Musik & Theater Lucerne Festival Special 2019

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thema Riccardo Chailly zu Rachmaninow Leonidas Kavakos: ÂŤKunst war und ist immer politischÂť

artists Marianna Bednarska Teodor Currentzis Ernst Haefliger Bernard Haitink Thomas Kessler

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Riccardo Chailly: «Rachmaninow hatte ein weit moderneres Selbstverständnis als wir dies glauben.»

Riccardo Chailly über die Klarheit, Modernität und Originalität von Sergej Rachmaninow

Modern, aber doch tonal Er residierte bekanntlich in Hertenstein am Ufer des Vierwaldstättersees, unmittelbar gegenüber von Luzern. Dennoch wurde Sergej Rachmaninows Musik von der Avantgarde oft übergangen und geschmäht. Riccardo Chailly setzt diesen Sommer nun mit dem Lucerne Festival Orchestra einen markanten Schwerpunkt mit Werken des russischen Komponisten. Kai Luehrs-Kaiser (Text) & Priska Ketterer (Fotos)


Bilder: Priska Ketterer/Lucerne Festival

lucerne festival Seltsam, aber auf eine ganze Generation miesepetriger Granden der alten Zeit – von Reiner, Stokowski oder Szell bis Karajan – ist heutzutage eine Garde höchst umgänglicher, freundlicher und netter Maestros gefolgt. Abbado, Blomstedt und Chailly führen das ABC der Dirigier-Darlings nun an. Leute wie Haitink, Jansons, Nelsons oder Rattle gehören genauso dazu. Unter ihnen dürfte Riccardo Chailly – als Chefdirigent der Mailänder Scala und des Lucerne Festival Orchestra – der zurzeit am höchsten Gestiegene sein. Als Abbado-Nachfolger in Luzern hat Chailly nie ein Hehl daraus gemacht, dass er das kammerorchestrale Erbe seines Vorgängers respektieren und weiterpflegen will. «Alles geht um Balance», so Chailly im Gespräch. «Nicht umsonst hat Claudio Abbado das Orchester, das ja im Kern aus Musikern des Mahler Chamber Orchestra besteht, dazu aufgefordert, vor allem aufeinander zu hören.» Dieser Anspruch besteht bis heute. Die Folge ist, dass die Leitung dieses Orchesters für ihn sogar einfacher sein dürfte als bei einem traditionellen Klangkörper. Zu neuen Repertoire-Ufern führt Chailly das Lucerne Festival Orchestra in Gestalt eines Rachmaninow-Zyklus, in dessen Zeichen das diesjährige Eröffnungskonzert steht. «Das Orchester hat bisher wenig Rachmaninow gespielt, obwohl dieser über einen so ausgeprägten Luzern-Bezug verfügt», so Chailly. Besonders Werke, die mit dem Wohnort des Komponisten am Vierwaldstättersee zusammenhängen, machen den aktuellen Schwerpunkt unwiderstehlich. Rachmaninow residierte und komponierte bekanntlich in Hertenstein am Ufer, direkt gegenüber von Luzern. Er liess das Haus, in dem er lebte, das er «Villa Senar» taufte (als Akronym aus seinem eigenen Vornamen Serge und dem seiner Ehefrau, Natalia), nach eigenen Entwürfen bauen. Und zwar im Bauhausstil. «Für mich war der Besuch des Hauses ein Schlüsselerlebnis», erzählt Chailly, «denn ich stand verdutzt vor der Tatsache, dass sich Rachmaninow, den wir doch meistens für einen Spätromantiker halten, ein sehr modernes Haus gebaut hatte.» Offenbar ein Statement, so Chailly. «Rachmaninow hatte ein weit moderneres Selbstverständnis als wir dies glauben», fügt Chailly an. «Die Eleganz und die klaren Linien des weissen Gebäudes, das er sich baute, finden sich auch in seiner Musik wieder.» Die wird von uns, mit anderen Worten, nur deswegen für unmodern gehalten, weil Rachmaninow streng zur tonalen Welt hielt und ungeachtet aller Modernität weiterhin harmonisch komponierte.

«Wir müssen, um Rachmaninow zu verstehen, einen Weg finden, Tonalität und Moderne zusammen zu denken – nicht aber als Widersprüche.» Das ist ein im Grunde rasend interessanter Ansatz. Er könnte, ganz nebenbei, aus der Zwickmühle dürrer und dogmatisch gewordener Atonalität herausführen. Und das mit einem Komponisten, dessen Musik vom Kollegen Richard Strauss seinerzeit als «gefühlvolle Jauche» verspottet wurde. Sie war damit fast erledigt – bis heute.

