Kleine Schriftenreihe des Museumsvereins Klostertal 9
Hopfenbrocken GrenzĂźberschreitende Arbeitsmigration
Christof ThĂśny (Hg.)
Museumsverein K L O S T E R TA L
Christof Thöny (Hg.), Hopfenbrocken. Grenzüberschreitende Arbeitsmigration (Kleine Schriftenreihe des Museumsvereins Klostertal 9). Wald am Arlberg 2014. ISBN 978-3-902319-16-6 Museumsverein Klostertal Haus Nr. 60a A-6752 Wald am Arlberg Tel: +43 664 4911474 christof.thoeny@museumsverein-klostertal.at www.museumsverein-klostertal.at Gestaltung: Christof Thöny Lektorat: Barbara Winkler Druck: Linder Druck © Museumsverein Klostertal, Wald am Arlberg 2014
Inhalt
Einleitung
2
Hopfenanbau in Tettnang (Elmar Bereuter)
4
Hopfenbrockerinnen aus dem Klostertal (Christof Thรถny)
22
Abbildungen
40
Einleitung
Grenzüberschreitende Arbeitsmigrationen nach Süddeutschland werden seit mehreren Jahren im Klostertal Museum und in der Arbeit des Museumsvereins Klostertal thematisiert. Unmittelbaren Anstoß dafür hat in erster Linie das 2008 begonnene Großprojekt rund um die Schwabenkinder gegeben, das mit Anfang des Jahres 2015 ausläuft. In diesem Zusammenhang ist im Sommer 2013 eine umfangreiche Ausstellung zur Geschichte der Migrationen präsentiert worden. Persönlich beschäftigt mich die Migrationsgeschichte des Tales schon wesentlich länger. Diese war bereits Thema meiner zur Matura am Bundesgymnasium Bludenz 1999 entstandenen Fachbereichsarbeit, wobei in diesem Zusammenhang auch ein Interview mit Zeitzeuginnen zur ehemaligen Tätigkeit des Hopfenbrockens geführt wurde. Nunmehr ist im Umfeld der grenzüberschreitenden Kontakte zum Thema der Schwabenkinder auch dieser Aspekt wieder in den Fokus gerückt. In Zusammenarbeit mit dem Hopfenmuseum Tettnang ist es gelungen, im Rahmen eines grenzüberschreitenden Projekts den Spuren ehemaliger Hopfenbrockerinnen (in unserem Fall größtenteils Frauen und Mädchen) nachzugehen und anhand biografischer Beispiele diese einstigen Arbeiten landwirtschaftlicher Saisonkräfte aufzuzeigen. Dank der Förderung aus dem Kleinprojektefonds der Bodenseekonferenz im Rahmen des Programms Interreg IV und eines finanziellen Beitrags der Brauerei Fohrenburg kann diese Dokumentation nunmehr auch in gedruckter Form und als Film präsentiert werden. In der vorliegenden Publikation widmet sich Elmar Bereuter, der selbst ein wichtiger Kooperationspartner des Museumsvereins Klostertal geworden ist, dem Hopfenanbau im Raum Tettnang, während Christof Thöny die Geschichten von ehemaligen Hopfenbrockerinnen aus dem Klostertal nachzeichnet. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle Rosina Burtscher aus Braz und Frieda Milanovic aus Dalaas, die durch ihre Erinnerungen dieses Projekt erst ermöglicht haben, und Inge Locher sowie Charlotte Müller vom Hopfenmuseum Tett-nang für die angenehme Kooperation. Wald am Arlberg, November 2014 Christof Thöny, Obmann des Museumsvereins 2
Exkursion des Muserumsvereins Klostertal nach Tettnang am 17. Oktober 2014
Hopfenanbau in Tettnang
Hopfenanbau in Tettnang Elmar Bereuter
Wer erstmals in das Gebiet zwischen Bodensee und Allgäu oder in den Raum um Tettnang kommt, erlebt eine Landschaft, die auf den ersten Blick eher an ein Gesamtkunstwerk als an Landwirtschaft erinnern mag. Sind es im Frühjahr zarte Pflänzchen, die ihr Grün an Drähten himmelwärts ranken, verdichten sich diese im Sommer zu scheinbar riesigen wallenden Vorhängen, die die Landschaft wie mit weiten Mänteln zu verhüllen scheinen. Ab dem Herbst sind es kahle Stangenwälder, die weithin sichtbar wie spindeldürre Finger die Szenerie beherrschen. Was dem Besucher zudem ins Auge fallen wird, sind die oftmals mächtig wirkenden Hofanlagen, zu denen ebenso stattliche Wohngebäude gehören: ältere, oft mehrgeschossige Bauernhäuser mit vielen Fenstern, deren dahinterliegende Kammern heute nicht mehr genutzt werden. In früheren Zeiten des großen Bedarfs an Arbeitskräften waren sie nötig zur Unterbringung des Gesindes. Neben den in Dienst stehenden Knechten und Mägden dienten sie auch als Unterkünfte für die zahlreichen ausländischen Helfer während der Hopfenernte. Heute, nach dem Siegeszug der Mechanisierung auch in der Landwirtschaft, sind sie vielfach überflüssig geworden: Was früher nur mit dem Einsatz tausender fleißiger Hände bewerkstelligt werden konnte, erledigen heute Maschinen mit nur einem Bruchteil des Zeitaufwandes. Die früher wohl bekannteste Tätigkeit in Oberschwaben, die von etwa Ende August bis Mitte September für etwa drei Wochen Menschen alljährlich nach Oberschwaben zog, war das Hopfenbrocken. Diese Erntehelfer kamen nicht nur aus Vorarlberg, sondern auch aus Tirol, der Schweiz und Liechtenstein. Neben dem willkommenen Verdienst bedeutete diese Zeit im Schwabenland für viele eine Abwechslung. Besonders für junge Leute war es auch eine willkommene Möglichkeit, der Enge des Dorfes und der ständigen Kontrolle durch die Älteren zu entfliehen. Aber der Hopfenanbau in größerem Umfang kam im Gegensatz zum übrigen Württemberg erst verhältnismäßig spät in den Raum nördlich des Bodensees.
4
Blick auf einen Hopfengarten
Ein Vulkanausbruch gibt den Anstoß zum Hopfenbau Nach den Napoleonischen Kriegen herrschte in Württemberg große Not, die Landwirtschaft lag vielerorts buchstäblich am Boden. Zudem folgte seit 1811 eine Fehlernte der anderen. Doch nicht genug: Nach einem harten Winter flog am 10. April 1815 auf der anderen Seite der Erdkugel auf der indonesischen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora in die Luft. Der Berg büßte dabei etwa ein Drittel seiner Höhe ein. Vor der Explosion war der Tambora mit etwa 4.300 Metern Höhe einer der höchsten Gipfel im indonesischen Archipel, danach betrug seine Höhe nur noch 2850 Meter. Die Explosion mit einer geschätzten Sprengkraft von 170.000 Hiroshima-Bomben Briefmarke zur Erinnerung war noch in über 1.800 Kiloan die Geschichte des metern Entfernung zu hören. Hopfenanbaus in Deutschland 5
Eine riesige Staub- und Aschewolke erreichte neben Nordamerika auch Teile Europas. Die Folgen waren katastrophal. 1816 wurde zum „Jahr ohne Sommer“ mit dem Beginn der größten Hungersnot des 19. Jahrhunderts durch Missernten und erhöhte Sterblichkeit des Nutzviehs. Seit 1811 waren die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse um das 10- bis 15-fache angestiegen. „Verzweifelt sah das arme, durch den Druck harter Zeiten ausgesogene Volk diesem Misswachs zu, der den Armen rettungslos zum Hungertod zu verdammen schien“, schrieb damals der Tübinger Professor Christian Reinhold Köstlin. In diesen trostlosen Herbst 1816 fiel der Beginn der Herrschaft Wilhelms I. von Württemberg. Das sommerlose 1816 ohne Ernten machte auch 1817 zu einem weiteren Hungerjahr. Die verarmte Landwirtschaft und die demoralisierte Bevölkerung brauchten neue Perspektiven. Bald tauchten die ersten Pläne für ein großes Volksfest auf. Ein „Landwirtschaftliches Hauptfest“ sollte das Land auf künftige Notzeiten besser vorbereiten und neue Erkenntnisse weiter und schneller verbreiten. Ein wenig mag Wilhelm wohl auch an den römischen Dichter Juvenal und seinen satirischen „Sager“ von „Brot und Spielen“ gedacht haben, als er postulierte: „Das Volk muß wieder Freude haben und sich an seiner eigenen Lebenslust wieder aufrichten. Kopfhänger kann ich in meinem Land nicht brauchen!“ So wurde erstmals 1818 ein landwirtschaftliches Fest gefeiert, das über 30.000 Besucher und Mitwirkende anlockte. Heute zählt das Cannstatter Volksfest mit jährlich rund vier Millionen Besuchern zu den größten Volksfesten der Welt. Am 20. November 1818 kam es zur Gründung einer landwirtschaftlichen Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt, heute bekannt als Universität Hohenheim. Schon 1819 regte der junge König den verstärkten Anbau von Hopfen an, stieß damit aber nicht überall auf Begeisterung. 1822 ordnete er die ersten Versuche mit der Kultivierung von Hopfen in Hohenheim an. Aber die Oberschwaben ließen sich davon nicht sonderlich beeindrucken. Getreide, Viehzucht und Obst – das, ja. Das waren Erzeugnisse, mit denen man etwas anfangen konnte und die den Bauch voll machten. Für andere Vergnügen gab es den Wein. Sollte man sich also selbst die Konkurrenz an den Hals 6
Noch heute sichtbare Überreste eines ehemaligen Weinbergs in der Nähe von Tettnang.
