6 minute read

Stadtmuseum Schramberg

Next Article
Niederstetten

Niederstetten

Das ehemalige Schloss der Grafen von Bissingen und Nippenburg und heutige Stadtmuseum Schramberg mit der Plastik „9/90“ des Stahlbildhauers Erich Hauser (1930-2004). Foto: © Rainer Langenbacher / Vorlage: Stadtmuseum Schramberg

Stadtmuseum Schramberg – 200 Jahre Industriekultur im Schwarzwald

Advertisement

Wer Schwarzwald hört, denkt meistens an seine romantische Landschaft, an den pittoresken „Bollenhut“ oder die legendäre „Schwarzwälder Kirschtorte“ – und nicht an Industrie. Und doch ist der Schwarzwald seit 200 Jahren auch ein wichtiger Industriestandort. Die heutige Region Schwarzwald-Baar-Heuberg ist sogar einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Industriecluster in Europa mit zahlreichen Weltmarktführern. Hier liegt auch die traditionsreiche Industriestadt Schramberg, in der sich das 1979 gegründete Stadtmuseum deshalb vor allem mit der Industriegeschichte befasst. Die Schwerpunkte des Sammlungskonzeptes sind von Anfang an Industrieprodukte: Steingut, Strohwaren, Uhren – und weitere Erzeugnisse örtlicher Fabriken. Die Sammlungen, Dauer- und Sonderausstellungen sowie Publikationen in der Schriftenreihe sind gefragte Quellen für Forscher und Sammler aus aller Welt.

Zu Hause ist das Stadtmuseum nicht – wie man eigentlich erwarten könnte – in einem historischen Fabrikgebäude. Es befindest sich stattdessen in einem spätklassizistischen Schloss einer Adelsfamilie, der Grafen von Bissingen und Nippenburg, die ihre repräsentative Residenz im Jahr 1923 an die Stadt verkauften. Von 1925 bis 1979 wurde das Gebäude als Schulhaus genutzt und von 1979 bis 1982 in ein „Kulturzentrum“ mit Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Stadtmuseum umgewandelt. Heute wird es vollständig als Stadtmuseum genutzt. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude ist mit der zum 125-jährigen Stadtjubiläum im Jahr 1992 eingeweihten Plastik „9/90“ des Stahlbildhauers Erich Hauser (19302004) eines der Wahrzeichen der Stadt. Der Künstler lebte in seinen jungen Jahren in Schramberg und war ihr lebenslang verbunden.

In einem Vorgängerbau begann 1820 auch die örtliche Industriegeschichte. Mit der Mediatisierung der vorderösterreichischen Herrschaft im Königreich Württemberg im Jahr 1806 kam die Adelsfamilie in eine Krise und überließ ihr baufälliges Schloss einer der ersten Steingutfabriken in Südwestdeutschland. Das Steingut war in der Mitte des 18. Jahrhunderts in England erfunden worden und bot eine preisgünstige Alternative zum kostspieligen Porzellan. In schneller Folge kam es bald darauf in anderen europäischen Ländern ebenfalls zu Gründungen. In Schramberg war die erste Steingutfabrik im Königreich Württemberg, die maßgeblich dazu beitrug, dass der alte Marktflecken im Jahr 1867 zur Stadt erhoben wurde.

1840/43 baute Reichsgraf Cajetan von Bissingen und Nippenburg (1806-1890) ein neues Schloss. Die erfolgreiche Steingutfabrik errichtete in der Nachbarschaft eigene Gebäude – ebenfalls in spätklassizistischem Stil, wie auch die Katholische Pfarrkirche Maria Himmelfahrt. Auf einigen Produkten aus dieser Zeit ist dieses eindrucksvolle – und bis heute erhaltene Ensemble – auch zu sehen.

