutzt werden könnten!“ Der Markersdorfer Bürgermeister Friedrich Ofenauer zog nachträglich in den Nationalrat ein, als Johanna Mikl-Leitner wieder Innenministerin und somit ihr Parlamentsmandat frei wurde. Der ÖVP-Politiker sieht sich als „blau-gelber“ Ansprechpartner
für die Region im Parlament, auch er kennt die St. Pöltner Stadtpolitiker und kann die Argumente für und gegen Parken am Domplatz nachvollziehen. Ebenso ist er ein klarer Befürworter der S34, die aktuelle Verkehrssituation in St. Pölten in Richtung Süden brauche eine Entlastung und die West-Umfahrung mit einer neuen Autobahnauffahrt wäre für die Region wichtig, wobei „im Zuge der UVP alle Umweltschutzauflagen einzuhalten sein werden und mit den Grundeigentümern eine vernünftige Lösung gefunden werden muss – deren Sorgen kann ich auch gut nachvollziehen“, so Ofenauer. Bei der Vision für den Raum St. Pölten in 20 Jahren denkt er an den Ausbau der Westbahn und meint, „dass man da ja schon fast Wien als Teil des Raums St. Pölten sehen könnte. St. Pölten wird sich jedenfalls zu einer selbstbewussten Landeshauptstadt
entwickeln, die ihre Vorzüge, etwa die Nähe zu Wien, Krems oder dem Alpenvorland, nicht unter den Scheffel stellen braucht.“ Für das Glanzstoff-Areal denkt er an eine gemischte Nutzung, „wie jede Kommune braucht auch St. Pölten eine aktive Bevölkerung und darum einen Mix aus leistbaren Wohnungen, innovativen Betrieben mit hochwertigen Arbeitsplätzen sowie Möglichkeiten für attraktive Freizeitgestaltung von Kunst bis Sport. All diese Punkte könnte man am Areal unterbringen – wobei das natürlich eine städtebauliche Herausforderung ist, um all dies eben in die bestehende Stadtstruktur einzuflechten.“ Seinen politischen Schwerpunkt sieht Ofenauer in den nächsten Wochen und Monaten im Justizbereich. Dort steht eine große Novelle des Strafrechts an. Auch im Mietrecht soll vieles vereinfacht und entrümpelt werden, leistbares Wohnen ist MFG 09.14
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Wie kommt man eigentlich ins Parlament? Und wofür brauchen wir die Nationalräte überhaupt? 183 Abgeordnete zählt der österreichische Nationalrat. Diese „Hauptkammer“ des Parlaments in Wien beschließt, was in Österreich Gesetz wird. In der zweiten Kammer, dem Bundesrat, sitzen Vertreter der einzelnen Bundesländer – diese haben jedoch nur geringen Einfluss auf die aktive Bundesgesetzgebung. Wer in den Nationalrat einziehen möchte, muss von einer wahlwerbenden Partei auf eine Kandidatenliste gesetzt werden. Je weiter oben man platziert wird, desto größer ist die Chance, auch tatsächlich einzuziehen, sofern die eigene Partei ausreichend Wählerstimmen und damit Mandate erhält. Neben Bundes- und Landeslisten gibt es auch Listen für einzelne Regionalwahlkreise. Zum Regionalwahlreis 3D („NÖ Mitte“) zählen die Bezirke St. Pölten Stadt und Land, Tulln sowie Lilienfeld. Nach komplexen Regeln kommen Kandidaten aller drei Listen zum Zug. Im österreichischen Parlamentarismus ist das Persönlichkeitswahlrecht kaum ausgeprägt. Relevant ist, dass der Kandidat von seiner Partei auf eine „wählbare“ Position auf der Wahlliste gesetzt wird. Die regionale Bekanntheit und Beliebtheit ist deshalb für einen Einzug ins Parlament oft nicht ausschlaggebend. Zugleich besteht ein großer Teil der praktischen Arbeit der Mandatare auch in der „Netzwerkpflege“ im eigenen Wahlkreis, wo sich diese eine Art „Hausmacht“ aufbauen. Im Parlament sind die Nationalräte in Ausschüssen tätig, diese beschäftigen sich mit konkreten Politikbereichen. Grundaufgabe des Parlamentes ist es, Gesetze zu erarbeiten. Vollzogen werden diese Gesetze dann von der Verwaltung, an deren Spitze der Bundespräsident und in Folge der Bundeskanzler mit seinen Ministern steht. Das Parlament vertritt die Bürger und hat damit die Aufgabe die Verwaltung, also auch die Bundesregierung, zu kontrollieren. Nach spätestens fünf Jahren endet eine Legislaturperiode, der Nationalrat wird aufgelöst und die Staatsbürger wählen eine neue Vertretung.
auch für ihn ein großes Thema. Als Mitglied im Petitionssausschuss traf er etwa auf Roland Düringer, der dort ein Rederecht erhielt: „Bürgern Gehör zu verschaffen ist mir ein zentrales Anliegen. Mit der U-AusschussReform sollten wir bald zu einem Ergebnis kommen“, hofft Ofenauer, denn „Aufklärung ist wichtig, um Fehler in Zukunft zu vermeiden“. 40
Name:
Anton Heinzl Partei: SPÖ
Name:
Friedrich Ofenauer Partei: ÖVP Geboren: 3. Juli 1953 In folgenden Ausschüssen: Verkehr, Außenpolitik, Innere Angelegenheiten, Hauptausschuss. Beruflicher Background: Maurer, Bautechniker, SPÖ-Bezirksgeschäftsführer. Politischer Background: SJ, SPÖ St. Pölten-Stadt. Im Parlament seit: 7. April 1998 Special Move: Rotes STP-Urgestein, das als Außenpolitiker auch zum diktatorischen Nordkorea Kommunikationskanäle offenhalten will.
In Kaumberg, im Bezirk Lilienfeld, lebt der freiheitliche Nationalrat Christian Hafenecker, auch er ist über die Regionalwahlkreis-Liste ins Parlament eingezogen. Nach Jahren in der NÖ Landespolitik beschäftigt er sich mit Verkehrsthemen (Waldviertel-Autobahn, Erhaltung der Nebenbahnlinien, die das Land NÖ von der ÖBB übernommen hat) und ist stellvertretender Obmann des Ausschusses für Petitionen und Bürgerinitiativen: „Die Bürgerbeteiligung nimmt rasant zu, gerade bei diesen kleinräumigen Anliegen der Bürger ist es wichtig, dass die Politik rasch an Lösungen im Sinne der Menschen arbeitet“. Die St. Pöltner Lokalpolitiker kennt er von gemeinsamen Terminen, auch die Domplatz-Diskussion ist ihm bekannt (Hafenecker befürwortet weiterhin Autoabstellplätze „um im Stadtzentrum ein Geschäftsleben zu erhalten“). Der Verkehrspolitiker ist ein Befürworter der S34, hat zu ihr aber ein ambivalentes Verhältnis: „Die S34 muss endlich gebaut werden, Ankündigungen reichen nicht. Gerade der Bezirk Lilienfeld braucht diese Straße, mir wäre aber die Ostvariante lieber gewesen, damit man gleich am Knotenpunkt S33/A1 auffahren hätte können.“ Als Vision für den St. Pöltner Raum in 20 Jahren glaubt er an einen „fort-
Geboren: 9. Jänner 1973 In folgenden Ausschüssen: Konsumentenschutz, Justiz, Bauten, Menschenrechte, Petitionen und Bürgerinitiativen. Beruflicher Background: Jurist, NÖ Landesverwaltung und Mitarbeiter im Büro von Landeshauptmann Erwin Pröll. Politischer Background: ÖVP Markersdorf-Hainfeld, ÖAAB. Im Parlament seit: 17. Dezember 2013 Special Move: Bürgermeister von Markersdorf-Haindorf, nun ÖVP-Mann für den NÖ-Zentralraum im Parlament.
gesetzten Wachstumsprozess, denn im Bereich der städtischen Infrastruktur hat sich bereits vieles gebessert, gerade auch beim öffentlichen Verkehr. Jedoch ist die Demontage des Umlands nicht förderlich für die Stadt. Man muss weg von der Politik, dass alle Mittel nach St. Pölten gelenkt werden.“ Dass gerade Niederösterreich für seine nicht immer unumstrittene Regionalisierungspolitik bekannt ist, relativiert Hafenecker: „Die Regionalisierung ist doch nur ein Lippenbekenntnis. Das Land übernimmt von den ÖBB 28 Nebenbahnen und sperrt 26 davon zu. Polizei und Post werden zugesperrt. Diese Ankündigungspolitik deckt sich nicht mit der Realität.“ Auch für das Glanzstoff-Areal denkt Hafenecker, dass günstiger Wohnraum ein Thema der Zukunft ist und St. Pölten das Areal demnach auch vor diesem Hintergrund entwickeln sollte. Bei den Grünen ist die Wiener Neustädterin Tanja Windbüchler-Souschill im Jahr 2008 auf der Landesliste ins Parlament eingezogen, sie kümmert sich auch um St. Pöltner Anliegen und weiß zudem aus dem Stegreif, wer St. Pöltens Bürgermeister ist. Dass der Domplatz in Zukunft autofrei sein sollte, ergibt sich für Windbüchler aus der damit verbun-
WAS MACHEN DIE DORT EIGENTLICHT IM PARLAMENT?
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Tanja WindbüchlerSouschill Partei: Die Grünen
Geboren: 6. November 1976 In folgenden Ausschüssen: Außenpolitik, Menschenrechte, Landesverteidigung, Hauptausschuss. Beruflicher Background: Sozialarbeiterin in verschiedenen Bereichen der Jugendkultur und Gewaltprävention. Politischer Background: Die GrünenWiener Neustadt. Im Parlament seit: 28. Oktober 2008 Special Move: Grüne Bereichssprecherin im Parlament für Außen- und Entwicklungspolitik.
denen Aufwertung für die Innenstadt. Nur ein autofreier Domplatz kann sich zu einer Lebensader entwickeln, Freiräume seien bei der Stadtentwicklung wichtig. Auch zur S34 hat die Grüne eine, nicht sonderlich überraschende, Meinung: „Bitte nicht bauen! Der Widerstand muss fortgeführt werden, in diesem Punkt haben die Bauern und die Opposition einfach Recht. Als Alternative sollte der öffentliche Verkehr ausgebaut werden, denn eine neue Umfahrung bedeute nur noch mehr Verkehrsaufkommen.“ Welche Vision hat sie für den St. Pöltner Raum in 20 Jahren? „Eindeutig Bildung! Damit muss man auch rasch beginnen und keine Zeit verlieren. Das Einzugsgebiet ist sehr groß, die Fachhochschule platzt aus allen Nähten, da brauchen wir massiven politischen Willen von Land und Bund, um in St. Pölten mehr Bildungsangebot – auch durchaus universitäres – zu schaffen!“ Und welche Nutzung würde sich Tanja Windbüchler für das ehemalige Glanzstoff-Areal wünschen? „Dort bietet sich Kunst und Kultur an! Ich denke dabei an ein Zentrum für Künstler jeder Art, für Ausstellungsmöglichkeiten und die Chance eine innovative, alternative Szene zu fördern. Künstler organisieren sich
Name:
Niki Scherak Name:
Partei: NEOS
Christian Hafenecker Partei: FPÖ
Geboren: 11. August 1980 In folgenden Ausschüssen: Petitionen und Bürgerinitiativen, Verkehr, Bauten, Forschung und Innovation. Beruflicher Background: Landmaschinentechniker, Mitarbeiter einer Rechtsanwaltskanzlei, Werkschutzorgan, Journalist, Pressereferent, Parteisekretär. Politischer Background: RFJ, FPÖ Lilienfeld, FPÖ NÖ. Im Parlament seit: 29. Oktober 2013 Special Move: Freiheitlicher Landespolitiker, nun auch im Parlament aktiv.
am besten selber, man muss ihnen nur Raum zur Verfügung stellen! Ein schönes Beispiel ist ja der Sonnenpark – der übrigens unbedingt erhalten bleiben muss und LAMES, die man fördern sollte!“ Der Badener Niki Scherak ist bei den NEOS Wissenschaftssprecher. Auf der Donau-Uni in Krems hat er studiert und über die NÖ-Landesliste zog er 2013 in den Nationalrat ein. Er gibt unumwunden zu, dass er bei manchen St. Pöltner Themen zu wenig Hintergrundwissen hat. An der Domplatz-Diskussion will er sich nicht beteiligen, da kenne er die Hintergründe zu wenig. Auch die S34 ist ihm zwar ein Begriff, aber eine seriöse Meinung hat er dazu nicht. Da die NEOS ihre Strukturen in den Landeshauptstädten derzeit aufbauen, beschäftige er sich aber zunehmend auch mit regionalen Themen. Gefragt nach seiner Vision für St. Pölten in 20 Jahren weicht er nicht in Schmeicheleien aus: „Die Stadt sollte urbaner werden. Man muss zugeben, dass Niederösterreich kein ultimatives Landeszentrum hat. Das liegt aber nicht an St. Pölten, auch andere Städte in Niederösterreich würden dieses Hauptstadtflair nicht bringen können. Das liegt schon alleine an der kurzen Zeit, in der St. Pölten Haupt-
Geboren: 16. Oktober 1986 In folgenden Ausschüssen: Forschung und Innovation, Menschenrechte, Wissenschaft, Geschäftsordnung. Beruflicher Background: Jurist mit Schwerpunkt Menschenrechte, Lehrbeauftragter, Mitarbeiter im Europäischen Parlament. Politischer Background: JuLis (Junge Liberale) Im Parlam.ent seit: 29. Oktober 2013 Special Move: Rettungssanitäter und Libero des Fußballklubs Irreal St. Leopold.
stadt ist. Es fehlt die nötige Größe, aber mit kontinuierlichem Wachstum lässt sich das kontinuierlich verbessern.“ Doch auch schon heute hält Scherak fest: „Die Stadt fällt immer wieder positiv auf, vor allem im kulturellen Angebot. Es hat sich sehr viel entwickelt, dieser Trend wird sich sicher fortsetzen.“ Auch das Glanzstoff-Areal sei eine Möglichkeit durch Investitionen in den Bildungsbereich das städtische Wachstum zu stützen. Wobei Scherak die Notwendigkeit nach Ehrlichkeit betont: „Gerade als Wissenschaftssprecher denke ich, dass es keinen Sinn macht beispielsweise von einer vollwertigen Universität zu phantasieren, wenn schon die bestehenden Unis in Österreich durch die Bank schlecht ausgestattet sind. Für St. Pölten liegt im FH-Standort sicher noch viel Potential. Auch die Nähe zur DonauUni in Krems sollte man als Vorteil sehen.“ In den nächsten Ausgaben werden wir regelmäßig über die vorgestellten Mandatare berichten. Über Arbeitsschwerpunkte, Abstimmungsverhalten und ihre Aktivitäten – gerade dort, wo es Schnittstellen zwischen ihrer bundespolitischen Funktion und der Lokal- und Regionalpolitik gibt. Anregungen dazu sind willkommen! MFG 09.14
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Das deutsche Mädel kommt nach Hause Es gibt Geschichten, die so unglaublich klingen, dass man sie für frei erfunden oder bestenfalls Stoff eines konstruierten Hollywoodschinkens hält – und doch zeigt die Wirklichkeit, dass die unglaublichsten, die dichtesten Geschichten noch immer das Leben selbst schreibt. Geschichten voller Hoffnung und Verzweiflung, voller Brutalität und Güte, ebenso nahe am Leben wie am Tod. Geschichten wie jene von Helga Gritsch und Norbert Pohl.
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enn man Helga Gritsch in ihrem Haus in Wagram am Tisch sitzen sieht, könnte man äußerlich keine Rückschlüsse auf ihr wechselvolles Schicksal, das sie vor allem in ihrer Kindheit hart, ja lebensbedrohend anfasste, ziehen. Gritsch wirkt in ihrem Gesamthabitus optimistisch, lebensbejahend, aufgeräumt. Ihre Worte wählt sie mit Bedacht, von Emotionen lässt sie
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sich kaum übermannen. „Aber natürlich sind mir einige Ticks zurückgeblieben – ich halte zum Beispiel keine verschlossenen Türen aus, da fühl ich mich eingesperrt.“ Und als sie und ihr jüngerer Bruder Norbert, der sich ebenfalls zu uns an den kleinen Esstisch gesellt hat, vor einigen Jahren ihr Tschechisch auffrischen möchten, das sie als Kinder fließend sprechen konnten, versagt der Geist
(bzw. das Herz?) den Gehorsam. Dabei kann Helga Gritsch noch heute diverse (kommunistische) Parolen auswendig herunterleiern, und auch Norbert gehen die gelernten tschechischen Lieder der Kindheit leicht von den Lippen, „allerdings kann ich nur mehr die Lautschrift.“ Das Kindheitstrauma, die Vertreibung und die Flucht aus der ehemaligen Heimat, heute als Sudetenland bezeichnet,
TEXT: johannes Reichl | Fotos: Hermann rauschmayr, zVG
sitzt zu tief. „Unsere slowakische Lehrerin hat gemeint, dass unsere Psyche aufgrund des erlebten Traumas die Sprache einfach nicht mehr frei gibt.“ Ein Monarchieschicksal Dabei beginnt alles beschaulich im 19. Jahrhundert in der altehrwürdigen Monarchie. Damals, als im niederösterreichischen Unterretzbach Urgroßvater Andreas Pölz in eine Weinhauerfamilie hineingeboren wird, scheint die Welt noch heil. Pölz ist dabei als k.u.k. Husar ein Mann mit Schneid und Standesbewusstsein. „Er war sehr stolz und hat immer gesagt: ‚Bist a Scheißkerl oder a Husar?‘“ Er heiratet eine Ungarin und wird Gutshofverwalter in Deutsch Tschantschendorf (heutiges Burgenland), wo u. a. auch Sohn Ludwig, Norberts und Helgas Großvater, geboren wird. Für Helga Gritsch DIE Leit- und Lebensfigur ihres Lebens. „Zu meinem Opa hatte ich ein ganz besonderes, inniges Verhältnis. Er war ein großartiger, gütiger und mutiger Mann.“ Auch ein vielseitiger. Einerseits arbeitet er als Schmied z. B. am berühmten Wiener Michaelator mit, andererseits zählt er zu den Pionieren der Elektrotechnik in Österreich und wird anlässlich des Geburtstages des Kaisers zum ersten Mal die Gloriette beleuchten. Im Auftrag seiner Majestät verschlägt es ihn auch nach Deutschböhmen, wo er ein Elektrokraftwerk bauen soll – und bleibt „hängen“. Im deutsch dominierten Nixdorf/Mikulášovice wird er sesshaft und heiratet Ida Fischer. Auch diese großmütterliche Linie ist eine historisch aufgeladene: So geht Ernst Fischer als einer der führenden kommunistischen Politiker, Literaten und Intellektuellen Österreichs in die Geschichte ein, sein ebenso politisch aktiver Bruder Walter wird Armenarzt und kämpft im spanischen Bürgerkrieg mit, und auch Bruder Otto ist politisch aktiv. Tante Fini wiederum, wie sie Helga Pohl nennt, avanciert zur ersten Richterin von Graz. Aus der Ehe von Ludwig Pölz und Ida Fischer geht Ida Pölz, die Mutter von Helga und Norbert, hervor, die in
SUDETENDEUTSCHE, VERTRIEBENE, „U-BOOTE“, STAATENLOSE, ÖSTERREICHER. Die Geschwister Helga Gritsch und Norbert Pohl verbindet eine schicksalsschwere Kindheit.