züchten? Schließlich gab es genug meist kleinere Brauereien, die die geringen Mengen an Hopfen, die sie zur Herstellung ihres Bieres benötigten, selbst anbauten. Und so waren es hauptsächlich Gebiete im Großraum Stuttgart, in denen sich Bauern auf dieses Wagnis einließen. In Oberschwaben waren es die Gegenden um Saulgau, Mengen und Altshausen, wo im Jahr 1829 auf etwa 150 Hektar Hopfenbau betrieben wurde. Die Bauern im klimatisch bevorzugten Bodenseeraum blieben abwartend und auch Tettnang, heute eine Hochburg feinster Hopfensorten, entwickelte sich erst nach und nach und eher zögerlich zu einem Zentrum der Hopfenpflanzer. Noch 1838 heißt es in der Beschreibung des Oberamtes Tettnang: „Hopfen bauen einige Bierbrauer in Friedrichshafen, Langenargen, Hemigkofen, Tettnang zum eigenen Gebrauche. Er geräth gut und gewährt einen bessern Ertrag, als die ebenen Rebländer.“ Auffallend ist, dass dies den einzigen Hinweis auf Hopfen darstellt, während der Begriff „Wein“ in der amtlichen Beschreibung des Bezirks 13 Mal vorkommt. In derselben Beschreibung heißt es weiter, dass es im Bereich des Oberamtes Tettnang 14 Brauereien gebe, drei davon in Tettnang und ebenso viele in Friedrichshafen. Die 7
restlichen acht verteilten sich auf andere größere Gemeinden. Drei Jahre später gab es in Tettnang schon sechs Brauereien. Obwohl sich die Zahl der Braustätten also in kurzer Zeit verdoppelt hatte und das Bier offensichtlich auf dem Vormarsch war, blieb, was die Kultivierung des Hopfens in größerem Umfang anbetraf, alles beim Alten. Auch eine für zehn Jahre in Aussicht gestellte Subvention in Form eines Steuererlasses vermochte es nicht, die Tettnanger Obstund Weinbauern grundlegend umzustimmen. Einer der Gründe war sicher das höhere Risiko, da der Ertrag der Hopfenernte von einer Reihe von Faktoren abhängig war, die bei anderen Ernteformen keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Darüber half auch nicht das Argument hinweg, dass Ernteausfälle den Hopfenpreis in die Höhe treiben und den Ausfall so in der Folgezeit wieder mehr als wettmachen würden.
„Wo Wein wächst, müsste eigentlich auch der Hopfen gut gedeihen.“ 1844 ergriffen sieben Bürger der Stadt, ihnen voran der in Tettnang wirkende Unteramtsarzt Dr. Johann Nepomuk Fidelis von Lentz, die
Ansicht von Tettnang 1838
8
Initiative und legten 1844 den ersten Mustergarten in Tettnang an. Zu den weiteren acht Mitbegründern zählten neben städtischen Bürgern zwei weitere Ärzte, ein Kaufmann und der Posthalter. Ein einziger Bauer war auch dabei. Vier Jahre später standen Weinbau und Feldwirtschaft in der Gewichtung immer noch auf den vorderen Plätzen, bei einem Wettbewerb zur „Beförderung des Hopfenbaues“ wurden aber immerhin 50 von 300 Gulden den Hopfenbewerbern zugeschlagen. 1854 standen über 300 Hektar Weinbau nun schon drei Hektar Hopfenbau gegenüber. Der Umschwung setzte in den frühen 1860er-Jahren ein. Vermutlich war es das Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die dazu führten. Auf der einen Seite ermöglichte der Ausbau des Schienennetzes mit der „Schwäbischen Eisenbahn“ zwischen Stuttgart und Friedrichshafen auf württembergischer Seite und der Verbindung von Lindau nach München in Bayern den Anschluss an neue Märkte. Auf der anderen Seite verlor Oberschwaben als seit dem Mittelalter bedeutendste Kornkammer des benachbarten Alpenraums rapide an Bedeutung: Gleichzeitig gelangte über die Eisenbahn billigeres ausländisches Getreide auf den Markt. Der Handel über den Umschlagplatz am Bregenzer Kornmarkt kam zunehmend in Bedrängnis und in Rorschach wurde 1862 erstmals anstatt schwäbischem Korn Weizen aus Ungarn verkauft. Die Preise für Getreide aus Oberschwaben sanken und der Export über den Bodensee ging von 286.700 Zentnern im Jahr 1853 auf nur noch 2.628 Zentner im Jahr 1882 zurück. Das entsprach in knapp 30 Jahren einem Rückgang um über 99 Prozent. Damit verschwand auch zunehmend eine Nebeneinkunft, der vornehmlich von Frauen aus Vorarlberg, Tirol, Liechtenstein und der Ostschweiz nachgegangen wurde. Der 1874 geborene Tiroler Heimatforscher Hans Grissemann aus Grins bei Landeck berichtet: „Ich habe in meiner Jugend selbst noch einige arme Weiber in Grins gekannt, die zur Erntezeit zum „Ücheren“ auf zwei bis drei Wochen ins Schwabenland pilgerten. So um Iakobt herum wanderten sie in vier bis fünf Tagen zu einem Bauern ins Schwabenland und verdingten sich dort für die Zeit der Kornernte als Arbeiterinnen, je eine bei einem Besitzer. Einen halben Tag mußten sie dem Bauern 9
Jean-François Millet, Die Ährenleserinnen, 1857
bei der Arbeit helfen, den andern Halbtag durften sie für sich verwenden und auf dem Acker die zurückgebliebenen Ähren (Öcher, Ücher, Ücheren) sammeln. Bei großem Fleiß brachte dann so eine Ücherin im ganzen vier bis fünf Streichmaß (4 Streichmaß = 72 kg) Körner zusammen. Mit dem Erträgnis ihrer Arbeit zogen dann die Weiber wieder heim.“ Und im Montafon erzählte 1922 eine siebzigjährige Vandanserin über ihre anstrengende Tätigkeit als Ährenleserin und bemerkte dazu: „Wer im Schwabenland draußen nicht krumm und bucklig wird, der ist aus Eisen und Stahl!“ Wie schon erwähnt, kamen 1854 im Tettnanger Raum auf 300 Hektar Weinbaufläche schon drei Hektar Hopfenbau. Nach sechs schlechten Weinjahren in Folge mit Reblausbefall und Falschem Mehltau wurden ab 1855 viele Weinberge gerodet und Wein nur 10
noch in den günstigsten Lagen angebaut. Bis zur Jahrhundertwende ging der Weinbau um über zwei Drittel zurück. Auch der Anbau und die Weiterverarbeitung von Hanf und Flachs waren schon länger in Bedrängnis. Wir schauen nochmals in die Oberamtsbeschreibung von Tettnang aus dem Jahr 1838: „Hanf und Flachs, jener mehr, werden angebaut, um die Dienstboten an Winterabenden mit Spinnen beschäftigen zu können; das daraus gesponnene Garn wird theils […] an die Schweizer verkauft, theils für den häuslichen Bedarf verwoben.“ Von einem „bedeutenden Flachs- und Hanfanbau“ wird aus der Gemeinde Flunau berichtet, die an die Hohenzollern-Sigmaringischen Herrschaft Achberg angrenzte. (Dies ist deswegen interessant, da einige dieser „Gemeindeparzellen“ auch noch heute im Hopfenbau eine bedeutende Rolle spielen.) Diese Erzeugnisse wurden als Leinwand und Barchant – ein Mischgewebe aus Leinen und Baumwolle – ebenfalls über den Bodensee nach St. Gallen geliefert, wo sie weiterverarbeitet wurden. In Rücksicht auf die vielen Spinner und Weber, davon vielfach Bauern im Nebenerwerb, konnte sich die württembergische Regierung lange nicht zu einer Forcierung der mechanischen Flachsspinner und -weberei entschließen. In England gab es 1837 bereits 352 me-
Gut Kaltenberg: Der Anbau erfolgt noch mit Hopfenstangen.
11
chanische Flachsspinnereien, während nicht nur im Württemberg, sondern in ganz Deutschland das Garn überwiegend händisch versponnen wurde. Noch 1851 wurden erst fünf Prozent des Garns in Spinnereien erzeugt. Ab diesem Zeitraum ging es mit dem Flachsanbau in ganz Deutschland zunehmend steiler bergab. Baumwolle war billiger und einfacher zu verarbeiten. Im Raum Tettnang setzte man inzwischen zunehmend auf Hopfen. So meldet 1860 das dortige „Amtsblatt“: „Sehr in Flor kommt […] der Hopfenbau: während bis vor zwei Jahren nur einige wenige Morgen der Kultur dieser Handelspflanze gewidmet wurden, sind es jetzt 105 Morgen“. Das entspricht einer Fläche von immerhin etwa 42,5 Hektar. Daneben behielt der Obstbau seinen Stellenwert, während gleichzeitig auch die Milch- und Viehwirtschaft einen Zuwachs zu verzeichnen hatte. Im Amtsblatt wird vermerkt: „Der Verkehr mit Vieh ist bedeutend und bringt viel Geld in Umlauf.“ Dass der Hopfenanbau zunehmend eine feste Konstante wurde, erfreute natürlich auch den königlichen Oberamtsmann Rampacher, dem sich ein neues Betätigungsfeld erschloss. Denn, wie könnte es wohl anders sein – Vorschriften mussten her! Da noch auf keine eigenen Erfahrungen zurückgegriffen werden konnte, erkundigte man sich in Rottenburg und Tübingen und kam zu der abschließenden Empfehlung, sich den dortigen Regelungen anzuschließen. Erstmalig ging es um den Abstand der Ackerflächen sowohl der Hopfenanlagen nebeneinander, aber auch zu den Abständen zu Wiesen und Weingärten. Zum Wenden des Pfluges an den Stirnseiten wurden 20 Fuß, entsprechend etwa 5,75 Metern, festgelegt. Aber Hopfenanbau blieb eine mühselige Angelegenheit. Hopfen ist eine Kletterpflanze, die zum Wachsen ein Gerüst braucht. Anfangs waren es Stangen, die im Frühjahr eingegraben und zur Ernte wieder ausgegraben wurden. Pro Hektar wurden 4.000 bis 5.000 solcher Hopfenstangen benötigt. Die Weingartener Forstverwaltung hielt diese nach Zigtausenden auf Vorrat, aber auch manchem Waldbesitzer bot sich eine neue Verdienstmöglichkeit. 1864 waren es schon 91 Hektar, auf denen rechnerisch ein Wald zwischen ungefähr 360.000 und 450.000 solcher zwischen zehn und zwölf Meter hohen Stangen stand. Der rasante Aufschwung brachte einen erhöhten Bedarf an Arbeits12
kräften mit sich, der sich besonders in die Zeit der Ernte konzentrierte. Nur mit der Familie beziehungsweise mit nur den auf den Höfen beschäftigten Dienstboten ließ sich das Arbeitspensum nicht mehr bewältigen. 1866 beklagte der Tettnanger Landwirtschaftliche Bezirksverein erstmals den Mangel an Hopfenpflückern, die nicht so zahlreich wie bisher aus Vorarlberg und Tirol kommen würden. Ob nun die Einbrüche der Erträge in den Hopfenanbau-Gebieten Württembergs und Bayerns die Ursache waren oder die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Österreich und Preußen eine Rolle spielten, lässt sich wohl nicht mehr klären. Wie Peter Heidtmann, der Chronist des Tettnanger Hopfenbaus anmerkt, war zwar Württemberg mit Österreich verbündet, der Krieg wurde aber im Tettnanger Raum nicht besonders wahrgenommen. Das Leben ging abseits der großen Schlachtgetöse weiter und der Hopfenbau bekam einen neuen Impuls.
Ein Fabrikant als Hopfenbauer Israel Friedrich Wirth wurde nicht nur im gleichen Jahr geboren wie der schon erwähnte aus Schramberg im Schwarzwald stammende Amtsarzt Johann Nepomuk Fidelis von Lentz, der 1844 den ersten Mustergarten in Tettnang anlegte, sondern sogar noch im gleichen Monat, nämlich am 17. April 1806, in Stuttgart. Von Lentz war vor vier Jahren, noch nicht ganz 56-jährig, am 2. Februar 1862 in Tettnang verstorben. Auch Israel Friedrich Wirth war kein Landwirt, sondern Möbelfabrikant mit dem Titel eines Königlich Württembergischen Hofebenisten. Der Begriff „Ebenist“, abgeleitet vom französischen ébène (Ebenholz), wurde ab dem späten 17. Jahrhundert auch im deutschen Sprachraum eine gebräuchliche BerufsIsrael Friedrich Wirth (1806-1883) 13
bezeichnung für einen Kunsttischler. Im Gegensatz zum einfachen Schreiner verarbeitete der Ebenist in der Regel sehr wertvolle exotische Hölzer, die er als Furniere mit einem Korpus aus weniger kostbarem Holz verleimte. Es handelt sich dabei in der Regel nicht wie bei der Intarsie um Einlegearbeiten, sondern um verschiedene Furniertechniken. Neben der Kunsttischlerei und Möbelfabrikation hatte Wirths Firma auch einen guten Namen in der Parkettherstellung. Als Wirth 1866 als Privatier das nördlich der Stadt gelegene Gut Kaltenberg erwarb, war der Tettnanger Neubürger längst fasziniert vom Hopfen. Zwar wurde auch schon woanders mit verschiedenen Anbautechniken experimentiert, ohne dass sich eine befriedigende Lösung abzeichnete. Das Hauptproblem waren die hohen Investitionskosten für die Anlagen mit Einzelstangen, zu denen noch die mühselige und arbeitsintensive Arbeit des Ein- und Ausgrabens kam. Als rationelle Variante zeichnete sich schon länger der Einsatz von Drähten ab, an denen die Ranken emporklettern konnten. Wirth versuchte es mit einer Pyramidenanlage, bei der die Drähte zeltartig auf die Spitze einer einzelnen Hopfenstange zuliefen. Wegen der ungleichmäßigen Reifung, verwarf er die Methode bald wieder. Nach und nach setzten sich dann aber doch die bis heute im Prinzip verwendeten frei gespannten Drahtanlagen durch. Die Ernte ist auch heute noch ein Wettlauf mit der Zeit. Ist der Hopfen reif, bleibt nur ein kleines Zeitfenster, da eine Braunfärbung der Dolden zu einer Qualitätsminderung führt. Erntebeginn des Hopfens in Tettnang ist jedes Jahr um den 25. August, das Ende liegt je nach Sorte um den 10. September. Frischer Hopfen hat einen Wassergehalt von 75-85 Prozent. Um lagerfähig zu werden, muss er sofort nach der Pflücke auf einen Feuchtigkeitsgrad von 8-10 Prozent getrocknet werden. Anfangs waren es mobile Trocknungsanlagen, die jedoch mit den immer größer werdenden Mengen nicht mehr Schritt halten konnten, zumal ein Trocknungsvorgang bis zu drei Tage in Anspruch nehmen konnte. Neben seinen Bemühungen um bessere und effektivere Anbaumethoden begann Wirth auch gleich zu Anfang seiner Tettnanger Zeit nach Verbesserungen bei der Trocknung zu suchen. Dazu entwarf 14
und baute er in den Jahren 1866/67 ein Trockenhaus, das als „Hopfenburg“ auch heute noch als architektonisches Wahrzeichen des Tettnanger Hopfenbaus gilt. Mit einem ausgeklügelten Lamellensystem konnte die Luftzirkulation an die jeweiligen wechselnden Wetterbedingungen angepasst werden. Wurde Hopfen früher in erster Linie zur Haltbarmachung des Biers eingesetzt, so diente er inzwischen auch längst zur Abrundung des Aromas. So stand die Verbesserung der Qualität im Vordergrund. Von einer Musterschau in Hagenau im Elsass kehrte die Delegation, der auch Wirth angehörte, mit einer Goldmedaille zurück und 1869, ein Jahr später, bekam Wirth für seinen Hopfen in Breslau eine bronzene Auszeichnung. Wieder einmal zogen am politischen Horizont dunkle Wolken auf. Nach dem preußischen Sieg über Österreich 1866 bangte Frankreich um seine Vormachtstellung auf dem europäischen Kontinent. Auslöser war der Streit zwischen Frankreich und Preußen um die Frage der spanischen Thronkandidatur des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen. Am 19. Juli 1870, wenige Wochen vor der Hopfenernte, kam es zur Kriegserklärung Frankreichs gegen Preußen, zu dessen Verbündeten auch Württemberg zählte. Bröckelten zwar auch in dem bedeutendsten Hopfen-Handelsplatz Nürnberg die Preise, so rauschten sie in Tettnang regelrecht in den Keller. Der Preisverfall fiel zusammen mit einer guten Ernte, wie sie Denkmal für die sieben Gefallenen aus Tettnang 15