Zierteller der mit Ansicht des Schlosses der Grafen von Bissingen und Nippenburg, der Katholischen Pfarrkirche Maria Himmelfahrt und der Steingutfabrik in Schramberg aus der Zeit um 1845. Foto: © Rainer Langenbacher / Vorlage: Stadtmuseum Schramberg

Von 1883 bis 1911 war das Unternehmen ein Zweigwerk von Villeroy & Boch in Mettlach im Saarland und wurde zuletzt seit 1912 unter dem Namen „Schramberger Majolikafabrik“ geführt, die besonders für das „Dekor Rembrandt“ bekannt war – über Jahrzehnte ein beliebtes Schwarzwaldsouvenir. Aber auch Eva Zeisel (1906-2011), eine der berühmtesten Keramikdesignerinnen des 20. Jahrhunderts, war zeitweise für die „Majolika“ tätig. 1989 musste die Produktion aufgegeben werden, als die deutsche

Schnapskrug mit dem Dekor „Rembrandt“ der Steingut- und Porzellanfabrik von Villeroy & Boch in Schramberg aus der Zeit um 1910 Foto: © Rainer Langenbacher / Vorlage: Stadtmuseum Schramberg

Keramikbranche mit der Auslandskonkurrenz nicht mehr mithalten konnte – und ihre Produkte nicht spülmaschinenfest waren. Aus der Steingutfabrik wurde ein Firmenpark. Auf der Grundlage einer Sonderausstellung zum 200-jährigen Firmenjubiläum im Jahr 2020 wird die Dauerausstellung aus dem Jahr 1982 derzeit neu konzipiert und bietet einen anschaulichen Überblick über die Firmen-, Produkt- und Stilgeschichte. Mittlerweile kann die Dauerausstellung aus einer reichen Sammlung immer wieder erneuert werden.

Dauerausstellung im Stadtmuseum Schramberg: Oben: Steingutherstellung Unten: Steingutmagazin Rechts: Strohflechterei Fotos: © Rainer Langenbacher / Vorlage: Stadtmuseum Schramberg

1834 wurde in Schramberg auch eine Armenbeschäftigungsanstalt gegründet, um mit staatlicher Unterstützung den wirtschaftlichen Aufschwung des Marktfleckens in schwieriger Grenzlage im äußersten Südwesten des Königreichs Württemberg weiter zu fördern. In der damit verbundenen Hausindustrie waren in der Umgebung mehrere Tausend Männer, Frauen und Kinder mit Strohflechterei für Hüte und Taschen beschäftigt. Die aus der Armenbeschäftigungsanstalt entstandene Strohmanufaktur J.P. Haas & Cie. bestand bis 1914, die Strohmanufaktur Wolber bis 1930. Erhalten blieben nur einige wenige Produkte, die in einer zweiten Dauerausstellung zusammen mit einer Hutpresse an diese Industrie erinnern.

Der kometenhafte Aufstieg zur größten Industriestadt im Schwarzwald kam mit der Entwicklung mehrerer Uhren- und Federnfabriken in der Hochindustralisierung. Die 1861 gegründete Uhrenfabrik Gebrüder Junghans war führend beim Technologietransfer zur modernen Massenproduktion aus den USA und ein sehr innovativer Maschinenbauer. Um 1900 war das Unternehmen die größte Uhrenfabrik der Welt und feierte ihren Erfolg mit einer „Kunstuhr“ auf der Weltausstellung in Paris, die als Spitzenobjekt aus dem Zeitalter der Industrialisierung in der Dauerausstellung „Uhrenabteilung“ im Stadtmuseum bewundert werden kann. Die Uhrenfabrik Junghans hat die Geschichte der Stadt lange geprägt, wie sich in einer bis heute geläufigen Redensart widerspiegelt: „Schramberg ist Junghans. Und Junghans ist Schramberg.“ Die „Fabrikstadt“ bestand auf ihrem Höhepunkt aus 104 Gebäuden mit einem neunstufigen „Terrassenbau“ zur Kleinuhrenproduktion als architektonischem Höhepunkt. Junghans ist bis heute in Schramberg zu Hause – als eine der wenigen Uhrenfabriken, die es in Deutschland noch gibt.