Nixdorf aufwächst und in den 30erJahren Josef Pohl, einen deutschen Konditormeister heiratet. Wie damals üblich, übernimmt die Gattin (und somit auch die Kinder) die Staatsbürgerschaft des Mannes – die Pohls werden Deutsche, während die Großeltern als tschechische „Altösterreicher“ gelten. Ein folgenreiches Faktum. Josef Pohl eröffnet am Hauptplatz eine Konditorei, im Obergeschoss wohnt die Familie im Mehrgenerationenhaushalt. Historischer Webteppich In all diesen Jahren nimmt die Weltgeschichte unbeirrbar ihren Lauf und ändert die Verhältnisse in den Sudetenländern nachhaltig. Zunächst geht die Monarchie unter und die mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete, in denen die deutschsprachige Bevölkerung privilegiert war gegenüber der tschechischen, werden der neuen Republik Tschechoslowakei zugedacht. Die Forderung der deutschsprachigen Bevölkerung nach einer Eingliederung in die neu entstandene Republik Deutsch-Österreich wird von den Ententemächten verweigert. Den Deutschen werden Minderheitenrechte zugestanden, Autonomie bzw. wirkliche Gleichstellung wird aber verweigert. Auf diesem
Nährboden entwickelt sich sukzessive ein sich in Teilen der Bevölkerung zusehends radikalisierender Gegennationalismus, der schließlich v.a. in Konrad Henleins nationaler Sudetendeutschen Partei Ausdruck findet, die die Unabhängigkeit bzw. späterhin – im nationalsozialisitischen Fahrwasser bzw. von der NSDAP protegiert, aufgerüstet und als „Spaltpilz“ instrumentalisiert – die Ultimativforderung „Heim ins Reich“ artikuliert. Es kommt zu Zusammenstößen von sudetendeutschen Wehrverbänden mit den tschechoslowakischen Behörden. Mit dem Münchner Abkommen von 1938, das über den Kopf der tschechoslowakischen Regierung hinweg von Deutschland, Frankreich, Italien und England beschlossen wird, werden die Sudetengebiete dem deutschen Reich zugesprochen. Die Tschechen werden zur Minderheit – nur ein Jahr später verleibt sich Hitler die Resttschechoslowakei ein, die Prager Regierung unter Edvard Beneš flieht ins Exil nach London. Zahlreiche Tschechen werden aus den deutschsprachigen Gebieten zwangsausgesiedelt. Nach dem Zerfall des Dritten Reiches werden die Sudetengebiete, wie der tschechischen Exilregierung von den Alliierten bereits während MFG 09.14
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des Krieges zugesprochen, mehrheitlich der neuen Republik Tschechoslowakei zugeordnet und es wird auch der „Entdeutschung“ der Gebiete zugestimmt, wie späterhin in den sogenannten Beneš Dekreten festgeschrieben wird. Noch vor der offiziellen Kapitulation Deutschlands erfolgen die ersten wilden und brutalen Vertreibungen, die erst späterhin in geordnetere Bahnen gelenkt werden. Im Land bleiben dürfen nur nachgewiesene Antifaschisten, Deutsche, die tschechische Ehepartner haben, und Fachkräfte, deren Know-how man benötigt. Die Deutschen müssen zur Kennzeichnung eine weiße, die Österreicher eine rotweißrote Armbinde tragen, Deutsch als Amtssprache wird verboten, die Besitztümer werden konfisziert. In der ersten „wilden“ Phase müssen die Deutschen oft innerhalb nur einer halben Stunde Hab und Gut zusammenpacken und werden auf Märsche über die Grenze geschickt. Einige davon gehen als „Todesmärsche“ in die Geschichte ein, etwa der Brünner Todesmarsch, dem geschätzte 5.000 Deutsche zum Opfer fallen – v.a. alte Menschen und Kinder erliegen den Strapazen. Alles in allem handelt es sich um die größte Säuberungsaktion und Massenbewegung nach dem Krieg. Fast drei Millionen Menschen müssen ihre Heimat verlassen, sie siedeln viel44
fach nach Deutschland, einige auch nach Österreich, das die displaced persons aufgrund der eigenen Versorgungsprobleme nach dem Krieg aber alles andere denn mit offenen Armen empfängt, sondern versucht, die deutschen Staatsbürger weiter nach Deutschland zu „repatriieren“ – ein weiteres leidvolles Kapitel. Unter anderem bestand im ehemaligen KZ in Melk ein Auffanglager, das als Durchgangsstation diente. Trotzdem bleiben viele in Österreich „hängen“, Siedlungen wie in Linz die „Neue Heimat“ sind heute noch Beleg dafür. Auch in Niederösterreich und St. Pölten finden ehemalige Sudetendeutsche ein neues Zuhause, wie Helga Gritsch und Norbert Pohl – nach einer leidensvollen Odyssee. Spielball der Geschichte An den Kindern (Helga wird 1937, Norbert 1941 geboren) gehen diese großen politischen Umwälzungen unbewusst vorüber – bis sie mit der brutalen Kraft des Faktischen schicksalsschwer über sie hereinbrechen werden. Nixdorf nehmen sie lange als heiles Fleckchen Erde wahr. „Die Menschen im Ort waren einander wohlgesinnt. Die Tschechen waren zwar in der Minderheit, aber alle lebten in Frieden zusammen.“ Erste Spannungen nehmen die Kinder zunächst eher innerhalb der Familie wahr, welche der Radikalisierung der politischen Lager geschuldet sind. „Die Alten weinten der untergegangenen Monarchie nach, es gab Nationalsozialisten, die an Hitler und eine heile Zukunft für die Deutschen glaubten, und es gab Kommunisten.“ Schließlich geht der Riss quer durch die eigene Großfamilie. „Die Fischer-Söhne waren Kommunisten und haben mit ihrem Vater und anderen Familienangehörigen völlig gebrochen – es gab gut 50 Jahre keinen Kontakt zwischen den Familienzweigen bis wir vor ca. 15 Jahren ein gemeinsames Treffen organisierten“, so Helga Gritsch. Die Eltern selbst waren, wie Sohn Norbert vermutet, „deutsch-national eingestellt.“ Antisemiten seien
sie aber keine gewesen, was Helga Gritsch auf den grundsätzlich „tiefgreifenden Humanismus in unserer Familie“ zurückführt. Die Mutter wird dies späterhin eindrucksvoll unter Beweis stellen. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, wird Josef Pohl zur Wehrmacht eingezogen und fällt in der Schlacht von Stalingrad. „Bei seinem letzten Front urlaub 1941 hat er mich gezeugt“, sagt Norbert Pohl nüchtern. Seinen Vater wird er nie kennenlernen, nur ein Stammbuchblatt, das eingerahmt über der Eckbank im Esszimmer von Helga Gritsch hängt, erinnert noch an den verlorenen Vater. Im Dorf selbst stellt sich zunehmend Kriegsalltag ein. Tante „Rosl“ und die Mutter arbeiten für das Rote Kreuz. In die zum Lazarett umfunktionierte Schule nimmt sie auch die kleine Tochter mit. „Sie hat mich dann zu den Soldaten ans Bett gesetzt und gesagt ‚Weißt du, die armen Männer haben zuhause auch eine Familie, die sie sehr vermissen.‘ Ich war sozusagen das ‚Trostkind‘.“ Im Rückblick hält Gritsch diese Erfahrungen für lebensprägend. „Ich glaube, daher erklärt sich meine gelassene Beziehung zu Männern, und mich haben auch nie Krankheit oder Verwundungen schockiert, weil ich dort tagtäglich die zerfetzten Körper und zerschossenen Soldaten gesehen habe.“ Traumatisch haben sich hingegen
Das deutsche Mädel kommt nach Hause
die Fliegerangriffe eingebrannt. „Wir mussten immer in den Bunker flüchten. Einmal wäre ich beinahe erstickt, weil ich auch eine Gasmaske tragen musste. Da bin ich raus, trotz Beschuss.“ Noch heute wundert sie sich „wie uns die Erwachsenen über diese schlimmen Momente hinweggetragen haben. Ich kann mich erinnern, wie wir im Keller gesungen und gebetet haben.“ Unvergessen bleibt Gritsch außerdem die Nacht von 13. auf 14. Februar 1945. „Der Nachthimmel war hell erleuchtet und ich hab gerufen: ‚Mutti, da fallen ja 1.000 Christbäume vom Himmel.‘“ In Wahrheit handelte es sich um aufgewirbeltes, glühendes Material aus dem 60 Kilometer entfernten Dresden, das eben bombardiert wurde. Als die Front näher rückt, ist die Bevölkerung angehalten, Gräben für Panzersperren auszuheben. „Meine Tante und meine Mutter haben mich mitgenommen – vorher haben sie aber die großen Taschen meiner Schürze mit Brotkrumen angefüllt. Vorort sagte dann die ‚Mutti‘: ‚So, und jetzt Helga, gehst rüber, wo diese armen Männer arbeiten, und lässt die Brotstücke fallen!‘“ Was Helga Gritsch damals nicht weiß: Die abgemagerten Männer sind jüdische Zwangsarbeiter aus dem „Mini-KZ, das es in Nixdorf gab.“ Es ist genau diese mutige Tat der Frauen, welche der Familie schließlich das Leben retten wird. Denn als sich die befreiten Gefangenen und einmarschierende Partisanen im Mai 1945 an der deutschen Bevölkerung rächen, tauchen sie auch vor der Konditorei der Pohls am Hauptplatz auf. „Die ersten begannen schon, das Scherengitter aufzubrechen, da hat jemand gerufen: ‚Halt! Dieses Haus nicht! Es steht unter Schutz. Hier wohnen die Frau und das Kind!‘ Das werde ich nie vergessen!“ Ebenso wenig wie die ersten Trecks mit deutschen Flüchtlingen, die alsbald durch den Ort ziehen, oder „die Särge vor der Tür der Lehmanns – die haben sich alle das Leben genommen, wahrscheinlich waren sie Nazis.“
Die Vertreibung Im Haus der Familie werden Partisanen untergebracht, „die haben mir aber nichts getan, wobei auch eine Partisanin darunter war, die eine schreckliche Person war, die die Gefangenen gequält hat.“ Sie ist Aufseherin im ehemaligen KZ, wo nunmehr die vorbelasteten Deutschen eingesperrt werden. Auch die Mutter muss ins Straflager, „wo sie u.a. zur Rache zum Frühstück so Hitler Karten aus Papier essen mussten.“ Die schwere Zwangsarbeit in der prallen Sonne raubt der Mutter zusehends die Kräfte. „Sie wurde todkrank, schließlich hat man sie nachhausege-
nicht nur Angst, sondern auch Stolz als ihre Form von Widerstand. „Ich hab zur Mutti gesagt: ‚Bitte Mutti, wein jetzt nicht! Sie sollen nicht sehen, wie weh uns das tut.‘“ Wohin die Reise geht, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand. Helga Gritsch empfindet es im Nachhinein als Glück, dass der Marsch letztlich „nur“ in das 45 Minuten entfernte Sebnitz in Sachsen führt. „Ein Leid wie der Brünner Todesmarsch blieb uns erspart!“ An Menschen, „die ermüdet am Straßenrand und in den Feldern liegen blieben“, erinnert sich aber auch Gritsch. Ebenso wie an einen „Engel“, der die Familie auf-
schickt‚ weil sie zuhause genausogut sterben könne.“ Ida Pohl ist aber eine Kämpfernatur und überlebt. Eine Verschnaufpause ist der Familie aber nicht vergönnt. Im selben Jahr noch heißt es eines Tages, dass alle deutschen Staatsbürger, also auch Ida und ihre Kinder Norbert und Helga, ausgewiesen werden. Sofort! „Innerhalb einer halben Stunde mussten wir alles einpacken, was wir nehmen konnten. Meine Mutter hat ein Kinderwagerl angefüllt. Ich erinnere mich noch, wie meine Großeltern geweint haben, und wie wir durch ein Spalier aus Soldaten mit aufgepflanzten Gewehren marschiert sind.“ Was das achtjährige Kind in diesem Moment aber fühlt, ist nicht nur Demütigung,
nimmt. „Die Stadt war voller Flüchtlinge, wir wussten nicht wohin – da ist ein Mann auf der Straße an uns herangetreten und hat uns auf seinem Dachboden versteckt.“ Die Familie findet Unterschlupf, die Mutter aber bricht zusammen. „Sie hatte mehrere Herzanfälle, ich kann mich noch erinnern, wie sie sich am Boden gewunden hat.“ Und die junge Frau steht mit nichts da, muss ihre Kinder betteln schicken. „Dieses Erlebnis hat mein Leben so geprägt, dass ich später immer weinen musste, wenn ich etwas geschenkt bekommen habe. Und zu meiner Mutter habe ich damals gesagt ‚Ich möchte lieber sterben, bevor ich noch einmal betteln gehen muss.‘“ MFG 09.14
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GÜTE. „Mir wurde so oft das Leben gerettet,
Mitleid und Hilfe zuteil, von Deutschen, Kommunisten, Juden, Tschechen – das ist wichtig!“
U-Boot Die Situation scheint aussichtslos, die Mutter ist schwer krank, und so trifft Ida Pohl eine folgenschwere Entscheidung. „Sie hat mit einer Schlepperin Kontakt aufgenommen, die uns zu den Großeltern in die Tschechoslowakei zurückbringen sollte, während sie in Deutschland blieb.“ Über eine alte Schmugglerstraße bringt diese die Kinder bei Nacht und Nebel über die Grenze. In einem Fichtelwald „wahrscheinlich hat sie was gemerkt“, nimmt sie aber plötzlich Reißaus. „Sie hat nur noch gesagt ‚Versteckt euch hier, ihr werdet geholt werden‘ – dann war sie weg und wir zwei Kinder waren mitten im Wald mutterseelenallein.“ Während Norbert keinerlei Erinnerung an dieses Erlebnis hat, als wäre es aus Selbstschutz auf ewig ausgebrannt, weiß Helga Gritsch noch ganz genau „wie wir zwei uns verängstigt ganz eng aneinander gekauert haben. Ich weiß aber nicht mehr, wie lange wir dort waren, Minuten, Stunden. Irgendwann aber – das war, wie 46
wenn ein Engel aus dem Nichts erscheint – sind plötzlich unsere Großmutter und unsere Tante Rosa an uns herangerobbt und haben uns unter Lebensgefahr, es wurde ja überall patroulliert, nach Hause gebracht.“ Dort beginnt für die zwei Kinder die nächste Station ihrer Odyssee. Sie müssen als illegale U-Boote im Haus untergetaucht bleiben. „Wir mussten uns immer verstecken, wenn Razzien waren – und das war oft der Fall. Wir versteckten uns in Schränken, Kisten, am Dachboden, im Keller, überall“ Einmal auch, weil sie überrascht werden, nur mehr rasch unter dem Bett der Großeltern, „über das eine Decke gehängt war, die bis zum Boden reichte. Wir waren mucksmäuschenstill, aber dann sah ich plötzlich Stiefel und merkte, wie die Decke gehoben wurde.“ Nach ein paar Momenten wird sie aber wieder gesenkt, „ich bin mir sicher, dass uns der Soldat gesehen, aber nichts verraten hat.“ Das geheime Leben ist gefährlich und die stete Angst, gefasst zu werden, nur schwer zu ertragen. In ihrer Verzweiflung wendet sich die Großmutter schließlich an eine Freundin, die mit einem hohen tschechischen Beamten liiert ist, um Hilfe. „Das klingt jetzt wieder unwahrscheinlich und erinnert an die biblische Geschichte von König Herodes und der Tänzerin. Aber nach einer erfüllenden Liebesnacht hat der Beamte zu seiner Freundin gesagt ‚du darfst dir wünschen, was du willst‘, und sie hat ihm von den deutschen, versteckten Kindern erzählt, und dass sie wieder ein normales Leben führen können sollen. Der Mann hatte seine Bedenken, die Sache war gefährlich, bei einem Saufgelage im Rathaus hat er aber dennoch die Chance beim Schopf gepackt und den alkoholisierten zuständigen Beamten gehänselt: ‚Du bist ja so betrunken, du kannst nicht einmal mehr deine eigene Unterschrift schreiben.‘ Der hat das nicht auf sich sitzen lassen, und so hat er auf ein vom Beamten hingehaltenes Schriftstück seine Unterschrift gesetzt – tatsächlich hatte der ihm unsere Aufenthaltsbewilligung untergeschoben.“