Klavierkonzerten in Berührung gekommen war, einen Fortschritt. Freilich, 1993 veranstaltete man bereits einen Rachmaninow-Schwerpunkt zum 50. Todestag und zugleich 120. Geburtstag mit der Tondichtung «Die Toteninsel», zwei Klavierkonzerten, der Kantate «Die Glocken» sowie Vespern und einem Klaviermarathon. Auch die zweite, nicht aber die dritte Symphonie, wurde aus diesem Anlass gespielt. «Die Dritte markiert einen grossen Fortschritt Rachmaninows schon in Bezug auf seine Orchestrie-

«Das Klavierkonzert Nr. 3 ist ein echtes Monster» «Ein Weg zum Verständnis des wahren Rachmaninow bestand für mich in der Art, wie er selber seine Musik spielt.» Rachmaninow, auch einer der grössten Pianisten aller Zeiten, hat ja alle seine vier Klavierkonzerte auf Schallplatten eingespielt. Er war dabei äusserst selbstkritisch und diffizil bei der Freigabe der Bänder (Zum Vergleich: Die Beethoven-Sonaten mit dem Geiger Fritz Kreisler hätten nach Rachmaninows eigenem Willen nie erscheinen sollen; er fand sie nicht gut genug. Nur Kreisler setzte es durch). «Rachmaninows Spiel war sehr vorwärtsdrängend, niemals süsslich, immer klar in der Struktur», so Chailly. «Er vermied alles Rückwärtsgewandte. Sein Pech war nur, dass seine ersten Interpreten, zum Beispiel Alexander Glazunov, ihn zu romantisch dirigiert haben.» Entsprechend abschätzig wurde er dann von Strawinsky, Adorno und anderen Wortführern späterer Generationen aufgefasst. Und abgelehnt. «Ich dirigiere Rachmaninows drittes Klavierkonzert aus jener Partitur, die bei Willem Mengelberg auf dem Pult lag, als Rachmaninow selber spielte – und in die zahlreiche Hinweise des Komponisten eingetragen sind.» Das Ergebnis: ein schlankerer, struktureller Rachmaninow, der für die Tonalität einen ganz eigenen Weg in die Moderne bahnte. Mit dieser Vorstellung, man muss es zugeben, hatte Rachmaninow kaum Erfolg. Er gilt trotzdem als hoffnungsloser Postromantiker. Mit seinem Rachmaninow-Schwerpunkt bewirkt Riccardo Chailly für das Lucerne Festival Orchestra, das unter seinem Vorgänger Abbado nur mit den

rungskunst», erläutert Chailly. «Er hatte inzwischen den amerikanischen Jazz kennengelernt und vollzog einen weit entschiedeneren Schritt weg von Tschaikowsky.» Auch das dritte Klavierkonzert, in Luzern gespielt von Denis Matsuev, verfolgt diese Bewegung. «Das Klavierkonzert Nr. 3 ist ein echtes Monster», so Chailly. «Ich habe es vor vielen Jahren mit Martha Argerich am Klavier auf Schallplatten aufgenommen, und selbst Martha Argerich sagte mir anschliessend: ‚Nie wieder!’ Es war ihr zu schwer.» Mit Denis Matsuev steht dagegen ein echter Rachmaninow-Missionar zur Verfügung. Matsuev hat oft am Klavier Rachmaninows in Hertenstein gesessen (und sogar CDs dort produziert). Und mit Chailly schon Grieg und Tschaikowsky an der Mailänder Scala aufgeführt. Das Dritte von Rachmaninow sei immerhin so anspruchsvoll, dass der Komponist selber eingeräumt habe, Vladimir Horowitz und Walter Gieseking könnten es besser spielen als er selbst. «Schon für diese Ehrlichkeit, muss ich sagen, verehre ich ihn», so Chailly. Dass er diese Werke – einschliesslich einer Orchesterfassung der berühmten «Vocalise» – in Luzern zu einer Superdosis Rachmaninow kombiniert, stellt ein enorm starkes Votum dar. «Rachmaninows Originalität bestand darin, dass er Melodien nicht über die harmonischen Strukturen legte wie sonst üblich. Er bildete durch Akkorde die Melodien. Das ist einzig in seiner Art», so Chailly über Rachmaninow. Und soll in diesem Festspielsommer konzertiert und konzertierend bewiesen werden. Wie schön, dass es noch echte Ziele gibt. ■

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Riccardo Chailly besucht Sergej Rachmaninows «Villa Senar» in Hertenstein am Vierwaldstättersee.

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lucerne festival Leonidas Kavakos in Luzern: Beethoven, Korngold oder ein Rezital mit Yuja Wang

«Kunst war und ist immer politisch» Musik als humanistische Botschaft, nicht als Zirkus oder Geschäft: Der griechische Geiger und Dirigent wird weltweit geschätzt für seine Musikalität und Virtuosität, aber auch für die Ernsthaftigkeit seiner Interpretationen und Ambitionen. Das Lucerne Festival kürte ihn 2019 zum «Artiste Etoile», und der vielseitige Musiker zeigt viele Facetten seines künstlerischen Potenzials. Reinmar Wagner (Text) & Priska Ketterer (Fotos) Vier Konzerte, vier Auftritte mit ganz verschiedenen Partnern: Leonidas Kavakos will in Luzern Musik vorstellen, die ihm besonders am Herzen liegt. Im Rezital mit Yuja Wang spielt er Geigenkammermusik von Mozart, Prokofjew, Bartók und Richard Strauss. Dann folgt mit dem Beethoven-Violinkonzert einer der grössten Hits für Violine und Orchester, bei dem Kavakos vom Lucerne Festival Orchestra und Yannick Nézet-Séguin begleitet wird. Dann spielt er Sibelius, aber nicht das grosse Konzert, das seit seinem Sieg beim Sibelius-Wettbewerb 1985 ein bisschen zu seinem Markenzeichen geworden ist, sondern die zweite der kurzen Serenaden, die Sibelius 1912/13 für Geige und Orchester komponierte, kombiniert mit zwei ebenfalls kürzeren Werken aus dem französischen Geigenrepertoire, das lyrische «Poème» von Chausson und die virtuose «Tzigane» von Ravel. Die Begleitung kommt von Freunden, von Valery Gergiev und seinem «Mariinsky-Orchester», mit denen Kavakos immer wieder sehr gerne aufgetreten ist. Und den Abschluss bildet das noch immer eher selten aufgeführte Violinkonzert von Korngold mit seiner spätromantisch-üppigen Tonsprache und weit gespannten Melodien im Hollywood-Sound. Eine Musik, die bestens passt zu den Wiener Philharmonikern, die Kavakos unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada begleiten.