Dauerausstellung im Stadtmuseum Schramberg: Oben: Uhrenabteilung Links: Die Kunstuhr der Uhrenfabrik Gebrüder Junghans zur Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 im Stadtmuseum Schramberg. Unten, mitte: Dauer-Wechsel-Ausstellung „Made in Schramberg – Spitzentechnik aus dem Schwarzwald“ Fotos: © Rainer Langenbacher / Vorlage: Stadtmuseum Schramberg

Der Gründung der Uhrenfabrik Gebrüder Junghans folgte die Gründung weiterer Uhrenfabriken – insbesondere der Hamburg-Amerikanische Uhrenfabrik (H.A.U.) – und von Federnfabriken. Mit Federn aller Art – Spiral-, Trieb- und Zugfedern – wurde Schramberg zum Weltzentrum dieser Technologie mit bahnbrechenden Innovationen wie der „Nivarox“, einer temperaturunabhängigen Spiralfeder. Das Hauptprodukt der Uhrenfabriken war der Wecker. Die Berufstätigen in der modernen Gesellschaft, die sich pünktlich an ihren Arbeitsplätzen einfinden mussten, waren ein riesiger Markt für dieses Produkt. Bereits im Kaiserreich wurden von den Uhrenfabriken außerdem Zünder für die Rüstungsproduktion entwickelt und im Ersten und Zweiten Weltkrieg in Massenproduktion hergestellt. 1986 übergab die damalige Junghans Uhren GmbH ihre Sammlung als Dauerleihgabe an das Stadtmuseum, die als größte Sammlung industrieller Zeitmesser in Europa von herausragender Bedeutung für die Geschichte der Uhrentechnik und Massenproduktion ist.

Zu seinem 40-jährigen Jubiläum konnte das Stadtmuseum im Jahr 2019 zuletzt die Brücke in die Gegenwart schlagen und die neue Dauer-Wechsel-Ausstellung „Made in Schramberg – Spitzentechnik aus dem Schwarzwald für den Weltmarkt“ eröffnen. Sie beleuchtet die Veränderung der Industriestadt in den letzten 40 Jahren – nach der so genannten „Uhrenkrise“, in der

Wecker - das Hauptprodukt der Uhrenfabriken im Zeitalter der Industrialisierung – im Stadtmuseum Schramberg Foto: © Rainer Langenbacher / Vorlage: Stadtmuseum Schramberg

Junghans durch hausgemachte Versäumnisse und Konkurrenz aus Fernost seine Bedeutung als größter Arbeitgeber verlor. Zeitweise hatte Schramberg Spitzenwerte in der Arbeitslosenstatistik. Durch die positive Entwicklung früherer Zulieferfabriken (vor allem der Federn- und Platinenfabrik Kern-Liebers und des Leiterplattenherstellers Schweizer Electronic) und die Ansiedlung von TRUMPF Laser konnte der Strukturwandel aber erfolgreich bewältigt werden. In der Dauer-Wechsel-Ausstellung sind beispielhafte Produkte zu sehen. Ein Diorama mit einer Stadtlandschaft veranschaulicht, wie präsent Produkte aus Schramberg im modernen Leben sind – und ist überrascht, dass der Schwarzwald hier alles andere als ein Klischee ist, sondern sich am Puls der Zeit befindet.

Stadtmuseum Schramberg Bahnhofstraße 1 78713 Schramberg Tel.: 07422-29-268 museum@schramberg.de www.stadtmuseum-schramberg.de

Blick in das Uhrenmagazin des Stadtmuseums Schramberg Foto: © Rainer Langenbacher / Vorlage: Stadtmuseum Schramberg AUDIOGUIDE STADTMUSEUM SCHRAMBERG

www.museum.de/m/4039

This article is from: