MFG - Das Magazin / Ausgabe 89

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L‘AMOUR TOUJOURS

Wir leben in eigenartigen, möglicherweise gefährlicheren Zeiten, als wir uns selbst bewusst sind oder eingestehen möchten. So ereilte mich unlängst der Anruf eines Redakteurs, wie man das denn jetzt am Frequency Festival in St. Pölten mit dem Auftritt von Gigi D’Agostino handhabe, weil ja auf Sylt und anderswo ein paar Neo-Nazis seinen Song „L’Amour Toujours“ (genau darum geht es in dem Lied, um Liebe) zum völkisch-ausländerfeindlichen Schlachtruf „Deutschland, den Deutschen. Ausländer raus!“ verunglimpft hatten. Nachahmer (oder Vorgänger, wie Recherchen zeigten) poppten rasch auf, auch hierzulande grölten vornehmlich junge Ewiggestrige ausländerfeindliche Parolen. In einem sukzessive von der Extremrechten aufbereiteten, ja moralisch zusehendes erodierenden gesellschaftlichen Klima, „in dem man derlei jetzt wieder sagen darf“, ist diese ungenierte Öffentlichkeit eine besorgniserregende Entwicklung. Noch fataler scheint mir aber die Reaktion darauf zu sein. So beschloss etwa die Münchner Wiesn, dass am heurigen Oktoberfest der Song nicht gespielt werden darf. Auch bei der Fußball-Europameisterschaft wird das Lied, gern verwendeter Jubelklassiker im Stadion nach Torerfolgen, nicht erklingen. Diverse Clubs und Radiostationen haben L’Amour Toujours schon aus dem Programm genommen oder erwägen diesen Schritt zumindest. Wie bitte? Schon klar, bei den einen will man sich – teils unter dem Deckmantel geheuchelter moralischer Integrität – die image-, v. a. aber auch geschäftsschädigenden Brösel nicht antun. Grölende Nazis kommen nicht so gut. Im anderen Fall erleben wir aber auch so etwas wie die Quadratur des Kreises der Cancel Culture. Gestrichen wird nämlich nicht nur mehr, was in den Augen der Betrachter an sich politisch inkorrekt ist (ein Befund, der je nach Fall gerechtfertigt, überzogen oder völlig gaga sein kann), sondern hier wird ein Lied „gestanzt“, das selbst gar nicht „belastet“ ist, ja sogar die gegenteilige Botschaft verbreitet.

Wird damit aber das Problem gelöst? Mitnichten. Im Gegenteil wird es sogar in seiner Wirkung verstärkt, ja gar zur Einladung für weitere Tabubrüche. Denn wo führt es hin? Heute ist es „nur“ unser Song – doch was kommt morgen? Zugleich bewirkt das Canceln – um auf ein ganz anderes Beispiel zu kommen – dass die an sich notwendige Debatte gleich mitgecancelt wird. Ein „Otello“ etwa ohne schwarzen Hauptdarsteller, wie zuletzt in der Wiener Staatsoper erlebt, beraubt dem Stück die grundlegende Auseinandersetzung mit dem rassistischen Kontext. Das Thema kommt einfach nicht mehr plausibel vor, auch wenn ein Diskurs darüber bitter notwendig wäre. Wer den Diskurs aber nicht führt, wer ständig ausweicht, zurückweicht, klein beigibt, der bringt ihn am Ende des Tages zum Erliegen – und sich selbst zum Schweigen. Was bleibt, ist das immer lauter werdende Gegröle der Extremisten, die sich auf der Überholspur wähnen und zu Taten schreiten, weil sie keinen ernsthaften Widerstand spüren. Wie heißt es in einem Lied Herbert Grönemeyers über Rechtsextremismus: „Kein Millimeter nach rechts!“ Keinen Millimeter ins Nationalistische, ins Völkische, ins Menschenverachtende … ins Verderben. Denn wer nicht begreift, wohin uns diese schon einmal gescheiterten Ideologien aus der Mottenkiste der Geschichte führen, möge die aktuelle Ausstellung zur NS-Zeit im Stadtmuseum St. Pölten besuchen. Damals hat es lange vorher vielleicht auch nur mit dem Kapern und völkischem Verschandeln beliebter Melodien begonnen ...

Und deshalb kann die Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit L’Amour Toujours am Frequency Festival nur sein: Natürlich soll, nein muss Gigi den Song spielen. Und 50.000 Kids aus ganz Europa, welche Völkerverständigung, Toleranz, Respekt und Lebensfreude in diesem Moment erfahren, senden eine unmissverständliche Botschaft in die Welt hinaus, die alle kleinkarierten, chauvinistischen Nationalisten übertönt: Wir brauchen nicht Hass, nicht Hetze – wir brauchen L’Amour Toujours!

Offenlegung nach §25 Medien-Gesetz: Medieninhaber (Verleger): NXP Veranstaltungsbetriebs GmbH, MFG - Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten. Unternehmensgegenstand: Freizeitwirtschaft, Tourismus und Veranstaltungen. Herausgeber/GF: Bernard und René Voak, in Kooperation mit dem Kulturverein MFG. Grundlegende Blattlinie: Das fast unabhängige Magazin zur Förderung der Urbankultur in Niederösterreich. Redaktionsanschrift: MFG – Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten; Telefon: 02742/71400-330; Internet: www.dasmfg.at, Email: office@dasmfg.at Chefredakteur: Johannes Reichl Chefredakteur-Stv.: Michael Müllner Chefin vom Dienst: Anne-Sophie Müllner Redaktionsteam: Thomas Fröhlich, Sascha Harold, Johannes Mayerhofer, Michael Müllner, Andreas Reichebner, Thomas Schöpf, Beate Steiner, Thomas Winkelmüller Kolumnisten: Thomas Fröhlich, Michael Müllner, Tina Reichl, Roul Starka, Beate Steiner, Thomas Winkelmüller Kritiker: Helmuth Fahrngruber, Thomas Fröhlich, David Meixner, Michael Müllner, Clemens Schumacher, Manuel Pernsteiner, Maximilian Reichl, Christoph Schipp, Robert Stefan, Thomas Winkelmüller Karikatur: Andreas Reichebner Bildredaktion: Anja Benedetter, Matthias Köstler, Hannah Strobl Cover: Romeo Felsenreich, a.Kito Art Director & Layout: a.Kito Korrektur: Anne-Sophie Müllner Hersteller: Walstead NP Druck GmbH Herstellungs- und Verlagsort: St. Pölten Verlagspostamt: 3100 St. Pölten, P.b.b. Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2. Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Für den Inhalt bezahlter Beiträge ist der Medieninhaber nicht verantwortlich.

3 Editorial

6 In was für einer Stadt leben wir

URBAN

7 Shortcut Urban

8 20 Jahre St. Adler

14 Eindeutig zweideutig

18 Miesmacher & Bulldozer

22 Innenstadt mit Höhen & Tiefen

26 Daniela Kittel – Think positive!

32 Zubetoniert

34 Waxenegger – Herr der Netze

40 Klage fürs Klima

46 Nach Ibiza kommt St. Pölten

KULTUR

54 Shortcut Kultur

56 Expedition nach St. Pölten

62 Blick in den Schatten

68 Sommerfestivalguide

SZENE

74 Shortcut Szene

76 Weltenklang made in STP

SPORT

78 Als der Specht aus der Josefstraße das Grüne holte

80 Viktoria attraktiv wie noch nie

82 Kritiken

83 Veranstaltungen

84 Außensicht

86 Karikatur

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IN WAS FÜR EINER STADT LEBEN WIR EIGENTLICH ...

in der der SKN St. Pölten zum Saisonfinale – wieder einmal – einen unrühmlichen Showdown abgeliefert hat. Der Reihe nach verließen die sportlich Verantwortlichen wie Ratten das (sinkende?) Schiff, das in Schieflage geraten ist, nachdem der VfL Wolfsburg die finanzstarke Kooperation auslaufen lässt. Dass man sich dabei unterschwellig als Opfer stilisierte, als hätte man mit dem sportlichen Scheitern nichts zu tun – das letztlich den Wolfsburg Ausstieg besiegelte – mutete einigermaßen skurril an. Jan Schlaudraff und Tino Wawra hatten den teuren Kader zusammengestellt, die Trainerwechsel entschieden, und auch Coach Philipp Semlic konnte die Truppe nicht mehr zurück in die Spur bringen. Zugleich wussten sie wohl um das drohende finanzielle Ungemach und es bleibt fraglich, ob ein Einstieg des Investors Football Club 32 tatsächlich das Blatt zum Positiven wenden könnte. Eine kurzfristig ventilierte „St. Pöltner Lösung“ war nach Blick in die Bücher jedenfalls recht rasch wieder vom Tisch.

Dass derweil die SKN Frauen „unterschwellig“ drohen müssen, ihre Spiele künftig im burgenländischen (!) Ritzing auszutragen, ist eine weitere Groteske im Hauptstadtfußball. Die Finanzierung für ein Auftreten des Champions League Clubs im Sportzentrum NÖ sowie für internationale Spiele in der NV-Arena sollte jedenfalls ein nachhaltiges Investment sein.

in der sich FPÖ-Abgeordneter Martin Antauer zuletzt an der St. Pöltner Pride-Parade und der Regenbogenfahne am Rathaus stieß. Es gehe dabei nicht um Diskriminierung, weil – so weiß Antauer (woher?) – „niemand wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werde“. Die Parade sei „ein Zeichen von Dekadenz“, „eine Provokation“ (gegen wen?), eine Unterstützung sei Steuergeldverschwendung für Scheinprobleme, Sozialexperimente und sexuelle Randgruppenideologie, zudem ortet er den „Wunsch nach Abschaffung der klassischen Familie“ (fordert wer?). Wie weit es mit dem „Scheinproblem“ Diskriminierung her ist, hat ja der Papst dieser Tage „eindrucksvoll“ unter Beweis gestellt, als er Homosexuelle als „Schwuchteln“ bezeichnete. Keine Diskriminierung? Wobei, die katholische Kirche ja auch daran festhält, dass Frauen keine Weihe empfangen sollen. Andere Sachen dürfen sie aber eh gern übernehmen, wahrscheinlich denkt der Papst dabei an Kuchenbacken fürs Pfarrkaffee und Blumen arrangieren für den Gottesdienst. Aber bitte nicht zu viel Macht für die Frauen und ihr „Geschwätz“. Wahrscheinlich auch nur eine „Randgruppe“? Wobei derlei Begrifflichkeiten ohnedies längst überholt sein sollten. Dass sie es in manchen Kreisen scheinbar noch immer nicht sind, ist die eigentliche Dekadenz in einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.

in der St. Pölten in den Sommermonaten wieder italienisches Lebensgefühl verströmt, wobei das Motto, je nach persönlicher Gemütslage, zwischen dolce far niente und dolce far molto (!) changieren wird. Denn der öffentliche Raum wird wieder für diverse Gemeinschaftsaktivitäten in Beschlag genommen. Die Tanzschule Schwebach etwa richtet am Herrenplatz einen öffentlichen Ballroom ein und bietet kostenlose Tanzworkshops an. „Anmeldung ist keine nötig. Wer da ist, kann mitmachen“, so Schwebach-Chef Jürgen Kranabetter. Next time am 19. Juni, 18-22 Uhr.

Einen Platz weiter, am Domplatz, löst Eva Wannerer wieder einen fröhlichen Flashmob mit dem Pop-up Chor aus. Zu Beginn des Monats veröffentlicht die Sängerin auf evawannerer.at zwei Songs, die jeder selbstständig zuhause einstudieren kann. Am Pop-up ChorSamstag treffen einander die Singbegeisterten dann am Domplatz zum gemeinsamen Singen – selbstredend kann man auch spontan mitträllern. Next time am 29. Juni um 11 Uhr.

Wer‘s hingegen doch eher mit dem Chillen im Gastgarten und passiven Kunstgenuss hält, dem liefern St. Pöltens Barden als Straßenmusikaten im Zuge von musik.stp City live den passenenden Sommersoundtrack. Dolce Vita in der City! Next time am 15. Juni, 10-12 Uhr, mit Werner Hainitz & Charly Mo am Rathausplatz.

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FOTOS ADOBE STOCK, MATTHIAS KÖSTLER, RLEBNISREICH

TOTENGEDENKEN

Viele Jahre hindurch stand der Umgang mit den jüdischen Friedhöfen der Stadt in der Kritik. Nun ist die Freude groß, „dass wir gemeinsam mit dem Land NÖ und der Israelitischen Kultusgemeinde neben der Renovierung der Synagoge auch die beiden jüdischen Friedhöfe sanieren und als Gedenkstätten erhalten konnten“, so der Leiter der städtischen Kulturabteilung St. Pölten Alfred Kellner. Während am „neuen Friedhof“ neben der Karlstettner Straße die Gräber sowie die Zeremonienhalle saniert wurden und damit umgefallene Grabsteine und

überwucherte Gräber der Vergangenheit angehören, „wird am ‚alten Friedhof‘ am Pernerstorfer Platz die Erinnerung an die Verstorbenen mit einem Kunstwerk von Anna Artaker verbunden.“ Auf Glasplatten sind Name, Beruf, Familienstand, Lebensdaten, Sterbeorte und Beisetzungsdatum der 583 dort ehemals bestatteten Personen gedruckt. Zugleich bewahren sie als Einzäunung „die Totenruhe und ermöglichen ein personalisiertes Totengedenken, das seit dem Raub der Grabsteine nicht mehr möglich ist“, so die Künstlerin. Die Eröffnung erfolgt im Herbst.

GRÜNOASE

Da kommt etwas Großes auf uns zu – im wahrsten Sinne des Wortes. Über zwei Hektar hat der neue Sturm 19 Park im Norden der Stadt, der noch diesen Sommer eröffnet werden soll. Und er nimmt mittlerweile gehörig Gestalt an: Der Spielplatz sowie die Calisthenics-Geräte sind aufgestellt, der Gemeinschaftsgarten ist eingezäunt, beim Beachvolleyplatz fehlen nur mehr die Netze, auch der Basketball-Korb ist montiert. Diverse Holz-Decks und Liegen harren darauf, von Sonnenanbetern erobert zu werden, und die diversen Rabatteln stehen in voller Blüte. Vorm geistigen Auge sieht man schon die Jogger,

Spaziergeher, plantschende Kinder, Sonnenanbeter … und wohl auch Kicker, denn die große Wiese, wo schon Franz „Bimbo“ Binder seine ersten Packeln zerriss, wurde erhalten. Wie meint Stadtplanerin Carina Wenda: „Der Park ist offen für alle. Jeder ist willkommen!“

ES WAR MIR EIN VOLKSFEST

Als Kind fand ich es lächerlich, wenn Erwachsene sagten: „Früher bin ich mit den wildesten Sachen gefahren, aber heute geht das nicht mehr, heute wird mir dabei schlecht.“ Ich dachte, wieso soll einem schlecht werden, wenn man alt ist? Heute bin ich alt und weiß, es stimmt. Lächerlich finde ich es immer noch. Man bleibt doch irgendwie Kind.

Das Volksfest. Heuer war ich vier Mal dort und bin stolz, dass ich mich kein einziges Mal angespieben habe. (Irgendwer muss ja dem Kind das geheime Wissen über Drehen und Altern weitergeben.) In meiner Kindheit war es jedenfalls schöner und aufregender. Heute sind sich alle einig: Das Volksfest ist nicht mehr, was es mal war. Zu wenig Fahrgeschäfte, zu wenig Standln. Nicht mal ein Bierzelt gibt es, was natürlich beim obligatorischen Regen das Festgelände rascher leert. Die Fahrkarten sind viel zu teuer, das Essen langweilig, die Leute grindig wie nie. Das sagen alle, also darf ich das auch hier schreiben. Schade fand ich, dass das sonst so allgegenwärtige Tangente-Festival die Chance vergab mit dem Volksfestvolk in einen Dialog zu treten. Die Vorstellung amüsiert meinen kindlichen Charakter. The Way of the Water mündet am Spendentegel der dauerschimpfenden Klofrau. Die Gegenwarts-Bubble schlägt mit Kulturvermittlung und Outreach eine Brücke zwischen Toast-Langos und Fetzen-Tandler. Egal, im August kommt eine neue Chance für ein Treffen der Parallelwelten. Die einen erklären uns die Gegenwartskultur, die anderen versuchen diese so umzusetzen, dass die Anrainer davon möglichst nix mitbekommen.

MFG 06 24 7 FOTOS: ANNA ARTAKER, JOHANNES REICHL, ADOBE STOCK
KOLUMNE MICHAEL MÜLLNER

20 JAHRE ST. ADLER

Kinder, wie die Zeit vergeht! Am 9. Juli 2004 wurde Matthias Stadler zum Bürgermeister St. Pöltens gewählt. Gut ein halbes Jahr später führten wir unser erstes Interview mit dem damaligen Rookie und luden die Leser zum „Bürgermeistersehtest“ ein.

Folgte man der Aufforderung „Machen Sie ein paar Schritte zurück und sehen Sie selbst, wie ein Bürgermeister an Kontur gewinnt“, wurde auf einem roten Bild allmählich das Konterfei des jungen, vielen noch unbekannten Stadtoberhauptes sichtbar. Heute ist Stadler längst eine starke Marke und ein gestandener Hauptstadtbürgermeister – by the way der dienstälteste aller aktuell im Amt Befindlichen. Ein Plausch zum 20er.

Schwenken wir 20 Jahre zurück, wie ist das damals abgelaufen mit der Eroberung des Bürgermeisteramtes?

Die Weichen dafür wurden eigentlich schon im Februar ein Jahr davor gestellt, als mich Bürgermeister Willi Gruber fragte, ob ich den Kulturstadtrat machen möchte. Damals fügte er kryptisch hinzu „das ist erst der Anfang, wir haben ja noch mehr mit dir vor“. Heute, im Rückblick, habe ich den Eindruck, dass er mich quasi testen und beobachten wollte, ob ich für höhere Weihen tauge.

Was er damit meinte, wurde dann ja ein Jahr später bei einer legendären SP-Fraktionssitzung gelüftet.

Ja. Willi hatte eine Sitzung ins Kulturhaus Wagram einberufen – sein Kommen hat sich dann aber, weil er an dem Tag mit Pröll die Übergabe des Krankenhauses und Theaters endverhandelte, sehr verzögert, und die Mitglieder wurden allmählich unruhig und fragten „Weißt du, warum wir hier sind?“ – und ich konnte ja noch nichts verraten. Als er mich dann als seinen Nachfolger vorschlug und die ganze Fraktion das mitgetragen hat –das war schon ein sehr emotionaler Moment, vor allem dieser Vertrauensvorschuss, dafür bin ich noch heute dankbar, weil im Vorfeld ja auch andere im Gespräch für die Funktion waren.

Gut ein halbes Jahr später, am 9. Juli 2004, erfolgte dann die offizielle Angelobung im Gemeinderat. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Das war natürlich ein unvergesslicher Moment, vor allem, weil auch meine Familie dabei war – und ohne Familie ist vieles gar nicht möglich in der Politik. Ich hab mich auch an meine Kindheit zurück erinnert – da bin ich auf meinem Schulweg in die Daniel Gran Schule noch bei den Baracken vorbeigekommen – dort, wo jetzt die FH steht. Und da hab ich schon als Kind gedacht, okay, wie die Leute dort leben, ist nicht so schön, und mir geht’s viel besser, das ist eigentlich ungerecht. Und die Kreisky-Ära hat dann viel verbessert, ich hatte Freifahrt, neue Schulbücher, während meine Geschwister noch die alten zerfledderten und bekritzelten ihrer Vorgänger übernehmen mussten, und ich konnte als viertes Kind trotzdem studieren, was mir eine ganz neue Welt und Perspektiven eröffnete. All das hat mich sehr geprägt und der Sozialdemokratie nahe gebracht, auch ihrem demokratischen Grundverständnis, und als Bürgermeister könnte ich diese Ideen jetzt konkret umsetzen. Zugleich ist mir in der Sitzung aber auch so richtig bewusst geworden: Okay, jetzt übernimmst du wirklich die Gesamtverantwortung. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Hat Ihnen das Angst gemacht?

Nein. Das war kein negatives Gefühl, ich wollte ja gestal-

Am Ende des Tages ist eines klar: Du bist es, der entscheiden muss. Das nimmt dir niemand ab.
MATTHIAS STADLER
TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: MATTHIAS KÖSTLER MFG 06 24 9

DEMOKRATIE. Beim Plausch im Stadtmuseum warnt Stadler vor Radikalisierung.„Jeder trägt Verantwortung!“

ten, die Stadt weiterentwickeln. Aber du spürst in dem Moment einfach das Gewicht des Amtes, weißt, dass du jetzt der bist, der entscheiden muss. Welche Tragweite das hat, damit wurde ich ja dann bald konfrontiert, als die Glanzstoff brannte …

… und Sie als junger Bürgermeister und damit oberste Behörde entscheiden mussten, ob evakuiert werden muss oder nicht.

Du trägst in dem Moment Verantwortung für 50.000 Leute in der Stadt bzw. jene, die in dem Stadtteil leben, und du weißt, dass dein Handeln Konsequenzen hat, so oder so. Ich war damals klarerweise noch nicht sehr erfahren, hatte aber das Glück – und das ist bis heute so – von Experten umgeben zu sein, die ihr Handwerk verstehen, die dich beraten und dir, wenns gut geht, zwei, drei Möglichkeiten aufzeigen. Manchmal läuft es aber schlicht auf ein Entweder-Oder raus.

Dann geht’s einem wohl, wie es Randy Newman einmal gesungen hat: It’s lonely at the top. Wie einsam fühlt man sich in solchen Momenten? Du versuchst jedenfalls, die richtige Entscheidung zu treffen, gehst alles durch, holst vielleicht noch mal eine Meinung ein. Aber am Ende des Tages ist eines klar: Du bist es, der entscheiden muss. Das nimmt dir niemand ab.

Die Glanzstoff beschäftigte Sie dann ja noch länger, weil die nächste Frage war: Wiedereröffnung oder Schließung, auch eine harte Nuss in dieser 20-jährigen Ära. Absolut. Die Debatte darüber hat sich damals über Monate hingezogen, es gab viele Gespräche, auch mit externen Fachleuten, Rechtsgelehrten, Gutachtern. Schließlich wurde die Fabrik nicht mehr aufgesperrt. Rückblickend muss ich sagen, dass ich auch heute wie-

der so entscheiden würde, wenngleich die Glanzstoff natürlich in einem ganz besonderen Spannungsfeld stand – kaum ein Betrieb hatte unsere Stadt so mitgegprägt, sie war ein wichtiger Arbeitgeber, zugleich waren da die Probleme mit der Geruchsbelästigung, die schwer auf der Stadt lasteten. Es hingen also viele Emotionen dran, auch Existenzen, für die wir eine Lösung finden mussten. Andererseits hat das Schließen auch neue Perspektiven eröffnet, etwa im Hinblick auf das Image der Stadt, und dass hier ein 24 ha großes Areal mitten in der Stadt liegt, das man strategisch entwickeln kann – das hat mich schon damals fasziniert und tut es bis heute.

Sie gelten ja prinzipiell eher als strategischreflektierter Politikertyp, was Ihnen unterschiedlich ausgelegt wird: Die einen sagen, Stadler geht verantwortungsvoll mit seinem Amt um, andere meinen, er ist ein perfekter Taktiker und sitzt manches bewusst aus, und dritte orten Entscheidungsschwäche. Wie kommen Sie – vielleicht abgesehen von den erwähnten Extremfällen –zu Ihren Entscheidungen?

Das hängt schlicht von der Materie ab. Wie zuvor besprochen, gibt es Entscheidungen, die du rasch fällen musst, manchmal in Sekunden. Dann wiederum gibt es, nennen wir sie Grundsatzentscheidungen: Wie entwickeln wir die Stadt weiter, welche Schwerpunkte setzen wir, nach welchen politischen Werten und Grundsätzen soll das ablaufen, für wen machen wir was? Das sind Prozesse, die länger dauern, wo du Strategien entwickelst, dich mit Fachleuten austauscht, Parteikollegen. Das beschäftigt dich rund um die Uhr, bis in den Urlaub hinein.

In den Urlaub?

(lacht) Ja, meine Mitarbeiter haben schon immer Angst, wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, weil ich dann meistens voll neuer Ideen sprühe und zahlreiche Fotos mitbringe. Man ist ja quasi ständig im BürgermeisterModus, schaut, wie es anderswo abläuft, was man im positiven Sinne vielleicht auch kopieren oder auf St. Pölten bezogen adaptieren kann. Das können mitunter vermeintlich banale Dinge sein, wie zuletzt etwa Unterboden-Müllinseln, die ich ursprünglich einmal in einem reichen Viertel im Frankreich-Urlaub entdeckt habe.

2004 hätten viele wohl noch gesagt: „Wos brauch ma des?“ Sie haben damals St. Pölten überhaupt in einer „eigenartigen“ Phase übernommen. Nach der Anfangseuphorie in Folge der Hauptstadterhebung 1986 ist die Stadt irgendwann in eine Art Stagnation geschlittert. Also vorweg muss man festhalten, dass die Hauptstadterhebung einen Boost für unsere Dynamik bis heute ausgelöst hat. Das ist eine absolute Erfolgsgeschichte, die aber auch zeigt, wie rasch sich der Zeitgeist, Ansichten und Einstellungen ändern. Als ich 2004 Bürgermeister

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wurde, konnte das Wachstum gar nicht schnell genug gehen. Der Tenor war, in St. Pölten ist nichts los, da geht nix weiter, wir dümpeln bei 50.000 Einwohnern herum. Heute sehen das manche genau umgekehrt, da heißt es plötzlich, es wird zu viel gebaut, wir wachsen zu schnell.

Und bauen wir zu viel, wachsen wir zu schnell? (lacht) Ich hatte erst unlängst eine witzige Episode, als ein Herr meinte: „Bürgermeister, in den Wohnungen, die ihr alle baut, wohnt doch gar niemand!“ Und da habe ich ihm geantwortet: „Also ich habe gerade drei Stunden lang 380 Schlüssel an neue Mieter einer Wohnhausanlage übergeben – die wirkten alle sehr real.“ Und wissen Sie, was in den Sprechstunden vor 20 Jahren eines der vordringlichsten Themen war? Wohnen! Wir hatten damals – das kann sich heute ja keiner mehr vorstellen – 1.000 vorgemerkte Wohnungssuchende in der Stadt! Das konnten wir zum Glück in den Griff bekommen.

Wir hatten damals –das kann sich heute ja keiner mehr vorstellen

türlich spürt man das, selbstverständlich muss da die Infrastruktur nachziehen, muss man eine gesunde Balance finden. Aber auf die Entwicklung, davon bin ich überzeugt, können wir wirklich stolz sein! St. Pölten wird heute auch anders wahrgenommen als noch vor 20 Jahren. Das merke ich etwa bei Städtetagen, wenn du nach Wien, Linz, Graz fährst und dir die Kollegen zu der einen oder anderen Sache gratulieren. Da haben wir schon ganz andere Zeiten erlebt, das tut schon gut.

– 1.000 vorgemerkte Wohnungssuchende!
MATTHIAS STADLER

Dass St. Pölten wächst, steht außer Frage: Früher haben wir mit den 50.000 gerauft, jetzt haben wir 60.000 Hauptwohnsitzer und ein solides Wachstum – und na-

Wenn wir schon beim Stolz sind. Können Sie vielleicht ein, zwei Dinge anführen – mehr würde angesichts 20 Jahren hier den Rahmen sprengen – die sie als Erfolg verbuchen würden?

Was mich wirklich stolz macht, ist die Tatsache, dass die Stadt am stärksten in der Kernstadt gewachsen ist. Vor 20 Jahren gab es hier in Sachen Wohnbevölkerung noch eine extreme Ausdünnung. Mittlerweile konnten aber 2.400 Leute angesiedelt werden, was entscheidend zum Prosperieren der Innenstadt, der Gastro, der Geschäfte beiträgt, wenngleich sich auch diese in stetem Wandel befindet. So zogen, nicht zuletzt aufgrund der digitalen Herausforderungen, in letzter Zeit viele Dienstleister zu, oder denken wir an die Pädagogische Hochschule, die ins ehemalige Alumnat übersiedelt.

Bildung steht sicher auch auf Ihrer „Habenseite“ –das Thema war Ihnen ja von Anfang an ein besonderes Anliegen.

Weil ich darin stets einen Schlüssel für Fortschritt und Prosperität gesehen habe. Zu meinem Amtsantritt waren wir im Hochschulbereich noch Niemandsland, heute zählt allein die Fachhochschule, die ich ehemals als Geschäftsführer mit aufgebaut habe, 4.000 Studenten. Mit den Privatunis kommen wir auf gut 5.000, und gerade der Umzug der ehemaligen PÄDAK mit ihren knapp 300 Studierenden von Krems nach St. Pölten zeigt, wie attraktiv wir als Standort mittlerweile geworden sind. Auch die Etablierung etwa des ÖBB Campus oder der Polizeischule ist dem geschuldet. Heute spielen wir auf Bildungsebene tatsächlich in einer ganz anderen Liga als noch vor 20 Jahren, wobei das nichts an meiner Forderung ändert, dass St. Pölten auch eine vollwertige Universität braucht.

Switchen wir sozusagen auf die andere Seite: Was würden Sie unter der Rubrik „Niederlage, Enttäuschung, Herausforderung“ verbuchen? Was jedenfalls geschmerzt hat, war die Absiedlung der

AHNENGALERIE. Matthias Stadler ist nach Franz Xaver Schöpfer (1794-1828) der längstdienende Bürgermeister St. Pöltens.

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20 JAHRE ST. ADLER

Kunstsparte des Museum Niederösterreich in die neue Landesgalerie Krems, da haben wir uns leider nicht durchsetzen können. Dafür begreife ich aktuell die Realisierung der „Tangente“ sowie die Investitionen in die Kultur-Infrastruktur, etwa für das Kinderkunstlabor, die ehemalige Synagoge oder auch den Domplatz – wo die Leute ja mit jeder Veranstaltung immer besser begreifen, was er kann – durchaus auch ein bisschen als Wiedergutmachung!

Als Stadt insgesamt hatten wir vor allem in finanzieller Hinsicht manch herausfordernde Zeit zu überstehen, wenn ich nur an die Finanz- und Bankenkrise sowie die SWAP-Geschäfte denke. Auch aktuell ist es nicht einfach. Und selbstverständlich war die Corona-Pandemie eine Ausnahmezeit, darüber könnte ich ja ein eigenes Buch schreiben.

Inwiefern?

Weil es im Grunde genommen keinerlei ernsthafte Unterstützung und Expertise seitens des Bundes gab. Was uns da als Kommunen teilweise zugemutet wurde, war wirklich jenseitig und eine komplett neue, ja ernüchternde Erfahrung für mich. Ich kann mich etwa noch gut an eine Sitzung mit dem Gesundheitsministerium erinnern, wo ich fast aufgestanden und gegangen wäre, weil derart abgehoben und weltfremd doziert wurde, dass man sich als Bürgermeister fragte, ob die Herren überhaupt irgendeinen Schimmer von dem haben, was wir eigentlich machen und wie das bei uns abläuft.

Oder wenn ich an das Thema Materialbeschaffung, Stichwort Masken, oder auch die Einrichtung von Impfund Teststraßen denke. Da haben wir das meiste selbst auf die Beine gestellt, weil vom Bund schlicht nichts gekommen ist. Eine ungute Erfahrung, die ich heute teils auch im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen machen muss, wo einen bisweilen das Gefühl beschleicht: „Die pfeifen einfach auf uns!“

Weil Sie die SWAP-Geschäfte erwähnt haben –war das für Sie persönlich die schwierigste Herausforderung in den letzten 20 Jahren? Formulieren wir es so: Sieben Jahre lang mit einer Klagsdrohung konfrontiert zu sein, als Beschuldigter geführt zu werden – auch wenn es sich natürlich zerschlagen hat – das wünsche ich niemandem. Das steckt man auch nicht so einfach weg. Aber auch das muss man in einem Politikerleben zur Kenntnis nehmen, dass es bisweilen Kritik gibt, Vorwürfe, die du nicht nachvollziehen kannst, wo du dich vielleicht von der Opposition, von den Medien ungerecht behandelt fühlst – das gehört dazu. Und man muss – jetzt ganz allgemein gesprochen

HOMETOWN. Nicht, wie bei der Band Wanda „Bologna, meine Stadt“, sondern auf Stadlerisch „St. Pölten, meine Stadt!“

– akzeptieren, dass man es als Bürgermeister nicht allen recht machen kann.

Was sind umgekehrt die Seelentröster im Leben eines Bürgermeisters?

Das können vermeintliche Kleinigkeiten sein. Ich habe diese Woche etwa einem Ehepaar zur diamantenen Hochzeit gratuliert, da haben wir eine halbe Stunde lang nett geplaudert, und wenn dir dann die Ehepartner sagen, dass sie dich und deine Arbeit schätzen, dann freut dich das natürlich. Da nehme ich viel Positives für die Arbeit mit, das motiviert. Ebenso, wie wenn man –zumal mit diesen Mehrheiten – immer wieder von den Bürgern gewählt wird. Das ist schon eine Auszeichnung, und man denkt sich, ‚okay, soviel kann ich nicht falsch gemacht haben‘. Das hat aber nichts mit Arroganz zu tun – ich war nie ein Mensch, der abhebt oder glaubt, etwas Besseres zu sein, nur weil er diese Funktion ausüben darf – sondern da ist vor allem Dankbarkeit für den Riesenvertrauensvorschuss, dem man sich immer wieder aufs Neue als würdig erweisen möchte.

Das heißt noch keine Anzeichen von Cäsarenwahn oder Putinscher Isolation, wo nur mehr Ja-Sager und Stiefellecker um einen herumschwänzeln? (lacht) Ich hoffe nicht! Ich hatte diesbezüglich ein prägendes Erlebnis bei meiner ersten Sitzung als Stadtoberhaupt beim Städtebund, wo ich all die großen Kapazunder kennenlernte, und im Laufe der Gespräche wurde mir plötzlich bewusst: He, viele von ihnen sind

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Sieben Jahre lang mit einer Klagsdrohung konfrontiert zu sein, das wünsche ich niemandem. Das steckt man nicht so einfach weg.
MATTHIAS STADLER

ja gar nicht mehr ins Tagesgeschäft involviert, die haben alles delegiert. Da wusste ich sofort, dass ich das persönlich anders handhaben möchte, weil es mir wichtig ist, dass ich Bescheid weiß, informiert bin, involviert werde – sonst wirst du schnell abhängig, bist vom Informationsfluss abgeschnitten.