Kurzes Durchatmen In Folge setzt für die Kinder ein einigermaßen normales Leben ein. Sie kommen in die Volksschule, wo sie rasch tschechisch lernen und voll integriert sind. „Ich hatte eine liebevolle Lehrerin, und im Grunde genommen hat uns niemand etwas getan.“ Auch Norberts Erfahrungen sind positiv, wenngleich er einräumt, „dass es sicher auch ein paar gegeben hat, denen man besser aus dem Weg gegangen ist. Mir hat aber einmal einer auf der Straße eine Ohrfeige gegeben – den hat mein Großvater zur Rede gestellt.“ Die Dorfbewohner halten auch dicht, wenn die Kinder illegal über die Grenze gehen, um die Mutter in Deutschland zu besuchen. „Offiziell sind wir immer Heidelbeeren brocken gegangen in den Wald. Damals ist das noch gegangen, weil noch nichts vermint war und auch der Eiserne Vorhang noch nicht hochgezogen war.“ Die endgültige Vertreibung Die „ruhigen“ Jahre währen aber nur kurz. 1949 müssen auch die österreichischen Großeltern ihre Heimat verlassen. Diesmal läuft die Abschiebung in geordneteren Bahnen, der Verlust der Heimat ist aber nicht minder deprimierend. Ein Eisenbahnwaggon steht bereit, die Österreicher dürfen diesmal auch „Möbel, Geschirr etc. mitnehmen – aber den Großteil mussten wir trotzdem zurücklassen.“ Das Schlimmste aber ist: Die Ausweisung gilt nur für die österreichischen Großeltern, nicht aber für die deutschen Kinder – sie sollen in ein tschechisches Waisenhaus im Landesinneren gebracht werden. „Meine Großmutter war so verzweifelt, dass sie meinen Bruder und mich bei der Hand genommen und mit uns zum großen Dorfteich gegangen ist. Dort hat sie gesagt, wir sollen hineinlaufen. Ich habe meine ganze Kraft zusammengenommen und versucht sie zurückzuziehen und hab sie angefleht ‚Kehren wir um Großi!‘, was schließlich auch gelungen ist.“ Die Kinder zurückzulassen ist aber keine Option. Noch einmal gehen die Großeltern daher
Das deutsche Mädel kommt nach Hause
aufs Ganze. „Der Zug stand schon im Bahnhof. Ein Beamter erstellte im Haus eine Inventarliste – was man nicht mitnehmen konnte, wurde wie beim Kuckuck markiert, nach der Abreise wurde das Haus versiegelt. Da unterbreitete mein Großvater dem Beamten einen Vorschlag: ‚Ich gehe jetzt eine halbe Stunde spazieren, wenn sie etwas brauchen, nehmen sie es und listen es nicht auf. Dafür bekomme ich dann auch eine halbe Stunde.‘ Und so haben sie es tatsächlich gemacht – zuerst der Beamte, dann mein Großvater, der in Wahrheit aber nur Zeit gewinnen wollte. Denn kaum war der Beamte weg, hat er uns Kinder geschnappt und ist mit uns zum Bahnhof gelaufen und hat uns in den Waggon geschmuggelt – so sind wir illegal mitgefahren, in ständiger Angst, vielleicht doch noch aufzufliegen.“ Doch der Zug passiert unbehelligt die Grenze und fährt schließlich im Wiener Südbahnhof ein, „wo uns Onkel Lutz aus St. Pölten empfangen hat.“ Er bringt die Familie zunächst bei seiner geschiedenen Frau in Wien unter, bald darauf übersiedelt sie nach St. Pölten, wo die Kinder von den Familien Hofinger und Kellermann und anderen aufgenommen werden. Später besorgt Onkel Lutz ein zwei Zimmer Stüberl im ehemaligen Gasthaus Kubin in Wagram, der heutigen Hazienda. „Da hab ich anfangs zwischen zwei Sesseln auf einem Bügelbrett geschlafen.“ Die Wagramer nehmen die Neuankömmlinge herzlich auf, „so viele haben uns geholfen, besonders Frau Weichhart, die extra einen Stall für uns umbauen ließ. Und um mich sorgte sich auch die Familie Schwertner sehr“, erinnert sich Gritsch. Die Kinder werden eingeschult, die Flucht hat ein Ende. Trotzdem wird es noch fünf Jahre dauern, bis die Mutter die österreichische Staatsbürgerschaft erhält und aus der DDR ausreisen darf. In all den Jahren wird sie die Kinder nur ein einziges Mal sehen. „Sie hat unter großen Gefahren illegal die Grenze zur von den Sowjets kontrollierten Ostzone überschritten. Die Enns war damals die Demarkationslinie, die hat
sie irgendwie durchquert, nur um uns Kinder ein paar Stunden zu sehen.“ Als sie 1954 endlich nach Österreich darf, ist sie schwer gezeichnet von den Entbehrungen des Lebens „und stirbt viel zu früh an Krebs.“ Auch der geliebte Großvater ist zuvor schon verstorben, so als wären die Erwachsenen – nachdem sie die Kinder endgültig in Sicherheit wissen – nunmehr bereit, ihre eigenen, kräftezehrenden Ängste und Sorgen zu verarbeiten, die gnadenlos ihren Tribut zollen. Norbert Pohl und Helga Gritsch wachsen in Folge als Wagramer auf, ab 1954 auch als offizielle österreichische Staatsbürger – zuvor sind sie staatenlos. Sie heiraten, gehen Berufen nach, gründen Familien. Helga Gritsch hat heute vier Kinder, acht Enkel und zwei Urenkel; Norbert Pohl zwei Kinder und drei Enkel. Beide, was vielleicht mit der selbst erfahrenen Unterstützung zu tun haben mag, sind ihr ganzes Leben lang sozial engagiert. Die Vertreibung aus der Heimat ist innerhalb der Familie lange Zeit kein Thema. „Wir haben nur selten darüber geplaudert, eine stärkere Beschäftigung erfolgte eigentlich erst nach der Wende“, so Norbert Pohl. Damals besuchen die Geschwister auch erstmals wieder Nixdorf. „Die Leute haben sich gefreut, uns wieder zu sehen.“ Für Helga Gritsch war es „als käme das deutsche Mädchen nachhause.“ Tschechien ist neben Österreich immer ein Stück seelische Heimat geblieben, während der jüngere Norbert derlei Gefühle nie entwickelte: „Ich war immer nur Österreicher.“ Wenn Helga Gritsch heute zurückblickt, dann tut sie es nicht in Wut oder Verbitterung, sondern, was ob dieses Schicksals überrascht, eher in Demut. Ja, sie empfindet sogar eine Art – für die verschonten schwer nachvollziehbare – Relativität des Grauens. „Ich kenne Sudetendeutsche, die können heut noch nicht über ihre schlimmen Erfahrungen reden, ohne in Tränen auszubrechen. Die denken sich vielleicht, was redet die Gritsch da, weil sie noch mehr durch-
machen mussten als ich.“ Aber in all dem Leid, das ihr als Kind widerfuhr, hat Gritsch vor allem eines erkannt, das diesen versöhnlichen Blick ermöglicht: „Dass es nämlich Regime, Politiker sind, welche die Menschen gegeneinander aufhetzen, dass aber der einzelne Mensch gütig ist. Mir wurde so oft das Leben gerettet, Mitleid und Hilfe zuteil, von Deutschen, Kommunisten, Juden, Tschechen – das ist es, was wichtig ist!“ Revanchismus, Hass auf die Tschechen empfindet sie daher nicht. „Und was sollte das bringen? Dann müsste ich auch fragen, was vorher die SS, was die Nazis, was Deutsche den Tschechen angetan haben. Dann ginge das immer so weiter, und wir würden nie zu einem Ende kommen.“ Als sie zum Schluss fragt: „Warum ist meine Geschichte überhaupt so interessant? Es gibt doch so viele aktuelle Konflikte auf der Welt, wo genau dasselbe passiert?“, kann man nur antworten: Genau deshalb! Weil die Zeiten rasch instabil werden, weil Menschen allzu rasch in ihrem oft blinden, unversöhnlichen, vielfach durch andere manipulierten Hass vergessen, was Krieg, Leid, Nationalismus und Revanchismus anrichten können. Es geht vor allem um eines: In allem Mensch zu sein und Mensch zu bleiben. Nicht mehr und nicht weniger – und das ist schon sehr viel!
„Langsam ist es besser geworden …“ Die heuer bereits in St. Pölten gezeigte Ausstellung des NÖ Landesarchivs in Zusammenarbeit mit dem in St. Pölten situierten Zentrum für Migrationsforschung „Langsam ist es besser geworden ... Vertriebene erzählen vom Wegmüssen, Ankommen und Dableiben“ wird ab 5. November in der Nationalen Gedächtnisstätte Vítkov in Prag zu sehen sein. „Diese wird zum ersten Mal in ihrer Geschichte neben der Dauerausstellung eine andere zeigen, was natürlich im Hinblick auf unsere Thematik fast schon eine kleine Sensation ist“, freut sich Kurator Niklas Perzi, der die Intention so erklärt:„Mit der Ausstellung sollen auch jene gewürdigt werden, die bisher eher im Schatten der Geschichte standen.“ Perzi führte hierzu an die 40 Interviews mit Zeitzeugen. www.migrationsforschung.at
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SHORTCUT KULTUR
Wussten Sie, dass Sherlock Holmes heuer 160 Lenze alt geworden wäre? Sherlockianer aller Länder haben sein Geburtsjahr dem Doyle’schen Kanon entnommen. Sherlockianer? Genau – Sherlockianer: Das sind jene, die einen wesentlichen Teil ihres Erdendaseins damit verbringen, sich mit dem Leben des Mr. Holmes zu beschäftigen. Auch wenn dieses Leben, wie manche Ketzer meinen, reine Fiktion sei. Sherlockianer tun das mit Begeisterung und nicht selten mit geradezu religiös anmutender Inbrunst. Es ist eine säkuläre Religion, wenn man so will. „We believe in Sherlock Holmes“ heißt auch das Motto der Deutschen Sherlock Holmes-Gesellschaft. Eine Religion, die aber – im Gegensatz zu den meisten realen Weltreligionen – weder für Massenmord und programmatische Intoleranz noch für blöde Frisuren und noch blödere Bärte verantwortlich ist. Keine pöbelpolitisch motivierte Randale gegen ausländische Fußballmannschaften, weil man sich wieder einmal in seinen religiösen und herkunftsvölkischen Gefühlen verletzt fühlt. Kein gewaltgeiles Gotteskriegertum und auch keine stoffreichen Kleidungsvorschriften für zum Teil noch minderjährige Frauen, um unkeusche Gedanken beim herrlich männlichen Betrachter zu unterbinden. Und auch kein wild gewordenes Wehrsport-Christentum, das mutwillig Kunstgegenstände auf der St. Pöltner Ausstellungsbrücke demoliert, weil diese angeblich nicht Gott gefällig wären. Stattdessen eine Religion, die den menschlichen Geist, die Ratio und den gegenseitigen Respekt feiert. Sherlockianer stehen üblicherweise mit beiden Beinen fest im Leben. Sie verbringen auch nicht den ganzen Tag mental in der Baker Street. Zumindest nicht ausschließlich. Was soll ich sagen? I believe.
Christoph Richter, bekannt von verschiedenen St. Pöltner Musikformationen, beendete vor kurzem sein erstes Solopianoprojekt, wozu ihn insbesondere ein Ortswechsel inspirierte. „Ich bin von einem Reihenhaus in ein großes Haus übersiedelt, wo ich sehr viel Platz habe, um meiner Musik nachzugehen. Da ich schon immer ein eigenes, echtes Klavier haben wollte und nun auch die Möglichkeit habe, zu spielen, habe ich mir ein Piano gekauft.“ Musikalisch hat er mit dem Projekt, wie er es selbst formuliert, „eine 180° Drehung“ vollzogen. „Die Musik auf der CD ist etwas ganz anderes als bisher, ganz ohne Elektronik – einfach menschliche Musik.“ Genossen hat er auch die neue Arbeitsmethode. „Du hast bei einem Soloprojekt einfach mehr Freiheit. Du fängst irgendwann einmal damit an, hast vielleicht ein bisschen einen Plan, wirst dann aber – wenn du spielst und dich fallen lässt – plötzlich ganz woanders hingetragen. Dadurch bleibt es immer spannend.“ Und das Ergebnis, das irgendwo zwischen Ludovico Einaudi, Jan Tiersen und Beethoven angesiedelt ist, großartig! Zu erstehen ist „Dein Täglicher Trost“, wie das gute Teil heißt, unter richterplayspiano@ gmail.com. Zudem verlost MFG auf facebook 3 CDs!
Der Polizist als Maler Tagsüber ist Wilhelm Krumböck auf den Straßen von St. Pöltens Innenstadt als Freund und Helfer unterwegs. In seiner Freizeit aber wandelt sich der 1960 in Kilb geborene Polizist zum vielseitig begabten und anerkannten
Künstler. Er malt intensive, großflächige, ausdrucksstarke Bilder, schnitzt beeindruckende Skulpturen, vorwiegend mit der Motorsäge aus ganzen Baumstämmen, und gestaltet faszinierend schöne Glasobjekte, die er seit 2010 in Murano fertigt. „Ich habe immer schon gern gezeichnet und gemalt“, sagt der Autodidakt, der seine bildnerische Arbeit als wichtigen Ausgleich zu seiner beruflichen Tätigkeit sieht. Seine Kunstwerke sind für ihn ideale Ausdrucksform für seine Ideen, Stimmungen und Empfindungen. Bis Ende September stellt Willi Krumböck noch seine Bilderserie „Headto-Head“ in der Galerie Maringer auf dem Herrenplatz aus.
art-roller, 1977, museum moderner kunst stiftung ludwig wien, leihgabe der artothek des Bundes © Bildrecht, Wien 2014 Foto: K.u.Sch.
Freydenstein
Richter solo
Fotos: aruba2000/Fotolia.com, zVg
Elementary!
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art-roller, 1977, museum moderner kunst stiftung ludwig wien, leihgabe der artothek des Bundes © Bildrecht, Wien 2014 Foto: K.u.Sch.
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K.U.SCH. EinE ThEmEnpalETTE 27/09/2014–22/02/2015 ST. pölTEn, landESmuSEum niEdEröSTErrEich
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MFG KULTUR
Es beginnt immer irgendwo
Es gibt da diesen gern als pubertäre, allzu idealistische Phrase abgetanenen Spruch „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“, wobei er zur „Phrase“ wohl nur deshalb degradiert ist, weil es einer gehörigen Portion Glücks, Hartnäckigkeit und vor allem Mutes bedarf, um ihn zu realisieren. Ulrich Reinthaller scheint dieses Kunststück gelungen zu sein, wie eine Reise auf den „Phönixberg“ nahelegt.
U
nser Weg führt ins Pielachtal. Abfahrt St. Pölten, vorbei an Ober-Grafendorf, den Industriegeländen von Glöckel und Teich, Hofstetten-Grünau, Mainburg, Rabenstein. Je weiter wir uns ins Tal vorwärtskämpfen, umso steiler werden die Hänge ringsum, auf denen gelassen Kühe grasen. Als Kind, das oft in die Region kam, hegte ich stets die Befürchtung, dass sie irgendwann einmal abstürzen könnten – was sie selbstverständlich nie taten. Irgendwann taucht rechterhand ein Wegweiser „Phönixberg“ auf, der mir aus 50
Kindheitstagen unbekannt ist. Ein Name, der die Fantasie beflügelt und das Kopfkino anwirft – die Geschichte vom Vogel Phönix, der zu Asche verbrennt, im letzten Moment aber ein Ei legt, aus dem neues Leben hervorgeht. Der ewige Kreislauf. Die stete Erneuerung. Wir folgen eisern den Hinweisschildern wie uns auf der Homepage aufgetragen wurde: „BITTE HALTEN SIE SICH AB RABENSTEIN/ PIELACH NICHT MEHR AN IHR NAVIGATIONSGERÄT, sondern folgen den Hinweisschildern Seminar.Kunst.Haus Phönixberg. (Google
glaubt uns zu kennen, führt Sie jedoch in ein anderes Tal.)“ Wir müssen uns ganz old school auf Analogie verlassen, und das ist für den Ort und seine Einschreibung, wie sich weisen wird, durchaus schlüssig. Die Straße wird nun zusehends enger und schlängelt sich den Berg hinauf. Entgegenkommen darf uns jetzt niemand, denke ich mir, und im Winter ist Allrad definitiv von Vorteil. Schließlich geht der Asphalt in Schotter über. Wir fahren an einem Fahrverbotsschild „Privatstraße“ vorbei, darunter der Hinweis „Zufahrt für Seminargäste gestattet“. Das letzte Stück führt uns durch dichten Wald, der die umliegende Landschaft verschluckt bis er uns nach ein paar Minuten Fahrtzeit wieder ausspuckt – und wir plötzlich im Paradies gelandet sind: Vor uns breiten sich, soweit das Auge reicht, die sanften Hügel des Alpenvorlandes aus, alles steht in saftigem Grün, Alm-
TEXT: Johannes Reichl | Fotos: Hermann Rauschmayr, ZVG
wiesen fallen leicht den Hang hinab, zwei Raubvögel, vielleicht Bussarde, kreisen über uns. Es ist still hier oben, man hört nur das Rascheln des Windes in den umgebenden Wäldern, das Knacken von Holz, und die Luft ist frisch wie an einem Spätherbsttag, obwohl es Mitte August ist. „Mein Herz hat zu klopfen begonnen und ich war ganz weg, welche Energie von diesem Ort ausgeht“, erinnert sich Ulrich Reinthaller, der Hausherr, an seine Eindrücke, als er hier das erste Mal heraufkam. Das war 1995. Reinthaller, als Schauspieler aus diversen Serien, Filmen und vom Theater her bekannt, war damals in einer Serie in Deutschland engagiert. „Ich war ständig auf Achse, hatte im Jahr an die 300 Flüge. Im ersten Jahr findest du das ja noch aufregend, im zweiten ist es schon Routine, und im dritten Jahr kommst du dir vor wie ein Hausmeister, der von einer Straßenbahnstation zur nächsten hetzt. Im Grunde genommen hatte ich kein Zuhause.“ Irgendwann entwickelte sich in ihm deshalb die Sehnsucht nach einem Fixpunkt, nach Verortung, Ruhe – und die Idee eines Zweitwohnsitzes im Mostviertel. „Das hab ich meinem Vater nachgemacht“, lächelt er, „denn der hatte ein Almhaus in der Scheibbser Gegend, das wir als Kinder geliebt haben – ein herrlicher Ort voller Menschen und Gespräche.“ In einer Zeitung stieß er auf eine verheißungsvolle Annonce „Einsames Almhaus mit Panoramablick“ – kein leeres Versprechen, wie sich herausstellen sollte: „Als ich hier heraufkam, war es Liebe auf den ersten Blick!“ Der Phönixberg Eine Liebe, die eine beständige werden sollte. Denn während sein ursprünglicher „Lebensentwurf eines klassischen Wochenendhauses für die Familie“ im Laufe der Jahre, wie die Ehe, obsolet wurde, ist ihm das Haus bis heute geblieben und entwickelte, wenn man so möchte, eine Eigendy-
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PARADIES PHÖNIXBERG. 1995 stieß Ulrich Reinthaller auf eine Zeitungsannonce: „Einsames Almhaus mit Panoramablick“. Als er es besichtigte, „war es Liebe auf den ersten Blick!“
namik – woran freilich auch eine andere Liebe, nämlich jene zu Barbara Pachl-Eberhart, nicht unwesentlich Anteil trug. „Sie hat sofort vom Phönixberg gesprochen.“ Gemeinsam entwickelten sie die Idee vom Seminar.Kunst.Haus. Das Gebäude wurde „gemeinsam mit einem Architekten, der zu einem guten Freund geworden ist“ praktisch komplett neu errichtet – einzig das alte, steingemauerte Kellerstöckl nebenan vermittelt heute noch eine Ahnung, wie das Almhaus vormals ausgesehen haben könnte. Heute erstrahlt es in neuem Glanz: Weite offene Fenster, lichtdurchflutete Räume, die überall die atemberaubendsten Blicke preisgeben, Holzterrassen, die zum Verweilen einladen, ein duftender Kräutergarten, Steinmauern und -wege, viel Holz. Barbara Pachl-Eberhart schreibt auf ihrer Homepage voll Überzeugung: „Ganz objektiv – das schönste Haus der Welt!“ Und man versteht ihre Begeisterung. Verändert hat sich freilich nicht nur die Örtlichkeit, sondern über die Jahre hinweg auch Reinthallers prinzipieller Lebenszugang. „Ich wollte meinen Beruf nicht länger von meinem Privatleben trennen, das gehört für mich alles zusammen, ich bin
ja immer dieselbe Person.“ Von den ständigen Reisen hatte er irgendwann genug, ebenso von einer gewissen Enge des Theaterensemblebetriebes. „Natürlich hast du, wenn du in einem fixen Ensemble spielst, Sicherheit, so wie ein Beamter etwa. Aber das hat mich eingeschränkt – deshalb hab ich mir irgendwann gedacht: ‚Riskier etwas! Nimm dein Leben in die Hand, und vertrau darauf, dass du auch so interessant bleibst.‘“ Und so ist es auch gekommen, mit dem qualitativen Vorteil – wenn vielleicht auch unter Inkaufnahme größerer finanzieller Risken – der Rückgewinnung der Entscheidungsfreiheit über das eigene Handeln. Heute nimmt Reinthaller nur mehr Projekte an, die ihm gefallen und die zu ihm passen – wie im Vorjahr etwa die Hauptrolle in Peter Turrinis „Aus Liebe“ im Theater an der Josefstadt, diverse Film- und Fernseharbeiten, Rezitationsabende oder erst unlängst in Arbogast in Vorarlberg „ein lyrisches Dialogforum zu Rilkes erster Duineser Elegie“. Gerade im Fall von Letzterem kommt man dann schon ziemlich dem nahe, was Reinthaller in einer Art universalistischer Weltsicht versucht. „Das ist das Schöne – dass ich da die Kunst
„Die Kultur der Stammtische, der Gespräche am Kaffeehaustisch – diese Formen von direktem Dialog werden immer weniger.“ MFG 09.14
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gründete er dafür eine eigene Firma, 2013 fand das erste „Dialogikum Phönixberg“ statt, im Zuge dessen übers ganze Pielachtal verteilt Dialoge und Vorträge angeboten wurden. Dazwischen finden am Phönixberg Seminare statt, und immer wieder lädt Reinthaller bemerkenswerte Persönlichkeiten in die Region ein – am 22. September etwa Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee. Ulrich Reinthaller Schauspieler (Wiener Burgtheater, Film und Fernsehen) Auszeichnungen: Deutscher Bundesfilmpreis, Max-Ophüls-Preis, MedienPreis BAMBI für beste Serienhauptrolle Rezitationsauftritte in zahlreichen bedeutenden Konzertsälen im deutschsprachigen Raum. Rilke: „Duineser Elegien“, Puschkin: „Eugen Onegin“, Goethe/Pugnani: „Werther“, Dostojewski: „Der Großinquisitor“ 2004 – 2012: Drei Rilke CDs (ORF, Solo Musica), Prämiierung „beste CD“ 2007: TV-Dokumentation „Bis ans Ende der Welt – Auf dem Jakobsweg mit Ulrich Reinthaller“. Zahlreiche Gastauftritte und Podiumsdiskussionen zu philosophischen Themen der Neuen Zeit (u.a. GoetheUniversität Frankfurt, Karl-Franzens-Universität Graz, Bleepkongress) Vater zweier Töchter 2009: Errichtung Seminar.Kunst.Haus Phönixberg, 2011: Firmengründung 2013: Eröffnung des „Dialogikum Phönixberg“
direkt mit Dialog verbinden kann. Ich lese die Gedichte, im Anschluss versuchen wir gemeinsam in einem offenen Kreisgespräch die darin innewohnenden Schätze zu heben.“ Und Dialog, Kommunikation, Verständigung stellen DIE fundamentalen Grundingredienzien seines Lebens dar, was sich alleine daran zeigt, dass sich Reinthaller ab 2010 zum Dialogprozessbegleiter nach David Rohm ausbilden ließ „weil mir die Schauspielerei zu wenig war.“ Seither hält er auch Vorträge und Seminare, und aus diesem Grundbedürfnis erklärt sich auch der Phönixberg, den er mit seiner Partnerin sukzessive zum Seminarzentrum ausgebaut hat. 2011 52
Dialogbereitschaft Mittels seiner Arbeit möchte Rein thaller „die uralte Kulturtechnik des Dialoges“ vermitteln und mutet dabei ein wenig wie ein Umweltschützer an, der sich für den Erhalt einer vom Aussterben bedrohten Art einsetzt. Denn die Erosion von „wirklichem“ Dialog ist unübersehbar. „Die Kultur der Stammtische, der Gespräche am Kaffeehaustisch – diese Formen von direktem Dialog werden immer weniger“, so Reinthaller, wofür er auch die zunehmende Digitalisierung der Welt mitverantwortlich macht. „Früher gab es kein Fernsehen, kein Internet, kein Social Media – das hat in den letzten Jahren überhand genommen.“ Das Paradoxe dabei: In der vermeintlichen Fülle des Sichmitteilens und des ständigen Kommunizierens bleibt der eigentliche Dialog, das Zwiegespräch auf der Strecke – mit letztlich fatalen Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Gesellschaft. „Heute laufen ‚Dialoge‘ eher ab wie Verkaufsgespräche. Es geht um Wissen, um Effizienz, um Kompetenz, um Fokussierung auf ein Ergebnis, das oft einzig darin besteht, seine eigenen Interessen und Positionen durchzusetzen, wenn man so möchte auch Macht auszu üben – denn der, der mehr weiß, obsiegt über jenen, der weniger weiß. Mit wirklichem Dialog hat das aber nichts zu tun.“ Dieser breitet sich vielmehr in ein offenes, wenn man so will vages Feld ohne Sicherheitsnetz aus. „Da geht es um Neugier, um Offenheit, um Leidenschaft. Ich frage: ‚Was steht an?‘, und lasse mich überraschen, was im Dialog selbst drin steckt und was am Ende rauskommt, ganz ohne Erwartungen.“ Reinthaller
spricht diesbezüglich von der „Kunst des Staunens“, die mitunter mehr mit Fragenstellen denn Antwortgeben zu tun hat, jedenfalls immer ausgangsoffen ist und die sich demütig bewusst ist, „dass wir eigentlich herzlich wenig wissen – und das braucht uns keine Angst zu machen!“ Zivilisationskritik Wenn man Reinthaller fragt, wann dieser Erosionsprozess seiner Meinung nach seinen Ausgang genommen hat, setzt er bei der Zeit der Aufklärung an. „Damals begannen in Folge religiöse und autoritäre Missbräuche überhand zu nehmen. Unter dem Primat des Verstandes schüttete man das
Es beginnt immer irgendwo
WEITBLICK. Reinthaller möchte die „uralte
Kulturtechnik“ des wirklichen Dialoges pflegen, die Geist-Mystik und Kunst umfasst.
Kind mit dem Bade aus – die Folge war eine zusehende Mechanisierung der Welt.“ Der Mensch als Maschine, die Welt als Algorithmus, Effizienz und Leistung als alles durchdringende Doktrinen – das kommt einem ziemlich bekannt vor und erfüllt viele zunehmend mit einem Gefühl von Unbehagen. In Reinthallers Augen wurde die – wenn man es so nennen möchte – heilige Dreieinigkeit der Kommunikation Geist-Mystik-Kunst zugunsten einer Überbetonung des Verstandes aufgebrochen, „und das kann die
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grausamsten Folgen zeitigen, wie wir gesehen haben.“ Dabei ist Reinthaller keinesfalls geistes-abweisend, „ich liebe den operativen Verstand der westlichen Kultur“, aber er ist Fürsprecher einer angemessenen Balance, eines Bewusstseins, „dass zum Verstand eben auch die Seele dazugehört. Es geht nicht nur um Ratio, um Leistung oder darum, erster zu werden. Denken wir an eine Symphonie: Da würde auch keiner danach streben, erster zu werden, sondern danach, dass sie schön klingt.“
„Unter dem Primat des Verstandes hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet!“
Aus dieser Weltsicht und durch sein aktives Handeln formuliert und lebt Reinthaller wie von selbst eine Form von Zivilisationskritik, die freilich nicht lehrmeisterlich oder aggressiv daherkommt, sondern durch das Angebot eines nachhaltigen Gegenmodells eine bessere Welt auf Schiene bringen möchte. Die Politik, vielfach ebenfalls „zur Gänze an Effizienz und am Rechenstift orientiert“, sei in einer krisenhaften Zeit wie der heutigen so sehr damit beschäftigt, „die Welt irgendwie in Angeln zu halten und Erste Hilfe zu leisten“, dass bei der Suche nach Auswegen oft der Weitblick fehle. „Man müsste fragen, an welchem Punkt war das, was MFG 09.14
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Es beginnt immer irgendwo
wir verloren haben und ab dem es falsch gelaufen ist – und das war vielleicht nicht einen Schritt vorher, sondern schon fünf.“ Dabei habe seine Arbeit aber nichts mit Tagespolitik oder der Lösung aktueller Konflikte zu tun. „Ich bin ja kein Notfallmediziner – das ist nicht unsere Aufgabe.“ Gesellschaftspolitisch relevant ist sie aber allemal. „Unsere Aufgabe ist es in einem größeren Kontext den Acker zu pflügen, den Humus zu bereiten, auf dem etwas Neues gedeihen kann, Fragen zu stellen, wirkliche Dialoge zu führen und dazu anzustiften, offen zu sein – da möchten wir selbstverständlich auch die Politik einbinden und einladen.“ Dialogikum Um diesen Ansatz nachvollziehbar zu gestalten, genügt ein Blick auf das Thema des nächstjährigen Dialogikums: „Bildung“. „Da geht es uns vordergründig nicht um PISA, um die Neue Mittelschule oder dergleichen, sondern primär um die Grundfrage, was Bildung überhaupt ist, wie wir damit umgehen, was wichtig sein könnte; wie wir unsere Kinder bilden, und jene, die unsere Kinder ausbilden. Und es geht um die Frage: ‚War‘s das schon, oder kann man vielleicht auch etwas Neues denken?‘“ Dazu werden wieder eine Reihe von Dialogen, Seminaren und Vorträgen stattfinden – und dies, wie bereits in diesem Jahr, über das ganze Pielachtal verteilt. Denn die Botschaft, wenn man so möchte, kommt an. Das Interesse am Phönixberg, das Bedürfnis nach Dialog, Gedanken- und Herzensaustausch ist groß. „Bei unserem ChillOut Tag am 13. Juli sind plötzlich neun Firmen auf mich zugekommen, die mitarbeiten möchten!“, freut sich Reinthaller über die positive Resonanz. Und er freut sich über die rasche Annahme innerhalb der Region, die längst zu seiner Heimat geworden ist „Ich verbringe über die Hälfte des Jahres am Phönixberg! Ich kenne die knorrigen Obstbäume, den Geruch des Fallobstes, atme mit der Gegend mit. Ich bin einer von hier!“ Dass er dennoch für seine Ideen viel Überzeu54
VISION. Das Dialogikum Phönixberg könnte sich zu einer vergleichbaren Einrichtung wie Philosophicum Lech, Forum Alpbach oder Goldegger Dialoge entwickeln.
gungsarbeit leisten musste und muss, findet er ganz normal. „Natürlich haben anfangs einige gedacht ‚Naja, ein Träumer‘, aber das ist das Los der Pioniere, dass man bisweilen gegen die Wand läuft und sich Beulen holt. Aber ich bin hartnäckig geblieben und habe Entzündungsreden gehalten, und umso schöner ist es, wenn es dann tatsächlich Feuer fängt und etwas Neues entsteht.“ Etwas, von dem Reinthaller noch gar nicht genau weiß, welche Gestalt es am Ende des Tages annehmen wird – es könnte aber durchaus in Richtung Philosophicum Lech, Goldegger Dialoge oder Forum Alpbach gehen, „das Ernst Molden 1944 ja auch gegründet hat, weil damals einige dachten ‚He, Moment, irgendetwas läuft schief.‘ Wer weiß, vielleicht wird das Pielachtal ja einmal bekannt
als ‚Region des Dialoges‘? Warum nicht – es beginnt immer irgendwo!“ Dem Phönixberg wohnt jedenfalls noch, wie es Reinthaller formuliert, „der Zauber des Neuanfangs inne“, und dies ist auch schlüssig. Denn nachdem der Phönix dem Feuer entsteigt, breitet er seine Schwingen aus und fliegt davon. Wohin, das weiß man nicht so genau – die Welt steht ihm noch offen. Nächster Termin Die Kunst der Versöhnung – Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee im persönlichen Gespräch. Moderation: Barbara Pachl-Eberhart. Montag, 22. Sept. 18.00 Uhr GuK - Gemeinde- & Kultursaal, 3203 Rabenstein www.phoenixberg.at
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„Ich konnte nicht anders … … ich musste einfach helfen“ – so einfach beschreibt Anton Schmid seine humanistische Tat, die er während des Zweiten Weltkrieges vollbrachte. Sein „weiches“ Herz, wie er selbst von sich sagte, gebot es ihm, über dreihundert Juden, die kurz vor ihrer Vernichtung standen, zu retten. Dafür wurde er hingerichtet. Der St. Pöltner Autor Manfred Wieninger dokumentiert in seinem neuesten Buch „Die Banalität des Guten“ die Geschichte des kleinen großen Feldwebels aus Wien.
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inem größeren Publikum als Verfasser von Kriminalromanen (im Februar erscheint ein neuer!), in denen Marek Miert im fiktiven niederösterreichischen Provinznest Harland als „DiskontPrivatdetektiv“ seinen Dienst absitzt, bekannt geworden, treibt es Manfred Wieninger immer wieder auch zu historischen Themen, vor allem den Widerstand und die Verfolgung während des Holocaust betreffend. Oder besser, er stößt als fragender und sensibler Mensch immer wieder auf „Sachen, die bis dato nicht oder weniger bekannt waren“. In einer Gewerkschaftszeitung wurde Wieninger vor mehr als zehn Jahren auf einen dreizeiligen Artikel mit Foto über Feldwebel Anton Schmid aufmerksam. „Ich war berührt und wollte mehr wissen“, so der St. Pöltner Autor, „eigentlich habe ich an einen Artikel gedacht.“ Geworden ist es ein ausführlicher
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Dokumentarroman. Das war früher auch schon so. Als Zwölfjähriger durchkämmte er per Fahrrad so ziemlich alle Gassen und Straßen seiner Heimatstadt. Fazit: Jahre später erschien ein Lexikon mit dem Titel „St. Pöltner Straßennamen erzählen“. „Beim Schneeglöckerl brocken in der Viehofner Au bin ich vor Jahren auf Betonsteher und Stacheldraht gestoßen“, erinnert sich Wieninger. Während sich der gelernte Österreicher vermutlich über die Hindernisse bei der freizeitlichen Blumenpflückaktion geärgert hätte, stellte der geschichtlich interessierte Autor Fragen und hob so die Existenz der beiden Zwangsarbeiterlager im St. Pöltner Stadtteil Viehofen aus, dokumentierte sie und machte ein dunkles Kapitel der Stadtgeschichte sichtbar. Als er vor Jahren auf einen Gedenkstein für die 223 Märtyrer stieß, stellte er sich nur eine Frage: „Wer
sind die?“ Die Antwort ließ den zeitgeschichtlichen Roman „223 oder Das Faustpfand“ über das Massaker von Hofamt Priel, wo die Waffen-SS ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordete, entstehen. „Albträume hab ich gehabt, das Geschehen immer wieder in Gedanken miterlebt“, erzählt Wieninger und weiß, „dass ich nicht anders kann, ich muss darüber schreiben.“ Die „intentio auctoris“, die Absicht des Autors spielt dabei für ihn aber nicht die große Rolle. „Mir wäre lieber, diese Bücher wären schon geschrieben.“ Ist es Hartnäckigkeit oder eine besondere Form von Instinkt, Wieninger findet immer etwas Neues. So schickte er sich an, mehr über diesen couragierten Anton Schmid zu erfahren. „Ich habe nicht gewusst, wohin ich mich wenden sollte.“ Er kontaktierte schließlich das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und Nazijäger Simon
„Es ist kein Roman mit erdachten inneren Monologen, das wäre Hirnwichserei. Es ist ein Dokumentarroman mit erzählerischen Passagen.“
TEXT: ANDREAS REICHEBNER | Fotos: Simon Höllerschmid, ZVG
Wiesenthal. Von letzterem erhielt er ein Dossier über den Wiener Feldwebel, der 1967 als erster Angehöriger der deutschen Wehrmacht von der israelischen Holocaust-Erinnerungsund Forschungsstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet wurde. Beim Dokumentationsarchiv traf er auf Dr. Siegwald Ganglmair, der gerade über Schmid forschte. „Wir haben uns auf ein Packl g‘haut.“ Es folgten Jahre in verstaubten Archiven, eine beschwerliche Reise nach Wilna, dem Ort der heldenhaften Taten von Schmid, und die Zusammenarbeit mit Dalija Epstein, einer litauischen Historikerin – ihr ist auch sein Buch gewidmet. Auf den Spuren des Feldwebels „Wir haben das Wehrmachtsgefängnis gefunden, wo Schmid inhaftiert war, die Ziegelmauer mit den Einschlägen der Schüsse bei den Hinrichtungen“, blickt Wieninger zurück. „Sogar einen Zeitzeugen, der diese Hinrichtungen miterlebt hat, haben wir ausfindig gemacht.“ Nur die Versprengten-Sammelstelle der Wehrmacht, die Schmid leitete, war nicht mehr zu finden. „Dort befindet sich jetzt ein öffentliches Pissoir in Stalin-Manier.“ Der St. Pöltner Autor hatte das Glück den Nachlass von Schmid
durchforsten zu dürfen. „Es waren viele Briefe und Fotos vorhanden. Faszinierend, denn normalerweise ist bei so einem Fall maximal der letzte Brief an die Lieben vorhanden. Zum Schluss, in Haft, versuchte Schmid seiner Familie sein Verhalten zu erklären, das ist einzigartig. So einen Nachlass kann man nicht unpubliziert lassen“, ereifert sich Wieninger, der im Laufe seiner Recherchen in Gerhard Kanitzer einen Zeitzeugen fand, der viel über den Menschen Schmid zu sagen hatte. „Die Interviews mit Kanitzer waren sehr berührend. Er hat von Schmid immer nur als guten Menschen gesprochen.“ Sein „gutes“ Herz ließ ihn auch jene mutigen Rettungs-Aktionen wagen, die ihm letztlich das Leben kosteten. Im Heeres-LKW ließ er jüdische Arbeiterinnen und Arbeiter, die in der von ihm aufgebauten Polsterei beschäftigt waren, samt ihren Familien von Wilna nach Lida im heutigen Weißrussland bringen. „Dabei ist Schmid durch die Flüchtlinge Hermann und Anita Adler auch in Kontakt mit der jüdischen Widerstandsorganisation des Ghettos in Wilna gekommen. Er hat als Wehrmachtssoldat mit dieser Gruppe zusammengearbeitet! Er war ein g‘rader Michl, hat einfach helfen müssen“, skizziert der „Bauchautor“,
Info Die St. Pöltner Buchpräsentation von „Die Banalität des Guten“ findet am Donnerstag, den 2. Oktober 2014, um 19 Uhr in der ehemaligen Synagoge St. Pölten statt.
wie er sich selbst bezeichnet, die Figur Schmid. In der Haft, in die er im Jänner 1942 kommt, erlitt Schmid mehrere Nervenzusammenbrüche, wollte sich umbringen, „aber wegen seiner Familie tat er es nicht. Das kommt ganz dramatisch aus seinen Briefen hervor.“ Schmid wird am 13. April 1942 von einem Erschießungspeloton hingerichtet. „Von rund 18 Millionen Wehrmachtssoldaten war er vermutlich der Einzige, der von der hitlerdeutschen Militärjustiz zum Tode verurteilt und hingerichtet worden ist, weil er Juden zu retten versuchte“, so der Autor, der in Form des Dokumentarromans mit erzählerischen Passagen die Geschichte des kleinen großen Feldwebels erzählt. Die Geschichte von Anton Schmid und dem von ihm geretteten Ehepaar Hermann und Anita Adler – denn schlussendlich entkamen nur diese beiden der Vernichtung. Oder, wie der Autor Wieninger sagt: „Es ist ein Buch über die Freiheit des menschlichen Willens.“ HELD. Feldwebel Anton
Schmid, zweiter von links, 1941 beim Vormarsch in die Sowjetunion. Portrait: Anton Schmid noch als Zivilist 1939.
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Der Rote
Die Schnittmenge aus knalliger Pop Art, beseeltem Schauspiel und zum Teil wahnwitzigem Aktionismus? Antwort: donhofer.. Mit kleinem d am Anfang. Und Punkt am Ende. Und einer künstlerischen Vision, an der sich mitunter die Geister scheiden.
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rühjahr 2014. Vor dem Wiener Burgtheater bremst sich ein dunkler Kastenwagen ein, schwarz gewandete Menschen springen heraus, unter ihnen einer ganz in Rot. Sie verlegen rasch einen Rollrasen vorm Haupteingang. Dann verschwinden sie wieder. Bereits einige Wochen davor konnten Passanten auf einem Plakat anstatt der üblichen Stückankündigung vor dem Burgtheater Folgendes lesen: „Wir sind noch einmal davon gekommen – von Bundestheater Holding GmbH.“ 58
Bei einer später angesetzten Presseerklärung wird der Mann in Rot süffisant darauf hinweisen, dass er mit seiner Intervention „Gras über den Burgtheater-Skandal wachsen lassen“ wolle, da ja „nach den dargebrachten Bauernopfern Hartmann und Stantejski nun endlich wieder Ruhe einkehren“ könne. Der Rasen bleibt eine Zeitlang liegen. Ein sich progressiv dünkender, gleichwohl im Irrglauben befindlicher Lehrer erklärt seiner Klasse sogar, das Ganze sei Teil eines The-
aterstücks: Interpretation ist alles. Der Titel der Aktion: „donhofer. lässt Gras drüber wachsen.“ Zwei Jahre davor: Der Mann in Rot lässt sich im Rahmen des Tomorrow-Festivals im AKW Zwentendorf vor Publikum in einen Raum sperren, in dem die Strahlung (Leselampe, Spots, Scheinwerfer, Handys) permanent erhöht wird. Während des Besuchs hochrangiger Politiker, lässt er sich, von Kabeln umwickelt, auf die Bühne tragen – nicht gerade zum Gaudium von Minister Berlakovich, den dieser „Störfall“ ziemlich aus dem Konzept bringt. Titel des Treibens: „donhofer. supergau“. Mai 2011: Im Rahmen der Ausstellung „Steyr men are very good“, im Schloß Steyr hängt im Keller ein STG 77, daneben gibt’s auf einer TV-Screen Frauenakte zu bewundern, deren Anblick allerdings von insgesamt 52 Briefmarken gleichsam zensiert wird (also nix für Voyeure) – Briefmarken aus jenen 52 Ländern, in die das ausgestellte Steyr-Gewehr exportiert wird. Dazu fallen in regelmäßigen Abständen hörbar Schüsse. Bei der Ausstellungseröffnung, während der Ansprache einer Kunsthistorikerin einen Stock höher, stürzen bei Nennung des Namens donhofer. einige Leute im Publikum zu Boden und rühren sich nicht mehr. Eine Frage der Kunst? Frage an den Mann in Rot: „Das soll Kunst sein?“ donhofer. grinst: „Weißt du, das Problem mit der Kunst ist die Kunst.“ Und präzisiert: „Ab dem Zeitpunkt, wo es klar ist, dass sich etwas um Kunst handelt, erwartet auch jeder Kunst. Sozusagen einen Sturm in einer gleichsam geschützten Werkstätte. Aber spannend wird’s ja eigentlich erst dann, wenn etwas an einem Ort beziehungsweise in einem Zusammenhang passiert, der nicht unbedingt Teil dieser Kunstwelt ist. Wenn sich Dinge auf ein Leben außerhalb des Kunstdiskurses auswirken.“ Ob man ihn nun als Künstler oder Nicht-Künstler bezeichne, sei ihm im Grunde völlig wurscht. Die Auswahl der Medien ergebe sich
TEXT: Thomas Fröhlich | Fotos: Michael Liebert, donhofer.
AKTION. Im nie in Betrieb gegangenen AKW Zwentendorf übte donhofer. den „Störfall“, in
„Steyr men are very good“ machte er jene 52 Länder evident, in die das STG 77 exportiert wird.
daher auch nach der jeweiligen Intention – so stehen Malerei, Aktionismus, Schauspielerei, Performance sowie die Interaktion mit dem Publikum, ja das Publikum selbst gleichberechtigt nebeneinander. Seine Bilder erinnern ein wenig an Pop Art – aber auch Übermalungen von Übermalungen sind bei donhofer., wie er sich als Künstler (oder Nicht-Künstler) nennt, nicht auszuschließen. „Eines Tages kam einer und übermalte Rainer“ war so eine Aktion, die auch malendes Publikum miteinbezog. Seinen Weg gehen Geboren wurde er 1983 als Alexander Donhofer in Mödling. Er kam mit vier Jahren nach St. Pölten, wo er sich schon während seiner Schulzeit
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der Schauspielerei zuwandte. Bei der Theatergruppe PERPETUUM etwa „hab‘ ich wahnsinnig viel gelernt“ – davon kann man sich regelmäßig im ehemaligen Forum-Kino überzeugen. In der FH studierte er Medientechnik. „Übers Theater bin ich zur Performance gelangt.“ Akademische Ausbildung in bildender Kunst besitze er keine. Er lernt dort, wo es etwas Essenzielles zu erfahren gibt, und kümmert sich wenig um institutionalisierte Vorgaben, dafür umso mehr um Handwerkliches. „Wenn einen etwas interessiert, muss man sich das Handwerk zulegen und sich mit der zu Grunde liegenden Philosophie beschäftigen.“ Die „Safe area“ des Kunstbetriebs interessiere ihn sowieso nicht. Kommunikation
„Das Problem mit der Kunst ist die Kunst.“
sei das Zauberwort. Ob die nun von St. Pölten, Wien oder einem abgelegenen Kuhdorf ausgehe, sei völlig nebensächlich. „Das alles ist niemals ortsabhängig.“ Klar: „Um Regeln zu brechen, muss man sie kennen.“ Und Regeln kennt donhofer. zur Genüge und versteht sie auch zu nutzen. Unter seinem Geburtsnamen ist er Leiter der erfolgreichen Werbeagentur linie1. Und nicht nur von dort ist ihm die Wichtigkeit von corporate identity geläufig. Hier der Werbemann Donhofer, dort der Künstler donhofer. in Rot. Auch sein Atelier in Wien ist zweigeteilt – hier der künstlerische Bereich, dort das Agenturbüro: eine klare Trennung ist ersichtlich. Sämtlichen Klischees des im Chaos lebenden Künstlers zum Trotz wirken beide Bereiche allerdings unglaublich aufgeräumt und richtig schön ordentlich. „Mit meiner Werbeagentur erwirtschafte ich mir die Freiräume, die ich in meiner Kunst brauche. So bin ich finanziell unabhängig und brauche keinen Trends nachzurennen.“ Und könne so in seiner Kunst auch Dinge zur Sprache bringen, die sich sonst vielleicht nicht so viele zu thematisieren trauen. Nicht zufällig zählt Hermann Nitsch zu einem seiner Helden. „Der ist auch immer seinen Weg gegangen und hat sich nix ‚pfiffen. Und wenn Menschen dann sagen: ‚Das kann ich auch; der schmeißt ja nur Farbe an eine Wand‘ – dann sag‘ ich: ‚Dann mach‘s halt!‘ Nur was dabei gerne übersehen wird: Das ist ja immer nur ein – sichtbarer – Endpunkt einer langen Reihe an sämtliche Lebensbereiche durchdringenden, künstlerischen Aktionen.“ Das sei eine Haltung und Herangehensweise an Kunst und Leben, die ihm sehr gefalle. Auch donhofer.s nächster Streich ist schon in der Pipeline: Er heißt „pornographisch dezente nonnen“. Man darf gespannt sein. Der rote Faden in donhofer.s Leben heißt schlicht: Kreativität. Rot – wie der Lebenssaft selbst. Fad geht anders. www.donhofer.com MFG 09.14
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MFG ADVERTORIAL
Präsident LOTHAR FIEDLER Der Abzug der Modernen Kunst aus dem Landesmuseum St. Pölten nach Krems in eine dort neu zu bauende „Landesgalerie“ hat für große Aufregung und Verunsicherung unter unseren Mitgliedern gesorgt. Viele haben – etwa im Zuge einer Unterschriftenaktion, die über 1.000 Kulturinteressierte unterzeichneten – dieser Verunsicherung Ausdruck verliehen bzw. den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass Kunst auch weiterhin eine Rolle im Landesmuseum in St. Pölten spielen soll. In einem persönlichen Gespräch mit dem Landeshauptmann, an dem neben unserem Mitstreiter DI Norbert Steiner auch die Verantwortlichen der Landeskulturabteilung zugegen waren, versicherte der Landeshauptmann, dass das Landesmuseum – auch in seiner zusätzlichen neuen Funktion als Haus der Geschichte – weiterhin eines sein wird, das auch Kunst- und Kulturschätze präsentiert. Der Landeshauptmann sagte zudem zu – was als Auftrag an die Landeskulturabteilung zu verstehen ist – dass der Förderverein Kulturbezirk im Hinblick auf die weitere Entwicklung laufend informiert und auch gehört werden wird. Über die Fortgänge des Projektes „Haus der Geschichte“, das 2017 eröffnet werden soll, werden wir Sie selbstverständlich am Laufenden halten. Ich bin jedenfalls guter Hoffnung, dass ein für St. Pölten und das Landesmuseum mit seinen unterschiedlichen Abteilungen gutes Ergebnis, welches auch Kunst zum Inhalt hat, am Standort St. Pölten realisiert wird und dass vor allem auch der so wichtige Dialog zwischen den Institutionen des Kulturbezirks und seinem Förderverein in Hinkunft wieder in der traditionellen guten und offenen Art und Weise vonstatten geht.
Darf’s ein bisschen mehr sein?
Das lange Warten hat ein Ende – die Sommerpause ist vorbei, und der Förderverein Kulturbezirk lädt seine Mitglieder wieder zu exklusiven Highlights in der neuen Saison
Radetzkymarsch und die Rebellion von Joseph Roth Mit dem Radetzkymarsch hat sich Joseph Roth ins kollektive Gedächtnis Österreichs eingeschrieben. Die Geschichte dreier Generationen, die im Untergang der Monarchie kulminiert, bildet den heurigen Saisonauftakt im Landestheater. Lernen Sie anschließend bei einem Empfang im Theatercafé das Ensemble kennen. 4. Oktober, 19.30 Uhr, Landestheater Niederösterreich Fern der Front – mitten im Krieg. Niederösterreich 1914–1918. Im Ersten Weltkrieg lag Niederösterreich fern der Front – und dennoch befand es sich mitten im Krieg. Diese Ausstellung dokumentiert das Leben im Dienste des Krieges an der „Heimatfront“. Zeitraum: 23. September 2014 bis 27. Februar 2015, das Datum der exklusiven Führung wird noch bekannt gegeben. Wiener Philharmoniker Der Wiener Singverein und herausragende Solisten gesellen sich zu den Wiener Philharmonikern, die nicht nur Schuberts unvollendetes Oratorium „Lazarus“, sondern auch Olivier Messiaens Werk „Et exspecto resurrectionem mortuorum“ zu Gehör bringen. Im Anschluss exklusiver Empfang. 24. Oktober, 19.30 Uhr, Festspielhaus St. Pölten Preview Bader, Medicus, Primar – Gesundheitswesen in Niederösterreich Wie sah es in der Vergangenheit mit der medizinischen Versorgung aus? Die Ausstellung führt zurück in Zeiten des Aderlasses und der Hausgeburten und spannt den Bogen bis in die Gegenwart. Im Anschluss exklusiver Empfang. 20. November, 18.30 Uhr, Landesmuseum NÖ Cassandra Wilson Cassandra Wilson ist „Amerikas beste Sängerin“ – befand 2001 das Time Magazine. Die zweifache Grammy-Gewinnerin zollt einer der größten Sängerinnen der letzten 100 Jahre Tribut: Billie Holiday. Im Anschluss exklusiver Empfang. 07. Dezember, 18.00 Uhr, Festspielhaus St. Pölten
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Mein Manager und ich
Donnerstag Vormittag. Café Schubert – Rauchsalon. Wir treffen den Literaten, Schauspieler und Chansonier Roul Starka und seinen neuen Manager Manfred Steinwendner zum witzigen Plausch über deren neue geschäftliche „Ehe“, kommende Projekte und ein orangenes Hemd.
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tarka in feinem Zwirn, graues Hemd, graue Krawatte, Gilet unterm Sakko und – Markenzeichen – silbernen Schuhe. Manfred Steinwendner wiederum mit charakteristischer grauer Löwenmähne, hipper Brille, oranges Hemd. „Das is ja das Lustige - wenn man uns nicht kennt, glaubt man, I bin der Künstler und Roul der Manager“, lacht er, wie die zwei – auch im Zwiegespräch – selbst bisweilen wie in einer Doppelconference rüberkommen. „Du, Manfred, zu Weihnachten wünsch ich mir dein orangenes Hemd“, bittet sich Starka aus, und er könnte es durchaus ernst meinen. In Anlehnung an Starkas fertiggestelltes Manuskript „Meine Frau und ich“ kommt einem in Bezug auf die zwei Herren der Titel „Mein Manager und ich“ in den Sinn, musikalisch abrunden könnte man das Ganze mit einer Starkaschen Version von Rio Reisers Klassiker „Mein Manager erledigt das für mich“. Wobei, da sind sich beide einig, der eigentliche Chef sowieso Starkas Frau Else ist. „Die hat das allerletzte Wort!“ Die neue Liasion zwischen dem Künstler und dem Sales-Profi ist in einer für Starka fast üblichen Weise zustande gekommen. „Zwar hab ich den Roul von früher gekannt, er hat ja im Löwenkeller als DJ aufge62
legt, und er wird bei mir anno dazumal, als ich beim Hartlauer Lehre machte, wohl Schallplatten – ja, so alt sind wir schon – gekauft haben, aber eigentlich bin ich über seine Texte gestolpert.“ Und zwar jene, die Starka auf seiner facebook-Site veröffentlicht und die dieses gewisse Etwas an Authentizität, Sprachkunst und Originalität vereinen. „Da-
bei bin ich eigentlich gar nicht der große Buchleser, aber mir gefallen Texte, die mich positiv berühren.“ Texte wie jene Starkas, und so kam es alsbald zum ersten Treffen mit Roul und Else – „da hab ich mich sozusagen aufgedrängt“ – und nachdem Starka im Zuge eines Liederabends auch noch „die hefigste und schwerste Kritikerin, nämlich meine
TEXT: johannes reichl | Fotos: Simon höllerschmid
vierjährige Tochter, sowie meine Frau und Schwiegermutter fesselte“ hatte Steinwendner auch seitens seiner Familie den Segen, ins Management von Starka einzusteigen. Seine Aufgabe sieht er dabei klassisch. „Es geht darum, das ‚Produkt‘ Starka besser zu vermarkten, einen Künstler, der wirklich sau gut und wert ist, gesehen zu werden, Auftritte zu verschaffen und dafür zu sorgen, dass er dementsprechend entlohnt wird.“ Damit trifft er genau Starkas Interessen, denn wonach er sich nach Jahrzehnten des „Starkstromkünstlers“ und Durchkämpfens sehnt, ist der „Luxus“ der Konzentration rein aufs Künstlerische. „Ich habe 100 verschiedene Locations für Lesungen aufgetrieben, hab in der Gastro gearbeitet, um meine Projekte zu finanzieren, bin Nächte im Copyshop gestanden, um Manuskripte zu kopieren – das brauch ich nimmer.“ Was er sich nach Achtungserfolgen – sein erstes Stück „Urknall“ wurde etwa im Offtheater Wien uraufgeführt – hingegen wünscht, ist finanzieller Spielraum. „Das Klischee vom armen Künstler, dem das gar noch gefällt, kannst vergessen. Ganz im Gegenteil, ich hab Geld ganz lieb“, schmunzelt er und fügt pragmatisch hinzu. „Als Brand über meinem Konterfei auf Plakaten wäre mir Rolex zehnmal lieber als Shakespeare. Da würd ich es ganz wie Sartre halten, der mit nie weniger als 30000 Francs in der Tasche ausgegangen ist.“ Steinwendner ist jedenfalls voll motiviert. „Ich seh das auch als Chance für St. Pölten, einen Künstler groß zu machen. Jetzt haben wir mit Hans Jörg Schelling einen Finanzminister mit österreichweiter Strahlkraft, warum mit Roul Starka nicht einen dementsprechenden Künstler?!“, wobei Starka die „tolle Unterstützung durch die Stadt, durch Thomas Karl hervorstreichen möchte. “ Linkswalzer Dass hinter den Worten auch konkrete Vorhaben stecken, beweist eine kleine „Herbstoffensive“. So gastiert Starka am 27. September in der See-
dose, im Oktober sollen vier weitere Vorstellungen im Voithsaal der Musikschule folgen: „Der Rouli am Steinway“, da glänzen des Künstlers Augen. Unter der Produktionsleitung von Dieter Libuda wird zudem eine Live-CD eingespielt. Wie das Programm – das prinzipiell auf seinem bisherigen „Linkswalzer“ basiert – in Hinkunft heißen wird, ist noch nicht ganz ausgeschnapst. „Möglicherweise‚ Roul Starka – St. Pöltner Gesichten und Chansons.‘“ Das Lied „Linkswalzer“ bildet dabei nach wie vor einen fundamentalen Teil „weil es mir extrem wichtig ist. Dabei geht es um einen Dialog mit meinem verstorbenen Vater, der eigentlich immer davon geträumt hat, auch einmal Literat zu werden. Mit 47 Jahren ist er gestorben.“ Es beschreibt v.a. eine problematische Vater-Sohn-Beziehung, die erst durch den (Toten)Tanz Erlösung erfährt. „Ich hab meinen Vater als Kind kaum gekannt, war einmal im Jahr bei ihm, hatte eher Angst. Als ich 1979 dann aber eine Nervenentzündung hatte, hat er mit mir Walzer getanzt. Das war das erste Mal, dass ich keine Angst vor ihm hatte, während er wahrscheinlich die allergrößte um mich hatte.“ Neben „Linkswalzer“ singt Starka über weitere Begebenheiten, stets mit starkem Lokalkolorit und immer aus seinem Leben gegriffen. All made by Starka, wobei der „Lieder-
rat“, wie man ihn auch mit einem von Heli Deinboek geprägten Begriff umschreiben könnte, neuerdings zusätzlich auf musikalische Klassiker zurückgreift. „Etwa ‚Get back‘ oder ‚Bobby Brown‘, die ich dann mit St. Pöltner Texten versehe.“ Ostbahn Kurti, Heli Deinboek oder Wolfi Ambros lassen Grüßen, „wobei es bei Roul“, wie Steinwender findet „eher hadert, bronnert und qualtingert.“ Zwischen den Liedern liest Starka Textpassagen aus seinem Manuskript „Meine Frau und ich“, das einen witzigen Blick auf des Künstlers Lebensalltag mit seiner Else wirft „und dies ohne Rücksicht auf Verluste.“ Ob er da nicht mitunter „Brösel“ mit der Frau Gemahlin bekommt? Starka schmunzelt: „Naja, es gibt natürlich bisweilen heftige Diskussionen, die sind aber immer produktiv – und das letzte Wort hat Else.“ Was im Übrigen auch auf Starkas Facebook-Einträge zutrifft, die nicht minder offenherzig über sein Leben Auskunft geben. Dabei spukt dem Künstler schon das nächste Buchprojekt im Kopf umher, das den exzessiv-autobiographischen Ansatz quasi auf die Spitze treiben möchte. „Mir schwebt ein ‚Eheliches Tagebuch‘ vor ... also wenn das die Else erlaubt, bin ich verblüfft“, lacht er, zündet sich noch eine Zigarette an. „Und wann bekomm ich jetzt das Hemd, Manfred?!“ MFG 09.14
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MFG KULTUR
FLORIAN NÄHRER
Kommen Sie Nährer!
Er näherte sich künstlerisch dem „Tabu“ Josef Fritzl an, fragte „Wo Gott wohnt“ oder zerschlug im Stadtmuseum Krems als Teil des Kunstwerkes sein eigenes Werk, um an die Wand „SCHEISS-KUNST“ zu sprayen. Nun bringt das Stadtmuseum St. Pölten ab 24. Oktober eine Einzelausstellung mit Werken von Florian Nährer. Grund genug, den Künstler zum Gespräch zu bitten. Sie nennen Ihre Ausstellung „Das Beste kommt noch “, wie ist das zu verstehen?
Der Titel bezieht sich auf Maurizio Cattelans Antwort auf die Frage nach seiner wichtigsten Arbeit: „Die nächste Arbeit ist immer die wichtigste.“ Denn der Blick muss in der Kunst immer vorwärts gerichtet sein. Die neue Serie „Grace Expectations“ zeigt in großformatigen Arbeiten Räumlichkeiten, die verwahrlost sind. Ich bezeichne solche als Sehnsuchtsorte: Kirchen, Friedhöfe, leer stehende Diskotheken wie etwa die „Fabrik“ oder der „Diskostadl“ in Obritzberg – man spürt an solchen 64
Orten immer noch die in diesen Räumen verhaftete Erwartungshaltung. Religion spielt auch immer wieder eine Rolle in Ihrer Kunst – woher rührt das?
Meine Kunst hat grundsätzlich seit den 90er Jahren mit Religion zu tun. Anfangs gab es monochrome, kontemplative, meditative Bilder. Etwa ab 2000 dann graphische, figurative kleinere Arbeiten, weil mir die Aussage wichtiger wurde. Nicht meine Familie, aber mein Freundeskreis war religiös, und dies hat sich in der Pubertät gefestigt. Letztlich soll meine Kunst widerspiegeln,
was mich beschäftigt – und da spielt Glaube, Religion eine große Rolle. Wird man da nicht rasch in eine religiöse Schublade gesteckt, à la „der heilige Bruder“?
Es ist in der Kunstszene nicht unbedingt gut angesehen, wenn man zu Religion und Glaubensinhalten positiv steht. Das beschäftigt mich aber. Wie man das Paradoxon Gott und Mensch etwa in einer Person darstellen kann, habe ich mit „Holy Shit“ bearbeitet, wobei die zeitgenössische Aufbereitung dieser Themen eine große Herausforderung darstellt. Auch eine, wie man anhand von Reaktionen auf ihre Ausstellungen immer wieder erlebt, die kontrovers aufgenommen wird.
Ja, aber das empfinde ich nicht als kränkend oder verletzend. Es geht ja nicht darum, dass alle sagen „Das ist schön!“ Wie würden Sie Ihre Arbeitsweise beschreiben?
Eigentlich ist bei mir keine einheit-
TEXT: SIEGRID MAYER | Fotos: SIMON HÖLLERSCHMID
Young Artists im Stadtmuseum Seit vorigem Jahr werden im Stadtmuseum St. Pölten bewusst junge St. Pöltner Künstler präsentiert. Dazu Museumsleiter Thomas Pulle: „Der Beweggrund dieser Ausstellungsserie ist es, jüngere Künstler im Stadtmuseum zu verankern und zu zeigen , dass es in St. Pölten durchaus Potenzial gibt. Wir arbeiten dabei bewusst mit noch nicht so etablierten und jüngeren Künstlern, die Raum suchen sich zu präsentieren. Für die wollen wir mit den Arkaden im Stadtmuseum ein Forum bieten. Voriges Jahr hat diese Serie mit der Ausstellung von Wolf vulgo Labinsac begonnen, heuer führen wir sie mit Florian Nährer fort, weitere Künstler folgen. So wird es diese Schiene weiterhin einmal im Jahr geben, allerdings nicht starr zu einem fixen Zeitpunkt, sondern flexibel, um auch hier frisch zu bleiben.“ Florian Nährer „Das Beste kommt noch!“ Eröffnung am 24. Oktober, 18:00 Uhr im Stadtmuseum St. Pölten www.stadtmuseum-stpoelten.at
lich formale Linie zu erkennen, ich arbeite nicht frei, das ist mir zu beliebig. Inspiration zu Arbeiten erfolgt oft zufällig. Zur Zeit beschäftigen mich Themen wie Sehnsuchtsorte, Kirche, Friedhof, Diskotheken, aber auch Berge, denn die „Bergspitze“ ist im religiösen Kontext immer gleichzusetzen mit „Gottesbegegnung“. Oftmals entstehen aber inhaltlich aufgeladenere Arbeiten durch Einladungen zu Ausstellungen, wo man gezwungen ist, sich mit vorgegebenen Themen zu befassen. Wie bei einer Ausstellung in Krems. Thema war das Museum und sein Betrieb in Krems, dazu kam dann die Reaktion auf Kunstwerke und die Wertschöpfung daraus. Während der Eröffnung habe ich in einer Aktion mein Kunstwerk weiterbearbeitet (Anmerkung der Redaktion: zerschlagen und eine Botschaft an die Wand gesprayt – das Video ist auf www.youtube.com unter dem Suchbegriff „Reaktion : Kremsmuseum“ von Flo N zu finden) Jetzt hat mir der Kremser Kulturamtsleiter die Restauration auf
meine Kosten in Auftrag gegeben – die Wand sei durch die Sprayfarbe beschädigt. Bei den Aufräumarbeiten wurden allerdings Teile der Installation entfernt, in meinem Sinne also das Kunstwerk zerstört! Das erinnert an Beuys!
(lacht) Irgendwie ja – ich weiß noch nicht, ob das ein Nachspiel haben wird. Sie scheuen offenbar nicht die „Provokation“ – sind Sie ein politischer Künstler?
Auf keinen Fall würde ich mich politisch vereinnahmen, also etwa auf eine Unterstützungsliste setzen lassen. Aber wenn „politischer Mensch“ heißt, eine Meinung zu haben und dazu zu stehen, dann ja, dann bin ich ein politischer Mensch. Ich gehe, was ganz wichtig ist, auch wählen. Allerdings findet die wichtigste Wahl schon beim Einkauf im Supermarkt statt! Künstlerisch tätig zu sein kostet neben Zeit auch Geld, wie z. B. für Material oder ein Atelier. Wie finanzieren Sie sich?
Durch Verkauf der Bilder, weiters unterrichte ich – und das mit sehr viel Freude – seit 10 Jahren „Kunsterziehung“ im BORG Krems.
durch erlebe ich auch enorme Freiheiten, wobei soviel Freiheit für mich gar nicht mehr so erstrebenswert ist. Sie haben diverse Auftragsarbeiten angefertigt, etwa eine Wand im Café Emmi gestaltet oder das Etikett für den Hauptstadtwein 2014 entworfen. Wie weit muss man sich bei solchen Arbeiten verbiegen?
Fürs Café Emmi habe ich einen Entwurf geliefert, der dann besprochen wurde und dann passt es für mich auch. Ich mache aber eh nur, was ich will. Weil (schmunzelt) sonst kann ich es halt nicht. Kann man sich als Künstler abarbeiten, jemals „fertig“ sein?
Ja! Es ist durchaus möglich, dass ich als Künstler auch einmal fertig bin. Wenn nichts mehr kommt, muss man auch ehrlich zu sich selber sein. Dann mache ich vielleicht etwas anderes – aber noch gibt es genug zu tun. Ich mache die Bilder, weil ich sie machen muss! Es gibt nichts in meinem Leben, das ich so intensiv gemacht habe und musste. Nicht im Sinne von purem egomanischen Scheiß, sondern es ist einfach so.
Kann man eigentlich in Österreich von seiner Kunst leben?
Das kommt immer darauf an, wie man leben will. Ich führe ein bürgerliches Leben, bin verheiratet, habe drei Kinder, wohne in einem Haus am Stadtrand, es gibt nur keinen Hund. Ich wollte auch immer so leben. Es hat mich auch nie interessiert von St. Pölten wegzugehen. Bei einem einmonatigen Auslandsstipendium in Budapest war ich dort sorglos, aber unglücklich. Ich kann so am besten arbeiten, wie ein Beamter, von 8-12 Uhr im Atelier, eine Mittagspause von 12-13 Uhr, und um 18 Uhr ist Ende. Zuhause kann ich dann Vater sein und bin „frei“. Entspannung bringt mir das Laufen, aber auch dies ist genau geplant. Da-
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SHORTCUT SZENE
Sommer in St. Pölten
Roul Starka
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15 Jahre Lames
Sein 15-jähriges Bestehen begeht der Verein LAMES am SKW 83. Dort logiert man seit 1999, nach wie vor – nachdem das Areal bis auf Widerruf von der Stadt zur Verfügung gestellt wurde – auf gut österreichisch „in schlampigen Verhältnissen“. Diesen Status würden gerne alle ändern, freilich mit unterschiedlichen Vorzeichen. LAMES hofft auf den Erhalt des Areals und eine Art Dauerbleiberecht, die Stadt verweist auf einen gültigen Kaufvertrag mit einer Genossenschaft, zögert eine endgültige Entscheidung aber hinaus, und die Genossenschaft steht als hineingezogener Dritter quasi zwischen den Fronten. Politisch Bewegung möchten nun wieder die Grünen in die Causa bringen: „Ich bereite eine Anfrage an den Bürgermeister vor, was es uns kosten würde, wenn wir den Verkauf an die Genossenschaft rückabwickeln“, so Nicole Buschenreiter. Derweil wird aber am 20. September am SKW 83 mit einer „umfangreichen Ausstellung mit vielen Bilddokumenten, Fotos, Installationen, Videos und Kunstwerken aus den letzten 15 Jahren“ gefeiert.
FREAKSHOW Im bürgerlichen Leben heißt er Paul Lawrence, berühmt ist er mittlerweile aber als The Enigma, säumen seinen Körper doch unzählige tätowierte Puzzlestücke und den Kopf zieren zwei eingepflanzte Hörner. „Mein erstes
Tattoo ließ ich mit 20 machen. Das ist das kleine Gekritzel, was ich immer auf meine Schulsachen gezeichnet habe“, erzählt er über die Anfänge. Irgendwann tauchte dann die Frage auf „Was ist, wenn ich meinen ganzen Körper tätowiere? Wow, das muss ich sehen!“ Und Lawrence setzte die Idee in die Tat um und wurde zu The Enigma. Der wiederum ist heute nicht nur als Schauspieler (Filme, Akte X) bekannt, sondern gilt als DER Rockstar der Körperkult-Szene, wozu auch seine spektakulären Freakshows, wie es auch die Veranstalter nennen, beitragen – Schwerterschlucken inbegriffen. Live performt er auf der Wildstyle & Tattoo Messe am 15. und 16. November im VAZ!
Fotos: Dasha Petrenko/Fotolia.com zVg
Bitt‘ Sie, lieber Herr Sommer, tun’S Ihnen Sich bemühen. Wir sitzen vor den Dosen und scheppern in Decken gewickelt, still und starr ruht der See. Sagen Sie, Herr Sommer, Summa, heast! Schämen Sie sich gar nicht? Wie sollen denn die Apferl im Waldviertel und die Trauberl im Weinviertel im besten Alter und reif vom Baum fallen und von der Rebe gepflückt werden, ha? Wollen’S herumhochwassern wie der Mai? So viele Kinder wollen jetzt Drachen steigen und die älteren Kinder die Schularbeiten vermeiden lassen; sollen wir sie in den Fußgängerzonen in lustigen Gummistiefeln auf die Menschen loslassen? Sehr geehrter Herr Sommer, was können wir tun? Wir kastaniensammeln, wir höfefesten, wir herrenplatzen, wir rilkezitieren schon wie narrisch, dass es ein Weihrauch ist. Jetzt wollen wir Sünder aber auch Spätsommerkäfer in kurzen Rockerln, knackige Triathlonwadln und gurrende Tauberl in den Schanigärten, neben den altweibersommerlichen Rieslinggrunzern. Der brave Bürger muss auf’s Green, eh schon gehandigecapt. Der tüchtige Plebs auf den Tennisplatz, der geschneuzte Pöbel in den Steinbruch zur Aida. In Herrgottsnamen, wie stellen Sie sich das vor, Herr Sommer? Die fangen uns noch zu lesen an, und dann haben wir den Vogerlsalat. Und wenn der Geldadel seine Botoxpuppen nicht im Cabrio gassi führen kann, wird’s unrund rund um Raika und Raki. Herr Sommer: Noch keine Sekunde haben wir sagen können: „Ich halte diese Hitze nicht mehr aus, ich werd noch wahnsinnig, pfah!“ Nicht zu vergessen, das Konzentrat des St. Pöltners bei Kaiserwetter, unser Chor: „So schee! Na jo, wer waaß wia laung? Wirst sehn, s wird wieder schiach!“ Ich bitt‘ Sie, Herr Sommer, reißen Sie Sich zamm!
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November
JBO
19. 20. Dezember
Dezember
Alkbottle
MFG SZENE
TEXT: MICHAEL REIBNAGEL | Foto: KBK IMAGES
Es darf gemosht werden...
…heißt es wieder am 19. und 20. September, wenn im Frei:Raum in der St. Pöltner Herzogenburgerstraße das bereits achte Tales From The Moshpit – STP Metalweekend über die Bühne geht.
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eit 2007 schaffen es zwei Herrschaften aus St. Pölten alljährlich das Who-is-Who der österreichischen Metalszene in die niederösterreischische Hauptstadt zu locken. „Entstanden ist das Metalweekend auf Drängen des St. Pöltner Querdenkers Nummer 1 Edwin ‚Didi‘ Prochaska, der im ersten Jahr noch als Mitveranstalter und Mentor mit an Bord war“, so Reini Reither, einer der beiden Masterminds hinter der Veranstaltung. „Naheliegend war natürlich die Zusammenarbeit mit der Veranstaltungsreihe ‚Tales From The Moshpit‘, die es seit Ende 2006 gibt“, fügt Christian „Mecki“ Dörr, der Zweite im Bunde, hinzu. Dass die beiden wissen, was sie tun, zeigt sich, wenn man sich ihren Background ansieht. Reini ist etwa seit mehr als 30 Jahren dem Metal verfallen und seit einigen Jahren journalistisch bei stormbringer.at und dem Volume Magazin engagiert. Mecki ist seit seiner Jugend in der Veranstaltungsbranche tätig. „Ich hab mit 16/17 als Roadie 68
und Stagehand angefangen und bis heute so ziemlich alles gemacht, was es in dem Geschäft gibt. Die letzten 10 Jahre primär als Booker (u.a. für den Frei:Raum), Manager und Tourmanager. Derzeit arbeite ich als Projektleiter für einen der größten österreichischen Veranstalter und als Musiker bin ich nach längerer Pause auch schon wieder fast 10 Jahre unterwegs.“ Durch seine Arbeit beim Frei:Raum war auch gleich eine geeignete Location für das Metalweekend gefunden, welches nach wie vor ebenda stattfindet. Doch was macht für Mecki und
Reini den Reiz des Metalweekend aus? „Einfach ein für alle Seiten gemütliches, gut organisiertes Festival mit geilen Bands und zu fairen Preisen zu organisieren. Ich denke, die Resonanz von Bands, Besuchern und Mitarbeitern spricht für sich. Der Spaß kommt bei aller Arbeit definitiv auch nicht zu kurz. Die After Show Party im Underground ist auch nicht zu verachten. Dort gibt’s dann den Großteil der Bands auch noch zum ‚Angreifen‘“, so Mecki. Heuer, im achten Jahr, gibt es einige Neuerungen. Zum einen wurde der Frei:Raum komplett neu gebaut und bietet somit einen anderen Rahmen als zuvor. Außerdem sind zum ersten Mal internationale Top-Acts dabei, da nach sieben Jahren schon fast alle zur Verfügung stehenden österreichischen Headliner gebucht waren. So geben sich heuer Hail of Bullets aus den Niederlanden, Illdisposed aus Dänemark und Undertow aus Deutschland die Ehre. Ein besonderes Highlight ist außerdem der erste Auftritt der mexikanischen Gore-Grind Band Semen in Europa. „Besondere Zuckerl sind außerdem die CD-Release Show der Lokalmatadore Aeons of Ashes, die 20-Jahr Feier von Thirdmoon und der erste Auftritt der neuen Female-Fronted-Death-Metal Band Halo Creation“, so Reini. Weitere Acts sind Brute (Metalchamp Gewinner 2014), Epsilon und Warcult, alle aus der Umgebung von St. Pölten und Defiled Utopia. Alles in allem erwartet die Besucher ein grandioses Festival, wo für jeden (Metal-)Geschmack etwas dabei ist. Infos zu Line Up und Kartenpreisen gibt es unter anderem auf www.freiraumstp.com oder auf Facebook.
METAL PUR. Im September steigt wieder das Tales From The Moshpit – STP Metalweekend im Frei:Raum St. Pölten, u.a. mit Hail of Bullets, Illdisposed, Undertow, Brute, Epsilon, Warcult uvm.
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WILDSTYLE & TATTOO MESSE
The coloured girls & boys are back in town! Am 15. und 16. November 2014 findet die Wildstyle & Tattoo Messe wieder im VAZ St. Pölten statt. Dabei führt sie verschiedene Kulturen und Künstler, Tätowierer und Aussteller aus vier Kontinenten und über 20 Ländern auf eindrucksvolle Art & Weise zusammen! Seit mittlerweile 19 Jahren steht der Name Wildstyle & Tattoo Messe auch für ein „internationales Festival der Toleranz“! 1995 schrieb Jochen Auer (Erfinder und Produzent der Wildstyle) das wohl eigenwilligste Showkonzept der damaligen Zeit und durfte bis heute über 1,5 Millionen begeisterte Besucher zählen! Tattoos, Piercings, Extravagante Mode, Bikerwear, Clubwear, Schuhe, Schmuck, Accessoires, Dessous, Indian Style, Custombikes & Zubehör, Airbrush, Tattoomodel-Liveshootings & Casting werden das Publikum ebenso begeistern wie das spektakuläre und gleichermaßen einzigartige NonStop Showprogramm, das – gestaltet vom Circus of Rock und The Modern Primitives Freakshow – mit neuen Artisten, Stunts und Attraktionen aufwartet. UND JETZT IM HERBST 2014 IST NACH DEN LETZTJÄHRIGEN, HOCHKARÄTIGEN ZUGÄNGEN MIT THE MEXICAN VAMPIRE WOMAN UND ZOMBIE BOY DIE NÄCHSTE SENSATION PERFEKT! THE ENIGMA – THE PUZZLEMAN. ZUM ERSTEN MAL SEIT ÜBER 10 JAHREN WIEDER IN EUROPA! UND DAS EXKLUSIV BEI DEN WILDSTYLE & TATTOO MESSEN IM HERBST 2014 IN ÖSTERREICH! THE ENIGMA – The Puzzleman ist eine DER Ikonen der weltweiten Tattoo Szene. The Enigma war der weltweit erste Mensch der sogenannten Modern Primitives Szene, der ein einzigartiges Ganzkörper Tattoo-Konzept umgesetzt hat und somit zu einer weltweiten Berühmtheit und noch viel mehr zu einer absoluten Kultfigur der weltweiten Tattoo Szene wurde! THE ENIGMA war auch der erste Modern Primitives Vertreter, der sich künstliche Hörner – aus Teflon – einsetzen ließ und somit den Anstoß für eine weitere Körperkult Szene, der sogenannten Body Modification Szene gab! Außerdem ist er zweifelsohne eine DER Ikonen – ja, einer DER Rockstars der Körperkult Szene. THE ENIMGA ist einer der besten Schwertschlucker weltweit und bietet auch sonst noch eine der spektakulärsten Freakshows der Welt LIVE & ALIVE on stage! Seine – im wahrsten Sinn des Wortes – atemberaubende Show ist einzigartig, spektakulär, berühmt und berüchtigt! 70
THE ENIGMA
NEBEN TÄTOWIERERN UND AUSSTELLERN AUS 4 KONTINENTEN UND MEHR ALS 20 LÄNDERN WERDEN AUCH WIEDER SENSATIONELLE STARGÄSTE DER INTERNATIONALEN TATTOO & KÖRPERKULT-SZENE DABEI SEIN! THE MEXICAN VAMPIRE WOMAN. Sie ist eine der vielen hochkarätigen Startgäste der Wildstyle 2014 und exklusiv anlässlich der Wildstyle & Tattoo Messe in Europa live zu erleben! The Mexican Vampire Woman hat einen unglaublichen Werdegang hinter sich. Sie studierte Jura und arbeitete danach als Anwältin. Nachdem sie sich nach jahrelangen Misshandlungen von ihrem gewalttätigen Mann scheiden ließ, verwandelte sie sich Schritt für Schritt bzw. mit jeder „Bodymodification“ mehr und mehr zur weltbekannten „Mexican Vampire Woman“! Maria Jose Cristerna – THE MEXICAN VAMPIRE WOMAN ist die „optisch außergewöhnlichste Person der Welt“ und die laut Guiness Buch der Rekorde „Person mit den meisten künstlichen Körperveränderungen“. Sie ist Mutter von vier Kindern, arbeitet als Fotomodel, Tätowiererin, als Aktivistin gegen Gewalt an Frauen und hält Konferenzen über häusliche Gewalt ab. Eine – nicht nur optisch – außergewöhnliche Person! THE ZOMBIE BOY. Er ist zweifelsohne der derzeit populärste Vertreter der „Modern Primitives“ Szene! Noch nie zuvor hat es ein Vertreter dieser weltweiten kulturellen und neuen Szene in die Sphären der
THE MEXICAN VAMPIRE WOMAN
Topmodels und Hollywood-Stars geschafft. Waren es in den 90ern Jim Rose und The Enigma mit Auftritten in „Akte X“, so ist es spätestens seit 2012 The Zombie Boy, der die „Tätowierte Szene“ in eine ganz andere Liga hievt. Er spielte die Hauptrolle in Lady Gaga´s Video zu „Born this Way“, er lief als Topmodel an der Seite von Lady Gaga für Thierry Mugler bei den Fashion Shows in Paris und New York, er spielt an der Seite von Keanu Reeves im neuen Blockbuster „47Ronin“ und er ist Cover Model von u.a. Vogue, Vanity Fair, GQ, Details, VMagazine, Rolling Stone Magazine u.v.m. DAS NONSTOP SHOWPROGRAMM DER WILDSTYLE: Ebenso sensationell und international wie das LineUp der Tätowierer, Aussteller und Stargäste ist auch das nonstop Showprogramm der Wildstyle & Tattoo Messe! Mehr als 20 Bühnenkünstler sind beim Wildstyle-Tourtross dabei: Trommler, Freaks und Zirkus-Artisten gestalten das Showprogramm, das vom weltweit bekannten Künstler-Paar Tom & Domino Blue inszeniert wurde. (Tom und Domino Blue inszenieren weltweit Galashows wie u.a. im Guggenheim Museum N.Y.C. oder auch die Eröffnungszeremonie der nordischen Ski WM mit über 300Mio. Sehern.) Ebenfalls live on stage werden Clayton Patterson, America’s Underground Reporter No. 1, und John Kamikaze, The Prince Of Pain, zu sehen sein. Moderiert wird das Showprogramm von niemand geringerem als Roman Gregory – Mastermind und Sänger von Alkbottle
THE ZOMBIE BOY
KARTEN SIND AN DEN TAGESKASSEN ERHÄLTLICH! Oder im Vorverkauf: Ö-Ticket: www.oeticket.com und unter 01/96096 ALLE WEITEREN INFOS UND UPDATES AUF www.wildstyle.at
SENSATIONELLE ZUSAGEN Seit der Gründung 1995 geben sich bei der Wildstyle & Tattoo Startätowierer aus allen Teilen der Welt die Klinke in die Hand. Auch für den Herbst 2014 gibt es neben Dutzenden weiteren Tätowierern schon jetzt sensationelle Zusagen von Stars der internationalen Tattoo Szene aus Europa, Amerika, Asien und Australien! Unter vielen anderen dabei: Brent McCown (Neuseeland), Vatea (Tahiti), Augustine Nezumi (Singapur), Kei (Thailand), Bernie Luther & Tattoo Demon Young Guns (Austria), Tattoos to the Mäx (Austria), Danny Bullman (Ireland), Gallo & Ugo TCB Tattoos (England / Italy / Malta), Sido´s Tattoo Studio „Ich und meine Katze“ (Germany), Tempel Tattoo & Piercing (Germany) ….und für wenige Glückliche wird auch THE MEXICAN VAMPIRE WOMAN zur Nadel greifen! NEU DABEI ist seit Herbst 2013 bei allen Wildstyle & Tattoo Messen das neugegründete „Wildstyle & Tattoo Studio“ aus Bad Ischl mit sensationellen und internationalen Gast-Tätowierern!
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Am 26. September ist es in ca. 300 Städten wieder so weit. Die Fachhochschule St. Pölten gestaltet am einzigen Standort in Österreich in der Aula der Wissenschaften in Wien ein Programm zum Thema „F.I.T. for Future – Forschung Innovation Technologie“. Wissenschaft zum Staunen und Entdecken wird auch heuer wieder geboten. Unter dem Motto „F.I.T. for Future“ werden die FH St. Pölten und weitere Kooperationspartner einen Einblick in das Leben der Zukunft geben und Projekte vorstellen, die schon heute das dafür notwendige Wissen erforschen. Eine bunte Mischung aus Workshops, Experimenten, interaktiven Installationen und Performances für Jung und Alt garantiert, dass wissenschaftliche Themen unterhaltsam präsentiert werden. Geboten werden u.a. ein intellektuelles Fitness-Center, eine Wissenschafts-Reise und Beiträge zu Kunst und Wissenschaft. „Früher war Wissenschaft im Elfenbeinturm versteckt. Heute müssen wir in unserer digitalen Welt radikal umdenken. Dazu gehört, Ergebnisse der Forschung öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, mit der Bevölkerung zu diskutieren und Vorschläge von außen einzuholen, um zu erfahren, was die Gesellschaft braucht. Wir wollen forschen, um Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen“, sagt Hannes Raffaseder, Leiter des Institut für Creative\Media/Technologies der FH St. Pölten und Koordinator des Beitrags der FH St. Pölten zur European Researchers‘ Night 2014. Die Veranstaltung entsteht in Kooperation mit dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) sowie dem Land Niederösterreich und wird von der Europäischen Union im Rahmen des Horizon 2020 research and innovation programme (grant agreement No 633355) gefördert.
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Karl-Heinz Sonner
Der nächste Tritt ist der Schönste Wenn Karl-Heinz Sonner sich aufs Rad schwingt, steigt er so schnell nicht wieder ab. Wenn es ihn juckt, fährt er zum Radurlaub nach Italien schon mal mit dem Rad hinunter und freut sich auch noch darüber, wenn die Bergpässe kommen.
S
onntagnachmittag war gerade noch ein Terminfenster frei. Karl-Heinz Sonner erscheint pünktlich auf die Minute zum vereinbarten Gespräch in der Seedose beim Viehofner See. Die tägliche Radeinheit hat er hinter sich, diesmal „nur“ 80 Kilometer. Der 46-jährige ÖBB-Beamte ist voller Vorfreude auf den Italien-Urlaub. In Riccione wird in einem Bike Hotel eingecheckt und jeden Tag mit Gleichgesinnten ausgefahren. „Oft ist ein Guide mit. Aber wenn ich mit meinem deutschen Freund Thorsten vorne fahre, verlieren wir meistens bald alle. Der Thorsten drückt gern voll an und wenn wir bei starkem Gegenwind richtig anstarten, ist plötzlich keiner mehr hinter uns.“ Sonner fährt Rennen wie das Race Across America (RAAM) von der amerikanischen Westküste zur Ostküste über 4.800km, oder von Bregenz nach St. Pölten in 36 Stunden (nonstop) für einen guten Zweck, oder spult an einem Samstag im EKZ Traisenpark 330km am Laufband und am Ergometer herunter. Begonnen hat die Pedalleidenschaft während des Präsenzdienstes. „Irgendwann bin ich dann jeden Tag nach Melk in die Kaserne geradelt“, erinnert sich Sonner. Zwischendurch entdeckte er auch die Liebe zum Triathlon, wurde siebenfacher Landesmeister über die Kurz- und Mittel-Distanzen und im Mixed-Team als Radfahrer Europameister im UltraTripple-Triathlon und dreifacher Weltrekordhalter. Dieser Bewerb geht über 11,4 km Schwimmen, 540 km Radfahren und 126,6 km Laufen. Mittlerweile gilt Sonners Hauptaugenmerk wieder dem Drahtesel. „Im Oktober fahre ich noch viel allein im Freien, dann steige ich bei den Querfeldeinrennen ein. Da habe ich zwar gegen die Spezialisten keine Chance, aber im Gatsch fahren voll am Anschlag im roten Bereich, das taugt mir auch“, sprüht er gleich wieder voll Energie. Nachsatz: „Langlaufen tu ich auch noch zum Ausgleich.“ Das Training steuert er selbst. Sonner machte 2002/2003 die Ausbildung zum Fitnesstrainer im BAFL Graz und erweiterte selbige mit mehreren Modulen. Heuer machten ihm mehrere Verletzungen zu schaffen, so musste er sich Venen ziehen lassen und eine Patellasehnenreizung auskurieren. „Sonst komme ich auf 18.000 bis 20.000 Trainingskilometer pro Jahr. Nächstes Jahr werde ich wieder durchstarten.“ Im April und Mai wird Sonner ein paar Aufbau-Marathonrennen radeln, um dann im Juni für das Langstreckenrennen von Oslo nach Trondheim über 560km gerüstet zu sein. „Das ist auch landschaftlich unglaublich schön.“ Wenig 74
später steht der „Giro delle cinque regioni“ von Klagenfurt nach Radda in Chianti (ITA) über 1.000km an, im August das Projekt „Race around Austria“. Beim RAAM sind ja immer wieder Österreicher vorne mit dabei. „Ich glaube das liegt daran, dass wir hier so gute Voraussetzungen haben, in der Ebene und in den Bergen fahren können. Die Amerikaner fahren entweder nur im Flachen oder müssen in die Rocky Mountains. Jedes Mal wenn wir beim Race Accross America die Berge erreichen und die ersten Steigungen mit 14 bis 17 Prozent, brechen die weg“, weiß Sonner, der beim Training in Cesenatico (ITA) auch die leider viel zu früh verstorbene Legende, Bergspezialist Marco „Elefantino“ Pantani kennenlernen durfte. Weil es gesund ist. Sonner radelt und läuft jedoch nicht nur für sich, sondern schon seit mehreren Jahren im Rahmen diverser Charity-Aktionen für den „Club 81“. „Das bringt dann doppelt was “, freut er sich. Beim Duathlon im Traisenpark konnte er letztes Jahr über 2.500 Euro an Spendengeldern lukrieren. 2015 plant Sonner mit der Geschäftsführung dort gleich einen „Gesundheitstag“ zu veranstalten. Besonders am Herzen liegen ihm Kinder. Am 3. Oktober wird er deshalb in der BBAKIP/BBASOP St. Pölten und in der Hauptschule Prinzersdorf im Rahmen der Aktion „LaufWunder“ mit den Schülern die Laufschuhe schnüren. „Weil es gesund ist.“ So lautet auch das Motto seiner vor kurzem gegründeten Rad-Crew. „So acht bis zehn Leute sind wir schon. Ich bin gerade dabei die Dressen zu organisieren, habe schon ein paar Sponsoren an Land gezogen, die das ganz toll finden.“ Dann sieht er den Chef der Seedose: „Ihn muss ich demnächst auch unbedingt ansprechen. Seit kurzem mache ich Stand Up Paddling. Das wäre doch toll, wenn wir hier am See vielleicht niederösterreichische Meisterschaften veranstalten könnten.“ Vorher will Sonner aber den Sonntagnachmittag doch noch etwas nutzen und ist mit seinen Laufschuhen schnell wieder fort.
TEXT: THOMAS SCHÖPF | Fotos: ZVG/SONNER
FROM EAST TO WEST. 4.800 km legte
Sonner beim Race Across America zurück.
MFG 09.14
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MFG KRITIKEN
ZUM HÖREN
Manshee, mikeSnare, Thomas Fröhlich, Dr. Schramek, Rob.STP, Mr. Bluemoon (von links nach rechts)
royal blood
Was kommt heraus, wenn man die Black Keys mit den White Stripes kreuzt? Ganz großes Rock-Kino, das auf den Namen „Royal Blood“ hört und nur aus zwei Männern besteht. Mike Kerr und Ben Thatcher paaren die ursprüngliche Essenz wilder Rock‘n‘Roll-Power mit einer überraschend natürlichen Fähigkeit, geschickte Melodien und galoppierende Hooks zu formen. Unkomplizierter und rotzfrecher Rock, der zum Luftgitarre spielen animiert.
christoph richter solo piano
Wie viele Gesichter Richter als Musiker doch hat. Mit „Solopiano“ zeigt er uns sein bislang wohl intimstes, persönlichstes. Die 23 Lieder, die irgendwo zwischen Ludovico Einaudi und Beethoven spazieren, stecken voller Tiefgang und Zärtlichkeit. Und wenn man dieser Tage beim Fenster hinausblickt, alles grau in grau, so fühlt man sich tatsächlich von der Musik sanft eingewickelt, hinweggetragen. Trost hat man dabei allerdings nicht nötig – es ist eher eine Form von gelassener Zufriedenheit.
ZUM SCHAUEN
Manshee, Felicitas Nouschak
various artists BEck song reader
Es war grandios: Anstatt einer ausproduzierten Version beschränkte sich Becks 2012er Album „Song Reader“ auf die Notenblätter. Nun hat Beck eine Horde Musiktreibender um sich geschart, um den 20 Songs Leben einzuhauchen; und dies gelingt angesichts des soliden Materials gut – kleine, feine Songs angesiedelt im Dunstkreis von Folk, Blues, Rock. Um eines brauchen die Interpretationen von Norah Jones, Jack White oder Jarvis Cocker nie fürchten: den Vergleich.
prolix & various transcendent ep
Prolix ist ja kein unbekannter in der Szene und hat bereits auf so renommierten Labels wie Andy C‘s Ram Records oder Edrush & Opticals Virus Recordings sein Talent aufblitzen lassen. Auf seiner neuen EP auf eigenem Label sind Collabos mit u.a. Misanthrop und Rido zu finden, und da hat es mich beim ersten Durchhören fast vom Sessel gehauen. Alles in allem eine bissige Mischung aus Neurofunk und Jump-Up, vor allem der Track mit Misanthrop ist echt ein starkes Stück.
ZUM SPIELEN
Markus Waldbauer, Mr. Ship
oscar peterson & fred astaire the astaire story
Er brachte wahrlich die Welt zum Tanzen. Er war die Inkarnation von Eleganz, Stilbewusstsein und Glamour bei gleichzeitig humorvoll-nobler Bescheidenheit: Fred Astaire. Zu dessen 115. Geburtstag kam nun seine Kollaboration mit dem Jahrhundertjazzer Oscar Peterson aus dem Jahr 1952 neu heraus. Ein wahres Geschenk in diesen düsteren Tagen forcierten Pöbeltums: Jetzt schon das Re-Release des Jahres!
joe bonamassa
different shades of blue „Ich wollt nicht nur reinen Blues, sondern auch alles besser machen als bei meinen letzten Aufnahmen“, so Bluesrock-Gitarrist Joe Bonamassa über sein neues Album. Damit nimmt er sich freilich viel vor, hat Bonamassa doch mittlerweile zwölf NummerEins Billboard Bluesalben vorgelegt und wurde 2013 für den Grammy nominiert. ABER: Er hält was er verspricht. Eine Reise bis an die äußeren Grenzen des Blues, jedenfalls experimenteller als seine letzten Arbeiten.
ZUM LESEN
H. Fahrngruber, W. Hintermeier
maps to the stars
DARK SOULS II - Dlc
die abwicklung
Familie Weiss ist mittendrin im Hollywood-Wahnsinn. Kinderstar Benji blickt mit dreizehn Jahren auf eine Drogenkarriere zurück. Tochter Agatha ist frisch aus der Psychiatrie entlassen, stürzt sich in eine Affäre mit dem Chauffeur Jerome ... Ein Drama von shakespearescher Wucht und Dimension über den Zustand der westlichen Gesellschaft am Beispiel einer dysfunktionalen Hollywoodfamilie – satirisch!
In der letzten Ausgabe wurde DS2 bereits rezensiert. In den Download-Erweiterungen „Crown of the sunken king“ und „Crown of the old iron king“ warten neue Gegnertypen, Rüstungen, Waffen und tödliche Fallen auf euch. Kämpft in düsteren Höhlen und brennenden Labyrinthen ums nackte Überleben. Wer sich im NG+ befindet, wird sich an mancher Stelle die Zähne ausbeißen. Aber genau das macht den Reiz aus.
Ein Porträt der USA von 1978 bis 2012: Kurzbiographien spiegeln gesellschaftliche Entwicklungen und Brüche wider. Für die große Mehrheit scheint der Amerikanische Traum von Freiheit, Wohlstand und Fortschritt nicht mehr möglich. Der Niedergang des Landes, dessen Grundverständnis auf Optimismus und Tatkraft aufbaut? Eher nein, denn immer wieder haben sich die USA und ihre Menschen neu erfunden …
walking on sunshine
DESTINY
töte deinen chef
Mit Smash-Hits aus den 1980ern sorgt dieser Film für rasantes und temporeiches Musical-Feeling und orientiert sich dabei unverkennbar an „Mamma Mia!“. Hannah Arterton, die Schwester von Gemma, Annabel Scholey und Giulio Berruti spielen das Love Triangle zwischen zwei Schwestern und deren Urlaubsflirt. Eine romantische Komödie, bei der Muße bleibt, sich dem Urlaubsgefühl hinzugeben.
Der nächste Schritt der Evolution des Computer-Entertainments – eine unvergessliche Geschichte vor der Kulisse eines völlig neuen, zusammenhängenden Universums voller Action und Abenteuer. Erschaffen Sie Ihren Charakter und werden Sie zur Legende! Ein bisher unerreichtes Spektrum an FPS-Gameplay, das mit den traditionellen Konventionen in Sachen Story-, Koopund kompetitive Mehrspieler-Modi bricht.
John Lago ist 25 Jahre und muss seinen Job aus Altersgründen an den Nagel hängen. Er arbeitet als „Praktikant“ in verschiedenen Firmen. Dort jedoch hat er immer eine spezielle Aufgabe: Er muss als Killer diverse unliebsame Personen eliminieren und dabei auch unentdeckt bleiben. Sein letzter Job ist sein schwierigster – er kennt seine Zielperson nicht und trifft auf eine eingeschleuste FBI- Agentin.
david croneberg
max giwa
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FROM SOFTWARE
BUNGIE
george packer
shane kuhn
Fotos: zVg
royal blood
MFG VERANSTALTUNGEN
HIGHLIGHT VAZ St. Pölten
wildstyle & tattoo messe 2014 Die Wildstyle führt seit 19 Jahren Kulturen und Künstler, Tätowierer und Aussteller aus vier Kontinenten und über 20 Ländern auf eindrucksvolle Art und Weise zusammen. Mit Tattoos, Piercings, extravaganter Mode, Schmuck & Accessoires, Dessous, Customikes, Airbrush, TattoomodelLiveshootings & Casting und einem ebenso spektakulären und gleichermaßen einzigartigen NonStop Showprogramm – gestaltet vom Circus of Rock und The Modern Primitives Freakshow, wird die Wildstyle auch 2014 das Publikum begeistern! 15. & 16. November 2014
19.09. beatpatrol back in club
19. & 20.09. Tag der offenen tür
24.09. - 28.09.
Alle, die nach dem Beatpatrol Festival 2014 noch nicht genug haben, können am 19.9. im Warehouse + The Garage gleich weiterfeiern, u.a. mit DJ Snails, Orangutanklaus, Metablood, Don Dada Nation, Suburbs Of Exclusion und LTBC. Am Psytrance Floor hosted by Tripudium Sesseion kommen alle Goa-Fans auf ihre Kosten.
Am 19.9. bietet die Lange Nacht des Theaters abwechslungsreiches Programm für Jung & Alt: öffentliche Probe der Eröffnungsproduktion „Radetzkymarsch“, eine spannende Spielzeit-Show, den Poetry Slam uvm. Am 20.9. geht es mit dem beliebten Kostüm-Flohmarkt sowie mit Attraktionen für die jüngsten Besucher weiter.
Erstmals wird es auch im Herbst ein Wochenende mit Klängen aus aller Welt in Krems an der Donau geben. Im Zentrum des Programms stehen der atmosphärische Klangraum Krems Minoritenkirche und das angrenzende Wirtshaus Salzstadl. Also außergewöhnlich stimmungsvolle Orte, die an fünf Tagen ein spezielles Programm präsentieren.
party
02.10.
warehouse
peter kraus
Unter dem Motto „Das Beste kommt zum Schluss“ wird sich der 75-jährige Ausnahme-Künstler Peter Kraus nach rund 60 Jahren vom Tourleben verabschieden. Dabei wird er nur Hits singen – seine und auch die von anderen Interpreten. Es wird ein Konzertabend, der das Publikum zum Mitsingen und Tanzen animieren soll. Er will es richtig krachen lassen! konzert
25.10.
vaz St.Pölten
elvis costello
Er ist einer der einflussreichsten Musiker, Songschreiber und Querdenker der Popgeschichte. Als „Angry Young Man“ hat er 1977 mitten in der Punk-New-Wave-Zeit begonnen, um später mit den Stars der modernen Musik zusammenzuarbeiten. Dabei hat der irisch-englische Universalkünstler selbst ein Songbook mit 200 Titeln geschaffen. konzert
burgtheater WIEN
open house
12.10.
landestheater
festival
Herbstzeitlos
KLANGRAUM krems U.A.
27.09.
die zauberflöte
Mit einem Big Bang eröffnet das Festspielhaus seine Saison. So wird die „Zauberflöte“Inszenierung der Komischen Oper Berlin, musikalisch begleitet vom Hausorchester, den Tonkünstlern Niederösterreich, St. Pöltens Musentempel mit Mozarts genialem „deutschen Singspiel“ erfüllen. Auch für nicht Opern-Fans ein absoluter „Einsteigertipp“. oper
festspielhaus
Musica sacra
Unter dem Titel „hard.chor. ad.libitum“ bringen beim Abschlusskonzert der Chor Ad Libitum unter der Leitung von Heinz Ferlesch und der Hard Chor unter der Leitung von Alexander Koller in der Stiftskirche Herzogenburg Werke von Josef Gabriel Rheinberger und Arvo Pärt zu Gehör. Begleitet werden sie dabei an der Orgel von Erich Traxler. HERZOGENBURG
konzert
02.11.
wo der hund begraben liegt
Für das „Kammerkonzert für zwei Sprecher und Saiteninstrumente“ hat Ursula Strauss den Textdichter Ewald Palmetshofer ausgewählt, der ihr ein Libretto auf den Leib schreiben und somit dem Duo Matthias Bartolomey (u.a. Solocellist beim Concentus Musicus Wien) und Klemens Bittmann (u.a. Jazzgeiger, Mandolaspieler) eine lustvolle Steilvorlage geben wird. kammerkonzert
ruine aggstein
MFG 09.14
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Reich(l)ebners Panoptikum
man trägt wieder Schnauzer. Die Bestellung des bekennenden Schnauzer-Trägers Hans Jörg Schelling zum neuen Finanzminister hat zu einem ungeahnten Revival der im Volksmund auch „Rotzbremsn“ genannten Gesichtsbehaarung geführt.
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