19. August: Feuer und Wasser

Yuja Wang und Leonidas Kavakos? Die beiden passen auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen, der überaus ernsthafte Geiger aus Griechenland scheint in seiner intellektuellen Annä-

herung an das Repertoire und seiner zurückhaltenden Skepsis dem Klassik-Betrieb gegenüber fast schon wie eine Antithese zur quirligen Hypervirtuosin Yuja Wang mit ihrer glamourösen Attitüde auf High Heels und in ultrakurzen Kleidchen. «Wir sind anders», bestätigt Yuja Wang, «aber dann doch auch wieder in unserer Neugier so ähnlich. Er ist 20 Jahre älter als ich, aber er kann sich gut erinnern, wie er in meinem Alter

pig-spätromantischen Klang des jungen Richard Strauss. Vor allem das Stück von Bartók mit seiner temperamentvollen Rhythmik, die wie so oft bei ihm von der ungarischen Volksmusik abgelauscht ist, verspricht unter den Händen dieser beiden Virtuosen zum Feuerwerk zu werden. Kavakos hat von seinem Vater gelernt, wie Volksmusiker denken und spielen und er glaubt, dass der intuitive und instinktive Zugang dieser Musiker

«Wir leben in einer Zeit ästhetischer Verwirrung» war: Ein weisses Handtuch, so sagt er immer. Also mache ich jetzt auf meines ein paar Flecken drauf. Mit ihm zu spielen, oder sich einfach nur auszutauschen, das öffnet mir wirklich Perspektiven.» Die Kombination von Feuer und Wasser scheint in diesem Fall also bestens zu funktionieren. Zahlreiche Tourneen haben sie zusammen unternommen und sämtliche Violinsonaten von Brahms eingespielt. Und Kavakos macht es «ganz einfach Spass», mit dieser Pianistin zusammen aufzutreten. Überaus farbig ist das Programm ihres Rezitals: es reicht von Mozart (B-Dur-Sonate KV 454) über zwei anspruchsvolle, von rhythmischer Energie geprägte Werke des frühen 20. Jahrhunderts (Prokofjews erste Sonate und Bartóks erste Rhapsodie) bis zum üp-

auch der klassischen Welt bisweilen gut tun würde: «Alles ist viel mehr improvisiert, spontan. Volksmusiker spielen keine Konzerte, sie sind wie gute DJs, die ihr Publikum bei Laune halten, zum Tanzen und zum Feiern animieren und die Stimmung anheizen. Dieser Zugang ist fantastisch, und es würde uns klassischen Musikern gut tun, auch ein bisschen davon zu lernen. Das Fantastische an Bartók ist, dass er, obwohl er ein so begabter und inspirierter Komponist war, erkannte, wie wichtig die Quellen seiner Musik für ihn waren, die Melodien, Tänze, Rhythmen seiner Heimat. Und er hatte die Geduld, herumzureisen und den Musikern in den hintersten Tälern zuzuhören, zu sammeln und einzuordnen und dann aus diesen Quellen seine eigene, neue Musik zu schöpfen.


lucerne festival Seine Musik ist grossartig, weil darin immer das unmittelbare menschliche Leben aufscheint.» Und allen Zuhörern, die immer noch Hemmungen haben, wenn die Jahreszahl hinter einem Werk mit 19 beginnt ruft Kavakos zu: «Es ist schon traurig: Die zweite Wiener Schule ist bald hundert Jahre alt und die Leute fürchten sich immer noch davor. Die harmonischen Strukturen der klassisch-romantischen Musik sind noch immer so stark, dass sich das Publikum grösstenteils nicht an etwas anderes gewöhnen kann. Ich empfinde Schönbergs Schritt in die Atonalität und Zwölftontechnik als epochalen Moment in der Musikgeschichte. Er hat damit ein wunderschönes mathematisches System geschaffen. Aber die Nachwelt muss damit kreativ umgehen können. Man sollte dieses System als Werkzeug benutzen, nicht als strikte Regel. Wenn man die Zwölftontechnik nur als Regel anwendet, dann berührt es keinen, dann ist es nur eine Übung.» Deswegen nimmt er sich das Recht heraus, zu urteilen und zu werten: «Komponieren ist kein Selbstzweck, sondern sollte einen nachhaltigen Wert haben. Leider haben nicht sehr viele Leute dieses Talent, komponieren aber trotzdem. Wir leben in einer Zeit ästhetischer Verwirrung, und das spiegelt sich in der Musik wider. Häufig klingt zeitgenössische Musik wie ein organisiertes Chaos. Und ich als ausführender Künstler unterwerfe mich keiner Doktrin, die da meint, ich müsse diese Musik mögen. Ich empfinde also keine grundsätzliche Verantwortung für die zeitgenössische Musik, sondern bloss für meine Auswahl aus dem, was sie geschaffen hat. Und so ist es mit der Zivilisation: Wir sind geblendet von den technischen Möglichkeiten, aber wir realisieren nicht wirklich, wie wir sie nutzen könnten, um weiterzukommen.»