Mich hat etwa auch immer gestört, wenn langdienende Politiker gegen Ende ihrer Amtszeit immer öfter auf einem eigenen Tisch platziert wurden, nur mit ausgewählten Leuten um sich, wodurch sie aber – teils wohl bewusst – kaum mehr Kontakt zu Außenstehenden hatten. Wie möchtest du als Politiker dann aber fundierte Entscheidungen treffen, wenn du isoliert bist? Auf welcher Basis?

Sind Sie deshalb so viel unterwegs – nach dem „Bürgerwilli“, wie ihr Vorgänger von der Bevölkerung genannt wurde, quasi der „Bürgermatthi“?

Es ist einfach wichtig, dass du draußen bei den Leuten bist, dich mit ihnen austauscht, damit du weißt, wo der Schuh drückt, was die Menschen bewegt. Ebenso öffnen dir auch die Sprechstunden die Augen für die Nöte und Abgründe der Menschen, da erlebst du oft Extremfälle, die dich noch nachts im Bett beschäftigen, wie man helfen kann, und was es heißt, wenn jemand sagt „Herr Bürgermeister, ich kann zu niemandem gehen, ich hab

sonst niemanden, aber Ihnen vertrau ich.“ Also ja, du musst in Kontakt bleiben, dich austauschen, da sein –deshalb fahre ich jetzt auch zum Fußballmatch Spratzern gegen Rohrendorf!

Aber spielen die Spratzerner nicht gegen den Abstieg?

Der Abstieg ist sogar schon fix, aber du musst zu den Leuten stehen – in guten wie in schlechten Zeiten! (lacht)

Zeit ist ein gutes letztes Stichwort. Wir sind hier ja im Stadtmuseum, der Hauch der Geschichte umweht uns. Wird Ihr Vermächtnis einmal hier im Stadler-Trakt zu bewundern sein?

Gott behüte. Wenn ich etwas nicht bin, dann eitel. Ich hatte auch nie das Bedürfnis, wie manche meiner Vorgänger, dass überall Taferln mit meinem Namen angebracht werden. Letztlich versuche ich das Beste aus meinem Leben zu machen, und für die Stadt. Als Historiker weiß ich nur zu gut, wie endenwollend alles Irdische ist und wie das mit „Vermächtnissen“ so ist. Das kann je nach Zeit sehr schnell unterschiedlich bewertet werden. Wenn es also einmal heißt, der Stadler hat seine Sache gut gemacht und die Stadt vorwärts gebracht, bin ich schon zufrieden. Aber soweit ist es ja noch nicht. Ich bin erst 58, und es gibt noch einiges zu tun.

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EINDEUTIG ZWEIDEUTIG

Der aktuelle City Retail Health Check 2024 des Handelsverbandes sorgte in St. Pölten zuletzt für politische Turbulenzen. 28 % Handelsfläche sind

demnach in den letzten 10 Jahren in der St. Pöltner City verloren gegangen.

Jüngste Filial-Schließungen in der City von Triumph, Libro oder auch Nentwich haben ebenfalls nicht gerade zur guten Laune beigetragen.

Grund für Weltuntergangsstimmung? MFG nahm mit Rainer Will, Geschäftsführer des Österreichischen Handelsverbandes, die Studienergebnisse genauer unter die Lupe und sprach mit ihm über aktuelle Schwierigkeiten sowie Aussichten des inländischen Handels, etwaigen Reformbedarf und vieles mehr.

Und wie so oft, offenbarte sich beim näheren Hinblicken ein durchaus differenziertes Bild der Lage.

St. Pölten hat laut Ihrem CRHC in zehn Jahren 28 Prozent seiner Handelsflächen verloren. Umgekehrt gibt es Städte mit vergleichbarer Einwohnerzahl, die deutlich zugelegt haben: Dornbirn verzeichnete im selben Zeitraum plus sechs Prozent. Was sind hier aus Ihrer Sicht die Faktoren, dass gerade St. Pölten derart krachen gegangen ist? Ich würde keinesfalls sagen, dass St. Pölten „krachen gegangen“

ist. Betrachtet man rein die Leerstandsquote, schneidet St. Pölten im Vergleich zu den meisten österreichischen Innenstädten sogar sehr erfreulich ab und liegt mit nur 2,7 Prozent leer stehender Geschäftslokale auf Platz vier unter den 24 wichtigsten innerstädtischen Einkaufsbereichen des Landes. Doch St. Pölten ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich der Handel analog zum Kundenverhalten permanent verändert. In der Vergangenheit befand sich mit Leiner ein extrem großes Möbelhaus mitten am Rathausplatz, dem zentralen Platz der Landeshauptstadt. Der Platz ist heute geprägt von Gastronomie und Veranstaltungen. Vom Flair her erinnert er immer mehr an eine italienische Piazza. Das ist nicht mehr der richtige Platz, um Möbel zu verkaufen. Diese eine Schließung ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass St. Pölten ein gutes Viertel seiner Verkaufsflächen verloren hat. Rechnet man die Leiner-Schließung heraus, beträgt der Rückgang der Verkaufsflächen gerade zwei Prozent.

Ein heißes Politik-Eisen in Sachen Innentadt-Handel ist die Frage der Parkplätze und das Thema Autofreiheit. Und wieder zeigen Beispiele wie Dornbirn: Autofreie City und gut funktionierendes Handelstreiben schließen sich nicht aus.

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Betrachtet man rein die Leerstandsquote, schneidet St. Pölten im Vergleich zu den meisten österreichischen Innenstädten sogar sehr erfreulich ab. RAINER WILL

KREMSERGASE. Die Kremsergasse ist nach wie vor die Hauptschlagader der St. Pöltner City mit guter Frequenz.

Dazu gibt es mehrere Dinge zu sagen: Eine Fußgängerzone kann für ein Modegeschäft oder eine Schmuckboutique vielleicht gut funktionieren, für einen großen Verbrauchermarkt oder ein Möbelhaus aber weniger. Der Einkauf im Modegeschäft passt leicht in eine Einkaufstasche, die man dann gemütlich bis nach Hause, zum Parkplatz oder zum öffentlichen Verkehrsmittel tragen kann. Beim Wocheneinkauf mit Getränkekisten oder beim Kauf größerer Elektrogeräte ist man für den Transport aber oft auf ein Auto angewiesen, darum werden sich solche Betriebe eher nicht in einer Fußgängerzone ansiedeln. Zweitens hängt viel vom Einzugsgebiet und von der Verkehrsinfrastruktur ab. Dornbirn ist das wirtschaftliche Herz des Rheintals, mit 270.000 Einwohnern eine der am dichtesten besiedelten Regionen Österreichs, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln hervorragend erschlossen ist. Für St. Pölten trifft das hingegen weniger zu. Vor allem Kunden von außerhalb reisen deshalb zum weitaus überwiegenden Teil mit dem Auto an.

Wie ist Ihre Einschätzung: Kann eine City bezüglich der Schrumpfung des Handels ein „Plateau“ erreichen, ab dem es, wenn schon nicht bergauf, zumindest nicht mehr steil bergab geht? Ein gewisser Bedarf an Handelsgeschäften wird doch immer bestehen? Wie sehen Sie die diesbezügliche Zukunft in der St. Pöltner Innenstadt?

Der Einzelhandel hat extrem schwierige Jahre hinter sich. In der CoronaPandemie mussten weite Teile des Handels ihre Geschäfte in etwa ein halbes Jahr hindurch geschlossen halten, wenn man alle Lockdowns zusammenrechnet. Deshalb und aus Angst vor Ansteckung wichen viele Konsumenten auf den OnlineHandel aus. Die letzten beiden Jahre waren dann durch eine beispiellose Teuerungskrise gekennzeichnet, wodurch sich viele Menschen nur die lebensnotwendigen Einkäufe leisten konnten oder wollten. Entsprechend war auch der Handel eher auf dem Rückzug als am Expandieren. Jetzt scheint eine Erholung in Griffweite: Die Kaufkraft ist heuer stark gestiegen, die Inflation hat sich normalisiert und der Optimismus kehrt Stück für Stück zurück.

Dass der stationäre Handel hochrelevant bleibt, zeigt auch ein Blick über den großen Teich: In den USA gibt es heute so viele stationäre Läden wie niemals zuvor. Die Menschen legen weiterhin großen Wert auf persönliche Kommunikation und auf Konsum in ihrem Umfeld. Wir sind also optimistisch. Und St. Pölten hat da als wachsende Stadt keine so schlechten Karten.

Laut HV ist die Handelsbranche innerhalb der EU nur in Frankreich stärker reguliert als in Österreich. Welche Deregulierungs-

TEXT: JOHANNES MAYERHOFER | FOTOS: STEPHAN DOLESCHAL, MATTHIAS KÖSTLER, ANJA BENEDETTER, JOSEF VORLAUFER MFG 06 24 15
LOCH. Die Schließung von „Leiner“ am Rathausplatz hat die Gesamtverkaufsfläche der City mit einem Schlag um ein Viertel reduziert.

CIAO BELLA

Wenn die Kinder in der Schule nur mehr Filme schauen, alle Noten geschrieben und alle Pools eingelassen sind, dann ist es nicht mehr weit: Die Urlaubszeit naht!

Als Kind war das für mich die schönste Zeit! Die Dauerkarte fürs Kaltbad war schon längst in meiner Tasche und meine Oma hat mir beim FORUM Kaufhaus den tief ausgeschnittenen Badeanzug gekauft. Das Wohnmobil wurde auf Vordermann gebracht und dann gings ab nach Italien. Quanto costa questo? Man war plötzlich Lire-Millionärin und hat extra Taschengeld bekommen für ein Gelato am Markt. Jeder Urlaub war gleich. Am Campingplatz kannte man schon die besten Plätze und die innere Uhr wurde umgestellt: Lang schlafen, Siesta am Nachmittag und spät Abendessen! Herrlich!

Mein Mann ist jetzt aber eher der Entdecker und schätzt abwechslungsreiche Urlaubsdestinationen nach dem Motto: Do wor i no nit! Genau wie beim Schifahren: Wenn ich eine Piste supergeil finde, will ich da fünfmal runterfahren! Seine Prämisse lautet: Keine Piste zweimal! Also muss ein Kompromiss her. Nach dem letzten Urlaubsjahr mit sechs Städten in unterschiedlichen Ländern geht’s heuer wieder nach Bella Italia! Da weiß ich, was in den Koffer muss, da riech ich jetzt schon die salzige Meeresluft, da rinnt mir das Wasser beim Gedanken an die Spaghetti vongole im Mund zusammen. Da, wo die Krägen der Poloshirts aufgestellt werden und die Sonnenbrillen auch nachts nicht fehlen dürfen.

Unser Sohn bekommt extra Taschengeld und einen tief ausgeschnittenen Badeanzug pack ich auch ein – für meinen Casanova Giovanni!

Buona vacanza a tutti!

AUF- ODER ABWERTUNG? Der Verlust von Parkflächen zugunsten mehr Grünraum ist ein kontrovers diskutiertes Thema in der Stadt.

maßnahmen haben aus Ihrer Sicht Priorität und sollten auf alle Fälle umgesetzt werden? Der angesprochene Vergleich stammt nicht von uns, sondern von der EU-Kommission selbst. Sowohl bei der Unternehmensgründung als auch im täglichen Betrieb schneidet Österreich dabei weit schlechter ab als der Durchschnitt der europäischen Länder. Ein Beispiel: Die Mietvertragsgebühr, wo jeder gewerbliche Mieter bereits bei Abschluss des Mietvertrages, also noch vor Eröffnung des Geschäfts, tausende Euro vorab an den Staat bezahlen muss, ist einmalig in Europa. Zweites Beispiel: In nur zwei europäischen Ländern ist der Faktor Arbeit mit so hohen Steuern und Abgaben belastet wie in Österreich. Gerade für so einen beschäftigungsintensiven Wirtschaftszweig wie den Handel – wir sind mit gut 700.000 Beschäftigten der größte privatwirtschaftliche Arbeitgeber Österreichs – ist das eine große Hürde.

Welche empirischen Erkenntnisse gibt es überhaupt bezüg-

lich eines Zusammenhangs zwischen (De)Regulierung/ Entbürokratisierung und einem florierenden Handel?

Laut einer aktuellen Unternehmensbefragung sind 88 Prozent der KMU der Ansicht, dass regulatorische Hindernisse ihre Kosten erhöhen, 73 Prozent sehen negative Auswirkungen auf die Rentabilität und 70 Prozent berichten, dass regulatorische Unterschiede ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Aufgabe des Handels ist es, sich mit ganzer Kraft um die Bedürfnisse seiner Kunden zu kümmern. Tatsächlich kämpfen wir derzeit aber mit einem wahren Tsunami an neuen Gesetzespaketen, die viele unserer Ressourcen binden, etwa Lieferketten-Sorgfaltspflicht, Verpackungsverordnung, Recht auf Reparatur, Ökodesign-Verordnung, Zahlungsverzugsverordnung, Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie etc. Natürlich braucht jede Wirtschaft auch Regeln. Doch derzeit laufen wir Gefahr, dass wir vor lauter neuen Regelungen keine Zeit für unser Kerngeschäft haben.

Dass der stationäre Handel hochrelevant bleibt, zeigt auch ein Blick über den großen Teich: In den USA gibt es heute so viele stationäre Läden wie niemals zuvor.

RAINER WILL

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Anders, weil: wir Unternehmen auch beim Thema Nachhaltigkeit umfangreich unterstützen.

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ZPOLITISCHEN

BULLDOZERN VON

&

MIESMACHERN

Die jüngsten Studien zur Innenstadt sowie diverse Geschäfts-Schließungen haben zuletzt eine Debatte über den Allgemeinzustand der City vom Zaun gebrochen. Meinungen und Rezepte gehen dabei je nach Partei auseinander: Die FPÖ will am liebsten autofreie Zonen wieder abschaffen, die ÖVP packt den „Herzschrittmacher für die Innenstadt“ aus, Grüne und Neos kritisieren ein mangelndes Gesamtkonzept sowie „Steinzeit-Ideen“ der Stadtregierung. Und die SPÖ – die ist mit ihrer Arbeit eigentlich ganz zufrieden.

eitgleich mit Bekanntwerden der Schließung der Blumenbinderei Nentwich in der Kremsergasse hoben ÖVP und FPÖ wieder die Situation der St. Pöltner Innenstadt-Gewerbetreibenden auf die Tagesordnung im Gemeinderat. Die Blauen stören sich grundsätzlich an der Idee eines autofreien Stadtkerns. „Dieses Konzept ist eine Illusion. Viele Geschäfte haben aufgrund dessen in den letzten Jahren hier geschlossen“, steht für FPÖStadtrat Klaus Otzlberger fest. Die Ausdehnung der Fußgängerzonen auf die Razonigasse, Grenzgasse, Alumnatsgasse, Wiener Straße und den Domplatz sowie Linzer Straße sei unverhältnismäßig. „Wir haben nicht 150.000 Einwohner, sondern nur etwa 60.000. Aber wir haben eine riesige Innenstadt-Zone. Soll demnächst noch die Josefstraße autofrei werden?“, fragt er rhetorisch. Der FPÖ-Antrag forderte Dreierlei: Die Parkplätze am Domplatz sollen

Wir haben nicht 150.000 Einwohner, sondern nur etwa 60.000. Aber wir haben eine riesige Innenstadt-Zone. Soll demnächst noch die Josefstraße autofrei werden?

KLAUS OTZELBERGER, FPÖ

reaktiviert werden, solange bis eine in der Nähe versprochene Tiefgarage umgesetzt ist. Weiters sollen alle Fußgängerzonen der letzten drei Jahre abgeschafft und das Parken in den zwölf innerstädtischen Parkgaragen für die ersten zwei Stunden gratis werden. Um das Zentrum attraktiver zu machen, gelte es auch, Angebote für Familien und Kinder zu fördern. „Früher gab es am Rathausplatz mal diesen Zug zum Spielen. Wo ist der eigentlich hin?“

ÖVP fordert Zahlenmaterial

Auch aus Sicht der ÖVP steht es nicht gut um den Kern der Lan-

deshauptstadt. Nachdem im März ein als „Stärkungspaket“ initiierter Antrag von der SPÖ-Mehrheit abgeschmettert worden war, versuchte man es im folgenden Gemeinderat mit zwölf Einzelanträgen. Die ÖVP will v. a. „belastbares Zahlenmaterial“. „Die Daten über Kunden und Besucher des Zentrums sind mehr als dürftig“, heißt es im Antrag. Gefordert wird daher eine unabhängige Studie, welche Vergleichswerte bezüglich der Innenstadt, des Traisencenters und des Fachmarktzentrums im Süden der Stadt liefern soll. „Das betrifft die Herkunft der Kunden, die Art der Anreise, die Besuchs-

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FREQUENZBRINGER. Der Markt am Domplatz jeden Donnerstag und Samstag ist einer der Hotspots und Anziehungspunkte der City.

Dort wo die Post war, ist jetzt der Integrationsfonds, und die SPÖ besetzt mit ihrem Parteilokal auch eine Geschäftsfläche. Das zählt alles nicht als Leerstand, ist aber nicht das, was klassisch als Handelsfläche zu sehen ist.

FLORIAN KRUMBÖCK, ÖVP

dauer und den durchschnittlichen Umsatz.“ Auch die Zahlen zur Leerstands-Situation stoßen VP-Stadtrat Florian Krumböck sauer auf. Zwar stehe St. Pölten beim „harten“ Leerstand gut da. Dieser beträgt 2,7 Prozent. „Wenn man sich den Leerstand im Umbau anschaut, dann sind wir schon bei 10,5 Prozent“, so Krumböck. „Dort wo die Post war, ist jetzt der Integrationsfonds, und die SPÖ besetzt mit ihrem Parteilokal auch eine Geschäftsfläche. Das zählt alles nicht als Leerstand, ist aber nicht das, was klassisch als Handelsfläche zu sehen ist“, stichelt er in Richtung SPÖ. Die Stadtführung habe den Handel vernachlässigt und nur auf Gastronomie gesetzt. Weiters fordert die ÖVP einen Stopp des Parkplatzabbaus ohne „adäquaten Ersatz“ sowie die Einführung eines Parkleitsystems zur besseren Parkplatzsuche. Die Linzer Straße soll wieder für Autos geöffnet und eine neue FrequenzAnalyse per Mobilfunkdaten durchgeführt werden.

SPÖ bulldozert alle 12 Anträge

Dass die ÖVP ihre Forderungen diesmal in zwölf Einzelanträgen eingebracht hatte, änderte nichts am Abstimmungsverhalten der SPMehrheitsfraktion. Sie stimmte konsequent dagegen. Generell sieht die SPÖ die Situation in der Innenstadt vergleichsweise gut. „St. Pölten gehört bei der City-Bewertung von Standort + Markt weiterhin zu den ‚gesunden‘ Städten mit Potenzial nach oben. In der St. Pöltner Innenstadt sind weniger Geschäftsflächen leer als in den meisten anderen Primär- und Sekundärstädten“, heißt es auf MFG-Anfrage. Zwar hätten

TRISTESSE. Die Linzer Straße ist seit Jahrzehnten Sorgenkind Nummer 1, der Leerstand deprimierend und unübersehbar.

unter anderem Modegeschäfte wie Triumph, Palmers und s. Oliver die Innenstadt verlassen, aber „Bekleidungsgeschäfte sind hier dominanter angesiedelt als anderswo.“ Auch die Kritik, es würde zu sehr auf Gastronomie gesetzt, sei nicht nachvollziehbar: „Dieser Bereich ist in unserem Branchenmix sogar leicht unterrepräsentiert.“ Fluktuation, Vielseitigkeit und wechselnde Konzepte seien „Markenzeichen einer funktionierenden Stadt“, es komme Neues nach. „In die ehemalige TriumphFiliale in der Kremser Gasse, in die leeren Lokale am Herrenplatz, am Riemerplatz und in der Schreinergasse werden neue Mieter einziehen, ebenso in die ehemaligen Palmers-Filiale in der Wiener Straße“, bestätigt auch Lukas Stefan vom Wirtschaftsservice Ecopoint. Die ehemalige Libro-Filiale sei nach Angaben des Eigentümers bereits im Umbau. Dort wird bekanntermaßen eine KFC-Filiale entstehen.

Als Positivbeispiel für vitale autofreie Zonen sieht die SPÖ etwa die nördliche Innenstadt beim Bahnhof.

St. Pölten gehört bei der City-Bewertung von Standort + Markt weiterhin zu den ‚gesunden‘ Städten mit Potenzial nach oben.

SPÖ

„Bis ca. Anfang der 2010er-Jahre konnte in der nördlichen Kremser Gasse, der Brunngasse und der Franziskanergasse noch mit dem Auto gefahren werden.“ Heute sei das Areal „Teil der Fußgängerzone und wichtiges Element im täglichen Leben für tausende Innenstadtbewohner und -besucher.“ Bezüglich der Frequenz beruft sich die SPÖ auf Erhebungen, welche in einer Woche im September 2023 rund 663.000 Passanten in der Innenstadt auswiesen. „Das sind 9,3 Prozent mehr als bei der Messung im Jahr davor!“ Die ÖVP moniert, dass von der Zahl an Straßenpassanten nicht auf entsprechende Kundenfrequenz in den Geschäften geschlossen werden könne.

Grüne kritisieren „Flickwerk“ Während FPÖ und ÖVP ein dunkles Bild der City malen und die SPÖ sämtliche Einzelvorschläge in Bausch und Bogen ablehnt, zeigen sich die Grünen differenziert. So können sie manchen ÖVP-Vorschlägen etwas abgewinnen, etwa dem Parkleitsystem oder einem besseren Lastenradangebot. Wenig überraschend sind die Grünen leidenschaftliche Vertreter der Idee „Autofreie Innenstadt“. Deren Umsetzung solle zwar nicht schlagartig, aber „zügig“ passieren. „Unzufriedenheit vonseiten der Unternehmer entsteht zum Beispiel, wenn sie nicht rechtzeitig informiert und eingebunden werden“,

TEXT: JOHANNES MAYERHOFER | FOTOS: MATTHIAS KÖSTLER, RUPERT PESSL MFG 06 24 19

BEREICHERUNG ODER OVERKILL. Beim autofreien Domplatz und seinen Auswirkungen auf die City scheiden sich die Geister.

erklärt die Grüne Stadträtin Christina Engel-Unterberger. Sie vermisst ein Gesamtkonzept, kritisiert die rote Politik als „Flickwerk“ und nennt als Beispiel das bereits beschlossene Promenaden-Konzept. „Damit das funktioniert, muss das Verkehrsaufkommen von etwa 8.000 auf 2.500 Autos an einem Werktag runterkommen. Die Situation auf der Promenade kann nicht losgelöst von der Situation am Domplatz oder der Fußgängerzonen gesehen werden“,

Unzufriedenheit vonseiten der Unternehmer entsteht, wenn sie nicht rechtzeitig informiert und eingebunden werden.

so Engel-Unterberger. Sie kontrastiert Wien und St. Pölten: „Wien kommuniziert, dass es erwünscht ist, mit dem Umweltverbund der Stadt unterwegs zu sein. Dort gibt es auch viele konsumfreie Sitzmöglichkeiten et cetera.“ In St. Pölten sei das Gegenteil der Fall. Als positives Beispiel, wie eine Innenstadt auch ohne Autos florieren kann, nennt sie Ljubljana, wo dies auf einer 19 Hektar großen Fläche bereits 2007 umgesetzt wurde.

WKO soll für Studien zahlen Mehr Parkplätze, Leitsysteme, Frequenzmessungen, Steuererhöhungen für Internetriesen – all das sind für Neos-Gemeinderat Niko Formanek „Vorschläge aus der Steinzeit“. „Ich bin überzeugt, es geht schon lange nicht mehr um den Einkauf irgend-

Der internationale Trend für Innenstädte geht vielmehr in Richtung ‚Einkauf als Experience‘ und ‚gemeinschaftliches Erleben‘.

welcher klassischer Produkte, denn die können günstiger, komfortabler und mit mehr Auswahl online und in Malls gekauft werden. Der internationale Trend für Innenstädte geht vielmehr in Richtung ‚Einkauf als Experience‘ und ‚gemeinschaftliches Erleben‘“, schildert der NeosEinzelkämpfer seine Sicht. Ihm zufolge sollten erst folgende Fragen geklärt werden: Welche Kunden mit welchem Potential sind für St. Pölten mittelfristig mobilisierbar? „Frühestens danach sollte man sich Gedanken über Größe und Design von Shop- und Handelsflächen, Verkehrsleitsysteme, Mobilität et cetera machen.“ Außerdem sollten für derartige Erhebungen nach Formanek nicht die Steuerzahler aufkommen, sondern der Handel oder die Wirtschaftskammer „mit ihren Milliarden an Mitgliedsbeiträgen.“ Fußgängerzonen im Zentrum steht Formanek grundsätzlich positiv gegenüber.

Fazit

Die Zahlen bezüglich des 10-jährigen Handelsflächenverlustes sind weit weniger dramatisch, wenn man den Einmal-Effekt der Leiner-Schließung berücksichtigt. Gleichzeitig ist bei den geringen Leerstands- und den hohen Frequenzzahlen zu hinterfragen, wo noch zusätzlicher „versteckter Leerstand“ existiert und inwiefern auch hohe Kundenfrequenz gegeben ist. ÖVP und FPÖ stellen als Opposition negative Aspekte der Innenstadt-Entwicklung in den Vordergrund, manches klingt überdramatisiert. Dass deshalb aber jeder einzelne Oppositions-Vorschlag von der roten Mehrheitsfraktion brüsk abgeschmettert werden muss, lässt am sachlichen Interesse an Verbesserungen der Situation zweifeln.

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VON POLITISCHEN „MIESMACHERN“ UND „BULLDOZERN“

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EINE INNENSTADT-BILANZ MIT

& HÖHEN TIEFEN

Ein Exodus der Gewerbetreibenden in der St. Pöltner City ist (noch) nicht zu beobachten. Die Situation wird von den Betroffenen aber ganz unterschiedlich wahrgenommen. MFG fragte nach.

Was die Geschäftslage in St. Pöltens Innenstadt angeht, ist Christian Wölfl, Geschäftsführer der Neunteufel Handels GmbH, absolut optimistisch. „Ich kann mich einfach nicht beschweren. Manchmal wünsche ich mir im Hauptgeschäft hier in Krems so eine gute Kundenfrequenz wie in der Filiale St. Pölten“, bekräftigt der 41-Jährige. Der Eisen- und Haushaltswarenhandel Neunteufel bietet in Krems seit 1914 alles von Schrauben und Werkzeug bis hin zu Küchengeräten. 2021 eröffnete Neunteufel-Chef Wölfl die St. Pöltner Filiale in der Marktgasse 5. „Als das Tisch- und Küchenfachgeschäft ‚Wohnkultur‘ in St. Pölten zusperrte, gab es erste Angebote, ob ich das nicht weiterführen wolle“, erklärt er. „Schließlich ist auch die Stadt St. Pölten an mich herangetreten und meinte, für einen guten BranchenMix fehlt noch ein Geschäft wie Neunteufel.“ Diese Notwendigkeit sah man nicht nur wegen des Endes der „Wohnkultur“, sondern auch aufgrund der Schließung des LeinerHauses. „Die Stadt war da total proaktiv, auch das Marketing ist auf mich zugegangen.“ Das Geschäft in der Neunteufel-Filiale laufe so gut, dass Wölfl schon über eine Geschäftsausweitung nachdenkt: „Aktuell arbeiten wir auf 70 m², und ich würde gern auf 120 hinaufgehen.“ Allerdings sei es schwierig eine pas-

Manchmal wünsche ich mir im Hauptgeschäft hier in Krems so eine gute Kundenfrequenz wie in der Filiale St. Pölten.

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sende Immobilie zum adäquaten Preis zu bekommen, wobei St. Pölten von Mietpreisen und Frequenz her im Vergleich zu Krems „human“ sei.

Zuletzt mehrten sich Geschäftsschließungen

Wölfls positive Worte stehen im krassen Gegensatz zu jüngsten Filialschließungen. Seit Sommer 2023 haben mehrere gewichtige Unternehmen wie Tchibo, Libro, s. Oliver oder Triumph der City den Rücken gekehrt. Ab 1. Juli wird auch die Filiale der Blumenbinderei Nentwich ihre Tore in der Kremsergasse schließen. „Zu geringe Frequenz“, lautet die Begründung, weshalb man nach nur zwei Jahren hier keine Zukunft mehr sieht. Rechnet man die Leiner-Schließung als Einmal-Effekt heraus, betrug der Verlust von Verkaufsflächen in St. Pöltens City in den letzten Jahren statt „rekordverdächtigen“ minus 28 Prozent allerdings nur minus zwei Prozent. Ein statistisch guter Wert. Autofreie Zonen, eine sinkende Zahl an Parkplätzen, zu wenige Kunden und andere Punkte werden von lokalen Gewerbetreibenden immer wieder als Probleme genannt.

Einen skeptischen Blick hat etwa Optiker Harald Bacik. „Die Situation für unser Geschäft hat sich klar verschärft, und das geschah in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschaffung der Parkplätze am Domplatz.“ Den FachoptikerLaden Bacik gibt es seit 1979, seit etwa zehn Jahren leitet Harald gemeinsam mit Schwester Manuela das Geschäft. Bacik hat also ausreichenden Zeithorizont, um einen Vergleich anstellen zu können: „Die Kundenfrequenz ist deutlich nach unten gegangen.“ Existenzbedrohend sei die Kundenflaute zwar nicht, jedoch beobachtet der Optiker zwei Trends. „Erstens ist die Laufkundschaft de facto weg. Das heißt, wenn jemand zu uns kommt, tut er das bewusst.“ Zweitens sei das Publikum deutlich jünger geworden. „Das ist um 15 bis 20 Jahre nach unten gegangen. Und das ist nicht gut, weil die Älteren ja eher unsere

Die Situation für unser Geschäft hat sich klar verschärft und das geschah in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschaffung der Parkplätze am Domplatz.
HARALD BACIK, OPTIK BACIK

Zielgruppe darstellen“, erklärt der 44-Jährige. Ältere Kunden würden sein Geschäft aufgrund mangelnder Parkplätze und damit weiterer Fußstrecken nicht mehr aufsuchen. Hinzu kommt die Konkurrenz von außen. „Gerade die Älteren fahren dann eher ins Traisencenter zu Wutscher oder Hartlauer. Dort bekommt man fix einen Parkplatz“, erklärt der Chef von sieben Angestellten.

Sündenfall „Domparkplätze“ und autofreie Innenstadt? Der Sündenfall für die Innenstadt

war für Bacik und andere Gewerbetreibende die Abschaffung der Parkplätze am Domplatz Ende Juli 2022. „Uns wurde versprochen, dass die Parkplätze erst wegkommen, wenn adäquater Ersatz durch die Tiefgarage vorhanden ist.“ Die Fertigstellung der Domplatz-Tiefgarage soll allerdings erst Mitte 2025 erfolgen. „Das Einzugsgebiet des Wirtschaftsstandortes St. Pölten ist groß. Wenn etwa jemand von Lilienfeld kommt, dann tut er das natürlich mit dem Auto, das er irgendwo parken können muss.“

TEXT: JOHANNES MAYERHOFER | FOTOS: HANNAH STROBL MFG 06 24 23

Was ihn auch aufregt: „Die direkte Kommunikation der Stadt St. Pölten war mangelhaft. Dass die Parkplätze endgültig verschwinden, davon erfuhren wir zunächst sehr kurzfristig über Facebook.“

Bacik steht dabei der Idee einer autofreien Innenstadt gar nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber, kritisiert aber das Timing bestimmter Maßnahmen. St. Pölten war diesbezüglich ja einer der Vorreiter. Bereits 1961 verbannte der Gemeinderat Autos und Motorräder aus dem Zentrum, die Kremser Gasse ist seitdem die zweitälteste Fußgängerzone Österreichs. Diese wurde

seitdem um die Wiener Straße, den Domplatz, die Ranzonigasse, die Alumnatsgasse und die Grenzgasse erweitert.

Neunteufel-Chef Wölfl hält autofreie Zonen grundsätzlich für eine „gute Idee“. Dass jedoch im Rahmen einer Erweiterung der Fußgängerzone die E-Tankstellen vom Rathausplatz entfernt wurden, sieht er kritisch. „Dass man die Verbrenner raus haben will, kann ich gut verstehen, aber warum die E-Autos? Die Tankstellen hat man in die darunterliegende Parkgarage verlegt. Da zahlt man dann fürs Parken und fürs Laden.“ Die Situation in den

meisten Parkgaragen sei generell angespannt. Die Parkgaragen Karmeliterhof und Rathausplatz seien regelmäßig „knackevoll“.

Innenstadt ist nicht gleich Innenstadt Anna Öckhers Beispiel beweist: Beim Thema „Wirtschaft in der Innenstadt“ bestimmt der Standort den Standpunkt. „Da mein Geschäft hier in der Kremser Gasse direkt neben dem Bahnhof ist, bin ich mit der Frequenz ganz zufrieden, weil viele Kunden mit den Öffis und aus Nah und Fern kommen“, erklärt die Leiterin des gleichnamigen Hutfachgeschäftes. Öckher zählt unbestreitbar zu den traditionsreichsten Geschäften der innerstädtischen Einkaufszone in St. Pölten. 1856 gegründet, werden hier nun schon in siebenter Generation Hüte verkauft und repariert. Seit 1992 ist Anna Öckher Geschäftsführerin. „In der ausgeweiteten Fußgängerzone bemerke ich schon verstärkt leere Geschäfte. Das wirkt öde und fad. Es vermittelt ein falsches Bild von der Innenstadt, die an sich gut belebt ist“, schildert die Modistenmeisterin. „Wenn das Service passt“, ist sich Öckher sicher, „dann kommen auch die Kunden.“ Vor etwaiger Konkurrenz in Einkaufszentren oder dem Internet fürchtet sie sich nicht. Ihr Produktangebot sei spezialisiert, beinhalte Beratung, Anpassung und Reparaturen. Das sieht auch EisenhändlerWölfl so. Gewerbepark-Konkurrenz sei zwar da, jedoch: „Bei meinen Küchengeräten habe ich zum Beispiel vieles aus dem mittleren und höherpreisigen Segment. Da wollen Kunden sich vor einem Kauf oftmals beraten lassen, was beim Online-Shopping so gut wie nie der Fall ist.“ Die Kommerzzonen der Innenstädte werden aus seiner Sicht nicht aussterben, aber ihr Gesicht verändern. „Es wird mehr kleine, feine Geschäfte geben, mit spezielleren und beratungsintensiveren Produkten. Die Zeit der großen Innenstadt-Shops mit Produkten für den alltäglichen Einkauf geht aber ganz bestimmt zu Ende.“

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THINK POS

Daniela Kittel gehört als Geschäftsführerin und Inhaberin von „Juwelier Dunky“ ohne Zweifel zu den bekanntesten Gesichtern der St. Pöltner Kaufmannschaft – und zu den gesellschaftlich Engagiertesten. Seit 2018 ist sie als Vizeobfrau in der Plattform St. Pölten aktiv, im Vorjahr übernahm sie zudem die Präsidentschaft der „Freunde der Kultur St. Pölten“. Zeit für ein Gespräch.

Ursprünglich wollten wir uns ja irgendwo in einem der Schanigärten der Stadt zusammensetzen, doch daraus wird nichts. Immer wieder ziehen an diesem „Apriltag“ mitten im Mai Regenschauer über St. Pölten hinweg. Als wir uns stattdessen von der „Dunky“-Filiale in der Kremsergasse auf den Weg ins Café Schubert machen, wirft Kittel zwischendurch immer wieder einen prüfenden Blick gen Himmel: „Der Regen wird schon wieder aufhören, ich bin ja mit dem Rad da“, meint sie zuversichtlich. Mehrmals täglich düst sie mit dem Drahtesel von der Maria Theresia-Straße in eine der drei Dunky-Filialen in der City, „nur für die im Traisenpark nehme ich meistens das Auto.“

Die 4. Generation Übernommen hat sie den elterlichen Betrieb kurz nach der Jahrtausendwende und führt damit eine Familientradition fort, immerhin besteht „Juwelier Dunky“ bereits in der 4. Generation! „Gegründet wurde das Geschäft ursprünglich von den Eltern von Elfriede Lechner, die Koloman Dunky, der ursprünglich aus Siebenbürgen nach St. Pölten kam, geheiratet hat.“ Gemeinsam eröffneten sie einen Juwelier- und Uhrenladen in der Brunngasse, genau dort, wo gut 100 Jahre später seine Nachfahrin Daniela schon in jun-

gen Jahren die Liebe zu den schönen Dingen gefunden hat. „Ich habe ja schon als junges Mädchen immer wieder im Geschäft der Eltern, Johann und Karin Dunky, mitgeholfen, war praktisch immer da. Oft hab ich vom ‚Amler‘, das Café lag ja gleich neben uns, Kaffee für die Kunden geholt, hab den Gesprächen gelauscht, und später dann recht bald im Verkauf mitgeholfen. Das hat mir Riesenspaß gemacht.“ Nach HAK-Matura und Studium der Betriebswirtschaftslehre in Wien steigt sie schließlich voll in den elterlichen Betrieb ein – ein anderer Berufsweg wäre für sie nie in Frage gekommen. „Ich hab tatsächlich schon sehr früh gewusst, dass ich das machen möchte“, – eine Konstellation, die sich nun bei Kittels eigenen Söhnen wiederholt. Während der ältere Medizin studiert hat und gerade die Facharztausbildung absolviert, studiert der Jüngere an der FH in Wien Unternehmensführung und möchte anschließend die Uhrmacherlehre machen, kurzum wird er dafür sorgen, dass „Juwelier Dunky“ auch die 5. Generation erlebt. „Das ist natürlich schon schön, wenn die Familientradition fortbesteht. Denn das ist alles andere denn selbstverständlich in der heutigen Zeit, ich kenne viele befreundete Betriebe, die mit der Nachfolge kämpfen.“

Dabei hat ehemals für ihre eigene Entscheidung, in den elterlichen

Betrieb einzusteigen, weniger die Tradition als vielmehr die Liebe zum Metier an sich den Ausschlag gegeben. „Schmuck hat einfach eine besondere Aura und ist im Grunde genommen immer mit einer positiven Emotion verbunden, egal ob du dir jetzt selbst etwas kaufst, jemand

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ITIVE!

TRADITION. Daniela Kittel führt den Familienbetrieb„Juwelier Dunky“ bereits in 4. Generation.

anderem eine Freude bereitest oder selbst beschenkt wirst. Zumeist wird Schmuck ja zu freudigen Anlässen gegeben, etwa anlässlich der Geburt, der Taufe, zu Geburtstagen oder natürlich zur Hochzeit“, schwärmt Kittel und fügt sinnierend hinzu: „Im Grunde genommen bleibt ja

von der Hochzeitsfeier an sich nur der Ehering als etwa Bleibendes –das ist schon etwas Besonderes!“ Während sie selbst immer eher das Design, die Ästhetik faszinierte, spielte für Papa Johann Dunky, der heuer seinen 90er begeht, stets auch das Uhrmacherhandwerk eine große

Rolle. „Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern, dass ich ihn oft über eine Uhr gebeugt arbeiten sah.“ Noch heute kommt der Seniorchef regelmäßig ins Geschäft, um Hallo zu sagen oder manch Batterie zu wechseln. Und auch Mutter Karin hilft nach wie vor mit vollem

KÖSTLER, TANJA WAGNER, ANJA BENEDETTER MFG 06 24 27
TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: MATTHIAS

Elan mit. „Sie hat ja ein grandioses Händchen fürs Dekorieren und kennt natürlich Gott und die Welt.“ Im laufenden Betrieb sei man manchmal derart eingespannt, „dass wir gar keine Zeit für ein persönliches Schwätzchen finden, weshalb wir uns manchmal ganz bewusst eine Auszeit nehmen und gemeinsam ins Kaffeehaus zum Plaudern gehen“, schmunzelt Kittel.

Die Zusammenarbeit im Familien- und Mehrgenerationenbetrieb habe jedenfalls immer gut funktioniert. „Meine Eltern haben mir im Grunde genommen nie, auch nachdem ich den Betrieb übernommen hatte, ‚reingeredet‘. Wenn, dann haben wir uns immer gegenseitig ausgetauscht – das war immer sehr harmonisch. Jeder hat sozusagen seine Stärken eingebracht.“ Wohl eines der Erfolgsgeheimnisse von „Juwelier Dunky“, wobei Kittel auch eine Lanze für die Branche an sich bricht, die im Unterschied zu anderen eine gewisse Stabilität und Krisenfestigkeit aufweise, „weil es hier keine Politik des Verramschens, des Verschleuderns gibt, sondern es um Wertigkeit geht.“ Auch die Konkurrenz aus dem Internet könne dem keinen Abbruch tun. „Natürlich findest du im Web günstige Uhren und billigen Schmuck, aber die haben halt schlichtweg eine andere Qualität. Wenn du hingegen ein wertiges Stück suchst, gehst du zum Fachhändler, weil du hier seriös beraten wirst und Vertrauen eine große Rolle spielt, Vertrauen, das etwa unser Betrieb seit über 150 Jahren rechtfertigt.“ Zugleich hat man bei Dunky auch strategisch offensichtlich die richtigen Entscheidungen getroffen. Obwohl einer DER Paradebetriebe der Innenstadt, hat man etwa nicht den Weg ins EKZ Promenade oder in den Traisenpark gescheut. „Das ist eine gute Kombination, die absolut Sinn macht, weil die Fußgängerzone zum einen sehr wetterabhängig ist, und weil es zum anderen Kunden gibt, die schlichtweg nur in einem Einkaufszentrum einkaufen gehen. Tatsächlich haben wir in allen unseren Geschäften

eine sehr unterschiedliche Klientel – in die Filiale in der Brunngasse kommen tatsächlich andere Leute einkaufen als im nur wenige Meter entfernten Einkaufszentrum Promenade.“

Die Plattform formen

Mit dieser „Doppelstrategie“ hat Kittel vielleicht auch eine vermeintliche Diskrepanz aufgehoben, die für gewöhnlich davon ausgeht,

Letztlich geht es uns immer darum, das Bes te für die Zukunft St. Pöltens zu erreichen.
DANIELA KITTEL

dass Einkaufszentren die Innenstadtgeschäfte kannibalisieren. Ein Befund, den die Unternehmerin für St. Pölten nicht teilt. „Wir sind eine große Stadt, da hat beides seinen Platz hat und kann gut nebeneinander koexistieren. Etwas anderes ist es, wenn man solche Zentren in kleinen Gemeinden auf die grüne Wiese am Ortsrand errichtet – das trägt zum Aussterben der Ortskerne bei.“ Aus diesem Blickwinkel sieht sie auch durchaus weiteres Handels- und Gewerbepotenzial für die Landeshauptstadt, „wofür man auch dementsprechend Flächen braucht.“ Ein, wie bisweilen kolportiertes „St. Beton“ kann sie nicht orten. „Natürlich sind Grünflächen, ist bewusste Begrünung immens wichtig für eine Stadt. Ebenso ist es aber auch legitim, Handelsflächen sinnvoll und mit Bedacht zu verbauen – St. Pölten verträgt das allemal!“, ist sie überzeugt, und will auch nicht in den Chor jener einstimmen, die alles schwarzmalen und quasi ein Ende der City nahen sehen. „Ganz ehrlich. Wir haben prinzipiell eine sehr attraktive und gut belebte Innenstadt, und auch wenn die Wirtschaftslage aktuell

nicht leicht ist, tut sich doch sehr viel. Die Vermietung der Objekte ist durchaus gut, und Fluktuation im Handel hat es immer gegeben!“ Was im Umkehrschluss nicht heißt, dass sie nicht sehr wohl Verbesserungspotenziale ortet „zum Beispiel würde eine Verbesserung des Öffentlichen Verkehrs in der Nord-Süd und Ost-West-Achse der Erreichbarkeit der Innenstadt sicher gut tun“, und auch manch offensichtliche Problemzone in der City sei nicht wegzureden. „Die Linzer Straße etwa ist eine große Herausforderung. Es bräuchte wohl eines attraktiven Alleinstellungs-Angebots, um die Kunden wieder dorthin zu locken.“ Grund für allgemeines Lamentieren sei dies aber nicht, sondern eher Motivation, sich selbst einzubringen und mitanzupacken, wie es Kittel als Vizeobfrau der Plattform St. Pölten seit geraumer Zeit tut. „Ich bin ja von Anfang an bei der Plattform dabei. Als mir die Vizeobmannschaft angetragen wurde, war es für mich selbstverständlich, diese Chance zu ergreifen, um aktiv mitzugestalten.“ Gemeinsam mit Obmann Dominik Mesner und Vize Markus Mayer bildet sie das schlagkräftige Vorstands-Triumvirat, in dem die berühmte Chemie passt. „Wir sind ein Superteam, mit zwar bisweilen sehr unterschiedlichen Ansätzen und Wegen, aber letztlich geht es uns allen

KOMMUNIKATIV. „Wichtig ist, miteinander zu reden - und zuzuhören!

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immer darum, das Beste für die Zukunft St. Pöltens zu erreichen.“

Dass in einem Verein aus City-Kaufleuten, Hausbesitzern, Klein- und Mittelbetrieben sowie diversen Institutionen teils sehr unterschiedliche, häufig persönlich gefärbte Interessenslagen aufeinanderprallen, liegt auf der Hand und macht die Sache wohl nicht immer einfach. „Natürlich kann man es nicht allen recht machen. Aber ich denke, es ist allen voran einmal wichtig, sich alle Anliegen ehrlich anzuhören, ja überhaupt einmal ins Reden zu kommen, weil sich dann oft schon vieles klärt. Wobei wir als Vorstand sicher nicht die Wunderwuzzis sind, die alles aus dem Weg räumen können, aber wir können oft weitervernetzen, verschiedene Leute zusammenbringen, die sich dann gegenseitig weiterhelfen.“ Letztlich gehe es um einen konstruktiven Austausch aller untereinander, auch im Wechselspiel zur Stadt, zu der man quasi ein Scharnier bildet. „Jeder kann sich einbringen, etwas beitragen. Und wir sollten manchen Dingen auch eine ehrliche Chance geben. Oft wird ja schon geschimpft, bevor ein Projekt überhaupt fertig ist und sich sozusagen beweisen kann.“ In diesem Kontext wünscht sich Kittel jedenfalls mehr Offenheit „auch für manch vermeintliche Spinnerei, die man zumindest ergebnisoffen diskutieren kann – nur so bringen wir die Stadt vorwärts. Und indem wir eine positive Stimmung erzeugen!“

Freundin der Kultur

Positive Stimmung, die sie mit ihrem ansteckenden Optimismus und Elan seit dem Vorjahr auch als Präsidentin bei den „Freunden der Kultur St. Pölten“ verbreitet. „Als mich Paul Gessl gefragt hat, ob ich die Nachfolge Lothar Fiedlers antreten möchte, habe ich nicht allzu lange überlegt, weil ich dem Verein ja schon lange verbunden bin und

mich Kultur persönlich sehr interessiert. Meine vordringliche Sorge galt eher der Frage, ob ich dann nicht allzu oft alleine unterwegs bin.“

Eine Befürchtung, die familienintern rasch ausgeräumt werden konnte: Nachdem Ehemann Fritz nicht minder kulturaffin ist, begleitet er seine Gattin einfach zu den meisten Veranstaltungen. Kittel hat jeden-

Man muss aus seiner Komfortzone raus und sich selber fordern, sonst bleibt man irgendwann stehen.
DANIELA KITTEL

falls die Aufgabe, auch das Neue daran gereizt. „Ein Kollege meines Mannes hat einmal gesagt: ‚Ich versuche ständig meine Gewohnheiten zu ändern, neue Herausforderungen zu suchen – das schadet nicht.‘ Und da hat er recht. Man muss aus seiner Komfortzone raus und sich selber fordern, weil sonst bleibt man irgendwann stehen.“

Das geht natürlich mit der Grundstoßrichtung von Kultur wunderbar

zusammen. „Kultur konfrontiert dich mit aktuellen Themen, zwingt dich zum Nachdenken, bringt dir andere Blickwinkel näher – das ist persönlich wie auch gesellschaftlich immens wichtig und trägt zu einer gewissen Weltoffenheit bei.“ Nebenbei darf sie ruhig auch Spaß machen oder – wie im Fall der „Freunde der Kultur“ – durch das gemeinsame Erlebnis verbindend wirken. „Unser Angebot ist ja sehr umfangreich – wir treffen z. B. Schauspieler nach der Aufführung, wie zuletzt in der Bühne im Hof, bekommen oft schon vorab exklusive Einblicke, wenn ich etwa daran denke, dass wir als erste einen Rundgang durch das neue KinderKunstLabor machen dürfen, oder wir planen zum Beispiel fürs kommende Jahr wieder eine Kulturfahrt. Und das sind sozusagen nur die Zuckerl neben den allgemeinen Vergünstigungen, die wir in unseren Institutionen und auch vielen befreundeten Betrieben genießen. Eine Mitgliedschaft zahlt sich also wirklich aus!“, rührt die Präsidentin die Werbetrommel. Dabei ist ihr wichtig zu betonen, „dass alle unsere Angebote natürlich überhaupt keine Verpflichtung darstellen. Man kommt, wie es einem gefällt. Das kann für den einen jedes Mal sein, für den anderen vielleicht nur einmal, und der

MFG 06 24 29 THINK POSITIVE!
PLATTFORM. Gemeinsam mit Dominik Mesner (r.) und Markus Mayer (l.) bildet Kittel das engagierte Vorstandstriumpfirat.

VORANGEHEN. Seit dem Vorjahr bringt sich Daniela Kittel als Präsidentin der „Freunde der Kultur St. Pölten“ auch aktiv im Kulturleben der Stadt ein.

oder die dritte will durch den Mitgliedsbeitrag vielleicht auch einfach nur ganz allgemein unsere Kulturinstitutionen unterstützen. Alles ist okay!“ Dabei treten die „Freunde der Kultur“ selbst immer wieder als aktive Förderer in Erscheinung, insbesondere im Bereich Kinder- und Jugendkultur. „Heuer haben wir etwa das Big Bang Festival im Festspielhaus unterstützt oder übernehmen immer wieder auch Buskosten für ausgewählte Schulfahrten, damit die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes kostengünstig zur Kultur kommen, gerade auch jene, die sonst vielleicht gar keinen Bezug haben.“ Kittel hält es da mit der allgemeinen Ansicht, dass die jungen Kulturbesucher von heute, die Besucher – auch in ihrem Fall Mitglieder – von morgen sind. „Die niederschwellige Erfahrung mit Kunst und Kultur muss schon im Kindesalter ansetzen!“, ist sie überzeugt.

Ebenso davon, dass St. Pölten in kultureller Hinsicht viel zu bieten hat, für alle Altersklassen. „Das Angebot ist unglaublich vielfältig – nur der Absiedlung der bildenden Kunst in die Landesgalerie nach Krems weinen noch manche nach“, gibt sie die Stimmung innerhalb des Vereins wieder. Auch der Stachel, dass St. Pölten nicht Europäische Kulturhauptstadt 2024 wurde, sitzt bei manchen noch tief. „Natürlich war das schade. Andererseits wäre ohne diesen Prozess das KinderKunst-

Labor oder auch die Renovierung und Neuausrichtung der Synagoge so nicht möglich geworden, und das sind nachhaltige Investitionen, die bleiben.“ Auch dem Tangente Festival steht Kittel „positiv gegenüber. Als Festival für Gegenwartskultur ist es natürlich programmatisch teils schräg und nicht alles ist sozusagen breitenwirksam. Aber in Summe bietet man ein breites Programm, aus dem jeder das Passende

Ich bin davon überzeugt, dass dich positives Denken einfach weiter bringt im Leben.
DANIELA KITTEL

für sich auswählen kann. Ich war zuletzt etwa bei ‚shared landscapes‘, im Zuge dessen man beim Spazieren durch die Natur mit künstlerischen Interventionen konfrontiert wurde –das war richtig cool!“

Und stellte wohl eine gelungene Symbiose ganz nach ihrem Geschmack dar, gilt eine andere ihrer großen Leidenschaften doch der Natur. „Ich bin einfach gerne draußen in der Natur, gehe gerne wandern oder auch jagen“, verrät sie. Letzteres sei im Übrigen schon lange

keine reine Männerdomäne mehr. „Eine Freundin von mir machte unlängst den Jagdschein. Von 15 Teilnehmenden waren zehn weiblich“, schmunzelt sie. „Das ist zwar auch nicht repräsentativ, aber wir werden immer mehr.“ Als Folge der Corona-Pandemie kam vor einigen Jahren zudem noch ein Faible für Wohnmobil-Reisen hinzu. „Fritz und ich haben es einmal ausprobiert und waren dann so begeistert, dass wir uns ein eigenes zugelegt haben.“

Seitdem geht es quer durch Europa, heuer im Sommer etwa für ein paar Wochen nach Norwegen. Mit dabei stets Hund Bennie. „Unsere Söhne müssen ja immer lachen, weil sie meinen, wir verwöhnen Bennie zu sehr.“ Aber er gehört halt zur Familie, und Familie ist Kittel „enorm wichtig, ebenso wie unsere Freunde. Mit manchen feiern wir bereits seit 30 Jahren Silvester! Das ist einfach schön, und diese Kontakte muss man auch pflegen.“

So kommen wir zuletzt noch ein bisschen auf Kittels generelle Lebensphilosophie zu sprechen, die man in einem aktuell emotional aufgeheizten bis feindseligen gesellschaftlichen Klima gern allen Menschen als Leitfaden für eine besseres Miteinander ans Herz legen möchte. „Ich bin überzeugt, dass dich positives Denken einfach weiter bringt im Leben. Schon klar, es gibt immer Rückschläge, Herausforderungen, Dinge, die vielleicht nicht so gut laufen, aber mit einer positiven Grundeinstellung kann man vieles besser aushalten und überwinden.“ Als geborene Kommunikatorin und Vernetzerin, die ihr Talent auf vielfache Weise auch gesellschaftlich einbringt, weiß sie zudem „wie wichtig es ist, miteinander zu reden – und zuzuhören! Letztlich geht es doch immer um Respekt. Und Eigenverantwortung ist wichtig, dass man auch selbst etwas macht.“

Ein schönes Schlusswort.

Als wir das Café Schubert verlassen, wirft Daniela Kittel wieder einen Kontrollblick in den Himmel – und lächelt: Es hat zu regnen aufgehört.

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THINK POSITIVE!

ZWISCHEN NATUR & KULTUR

St. Pölten bildet mit seinem angrenzenden Umland – der Hauptstadtregion St. Pölten – eine facettenreiche Region. Sie lädt zu einer abwechslungsreichen Reise ein, auf der Outdoor- und Naturerlebnisse ebenso wie eine große Auswahl an kulturellen und kulinarischen Angeboten zu finden sind.

Die Hauptstadtregion St. Pölten ist keine klar abgegrenzte Region. Sie umfasst Städte, Gemeinden, Regionen, Täler und Schauplätze rund um St. Pölten. Sie lockt mit einzigartiger Natur und bietet erstklassige Ausflugsangebote und kulturtouristische Programme.

Kultur schafft attraktive Anziehungspunkte

Neben den weithin bekannten Kulturzentren wie der Schallaburg im Melker Alpenvorland, den großen Stiften und Klöstern wie Lilienfeld oder Herzogenburg locken auch kleinere regi-

onale Kulturanbieter wie Schloss Walpersdorf, Schloss Thalheim oder die Fine Art Galerie in Traismauer mit hochkarätigen Kultur- und Konzertangeboten. Die zahlreichen Klein- und Sommerbühnen tragen ebenso zur breiten Vielfalt der Hauptstadtregion St. Pölten bei.

Zur Kultur der Hauptstadtregion gehören auch die vielfältigen Produkte wie etwa der Traisentaler Wein. Das Weinland Traisental wird durch eine junge Winzer:innen-Generation geprägt, die Tradition hochhält und neu belebt – und das quasi vor der Haustüre St. Pöltens. Auch die Pielachtaler Dirndl hat Tradition. Die süß-saure rote Frucht lockt mit einer vielfältigen Produktpalette – von Marmeladen über Sirupe bis hin zu Spirituosen.

Unterwegs auf zwei Rädern oder Beinen Ob ins Pielachtal, Traisental oder Mariazellerland – St. Pölten ist ein idealer Ausgangspunkt für abwechslungsreiche Rad- und Wandertouren in die umliegende Region. Südlich von St. Pölten führt der Pielachtalradweg über sanfte Hügel ins Tal der Dirndln. Hier finden Wanderer auch gemütliche Hütten und aussichtsreiche Wanderungen vor. Retour nach St. Pölten geht’s mit der Mariazellerbahn.

Ambitionierte Radler:innen bringt die Mariazellerbahn von St. Pölten auch nach Mariazell, von wo aus man am Traisental-Radweg mit der Bergwelt im Rücken zurück nach St. Pölten radelt. Der Traisental-Radweg führt auf seinen 111 km Länge bis nördlich von St. Pölten in die malerische Landschaft des Wein-

lands Traisental. Ein Abstecher in das weitläufige Radwegenetz der Weinregion lohnt mit einer Einkehr bei einem traditionsreichen Heurigen. Aber nicht nur mit dem Rad, sondern auch zu Fuß lassen sich die Kellergassen und Weingärten genussvoll erkunden.

Infos & Kontakt

Mostviertel Tourismus www.hauptstadtregion.at

St. Pölten Tourismus www.stpoeltentourismus.at

MFG 06 24 31 FOTOS WEINFRANZ.AT, SCHWARZ-KOENIG.AT
HAUPTSTADTREGION ST. PÖLTEN

ZUBETONIERT

Um den Boden wird aktuell heiß gekämpft. Die Bürgerplattform Pro St. Pölten wies etwa in einer Aussendung Anfang April darauf hin, dass in Österreich jährlich eine Fläche versiegelt wird, die drei Vierteln von Bregenz entspreche. Versiegelung – was heißt das eigentlich? Laut der Österreichischen Raumordnungskonferenz, in der Bund, Länder und Gemeinden vertreten sind, sind versiegelte Flächen „durchgehend mit einer gänzlich wasser- und luftundurchlässigen Schicht abgedeckt“. Davon unterschieden wird die sogenannte „Flächeninanspruchnahme“, womit Flächen gemeint sind, die unter anderem zu Siedlungs- oder Verkehrszwecken verändert oder bebaut sind und damit nicht mehr als natürlicher Lebensraum zur Verfügung stehen. Diese Flächen sind also nicht notwendig versiegelt, weil darunter etwa auch Gärten oder Parks fallen. Warum ist Versiegelung nun ein Problem und wie ist aktuell die Lage?

2,1 Hektar Bodenverbrauch pro Tag in Niederösterreich Zunächst können versiegelte Böden kein Wasser aufnehmen und begünstigen damit Überschwemmungen, unverbauter Boden ist zudem als CO2 Speicher wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Zuletzt verringert sich durch versiegelte Böden naturgemäß auch die agrarwirtschaftlich nutzbare Fläche. In Österreich sind laut ÖROK aktuell 6,7 Prozent der Landesfläche in Anspruch genommen, rund 30 Prozent davon werden für Verkehrs-

VORHER

Flächenversiegelung ist angesichts ökologischer Krisen ein großes Thema. Verbindliche Vorgaben dazu, wie viel neuer Boden versiegelt werden darf, fehlen allerdings weitgehend. Wie ist die Lage in Niederösterreich und St. Pölten?

flächen verwendet, knapp 50 Prozent als Siedlungsflächen innerhalb der Baulandwidmung, 12 Prozent als Siedlungsflächen außerhalb der Baulandwidmung. Versiegelt ist von diesen in Anspruch genommenen Flächen gut die Hälfte. Wie die Lage in Niederösterreich aussieht, hängt davon ab, wen man fragt. „Niederösterreich ist das Land mit der geringsten Flächeninanspruchnahme und der geringsten Versiegelung. 7,36 Prozent des Dauersiedlungsraums sind versiegelt, damit liegt unser Bundesland gemeinsam mit

dem Burgenland an der Spitze“, ließ Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf per Aussendung Ende 2023 wissen. Anders sieht die Situation aus, wenn man auf die Entwicklung beim Bodenverbrauch blickt. Täglich werden in Niederösterreich dem WWF zufolge 2,1 Hektar Boden verbraucht, damit liegt das Land nur hinter den Spitzenreitern Steiermark und Oberösterreich. Als Zielwert wird im Entwurf ÖROK Bodenstrategie 2,5 Hektar pro Tag gefordert – für ganz Österreich wohlgemerkt.

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Inzwischen haben wir bei Widmungen eine Baupflicht, es muss also sieben Jahre nach der Widmung auch wirklich etwas gebaut werden. BÜRO LH-STV. STEPHAN PERNKOPF

Situation in St. Pölten

In der Landeshauptstadt ist aktuell eine Bodenfläche von 17,3 km² versiegelt, das entspricht einer Fläche von fast 2.500 Fußballfeldern. Zum Vergleich: Im einwohnermäßig größeren Innsbruck sind nur rund 14 km² Boden versiegelt. Bei der Versiegelung pro Kopf liegt St. Pölten mit 307,7 m² nur hinter Eisenstadt, das mit 316,9 m² an der Spitze ist. Ein St. Pölten spezifisches Problem ist die Versiegelung durch Verkehrsflächen. So hat der Standard kürzlich berichtet, dass die Stadt rund 40 Prozent der versiegel-

soll, um gesunde und zukunftsfähige Raumstrukturen sicherzustellen.“ Das umfasse etwa überörtliche Siedlungsgrenzen, um Zersiedelung zu vermeiden, regionale Grünzonen sowie agrarische Schwerpunkträume, so Kainz weiter. Das Problem der Zersiedelung ist auch auf Landesebene bekannt. In der Vergangenheit habe man zu wenig gegen sogenannte „Vorratswidmungen“ getan, bei denen Gemeinden möglichst viel Land für künftige Verwendung umgewidmet haben. „Inzwischen haben wir bei Widmungen eine Baupflicht, es muss also sieben Jahre

GRÜN STATT GRAU. In Tulln setzt man bei der Neugestaltung des Nibelungenplatzes auf Entsiegelung. Der Beton für Parkflächen wurde weggerissen und ist Blumenrabatten und Bäumen gewichen.

NACHHER

Obfrau der Bürgerplattform Pro St. Pölten: „Die Implementierung eines Bodenschutzvertrags mit klaren Reduktionszielen wäre von Vorteil, um den Anteil nicht mehr zu vergrößern, dann würden veraltete Konzepte wie die S34 überdacht werden.“ Die Traisental Schnellstraße steht symbolisch für den Kampf um unverbauten Boden. Während Stadt wie Land vehement für den Bau eintreten und mit verkehrspolitischer Notwendigkeit begründen, sind Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen strikt gegen das Großprojekt. Ob und wann es in der S34-Saga weitergeht, ist übrigens nach wie vor unklar.

Das Problem, so scheint es jedenfalls, ist allen Akteuren bewusst. Eine aktuelle OGM-Umfrage im Auftrag des Kurier hat ergeben, dass 72 Prozent der Befragten für ein Bodenverbrauchslimit von 2,5 Hektar pro Tag sind – ein Limit, das die Länder zuletzt ablehnten. Man müsse sich die Konsequenzen eines solchen Zieles bewusst machen, heißt es aus dem Büro von Pernkopf. „Alle sind sich einig, dass weniger Boden versiegelt werden soll. Bevor man ein Ziel definiert, muss man sich aber den Weg dorthin überlegen und daran denken, was das in der Praxis bedeutet. Kann etwa ein Kindergarten nicht mehr gebaut werden, weil das Ziel schon erreicht ist?“

ten Fläche für Verkehrsinfrastruktur verwendet und damit vor allen anderen Landeshauptstädten liegt. Für die vergangenen zehn Jahre hat man im Rathaus eine Zunahme der versiegelten Fläche von acht Prozent errechnet.

Was wird nun gegen das Problem getan? Rathaussprecher Thomas Kainz: „Die derzeit in Ausarbeitung befindliche Novelle des Regionalen Raumordnungsprogramms schafft für die Region St. Pölten verbindliche Spielregeln, wie und wo sich die Region als Ganzes entwickeln

nach der Widmung auch wirklich etwas gebaut werden“, heißt es aus dem Büro von LH Stv. Pernkopf.

Baupflicht und Bodenbonus

Beim Land weist man außerdem darauf hin, dass in den letzten zehn Jahren weniger Raum pro Kopf verbraucht wird, was für eine größere Verdichtung spricht. Außerdem gehe das Bevölkerungswachstum mit den Widmungen Hand in Hand – es werde also nur gewidmet, was auch gebraucht wird. Anders sieht das naturgemäß Susanne Formanek,

Während weiter um Verbindlichkeiten gerungen wird, gibt es gleichzeitig auch positive Signale und Initiativen, etwa wenn es um die sogenannte Entsiegelung von Böden geht. Das Land Niederösterreich hat hier den „Blau-Gelber Bodenbonus“ ins Leben gerufen, um Gemeinden, Vereine und Private bei der Entsiegelung von Böden zu unterstützen. Aktuell werden damit 16 Projekte gefördert, eines der größten ist der Nibelungenplatz in Tulln, der im Zuge einer Umgestaltung entsiegelt worden ist und im Juni neu eröffnet wird. Ob diese Bemühungen genügen, wird sich erst zeigen. Aktuell wird jedenfalls weiterhin jeden Tag neuer Boden versiegelt.

TEXT: SASCHA HAROLD | FOTOS: DRONEPROJECT.AT, STADTGEMEINDE TULLN MFG 06 24 33

HERR DER NETZE

Die Liberalisierung des Strommarkts führte zu einer funktionalen Teilung der Stromwirtschaft. Auf der einen Seite erzeugen Kraftwerksbetreiber Strom, der von Vertriebsgesellschaften an Kunden verkauft wird. Auf der anderen Seite steht die Netz NÖ GmbH, die Strom- und Gasnetze betreut. Das St. Pöltner Service Center ist für 19 Gemeinden rund um die Landeshauptstadt zuständig. 44 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen rund 96.000 Anlagen, die rund 104.000 Menschen versorgen.

Im Jahr 2020 wurden rund 300 neue Trafostationen errichtet, heuer werden es schon 700 sein. Insgesamt werden jährlich rund 360 Millionen Euro in den Ausbau der Netze investiert. Warum sind diese Investitionen nötig?

Unser Stromnetz war auf eine Bezugsleistung von rund 1.500 Megawatt ausgelegt. Einerseits steigt der Energieverbrauch, anderseits definiert die Energiepolitik das Ziel,

Anton Waxenegger leitet das Service Center St. Pölten von Netz NÖ und ist Geschäftsführer der Fernwärme St. Pölten. Scheitert die „Energiewende“ am veralteten Stromnetz? Wieso ist Heizen für Fernwärmekunden so teuer? Und würde er einen Blackout gut überstehen?

diese Netzkapazität bis 2023 auf 6.000 Megawatt zu vervierfachen. Damit wir die Klima- und Energieziele erreichen können, müssen also die Ausbauziele für das Netz mit der sich ändernden Stromerzeugung mithalten. In Niederösterreich sind derzeit 1.847 Megawatt Windleistung am Netz, das entspricht mehr als der Hälfte aller in Österreich installierten Windkraftanlagen. Die rund 90.000 Photovoltaik-Anlagen erzeugen 1.183 Megawatt Leistung. Auf Niederösterreich entfällt rund ein Viertel aller PV-Anlagen ganz Österreichs. Wir sind also sehr weit, was Wind- und Solarstrom angeht. Aber natürlich ist das auch ein Thema für das Stromnetz, das mit dieser rasanten Entwicklung schritthalten muss. Deshalb erfolgen diese Investitionen, vorrangig in Umspannwerke, Trafostationen und Leitungen.

Infrastrukturprojekte kämpfen oft mit bürokratischen Hürden und langen Umsetzungszeiträumen. Wie kompliziert ist der Netzausbau?

Trafostationen sind eher unkompliziert, da reichen wir meist standardi-

sierte Projekte ein. Da bremsen uns eher die langen Lieferzeiten von bis zu einem Jahr. Umspannwerke oder Leitungsbau sind dahingegen deutlich schwieriger. Genehmigungen für komplexere Projekte können auch mal fünf Jahre in Anspruch nehmen.

Bis 2030 sollen laut Landesstrategie 3.000 GWh Strom aus PVAnlagen erzeugt werden. Dieses Ziel ist schon zur Hälfte erreicht, da derzeit auch viele Haushalte und kleinere Betriebe in eigene Anlagen investieren. Viele Errichter ärgern sich aber über den Netzbetreiber.

Im Jahr 2023 wurden uns 43.561 PV-Anlagen gemeldet, davon rund 37.000 neuerrichtete Anlagen, der Rest betraf Änderungen oder Erweiterungen an bestehenden Anlagen. Wir hatten im Vorjahr eine Verdoppelung der Inbetriebnahmen und bearbeiten monatlich bis zu 5.000 Anträge. Der Großteil der typischen Haushaltsanlagen kann rasch und unbürokratisch erledigt werden, aber natürlich sind rechtliche Rahmenbedingungen einzuhalten und von uns gewissenhaft zu prüfen.

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GANZ IM TREND. Nachhaltige Wärme und leistungsfähige Netze. Beide berufliche Themen sind derzeit in aller Munde.

Die Netzbetreiber beklagen, dass viele Anlagen nicht gemeldet werden. Was ist das Problem bei diesen „Guerilla-Anlagen“?

Im Stromnetz müssen sich Erzeugung und Verbrauch immer die Waage halten. Als Netzbetreiber müssen wir darum wissen, wer Strom einspeist beziehungsweise wieviel Strom ein Haushalt mit seiner PV-Anlage erzeugt und um diesen Verbrauchs-

wert das Netz sozusagen entlastet. Darum sind auch Kleinstanlagen wie etwa Balkonkraftwerke meldepflichtig. Wir schätzen, dass es einige tausend nicht genehmigte Anlagen in unserem Netz gibt, die uns das Leben unnötig schwer machen. Wer da gegen die einschlägigen Gesetze verstößt, geht auch ein finanziell unnötig hohes Risiko ein, etwa wenn man an Schadenersatzforderungen denkt.

Ist das Einspeisen von Strom in das öffentliche Stromnetz mittels privater Photovoltaik-Anlagen für den Errichter der Anlage überhaupt noch sinnvoll? Der Strompreis, den man dafür bekommt, ist ja sehr bescheiden. Der explosionsartige Anstieg bei neuen PV-Anlagen hat die Einspeisetarife stark eingebremst. Wenn Sie über eine Anschaffung nachdenken, würde ich empfehlen die Anlage für den Eigenverbrauch zu dimensionieren. Es ist nicht realistisch, durch den Verkauf des selbstproduzierten Stroms einen Teil der Mehrkosten bei der Anschaffung reinzubekommen. Zunehmend relevant sind dabei die relativ teuren Stromspeicher, damit man im Idealfall in der Früh und am Abend den Strom verbrauchen kann, den man tagsüber gewonnen und vor Ort gespeichert hat.

Der Boom bei PV-Anlagen in den letzten Jahren scheint alle überrascht zu haben?

Unser Glück war, dass wir schon vor diesem Boom ein sehr gut ausgebautes Stromnetz hatten. Sonst wäre dieser Anstieg nicht zu bewältigen gewesen. In Niederösterreich sind wir soweit, dass wir zeitweise mehr Strom zur Verfügung haben, als verbraucht wird. Bei stundenweiser Betrachtung bekommen große Abnehmer punktuell sogar schon Geld, wenn sie Strom verbrauchen. Das führt dazu, dass die lokale, kurzzeitige Speicherung von Strom immer relevanter wird. Dezentrale Batterielösungen zuhause oder in den Unternehmen sind dafür gefragt und entlasten die Stromnetze. Teilweise denkt man auch darüber nach, überschüssigen, billigen Strom in Wasserstoff umzuwandeln und die Energie so für später zu speichern. Dabei ist aber der Wirkungsgrad verhältnismäßig schlecht. Im Sommer 2024 werden wir erstmals in Niederösterreich tagsüber den gesamten Stromverbrauch mit unseren PV-Anlagen abdecken können. Das bemerken Sie dann, wenn sich die Windräder nicht drehen, weil mit den PV-Anlagen schon genug Strom produziert wird.

| FOTOS: HANNAH STROBL, ARMAN KALTEIS MFG 06 24 35
TEXT: MICHAEL MÜLLNER

Wenn der Anteil erneuerbarer Energie aus Wind und Photovoltaik in Niederösterreich so hoch ist, wieso leitet man diese dann nicht in andere Bundesländer, die selbst weniger nachhaltigen Strom erzeugen?

Jedes Bundesland mit den jeweiligen Stromnetzbetreibern ist für sein Stromnetz zuständig. Der Bund verantwortet nur die 110 bis 380-kVHochspannungsleitungen, die dann auch einzelne Bundesländer miteinander verbinden. Das ist sozusagen das Nadelöhr, beim Stromaustausch zwischen den Bundesländern. Da sind Bund und Länder gemeinsam gefordert, um diese Netze noch besser aufeinander abzustimmen.

Experten halten einen Blackout, also einen mehrtägigen und großflächigen Stromausfall, für wahrscheinlich. Wie sind Sie auf einen Blackout vorbereitet? Ich habe mich mit dem Thema naturgemäß beschäftigt und für meine Familie einen Mittelweg gefunden. Wir haben ausreichend Lebensmittel daheim und würden wohl damit die empfohlenen zwei Wochen gut durchkommen. Es macht auf jeden Fall Sinn, sich damit zu beschäftigen und Vorräte einzukaufen. Man braucht aber keine Panik verbreiten.

Ich will mir nicht ausmalen, wie Menschen reagieren, wenn sie realisieren, dass sie zwei Wochen auf sich alleingestellt sind. Zwei Wochen sind wohl ein Wert, bis alles wieder halbwegs rund läuft. Der eigentliche Blackout würde nicht so lange dauern. Ein großflächiger Ausfall, da reden wir von ganz Mitteleuropa, würde wohl nach zwei Tagen behoben sein. Wir sehen derzeit leider auch in der Praxis, wie sich der Ausfall von StromInfrastruktur aufgrund des Krieges in der Ukraine dort auswirkt. Auch wenn Elemente im Netz zerstört werden gelingt es den Technikern oft recht rasch wieder, Notlösungen zu finden. Als Netzbetreiber sind wir österreichweit, aber auch im europäischen Verbund, sehr gut vorbereitet und beschäftigen uns auch mit den Konsequenzen möglicher Terroranschläge oder Cyberattacken auf das Stromnetz. Da ist schon viel Bewusstsein entstanden.

Was folgt nach dem Blackout?

Die Netze werden nach Außen hin abgekoppelt, man versucht sozusagen das Stromnetz in kleinere Abschnitte zu teilen. Dann gibt es sogenannte Schwarzstartkraftwerke, die man hochfahren kann, ohne dass man Strom dafür braucht. Von die-

ZEITGEMÄSS. Das St. Pöltner Fernwärme-Netz ist Jahrzehnte alt und wird laufend erneuert. Das Fernheizwerk Nord ist nagelneu.

sen Punkten aus schaltet man dann Schritt für Schritt weitere Abschnitte im Netz frei. Für all diese Szenarien gibt es Pläne und Übungen. Umgekehrt gibt es auch genaue Regeln für den Fall, dass das Netz reduziert bzw. runtergefahren werden muss. Im sogenannten Energielenkungsfall würde man einzelne Ortsteile immer für ein paar Stunden vom Netz nehmen, damit man eben den Verbrauch reduziert auf das, was noch im Netz verfügbar ist. So schafft man es, die wichtigsten Stromabnehmer möglichst lange zu versorgen – in St. Pölten wäre das beispielsweise das Universitätsklinikum.

Anton Waxenegger ist aber auch Geschäftsführer der Fernwärme St. Pölten GmbH, die 2008 gegründet wurde. 51 Prozent gehören der Stadt St. Pölten, 49 Prozent der EVN (welche wiederum mehrheitlich im Besitz des Landes Niederösterreich ist). Bald nach dem Zweiten Weltkrieg wurden erste FernwärmeProjekt in St. Pölten umgesetzt und das Krankenhaus sowie die Theodor-Körner-Schule versorgt. Aktuell schlängelt sich das Netz mit 73 Kilometer Länge durch die Stadt, 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind beschäftigt. Eine 31 Kilometer lange Wärmetransportleitung liefert von der Müllverbrennungsanlage in Dürnrohr seit 2009 rund zwei Drittel des Fernwärmebedarfs nach St. Pölten. Neben der laufenden Leitungssanierung wurde 2022 auch das Kesselhaus im Fernheizwerk Nord neu gebaut.

Die St. Pöltner Fernwärme beliefert viele Mehrparteienhäuser mit Warmwasser und Fernwärme, welchen Anteil haben Großkunden an Ihrem Umsatz? Rund zwei Drittel gehen an private Haushalte. Rund ein Drittel versorgt größere Betriebe und Organisationen. Der größte Abnehmer mit

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rund 20 Prozent unserer Gesamtleistung geht ans Universitätsklinikum, das wir auch mit Fernkälte versorgen, ebenso wie die FH St. Pölten.

Zwei Drittel der benötigten Energie werden von der EVN-Müllverbrennungsanlage in Dürnrohr nach St. Pölten geleitet. Wieso ist das ökologisch sinnvoll, wenn man Müll verbrennt?

Bei Abfall macht Vermeidung und Recycling natürlich Sinn. Was über bleibt, soll aber nicht deponiert werden, sondern wird verbrannt. Mit modernen Filtern und einer strengen Emissionsüberwachung ist das ökologisch sehr gut vertretbar. Dabei entsteht Dampf, daraus gewinnt man Energie und Wärme. Diese Wärme leiten wir als 130 Grad heißes Wasser nach St. Pölten zu unseren Fernheizwerken, von wo aus wir unsere Kunden beliefern.

Wieso ist ein Drittel der nötigen Energie nach wie vor Erdgas?

Über weite Strecken kommen wir mit nachhaltiger Wärme aus. Aber übers Jahr gesehen gibt es immer wieder Spitzen, in denen wir mehr Verbrauch abdecken müssen, als wir mit der Wärmeleitung aus Dürnrohr abdecken können. Im Winter braucht man logischerweise mehr Wärme zum Heizen als im Sommer. In der Früh und am Abend ist der Verbrauch höher, aber auch dann müssen wir gleichbleibende Qua-

ZAHLEN, DATEN, FAKTEN

Netz NÖ GmbH

• Eigentümer: EVN Gruppe (4,9 Millionen Kunden in 14 Ländern)

• Liefert: Infrastruktur für Strom und Gas

• Kunden: 850.000 Strom-Kunden, 285.000 Gas-Kunden

• Länge der Hochspannungsleitungen: 1.400 km

• Länge der Mittel- und Niederspannungsleitungen: 55.000 km

Zahlen, Daten, Fakten

• Eigentümer: Stadt St. Pölten und EVN

• Liefert: Warmwasser, Fernwärme zum Heizen, Fernkälte zum Kühlen

• Kunden: 6.800 Kunden, 1.100 Hausanschlüsse

• Fernwärme-Netz im Stadtgebiet: 73 Kilometer, deckt rund 40% der Haushalte im Stadtgebiet ab

• Einspeisestellen: Fernheizwerke Nord und Süd, CogenerationAnlage Firma Salzer

lität liefern. In diesen Spitzenphasen heizen wir dann mit Gas. Das langfristige Ziel ist aber zu 100 Prozent nachhaltige Energie zu verbrauchen.

Die Lösung dafür ist ein neues Projekt mit EVN und Salzer?

Teilweise. Am Gelände des Industriebetriebes Salzer wird von der EVN eine moderne Kraft-Wärmekopplungsanlage errichtet. Dort wird Biomasse in Form von Hackschnitzel und Schadholz aus der Region in einem Kessel verheizt. Der entstehende Dampf treibt eine Turbine an, der Ökostrom versorgt den Industriebetrieb und wird in das Stromnetz eingespeist. Die entstehende Abwärme wird ebenfalls den angrenzenden Industriebetrieben

zur Verfügung gestellt und der Rest in das Fernheiznetz eingespeist. Das Ganze löst ein bestehendes ErdgasKraftwerk ab und soll ab Jänner 2026 in Betrieb gehen. Damit schaffen wir dann 80 Prozent unseres Energiebedarfs nachhaltig zu beziehen. Um auf hundert Prozent zu kommen, braucht es aber weitere Maßnahmen. Wir erneuern unsere Leitungen, damit weniger Wärme verloren geht. Wir investieren in bessere Speichermöglichkeiten, damit wir möglichst wenig Gas in Spitzenzeiten einsetzen müssen. Ein gewisser Prozentsatz wird sich aber auch im Sinne einer Ausfallssicherheit nicht komplett ersetzen lassen – dafür ist dann sogenanntes grünes Gas eine Lösung, das ökologisch nachhaltig erzeugt wird. Gas hat einfach eine sehr hohe Energiedichte, weshalb es in manchen Einsatzbereiche auch in Zukunft Sinn macht.

Was wäre, wenn plötzlich kein Gas mehr verfügbar wäre? Einige unserer Heizkessel funktionieren auch mit Heizöl. Das ist im Sinne der Ausfallssicherheit eine wichtige Notlösung, falls mal wirklich kurzfristig kein Gas verfügbar wäre. Grundsätzlich kaufen wir unser Gas aber relativ kurzfristig an den Märkten zu, einen Teil des Bedarfes haben wir über längerfristige Verträge auch preislich abgesichert.

In den letzten Jahren sind die Energiepreise stark gestiegen. Die Fernwärme St. Pölten hat ihre Tarife um das Zweieinhalbfache erhöht. Wie kann das sein?

Die Energiepreis-Krise in Folge des Krieges in der Ukraine hat die Kosten für Erdgas um das zehn- bis zwanzigfache erhöht. Im Jahr 2021 waren wir in der gleichen misslichen Lage, wie alle die Energie in großen Mengen einkaufen mussten: ‚Sollen wir jetzt zu diesen stark gestiegenen

Das langfristige Ziel ist zu 100 Prozent nachhaltige Energie zu verbrauchen. ANTON WAXENEGGER, FERNWÄRME ST. PÖLTEN
MFG 06 24 37 HERR DER NETZE
Im Sommer 2024 werden wir erstmals in Niederösterreich tagsüber den gesamten Stromverbrauch mit unseren PV-Anlagen abdecken können.
ANTON
NETZ NÖ

Preisen langfristig kaufen?‘ Es wusste damals keiner, wie lange es in welche Richtung weiter geht. Im Rückblick ist man immer klüger und kann sagen: ‚Hätten wir damals langfristig abgeschlossen.‘ Aber in dieser Situation war man der Entwicklung des Gas-Marktes ausgeliefert und diese teils massiven Kostensteigerungen mussten wir hinnehmen. Wir sind eine Gesellschaft und müssen unsere Ausgaben mit den Einnahmen decken. Wenn wir selber mehr ausgeben, nicht nur für das zugekaufte Gas, sondern auch natürlich die allgemeine Kostensteigerung, die jeder derzeit spürt, dann müssen wir das an die Kunden weitergeben. Die Erhöhungen waren immer gemäß den Vereinbarungen in unseren Verträgen. Beziehungsweise muss man festhalten, dass wir sogar weniger stark erhöht haben, als wir eigentlich vereinbarungsgemäß erhöhen hätten können. Da wurde sehr wohl viel abgefedert. Und trotz der erhöhten Preise haben wir 2021 und 2022 leicht negative Geschäftsjahre gehabt – dank der Eigentümer, also der Stadt St. Pölten und der EVN, war uns das möglich. Ich verstehe die Verärgerung wegen steigenden Kosten, aber wir haben in dieser Zeit keine Gewinne gehortet.

Also keine Angst vor einer möglichen Gewinnabschöpfung?

Nein, wir hatten keine Gewinne. (Lacht.) Zudem gibt es ja auch bereits wieder Reduktionen der Tarife. Sie müssen aber auch sehen, dass wir am Energiepreismarkt nicht mehr auf das Niveau vor der Krise zurückkommen. Man kann ja auch vergleichen, welche Preissteigerungen es bei Strom oder Gas gegeben hat.

Der Unterschied ist, dass man seinen Gas- oder Stromanbieter einfach wechselt, wenn man unzufrieden ist. Die Fernwärme kann verlangen, was sie will – es gibt keinen Markt und keinen alternativen Anbieter zu dem ich wechseln kann. Sollte Ihrer Meinung nach über eine verstärkte gesetzliche Kontrolle der Fernwärmeanbieter nachgedacht werden? Braucht es etwa eine Regulierungsbehörde, wie für Strom und Gas?

Die Frage ist, was diese Behörde machen soll? Es wird schwer mit einem einheitlichen Maßstab so unterschiedliche Versorger zu regulieren. Das St. Pöltner Fernwärme-Netz ist über viele Jahrzehnte historisch gewachsen. Unsere Leitungen sind teilweise alt und müssen saniert werden. Das ist eine ganz andere Ausgangslage als die eines kleinen Versorgers, der vor zehn Jahren ein kleines Biomasse-Kraftwerk mit einer kurzen Wärmeleitung errichtet hat. Man kann das Thema ganz unterschiedlich sehen, keine Frage. Soll

die Allgemeinheit für die Instandhaltung und Errichtung des Fernwärme-Netzes zahlen? Dann wäre das für unsere Kunden natürlich günstiger, weil jetzt finanzieren wir diese Kosten über unsere Kunden. Aber wie kommt jemand dazu, dafür aufzukommen, der gar keine St. Pöltner Fernwärme bezieht?

Bei Strom und Gas war ein Schlüssel das ‚Unbundling‘, also die Trennung von Netzbetreiber und Versorger. Das würde bei Fernwärme nicht so einfach funktionieren?

Richtig, die Netze sind ja untereinander nicht verbunden. Wir haben diese Diskussion auch beim Einspeisen, wenn ein Betrieb seine Abwärme in unser Netz einspeisen möchte. Wir können dem Betrieb dafür aber nur dann etwas zahlen, wenn die eingespeiste Wärmequalität der im Netz gleicht. Oft schwanken aber diese Temperaturen. Bei großen Industriebetrieben macht das vielleicht Sinn, aber da haben wir in St. Pölten vielleicht die Firma Egger, wo das denkbar wäre. Technisch ist das hochkomplex und viel schwieriger als bei Strom oder Gas. Fernwärme im Haushalt ist im Verbrauch teuer, aber man spart sich die eigene Heizung. Lohnt sich ein Umstieg für Betriebe? Ich glaube wir kommen bei einer ehrlichen Vollkostenrechnung nicht so schlecht weg, aber bei privaten Haushalten ist dieser Effekt sicher deutlicher sichtbar. Meine Erwartungshaltung ist, dass die Gesamtkosten für Heizanlagen mit fossilen Energieträgern in den nächsten Jahren stark steigen werden, denken wir nur an die CO2-Bepreisung.

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KLAGE FÜRS KLIMA

PV-LOS. Markus Amann und Sigrid Schmidl-Amann im Hof ihres Hauses in der St. Pöltner Innenstadt — eine PV-Anlage wurde dort bis jetzt von der Gemeinde verwehrt.

„Diese Entscheidung ist nicht zeitadäquat“, sagt Sigrid Schmidl-Amann über die städtische Ablehnung ihrer Photovoltaik-Anlage, und sie unternimmt dagegen rechtliche Schritte.

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Ich lebe gern in St. Pölten, und ich lebe gern in diesem Haus, es ist mir sehr wichtig.“ Sigrid Schmidl-Amann und ihr Mann Markus Amann haben das Haus in der Innenstadt mit viel Liebe und viel Geld renoviert. Die Bausubstanz wurde gründlich verbessert, die Fassade gedämmt, anstelle der Gasheizung wurde eine Wärmepumpe eingebaut. Teile des Hauses hinter dem Dom sind aus dem 17. Jahrhundert, seit 1898 ist es im Besitz der Familie von Sigrid Schmidl-Amann. Ihr Urgroßvater hatte hier bis zum Krieg eine Greißlerei. „Es ist mir ein Bedürfnis, das Haus für künftige Generationen zu erhalten, es der Zeit entsprechend klimafit zu machen“, betont die Ärztin, deren Ordination sich auch im Wohnhaus befindet. Den hohen Energiebedarf wollte sie durch Sonnenenergie decken. Das Ehepaar Schmidl-Amann hatte beim Umbau immer wieder Schwierigkeiten mit den Behörden, die jetzt in der Ablehnung der geplanten

PERSPEKTIVE. Aus dem Blickwinkel einer kleineren Person wäre eine PV-Anlage nicht sichtbar, auch nicht von der anderen, von der Behörde beanstandeten Seite.

Photovoltaik-Anlage gipfeln. Die Begründung: Das Haus stehe in der Schutzzone, in der nur nicht sichtbare PV-Anlagen genehmigt werden. „Natürlich ist mir die Lebensqualität und die Gestaltung in der Innenstadt wichtig. Aber Ästhetik kann auch mit moderner Energiegewinnung gepaart werden“, ärgert

POLITISCHE POSITIONEN

Die Volkspartei „Positiv und begrüßenswert, dass es endlich zu einer rechtlichen Klärung kommt.“ So kommentiert die Volkspartei die „Photovoltaik-Klage“ in St. Pölten. „Die politischen Initiativen, die wir als Volkspartei für einen Stopp des de facto PV-Verbots in Schutzzonen gestartet haben, sind ja leider immer wieder an der SPÖ-Stadtregierung gescheitert“, so Gemeinderätin Susanne Binder-Novak. Selbst das Bundesdenkmalamt sehe Photovoltaikanlagen an denkmalgeschützten Objekten bei Einhaltung bestimmter Kriterien als zulässig an. „Es gibt sogar ein eigenes Informationsblatt seitens des Bundesdenkmalamtes [BDA], das vorgibt, welche Kriterien einzuhalten sind“, so die VP-Gemeinderätin. Nur deshalb, weil die Photovoltaikanlage vom öffentlichen Raum aus sichtbar ist, werde sie vom BDA nicht generell für unzulässig erklärt. Vielmehr solle die Anlage die gewachsene Erscheinung und künstlerische Wirkung des Denkmals „respektieren“.

Die Grünen

„Die Klimapionierstadt St. Pölten blockiert die Energiewende“, sagt Stadträtin Christina Engel-Unterberger. Die Grünen unterstützen die Bemühungen von Rechtsanwältin Michaela Krömer ausdrücklich und haben dazu auch bereits konkrete Änderungsvorschläge im Gemeinderat eingebracht. „Es ist dringend notwendig, St. Pölten hier

sich die St. Pöltnerin. Auch darüber, dass der negative Bescheid für das gesamte Dach gilt – nicht nur für den von der Baubehörde erspähten einsehbaren Teil.

Die Bebauungsvorschriften Seit Beginn des Jahres 2021 unterstützt in St. Pölten der Gestaltungs-

wirklich zu einer Vorreiterstadt in Sachen Klimaschutz zu machen, anstatt innovative Ansätze unter dem Deckmantel des Ortsbildschutzes zu blockieren“, so die GrüneStadträtin. Denn es könne nicht sein, dass die „Klimapionierstadt“ St. Pölten ihren Bürgerinnen und Bürgern aus rein „geschmacklichen“ Gründen – über die man bekanntlich streiten kann – die so wünschenswerte eigene Stromerzeugung verbietet. Der Dringlichkeitsantrag der Grünen wurde auch bei der Mai-Gemeinderatssitzung von der SP-Mehrheit abgelehnt.

Die SPÖ

„Die Stadt St. Pölten ist sich dem immer weiter voranschreitenden Wandel in Technologie und Klimaschutz bewusst und setzt auf eine koordinierte Vorgehensweise in der Anpassung unserer Schutzzonen Verordnung“, sagt SP-Vizebürgermeister Harald Ludwig. Die SPÖ setze sich dafür ein, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sowohl der Klimaschutz als auch der Denkmalschutz in Einklang gebracht werden können. Im Zuge der heurigen Überarbeitung des Bebauungsplans werden Vorschläge erarbeitet, um die verschiedenen Schutzzonenkategorien differenzierter abzubilden und ortsbildverträgliche PV-Gestaltungsmöglichkeiten festzulegen. Dies wird in Abstimmung mit allen relevanten Playern, wie dem Amt der NÖ Landesregierung und den anderen Gemeinden erfolgen.

TEXT: BEATE STEINER | FOTOS: BEATE STEINER, MITJA KOBAL MFG 06 24 41

INTERVIEW

Michela Krömer ist Rechtsanwältin in St. Pölten und Obfrau von CLAW – Initiative für Klimarecht.

Was erwarten Sie sich von der Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht (LVWG)?

Das LVWG hat aufgrund unserer Beschwerde die Chance, die Prüfung der Schutzzonenverordnung direkt beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Es wird aus meiner Sicht

beirat die Behörde beim „Bewahren des Stadtbilds und auch beim Zulassen von zeitgemäßer, anspruchsvoller und Rücksicht nehmender Architektur“, so Stadtplaner Jens de Buck.

Seit der Verordnung betreffend allgemeine Bauvorschriften aus dem Juni 2023 schaut der Gestaltungsbeirat auch darauf, dass „geschlossene historische Dachlandschaften in ihrem Erscheinungsbild grundsätzlich erhalten werden.“ Was zur Folge hat, dass „Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen nur dann errichtet werden dürfen, wenn dafür aus dem öffentlichen Raum nicht einsehbare Flächen zur Verfügung

in letzter Konsequenz auf die Frage hinauslaufen, ob die Verordnung verfassungskonform ist oder nicht. Das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verordnung keinerlei Ausnahmen vom PV-Verbot auf sichtbaren Gebäudeflächen vorsieht.

Sind Ihrer Meinung nach Einschränkungen in der Schutzzone unzulässig oder nur zu generell?

Die Verordnung stellt ein Generalverbot dar, sieht also keine Abwägungsentscheidung von unterschiedlichen Interessen vor. Das ist ungeachtet der Frage, dass ein übergeordnetes Interesse am Ausbau erneuerbarer Energien besteht, ein gravierendes Problem. Die Verordnung sagt zu PV-Anlagen vereinfacht gesagt kategorisch: „Nein!“ – weil man Klimaschutz nicht sehen darf. Das Interesse am Schutz des Ortsbildes – und dabei handelt es sich nicht um Denkmalschutz – wird über alle anderen öffentlichen Interessen gestellt. Ausnahmen davon gibt es nicht. Das ist in verfassungsrechtlichen Kategorien unsachlich und blockiert die Energiewende. Dass das Interesse am Ortsbildschutz im Jahr 2024 über alles andere geht, ist schlicht nicht mehr einzusehen.

Sollte die Installation generell genehmigt werden?

Mit effizienten Verfahren, die dem Klimaschutz einen hohen Stellenwert einräumen. Eine Generalgenehmigung ohne Prüfung ist ebenfalls nicht sinnvoll, dafür ist die Realität zu komplex. In vielen Rechtsakten der EU ist das Interesse am Erneuerbaren-Ausbau auch schon als „überragend“ festgehalten. Diesen Entwicklungen darf sich Österreich bzw. dessen Organisationseinheiten nicht verschließen. Ansonsten riskieren wir, international den Anschluss zu verlieren.

stehen.“ Diese Schutzzonenverordnung für die Stadt St. Pölten wurde im Einklang und dem Einvernehmen mit Experten und Expertinnen der Landesregierung NÖ und des Bundes, also mit dem Bundesdenkmalamt, verfasst, erklärt der Magistrat. Und macht Hoffnung: „Die allgemeinen Bestimmungen für Schutzzonen, die für alle vier Kategorien bindend sind, sollen dahingehend überarbeitet werden, dass eine Erleichterung für die Kategorie IV, die Pufferzone, angestrebt wird.“ Das wird der Familie SchmidlAmann wenig helfen, ihr Haus ist mit Schutzzone III klassifiziert, das daneben mit IV. Außerdem über-

legt die Stadt, „ortsbildverträglich PV-Anlagen“ künftig zuzulassen. „Meine geplante wäre flach und kaum sichtbar, aber das hat niemanden im Magistrat interessiert“, so die Ärztin.

„Absurde Argumentation“ Sigrid Schmidl-Amann hat jedenfalls kein Verständnis für die Vorschriften der Baubehörde. „Es ist eine absurde Idee, in einer Zeit, die sich so rasch ändert, so etwas Starres zu etablieren.“ Wir alle müssten schauen, wie die neuen Gegebenheiten sind. „Die heißesten Monate überschlagen sich, aber wir haben ein starres Schutzkonzept.“

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INITIATIV. Michaela Krömer ist Rechtsanwältin in St. Pölten.

SICHTBAR ODER UNSICHTBAR? Die PV-Anlage auf dem Gebäude der Wr. Städtischen Versicherung am Schulring, in der Schutzzone IV.

Wenn unsere Vorfahren auch so gedacht hätten, säßen wir jetzt noch in Höhlen oder mittelalterlichen Steinhütten, ohne denkmalgeschützte Barockbauten oder preisgekrönte Neuschöpfungen. Es gehe um die Menschen, die hier wohnen, die müssten geschützt werden, nicht die Gebäude – die könnten ästhetisch anspruchsvoll und trotzdem klimaadäquat gestaltet werden.

Präzedenzfall der Initiative für Klimarecht

Sigrid Schmidl-Amann hat den ablehnenden Bescheid beim Landesverwaltungsgericht angefochten, mit Unterstützung von UmweltAnwältin Michaela Krömer und dem Verein CLAW – Initiative für Klimarecht, dessen Obfrau Krömer ist. Sie ist fürs Klima schon vor den Verfassungsgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof gezogen. Für den Verein stehen die aktuellen Bauvorschriften der Stadt symbolisch für eine Gegenbewegung, die nationale und internationale Bemühungen um einen nachhaltigen Wandel zu untergraben drohen. Die pauschale Anwendung des Verbots ohne Berücksichtigung der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten setze darüber hinaus den Schutz des Ortsbildes über sämtliche andere In-

teressen, und das stehe im Konflikt mit der notwendigen Energiewende und der Bekämpfung der Klimakrise – beides wurde durch die EUsowie die Bundesgesetzgebung als überragendes öffentliches Interesse anerkannt, argumentiert CLAW. Der Verein hofft, dass die Höchstgerichte klare Richtlinien für die zukünftige Gesetzgebung in diesem Bereich setzen werden.

So geht’s weiter

Das hofft auch Sigrid SchmidlAmann und gibt nicht auf. „Wir gehen jetzt in die nächste Instanz. Repressalien fürchte ich nicht.“ Der Landesverwaltungsgerichtshof hat dann aufgrund der Beschwerde aus St. Pölten die Möglichkeit, die Prüfung der Schutzzonenverordnung beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Sigrid Schmidl-Amann ist überzeugt, dass jeder eine gewisse Eigenverantwortung hat und auch für die anderen. „Es geht um uns alle, um eine Vorbildwirkung und ums Prinzip.“ Denn Klimaschutz sollte groß gedacht werden. „Wenn wir jetzt nichts tun, dann ändert sich nichts. Wenn ich nur ans Hier und Jetzt denken kann, dann ist das ein nihilistisches Weltbild. Wir haben Verantwortung für die nächsten Generationen.“

BAU MIT BEIRAT

Anno 2018, da waren sich alle Parteien einig: Eine Schutzzone muss her, um den Bau-Wildwuchs in St. Pölten zu zivilisieren. Im selben Jahr forderte eine Gruppe von Architekten und Künstlern einen unabhängigen Gestaltungsbeirat. Heidrun Schlögl vom Architekturnetzwerk ORTE pflichtete bei: „Dieser muss dann aber das Rückgrat einer interessierten Öffentlichkeit sein.“ 2024 sind Schutzzone und Beirat installiert. Die interessierte Öffentlichkeit fragt sich jetzt allerdings: Warum ist das architektonisch empfindliche Auge von PV-Platten irritiert, nicht aber von Sonnen-blendenden Dachfenstern und blitzenden Kuppeln? Warum stört eine dunkle Solar-Anlage am Dach eines Hauses das Stadtbild, nicht aber monströse Klimaanlagen, rostige Antennen und riesige SAT-Schüsseln? Antwort gibt die städtische Bauordnung mit Schutzzonenverordnung vom Juni 2023 – diese galt vorher noch nicht. Soll also einerseits heißen: Was bis dahin gebaut und verbaut wurde, ist okay, wurscht, wie unästhetisch, hässlich, nicht mehr zeitgemäß es ist. Andererseits bedeutet das: Solarpaneele stören das einheitliche Bild der Dach-Ver(un)zierungen. Warum? Bei den beamteten Antworten blitzt immer wieder durch: „Wird schon werden. Wir denken an Änderungen.“ Und so schnell, wie die Zeit sich grad wandelt, so schnell sind wir nicht in unseren Entscheidungen. Und: „Andere machen’s auch nicht anders“. Das ist halt eine billige Ausrede, wenn die Stadtpolitik mit zeitgemäßen Regeln fortschrittlichere Wege gehen könnte. Auch so bliebe St. Pölten so schön, wie es ist. Und würde zukunftsfit.

MFG 06 24 43 KLAGE FÜRS KLIMA
KOLUMNE BEATE STEINER
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BERÜHMTER GAST.

Julian Hessenthaler brachte die IbizaAffäre ins Rollen und die Bundesregierung zu Fall. Seine Gefängnisstrafe saß er in St. Pölten ab.

NACH IB

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JULIAN HESSENTHALER

IZA KOMMT ST. PÖLTEN

Die einen schimpfen ihn einen Kriminellen, die anderen möchten ihm ein Denkmal errichten. Julian Hessenthaler hat für die Veröffentlichung des Ibiza-Videos bezahlt. Fünf Jahre nach dem Politbeben, zwei Jahre nach seiner rechtskräftigen Verurteilung erzählt er über seine Zeit in St. Pölten und wie es so weit kam.

Die Westbahn aus Wien fährt pünktlich am Bahnsteig 5 ein. Aus dem Zug steigt Julian Hessenthaler. Wir treffen ihn fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Die Aufnahmen brachten die Regierung Kurz/Strache zu Fall – und Hessenthaler nach einem großangelegten Ermittlungsverfahren vor Gericht. Seine Haftstrafe wegen Drogenhandels ist abgesessen. Doch bevor wir uns bei einem Kaffee über seine Zukunftspläne unterhalten, stehen wir am Bahnhofplatz und blicken zurück – auf seine Zeit in der St. Pöltner Justizanstalt und seinen Gerichtsprozess.

Im März 2022 wurden Sie nach sieben Verhandlungstagen im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts St. Pölten zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Wir hätten Sie heute gerne in diesem Saal fotografiert, dieses Mal aber eben nicht auf der Anklagebank, sondern vom Zuschauerbereich aus. Leider hat uns das Landesgericht das Fotografieren im Gerichtsgebäude nicht gestattet. Das wundert mich nicht, dass die mich nicht mehr dort haben wollen. Aber wir können ja vorbeispazieren?

ben. Mein Verdacht ist ja, dass sich der Staatsanwalt bei den in Frage kommenden Richtern in St. Pölten mehr Chancen ausgerechnet hat.

Aber der Zufall entscheidet, wer was verhandelt. Der Staatsanwalt ist in St. Pölten sehr gut vernetzt. Es gibt nur eine überschaubare Anzahl an in Frage kommenden Strafrichtern. Ich bin mir sicher, dass er sich wohler dabei gefühlt hat, das Verfahren hier zu führen.

Wie haben Sie den Strafprozess erlebt?

Mir war von Anfang an klar, dass ich verurteilt werde.
JULIAN HESSENTHALER

Ehrlich gesagt, mir war sehr bald klar, dass ich verurteilt werde. Das ganze Ermittlungsverfahren war darauf angelegt, dass man irgendetwas findet. Es wurde ein absurder Aufwand betrieben, um mich anklagen zu können. Dabei wurde auch völlig skrupellos gegen mein Umfeld vorgegangen. Es wurden sinnlose Ermittlungsschritte gesetzt, die nur darauf abgezielt haben, mein Umfeld und damit auch mich unter Druck zu setzen. Ich wurde ja nicht wegen des Ibiza-Videos angeklagt, man brauchte einen anderen Vorwand. Den fand man in schwachsinnigen Vorwürfen, ich hätte Drogen gehandelt.

Sie verbrachten den Großteil der Haft in dieser Justizanstalt. Hatten Sie einen Bezug zu St. Pölten? Ich glaube ich war einmal auf einer Autobahntankstelle, aber hatte sonst keine Berührungspunkte. Ich kannte St. Pölten überhaupt nicht. Als die Staatsanwaltschaft Wien beantragt hatte den Prozess nach St. Pölten zu verlegen, war ich darum auch völlig überrascht. Begründet wurde die Zuständigkeit des Landesgerichts St. Pölten damit, ich hätte auf einer Raststation in Haag Drogen überge-

Sie wurden rechtskräftig verurteilt, bestreiten den vorgeworfenen Drogenhandel aber weiterhin. Die Verurteilung baut auf zwei Belastungszeugen aus dem Drogen-Milieu, spielt aber auch im Umfeld von verdeckten Polizei-Informanten. Sie haben immer wieder betont, kein Vertrauen in die österreichischen Behörden zu haben. Hatten Sie schlechte Erfahrungen als V-Mann der Polizei gemacht? Ich habe kein Problem mit Polizistinnen und Polizisten.

TEXT: MICHAEL MÜLLNER | FOTOS: HANNAH STROBL MFG 06 24 47

ZUR ERINNERUNG: DAS IBIZA-VIDEO

Rund sieben Stunden besuchten der damalige FPÖObmann Heinz-Christian Strache und sein Klubobmann Johann Gudenus während ihres Ibiza-Urlaubs eine angeblich reiche Russin.

ZEITGESCHICHTE. Die Ibiza-Affäre, verfilmt für Sky, wirkt bis heute nach und wirft Fragen über Korruption auf.

Aber insbesondere in Bezug auf das Bundeskriminalamt habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Ich war im In- und Ausland als Sicherheitsberater tätig, habe dabei beispielsweise auf ganz legalem Weg für Auftraggeber Personen durchgecheckt, habe Informationen gesammelt und bewertet. Dafür ist ein gutes Netzwerk wichtig. Ich habe auch Berührungspunkte mit Ermittlungsbehörden gehabt und konnte vieles wahrnehmen, aber ich war kein V-Mann, also kein verdeckter Ermittler. Das wollte ich nie, weil es etwas mit einem macht. Die Welt wird nicht unbedingt besser, wenn man einen kleinen Dealer an die Polizei ausliefert. Also, das war nie meine Welt.

Es gab zwei Belastungszeugen: Slaven K. und dessen Ex-Lebensgefährtin Katarina H. Beide haben mit Drogen gehandelt und gaben an, dass ein Teil dieser Drogen von Ihnen geliefert wurde. Warum sollten die beiden Sie fälschlich belasten? Wir haben im Verfahren ganz viele Ungereimtheiten aufgezeigt, die Gerichtsprotokolle lesen sich dazu recht abenteuerlich. Slaven war ein ehemaliger Arbeitskollege. Besser gesagt, wir hatten beide unsere eigenen Projekte und Kunden, arbeiteten selbstständig. Aber wir hatten den gleichen Chef und waren so immer wieder in Kontakt. Slaven war sehr gut mit der Polizei vernetzt. Ein Anruf bei ihm hat mir oft lange Ermittlungsarbeit erspart, weil er schnell Infos liefern konnte. Also ein nützlicher Kontakt, aber keine Freundschaft in diesem Sinne.

Diese Oligarchen-Nichte gab vor, millionenschwere Investitionen in Österreich tätigen zu wollen. In einzelnen Passagen der rund siebenstündigen Aufzeichnung hört man Strache über eine mögliche Zusammenarbeit mit der Russin sinnieren. Strache wusste nicht, dass er einer Videofalle aufsaß. Er sprach über Möglichkeiten seine Partei geheim zu finanzieren und dachte darüber nach, dass ein Wahlsieg leichter möglich wäre, wenn die Russin die Kronen Zeitung kaufen würde und er sich somit redaktionellen Einfluss sichern würde. Es stand auch im Raum, dass bei einer FPÖ-Regierungsbeteiligung staatliche Aufträge an die Russin fließen würden.

Aufnahme und Veröffentlichung führten zu keinen strafrechtlichen Anklagen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war die FPÖ bereits in Regierungsverantwortung, Strache war Vizekanzler. In Folge der Veröffentlichung traten er und Gudenus zurück. Der damalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl weigerte sich aber zurückzutreten, weshalb der damalige ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz die Koalition beendete und es zu Neuwahlen kam. Aus diesen Vorfällen ergaben sich zahlreiche Verdachtslagen und Ermittlungsstränge für die Staatsanwaltschaft (CasinosCausa, Chat-Affäre, Thomas Schmid, et cetera).

Das Ganze lief so, dass ich nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2017 einen langen Urlaub in Spanien angetreten habe. Ich wusste, dass in Wien die Hölle los sein wird. Meine Befürchtung war, dass die Ermittlungsbehörden mehr Energie aufwenden würden, die Video-Macher zu finden, als die Probleme zu ermitteln, die im Video zutage treten. So kam es dann ja auch. Sie wollten unbedingt irgendwas finden, um mich als Kriminellen darzustellen.

Ihr Umfeld wurde intensiv durchleuchtet. Dabei stießen die Behörden auf Slaven und Katarina und fanden in deren Kellerabteil eine Menge Kokain. Und dann wird diese Frau, die ich nur sehr oberflächlich kannte, elf Mal von der Kriminalpolizei einvernommen. In jedem Protokoll sagt sie etwas anderes. Bis es irgendwann passt und man daraus eine Anklage mit einer Strafdrohung zimmern kann, die hoch genug ist, um auch die deutschen Behörden im Rechtshilfeweg ermitteln zu lassen. Zu der Zeit war ich nämlich schon in Berlin. Nicht untergetaucht, wie oft behauptet wird. Nein, ich habe dort normal gelebt, gearbeitet, hatte einen Anwalt. Aber die Österreicher brauchten irgendwas, damit die Deutschen meine Kommunikation überwachen und mich letztlich nach Österreich ausliefern.

Die Belastungszeugin gab in der Hauptverhandlung an, dass sie psychische Probleme habe und

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FOTO SKY DEUTSCHLAND/W&B TELEVISION/EPO FILM/PETRO DOMENIGG

zur vermeintlichen Tatzeit stark drogensüchtig war. Ihre Aussagen vor dem Gericht waren so wirr, dass man ihr nicht folgen konnte und mehrere Anläufe brauchte. Der vorsitzende Richter stellte fest, dass es erst mit einer später zugezogenen Dolmetscherin möglich war, sie halbwegs verständlich zu vernehmen. Er wunderte sich, wie die polizeilichen Einvernahmen zuvor ohne Dolmetsch überhaupt möglich waren. Aber welchen Grund hätte sie, unrichtige Beschuldigungen zu erheben? Darüber kann ich nur spekulieren. Ihre Erinnerungen sind sicher sehr zweifelhaft, das hat man ja gesehen, da war nichts strukturiert und klar. Aber vielleicht hat man ihr etwas angeboten, wenn sie mich falsch belastet.

Als Sie noch in Deutschland auf freiem Fuß waren, stand Slaven K. in Salzburg vor Gericht. In seinem Verfahren bestritt er, dass Sie einer seiner Drogenlieferanten gewesen wären und widersprach damit den Aussagen von Katarina H. Aber kaum waren Sie in Österreich in U-Haft, änderte er seine Aussage und gab vor der Polizei an, dass Sie ihm sehr wohl Kokain verkauft hätten. Welches Motiv hätte er für eine Falschbelastung?

Sein Netzwerk zu den Behörden ist sehr gut und ich bin mir sicher, es war für ihn kein Nachteil, dass er nach seinem Schuldspruch diese falschen Behauptungen gegen mich aufgestellt hat. Er hatte damals sicher das Ziel, möglichst rasch bedingt aus der Haft rauszukommen. Das hat er ja auch hinbekommen.

Ich hatte meine
Erfahrungen mit dem System. Es ging nur darum, dass sie mich einen Kriminellen nennen können.

Sie haben darauf bestanden, dass diese Mutter vom Gericht als Zeugin mittels Videoschaltung einvernommen wird. Das war offenbar ein komplexer Behördenaufwand und wirkte so, als würde man das Verfahren unnötig in die Länge ziehen. Die ganze Geschichte mit der Mutter ist mir bis heute suspekt. In allen Einvernahmen vor der Polizei und bei seinem eigenen Prozess in Salzburg sagt Slaven, dass ich ihm keine Drogen verkauft habe. Erst als er seine Fußfessel beantragt, ändert er seine Aussage in diesem Punkt und belastet mich. In meiner Verhandlung erzählt Slaven dann, er habe seine Mutter ganz kurz vor seiner eigenen Gerichtsverhandlung von der U-Haft aus angerufen um zu fragen, wie es ihr gesundheitlich geht. Dabei hat sie ihm erzählt, dass diese Männer dagewesen wären und er sich überlegen solle, was er in seinem Prozess aussagt. Auf unsere Frage hin, sagte die Mutter aus, dass Slaven sie von Wien aus angerufen habe. Wir wissen anhand der Dokumentation aber, dass der Anruf kurz vor der Verhandlung geführt wurde und da war Slaven bereits nach Salzburg überstellt. Das Gespräch hat keine zwei Minuten gedauert. Also, wenn ich erfahre, meine Mutter wird bedroht, dann dauert das Gespräch sicher länger. All diese Diskrepanzen wurden vom Gericht nicht wirklich hinterfragt und gewürdigt. Wie so vieles in diesem Verfahren.

JULIAN HESSENTHALER

In Ihrem Strafprozess wurde Slaven K. als Zeuge gehört. Er gab an, dass seine Mutter, die in Serbien lebt, bedroht wurde. Zwei unbekannte Männer hätten sie heimgesucht und ihr ausgerichtet, ihr Sohn solle sich gut überlegten, was er in Österreich vor Gericht aussagen würde. Das deutete er als Drohung in Ihrem Auftrag, darum habe er Sie in seiner Verhandlung gedeckt. Ich habe die Mutter von Slaven K. nicht bedroht oder bedrohen lassen. Aber wenn er Drogen gekauft hat, kann ich mir schon vorstellen, dass seine Dealer nicht wollten, dass er aussagt. So wie diese Bedrohung geschildert wurde, sehe ich keinen Anhaltspunkt, wieso man davon ausgeht, dass ich das beauftragt haben soll. Da gibt es sicher genug andere, denen man das gleiche Motiv unterstellen könnte. Und es ist auch unsinnig, dass diese Bedrohungslage augenblicklich wegfällt, sobald ich in U-Haft in Österreich war. Hätte ich den Willen und die Mittel gehabt, jemanden in Serbien unter Druck zu setzen, dann hätte ich diesen Druck doch erst recht nach meiner Inhaftierung auch aus dem Gefängnis heraus aufrechterhalten können.

Sprechen wir über Gert Schmidt, der auch als Zeuge in Ihrem Verfahren auftrat. Er ist Lobbyist für den Glücksspielkonzern Novomatic. Schmidt betreibt auch einen Blog und hatte es sich zum Ziel gemacht, die Ibiza-Hintermänner aufzudecken. Als man über Ihre Rolle in der Öffentlichkeit noch nichts wusste, bezahlte Schmidt 55.000 Euro an Slaven K. und einen weiteren Bekannten um an Informationen über Sie zu kommen. Später übernahm Schmidt auch die Rechtsanwaltskosten für Slaven K. für seinen Drogenprozess in Salzburg. Ihre Verteidigungslinie war, dass diese Leistungen eine mögliche Entlohnung für die Falschaussage des Slaven K. darstellen, womit auch ein Konnex zu den Mächtigen im Raum stand, die mit der Veröffentlichung des Videos so gar keine Freude hatten. In der Urteilsbegründung hielt der Vorsitzende fest, dass dieser Konnex nicht ersichtlich sei. Die Zahlungen erfolgten lange bevor bei Slaven K. überhaupt Drogen gefunden wurden. Diese Verbindung zeigt jedenfalls auf, welche Machenschaften gelaufen sind. Ich habe eine weitere Erklärung für das Verhalten von Slaven, die aber sehr komplex ist, weshalb wir das im Prozess nicht rüberbringen konnten: Slaven hatte Schmidt falsche Informationen über mich verkauft. Als Schmidt das bewusst wurde, hatte er Sla-

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IBIZA-VIDEO. Auch wenn es jede Verschwörungstheorie zerstört, es gibt keine geheimen Hintermänner oder Absichten.

ven in der Hand. Was Slaven nicht gebrauchen konnte, war ein weiterer Strafprozess wegen Betrugs. Dafür hätte aber Schmidt als Opfer in Erscheinung treten müssen, was er seltsamerweise nie gemacht hat.

Sie sehen sich als Justizopfer. Tatsächlich waren viele Prozessbeobachter erstaunt, dass die widersprüchlichen und fragwürdigen Aussagen der beiden Belastungszeugen für eine Verurteilung reichen. Haben Sie mit einem Freispruch gerechnet, zumindest im Zweifel? Mir war von Anfang an klar, dass ich verurteilt werde. Sobald ich den Richter in einer nicht öffentlichen Haftprüfung kennengelernt hatte, war mir klar, worauf es hinausläuft. Manche haben mir dann empfohlen, ich soll halt einfach meinen Mund halten, reumütig wirken und ein falsches Geständnis ablegen. Dann würde ich eine geringe Strafe bekommen und hätte bald alles hinter mir. Aber das war für mich keine Option. Ich wusste, wie das Ermittlungsverfahren gelaufen ist. Ich hatte meine Erfahrungen mit dem System. Es ging nur darum, dass sie mich einen Kriminellen nennen können.

Es verging kein Verhandlungstag ohne dass hre Verteidiger hitzige Wortgefechte mit dem vorsitzenden Richter führten. Einer der beiden, Oliver Scherbaum, meinte emotional, er sei nicht hier um die Sympathie des Richters zu erlangen. Besonders reumütig haben Sie tatsächlich nicht gewirkt.

Da ich von einem Schuldspruch ausging, entschied ich mich, dass wir hier nicht nur für dieses Gericht verhandeln, sondern auch für die Öffentlichkeit. Ich hatte kein Problem damit, dass meine Verteidiger die Widersprüche und Unglaublichkeiten im Ermittlungsverfahren und der Anklage zu Sprache bringen. Wir wollten möglichst viele Tatsachen aufzeigen.

Der Vorsitzende meinte an einem Verhandlungstag, Ihre Verteidigung würde mit Beweisanträgen das Verfahren verlängern und man müsse über eine mögliche Überhaft nachdenken. Als Beobachter konnte man das als Hinweis sehen, dass Sie selbst bei einem Schulspruch mit einer bedingten Gefängnisstrafe bald heimgehen würden, wenn es nur endlich ein Urteil gäbe. Letztlich wurden es dann aber doch dreieinhalb Jahre. Wären es nur drei gewesen, wäre eine bedingte Strafe möglich gewesen und Sie wären nach der Urteilsverkündung heimgegangen. Waren Sie zu frech?

Manche haben gemeint, du wirst sehen, nach der Urteilsverkündung gehst du heim, die U-Haft wird dir ja angerechnet. Da habe ich nur gelacht und gesagt, warten wir’s ab. Ich hatte da meine begründeten Zweifel – und so kam es dann auch. Vielen wäre es wohl egal gewesen, wie lange ich sitze, Hauptsache ich werde verurteilt. Aber im Lauf der Verhandlung hatte ich schon den Eindruck, dass es dem Vorsitzenden auch um die Strafhöhe ging. Mich würde interessieren, wie die Beratung der Laienrichter mit dem Berufsrichter abgelaufen ist. Die Schöffen haben sich im Prozess ja nie zu Wort gemeldet und ich konnte sie daher gar nicht einschätzen. Für mich war anhand der Prozessführung klar, dass mich der vorsitzende Berufsrichter verurteilen will. Nach der mündlichen Verkündung war es dann auch sehr rasch schriftlich ausgefertigt. Meiner Meinung nach war es Großteils schon geschrieben, bevor es gefällt wurde.

Die Justiz reagiert in der Regel nicht auf derartige Feststellungen und Vorwürfe, somit kann man in der Berichterstattung auch nicht deren Standpunkt darstellen. Tatsache ist: Das Urteil wurde von allen österreichischen Instanzen bestätigt. Zahlreiche Prozessbeobachter, auch aus dem Ausland, haben das Verfahren ebenso kritisiert, wie mehrere Nichtregierungsorganisationen, beispielsweise Amnesty International. Ich habe jedenfalls im März 2023 eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht. Ich will prüfen lassen, ob ich ein faires Verfahren bekommen habe. Wenn sich das Gericht inhaltlich mit dem Verfahren beschäftigt, wovon ich eigentlich ausgehe, erwarte ich mir davon schon etwas.

Nach dem Foto vorm Landesgericht schlägt Julian Hessenthaler vor: „Machen wir eine Runde um den Block?“ Gemeinsam umrunden wir das Gerichtsgebäude und die angrenzende Justizvollzugsanstalt. Hier verbrachte Hessenthaler den Großteil seiner Untersuchungs- und Strafhaft. Es ist Freitag mittags, da starten einige ins Wochenende. Freundlich grüßen ihn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JVA, diesen prominenten Insassen haben sie nicht vergessen. „Nicht schon wieder?!“, scherzt einer im Vorbeigehen. „Sicher nicht“, antwortet Hessenthaler. Wir stehen vor der Gefängnismauer. Hessenthaler erinnert sich an die Zeiten, als er hinter dieser Mauer stand.

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Wenn sie sich sicher sind, dass meine Vorwürfe falsch sind, wieso richten sie dann nicht eine Kommission ein, die alles untersucht?
JULIAN HESSENTHALER

Wie ging es Ihnen hinter diesen Mauern?

Es war natürlich unfassbar schwierig. Mir hat geholfen, dass ich versucht habe mit der Zeit vor der Haft möglichst abzuschließen. Man muss die Welt vor dem Gefängnis bis zu einem gewissen Grad vergessen. Das ist natürlich nicht nur für einen selbst sehr schwierig. Sondern auch für das Umfeld, für Familie und Freunde. Die tun sich den ganzen Aufwand an um dich zu besuchen und dann hast du eine halbe Stunde Zeit und redest durch eine Glasscheibe nur oberflächlich daher, weil du einerseits weißt, dass du natürlich abgehört wirst und sie irgendeinen Punkt suchen, mit dem sie dich psychologisch fertigmachen können, andererseits weil du für dich selber diesen Schutzpanzer anziehen musst, um das alles zu überstehen. Man darf sich nicht auf das einlassen, was draußen auf dich wartet. Am schlimmsten ist das gerade für die ganzen Väter, die draußen Familie haben. Die leiden elendig. So seltsam es klingt, es hilft, wenn man die Welt draußen ausblendet.

Sie waren verhältnismäßig lange in U-Haft.

Wird man da zum Profi?

Ich habe manche sogar zwei Mal in U-Haft kommen gesehen. Die waren wieder draußen und sind dann schon wieder gekommen. Natürlich entsteht eine gewisse Routine, aber es war keine schöne Zeit. Ich empfand meine Zeit in St. Pölten auch schwieriger, als die Zeit in Wien.

Warum?

Die Anstalt ist sehr alt, also das ist räumlich einfach eine Tatsache. Kleine Zellen, sehr hohe Fenster ohne Ausblick. Sechs Männer auf wenigen Quadratmetern, das kann nur zu Spannungen führen. In St. Pölten wird auch sehr strikt auf die Einhaltung aller möglichen Regeln geachtet, das ist mir im Vergleich zu Wien stark aufgefallen. Es gibt ja nicht für alle Insassen die Möglichkeit zu arbeiten. Wer nicht arbeitet, der ist 23 Stunden am Tag in der Zelle. Wenn du dich dann in dieser einen Stunde an der frischen Luft beim Hofrundgang an die Wand lehnst und den Fuß gegen die Wand stellst, dann gibt es dafür eine Strafe. Das sind dann tatsächlich so eine Art von Strafzetteln, die verteilt werden. Ich hatte in Wien die Aufgabe in meinem Stock diese Zettel an die Insassen auszuteilen. Darum hatte ich einen guten Überblick, wer wegen welcher Kleinigkeit abgestraft wurde. Es gibt auch eigene Zellen, wenn sich jemand schlecht benommen hat. Da wird man dann im Keller in Einzelhaft genommen. In St. Pölten gibt es tatsächlich lange Wartelisten, bis wieder was frei wird und man dann dort seine Strafe antreten kann.

Wie ist der menschliche Umgang in einer Justizanstalt?

Naja, man sieht natürlich Grüppchenbildungen. In der einen Ecke tratschen die ganzen Dealer. In der anderen stehen die ganzen Einbrecher. Schwierig ist es natürlich auch für die Bediensteten, das ist alles andere als ein leichter Job.

Einige Leute haben Sie vorhin freundlich gegrüßt?

Ja, klar, wir sind alle Menschen. Es gibt immer solche und solche. Ich habe den Eindruck es gibt im Prinzip drei Typen von Bediensteten. Die einen sind hauptsächlich deswegen da, weil sie hier Macht ausüben können, bei denen kann schon mal auch etwas Sadismus mitschwingen. Dann gibt es jene, die einfach komplett resigniert haben, die sagen dir auch ganz trocken ins Gesicht, dass sie wissen, dass das System kaputt ist, aber denen geht einfach alles am Arsch vorbeigeht und sie sehen ihre Tätigkeit einfach als gutbezahlten Job. Und dann gibt es da noch meistens recht junge Beamte mit einem großen Engagement – aber da fiel mir oft auf, dass diese nach einem Jahr ständig nach Alkohol riechen, weil sie den Job sonst scheinbar nicht mehr packen würden.

ES WAR KEINE SCHÖNE ZEIT. Wer beim Hofrundgang den Fuß gegen die Wand lehnt, bekommt einen Strafzettel. Es hilft, die Welt draußen möglichst auszublenden.

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NACH IBIZA KOMMT ST. PÖLTEN

Hat man Sie schlecht behandelt?

Ich hatte sicher einen besonderen Status, gerade zu Beginn hatten sie bestimmt Angst um mich. Das hätte ihnen noch gefehlt, wenn mir im Gefängnis was passiert wäre. Es gab sogar mal Besuch von der Volksanwaltschaft, da standen auch alle ganz angespannt in der Nähe und haben zugehört, was ich denen erzähle. Wenn man so lange dort ist, bekommt man genug mit. Ich hatte das Glück, dass ich in der Anstalt arbeiten konnte und somit etwas Abwechslung hatte. Irgendwann habe ich mitbekommen, dass mein Vorgesetzter am Arbeitsplatz ein FPÖPersonalvertreter war. Ich habe ihn dann gefragt, warum er mich überhaupt in seinen Betrieb geholt hat, er hätte mich ja auch leicht ablehnen können. Aber das war ihm egal, da konnte er schon differenzieren.

Scheinbar haben Sie sich nicht so schlecht benommen, sonst hätte Ihnen die Anstalt wohl keine Fußfessel genehmigt. Es war absehbar, wann ich bedingt entlassen werde. Ich hätte sagen können, die sechs Wochen warte ich noch ab, da zahlt sich der Aufwand für die Fußfessel gar nicht aus. Aber ich war mir nicht sicher, ob die bedingte Entlassung durchgeht und dann hätte ich zumindest als Plan B die Fußfessel gehabt. Demnach stand der ganze Aufwand schon dafür. Ich musste dafür einen Job und eine Wohnung für mich auftreiben. In St. Pölten haben alle Firmen abgewunken, sie hatten Angst vor Nachteilen im Umgang mit Behörden, wenn sie mich beschäftigen würden. Auch eine Wohnung zu finden, war gar nicht einfach. Letztlich musste meine Mutter eine Wohnung mieten unter dem Vorwand, dass ihr Sohn ein paar Monate auf Praktikum in St. Pölten sein würde. Naja, es war ja nicht ganz falsch. Ich habe dann in dieser Zeit am Kremserberg gewohnt und bin zum Arbeiten nach Wien gependelt. Es wird genau vorgegeben, wann man wo sein darf. Spontanität gibt es nicht. Auch die Einkäufe sind genau vorgegeben, ich musste auf die Minute genau planen, wann welcher Bus zum Traisenpark und wieder retour fährt, damit ich meine Besorgungen machen kann. Und wenn man einen geplanten Freigang mit der Fußfessel hat, dann ist das wirklich ein Freigang, also im Freien, da darf man nicht sagen, so jetzt setze ich mich in ein Kaffeehaus. So gesehen war ich froh, als die sechs Wochen vorbei waren.

Mittlerweile sind wir in der Innenstadt angekommen. Wir sprechen kurz über den oft menschenleeren Domplatz, die Entwicklung St. Pöltens rund um das Kul-

ZUR AKTE:

JULIAN HESSENTHALER

Julian Hessenthaler wurde 1980 in Wien geboren. Er war als Sicherheitsberater in Österreich und im Ausland tätig, in München betrieb er selbstständig eine Sicherheitsberatungsagentur.

Nach der Veröffentlichung des Videos, das die IbizaAffäre im Mai 2019 auslöste, wurde gegen Hessenthaler als Organisator und Produzent des Videos ermittelt. Vorwürfe des Drogenhandels führten im Dezember 2020 zur Auslieferung von Deutschland nach Österreich. Von September 2021 bis März 2022 wurde am Landesgericht St. Pölten verhandelt, wegen des Besitzes eines gefälschten Führerscheins und Drogenhandels wurde er zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Im März 2023 wurde er bedingt entlassen.

Er arbeitet in Wien zum Thema Open-Source-Intelligence (OSINT), unter anderem in einem Research Lab an der Universität für Angewandte Kunst.

Ich bin besorgt, was die nächste Wahl bringt. Es gibt genügend Menschen, die mit mir eine Rechnung offen haben.
JULIAN HESSENTHALER
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turjahr 2024. Dann wird es Zeit für einen Kaffee am Herrenplatz. Vereinzelt schauen Passanten genau und überlegen, ob sie richtig sehen. Manche sehen wohl einen verurteilten Drogendealer, der ihren Polit-Idolen eine Falle stellte. Andere sehen einen Helden der Zivilgesellschaft, der korruptes Verhalten von Mächtigen dingfest gemacht hat und an dem deshalb ein Exempel statuiert wurde – nicht zuletzt um zukünftige Whistleblower einzuschüchtern.

Die Veröffentlichung des Ibiza-Videos ist nun fünf Jahre her, im Herbst wird gewählt.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich bin besorgt, was die nächste Wahl bringt. Es gibt genügend Menschen, die mit mir eine Rechnung offen haben. Man wird sehen, wie sich alles entwickelt. Aber an sich geht es mir gut. Ich habe einen Job und ich habe gute Perspektiven für mein weiteres Leben.

Mit Ihrer Videofalle auf Ibiza wollten Sie den Beweis erbringen, dass Strache empfänglich ist für korruptes Verhalten. Erzählen Sie uns nochmals kurz, wie es dazu kam?

Ganz kurz erzählt: Ein Freund von mir ist Rechtsanwalt. Einer seiner Mandanten war ein enger Mitarbeiter von Heinz-Christian Strache. Er hatte belastendes Material über Strache, aber die Polizei hat auf dieser Grundlage nicht ermittelt. Wir wollten deshalb mit den Treffen in Wien und später in Ibiza einen Videobeweis für Straches Verhalten erzeugen. Mein Job war es, diesen Videobeweis zu bringen. Anfangs war das ein Job, mit der Zeit gewann ich auch die Überzeugung, dass das für unsere Gesellschaft ein wichtiger Beitrag ist, dass es nötig ist, dass solche Dinge an die Öffentlichkeit kommen.

Es wird immer wieder spekuliert, dass es darüber hinaus noch Motive oder Auftraggeber gibt. Auch in Ihrer Verhandlung wurde versucht nach-zuweisen, dass Sie finanzielle Probleme hätten und Geldnot einerseits ein Motiv für das Ibiza-Video gewesen sein könnte, andererseits für die behaupteten Drogendelikte. Auch wenn es jede Verschwörungstheorie zerstört, es gibt keine geheimen Hintermänner oder Absichten. Wir haben das Video auch nicht verkauft. Es stimmt, dass der Rechtsanwalt eine Zeit lang versucht hat, im Gegenzug für das Video auch Geld zu lukrieren, aber nicht für ihn oder für mich, sondern um einen Fonds zu speisen, aus dem man Anwaltskosten oder auch eine Art Rente zahlen könnte, für den möglichen Whistleblower. Es stand ja im Raum, dass der Vertraute von Strache letztlich doch auspackt und zur Polizei geht. Dann wäre er wohl seinen Job bei der FPÖ losgewesen und dafür hätte man ihn mit diesem Fonds etwas absichern können. Ich hatte bis zur Veröffentlichung des Ibiza-Videos und der dann erfolgten Verfolgung durch die Behörden keine gröberen finanziellen Probleme. Und auch der Rechtsanwalt hatte

sicher keinerlei finanzielles Motiv, das Video zu Geld zu machen, es geht ihm finanziell nicht schlecht.

Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu diesem Anwalt? Während meiner Haft hatten wir lange keinen Kontakt. Das war auch bewusst meine Entscheidung, dass ich ihn sozusagen aus der Schusslinie nehmen wollte. Teilweise hatten wir im Verlauf des Projektes unterschiedliche Meinungen, aber die sind alle geklärt. Wir sind Freunde und haben ein sehr gutes Verhältnis.

Was waren das für Differenzen?

Ich wollte das Video unbedingt vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2019 veröffentlichen, einfach weil ich das als ganz wichtigen Beleg fand, wie Populisten wirklich sind. Er war der Meinung, wir sollten noch ein paar Monate warten, weil dann auch sämtliche ohnehin nicht veröffentlichten Videos, die wir in Wien aufgenommen hatten, verjährt gewesen wären. Das wäre sozusagen aus juristischer Perspektive eine weitere Absicherung gewesen, dass gegen uns keine Ermittlungen möglich gewesen wären. Im Rückblick nicht ganz unrichtig.

Die Ibiza-Affäre wurde als vierteilige Fernsehserie verfilmt. Waren Sie mit der Darstellung

Ihrer Person durch Nicholas Ofczarek zufrieden?

Man wusste ja nichts über mich und es ging nicht darum, meine Person authentisch widerzugeben. Es ging darum zu zeigen, was das Video zeigt und wieso es so ungemein wichtig war, dass es veröffentlicht wurde. Ich kannte aber natürlich auch das Drehbuch und war mit der Veröffentlichung einverstanden.

Wird es eine zweite Staffel geben?

Die Geschehnisse rund um Ihren Gerichtsprozess würden ja genug Material hergeben. Konkret ist nichts geplant. Ich bin immer wieder mal mit Leuten im Gespräch und kann mir schon gut vorstellen, dass eines Tages das richtige Projekt entsteht. Aber vorerst habe ich andere Wünsche.

Was wären das für Wünsche?

Ich habe in meinem Gerichtsprozess, aber auch danach immer wieder klar artikuliert, was ich als falsch und hoch problematisch erlebt habe. Viele Experten und Beobachter teilen diese Einschätzung. Und dennoch gibt es nicht mal im Ansatz den Versuch, das Ganze aufzuarbeiten. Ich verstehe das wirklich nicht. Wenn sie sich sicher sind, dass meine Vorwürfe falsch sind, wieso richten sie dann nicht eine Kommission ein, die alles untersucht und transparent darlegt, dass alles seine Richtigkeit hat? Und wenn man bemerkt, dass etwas falsch gelaufen ist, dass die Energie in die falsche Richtung kanalisiert wurde und dass Beamte mit falschen Motiven agiert haben, wieso hat man dann in diesem Land nicht die nötige Fehlerkultur um daraus zu lernen und besser zu werden?

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WAS BLEIBT

Dass es die Menschen sind, die die Qualität einer Stadt ausmachen, ist eine Binsenweisheit. Und wie bei (fast) jeder Binsenweisheit steckt da sehr viel Wahrheit drin. Es gibt Menschen, auf die man sich freut, lenkt man seine Schritte etwa in die St. Pöltner Innenstadt. Und da gibt es eben jene, über die freut man sich ganz besonders, wenn man sie trifft. Das sind selten die lautesten und nie die Wichtigtuer, die ihrerseits ja der Meinung sind, die Stadt wäre allein durch ihre pure Anwesenheit erst so richtig interessant. Ich meine jene Zeitgenossinnen und -genossen, die freundlich, ja, herzlich, und ohne kindische Allüren „einfach da sind“. Neben denen man gerne Platz nimmt; und plötzlich entsteht ein gutes Gespräch, in dem es nicht darum geht, dem Gegenüber die Welt ausschließlich von der eigenen EgoWarte aus zu erklären. Wo man sich im besten Sinne aufeinander einlässt, sei es beim unverbindlichen Small Talk oder beim tiefgründigen Philosophieren.

Einer von diesen, neben denen man gerne Platz nimmt, ist vor Kurzem völlig unvermutet gestorben: Die meisten von uns kannten ihn als Harry. Weiße, mittellange Haare, begeisterter Wanderer, KaffeehausZeitungsleser, toller Gesprächspartner und unersetzlicher Teil einer menschlichen Stadtgeographie. Sein voller Name war Harald Höllriegel, geboren am 25. 6. 1956, verstorben am 8. 5. 2024.

Klar: Das Stadtleben geht weiter. Aber da ist eine Leerstelle, die auch unwiederbringlich leer bleibt. Nur in unserer Erinnerung dürfen wir nach wie vor neben Harry Platz nehmen. Und einfach da sein.

THEATER ALS URZELLE DER DEMOKRATIE

Das Landestheater Niederösterreich bleibt politisch und versteht sich institutionell als „Urzelle der Demokratie“. Das ist wichtig, wenngleich man sich bei einer Landeskultureinrichtung zusehends mit Unbehagen fragt, wie lange dieser Kurs bei einer zeitgleich politischen Landesregierung, in der manche Kräfte von der illiberalen Demokratie eines Viktor Orbans träumen, die die Kunst an die Kandare nehmen möchte, noch hält. Aber es geht sich (noch) aus. Und solange diese Frei­

heit der Kunst gewährt bleibt, können wir vermeintlich durchatmen, wenngleich das Landestheater – weil es intuitiv die lauernden Gefahren wahrnimmt – genau deshalb unsere Sinne gegenüber allen demokratiefeindlichen Kräften des Autoritären schärfen will. Letztlich läuft es gesellschaftlich nämlich auf eine einfache, aber schicksalhafte Generalfrage hinaus, wie sie die künstlerische Leiterin Marie Rötzer formuliert: „Wollen wir wirklich die schwer erkämpfte Freiheit so leichtfertig abgeben?“

VON STEINEN UND BEINEN

Z ehn Jahre wurde am Domplatz gegraben, nun hat Stadtarchäologe Ronald Risy im Stadtmuseum St. Pölten mit „Von Steinen und Beinen“ eine aufsehenerregende Ausstellung darüber zusammengestellt. Zum einen widmet man sich den aufgedeckten Mauerresten, etwa einem bislang unbekannten römischen Verwaltungspalast sowie den ehemaligen Kirchenbauten am Platz (die ab August auch via 3D Brille am Platz direkt auferstehen und begehbar sein werden!). Zum anderen steht der ehemalige Stadtfriedhof dort – nicht weniger als 22.000 Skelette (!) wurden freigelegt – im Zentrum sowie die da­

raus gezogenen Forschungserkenntnisse über Leben, Riten und Krankheiten. So konnte etwa nachgewiesen werden, dass die Syphilis nicht aus der Neuen Welt kam, sondern bereits vor Columbus in Europa existierte. Eine spannende Reise zurück in die Welt unserer Ahnen.

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STOCK, ALEXI PELEKANOS, 7REASONS/WIEN
ADOBE

HAUFENWEISE!

Ein Aktionismus, den (fast) niemand mitbekommen hat.

Samstag, 23. März 2024, ein paar Minuten nach 11: Auf dem Domplatz findet, wie üblich, der Wochenmarkt statt, um die so genannte skulpturale Intervention (was für ein Wort!) „Ein Bad für Florian“ herum tummeln sich Kinder, die Sonne scheint und es ist beinahe frühsommerlich warm. Plötzlich tauchen zwei kostümierte Gestalten auf, die die Älteren unter uns als Waldorf und Statler, ewig grantelnde Figuren aus der TV-Serie „Die Muppets“, identifizieren. Sie setzen tänzelnd eine nach oben spitz zulaufende Holz-Glaskonstruktion ab, in der sich ein bunter Haufen befindet, der seiner Form nach durchaus einem ausgiebigen Kackhaufen entspricht. Dazu wird eine Tafel an eins der „Florian“-Elemente angelehnt, ohne dass jedoch irgendetwas beschädigt wird oder gar an Vandalismus gemahnt. Auf besagter Tafel, die auf eine „Sekante St. Pölten“ hinweist und sich offenbar als pop-up plug-in art versteht, ist u.a. in verschiedenen Sprachen, darunter auch auf Deutsch, zu lesen: „Was

Dung war, wird Dung bleiben!“ Ein paar der Anwesenden staunen, einige machen Fotos – dann ist der Spuk vorbei.

Dass es sich also um eine Aktion von Menschen handelt, die in den nicht nur kulturpolitischen Vorgängen der Stadt St. Pölten, allen voran jenen der Tangente, offenkundig keine Bereicherung der Stadt sehen, ist evident. „Es sollte ein Kontrapunkt zu all dem sein, was in St. Pölten zum Himmel stinkt“, sollte einer der kostümierten Protagonisten im Anschluss daran im Hinblick auf den hinterlassenen Haufen sagen. Von hohlem Bobo-Geschwätz ist da die Rede: „Re-Directing Distancies“ (der Bewerbungs-Slogan um die Kulturhauptstadt) – ein mediokres Englisch reiche halt nicht und sei an pseudo-intellektueller Einfalt schwer zu überbieten. Und der nicht nur von der Tangente gebetsmühlenartige Begriff „divers“ sei laut Waldorf sowieso ein Pejorativ geworden. „Doch wir, Waldorf und Statler, hoffen inständig, dass aus diesem dargebrachten Dung et-

was wirklich Fruchtbares entstehen könnte.“ G’spaßigerweise blieben die zurückgelassenen Artefakte (Tafel und Kackhaufen) dieser GuerillaIntervention wochenlang unberührt. Vielleicht nahmen manche Sankt Pöltner das Ganze sogar als Teil des offiziellen, von der Stadt gut bezahlten Kunstwerks wahr; und den Meisten wird’s wahrscheinlich wurscht gewesen sein. In Summe ist die großteils achselzuckende Hinnahme des „Florian“ durch die Bevölkerung der Gleichgültigkeit gegenüber so mancher Kunst im öffentlichen Raum zu verdanken, von wem auch immer diese gestaltet wurde.

Vor Pfingsten gab es dann noch eine nächtliche Neuauflage der Aktion – diesmal war man mit dem amtlichen Wegräumen etwas rascher. Der Impact auf die Stadt war jedoch in jeder Hinsicht endenwollend. Schade eigentlich: Denn auch eine ablehnende, zudem nicht unoriginelle Reaktion ist immer noch besser als gar keine.

Auf Youtube: „Waldorf & Statler beschenken Florian - STP 2024“

TEXT: THOMAS FRÖHLICH | FOTO: GERHARD HALLSTATT MFG 06 24 55

EXPEDITION NACH ST. PÖLTEN

Man mag zur „Tangente“ stehen wie man will, sie bescherte der Stadt rund um die Eröffnung jedenfalls Aufmerksamkeit und bewog manch Wiener Redaktion, ihre Journalisten in die vermeintliche Provinz zum Lokalaugenschein zu schicken. Auch ehemalige St. Pöltner besuchten neugierig die Heimat. Wir baten fünf dieser „Reisenden“, ihre Eindrücke von der Stadt und dem Festival wiederzugeben. Eine externe Bestandsaufnahme, oder, wie es Jonas Vogt von „DIE ZEIT“ formulierte: „Ein Blick von außen auf St. Pölten zum Point in time.“

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Matthias Dusini, FALTER

Meinen St. Pölten-Moment hatte ich auf dem Weg vom Zentrum in den Sonnenpark. Eigentlich hatte ich meine Recherchen zu dem Festival Tangente bereits abgeschlossen, fuhr dann aber doch noch einmal von Wien in die niederösterreichische Hauptstadt. Vorzeitig verließ ich die Eröffnung der frisch renovierten Synagoge und spazierte in den Süden, wo es, wie es hieß, ein alternatives Kulturzentrum gibt. Dabei fiel mir die lockere Bebauung auf, die selbst in der Nähe des Zentrums vorherrscht. Die Überraschung kam dann im Sonnenpark, der mir wie das Ideal eines zeitgenössischen Parks erschien: ein Biotop für Vögel, Amphibien und Insekten, von den Anrainern zum Garteln genutzt. An einem solchen Ort lässt es sich doch gut leben.

Ich bin in einer Südtiroler Stadt, Meran, aufgewachsen, die etwas kleiner ist als St. Pölten, aber kulturell ähnliche Vorzüge hat. Es gibt einmal alles: ein Theater, ein Programmkino, ein Jugendzentrum und einen Konzertsaal. Als Jugendlicher habe ich mich für Film und Literatur interessiert und saß manchmal mit ein paar Freunden allein in einem Pasolini-Film oder einer Dichterlesung. Dass bei der Kulturförderung der Underground zu kurz kam, versteht sich von selbst. Der Hass auf den Kleinstadtmief ging einher mit der Sehnsucht nach dem wahren Leben in Berlin oder London. St. Pölten deckt heute das ganze Spektrum ab – vom Festspielhaus mit internationalen Tanzproduktionen bis zur Subkultur im Sonnenpark.

Auch die Themen, die in der Stadt diskutiert werden, erinnern mich an früher. Scheinbar nebensächliche Anlässe führen zu jahrelangen Diskussionen. So wird in St. Pölten über den Domplatz gestritten. Geschäftsleute sind dagegen, dass er autofrei wird.

Wo parken dann die Kunden? Ökologisch interessierte Bürgerinnen und Bürger bemängeln bei der Neugestaltung das Fehlen von Bäumen. Und dann noch Fragen der Archäologie. Soll man die Reste der Vergangenheit zugänglich machen oder zudecken? Auch wenn solche Auseinandersetzungen provinziell wirken. Die Emotionen zeigen doch, dass hier Menschen über grundsätzliche Themen ihrer Stadt streiten – über Natur, Mobilität und Geschichte.

Was ich in meinen Gesprächen mit Einwohnerinnen und Einwohnern immer wieder hörte, sind Adjektive wie „undefiniert“ oder „profillos“. Gewöhnlich verwendet man solche Ausdrücke, um Shopping Malls, Parkplätze oder Autobahnen zu beschreiben. In dem von Touristen überrannten Meran hätte ich mir etwas mehr Nicht-Ort, wie der französische Autor Marc Augé solche Plätze dazwischen nennt, gewünscht. Wir trafen uns als Teenager gern im Espresso einer Indoor-Kegelbahn, um dem Übermaß idyllischer Motive, den Blicken auf Berge und Palmen zu entkommen. Und lasen bei Peter Handke, welche Poesie Hinterhöfe und Eisenbahnunterführungen besitzen. St. Pölten wirkt wie eine Stadt, die nicht zu Ende erzählt ist – die offen für neue Interpretationen bleibt. Zu nebensächlich für eine Landeshauptstadt, politisch eine rote Insel in einem schwarzen Meer, muss St. Pölten immer neue Behauptungen über sich aufstellen.

Stefan Weiss, Der Standard

Als gebürtiger Kremser ist man selbst in den Neunzigerjahren noch mit dem bösen Klischee aufgewachsen, dass St. Pölten eine Stadt ist, um die man besser einen weiten Bogen macht. Nicht nur, weil diese angebliche Landeshauptstadt einem schon beim Vorbeifahren wegen der damals dort befindlichen Glanzstoff-Fabrik ungut in die Nase stieg, verrufen war „Saunkt Bötn“ auch wegen unsinniger Eigenheiten wie dem mehrspurigen Kreisverkehr und anderer KfzSchikanen. Daran konnte auch nichts ändern, dass man mich zur Bundesheer-Führerscheinausbildung ausgerechnet dorthin abkommandierte. Auch kulturell war St. Pölten für Leute aus dem Kremser Einzugsgebiet ein Nicht-Ort. Blasmusikaufmärsche im neu entstehenden Regierungsviertel waren das höchste der Gefühle. Die unbequeme Wahrheit aber: Jugendkultur gab es drüben in Pölten immer schon mehr als in Krems. Ja, die Szene galt zwar als prollig, ein bisserl „tiaf“, viel Hip-Hop und Gangsterstyle, im Rückblick betrachtet war das sich snobistisch bürgerlich und „besser“ gebende Krems aber vergleichsweise uninspiriert, lebte vor allem vom

FOTOS: ROMEO FELSENREICH, KATHARINA GOSSOW, JOHANNES REICHL, NIKOLAUS OSTERMANN, ZVG/PRIVAT MFG 06 24 57

Vorteil, eine große Schulstadt zu sein. Zeitgleich mit den kulturpolitischen Anstrengungen des Landes Niederösterreich, nicht nur Krems, sondern vor allem auch St. Pölten planmäßig aufzuwerten, zog mit dem FrequencyFestival auch Österreichs größtes Popfestival dorthin. Seither geht es, wie mir scheint, mit dem kulturellen Ruf der Stadt bergauf. VAZ, Bühne im Hof, Festspielhaus, Landesmuseum, Parque-del-Sol-Festival im Sonnenpark – all das hat sich gut etabliert und spricht ein vielfältiges Publikum an, von Boomer bis Gen-Z, von Hoch- über Mainstream- bis Subkultur. Die immer kürzer werdende Zugverbindung nach Wien motiviert mittlerweile sogar mir bekannte g’standene Kremser, laut über einen Umzug nachzudenken. „Why not!?, heißt es plötzlich aus Mündern, die früher „bist deppert?!“ gesagt hätten. Um die unbelohnte Kulturhauptstadt-Bewerbung, die die Entwicklung der letzten Jahre gekrönt hätte, tut es mir ehrlich leid, gerade St. Pöltens spannende Stadtgeschichte hätte eigentlich mehr Bühne verdient. Die Tangente ist als Ersatzprogramm gut gemeint, krankt aber aus meiner Sicht am selben Problem, an dem die Hauptstadt-Bewerbung scheiterte: Zu viel wird „von oben“ mit importiertem Kulturmanagement-Knowhow und generalplanerisch eingesetzten LandeshauptfrauMillionen übergestülpt, zu wenig kommt „von unten“

aus der Bevölkerung und den sich entwickelnden Szenen selbst heraus. Am sinnvollen Zusammenspiel zwischen Land, Stadt und lokalen Initiativen müssen aber auch Städte wie Linz und Graz arbeiten, Krems sowieso. St. Pölten ist zu seinem Imagewandel zu gratulieren, die Stadt möge erblühen und viele (junge) Menschen anziehen, die dort eine lebenswerte und leistbare Zukunft sehen. Mich kriegt ihr (vorerst) zwar nicht. Ich mache aber auch lange schon keinen Bogen mehr um die Stadt, nicht einmal um den Kreisverkehr.

Dietmar „Hasi“ Haslinger, Weltenklang

Als ehemaliger Mit-Erfinder, Produzent und Co-Programmchef des St.Pöltner Höfefests (1993-2003) und als Durchführender von über 4.000 Konzerten in Europa als Musik-Agent wage ich behaupten zu können, ein gewisses Knowhow in Sachen Kulturveranstaltungen zu besitzen. Dieser Erfahrungsschatz hätte in Verbindung mit einigen anderen Schatztruhen heimischer Kulturpioniere wunderherrlich für die Ausrichtung eines stilvollen Mehrspartenfestivals im alten Stile Genüge getan, garantiert Tausendschaften an glücklichen Besuchern erfreut und mit der Hälfte des nun in den Wind geföhnten Budgets der „Tangente” umgesetzt werden können. Aus einer Trotzreaktion nach dem Kulturhauptstadt-Waterloo wurde aber mit Muss die „Tangente”, ein „Festival für Gegenwartskultur” aus dem Boden gestampft (welches St.Pölten ja mit dem Donaufestival quasi in Riechweite ohnehin vor der Türe hat), das gerade mal eine handverlesene KulturElite an Besucherinnen und Besuchern nach Aelium Cetium lockt.

Dass man ein mit knapp 30 Millionen Euro subventioniertes Festival und Kulturjahr künstlich aufbläst, weil man nicht das Rückgrat hatte zu sagen: „Ok, Bewerbung für Europäische Kulturhauptstadt nicht gewonnen, somit Gratulation an Bad Ischl, und schauen wir doch jetzt mal, was unsere eige-

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nen Kultur-Schaffenden vor Ort vielleicht brauchen könnten”, ist eine Sache, dass man dann aber diese vielen Millionen schändlich verheizt und eben genau diese lokalen Kulturarbeiter überhaupt nicht zum Zuge kommen lässt, sondern wiederum aus der weiten Ferne völlig ortsfremde „Kulturerfinder” holt, abgetackelte Produktionen der Wiener Festwochen zur Aufführung bringt und auch sonst sehr viel Rauch um Nichts erzeugt, ist beklagenswert und sehr weit weg entfernt von volksnah.

Aus der Distanz meiner neuen Heimat im Bezirk Baden betrachte ich nach wie vor die Entwicklungen in St. Pölten, wo ich 58 Jahre gelebt habe, kritisch liebevoll und komme auch regelmäßig an die Traisen. So auch am 16. Mai. Mit völligem Unverständnis nahm ich an diesem Tag einmal mehr die neuen, „von Autos befreiten” (und somit auch von Innenstadt-Kunden/-Frequenzbringern befreiten) Flächen rund um die Promenade und Linzerstraße wahr. Wie schon bei meinen vorigen Besuchen bewegte sich dort genau niemand, und das, obwohl in Mitte der

Thomas Winkelmüller, DATUM

Laut dem Chefredakteur dieses Magazins bin ich in St. Pölten ein „Auswärtiger mit indigener Sozialisierung“. Das ist lustig, weil es gleich doppelt stimmt. Ich habe einen Großteil meiner Jugend hier verbracht, lebe aber schon seit circa sechs Jahren in Wien. Außerdem stamme ich aus Pottenbrunn und obwohl ich mich in der Bundeshauptstadt als St. Pöltner zu erkennen gebe: Daheim bin ich Pottenbrunner.

Meine Identität bietet mir nun den Vorteil, St. Pölten zu kennen, es aber genug vergessen zu haben, um beim Spazieren durch die Innenstadt meine alte Heimat neu zu entdecken.

Spontan schießt mir da der Second-Hand-Shop der Caritas in der Brunngasse in den Kopf. Der liegt eingeklemmt zwischen Mariazeller Straße und Bahnhof. Wahrlich kein schönes Eck der Stadt, ich finde es aber gut. Dort gibt es Burberry Sakkos und Yves Saint Laurent Hemden wie in Wiener Vintage-Boutiquen – aber deutlich billiger, weil nicht gentrifiziert. Ein Geheimtipp und gute Alternative zu überteuerten Pop-Up-Kilo-Stores in den hippen Bezirken der Bundeshauptstadt.

Auch dem Wiener Angebot überlegen: Der Sonnenpark in Spratzern. Er ist dichter begrünt als die Wiener Gärten und damit eher geeignet, um (theoretisch) heimlich zu kiffen und gleichzeitig besser erreichbar als die verwachsenen Teile der Donauinsel. Man kann dort aber genauso baden, feiern und im Zweifelsfall schlafen. Habe ich gehört.

Während ich so schreibe, fällt mir nichts mehr ein, was konkret an St. Pölten besser sein sollte als an

Linzerstraße im Löwenhof ja das Herzstück der aktuell stattfindenden „Tangente“ liegt, wo eigentlich das Leben pulsieren müsste. Liegt vielleicht aber an der skurrilen Idee den historischen Löwenhof in einen Löwinnenhof umzutaufen.

Beim langen Rundgang durch die Innenstadt konnte ich auch fast keine Frequenz wahrnehmen, dafür neue Leerstände und bevorstehende Geschäftsschließungen. Und in auch noch so kleine Grundstücke werden Wohnzwinger um Wohnzwinger betoniert (Tragödie Karmeliterhof! Tragödie Jahnstraße!). Nur beim Bauen scheint es ein sichtbares Wachstum zu geben – doch wohin will man wachsen. Und warum und für wen? St. Pölten verkommt zu einer hässlichen, völlig verbauten und versiegelten Schlafstadt. Selbst Kleinststädte wie Ried im Innkreis (13.000 EW) oder Eisenstadt (15.000 EW) haben mittlerweile einen interessanteren Branchenmix! Wie man sich dabei mantramäßig immer noch selbst beweihräuchern kann, ist mir völlig rätselhaft. Wer weckt diese Geister endlich auf?

Wien. Vielleicht muss es das auch gar nicht. St. Pölten braucht nicht mit Wien mithalten, sondern nur 20 Minuten mit dem Zug entfernt liegen und das tut es. All das mag jetzt sehr oberflächlich klingen und so war es bis vor kurzem auch meine Beziehung zu St. Pölten bestellt. Bis mein Vater diesen März mehr oder weniger überraschend verstarb. Seitdem bin ich wieder öfter in St. Pölten, wodurch mir nun auch ein trauriges Privileg bewusst wird: Vielleicht gehört mir das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, eher frü-

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EXPEDITION ST. PÖLTEN

her als später. Meine Mutter und ich gehen seitdem durch die Zimmer und erstellen Listen. Wann müsste ich das Dach neu machen lassen, wo verläuft welche Wasserleitung, wie funktionieren unsere Gartenroboter. Mich schmerzt das aus offensichtlichen Gründen. Und es zwingt mich, mir die Frage zu stellen, ob ich im Zweifelsfall einmal nach St. Pölten zurückkehren möchte oder in Wien bleiben werde.

Als ich unlängst übers Wochenende wieder bei meiner Mutter war, kam ich der Antwort ein Stückchen näher. Meine Freundin und ich machten ein paar Erledigungen in der Stadt. Einkauf beim Dehner, Hallo sagen zur Familie, Besuch beim CaritasShop. Wir saßen danach in unserem roten, mit Dellen geschmückten Peugeot und fuhren die Maria-

zeller Straße entlang. Als wir bei einer Ampel hielten, schaute sie länger aus dem Fenster. Da war ein Autohaus, noch ein Autohaus, eine alte Tankstelle. Alles, was an St. Pölten hässlich und uninteressant sein kann, war es in diesem Moment auch. Und dann sagt sie: „Ich fühl mich echt wohl hier.“

Mit der Zeit verstehe ich sie immer besser, auch wenn ich nicht weiß, warum. St. Pölten war für mich immer ein alter Freund, den ich nach ein paar Jahren wiedersehe – inklusive der unangenehmen Stille am Anfang eines durch Zufall erzwungenen Gesprächs. Als ich aber an der Kreuzung in diesem Meer aus Beton stand, wurde St. Pölten zu einem Freund, den ich nach ein paar Jahren wiedersehe und in Zukunft öfter treffen könnte. Es würde mich nicht stören.

Jonas Vogt, DIE ZEIT Österreich / Der Standard

Vor circa einem Jahr offenbarte mir mein Freund Thomas, dass er nach St. Pölten ziehen würde. Das ergab Sinn – seine Frau ist Niederösterreicherin, die Wohnung in Wien wurde mit Kind zu klein –, hatte für mich aber Symbolkraft. Thomas ist der erste Mensch, den ich kennenlernte, als ich 2007 nach Wien kam. Ein paar Wochen vor seinem Umzug bekam ich dann auch noch eine Anfrage der ZEIT Österreich: Ob ich mir vorstellen könnte, einen Text über St. Pölten zu schreiben – die Stadt habe doch gerade ihren Moment. Der Job, das Leben, manchmal überlappen sie sich eben.

Anfang Mai erschien der Text, mit positivem Ton und dem Titel „Gerechtigkeit für St. Pölten!“. Es war der Hot Take zur richtigen Zeit. Seit Jahren habe ich nicht mehr so viel Feedback auf meine Arbeit bekommen. Die Wiener waren überrascht, die St. Pöltner stimmten zu. Die Exil-St.-Pöltner ebenso, aber teilweise „ausdrücklich mit Unbehagen“.

Mein Job ist hier, einen Blick von außen auf die Stadt zu werfen. Und das kann ich leider nur aus der leicht snobistischen Perspektive eines Einwohners von Wien tun, so ehrlich bin ich. Auch ich hatte bis vor einiger Zeit denselben Baukasten an Vorurteilen wie alle: St. Pölten war für mich klein, nett und in Niederösterreich. Das einzig Interessante war das Donaufestival. Heute weiß ich natürlich, dass das nicht in St. Pölten ist. Vor zehn Jahren hätte ich zwei bis drei Sekunden nachdenken müssen.

Was änderte diese Sicht? Zum einen verlagerte sich das Leben von einigen Bekannten – siehe Thomas – schrittweise dorthin. Und irgendwann fiel auf, dass die auf die zynischen Bemerkungen bezüglich der Stadt

nicht mehr einstiegen. Und neben dem persönlichen Älterwerden änderte auch Covid etwas Grundlegendes: Die Leute fanden die Idee, 50 Kilometer in eine andere Stadt zu fahren und dort Kulturaktivitäten mit Daydrinking zu verbinden, angenehmer als bis morgens im Club zu hängen. Am Wochenende nach St. Pölten zu fahren galt plötzlich als legitim. Nun ist es ja weiterhin so, dass die Vorurteile aus dem Baukasten – wie so oft – ja einen Kern von Wahrheit haben. St. Pölten ist klein, nett und in Niederösterreich. Manch eine Kulturinitiative wirkt, als wäre sie aus dem Hubschrauber abgeworfen. Und auch ein Festival wie die Tangente wird von Johanna Mikl-Leitner eröffnet, wie sollte es auch sonst sein. Aber St. Pölten ist eben auch die rote Insel mit der weitgehend autofreien Innenstadt, die an einem Frühsommerabend einfach ein angenehmerer Ort ist. Es passiert viel in der Stadt, und vielleicht das erste Mal seit langem wirkt sie genuin interessant: Wegen dem, was dort vor sich geht, und nicht nur, weil es „mal was anderes“ als Wien ist.

St. Pölten verlangt Ambiguitätstoleranz, um hier dieses Modewort zu benutzen. Das verwirrt zum einen, weil Städte dieser Größe normalerweise keine Ambiguität auslösen. Es ist aber auch ein ehrliches Kompliment an alle Bewohner, Kulturarbeiter und Politiker, die dafür gesorgt haben, dass die positiven Seiten der Stadt verstärkt zu Menschen wie mir durchdringen, die ihren Bezirk geistig kaum verlassen. Nichts ist so schwer, wie Vorurteile zu ändern. Vor allem in Wien.

60 EXPEDITION ST. PÖLTEN

BLICK IN DEN SCHATTEN

Am 13. Juni eröffnet im Stadtmuseum St. Pölten in Kooperation mit dem Festival Tangente die neue Ausstellung „Blick in den Schatten. St. Pölten und der Nationalsozialismus“. Das Kuratorenteam Thomas Pulle und Thomas Lösch liefern Details zum Inhalt.

Wenn man sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus in dieser Stadt näher beschäftigt, ist sofort zu sehen, dass dieses Thema einen weit größeren Zeitabschnitt als jenen von 1938-1945 umfasst. Die erste nationalsozialistische Partei saß bereits 1919 im St. Pöltner Gemeinderat und verließ diesen bis zum Verbot der NSDAP im Juni 1933 nicht. Schon im Oktober 1920 machte Adolf Hitler auf seiner ersten Österreich-Tour in St. Pölten halt, wo er in den Stadtsälen sowie im Grandhotel Pittner eine Rede hielt. Ab 1922 erschien der „St. Pöltner Beobachter“, der aggressiv gegenüber

den politischen Gegnern auftrat und vor allem einem aggressiven Antisemitismus frönte. Der Antisemitismus hielt in der Stadt schon weitaus früher Einzug und ist stark mit der katholischen Kirche und ihrem Presseorgan, der St. Pöltner Zeitung, verbunden. Exemplarisch für viele andere Priester kann hier der rabiat antisemitische St. Pöltner Kleriker Johannes Fahrngruber erwähnt werden. Dieser Aspekt seiner Biografie bleibt bis heute weitgehend unbeachtet. In die Geschichte eingegangen ist er in erster Linie als Gründer des St. Pöltner Diözesanmuseums. Ähnlich verhält es sich mit dem St. Pöltner Baumeister und christ-

lich-sozialen Politiker Johann Wohlmayer. Die von ihm Anfang des 20. Jahrhunderts herausgegebene Zeitung führte den Untertitel „Antisemitisches Organ der Christlichsozialen in St. Pölten für das gesamte christliche Volk“.

An der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde in so gut wie allen bürgerlichen Vereinen jüdischen Mitbürger:Innen die Mitgliedschaft verwehrt. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als eigene Vereine zu gründen, wollten sie nicht bei Vereinen im sozialdemokratischen Umfeld Mitglied werden. Doch auch die Sozialdemokratie war nicht vor Antisemitismus gefeit. Deren Antisemitismus galt vorrangig den „jüdischen Großkapitalisten“.

Trotz dieses von Antisemitismus geprägten Klimas existierte in der Stadt eine selbstbewusste jüdische Gemeinde. Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs, am 17. August

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1913, wurde die im Jugendstil neuerbaute Synagoge unter den Klängen der Kaiser-Hymne feierlich eingeweiht. Zahlreiche jüdische Vereine zeugen besonders in der Zwischenkriegszeit von der Selbstbehauptung der Mitglieder der IKG-St. Pölten.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde Antisemitismus von der politischen Rechten immer mehr im Kampf gegen den politischen Gegner ins Spiel gebracht. So bezeichnete der aus St. Pölten stammende Nationalratsabgeordnete Julius Raab den Sozialdemokraten Otto Bauer in einer Parlamentssitzung im Jahre 1930 als „frechen Saujud“. Mit der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 und spätestens nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei und all ihrer Organisationen in Folge des Februaraufstandes 1934 änderte sich das politische Klima radikal in der ehemals rot regierten Stadt. Viele von ihrer Partei enttäuschte Sozialdemokraten wurden Mitglieder der illegalen NSDAP, insbesondere der SA.

Dem austrofaschistischen Regime gelang es in keiner Weise die Arbeitslosenzahlen zu senken. Dieser Umstand trug ebenfalls zur Attraktivität des sich in Deutschland an der Macht befindlichen NS-Systems bei. Untrennbar mit der NSDAP in St. Pölten ist der Name Hugo Jury verbunden. Der Lungenfacharzt trat 1931 der NSDAP in der Stadt bei und wurde 1932 in den Gemeinderat gewählt. In der Verbotszeit zwischen 1933 und 1938 saß er mehrmals im Gefängnis. Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde Hugo Jury Gauleiter von Niederdonau. Einige illegale Nationalsozialisten aus St. Pölten gingen nach Deutschland und traten dort in die „Österreichische Legion“, einem paramilitärischen Verband ein.

Die Nationalsozialistische Machtübernahme in St. Pölten gestaltete sich weitgehend unspektakulär. Am Abend des 11. März 1938 übernahmen die nun nicht mehr illegalen Nationalsozialisten das Rathaus und die übrigen Schaltstellen in der

Stadt, ohne dabei auf den geringsten Widerstand zu stoßen. Es wurden sofort zahlreiche Verhaftungen von politischen Gegnern, in erster Linie von austrofaschistischen Funktionären durchgeführt.

Am 14. Juni 1938 machte Adolf Hitler auf seiner Fahrt von Linz nach Wien im Grandhotel Pittner zum Mittagessen halt. Tausende St. Pöltner:Innen warteten am Straßenrand, um ihr Idol leibhaftig sehen zu können. Die einheimischen Polizisten hatten bereits ihre vorbereiteten Hakenkreuz-Armbinden über ihre österreichischen Uniformen übergestreift. Bei der Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Österreichs zum Deutschen Reich am 10. April 1938 erstickte die Stadt

Oben Adolf Hitler am 14. Juni 1938 vorm Grand Hotel Pittner in St. Pölten. Links: Franz Hörhann, 1. NSBürgermeister der Stadt, 1938.

beinahe in Hakenkreuzfahnen. Die Zustimmung lag auch in St. Pölten wie überall im Deutschen Reich bei über 99 Prozent. Allerdings ist hierbei zu bemerken, dass die Abstimmung keineswegs geheim ablief. Darüber hinaus waren sämtliche als politische Gegner angesehene Personen von vornherein von der Abstimmung ausgeschlossen.

Jüdische St. Pöltner:Innen wurden ab der ersten Stunde von ihren Mitbürger:Innen drangsaliert und bestohlen. Im Zuge der Ereignisse um die Pogromnacht vom 9. November 1938, bei der auch die St. Pöltner Synagoge devastiert wurde, trachtete die jüdische Bevölkerung das Land zu verlassen. Wem dies nicht gelang, wurde zuerst aus St. Pölten nach Wien zwangsübersiedelt und danach in ein Konzentrationslager deportiert. Am 17. Oktober 1941 verkündete der NS-Oberbürgermeister Emmo Langer, dass St. Pölten nun „zigeuner- und judenfrei“ sei. Anfang 1938 lebten noch über 400 Personen jüdischen Glaubens in der Stadt.

In der Stadtverwaltung wurden zahlreiche Spitzenbeamte auf ihren Posten belassen. So der Magistrats-

TEXT: THOMAS LÖSCH, THOMAS PULLE | FOTOS: STADTARCHIV ST. PÖLTEN MFG 06 24 63

direktor Ottokar Kernstock und sein Stellvertreter Leo Schinnerl. Beide begannen ihre Karriere als Sozialdemokraten vor 1934 und blieben auch im Austrofaschismus in Amt und Würde. Der bekannte Stadtarchivar Karl Helleiner hätte ebenfalls trotz seiner politischen Vergangenheit als Leiter des Kulturamtes im Amt bleiben können. Da er sich aber nicht von seiner jüdischen Frau scheiden lassen wollte, musste er aufgrund des Gesetzes über das Berufsbeamtentum den Magistrat verlassen. Er wanderte mit seiner Familie nach Kanada aus und wurde zum Stammvater einer kanadischen Universitätslehrer-Dynastie.

Leo Schinnerl war sowohl für die „Arisierung“ jüdischen Eigentums als auch für dessen Restituierung nach 1945 an leitender Stelle zuständig. Er beerbte seinen im Krieg verschollenen Chef Kernstock und ging hochgeehrt als Magistratsdirekor in den Ruhestand. Bereits 1938 wurde der ehemalige Voith-Arbeiter Franz Hörhann durch den ehemaligen Lehrer Emmo Langer als Bürgermeister abgelöst. Emmo Langer war bereits von 1932 bis 1933 Nationalsozialistischer Landtagsabgeordneter in Niederösterreich.

Im Jahre 1938 wurden zahlreiche Umlandgemeinden eingemeindet und ein „Groß-St. Pölten“ geschaffen. Darüber hinaus wurde die Stadt zur Gau-Wirtschaftsstadt ernannt. Der Großteil der geplanten Bauvorhaben wurde aufgrund des Kriegsbeginns im September 1939 nicht verwirklicht. In erster Linie wurden militärisch wichtige Objekte wie die Kaserne in Spratzern, der Truppenübungsplatz in Völtendorf sowie das Flugfeld Markersdorf fertiggestellt.

Der Alltag in St. Pölten war wie überall im 3. Reich von einer Mischung aus Begeisterung, Mitläufertum und Repression geprägt. Diese Repression bekamen all jene zu spüren, die außerhalb der „Volksgemeinschaft“ standen. Dazu gehörten Personen, die aus rassischen Gründen verfolgt wurden, als behindert galten, als politische Gegner eingestuft wurden oder als „aso-

NS-POLIZEI 1938. Österreichische Militärangehörige und Polizisten wurden in den deutschen Gewaltapparat integriert.

zial“ galten. Diese Menschen wurden gnadenlos verfolgt und inhaftiert. Viele von ihnen mussten dieses „Nichtdazugehören“ mit dem Leben bezahlen. Geprägt war der Alltag auch von Zwangsarbeiter:Innen. Bis zu 4.000 Menschen mussten zeitgleich in der Stadt ihren Sklavendienst versehen. Neben den zahlreichen als „kriegswichtig“ eingestuften Betrieben verfügten auch das Krankenhaus, die Straßenbahn und viele Bauernhöfe über diese nach St. Pölten verschleppten Arbeitskräfte. Zahlreiche Zwangsarbeiter:innen, von denen der Großteil aus der ehemaligen Sowjetunion stammte, kamen aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen ums Leben. Besonders grausam war das Schicksal jener jüdischen Familien aus Ungarn, die ab 1944 zur Traisen-Regulierung eingesetzt wurden. Ihr Zwangsarbeitslager befand sich an jener Stelle, wo sich heute der große Viehofner See befindet. Kurz vor Kriegsende wurden sie in einem „Todesmarsch“ nach Mauthausen getrieben. Kaum eine Person erlebte das Kriegsende.

Oben Der bombadierte Bahnhof und Frachtenbahnhof Ostern 1945. Rechts. Die devastierte Synagoge 1942.

Zahlreiche Widerstandsgruppen in der Stadt formierten sich in den großen Betrieben St. Pöltens, wie der Voith, der Glanzstoff oder der Hauptwerkstätte der Eisenbahn. Die bekannteste ging unter dem Namen Kirchl-Trauttmansdoff in die Geschichtsbücher ein. Diese in erster Linie aus Polizeiangehörigen bestehende Gruppe plante einen Aufstand, um die Stadt kampflos an die Rote Armee zu übergeben. 13 Personen mussten ihren Mut mit dem Leben bezahlen. Daneben existierten auch Widerstandsgruppen bei der Post und der Eisenbahn. Neben hunderten Inhaftierten mussten über 50 Einwohner:innen unserer Stadt im Kampf gegen den Nationalsozialismus ihr Leben lassen. Am 15. April

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1945 wurde St. Pölten nach kurzem Kampf von Truppen der Roten Armee befreit. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nur mehr wenige tausend Bewohner:innen in der Stadt. Die übrigen waren geflohen. Besonders Nationalsozialist:innen trachteten danach, sich in den Besatzungsbereich der westlichen Alliierten zu

1938. Der Machtwechsel schlug sich auch rasch im Ortsbild nieder, „Fahnenschmuck“in der Kremsergasse.

begeben. Dort erwarteten sie mehr Nachsicht als im sowjetischen Besatzungssektor. In St. Pölten wurde bis zum Kriegsende gekämpft, da deutsche Truppen immer wieder versuchten die Stadt zurückzuerobern. Besonders in St. Georgen und Spratzern gingen bei diesen Kämpfen noch zahlreiche Gebäude in Flammen auf. Neben zahlreichen Soldaten auf beiden Seiten kamen auch unbeteiligte Zivilisten bei die-

sen sinnlosen Kämpfen ums Leben. Nach dem Kriegsende mussten sich alle Nationalsozialist:innen registrieren lassen. In St. Pölten waren dies über 2.500 Personen. Die Registrierung bedeutete den Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts. Viele von Ihnen verloren ihren Arbeitsplatz, wurden inhaftiert und vor Gericht gestellt. Da die Kapazität der St. Pöltner Gefangenenhäuser nicht ausreichte, wurde zumindest ein ehemaliges Zwangsarbeiterlager als Internierungslager für Nazis verwendet. Zusätzlich zu den Haftstrafen gab es auch Verurteilungen zu finanziellen Süh-

Zu den Autoren

neleistungen. So wurde der KurzeitBürgermeister Hörhann, nachdem er über 3 Jahre inhaftiert war, zu 2,5 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ab dem Jahre 1948 wurden die Strafmaßnahmen im Zuge der „Entnazifizierung“ mehrheitlich aufgehoben und Anfang der 1950er-Jahre bis auf einige Ausnahmen ganz. Die ehemaligen Nazis waren wieder in die Gesellschaft integriert.

„Blick in den Schatten. St. Pölten und der Nationalsozialismus“ Ab 14. Juni, Stadtmuseum St. Pölten www.stadtmuseum-stp.at

Thomas Lösch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv.

Thomas Pulle ist Leiter des Stadtmuseums St. Pölten.

WEITERE TIPPS

zum Schwerpunkt „Erinnerung“ im Rahmen der Tangente

+ An den Wochenenden 7.–9. und 14.–16. Juni finden in der Ehemaligen Synagoge im Zuge der „Jewish Weekends“ Vorträge, Lesungen, Konzerte, Filmvorführungen etc. statt. www.ehemalige-synagoge.at

+ Im Zuge von „Let’s Make Herstory” werden am 15. Juni in der Bühne im Hof queere Ikonen und die Ballroom-Kultur, die sich in den 1980er- und 90er-Jahren von New York aus verbreitet hat, gefeiert. EatSlayLove und das Kiki House of Moonlight bringen Voguing nach St. Pölten!

+ Von 27. bis 30. Juni rückt die Glanzstoff-Fabrik in den Fokus. So kann man am Gelände die immersive Installation „Wasteland. The Great Simplification“ erleben. „Wasteland ist ein Ort, an dem man sich verändert, sobald man ihn betritt.“ 27. Juni bis 30. Juni und 4. bis 7. Juli (jeweils 15.00 bis 22.00 Uhr).

+ In der ehemaligen Turbinenhalle der Glanzstoff lädt die türkische Tänzerin und Choreografin Begüm Erciyas im Zuge von „Hands Made“ das Publikum ein, die eigenen Hände und die Vergangenheit und Zukunft der Handarbeit und des Tastsinns zu erkunden. 27. bis 30. Juni jeweils um 16.00 Uhr, 17.15 Uhr, 18.30 Uhr, 19.45 Uhr und 21.00 Uhr.

+ Für „X-Erinnerungen“ haben sich lokale und internationale Künstler:innen auf die Suche nach verborgenen Orten und Geschichten gemacht und Performances, Installationen und Theaterstücke dafür entwickelt, die man an drei Routen durch die Stadt in Zweier-Gruppen erkunden kann. 28. Juni (16.00 bis 20.30 Uhr), 29. und 30. Juni jeweils von 14.00 bis 18.30 Uhr.

+ Am 27. und 28. Juni präsentiert der koreanische Theatermacher, Performer und Komponist Jaha Koo in der Bühne im Hof „Haribo Kimchi“, eine spannende Performance, in der sich eine Pojangmacha, ein typischer südkoreanischer Straßenimbiss, als imaginärer Ort unter dem Meer entpuppt, an dem sich mythische Gestalten und verlorene Meeresbewohner:innen treffen.

+ Die mexikanische Künstlerin Mariana Castillo Deball beschäftigt sich in „Though Dead, I am Still Paper“ mit den archäologischen Funden auf dem Domplatz und schreibt sie künstlerisch fort (Eröffnung am 3. August).

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BLICK IN DEN SCHATTEN

KONZERTE, KUNST UND KREATIVITÄT

IM HERZEN DER STADT

Ein vielfältiges Unterhaltungs-Angebot erwartet die St. Pöltner:innen diesen Sommer direkt vor ihrer Haustüre: von spannenden Festivals indoor und open air bis hin zur Eröffnung neuer Institutionen.

ERÖFFNUNG KINDERKUNSTLABOR

Ort zur Entfaltung der Kreativität von Kindern

Das neuerrichtete Haus ist ein Zentrum der Kunst im Herzen der Stadt. Das KinderKunstLabor schafft einen Ort der Begegnung zwischen Kindern und zeitgenössischer Kunst. Am Eröffnungswochenende kann man an zwei Tagen der offenen Tür einen Einblick in die vielen Facetten des neuen Hauses gewinnen, das künftig ein umfangreiches Angebot mit Ausstellungen, Workshops und Projekte für Kinder bis 12 Jahren bietet.

MUSIK.STP UND BLUES-FESTIVAL

FREQUENCY FESTIVAL

Urlaubsfeeling am Ratzersdorfer See

Das FeSTPval holt am Freitag, 26. Juli bereits zum vierten Mal Bands und Künstler:innen aus der Region in das Rampenlicht auf der Seebühne. Von Rock über Pop bis hin zu Singer-Songwriter und elektronischer Musik ist für jeden Geschmack etwas dabei. Festival-Feeling und Urlaubsstimmung garantiert auch das Blues-Festival am Samstag, 27. Juli mit heimischen und internationalen Genre-Vertretern.

29. & 30. JUNI

14. BIS 17. AUGUST

Weltstars zu Gast in St. Pölten

Das Mega-Event des Jahres, das immer wieder tausende Besucher:innen nach St. Pölten lockt, bietet heuer ein mit Berühmtheiten vollgespicktes Line-up und erstmals einen zusätzlichen Festivaltag. Im Kulturjahr 2024 holt das Frequency Ed Sheeran, The Offspring, Raf Camora, Peter Fox und viele weitere Stars auf die Bühne. Für die richtige Abkühlung sorgt ein Sprung in die Traisen, die direkt durch das Festivalgelände fließt.

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Stadt St. Pölten – Fachbereich für Kultur und Bildung, Prandtauerstraße 2, 3100 St. Pölten, 02724/333 2601, kultur@st-poelten.gv.at, www.st-poelten.at/freizeit/kultur
26. & 27. JULI

22. BIS 25. AUGUST

Vielschichtige Klänge im Innenhof Der Innenhof des Stadtmuseums ist eine Ruheinsel im Treiben der Stadt. Im August wird er zum Veranstaltungsort des Jazz im Hof, bei dem international bekannte Jazz-Größen aufspielen. Die neue künstlerische Leiterin Viola Falb holt u.a. Django Bates oder Haezz vor den Vorhang. Außerdem wird die Saxophonistin mit dem Falb Trio auch selbst auf der Bühne stehen. Erstmals gibt es auch einen musikalischen Familientag!

ERÖFFNUNG STADTBIBLIOTHEK

MUSICA SACRA

Ein neues Zentrum für Geschichten und Lesevergnügen

Die Stadtbibliothek bekommt ein neues Zuhause am Domplatz. Mit Sitzgelegenheiten und Lesenischen wird dieser Ort zu einem Anziehungspunkt für Bücherliebhaber. Lesungen, Workshops und Vorträge runden das Programm ab. Erweiterte Öffnungszeiten und Selbstverbuchung erleichtern die Nutzung und Ausleihe. Durch die Open Library können Besucher:innen auch in den Abendstunden stöbern und schmökern.

6. SEPTEMBER

8. BIS 22. SEPTEMBER

Mit Neo-Intendant Valentin Kunert auf neuen Pfaden International renommierte Künstler:innen und junge Talente, ein außergewöhnliches Oratorium, Kammermusik, symphonische Werke und fantastische Orgelklänge erwarten die Besucher:innen des Festivals Musica Sacra in St. Pölten, Herzogenburg und Lilienfeld. Heuer sind mit dem Konservatorium und der Prandtauerkirche zwei neue Spielorte vertreten, ein Orgel-Erzähl-Theater bietet spezielles Kinderprogramm.

VERANSTALTUNGSTIPPS

Stadtmuseum

Bis 2025

„Von Steinen und Beinen“

„Blick in den Schatten“ –St. Pölten und der Nationalsozialismus

Jazz im Park

14. bis 16. Juni

Sparkassenpark – Eintritt frei!

Landestheater

13. September

Maria Stuart – Premiere

20. September

Der kleine Eisbär – Premiere

Theater des Balletts

Ab 28. Juni

Schwanensee

Domplatz Open Air:

5. Juli

Tonkünstler & Friends, China

Moses / Myles Sanko & Best-of Bernstein

7. Juli

Fever Ray / Arlo Parks / HVOB Salamirecorder & the Hi-Fi Phonos

Weitere Veranstaltungen finden Sie unter events.st-poelten.at

Festspielhaus:

10. Juni

Tonkünstler-Orchester

22. Juni

Jeremy Nedd – Impilo Mapantsula

Tangente

Bis 6. Oktober Programm siehe QR Code

www.facebook.com/stpoelten www.instagram.com/st.poelten www.twitter.com/st_poelten

MFG 06 24 67 ADVERTORIAL
JAZZ IM HOF

DIESER SOMMER WIRD EIN HIT

Auch diesen Sommer dürfen wir uns wieder auf zahlreiche hochkarätige Sommerfestivals freuen, die das kunstsinnige Herz mit Theater, Oper, Operette, Kino, Lesungen und vielem mehr verwöhnen. Die Besucherinnen und Besucher haben also wieder die – absolut schöne – Qual der Wahl. MFG präsentiert eine kleine Auswahl an Highlights und wünscht schon jetzt allen herrliche Sommerabende bei wolkenlosem Himmel sowie spannende und vergnügliche Stunden.

29. Juli – 10. August I PAZZI PER PROGETTO

Irres Opernhaus! Donizettis „I pazzi per progetto“ ist ein total schräger Opernschatz, der erstmals in Österreich zu sehen ist. Neben „echten“ Kranken hat es auch andere aus irgendeinem Grund, etwa Scheidung oder Erbschaft, ins Irrenhaus verschlagen… Belcanto hautnah!

www.schloss-kirchstetten.at

14. – 23. August

3X OPENAIR IN KIRCHSTETTEN

20. Juni – 4. August

Eine Symbiose aus Licht, Musik & barockem Ambiente – der würdige Rahmen für einmalige KonzertErlebnisse. 14.8. Klassik unter Sternen XIV – Die 4 Jahreszeiten; 17.8. Sound of Hollywood – Die größten Blockbuster der Filmmusik; 23.8. Pizzera & Jaus.

www.schloss-kirchstetten.at

SOMMERNACHTSKOMÖDIE

Der Erfolgsfilm „Perfetti sconosciuti“ schaffte es auf 18 Adaptierungen, auch die deutsche Version „Das perfekte Geheimnis“ war ein Riesenhit, den die Sommernachtskomödie nun auf die Bühne bringt. 7 Freunde spielen ein „gefährliches“ Spiel: Im Laufe eines gemeinsamen Abendessens wird jede Nachricht, die auf die Handys kommt, laut vorgelesen, Bilder und Filmchen werden hergezeigt. Jonglieren mit spitzen Messern wäre auch nicht gefährlicher …

www.sommernachtskomoedie.at

13. Juli – 3. August

OPER BURG GARS – „L’ELISIR D’AMORE“

Liebe, Leidenschaft, Humor und eine Extraportion ItaloCharme gehen von 13. Juli bis 3. August 2024 eine unnachahmliche Symbiose mit der romantischen Naturkulisse der Burg Gars ein: Mit Gaetano Donizettis „L’elisir d’amore“ – „Der Liebestrank“ bringt Intendant Clemens Unterreiner zum allerersten Mal den Sommer-Opernhit schlechthin ins Opernhaus des Waldviertels. Inszeniert von Carolin Pienkos & Cornelius Obonya!

www.operburggars.at

68 MFG SOMMERFESTIVALGUIDE 2024
FOTOS SHUTTERSTOCK, BETTINA GARTNER, MARTIN HESZ, JENNI KOLLER, INGO PERTRAMER, ZVG

10. Juli – 24. August

OPER IM STEINBRUCH – AIDA

Nicht großes Kino, sondern große Oper kredenzt diesen Sommer wieder die Oper im Steinbruch in St. Margarethen. Am Programm steht Giuseppe Verdis Meisterwerk „Aida“. Der Altmeister der italienischen Oper trifft dabei für jede Stimmung genau den richtigen, mitreißenden Ton.

www.operimsteinbruch.at

28. Juni – 14. Juli

SOMMERTHEATERPARK

Schwanensee – Open Air: Das Europaballett präsentiert erstmals den größten Klassiker der Ballettgeschichte in einer Version von Peter Breuer. Vom 28. Juni bis 13. Juli haben Sie sechs Mal die Möglichkeit, im SommerTheaterPark St. Pölten unter freiem Himmel das Ballettspektakel zur Musik von P.I. Tschaikovsky zu erleben. Und am 14. Juli entführt Sie Natalia Ushakova in eine Welt der Träume und verführerischen Melodien bei „Ein Sommernachtstraum“.

www.sommertheaterpark.at

26. Juni – 27. Juli

THEATERSOMMER HAAG – DRACULA

In Haag wird heuer Bram Stokers Horror-Klassiker „Dracula“ als erschreckend-lustige Horror-Komödie von Alexander Pschill und Kaja Dymnicki inszeniert. Außerdem: Wir Staatskünstler, Birgit Minichmayr und Alois Mühlbacher, Mnozil Brass, Maschek und Poxrucker Sisters.

www.theatersommer.at

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EINE VERANSTALTUNG DER NÖ FESTIVAL UND KINO GMBH IN KOOPERATION MIT Ö1 WWW.GLATTUNDVERKEHRT.AT

SUMMER BLUES 2024 FESTIVAL

AM SEE

Samstag, 27. Juli

Ratzersdorfer See

Einlass: 17:00 Uhr

Beginn: 18:00 Uhr

MOJO BLUES

BAND

FOOT STOMPIN‘ CHICAGO BLUES

MIKA STOKKINEN BAND

WEST COAST BLUES

THE BLUES INFUSION

LETS‘S GROOVE THE BLUES ALL NIGHT!

JO CARPENTER

BOOGIE WOOGIE & BLUES PIANO

Tickets erhältlich unter:

www.oeticket.com

Sparkasse NÖ, Domgasse 5

Tourismusinfo St. Pölten

VVK: €26,- AK: €29,-

AK Niederösterreich-Mitglieder sowie ÖGB-Mitglieder & Sparkassen NÖ Mitte West AG Kunden erhalten gegen Vorlage ihrer AK Service-Karte, der ÖGB Mitgliedskarte bzw. der Sparkassenkarte 3 Euro Ermäßigung auf eine Vorverkaufskarte.

SCHADET

Ab Mittwoch, 12. Juni, dreht sich bei den Sommerspielen Melk alles um eine der berühmtesten Familien der Renaissance. Im Schauspiel „Die Borgias – Spiel der Macht“ setzen Papst Alexander VI. alias Rodrigo Borgia und seine Kinder alles daran, ihre Familie an die Macht in Rom zu bringen. Autor Stephan Lack und Regisseur Sarantos Zervoulakos zeigen, dass die Geschichte rund um Vetternwirtschaft, Falschnachrichten und Machtgier aktueller ist denn je.

Rom 1492: Während Kunst und Wissenschaft die Menschheit in ein neues Zeitalter führen, ist ein einzelnes Menschenleben kaum etwas wert. Die Papstwahl ist ein beliebter Wettsport, Bestechung gehört zu den Spielregeln. Besonders ein Name wird zum Synonym für Machthunger, sexuelle Gier und Brutalität: Rodrigo Borgia. Als Papst Alexander VI. geht er im Spiel der Macht über Leichen. Seine wichtigsten Werkzeuge: sein Sohn Ce sare und seine Tochter Lucrezia. Seit mehr als 500 Jahren steht der Name „Borgia“ für skru

pellose Machtgier, Opulenz, Vetternwirtschaft – und Aufbruch. Eine Renaissance-Geschichte packend wie ein Thriller, vielschichtig wie ein Wandgemälde und Themen wie aus der Gegenwart. Ein praller Stoff als Spiegel unserer Gegenwart.

Die Musikrevue „Simply the Best – In der Schickeria“ unterhält ab Mittwoch, 3. Juli, die Besucher:innen der Sommerspiele Melk.

Autor und Regisseur Lukas Wachernig inszeniert eine wahnwitzige Verfolgungsjagd, bei der alle Beteiligten versuchen, auf ihre Kosten zu kommen.

Ein ominöser Koffer zieht nicht nur ein skrupelloses Gangster-Pärchen in seinen Bann, sondern fasziniert auch eine gefürchtete Banditen-Familie. Denn der Inhalt verheißt nicht weniger als Simply the Best: ein Leben ohne Sorgen in Saus und Braus, in Glanz und Glamour. Ein Willkommen in der Schickeria! Doch: Es ist alles nur geklaut! Was folgt, ist The Race – eine Verfolgungsjagd durch Länder und Kulturen.

Eine unterhaltsame Musikrevue, in der Melodien zu Geschichten und Rhythmen zu Emotionen werden.

Kontakt und Karten: Wachau Kultur Melk GmbH +43 2752 540 60 office@wachaukulturmelk.at sommerspielemelk.at

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SOMMERSPIELE MELK
© Daniela Matejschek Du hast die Wahl! Nimm ein Abo! www.landestheater.net Tickets erhältlich unter www.nxp.at, 02742 / 71400, www.oeticket.com, auf shop.raiffeisenbank.at und in allen Raiffeisenbanken mit öTicketservice in Wien und NÖ. 10% Ermäßigung für Raiffeisen Kontoinhaber.
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TIERISCH MOBIL! NATUR IN BEWEGUNG

Die aktuelle Sonderausstellung im Haus für Natur erzählt von herausragenden körperlichen Leistungen und beeindruckenden Navigationskünsten.

Mit 100.000 Stundenkilometern rast die Erde durchs All. Durch ihre einjährige Reise um die Sonne verändern sich die Lebensbedingungen auf ihrer Oberfläche ständig. So werden gewaltige Tierwanderungen in Gang

gesetzt. Die Sonne und der blaue Planet sind daher zentrales Gestaltungselement der Ausstellung. Im Zentrum des Hauptraums der Ausstellung dreht sich das Modell einer Erde um ein Modell der Sonne und sich selbst.

Im Wasser, in der Luft und an Land ziehen jedes Jahr riesige Gruppen, Herden und Schwärme über die Erdoberfläche. Ihre körperlichen Leistungen sind dabei erstaunlich, ihre Navigationskünste beeindruckend. Manche wandern nur innerhalb Niederösterreichs, etliche weit darüber hinaus. Die einen bewegen sich unscheinbar, die anderen unübersehbar.

Tiere wandern, um sich Nahrungsgrundlagen zu sichern und zu erschließen, um widrige Wetterbedingungen zu meiden, um Sexualpartner:innen und Laichgründe zu

14.6. Die Stadt ohne Juden

finden oder, um neue Lebensräume zu erschließen. Diese Motive erklärt die Schau zu Beginn genauso ausführlich wie die Frage, warum der Mensch Tiere bei der Wanderung beobachtet. Wussten Sie etwa, dass der Engländer Charles Morton im 17. Jahrhundert davon überzeugt war, dass Vögel am Mond überwintern?

Die Sonderausstellung „Tierisch mobil! Natur in Bewegung“ widmet sich den vielfältigen Aspekten kleinerer und größerer Tierwanderungen und stellt dabei die Frage, was der Mensch damit zu tun hat, wie er Lebensräume zerschneidet und wie er aktiv zur Artenvielfalt beitragen kann.

Sonderausstellung

„Tierisch mobil! Natur in Bewegung“ bis 09.02.2025

Haus für Natur im Museum

Niederösterreich, Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten

www.museumnoe.at

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FOTO MUSEUM NÖ/DANIEL HINTERRAMSKOGLER
TangenteSt.Pölten
Musik / Film PHACE, Nacho de Paz © Markus Bruckner Präsentiert im Rahmen der Jewish Weekends – Festival für jüdische Kultur (7.6.–9.6. und 14.6.–16.6.2024)

ANWALTSPOST

Ich weiß nicht, ob sie schon mal eine Klagsdrohung bekommen haben. Mir wurde vor ein paar Wochen diese Ehre jedenfalls zu Teil. Ein Kollege und ich haben einen österreichischen Betrugsfall recherchiert und aufgedeckt. Schadenshöhe laut

WKStA: 34,6 Millionen Euro bei 21.000 Kunden eines Goldhändlerpaares aus Wien. Ebendieses Ehepaar war alles andere als begeistert, als wir ihnen kurz vor Veröffentlichungen unseren Fragenkatalog zukommen ließen. Antworten wollten die beiden uns keine geben, dafür drohten sie mit Klagen. Meine Freunde fanden das irgendwie cool. Wir hätten dort hingeschaut, wo es wehtut, hat einer gesagt. Wer klagt, der habe schließlich was zu verstecken. Wenn man als Journalist eine Klagsdrohung bekomme, sei das ein Ritterschlag. Stimmt alles, ich fand die Situation aber irgendwie so gar nicht cool. Ein drohendes Anwaltsschreiben versetzt einen zuerst einmal in einen Zustand stiller Panik. Sie sind bewusst so formuliert, dass man die eigene Existenz oder zumindest seine Karriere vor sich zusammenbrechen sieht. Ich hinterfragte also jede Zeile des sechsseitigen Textes, den wir publizieren würden. Es war im Grunde aber schon zu spät, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Keine Sorge, daran haben wir keine Sekunde gedacht und ein paar Wochen später hat sich die Drohung wohl als eine leere entpuppt. Ein Gericht werde ich trotzdem bald besuchen. Im Herbst trägt die WKStA die Anklage wegen schweren Betrugs gegen die Goldhändler am Wiener Straflandesgericht vor. Da wird dann aber ziemlich sicher mehr als nur gedroht werden.

LOCAL HEROES

St. Pöltens bunte Musikszene bereichert neben anderen demnächst gleich zwei Festivals. Bei „StadtLandFluss“ am 21. und 22. Juni im Regierungsviertel, das heuer unter dem Dach der „Tangente“ im Tandem mit dem gleichzeitig im Kulturbezirk stattfindenden „Sind im Garten“ daherkommt, treten 5/8erl in Ehr’n, Gravögl, Litha, Bipolar Feminin, Alicia Edelweiss, Elektro Guzzi & Rojin Sharafi, Mono-

Sbrother, Endless Wellness, Frau B, DJ Crum, Therese Terror, Masha Dabelka und natürlich LIMUKA auf.

Fest in heimischer Hand ist traditionsgemäß – nomen est omen - das „musik.stp FeSTPval“ am 26. Juli am Ratzersdorfer See. Dort geben sich u. a. CHiLL-iLL, The Attic, Malvin, Mert Cosmus, Ringelspü, ReFelt, Schall & Zeilen, FerDL, AntiKontra und die Songwriting Camp Allstars die Ehre.

ED KOMMT

uperlativ ist es ja sowieso immer, das Frequency Festival. Mit der Verpflichtung von Ed Sheeran für einen „X-Tended-Tag“ am 14. August (der selbstredend für „Solo-Ed“-Fans auch einzeln gebucht werden kann), hat man aber den Vogel abgeschossen. Immerhin kommt damit eines der größten Pop-Schwergewichte, die der Planet jemals gesehen hat, nach St. Pölten. Was viele freilich nicht wissen: nicht zum ersten Mal! Bereits 2012 stand er, damals noch unter der Kategorie „aufstrebender“ Künstler, beim Frequency auf der Bühne. Ein paar Jährchen später hat der gute Mann über 150 Millionen Alben

verkauft und vollbrachte „Wunderstücke“, wie etwa mit allen Titeln seines Albums „Divide“ gleichzeitig in den Charts vertreten zu sein oder legte mit der gleichnamigen Tournee die damals erfolgreichste aller Zeiten hin. Und nun also St. Pölten. Wie heißt ein Sheeran-Song: „Perfect“!

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DAS BISHER DAGEWESENE

WELTENKLANG MADE IN STP

Mittlerweile ist er ja so etwas wie ein verlorener Sohn, zog Dietmar „Hasi“ Haslinger doch vor gut einem Jahr in den Raum Baden, wenngleich er regelmäßig in seine hometown St. Pölten zurückkehrt. Ebendort schlug vor 30 Jahren die Geburtsstunde seiner Agentur „Weltenklang“.

Und weil niemand besser beschreiben kann, wie das damals von statten ging, sei anbei ein launiges Mail des Kulturveranstalters himself wiedergegeben, das er unlängst in den InternetÄther schleuderte: „Vor 30 Jahren, als ich das St.Pöltner Höfefest veranstaltete, kontaktierte mich der Veranstalter des damals legendären ‚Folkfestival Mistelbach‘ Otmar Biringer, ob ich Interesse hätte, mit ihm einen irischen Sänger einzufliegen, den er am Tönder Festival in Dänemark gehört habe. Er würde mir eine Kassette (!) mit Songs schicken ... die Kassette (hab sie noch vor Augen – eine 90-er Maxell) kam eine Woche später, ich war am Weg nach Wien und steckte sie im Mazda 323 Kombi in den – richtig – Kassettenrecorder ... Dann kam ... „There were roses“ ... und ich war gefangen! Gespannt auf den nächsten Song kam dann aber NICHTS mehr, ok ... „There were Roses” zurückgespult und nochmals angehört, und nochmals, und nochmals … bis

ich in Auhof nach Wien einfuhr. Vor Schönbrunn blieb ich in der Hadikgasse bei einer Telefonzelle (! Ja, auch die gabs damals noch, das Mobiltelefonzeitalter steckte noch nicht mal in den Kinderschuhen, sondern war ein Fötus) stehen, wählte Otmars Nummer und fixierte unser Vorhaben, Sean Keane gemeinsam einzufliegen – fürs Höfefest und fürs Folkfest Mistelbach.

Ungefähr zur selben Zeit lernte ich auch die Holmes Brothers ken-

nen. Sean Keane bat mich dann beim Höfefest sein österreichischer Agent zu werden, ich kündigte meinen Job als Bar-Mann im „Narrnkastl” – der Rest ist Geschichte ...“

4.000 Konzerte

Eine, die durchaus beachtlich ist. So hat Hasi in diesen 30 Jahren rund 4.000 Konzerte in ganz Europa und Kanada als Agent und Veranstalter auf die Beine gestellt – bis heute versorgt er auch seine Heimatstadt regelmäßig mit gediegenen Konzerten. Legendär die Konzerte der grandiosen Holmes Brothers, von denen leider nur mehr Sherman lebt. „Die Holmes Brothers und Weltenklang waren ein enges, untrennbares Geflecht. Sie waren meine erste Band, mit der ich – neben Sean Keane –1994 zu arbeiten begonnen habe, und sie haben mir auch die Türen zu Peter Gabriel geöffnet, bei dem ich 1995 eine Woche lang in den Real World Studios verbringen durfte. Wir haben auf 16 Tourneen in 20 Jahren 225 Tage unseres Lebens gemeinsam verbracht!“, so Hasi, der aber auch über die Zusammenarbeit mit anderen Musikgrößen ins Schwärmen gerät „etwa mit Dire Straits-Gründer David Knopfler oder Grammy-Gewinnerin Catherine Russell, die auf drei Welttourneen und einigen Alben in David Bowies Band arbeitete, oder Odetta,

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Sean Keane bat mich beim Höfefest sein österreichischer Agent zu werden, ich kündigte meinen Job als Bar-Mann im „Narrnkastl” – der Rest ist Geschichte ... DIETMAR „HASI“ HASLINGER

eine der legendärsten Figuren der amerikanischen Civil Rights Movement, die 1954 ihr erstes Album einspielte und von Bob Dylan, Joan Baez oder Janis Joplin als wichtigster Einfluss genannt wurde!“ Als Glücksfall, ja Privileg bezeichnet er zudem, „dass ich noch mit der ‚alten Garde‘ des Blues arbeiten durfte, etwa bei unvergesslichen Konzerten mit Clarence „Gatemouth” Brown, Grammy-Star Buckwheat Zydeco aus New Orleans oder dem damals bereits 84-jährigen Robert Lockwood jr., Jahrgang 1915!“

Dabei war Hasis „Weltenklang“ immer mehr als nur ein schöner Name, sondern quasi Programm schlechthin. Neben Blues made in USA „oder fast dem gesamten FolkZirkus Irlands, Schottlands und Kanadas“ gesellte sich im Laufe der Jahre Musik rund um den Erdball hinzu. „Unvergessen ist natürlich meine 20-jährige Verbundenheit mit dem italienischen Cantautore Giorgio Conte“, Weltenklang zählte aber

auch zu den ersten Agenturen „die beim Balkan-Boom der 1990er dabei war und Blasmusik-Ziganis aus Rumänien, Serbien und Mazedonien nach Österreich holte. Und auch zur Popularität des Lissabonner ‚Fado‘ oder des westafrikanischen SaharaBlues habe ich wesentlich mit beigetragen“, meint Hasi nicht ohne Stolz.

Auf einen Tee mit Johnny Depp Zugleich liebte er in seiner Arbeit in der Musikbranche schon immer auch die positiven Nebengeräusche, etwa das Kennenlernen außergewöhnlicher, ja berühmter Persönlichkeiten. „Über die vielen Jahre in der Szene lernt man halt auch schillernde Figuren kennen, wie etwa Joe Strummer von The Clash, mit dem ich mir einige Nächte um die Ohren schlagen durfte, oder den Fotografen der Rolling Stones Dominique Tarle, der die ikonenhaftesten Fotos der Band überhaupt geschossen hat, nämlich 1971 wäh-

rend ihres halbjährigen Steuer-Exils an der Côte d‘Azur!“ Ein paar Bierchen zwitscherte er auch mit Robert Redford „in London beim von ihm veranstalteten Placebo-Konzert im Rahmen des Sundance Film Festivals“, und einmal – ohne es gleich zu merken – saß er im Zuge der Real World Recording Week in Peter Gabriels Real World Studio in Südengland am selben Frühstückstisch mit Johnny Depp und Kate Moss, „und dann rührt man Johnny den Tee“, lacht er. Grund abzuheben seien derlei Erlebnisse aber nicht, wie er einräumt, wenngleich sie natürlich schön sind. „Das werden dann eben ‚normal life‘-Begegnungen, da ja all diese Damen und Herren letztendlich absolut genauso ticken wie Du und ich! Und als Trauzeugen hat man dann eben den Gitarristen John Doyle, der einige Jahre musikalischer Direktor von Joan Baez war und zuletzt mit Eric Clapton und Ronnie Wood in den Apple Studios aufgenommen hat.“

TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: MATTHIAS KÖSTLER, ZVG MFG 06 24 77
225 TAGE. Mit den Holmes Brothers unternahm Haslinger 16 Tourneen in 20 Jahren. Hier sind sie auf Besuch bei Milica & Hans Theessink. Von den Holmes Brothers lebt nur mehr Sherman (neben Hasi), Wendell und Popsy sind 2015 verstorben.

ALS DER SPECHT AUS DER JOSEFSTRASSE DAS GRÜNE HOLTE

Zum Start der 73. „Tour of Austria“ am 2. Juli schaut vielleicht einmal wieder der „Specht“ in seiner Geburtsstadt St. Pölten vorbei.

Einer, der sich ganz besonders über die Rückkehr der „Tour of Austria“ nach St. Pölten freut, ist Radsport-Legende Roland Königshofer. Der dreifache SteherWeltmeister auf der Bahn (1989, 1990 und 1991) im Windschatten hinter dem motorisierten Karl Igl, und 29-fache Staatsmeister in diversen Kategorien, wuchs in der Josefstraße auf und fuhr die Österreich-Radrundfahrt bei all seinen 13 Teilnahmen durch. 1984 und 1992 eroberte er das Grüne Trikot des besten Punkte-Fahrers. Zudem wurde er 1992 im Ausscheidungs-

rennen rund um das KIKA-Gebäude, in unmittelbarer Nachbarschaft der Wohnung seiner Eltern, Zweiter.

„Die Rundfahrten waren ein gutes Podium, mich im TV zu präsentieren. Vor allem bei der Österreich-Radrundfahrt, die damals ja noch meist über elf Etappen ging, also eine halbe ‚Tour de France’ war, habe ich gelernt, mit den tagelangen Schmerzen der Anstrengungen umzugehen. Das hat mir dann auf der Bahn sehr geholfen“, erzählt Königshofer. Einen Namen hatte er sich spätestens bei der Bahnrad-

10 MEDAILLEN. Die Regenbogentrikots seiner WM-Triumphe von 1989, 90 und 91 passen immer noch.

WM 1987 in Wien gemacht, als er im ausverkauften Ferry-Dusika-Stadion im Kampf gegen die viel titulierte „italienische Mafia“ Bronze eroberte. Im Gegensatz zu allen anderen Nationen stellten die Italiener vier statt drei Starter, weil Mario Gentili als Titelverteidiger automatisch teilnahmeberechtigt war.

Obendrein waren sie in diversen Entscheidungs-Gremien überproportional vertreten. „Nachher hat sich sogar die italienische Botschaft eingeschaltet, dass solche Ausdrücke nicht verwendet werden sollen, da es ja gar keine Mafia gibt“, lacht Königshofer, „nie vergessen werde ich aber den Moment, als ich bei meiner Anreise mit dem Auto im Radio gehört habe, dass bereits alle Zufahrtsstraßen verstopft sind, im Ö3-Verkehrsfunk! Es herrschte eine Länderkampf-Stimmung wie in einem ausverkauften FußballStadion. Als ein Italiener auch noch den Stinkefinger Richtung Publikum ausfuhr, kochte die Volksseele über.“

Im Angesicht des Dodes Danach kannten Königshofer alle sportaffinen Österreicher. Es war die Zeit, als es noch kein Internet und im TV nur FS 1 und FS 2 gab, und die Sendung „Sport am Montag“ mit Hintergrundberichten noch ein Millionenpublikum anlockte. Fritz Dodes berichtete über die Rundfahrt und die älteren TVKonsumenten werden sich gewiss

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an den Soundtrack „Hey Hey“ (von Gershon Kingsley) erinnern, der bei den Abfahrten vom Großglockner stets gespielt wurde.

Die damals sehr zahlreichen Bergetappen verhinderten, dass Königshofer auch in der Gesamtwertung ganz vorne mitmischen konnte. „Von der Salzburger Seite bin ich den Glockner gar nicht g’scheit rauf gekommen. Bei den seltenen Anfahrten von der Kärntner Seite schon, weil es da ein langes Stück gegeben hat, wo jedes Mal starker Gegenwind war und ich habe mich im Begleitkonvoi immer wieder etwas heran tasten können“, so Königshofer. Der „Specht“, wie er aufgrund seiner zwei natürlichen Haarfarben genannt wurde (Einmal servierte ihm ein Wirt in geselliger Runde ein Stück Holz: Zum Pecken!), war ein Spezialist für herausfordernde, knifflige Flachpassagen. „A Gasslflitzer war ich“, lacht er. Einer, der sich auch gerne auf kleineren Kriterien, den sogenannten „Kirmesrennen“, tummelte. „Ich habe einfach ein G’spür entwickelt, wo man am besten attackieren kann, oder sich besser zurückhält, wie man Kurven gut anfährt, Winkel und Wind für sich nützt. Irgendwann war ich dann auch nicht mehr so schüchtern und habe im Auto auf die Siegerehrungen gewartet, sondern habe mich unter die Leute gemischt.“ Das hat

den Fans und seinen Sponsoren getaugt und Königshofer in vielerlei Hinsicht weiter gebracht. Der heute 61-jährige Unternehmer bietet Rennrad-Fahrtechniktrainings und Fahrrad-Sicherheitsschulungen an.

Spitzenzplätze fix gePUCHt

Im legendären „PUCH“-Team fand der damals aufstrebende Jungspund 1984 seinen Platz. Frei wurde jener auch deswegen, weil Rudolf Mitteregger († 24. April 2024) bei der Österreich-Rundfahrt in der Nähe von Wilhelmsburg bei einer unübersichtlichen Baustelle in einen Graben gestürzt war und sich eine schwere Kopfverletzung zuzog. „Wenn du bei PUCH mit von der Partie warst, hast du gewusst, dass du jetzt gewinnen kannst. Mitdenken hast’ damals aber noch dürfen, und dich teilweise sogar selbst erkundigen müssen, in der wievielten Gruppe du eigentlich gerade fährst“, sagt Königshofer, „heute hat jeder seinen Stöpsel im Ohr, der Teamchef bis zu fünf Monitore im Auto und sagt dir, wann du wie stark rein treten sollst. Außer bei Olympia.“

Doping war damals schon ein großes Thema, Königshofer einer der ersten Athleten, die dafür unterschrieben haben, dass auch bei Trainings Kontrollen durchgeführt werden dürfen. „EPO kam Gott sei Dank erst nach meiner Zeit auf und die damals gängigen Mittel konnten alle gut nachgewiesen werden. In manchen Jahren bin ich 20 bis 40 Mal, auch daheim, kontrolliert worden und habe mich darüber gefreut! Meist habe ich die Kontrolleure dann gefragt: ‚Schaut’s da eh auch noch rüber?’“, lacht Königshofer.

Der Specht schaut heuer wahrscheinlich in St. Pölten und aus beruflichen Gründen in Steyr zur Tour. Dass der Tross nach drei Jahren Pause (2020 bis 2022) wieder durch Österreich radelt, sei vor allem für die heimischen Spitzenteams enorm wichtig. Nicht zuletzt deswegen fungieren heuer wieder fünf Teams gemeinsam mit dem Gründer des Vienna City Marathons, Wolfgang Konrad, als Veranstalter. Hey! Hey!

RUMMELPLATZ ST. PÖLTEN

Diese Zeilen sind lächelnde Traurigkeit. Wir haben schon nach Pfingsten, ich weiß, doch das Wort „Rummelplatz“ sind Gerüche von früher, nach Autodrom, Steckerlfisch, Grillhenderl, Pommfritt, Marillenschnaps, Zuckerwatte - und zwischen alledem riecht es nach Frauen. Nach Sehnsucht, Hammerpark, Mopeds, nach Benzin und Männern, Jeans, Mädchenhaut, nach Bayernkurve und GoKart. Die Töne sind das Runtergehen, beim Biergarten vorbei, dann das Knirschen des Schotters. Oben zuvor das aufgeregte Hinstellen des Zehngangrades, zengaungradl, Kawasaki Z 1000 J, tausndakawa, oida. Und noch viel mehr PS: Busen, Busen, Busen. Das einzig wahre Heiligtum aber, Gottgöttliche waren es, Träume von hinten beobachtet, angeglotzt bis zum Schweißausbruch. Es schnalzt aus den Lautsprechern gleichzeitig D.I.S.C.O, Funkytown, Born To Be Alive, „Gas geben, Lenkrad drehen“, „Fahrchips an der Kassa lösen“.

„Seawas Beda“, „Monika, heast, seawas“, „die Gaby, fa he, die Gaby“, und es dampft, es röchelt, es gurgelt die Zungenküsse, die noch zaghaften, die mit Erfolg gekrönten im Hammerpark, Frauen, Frauen, Frauen. Und war das pubertär Intimste auch teilweise gelogen, so wurscht wie nur was. Es galt der Versuch, der Abdruck des Zippverschlusses auf unseren tapferen Handrücken. Wir waren die Tollsten und Stärksten. Alles war Geschlechtsteil und Pistazien-Haselnuss, Erdbeer-Zitron, beim Fedrizzi, beim Federl. Rummelplatz in St. Pölten.

Jetzt peinlich betonierte Fadheit. Okay, ich werde alt. Doch träumen darf ich: „Dreams Of My Reality“.

TEXT: THOMAS SCHÖPF | FOTOS: KÖNIGSHOFER/PRIVATARCHIV MFG 06 24 79
KÖNIGSETAPPE. Königshofer quält sich auf den Glockner rauf, hier 1985.
FOTO ADOBE STOCK
KOLUMNE ROUL STARKA

VIKTORIA ATTRAKTIV WIE NOCH NIE

SKN-Gründungsmitglied Raphael Landthaler pendelt seit einem Jahr von St. Pölten nach Pilsen und hat dort schon jede Menge EuropacupAbenteuer erlebt. Seine Viktoria wird für junge Talente immer attraktiver.

Ligadritter, Cupfinalist, Europacup-Viertelfinalist, dabei 8 Mio Euro Prämien der UEFA eingestreift, durchschnittlich über 9.000 Zuschauer bei den Heimspielen, eine Vereins-Rekordserie von 13 Siegen in Folge, die Abwehrspieler Robin Hranac und Sampson Dweh im Team der Saison der UEFA Conference Leage, gleich vier Spieler bei der EURO: Das ist die Bilanz von St. Pöltens erfolgreichstem Unternehmer in der Fußball-Branche, Raphael Landthaler, im ersten Jahr im Vorstand beim tschechischen Spitzenklub Viktoria Pilsen. „Ja, könnte schlimmer sein“, lacht der 49-Jährige. Bei seinem Herzensklub SKN St. Pölten ist Gründungsmitglied Landthaler nun doch nicht ein-

gestiegen. Deshalb war nach dem Gespräch mit dem MFG-Magazin im Cafe Pusch, unweit seines Büros in der St. Pöltner Innenstadt, nicht die NV Arena seine nächste StadionDestination, sondern Wembley. Für Mitglieder im mächtigsten europäischen Fußball-Gremium, der „European Club Association“ (ECA), gab’s von der UEFA VIPKarten für das Champions-LeagueFinale von Borussia Dortmund gegen Real Madrid (0:2). Im Board der ECA (Vorsitzender ist Nasser Al-Khelaifi von Paris SG, Vize Jan-Christian Dreesen von Bayern München) vertritt Landthaler seit September 2023 die tschechischen Klubs in der „Division 3“. Der Aufstieg in die „Division 2“ steht unmit-

telbar bevor, da Tschechien in der UEFA-Fünfjahreswertung auf Platz zehn geklettert ist. Österreich nimmt aktuell Rang zwölf ein. „Nachdem Sparta und Slavia ausgeschieden sind, war das ganze Land hinter uns. Die TV-Einschaltquoten sind hier auch viel höher als in Österreich, obwohl das meiste im Pay-TV läuft“, so Landthaler, der auch schon im Vorstand der heimischen Bundesliga saß und Finanz-Chef von Rapid war. Der ehemalige Rapid-Präsident Martin Bruckner sitzt im Aufsichtsrat von Pilsen, Ex-Keeper Raimund Hedl fungiert als Investor.

Daumendrücker im ganzen Land

Die Gruppenphase der Conference League gewann Pilsen als einziger Klub überhaupt ohne Punkteverlust und ging in dieser Zeit bewerbsübergreifend auch gleich 13 Mal in Folge als Sieger vom Platz. „Da haben wir auch auswärts gegen Slavia gewonnen und später daheim noch Sparta bezwungen. Das ist für unsere Fans ganz besonders wichtig“, weiß Landthaler.

An die beiden Hauptstadtklubs ist kaum ran zu kommen, Pilsen klar die Nummer 3. Das viertplatzierte Banik Ostrau hat wiederum gleich 21 Punkte Rückstand auf Viktoria aufgerissen. Die 1:2-Niederlage im Cupfinale gegen Sparta „tat weh, ist jetzt aber auch kein Weltuntergang“, so Landthaler. Richtig stolz ist er, dass Teamchef Ivan Hasek mit Verteidiger Robin Hranac (24 Jahre), den Mittelfeldspielern Lukas Cerv und Pavel Sulc (beide 23) und Stürmer Thomas Chory (29) gleich vier Pilsener in den EM-Kader einberufen hat. „Die besten jungen tschechischen Spieler wissen mittlerweile, dass sie bei uns bessere Chancen auf viel Spielzeit haben als bei

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Sparta oder Slavia“, sagt Landthaler. Gehören tut Pilsen als nicht börsennotierte Aktiengesellschaft dem österreichisch-schweizerischen Unternehmen „FCVP GmbH“ mit dem Schweizer Investor Martin Dellen-

bach im Hintergrund, der auch beim TSV Hartberg an den Schalthebeln sitzt und Obmann von Zweitligist SV Lafnitz ist. Nimmt man noch die zweite Mannschaft von Pilsen dazu können Landthaler und Co. jungen

Talenten bei den erwähnten Klubs theoretisch pro Saison in Summe 130.000 Spielminuten bieten, um sie dann im Idealfall in eine Top-Liga zu verkaufen.

Die heißeste Pilsener Aktie ist Mittelstürmer Rafiu Duronsinmi. Den 21-jährigen Nigerianer haben gleich mehrere Premier-LeagueKlubs im Visier. Im Winter war auch Eintracht Frankfurt an ihm dran, entschied sich dann aber für ÖFBTeamstürmer Sasa Kalajdzic.

Lieber die Austria

Als Ligadritter wird Viktoria Pilsen das nächste Europacup-Abenteuer in der 3. Qualifikationsrunde der Europa League starten. Mögliche Gegner am Weg in die Gruppenphase der Europa League oder Conference League sind Rapid beziehungsweise Austria. Landthaler schmunzelt: „Wenn wir die Austria raushauen, wäre mir das natürlich lieber.“

TEXT: THOMAS SCHÖPF | FOTOS: PRIVAT/ZVG
STP-BESUCH. Landthaler flankiert von seinen Fußball-Freunden Franz Kürzel, Mario Burger, Helmut Meder, Christian Walter (v.l.n.r.) bei einem Pilsen-Heimspiel.

ZUM HÖREN

AnnoSettele | mikeSnare | Thomas Fröhlich | Thomas Winkelmüller | Rob.STP | Maximilian Reichl (von links nach rechts)

WAS MA HEUT NET TRÄUMEN

Sensibler Pop trifft Symphonik, Ina Regen das Tonkünstler-Orchester! Für ihre erste Zusammenarbeit mit einem großen Symphonieorchester hat die SingerSongwriterin nicht nur ihre bekanntesten Titel frisch arrangiert, sondern auch gänzlich neue Musik geschrieben, wie den Opener-Song „Mut im Bauch“. Und der Mut für dieses Projekt hat sich jedenfalls ausgezahlt, wie das Album beweist.

IN SEXYY WE TRUST

SEXYY RED

Die Rapperin Sexyy Red aus St. Louis liefert mit ihrem zweiten Album „In sexyy we trust“ den Soundtrack zu einem potenziellen zivilisatorischen Rückschritt – und zwar so schmerzbefreit, dass man sie zumindest dafür respektieren muss. Wer kann bei solchen Zeilen nicht lachen: „I won‘t tell your girlfriend, you know I keep it P / I ain‘t never heard a nigga say that my coochie stink“.

ZUM SCHAUEN

A. Müllner | C. Schumacher

NEKROPOLIS

ALEXANDER MILLECKER

Die Dokumentation „Nekropolis“ widmet sich den Ausgrabungen, die zwischen 2010 und 2019 am St. Pöltner Domplatz stattgefunden haben. Die archäologischen Forschungen brachten sensationelle Ergebnisse. So stellt die Entdeckung von insgesamt 22.424 Skeletten auf nur einem Friedhof das weltweit größte Bioarchiv von einem Friedhof dar.

THE BIKERIDERS

JEFF NICHOLS

Dass Austin Butler mehr als nur Elvis spielen kann, wissen wir spätesten seit „Dune 2“. In „The Bikeriders“ wechselt er aber als Mitglied einer kriminellen Motorradgang in die Motorradkluft. Eindrucksvolles Rocker-Drama, das einen sofort in die gewalttätige Gang-Welt hineinzieht, in der Loyalität über allem steht – auch über der eigenen Unversehrtheit.

LOOPHOLES

BRUK ROGERS

West-London: Aus Fusion aus Nah und Fern, aus Afro-Karibischer Diaspora und dem urbanelektronischen Sound entstand vor rund 20 Jahren das höchst tanzbare Genre „BRUK“ – somit riecht schon die Fährte durch den Künstlernamen. 11 best gelaunte Songs, thematisch zwischen Jazz, Brasilia, Club und Soul gelagert, machen viel Lust auf das Durchzappeln lauer Sommernächte jenseits der „4 to the floor“-Stampede. Oi, geezers!

MAMUNABU

„Unser“ Benni aka Dossa aus St. Pölten hat vor Kurzem bekannt gegeben, dass er nach mehr als einer Dekade erfolgreicher Zusammenarbeit mit René Locuzzed zukünftig auf Solopfaden wandeln wird. Dossas Solorelaunch kommt nun mit einem gewaltigen Release auf dem Label Modus von Camo&Krooked und Mefjus. Es ist schön zu sehen, wie Dossa sein Kunsthandwerk kontinuierlich weiterentwickelt.

ZUM SPIELEN

Christoph Schipp

MotoGP 24

MILESTONE

Im direkten Vergleich zum Vorjahr ist „MotoGP 24“ zweifellos ein Schritt nach vorne. Das Game legt gut in Sachen Einsteigerfreundlichkeit nach und präsentiert die wahrscheinlich beste Karriere der Seriengeschichte. Elemente wie der neue Fahrermarkt fügen sich gut ein. Die Präsentation ist dabei weiterhin nicht auf dem Niveau, um mit den Top-Rennspielen zu konkurrieren.

TOP SPIN 2K25

HANGAR 13

Trotz einiger Schwächen ist „Top Spin 2K25“ der neue König des virtuellen Tennisspaßes. Dafür ist vor allem das ausgezeichnete Gameplay verantwortlich, aber auch die Aufmachung kann in einigen Bereichen absolut überzeugen. Man darf mit Sicherheit auch darauf gespannt sein, welche Upgrades der Publisher 2K noch in der Hinterhand hat.

NELL‘ ORA BLU

UNCLE ACID & THE DEADBEATS

Die Psychopop-Metaller aus Cambridge „Uncle Acid & The Deadbeat“ sahen in der letzten Zeit wohl einige Gialli (Giallo = stylisher italienischer Thriller, vornehmlich aus den späten 60ern bis frühen 80ern) und destillierten aus diesem Bewusstsein einen coolen Mix aus Psychedelic Rock, Filmmusik und Hörspiel, dem auch Italo-Legende Franco Nero seine Stimme leiht. Molto bene!

MEET THE GRAHAMS

Kendrick Lamars „Meet the Grahams“ ist ein intensiver Diss-Track gegen Drake, veröffentlicht am 4. Mai 2024. Über ein düsteres Instrumental attackiert er Drakes Familie, inklusive Sohn Adonis und Mutter Sandra. Besonders auffällig sind die persönlichen Angriffe und Anschuldigungen, mit denen er Drake demontiert. Kendrick zerstörte Drake so sehr, dass der Sieg des Beefs erst mal auf seiner Seite steht.

ZUM LESEN

H. Fahrngruber | M. Müllner

KAJZER

MENACHEM KAISER

Auf den Spuren seiner jüdischen Vorfahren reist der Autor nach Schlesien, um das von den Nazis geraubte Haus seines Großvaters zu finden. Kajzer trifft auf skurrile Schatzsucher und Verschwörungstheoretiker in den Kellern und Stollen des Nazi-Projekts Riese, kämpft sich durch die polnische Bürokratie und findet die heutigen Bewohner des vermeintlichen Erbes.

GESCHICHTE

ADAM HART-DAVIS

Die Komplexität der Menschheitsgeschichte kann einen schon mal erschlagen. Auch dieser schwere Bildband ist nichts fürs Handgepäck. Dafür präsentiert uns der prächtige Bildband historisches Wissen übersichtlich gegliedert anhand spannender Ereignisse, die den Lauf der Welt verändert haben. Zum Nachschlagen und immer wieder Reinschmökern.

DOSSA
KENDRICK LAMAR 82
FOTOS ZVG
INA REGEN

HIGHLIGHT

VAZ St. Pölten

ZUCCHERO

25. JULI Über eine Million Menschen begeisterte ZUCCHERO „SUGAR“ FORNACIARI im Zuge seiner letzten Tournee, nun bringt er mit der „Overdose D‘Amore World Tour“ für 2024 sein nächstes Meisterstück an den Start. Die Tournee startete Ende März in der Londoner Royal Albert Hall und führt ihn Ende Juli auf den Domplatz St. Pölten. Ein wunderbares Open Air Konzert, im Zuge dessen Zucchero mit seiner genialen Band einen Abend voll großartiger Musik und bester Stimmung bieten wird und dabei die erfolgreichsten und beliebtesten Songs seiner unglaublichen Karriere präsentiert.

INKLUSIVER SPORTTAG

17. JUNI Die FH St. Pölten und das Büro für Diversität laden im Sportzentrum NÖ zum inklusiven Sporttag für Menschen mit und ohne Behinderung. Von 9 bis 12 Uhr sind die ASO St. Pölten Nord, Daniel-Gran-Schule und das Gym dran. Von 13 bis 15 Uhr können alle Menschen die leicht zugänglichen Sportangebote nutzen. Anmeldung unter 0660/1110774.

SPORTZENTRUM NÖ | SPORT

MUSIK.STP FESTPVAL

26. JULI Mit den bewährten Zutaten „Regionale Acts“ und „Urlaubsfeeling am See“ hält das Festival wieder für jeden Geschmack etwas bereit. Auf der Seebühne performen heuer CHiLL-iLL (live mit Band), The Attic, Malvin, Mert Cosmus, Ringelspü, ReFelt, Schall & Zeilen, FerDL, Anti-Kontra und die Songwriting Camp Allstars. Moderation: Hennes.

RATZERSDORFER SEE | FESTIVAL

LENNY KRAVITZ

11. AUGUST Zeitlos. Explosiv. Romantisch. Inspirierend. So könnte man „Blue Electric Light“, das 12. Studioalbum von Lenny Kravitz, charakterisieren. Kravitz‘ Beherrschung des Deep-Soul-Rock’n’Roll ist eine bekannte Tatsache. Seine Talente als Autor, Produzent und Multiinstrumentalist stellt er nicht nur im neuen Album, sondern auch live unter Beweis.

BURG CLAM | KONZERT

ERZÄHLTE GESCHICHTE

20. JUNI Am Weltflüchtlingstag präsentiert das Haus der Geschichte ein Zeitzeug:innenforum zum Thema Flucht und Literatur. Im Gespräch mit Moderator Reinhard Linke sprechen Schriftstellerin und Kolumnistin Julya Rabinowich und Dramatiker und Autor Amir Gudarzi über Fluchterfahrungen und deren Verarbeitung in ihren Werken.

MUSEUM NÖ | GESPRÄCH

OLDTIMER- & TEILEMARKT

3. AUGUST Der Oldtimer- und Teilemarkt bietet für OldtimerFans seit mittlerweile 39 Jahren die Chance, das heiß begehrte Stück zu ergattern. Bei hunderten Ausstellern warten wieder Autos, Motorräder, Nutzfahrzeuge, Fahrräder, Teile, Zubehör, Automobilia, Literatur, Bekleidung, etc. aus allen Epochen darauf, den Besitzer zu wechseln. Und das bei freiem Eintritt!

VAZ ST. PÖLTEN | MARKT

THE TESKEY BROTHERS

22. SEPTEMBER Die gefeierte australische Bluesrock-Band The Teskey Brothers hat mit ihren zeitlosen und gefühlvollen Releases und atemberaubenden Live-Shows bereits rund um den Globus eine treue Fangemeinde aufgebaut – und sie wird diese Mission auch in der Open Air Arena Wien fortführen. „Teskey Brothers live ist jedenfalls stets ein Erlebnis.

ARENA WIEN | KONZERT

LIONS FLOHMARKT

21.-22. JUNI Der Lions-Club St. Pölten veranstaltet auch heuer wieder, unterstützt von zahlreichen freiwilligen Helfern, seinen traditionellen Flohmarkt. Der gesamte Reinerlös kommt karitativen Projekten und der Unterstützung bedürftiger Personen zugute. Erhältlich sind Waren des täglichen Bedarfs sowie manche Kuriositäten und „kleine Kostbarkeiten“.

VAZ ST. PÖLTEN | FLOHMARKT

7. JULI Für den zweiten Tag des Domplatz Open-Airs „Pop am Dom“ hat sich mit der schwedischen Elektropop-Ikone Fever Ray sowie der gefeierten IndiePop-Sängerin Arlo Parks aus London ein hochkarätiges LineUp angesagt. Davor sorgen das Elektroduo HVOB sowie die St. Pöltner Kombo „Salami Recorder & the Hi Fi Phonos“ für beste Stimmung.

VAZ ST. PÖLTEN

KONZERTE | EVENTS | MESSEN | KONGRESSE

SA 21.09.24 // 19:30 LUKAS RESETARITS

SA 28.09.24 // 20:00 ALEXANDER EDER & BAND

SO 13.10.24 // 20:00 THE CHIPPENDALES

FR 18.10.24 // 19:30 ANDREAS FERNER

Tickets im VAZ St. Pölten, ticket@nxp.at, www.vaz.at, 02742/71 400 in allen Raiffeisenbanken, Geschäftsstellen von www.oeticket.com und unter www.noen.at/ticketshop

FEVER RAY / ARLO PARKS DOMPLATZ | KONZERT
Foto: Katrin Werzinger
FOTO Carlota Figueras MFG 06 24 83

AUSSENSICHT

ST. PÖLTEN UND DIE

AUSSENWAHRNEHMUNG

GEORG RENNER

Der Wilhelmsburger ist freier Journalist bei der Wiener Zeitung und DATUM.

Den Ruf ein bisschen aufhübschen?

Mission accomplished.

Es ist ja nicht so einfach, für ein Projekt wie die leidernicht-Kulturhauptstadt-Tangente ein klares Ziel zu formulieren, an dem man nachher Erfolg oder Misserfolg messen kann. Aber falls die Idee war, damit zumindest auch zu erreichen, den Ruf unserer Landeshauptstadt in der großen (österreichischen) Welt ein bisschen aufzuhübschen, kann man jetzt schon sagen: Mission accomplished.

Das liegt aber nicht so sehr an den Kunst- und Kulturprojekten, sondern eher daran, wie sich die Stadt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten neu erfunden hat. Die Kulturhauptst…pardon, die Tangente hat nur den Effekt, dass jetzt endlich einmal wer herschaut. Journalisten, die St. Pölten bisher hauptsächlich als lästigen Halt der Schnellzüge am Weg in „richtige“ Städte wahrgenommen oder an städtischer Infrastruktur höchstens die Tiefgarage des Landhausviertels (*das* wäre einmal ein Ort für eine Kunstinstallation) kennengelernt haben, entdecken plötzlich auch andere Seiten. Den Rathausplatz zum Beispiel, („wie eine italienische Piazzadas mag übertrieben sein, aber nicht sehr“, © Die Zeit), den Geh- und Radweg entlang des Mühlbachs, die Fußgängerzonen und Traisenauen.

Für eine mittelgroße Stadt, so der Sukkus solcher Expeditionen, ist St. Pölten exzellent aufgestellt. Klar, die Schattenseiten – das horrende Budgetdefizit etwa, oder den Zustand mancher Schulen – sieht man in solchen Ausflügen nicht. Aber es ist eine schöne Anerkennung für die Stadt, ihre Politik und ihre Menschen, dass man sich zumindest so gemacht hat, dass professionelle Tagesbesucher und -beobachter einen guten Eindruck mitnehmen und in die Welt hinaustragen. (Ob das etwas Gutes ist und angesichts solcher Hymnen jetzt nicht noch mehr Menschen in die am stärksten wachsende Stadt Österreichs ziehen werden, ist eine andere Frage).

Die Tangente wird man in ein paar Monaten, nach ihrem Ende als Ganzes bewerten müssen. Aber für den Anfang muss man schon einmal sagen: Als Stadtmarketing hat sie durchaus gewirkt.

JAKOB WINTER

Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

St. Pölten vereint die Vorteile einer Stadt mit denen des Landes.

Eines hat sich nicht verändert, seit ich vor über einem Jahrzehnt nach Wien gezogen bin: Die mitleidigen Blicke meines Gegenübers, wenn ich erwähne, dass ich ursprünglich aus St. Pölten komme.

Daran konnten auch die zuletzt gehäuften Lobeshymnen auf die Stadt von nationalen und internationalen Zeitungen nichts ändern. St. Pölten gilt allen, die noch nie dort waren, als Inbegriff einer unterdurchschnittlichen Provinzstadt, als langweilige Lachnummer unter den Landeshauptstädten.

Dem würde ich widersprechen. St. Pölten wird zwar nie zur Touristenmetropole taugen, dafür gibt es einfach zu wenige Sehenswürdigkeiten. Und doch vereint St. Pölten auf sympathische Weise die Vorteile einer Stadt mit denen des Landes. Der Charme erschließt sich allerdings nur denen, die sich dauerhaft an St. Pölten binden. Und damit meine ich eben nicht nur das kulturelle Angebot, auf das sich die Analysen von weitgereisten Journalisten oft beschränken.

Ich meine die kleine, aber wachsende Lokalszene in und rund um die Innenstadt. Ich wäre froh, würde ich in Wien überall so gut essen und trinken. Und wenn ich bei jedem Spaziergang zum Markt alte Freunde treffen würde. Ja, das ist Provinz – aber die gute Version davon! Ich meine den Sport. St. Pölten ist, viele wissen das noch immer nicht, zum Zentrum des Frauenfußballs geworden. Nicht nur wegen der dominanten SKN-Damen, sondern auch wegen der Nachwuchsakademie des ÖFB.

Die Natur. In welcher Stadt ist man binnen weniger Minuten am Wasser?

Die Nähe zu Wien. Ja, St. Pölten fehlt es an einigem. Für viele Jobs, spezialisierte Geschäfte und Hochkultur muss man in die Bundeshauptstadt. Nur reist man von der St. Pöltner City genauso schnell zum Wiener Hauptbahnhof wie von der Wiener Seestadt.

Auch das dürfte ein Mitgrund sein, warum St. Pölten die am schnellsten wachsende Stadt Österreichs ist.

Deshalb sage ich jedem Gegenüber mit mitleidigem Blick immer dasselbe: St. Pölten wird unterschätzt.

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FOTOS: LUIZA PUIU, ALEXANDRA UNGER

SpezialEinsatz in St. Pölten!

ALTE WEISSE (WEISE?) MÄNNER. Zuletzt sorgte der Papst mit homophoben und chauvinistischen Aussagen für Aufregung. Seine Pressestelle kalmierte, alles nicht so gemeint … es bleiben Zweifel.

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ARLO PARKS

MFG 03 22 87
FEVER RAY
© Nina Andersson © Alex Waespi
DOMPLATZ OPEN-AIR 07 JULI 2024

POTTENBRUNN

Nach erfolgreicher Fertigstellung und feierlicher Übergabe des dritten Bauabschnittes startet die Anmeldung für den vierten Bauabschnitt, welcher Wohnungen und Doppelhäuser mit ECHTER EIGENTUMSOPTION umfasst.

Höchste Bauqualität mit ökologischen Baumaterialien (Ziegelmauerwerk), Photovoltaikanlage

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ALTE HOFMÜHLGASSE/EBERHARDTSTRASSE

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