aus allen Anbaugebieten gemeldet wurde. Als am 18. Januar 1871 in Versailles Wilhelm I. von Preußen zum deutschen Kaiser proklamiert wurde und damit der Krieg zu Ende ging, hatte auch Oberschwaben einen hohen Blutzoll bezahlt. Vereinzelt erinnern noch Kriegerdenkmäler daran. Der Preisverfall hatte auch die Stadt Tettnang kalt erwischt. 1864 war sie selbst in das Hopfengeschäft eingestiegen und hatte dazu Land gekauft. Solange die Preise hoch blieben, war alles in Ordnung. Da jedoch alle Arbeiten organisiert und gegen Entlohnung durchgeführt werden mussten, ging in der Krise der Ausflug in den Hopfenbau gründlich daneben und es sollte noch einige Jahre dauern, bis sich die Stadt aus dem Dilemma befreien konnte. 1871 wurde wieder, was die Preise anging, nicht nur in Nürnberg, sondern auch in Tettnang ein Spitzenjahr. Sogar für den verschmähten Hopfen aus dem Vorjahr wurden überragende Preise geboten. Für den Grund der Preissprünge hatte niemand eine handfeste Erklärung. Gemunkelt wurde, dass es den Amerikanern, die zunehmend als Hopfenkäufer auftraten, die Ernte ziemlich verregnet haben soll. Gleichzeitig waren diese Preisschwankungen ein Vorgeschmack auf kommende Zeiten, in denen derartige Ausschläge, für die es keine konkret benennbaren Gründe gab, noch oft vorkommen sollten. Mit der Eröffnung der Bahnstrecke von Bludenz nach Lochau am 30. Juni 1872 wurde es auch für einen Teil der Vorarlberger Hopfenbrocker einfacher, an ihre Arbeitsplätze in Oberschwaben zu kommen. Trotz des preislichen Fiaskos wuchsen die Tettnanger Hopfenanbauflächen weiter und erreichten 1875 mit 400 Hektar einen neuen Höchststand. Im Vergleich dazu wurde Wein auf nur noch 320 Hektar angepflanzt. Damit lag auch Tettnang voll im Trend: Weltweit war die Hopfenproduktion im letzten Jahrzehnt um 40 Prozent gewachsen und in ganz Deutschland hatte sie sich auf rund 38.000 Hektar verdoppelt. Ohne sich nach vorne zu spielen, zog Friedrich Wirth mehr im Hintergrund eher unauffällig die Fäden. 1875 holte er die erste Deutsche Hopfenausstellung nach Tettnang. In demselben Jahr erschien „Wirth’s Hopfenbuch“: „Der Hopfenbau – Eine gemeinfaßliche be16
Tettnang 1915
lehrende Darstellung der Cultur und Behandlung des Hopfens von der ersten Anlage bis zur Ernte und dem Trocknen nach eigenen Erfahrungen“, in dem er die neueren Erkenntnisse zu Gerüstanlagenbau, Bodenbearbeitungsgeräten und Hopfentrocknung zusammenfasste. Was dann folgte, waren eher ruhige Jahre. Der Hopfen hatte seinen festen Platz und bestimmte weitgehend den Jahreslauf. Friedrich Wirths Sohn Carl, der das Stuttgarter Unternehmen führte, war schwer erkrankt. Wirth verkaufte im Hebst 1882 nach der Ernte das Gut Kaltenberg an den Grafen Georg von Blücher aus Mecklenburg und zog wieder nach Stuttgart. Nach dem Tod seines Sohnes zum Jahresanfang 1883 verstarb auch Israel Friedrich Wirth am 22. Dezember desselben Jahres. Sein Nachfolger von Blücher soll 1883 zur Hopfenernte allein auf dem Gut Kaltenberg über 350 Pflücker beschäftigt haben. Ob der Graf selbst jemals in Tettnang war, ist ungeklärt. Bereits im Mai 1884 wurde das Gut zwangsversteigert. In demselben Jahr wurde auch die Arlbergbahn eröffnet, wodurch nicht nur für die Tiroler Schwabenkinder, sondern auch für die Hopfenbrocker die An- und Abreise erheblich erleichtert wurde.
17
Hopfen-Zigaretten, Pilzkrankheit und Personalmangel Der 1. Weltkrieg brachte einen Rückgang der Bierproduktion und damit auch des Hopfenanbaus, auch das Bier selbst wurde dünner. Alte Hopfenbestände wurden vom Militär als Tabakersatz aufgekauft, doch die „Hopfen-Zigarette“ erwies sich als ungenießbares Kraut. Nach 1918 lag der Hopfenanbau auch in Tettnang fast völlig am Boden. 1920 rebellierten die einheimischen Tettnanger Hopfenpflücker gegen die schlechte Bezahlung, wobei, als es um die Besteuerung ging, damit argumentiert wurde, die meisten der eingesetzten Pflücker seien ja sowieso erst unter 14 Jahre alt. Zu den wirtschaftlich bedingten Kriegsfolgen gesellte sich 1924 noch ein anderes Unheil: Die Pilzkrankheit Peronospora, gemeinhin „Falscher Mehltau“ und überwiegend bekannt aus dem Weinbau, hatte auch auf den Hopfen übergegriffen. Während des 2. Weltkrieges wurde der Hopfen wieder knapp. Anbauflächen wurden stillgelegt und an die Tettnanger Bauern erging 1942 die Aufforderung, auf den nun brachliegenden Flächen Kartoffeln anzubauen. Obwohl immer mehr Bauern an die Front mussten, ging der Tettnanger Hopfenbau – wenn auch in bescheidenerem Maße – weiter. Für 1944 war von den Machthabern in Berlin eigentlich das völlige „Aus“ für den Hopfenanbau vorgesehen. Schließlich wurde die Verordnung aufgehoben mit der Verpflichtung, auf den Flächen 30 Prozent anderer Pflanzen anzubauen. Der kriegsbedingte Personalmangel führte dazu, dass in der Hitlerjugend organisierte Kinder ab dem zehnten Lebensjahr als Helfer zur Ernte herangezogen wurden. Zeitungsmeldungen zufolge sollen dies in Tettnang 1.100 gewesen sein. Nach Kriegsende lag der Hopfenanbau wieder einmal danieder. Die Anbaufläche betrug nur mehr etwa 250 Hektar, wobei die rund 7.000 Zentner auch noch von der französischen Militärregierung beschlagnahmt wurden. Es fehlte an Düngemitteln, Traktoren, Draht und Gerüstmaterial – und vor allem an Personal. Dies führte dazu, dass sogar vom Tettnanger Gefängnis Arbeitskräfte für die Landwirtschaft und zur Hopfenernte angefordert werden konnten. Einer der großen Kostenfaktoren waren seit jeher die Arbeitskräfte, deren Einsatz aber keinen Einfluss auf die zu erzielenden Hopfen18
preise hatten. Die Preise diktierte der Markt. Und den Hopfenmarkt interessieren keine Gestehungskosten, sondern nur Angebot und Nachfrage. So ist es bis heute. Maschinen verdrängen die Hopfenbrocker Schon lange wurde versucht, auch die Hopfenernte zu mechanisieren. Dies betraf vor allem das personalintensive Pflücken der Dolden. In den 1890er-Jahren kam über den großen Teich die Nachricht, dass in Amerika bereits Maschinen die Handarbeit übernommen hätten. Ob man derartige Meldungen ernst nehmen sollte, stand auf einem anderen Blatt. Bereits um 1865 gingen ähnliche Gerüchte um, die sich dann als haltlos erwiesen. Dennoch wurde nicht nur im fernen Amerika, sondern auch in Deutschland weiter an derartigen Ernthilfen getüftelt. Der Maschinenschlosser Christian Wolff aus Langquaid in Niederbayern erhielt 1894 zwar viel Lob für seine Pflückmaschine, da sie die Dolden nicht zerpflücke. Aber der große Durchbruch war weder ihm noch vielen anderen seiner Mittüftler gegönnt. Einer der Hinderungsgründe war sicher auch der hohe Anschaffungspreis.
Nachbau von Wolffs Pflückmaschine aus dem Jahr 1894
19
Es sollte noch mehr als über ein halbes Jahrhundert dauern, bis „eiserne Pflücker“ die menschliche Handarbeit ersetzten. Der englischen „Bruff“ eilte schon ein fast legendärer Ruf voraus. In England und Amerika waren bereits 200 dieser Maschinen im Einsatz, als eine solche erstmals auch die Ranken eines deutschen Hopfengartens abbrockte. Das war 1955 im bayerischen Hopfenanbaugebiet Hallertau. Obwohl eine solche Maschine das mit Abstand teuerste landwirtschaftliche Gerät war, veränderte sie in nur wenigen Jahren die Arbeit und damit das Leben und vieler Menschen. Mehr der Zufall wollte es, dass genau in dieser Zeit in Tettnang der Heimatfilm „Heiße Ernte“ abgedreht wurde. Der Film, der dann später in „Der Gutsherr und das Mädchen“ umbenannt wurde, kam 1956 ins Kino und gibt trotz seiner verkitschten Handlung ansatzweise einen Einblick in die damals bereits zu Ende gehenden Bedingungen einer Hopfenernte. Es war sozusagen noch ein letzter Blick zurück, ehe die Technik innerhalb nur weniger Jahre die Hopfenbrocker aus Vorarlberg, Tirol, der Schweiz und Liechtenstein überflüssig machte. Verrichteten 1962 im Tettnanger Raum schon 86 Pflückmaschinen deren Arbeit, waren es im Jahr darauf bereits 135 solcher Anlagen.
Abgeernteter Hopfengarten im Herbst
20
Heute Heute bauen im Tettnanger Raum 150 Betriebe auf 1.200 Hektar, das sind rund drei Prozent der Welthopfenfläche, Hopfen an. Dabei überwiegt mit rund zwei Drittel der Anbaufläche die hochfeine und weltweit geschätzte Aromasorte Tettnanger. 80-85 Prozent der rund 1.500 bis 2.000 Tonnen jährlicher Produktion gehen in den Export nach Japan, USA, Russland, China oder auch nach Afrika. Nur etwa 15-20 Prozent sind für den deutschen Biermarkt bestimmt.
Quellen und Literatur Beschreibung des Oberamts Tettnang. Stuttgart und Tübingen 1838. Max FLAD, Der Kornhandel Oberschwabens in früherer Zeit. Stuttgart 1982. Max FLAD: Flachs und Leinen. Vom Flachsanbau, Spinnen und Weben in Oberschwaben und auf der Alb. Ravensburg 1984. Hans GRISSEMANN, Die Fortzieher von Grins. In: Tiroler Heimatblätter 4 (1926) Heft 5/6, S. 165 - 172. Peter HEIDTMANN, Grünes Gold, 150 Jahre Hopfenbau in Tettnang,. Tettnang 1994. Klaus WEBER, Zur Geschichte – Das Landwirtschaftliche Hauptfest von 1818 im Wandel der Zeit. Stuttgart 2014. www.tettnanger-hopfen.de www.tettnang.de www.landwirtschaft-bw.info
21
Hopfenbrockerinnen aus dem Klostertal
Hopfenbrockerinnen aus dem Klostertal Christof Thöny
Einleitung Seit dem Mittelalter lassen sich Verbindungen zwischen dem Alpenraum und der Region Oberschwaben nachweisen. Bedingt durch die Ausbildung von Herrschaftsstrukturen – wobei vor allem das Haus Habsburg seine Spuren hinterlassen hat – und die konfessionellen Gemeinsamkeiten im Gefolge der Reformation bestanden zwischen den Bewohnern der nördlichen Alpentäler und Oberschwabens über Jahrhunderte enge Beziehungen. Aufgrund einer Lebensraumkrise im frühen 17. Jahrhundert und des Dreißigjährigen Kriegs, der in vielen Gegenden des Deutschen Reiches massiv Spuren hinterlassen hatte, entwickelte sich Oberschwaben (neben anderen Gegenden, beispielsweise jenen im Saargebiet und am Oberrhein) zu einem bedeutenden Ziel für Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus dem Alpenraum, insbesondere aus Tirol und Vorarlberg. Diese füllten mancherorts die durch die Verluste im Krieg entstandenen Lücken in der Bevölkerung auf und verdingten sich über Jahrhunderte als Saisonwanderer, um den in der Heimat kargen Verdienst etwas aufzubessern.1 Die Wanderungsbewegung kann auch auf das Erbrecht zurückgeführt werden, da in den alpinen Regionen durch die Realteilung die Grundstücke immer mehr zerstückelt wurden, während das in Oberschwaben praktizierte Anerbenrecht, d. h. die Vererbung der Höfe an jeweils nur einen Erben, zu einer Beibehaltung von großflächigen Strukturen führte. Diese Strukturen erfordeten für die Bewirtschaftung eine hohes Maß an Arbeitskräften und solche wurden in den – fast ausschließlich jungen, unverheirateten – Männern und Frauen gefunden, die über Monate ihre Heimatregionen in den Alpen verließen und als Knechte, Mädge und Handwerker auf Wanderschaft gingen.
1
Vgl. Eberhard FRITZ, Migrationsbewegungen aus den Alpen nach Oberschwaben im 17. und 18. Jahrhundert. In: Die Schwabenkinder. Arbeit in der Fremde vom 17. bis 20. Jahr- hundert. Hg. vom BAUERNHAUS-MUSEUM WOLFEGG. Ulm 2012, S. 14-25, hier S. 14.
22
Zeitzeuginnengespräch mit Rosina Burtscher und Frieda Milanovic bei der Langen Nacht der Museen 2013 im Klostertal Museum
Zu den alpinen Regionen mit einer ausgeprägten Migrationsgeschichte zählt auch das Klostertal. Die naturräumlichen Verhältnisse, enge Talflächen sowie kultivierte Bergregionen, reichten auch hier nicht aus, um die anässige Bevölkerung ernähren zu können. Eine dauerhafte Absiedelung wurde in erster Linie durch Saisonwanderungen verhindert, indem sich Arbeitskräfte durch eine Tätigkeit im Ausland ein Nebeneinkommen erwarben, wobei vor allem in der Landwirtschaft und auf Baustellen Einsatzbereiche gefunden wurden. Oft kehrten diese Migranten jährlich in ihre Heimat zurück, bisweilen entwickelten sich aber auch mehrjährige Auslandsaufenhalte („Gastarbeit“) oder dauerhafte Auswanderungen. Oberschwaben spielte als Zielgebiet stets eine wichtige Rolle. Sogenannte „Schwabenkinder“ zogen bis ins 20. Jahrhundert alljährlich in diese Region, wo sie auf Kindermärkten als Hütekinder verdingt wurden.2 Jene Frauen und Mädchen, die zur Hopfenernte in Oberschwaben bis in die 1950-er Jahre angeworben wurden, stehen somit in einer langen Tradition von Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Anhand zweier biografischer Beispiele stehen sie im Mittelpunkt dieses Beitrags. 2
Vgl. Christof THÖNY, Auswanderung aus den Klostertal von 1800 bis 1938. In: Bludenzer Geschichtsblätter 54 (2000), S. 10-45.
23
Auswanderung aus dem Klostertal Über Jahrhunderte – von der Wende des Mittelalters zur Neuzeit bis ins 20. Jahrhunderte – gehörte die saisonale und dauerhafte Auswanderung zur Normalität im Leben der Bevölkerung des Klostertals. In den meisten Regionen Vorarlbergs war dies der Fall, wobei in der frühen Neuzeit vor allem der Solddienst eine wesentliche Einnahmequelle darstellte. In einem Bericht von Obersthauptmann Kreis aus dem Jahr 1676 wird dargelegt, dass alljährlich 7.000 bis 8.000 Personen aus Vorarlberg, alte und junge, Männer und Frauen, des Verdienstes wegen ins Ausland gingen, besonders nach Schwaben, ins Elsaß und die Pfalz. Dazu muss bemerkt werden, dass die Bevölkerungszahl des heutigen Vorarlberg damals etwa 40.000 betrug.3 Systematische Forschungen zur Migration sind schwierig, da die wandernden Menschen meist nicht kategorisch erfasst wurden. Ihren Geschichten nachzugehen, gleicht einer Spurensuche, wobei die Matrikenbücher und in Ansätzen auch behördliche Quellen interessante Einblicke geben. Ab dem ausgehenden 17. Jahrhunderts belegen die Quellen neben dem Solddienst vermehrt handwerkliche Tätigkeiten. Aus Dalaas belegt eine Liste aus dem Jahr 1697, dass sich drei Männer aus dem Ort zum Solddienst in Frankreich aufhielten, während neun Dalaaser als Bauhandwerker arbeiteten.4 Im selben Jahr hielten sich fünf aus Klösterle stammende Männer in Frankreich auf, zwei mit ihrer Familie und drei ledige, wobei von letzteren einer aus Lothringen wieder in seine Heimat zurückkehrte.5 Es kann davon ausgegangen waren, dass sich in jenen Jahren rund ein Drittel der wehrfähigen Männer aus Dalaas und Klösterle des Verdienstes wegen in Frankreich befanden.6 Vieles deutet darauf hin, dass die Auswanderung aus dem Klostertal im 18. und 19. Jahrhunderts – zumindest bis zum Bau der Arlbergbahn 1880 bis 1884 – ungehindert stark blieb, wobei detaillierte Studien zum Thema noch ausstehen. Die Bedeutung der 3
Alois NIEDERSTÄTTER, Arlberg in der Fremde. Bermerkungen zur Vorarlberger Arbeitsmig ration vom Spätmittelalter bis zum 19. Jahrhundert. In: Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs 48 (1996), Nr. 2, S. 105-117, hier S. 108. 4 Vorarlberger Landesarchiv (fortan: VLA), Vogteiarchiv Bludenz, Schachtel 39/341. 5 VLA, Vogteiarchiv Bludenz, Schachtel 39/342. 6 NIEDERSTÄTTER (wie Anm. 3), S. 108.
24
Die natürräumlichen Verhältnisse im Klostertal reichten über Jahrhundete nicht aus, um die ganze Bevölkerung des Tales zu ernähren.
Migration soll an dieser Stelle lediglich durch drei Zitate aus unterschiedlichen Zeiträumen unterstrichten werden. Joseph Rohrer berichtete 1796 in seinem bekannten Werk „Uiber die Tiroler“ zum Klostertal Folgendes: „Endlich reisen auch zu ähnlichen Beschäftigungen [Maurer, Steinmetze, Verzierer, Maler, Anm. d. Verf.] aus dem Klosterthale mehrere Vorarlberger in die sogenannte französische Schweitz nach Nevschattel, Locle, Morche usf. Sie kommen gewöhnlich in ihrem Kreis um die Bartholomäuswoche, das heißt, um eben jene Zeit zurück, um welche die Störche des Vorarlbergischen Reviers (die sich ehevor in der Dornbirner Aue sammeln) nach Italien abziehen.“7
Über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Wald und die Verdienstmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung berichtete Kurat Franz Josef Bitschau in seiner Ortsbeschreibung aus dem Jahr 1834 Folgendes:
7
Zitiert nach Claudia HELBOCK, Vorarlberg in den Schriften von Joseph Rohrer. In: Mont fort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs 16 (1964), Nr. 3/4, S. 213-239, hier S. 222.
25
„Der Hauptnahrungs-Zweig hiesiger Einwohner in Wald ist zwar Feldbau und Viehzucht, allein vermög der sehr engen Lage dieses Thales sind die Felder u. Wiesen bey den meisten Leuten so klein, daß für Viele die Lebensmittel nicht für ein ganzes Jahr hindurch zureichend wachsen, weßhalb auch dann Kinder und Erwachsene genöthiget sind zum Auslande ihre Zuflucht zu nehmen, um dort durch Arbeit um ihr Brod sich umzusehen, um auf diese Art durch in der Fremde erworbenen Arbeits-Fleiß sich selber, ihr Hauswesen und Familie ernähren, u. aufrecht erhalten zu können.“8
In der 1883, also während der Bauzeit der Arlbergbahn, verfassten Pfarrchronik von Dalaas schließlich wird Ähnliches berichtet: „Viele sind deßhalb gezwungen, ihr Fortkommen durch Dienstverhältnisse, auswertige Fabriken und namentlich durch Bautenverdienst in Deutschland, Schweitz u. Frankreich zu suchen, da hier selbst Gewerbe und Industrie keine Bedeutung haben.“9
Wanderungen nach Oberschwaben Zum allgemeinen, mehrere Jahrhunderte dauernden Migrationsstrom aus dem Alpenraum Richtung Oberschwaben zählen mit Sicherheit auch viele Klostertalerinnen und Klostertaler, die in landwirtschaftlichen Betrieben als Hütekinder („Schwabenkinder“) oder Tagelöhner sowie als Bauhandwerker tätig waren. Die ältesten Berichte von Schwabenkinderzügen aus dem Landgericht Sonnenberg (zu diesem zählte auch das Klostertal) datieren in die Zeit um 1620.10 Die letzten Schwabenkinder aus dem Klostertal verließen um 1930 ihre Heimat während der Sommermonate und wurden noch in jener Zeit in einer Art und Weise an Bauern verdingt, die an die großen Kindermärkte des 19. Jahrhunderts (vor allem den bekanntesten in Ravensburg) erinnert.11
8
Pfarr-Topographie von Wald von Kurat Franz Josef Bitschau. Handschrift im Pfarrarchiv Wald am Arlberg (Kopie im Archiv des Museumsvereins Klostertal). 9 VLA, Pfarrarchiv Dalaas, Schachtel 6/61. 10 ???. 11 THÖNY (wie Anm. 2), S. ???.
26
Im Armenfondsbuch von Klösterle wird immer wieder von Reisegeldern berichtet, die der Armenvater den Schwabenkindern mit auf den Weg gab.
Die Wanderbewegungen Richtung Oberschwaben richteten sich nach dem Lauf der Natur. Ab Mitte Mai ermöglichte das milde Klima in der Bodenseeregion den Beginn der Heuernte. Die Arbeit verlagerte sich dann bis Mitte Juli Richtung Füssen. Im Herbst zogen alljährlich Gruppen von Frauen als Ährenleserinnen während der Erntezeit nach Oberschwaben. Sie übernahmen Arbeiten wie das Garbenbinden und die Ährenlese und durften als Lohn zusätzlich zu freier Kost oft die übrig gebliebenen Ähren auf den Felden einsammeln. Manche sollen mit über 70 Kilogramm Getreide heimgekehrt sein.12 Berichte von solchen Ährenleserinnen stammen aus dem Montafon und dem Stanzertal, wobei mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf, dass sich auch Frauen aus dem Klostertal unter ihnen befunden haben. Die interessanteste Quelle zur Arbeitsmigration aus dem Klostertal im 19. Jahrhundert ist ein Verzeichnis der in Dalaas und Wald heimatberechtigten, aber abwesenden Personen.13 Dieses gibt ein ein-
12
Stefan ZIMMERMANN, Historische Arbeitsmigration aus dem Alpenraum nach Ober- schwaben. In: Im Oberland. Kultur. Geschichte. Natur. Beiträge aus Oberschwaben und dem Allgäu 25 (2014), Heft 2, S. 3-9, hier S. 5. 13 VLA, Pfarrarchiv Dalaas, Schachtel 1/7.
27
Verzeichnis der in Dalaas heimatberechtigen, aber derzeit auswärtigen BevÜlkerung von Dalaas aus dem Jahr 1857.
28
drückliches Bild von der Bedeutung der Arbeitsmigration. Von 978 in Dalaas Heimatberechtigten befanden sich zum Stichtag, dem 3. November 1857, 226 Personen auswärts, das entspricht 23 Prozent der Bevölkerung. Die Auflistung belegt auch die Bedeutung von Oberschwaben als Zielgebiet. Neben 67 Personen, deren Aufenthaltsort unbekannt war, befanden sich 54 Dalaaserinnen und Dalaaser in anderen Orten Vorarlbergs und 40 in Frankreich. Danach folgen schon die Schweiz und Schwaben mit jeweils 28 Personen als Aufenthaltsorte. Sie wurden alle als Hirtinnen und Hirten bezeichnet und waren zwischen elf und 17 Jahre alt, vermutlich also allesamt sogenannte „Schwabenkinder“.
Auf den Pfaden der Schwabenkinder zur Hopfenernte Auch nach dem Ende der Schwabengängerei in den 1930-er Jahren wurden in Sonderkulturen der Landwirtschaft – dazu zählte vor allem der Hopfenanbau – noch ausländische Arbeitskräfte in der Region Oberschwaben eingesetzt. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Mechanisierung in der Hopfenernte erst spät einsetzte und manche Arbeitsvorgänge bis heute händisch erfolgen (dies erledigen nunmehr meist osteuropäische Saisonarbeiter). Bis zu 5.000 Saisonarbeiterinnen und -arbeiter kamen noch Anfang der 1950-er Jahre während der Hopfenernte in die Region Tettnang. Der Großteil dieser Arbeitskräfte zum „Hopfenbrocken“, rund 70 Prozent, wurde in Vorarlberg angeworben, beispielsweise über Inserate in den Tageszeitungen.14 Ob schon im 19. Jahrhundert Menschen aus dem Klostertal als Saisonarbeiter bei der Hopfenernte gearbeitet haben, lässt sich anhand der Quellen nur schwer nachweisen. Fest steht, dass in den Regionen mit Hopfenanabau auch Schwabenkinder zur Ernte herangezogen wurden.15 Spätestens ab 1937 zogen jährlich Gruppen aus dem Klostertal zum „Hopfenbrocken“ in die Region Tettnang, bis ihre Tätigkeit schließlich durch Pflückmaschinen ersetzt wurde. 14
ZIMMERMANN (wie Anm. 12), s. 8-9. Christine BRUGGER, Arbeit und Alltag der Schwabenkinder. In: Die Schwabenkinder. Arbeit in der Fremde vom 17. bis 20. Jahrhundert. Hg. vom BAUERNHAUS-MUSEUM WOLFEGG. Ulm 2012, S. 98-105, hier S. 103.
15
29
Zeitzeuginnen berichten vom „Hopfenbrocken“ Frieda Milanovic16 Frieda Zudrell wurde 1927 in Dalaas geboren und ist als jüngstes von neuen Kindern von Christian und Franziska Zudrell in der Parzelle Paluda aufgewachsen. Ihre Mutter war bereits als Schwabenkind nach Dentenweiler verdingt worden, unweit jenes Ortes, wo Frieda später als Hopfenbrockerin im Einsatz war. 1951 sie in Dalaas Poro Milanovic und wurde Mutter von vier Kindern. Frieda Milanovic erinnert sich, drei Jahre lang hintereinander an der Hopfenernte in Rappersweil bei Tettnang beteiligt gewesen zu sein, nämlich von 1938 bis 1940. Sie hatte dies dem Umstand zu verdanken, dass ihre Schwester Anni beim Loderhof als Magd beschäftigt war, und deshalb eine ganze Gruppe – rund acht bis zehn Personen aus Dalaas, fast alles Mädchen, – beim benachbarten Hof, dem Walhof der Familie Beck, als Hopfenbrockerinnen und Hopfenbrocker angeworben wurde. Gefahren wurde bis Lindau mit dem Zug und weiter mit dem Postbus. Die meisten der Mädchen waren etwas mehr als zehn Jahre alt, wobei die ältesten, unter anderem Friedas Schwester Gretl, etwa 19 Jahre alt waren. Die ganze Gruppe verbrachte Anfang September jeweils rund drei Wochen bei der Hopfenernte, wobei auch die Mitglieder der Familie Beck mitarbeiteten. In spezieller Erinnerung ist Frieda Milanovic der 1. September 1939 geblieben, als der Sohn der Familie mit der Nachricht „Wir haben Krieg!“ in den Hopfengarten gerannt kam. Die Hopfenernete begann frühmorgens, als es im Garten draußen noch relativ kalt war. Der an einem Draht angebundene und hoch aufragende Hopfen wurde durch eine Latte mit einem daran befestigten Haken gelöst, wobei dann alle Hopfendolden sauber abgelöst und in einem Korb gesammelt werden mussten. War der Korb, das sogenannte „Viertel“, voll, bekam man dafür eine Marke aus16
Die Erinnerungen von Frieda Milanovic basieren auf einem Gespräch (geführt von Chri- sta Engstler) für die Ausstellung „Zum Auslande Zuflucht nehmen. Migrationen in der Geschichte des Klostertals“, einem Gespräch anlässlich der Langen Nacht der Museen 2013 sowie den Erzählungen bei einer Exkursion ins Hopfenmuseum Tettnang im Oktober 2014. Die Tonband- bzw. Videoaufnahmen befinden sich im Archiv des Museumsvereins Klostertal.
30
Hopfenbrockerinnen aus Dalaas bei der Ernte mit der Familie Beck
gehändigt. Die gesammelten Marken konnten beim Bauern dann schließlich gegen Bargeld eingetauscht werden. Mit etwas Glück, wenn man schöne Hopfenranken zum Abernten erwischt hatte, konnte man bis zu zehn solcher Körbe an einem Tag befüllen. Während des Tages wurde das Essen – die Jause („Vesper“), das Mittagessen und eine Marend – im Hopfengarten eingenommen. Frieda Milanovic erinnert sich an Brot mit Butter und Marmelade, die jeweils vormittags eingenommen wurden, sowie Gurkensalat und Rettich, die gemeinsam aus einer Schüssel gegessen wurden. Die ganze Gruppe aus Dalaas war im Waldhof untergebracht, wo gemeinsam übernachtet wurde. Ansonsten waren in jenen Jahren keine weiteren Helfer zur Hopfenernte angestellt. Zum Frühstück und zum Abendessen wurden die jungen Erntehelferinnen jeweils im Waldhof verköstigt. In besonderer Erinnerung ist Frieda Milanovic die Tradition der sogenannten „Hopfensau“ geblieben. Zu eben dieser wurde jenes Mädchen gekürt, das den letzten Hopfenranken aberntete. Aus diesem wurde dann ein Kranz geflochten und die Hopfensau auf 31
Waldhof in Rappersweil, der Einsatzort von Frieda Milanovic bei der Hopfenernte
Mit großem Getöse wurde die „Hopfensau“ begleitet.
32
einem Karren mit großem Getöse zur sogenannten „Hopfenletze“ gefahren, wobei gut gespeist, gesungen und gelacht wurde. Anschließend wurde die Heimreise angetreten, da dann jeweils am 1. Oktober auch die Schule in Dalaas wieder begann. Insgesamt hat Frieda Milanovic die Zeit des Hopfenbrockens als schönes Erlebnis in Erinnerung behalten („Es war eine Riesengaudi, so etwas wie Heimweh wäre nicht aufgekommen.“), selbst wenn das erworbene Geld nicht behalten werden durfte, sondern zuhause abgeliefert werden musste. Die Kontakte zur Familie Beck blieben auch über die drei Jahre der Hopfenernte über Jahrzehnte hinweg bestehen. Während des Krieges konnte man dort Äpfel, Zwetschgen und Kirschen beziehen und mehrere Mitglieder der Familie Beck kamen noch Jahre später nach Dalaas zu Besuch.
Rosina Burtscher17 Rosina Tomio wurde 1946 in Innerbraz als Tochter geboren. Mit vier Geschwistern wuchs sie bei ihren Eltern August und Maria Tomio auf. Ihr Vater war im Jugendalter aus Zuwanderer aus dem Trentino ins Klostertal gekommen. Rosina heiratete später Willi Burtscher und wurde Mutter von drei Kindern. Sie führt seit vielen Jahren eine Fremdenpension und hat zahlreiche ihrer Lebenserinnungen in Klostertaler Mundart in literarischer Form niedergeschrieben. Rosina Burtscher erinnert sich bis heute sehr lebhaft an die Hopfenernte, an der sie 1959 beim Gasthaus Rössler in Oberrussenried (in der Nähe von Tettnang) beteiligt war. Sechs junge Mädchen aus Braz, zwei Burschen aus Bürs sowie je ein Mädchen aus Dalaas und aus dem Montafon wurden dafür vom Bauern eigens mit einem VW-Bus abgeholt. Auf der Suche nach Arbeiterinnen wurden diese Bauern aus Oberschwaben meist in jene Häuser gesandt, wo mehrere junge Mädchen daheim waren. Untergebracht wurde 17
Die Erinnerungen von Rosina Burtscher basieren auf einem Gespräch (geführt von Tho- mas Bargehr und Christof Thöny) für die Ausstellung „Zum Auslande Zuflucht nehmen. Migrationen in der Geschichte des Klostertals“, einem Gespräch anlässlich der Langen Nacht der Museen 2013 sowie den Erzählungen bei einer Exkursion ins Hopfenmuseum Tettnang im Oktober 2014. Die Tonband- bzw. Videoaufnahmen befinden sich im Archiv des Museumsvereins Klostertal.
33
die Gruppe der jungen Hopfenbrockerinnen und -brocker im alten Gasthaus. Genau gegenüber befand sich eine Kegelbahn (wahrscheinlich die erste, die sie in ihrem Leben zu sehen bekam). Insgesamt waren rund 30 Personen für die Ernte angeworben worden, darunter auch eine weitere Gruppe aus Ludesch. Jeweils sieben bis acht Personen wurden in einem Schlafzimmer untergebracht, wo der Raum relativ beengt war, was aber angesichts des nicht besonders ausgiebigen Gepäcks nicht weiter tragisch war. Frühmorgens wurden die jungen Hopfenbrockerinnen und -brocker mit nüchternem Magen mit dem Traktor ins Feld geführt. Nachdem die Hopfenstangen heruntergezogen worden waren, begann auf einem Hocker sitzend die Arbeit, wobei die Hopfendolmen in Körben gesammelt wurden. Um halb 8 Uhr kam der Traktor erneut und lieferte das Frühstück: Kakao für die Jüngeren, Kaffee für die Erwachsenen und Brot mit Butter und Marmelade, die – wohl aus Zeitersparnis – bereits zusammengemischt waren. Zu Mittag brachte der Traktor die Gruppe ins Gasthaus zum Essen und am Nachmittag begann die Ernte von Neuem. Rosina Burtscher erinnert sich, dass es einiger Arbeit bedurfte, um die relativ großen Körbe zu befüllen. Manchmal wurde deren Inhalt etwas aufgelockert, um ein wenig Arbeitszeit einzusparen. Der Inhalt der vollen Körbe wurde dann in den Anhänger geleert, wobei es pro Korb eine Münze gab. Nach dem Abendessen stellten sich dann alle Hopfenbrockerinnen und -brocker in Reih und Glied beim Bauern an, der sorgfältig die Anzahl der Münzen notierte. Natürlich wurden die Münzen stets gehütet, schließlich bedeutete jede von ihnen bares Geld. Ein gefüllter Korb entsprach einer Mark Verdienst. Im Hinblick auf die Verpflegung erinnert sich Rosina Burtscher ganz besonders an den sogenannten „Gaisburger Marsch“, eine Art Eintopf, der als „schwäbische Nationalspeise“ betrachten werden kann und sich durch die Mischung von Nudeln und Spätzle auszeichnet. Da sich das Gasthaus etwas außerhalb des Dorfes befand, musste zum örtlichen Laden ein längerer Fußmarsch in Kauf genommen werden. Dieser lohnte sich dennoch, denn dort konnte ein Lutscher gekauft werden („Das erste Mal, dass ich ei34
Eine Erinnerung nach Jahrzehnten: Rosina Burtscher und Frieda Milanovic bei der Hopfenernte im Hopfenmuseum Tettnang (Oktober 2014)
nen solchen runden Lutscher mit einem Stängelchen, wo vorne Blumen drauf waren, gesehen habe.“). Abgesehen davon, konnte man manches Interessante mitbekommen, beispielsweise von den Liedern, die abends im Gasthaus Rössler gesungen wurden. Vom Text des Liedes zeigte sich Rosinas Vater nach der Rückkehr nach Braz jedoch wenig begeistert und es wurde ihr verboten, diesen jemals nochmals zu zitieren. Auch in der Erinnerung von Rosina Burtscher spielt die Tradition der „Hopfensau“ eine wichtige Rolle. Diese – eine Frau aus Ludesch – wurde auf dem Anhänger des Traktors durch das Dorf gefahren, wobei sie von der ganzen Gruppe unter großem Gejohle begleitet wurde. Abends gab es dann noch ein besonderes Festessen. Wie Frieda Milanovic kann auch Rosina Burtscher praktisch ausschließlich Gutes über die Zeit des Hopfenbrockens berichten. Heimweh gab es keines, und der Lohn für die Arbeit in Oberschwaben wurde zuhause eingelöst, in einen sogenannten „Connyrock“, der in jenen Jahren groß in Mode war. 35
Museumsverein Klostertal Haus Nr. 60a A-6752 Wald am Arlberg T +43 664 4911474 M christof.thoeny@museumsverein-klostertal.at I www.museumsverein-klostertal.at
Vereinsmitglieder genießen folgende Vorteile - Freier Eintritt ins Klostertal Museum - Zusendung regelmäßiger Informationen zur Tätigkeit des Vereins - Ermäßigter Eintritt bei Veranstaltungen - Ermäßigung beim Bezug von Publikationen - Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Bibliothek und Archiv
Vorstandsmitglieder des Vereins Obmann: Christof Thöny (Bludenz) Obmann-Stv.: Thomas Bargehr (Braz) Schriftführerin: Judith Sauerwein (Dalaas) Kassierin: Kathrin Novis (Wald am Arlberg) Beiräte Mag. Barbara Mathies (Klösterle) Ida Strolz (Wald am Arlberg) Dr. Josef Kaiser (Wald am Arlberg) Markus Thöny (Wald am Arlberg)
Die kleine Schriftenreihe des Museumsvereins Klostertal erscheint mit freundlicher Unterstützung der Gemeinden Dalaas, Innerbraz und Klösterle, des Landes Vorarlberg sowie der Firma AXL Arlbergexpress Linienverkehr.
39
Abbildungen
Elmar Bereuter: S. 5, 7, 20 Deutsches Hopfenmuseum Wolnzach: S. 19 Hopfenmuseum Tettnang: S. 11 Landesarchiv Baden-WĂźrttemberg: S. 8, 17 Christof ThĂśny: S. 3, 23, 25, 35, Umschlagbild hinten Vorarlberger Landesarchiv: S. 27, 28 commons.wikimedia.org/wiki/File:D-BW-Tettnang_-_Kriegerdenkmal_Montfortplatz.JPG: S. 15 www.de.wikipedia.org/wiki/Israel_Friedrich_Wirth: S. 13 www.zeno.org: S. 10 Luise Zudrell: Umschlagbild vorne, S. 1, 31, 32
40