22. August: Beethoven

Klanglich sensibel war der griechische Geiger Leonidas Kavakos schon immer. Dass diese Eigenschaft sich positiv auf Beethoven auswirkt, überrascht nicht. Als er die Sonaten mit Enrico Pace einspielte, erstaunte das Ausmass dieses Nuancenreichtums dann doch. Wo viele Kollegen kraftvoll mit Verve und viel Vibrato durch die Phrasen brausen, ist Kavakos meist etwas zurückhaltender und aufmerksamer. Fast meint man, stets Fragen zu spüren: Wie viel Attacke? Welches Vibrato? Wohin zielt die Melodie, und wie zeige ich es? Demonstrativ wirkt sein Spiel dann aber auch nicht, dies vor allem deshalb, weil er es schafft, viele Stellen, die geigerisches Brimborium scheinbar herauszufordern scheinen, mit einer lakonischen Einfachheit

«Die menschliche Natur ist noch immer schlimmer und stärker als jede Waffe.»

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OSI al LAC OSI in Auditorio 2019/20

osi.swiss

OSI al LAC Teatro LAC Lugano 26 settembre 2019

Alexander Vedernikov direttore Musiche di Saint-Saëns, Chapela, Franck

Johannes Moser violoncello

Teatro LAC Lugano 17 ottobre 2019

Markus Poschner direttore Musiche di Beethoven, Chopin

Benjamin Grosvenor pianoforte

Teatro LAC Lugano 07 novembre 2019

Markus Poschner direttore Musiche di Stravinskij, Shankar e Delago

Anoushka Shankar sitar Manu Delago handpan e percussioni

Teatro LAC Lugano 21 novembre 2019

Julian Rachlin direttore Musiche di Mozart, Schubert, Barber, Bruch

Ray Chen violino

Teatro LAC Lugano 05 dicembre 2019

Markus Poschner direttore Musiche di Šostakovič, Berlioz

Gautier Capuçon violoncello

Teatro LAC Lugano 06 febbraio 2020

Jérémie Rhorer direttore Musiche di Glinka, Šostakovič, Čajkovskij

Alexander Toradze pianoforte

Teatro LAC Lugano 23 febbraio 2020

Markus Poschner direttore Musiche di Rossini, Beethoven, Schubert

Khatia Buniatishvili pianoforte

Teatro LAC Lugano 12 marzo 2020

Maxime Pascal direttore Musiche di Debussy, Sibelius

Patricia Kopatchinskaja violino

Teatro LAC Lugano 26 marzo 2020

Markus Poschner direttore Musiche di Beethovenn, Schumann

Julia Fischer violino

Teatro LAC Lugano 23 aprile 2020

Daniele Gatti direttore Musiche di Schumann, Beethoven

OSI in Auditorio Auditorio Stelio Molo RSI Lugano 09 gennaio 2020

Renaud Capuçon Play&Conduct Musiche di Beethoven, Schubert

violino

Auditorio Stelio Molo RSI Lugano 16 gennaio 2020

François Leleux Play&Conduct Musiche di Schnelzer, Haydn, Brahms

oboe

Auditorio Stelio Molo RSI Lugano 23 gennaio 2020

Avi Avital Play&Conduct mandolino Musiche di Vivaldi, Bach, Dorman, Bartók, Tsintsadze

Auditorio Stelio Molo RSI Lugano 30 gennaio 2020

Maxim Emelyanychev Play&Conduct Musiche di Mozart, Haydn, Vranický

pianoforte


lucerne festival zu nehmen. Strömen lassen, das ist das Geheimnis dieses Beethoven-Spiels, aber dann auch die Meisterschaft, das beabsichtigte Klangbild in allen Lagen auf den Punkt zu bringen. Das ist nicht undramatisch, im Gegenteil: Gerade weil die Elemente zur Steigerung der Intensität sparsam, aber dezidiert eingesetzt werden, wirken sie umso stärker.

der Version für Geige und Klavier nicht weniger wirkungsvoll klingt. Aber wieso sollte ein Geiger die Serenaden von Sibelius spielen, wenn es das grandiose Konzert gibt? Und Kavakos freut sich, mit Valery Gergiev dieses oft verschmähte Repertoire vorstellen zu können: «Valery Gergiev ist ein grosses Vorbild für mich. Er ist nicht nur ein grossartiger

«Europa ignoriert seine Traditionen» So geht Leonidas Kavakos auch an Beethovens Konzert heran: «Wir haben heute viele Informationen und Kenntnisse, wie diese Musik zu Beethovens Zeit gespielt wurde. Das hat uns alle natürlich beeinflusst und hat auch mich in eine Position gebracht, das Stück als ein klassisches und nicht romantisches Werk zu verstehen. Dazu kommt, vor allem im ersten Satz, dass die Solovioline nirgends den Ton angibt, sondern bloss Verzierung ist. Die Themen kommen alle vom Orchester, ausser der g-Moll-Abschnitt. Das bringt mich dazu, die Rolle der Solovioline differenziert zu sehen: Natürlich es ist ein Konzert, aber es ist nicht Tschaikowsky, sondern eher eine Sinfonie mit obligater Sologeige, jedenfalls im ersten und in der ersten Hälfte des zweiten Satzes. Erst im dritten ist es die Sologeige, die das Thema vorgibt.» Seine zweite Karriere als Dirigent habe ihn für solche Fragen stark sensibilisiert. Als Geiger oder Cellist – anders als die Pianisten – könne man ein Konzertleben bestreiten und sich bloss um Melodie, Klang, Farben zu kümmern. «Wenn man aber die Partitur anschaut, sind da noch viele andere Farben von ganz verschiedenen Seiten und das öffnet uns die Augen, wie ein Komponist wirklich gedacht und empfunden hat. Mich als Solisten in dieses Gefüge einzuordnen, dafür hat mir das Dirigieren sehr geholfen.»

31. August: Kleine Formen, grosses Orchester Ehrensache, dass sich Leonidas Kavakos während seiner Residenz in Luzern auch für Repertoire einsetzt, das es schwer hat im Konzertbetrieb. Chaussons «Poème» gibt es manchmal als Zugabe, die «Tzigane» immerhin schafft es auf manche Programme, auch deswegen, weil sie in

Musiker mit erstaunlichen Fähigkeiten, sondern er hat es in seinem Land geschafft, die ganze politische Führung hinter sich und seine Institutionen zu bringen. So sollte es überall sein. Oder Künstler wie Rostropowitsch oder Menuhin, die am richtigen Ort zur richtigen Zeit das Richtige gesagt und getan haben. Kunst war und ist immer politisch und wird es immer sein. Kunst zeigt dem Menschen, was er eigentlich erreichen könnte. Kunst kann nie unethisch sein, sie kann nur unethisch benutzt werden. Aber das hat unsere Zeit nicht erkannt, im Gegenteil: Wenn gespart wird, wird an der Kultur zuerst gespart. Und dagegen müssen wir ankämpfen.» Wir hätten alle die Wahl, sagt Kavakos. «Aber genau da liegt auch das Problem, nämlich darin, wie wir unseren Kindern diese Wahl präsentieren: gar nicht! Wer bringt ihnen denn klassische Musik nahe, sodass sie sich überhaupt dafür entscheiden könnten? Eine kleine Minderheit von Eltern, eine noch kleinere Minderheit von Lehrern! Das ist das Problem. Sie haben gar keine Wahl, weil sie die Möglichkeiten schon gar nicht kennen. Europa ignoriert seine Traditionen: Wie kann man in Deutschland aufwachsen, ohne Brahms zu kennen? Überall ist es so: Griechische Kinder wachsen auf, ohne Platon und die Mythologie zu kennen. Wir werfen einen grossen Teil unserer Kultur in den Mülleimer. Nicht nur Musik, auch Geschichte, Literatur, Philosophie. Jeder soll frei entscheiden können, in Ordnung, aber dafür müssen wir ihm zuerst präsentieren, woraus er auswählen kann. Ich war zwei Jahre lang im Militär in Griechenland. Ich habe mich nicht unwohl gefühlt, aber ich war traurig, dass man diese Zeit nicht nutzt, um den Leuten jene Bildung beizubringen, die sie bis dahin verpasst haben. Wie sollen sie denn kämpfen, wenn sie nicht wissen, wofür? Bei den alten Griechen

waren die Dichter und Philosophen immer auch Krieger. Das gehörte damals selbstverständlich zusammen.» Den Einwand, dass die Zivilisation sich doch zu gewaltfreien Konfliktlösungen hin entwickeln sollte, mag er nicht wirklich gelten lassen: «Das ist ein naiver Traum. Wir haben uns hier in Europa einen schönen Wohlstand etabliert und wollen am liebsten immer so weiterleben. Aber der Planet ist nicht ruhig, und die Menschen sind es auch nicht. Die menschliche Natur ist dynamisch, sie sucht Veränderung. Wir hingegen versuchen die Nicht-Veränderung mit allen Kräften durchzusetzen. Das ist eine Illusion, denke ich. In den alten Zeiten kämpften sie in menschlichen Dimensionen und mit Respekt vor dem Menschen. Das ist heute durch die Technik verdrängt worden, aber die menschliche Natur ist noch immer schlimmer und stärker als jede Waffe. Ich denke, das ist die Lektion, die Amerika gelernt hat. Und ich danke Gott, dass das so ist. Denn auch die grossen Geister entzünden ihre grossen Ideen an dieser Natur. Sokrates redete mit den Dämonen. Kunst entsteht aus Konfrontation, früher, jetzt und immer.»

5. September: Korngold

Natürlich habe ihn die berühmte Aufnahme von Jascha Heifetz beeinflusst, sagt Kavakos. Durch sie habe er das Stück kennen und lieben gelernt. Aber das bedeute keineswegs, dass er dessen Spiel kopieren würde: «Ich gehe an Stücke immer auf die gleiche Weise heran, so auch bei Korngold: Ich versuche, das Talent, den Wert der verschiedenen Melodien, Farben, Harmonien zu fühlen und mir vorzustellen, dass der Komponist es so in diesem Moment erfunden hat. Als ob ich die Musik noch nicht kenne, sondern denke: Ah, so geht die Melodie. Ihn fasziniere an Korngolds Konzert, wie er seine Melodien entwickelt und wie er orchestriert habe, sagt Kavakos. «Im Violinkonzert gehen viele Themen auf Filme zurück, er hat eine grossartige Welt um diese einfachen Melodien geschaffen. Ich weiss, dass die Leute immer sagen, Korngold sei schwer. Ich glaube nicht, dass das Korngold-Violinkonzert schwerer ist als Bartok oder Brahms oder Prokofjew – es sind alles schwierige Stücke. Die Herausforderung liegt darin, dass man viele Noten zu spielen hat und von einem grossen Orchester begleitet wird, daher muss man viel Lautstärke produzieren. Aber Korngold hat auch etwas sehr Pures. Er hatte ein grosses Talent, seine Melodien sind nur so aus ihm herausgeflossen. Es ist mir wichtig, das zu zeigen – und nicht zu viel Süsse hineinzulegen. ■

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lucerne festival Thomas Kessler – ein Pionier live-elektronischer Klänge ist Composer in Residence beim Lucerne Festival

Hiphop-Dichtung und Orchester Thomas Kessler, geboren 1937 in Zürich, bewegte sich stets abseits der Hauptströme Neuer Musik. Dabei hatte er in Berlin bei eher «gemässigt modernen» Komponisten wie Boris Blacher gelernt. Doch das handwerklich Saubere, wie er es dort erlernt hatte, musste überwunden werden. Kessler fand zu einer elektronischen Musik, die wesentlich darauf baut, den Instrumentalisten mehr Eigenverantwortung zu übergeben. Thomas Meyer Ein Rapper skandiert rhythmisch hart seinen Text, Worte wie «motherfucker» fallen, dazu setzt ein klassisches Streichquartett Akzente, Glissandi und Bewegungen, ein rasantes, mitreissendes Spiel entsteht. Es war eine der ungewöhnlicheren Begegnungen der jüngeren Schweizer Musikgeschichte, die zu diesem Stück führte. Beim kalifornischen Slam-Poeten Saul Williams sprach 2001 der Komponist Thomas Kessler vor, damals frisch pensioniert und in Toronto als Composer-in-Residence tätig. Dort hatte er sich auf die Suche nach neuen musikalischen Erfahrungen jenseits des etablierten Konzertbetriebs begeben: Er ging in die Lokale, in denen sich am Wochenende junge Leute treffen, wo die Slam-Poetry lebt, eine «Kunstform, die mich tief beeindruckt hat, die dort sehr stark ist und, obwohl man den Rap immer wieder mal totsagt, einfach nicht totzukriegen ist». Und irgendwann traf er dabei auf einen speziellen Tonfall: Williams, ein grossartiger Dichter, der in seinen Texten Politisches mit Mythischem und Alltäglichem verknüpft. Die beiden verstanden sich auf Anhieb. «Wir gingen sofort an die Arbeit. Saul Williams fragte, ob ich nicht sein neues Buch, das er gerade fertig geschrieben habe, verwenden wolle. Er drückte mir das Manuskript in die Hand, sagte aber gleich: Das musst du doch hören; das muss ich sprechen. Willst du nicht eine Aufnahme? Und holte ein Mikrofon raus, steckte es ein, testete kurz den Ton und rappte mir das ganze Buch auswendig vor, eine halbe Stunde lang. Es war wunderbar.» Daraus entstand zu-

nächst ein Werk mit Orchester («… said the shotgun to the head»), später, weil Williams vom Ergebnis so begeistert war, «NGH WHT» mit Streichquartett, den renommierten Ardittis, und schliesslich noch die «Voices from nowhere» für Sprecher, Bassklarinette und Chor. Eine solche Begegnung über die Grenzen sogenannter E-Musik hinaus mag ungewöhnlich erscheinen. Nicht jedoch für Thomas Kessler. Er denkt von je her über Spartengrenzen hinweg. So schrieb er in den 70er-Jahren Stücke für aussereuropäische Instrumente – nicht aus folkloristischer, sondern gesellschaftskritischer Sicht. Und bereits sein Stück «Countdown für Orpheus» von 1966 war mit Beatpulsen unterlegt – ein Jahr vor dem legendären Psyché Rock des Musique-concrète-Pioniers Pierre Henry. Als 2015 Edgar Froese, der Gründer der Kultband «Tangerine Dream», starb, erwähnte der «Spiegel» im Nachruf auch Kessler: In seinem Studio «stand eines Tages ein VCS-3-Synthesizer rum, den Kessler aus London importiert hatte, und der seine Schüler wie Edgar Froese und andere der sogenannten Krautrocker schwer beeindruckte. Davon beflügelt, baute Froese «Tangerine Dream» zur vollelektronischen Band um.» Unter «Tommy» Kesslers Anleitung kreierten sie einen völlig neuen Sound, auch Klaus Schulze wurde in seinem Studio angeregt, und so gilt Kessler, geboren 1937 in Zürich, noch heute als «quasi der ‚Vater‘ der sogenannten Berliner Schule der Elektronischen Rockmusik». Stets bewegte er sich etwas abseits der Hauptströme Neuer Musik. Dabei hatte er in Berlin

bei eher «gemässigt modernen» Komponisten wie Boris Blacher und Ernst Pepping Unterricht erhalten. Das handwerklich Saubere, sollte er es dort erlernt haben, mag eine Voraussetzung sein, aber sie muss überwunden werden. «Ich mochte immer auch das Unberechenbare an der Musik», sagte Kessler kürzlich in einem Interview mit der Aargauer Zeitung. Er hat sich selber denn auch als «Rebellen zweiter Unordnung» bezeichnet. So ist Kessler bis heute ein offener Geist geblieben, ein Querdenker. In der geteilten Stadt hatte er in den 60ern also ein eigenes elektronisches Studio gegründet, mit dem er bald bekannt wurde. Sein Ruf drang von dort schliesslich sogar in die Schweiz zurück. Ab 1973 unterrichtete Kessler Komposition und Theorie an der Musik-Akademie Basel und baute dort das elektronische Studio auf. So gehört er hierzulande neben Bruno Spoerri und Gerald Bennett zu den Pionieren der elektronischen und live-elektronischen Musik. Ein Charakterzug seiner elektronischen Musik ist, dass er den Instrumentalisten mehr Eigenverantwortung übergibt. «Mein Stil im Umgang mit Live-Elektronik ist etwas anders als jener eines Stockhausen oder Boulez, die ich ja sehr bewundere und deren Werke ich mit Studenten aufgeführt habe. Dort wird alles zusammengemischt, egal wie viele Musiker mitwirken: Die Klänge kommen über die Mikrofone in eine grosse Klangfabrik, in ein Mischpult und werden wieder in den Raum verteilt.» In Kesslers Solostücken wie Piano Control (1974) jedoch übernimmt der Solist, soweit er das


Bild: Priska Ketterer

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Thomas Kessler: «Ich mochte immer auch das Unberechenbare an der Musik.»

bewältigen kann, sehr viel mehr live-elektronische Verantwortung. «Niemand sitzt im Saal und manipuliert noch ein bisschen, sondern der Musiker weiss genau: Das ist mein Klang. Er kann das zu Hause aufbauen, proben und hören.» Und er wird dabei virtuos gefordert. Gleichzeitig wird unsere Wahrnehmung getrübt. Woher genau stammt nun ein bestimmter Klang? Wie wird er produziert? Das Prinzip hat Kessler in einem Dutzend weiterer Solostücke umgestaltet und sogar völlig umgekrempelt und es auch aufs Streichquartett, auf grössere Ensembles und sogar aufs Orchester erweitert. Es ist bezeichnend für die Art und Weise, wie er denkt, nie zufrieden mit den erreichten Lösungen, ständig weiterforschend. So auch hier. Den Orchestermusikern würde gemeinhin zu wenig zugetraut, fand er. Deshalb erhält in «Utopia» jeder Einzelne von ihnen einen Laptop, den er zunächst zu Hause mit einem Assistenten zu bedienen lernt und über den er dann im Konzert live die individuelle Klangmodulation vornimmt. «Wenn vierzig Tuttistreicher mit egal wie vielen Mikrofonen zusammengemischt, dann zum Beispiel durch einen Ringmodulator gedreht und im Raum mit Surround bewegt werden, ist es nicht dasselbe, wie wenn vierzig Einzelmusiker die gleiche Modulation selber ausführen», sagt Kessler. Das klingt nach bloss sozialem und technischem Experiment, aber tatsächlich entsteht eine Musik von ganz eigener Qualität, «ein Mischklang, den man noch nie gehört hat», wie Kessler ihn sich wünschte, «denn kein Musiker ist absolut genau. Der eine ist etwas lauter, der andere etwas leiser, das stimmt nicht ganz, aber gerade aus dieser Unschärfe entsteht Neuartiges.» In der dritten Version von «Utopia», die nun auch in Luzern zu hören ist, verteilt er das Orchester dafür im ganzen Raum. Die eingangs skizzierte Interaktion von Stimme und Instrument hat er übrigens früher schon erprobt, auf ungemein witzige Weise in «Is it?», einem minitheatralen Duo für Sopran und Sopransaxofon. Kessler liebt es, Texte zu vertonen. Für das Lucerne Festival beziehungsweise für die Sopranistin Yuko Kakuta hat er nun ein neues Lied komponiert: «avenidas». Der Titel erinnert an jenes Gedicht Eugen Gomringers, das von einer Berliner Mauer gelöscht wurde, weil es angeblich frauenfeindlich sein soll. Kessler reagierte ja schon früher mit nonkonformistischer Präsenz auf die 68er-Unruhen oder auf die Umweltbedrohung. Er ist, obwohl er nie damit angibt, ein politischer Komponist. So ist das Lied seine Stellungnahme zu einer aktuellen Debatte. ■

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Bernard Haitink: «Man wird mit den Jahren wohl etwas ruhiger.»

Bernard Haitink nimmt mit einem letzten Konzert am Lucerne Festival seinen Abschied

«Ich hatte grosses Glück» Tritt er wirklich ab? Oder will er nach seinem letzten Auftritt beim diesjährigen Lucerne Festival am 6. September zusammen mit den Wiener Philharmonikern mit Bruckners siebter Sinfonie doch vorerst nur ein Sabbatical einlegen? Nein, es soll sein letztes Konzert sein, wie die niederländische Zeitung «de Volkskrant» Mitte Juni ankündigte: «De grootse maestro Bernard Haitink (90) stopt.» Werner Pfister


Bilder: Priska Ketterer/Lucerne Festival

lucerne festival Eine höchst aussergewöhnliche Dirigentenkarriere, die vor 65 Jahren ihren Anfang nahm, neigt sich nun wohl doch ihrem Ende zu. Sein allerletztes Konzert, sagte Bernard Haitink, werde er in Luzern dirigieren. «Ich bin jetzt neunzig. Ich kündete an, dass ich ein Sabbatical nehmen werde, weil ich nicht sagen wollte: Ich höre auf. Denn ich habe keinerlei Lust auf alle diese offiziellen Abschiedsdinge, aber es ist eine Tatsache, dass ich nicht mehr dirigieren werde.» Allerdings, eine Hintertür möchte er sich vielleicht doch noch offenhalten – nämlich als Einspringer doch noch einmal ans Dirigentenpult zurückzukehren. Falls die Rahmenbedingungen stimmen, wie er betont. Ob Bernard Haitink das wirklich in Betracht zieht? «Ehrlich gesagt: Wenn ich einmal aufgehört habe, glaube ich nicht, dass ich dann noch dirigieren kann.» Eine persönliche Erinnerung: Mahlers Neunte, der letzte Satz, Generalprobe. Nicht ein einziges Mal unterbricht Haitink den Fluss der Musik, nicht ihr letztes Aufbäumen und erst recht nicht ihr langsames Abschiednehmen und Verlöschen. Er gibt auch keinerlei Kommentare ab, während die Musikerinnen und Musiker spielen – aber er schaut sie an. Und zwar derart intensiv, dass man seine dirigierenden Hände, die sich eh auf das Notwendigste beschränken, fast übersehen könnte: Haitink führt seine Musiker vor allem mit den Augen, genauer gesagt: lobt sie mit den Augen dorthin, wo er sie haben möchte. Das Orchester folgt ihm wie in Trance und mit höchster Konzentration. Nachdem der letzte Ton verklungen ist, doch noch ein paar wenige Worte – vor allem: Dank an die Musikerinnen und Musiker. Als ich ihn nachher in seiner Garderobe frage, ob man solche Musik überhaupt proben könne, sagt er, sichtlich bewegt: «Nein. Man kann sie nur spielen. Und auch das nur mit grösstem Respekt.» Respekt – ein Schlüsselwort für Haitinks Umgang mit der Musik und dem Dirigieren. Eigentlich hatte Bernard Haitink als Geiger begonnen. Doch bald erwachte das Bedürfnis zu dirigieren. Warum?, fragten wir ihn vor Jahren schon in einem Interview für Musik&Theater. «Eine schwierige Frage. Vielleicht, weil ein einziges Instrument mir nicht genügte – weil ich den Drang verspürte, ein Werk ganz zu verstehen und nicht nur von einer einzigen Stimme her.» Fortan folgte Haitink diesem Drang, ging seinen Weg, aber nie auf der Überholspur. Von Karriere mochte er schon gar nie reden: «Ich werde ziemlich allergisch, wenn man von grossen Dirigenten und ihren Karrieren redet. Ich hasse allein schon das Wort. Wir sind doch alle einfach nur Mu-

siker, so oder so.» Haitink hat sich nie in Szene gesetzt, nie medienwirksam in den Vordergrund gedrängt – und wurde von gewissen Musikfeuilletonisten dann prompt als «Mann ohne Eigenschaften» belächelt. Haitink focht das nie an, im Gegenteil, er konterte solche Dinge mit Humor: «Ehrlich gesagt kann ich mir meinen Erfolg auch nicht erklären. Ich sage nicht viel bei den Proben, ich doziere nicht, ich kann keine Monologe halten. Oft denke ich: Die haben nicht viel an mir.»

ler-Boom, wie er seit den 1980er-Jahren weltweit immer flächendeckender das Musikleben prägt, steht Haitink heute allerdings kritisch gegenüber. «Wenn man Erfolg haben will, spielt man heute Mahler.» Dabei werde Mahler immer lauter. Und das sei eine Entwicklung, die dem innersten Charakter von Mahlers Musik völlig zuwiderlaufe. Denn Mahler sei nie – in keinem seiner Werke – ein affirmativer Komponist gewesen. Haitinks eigene Aufführungen bestätigten das.

«Wir sind alle einfach nur Musiker» Mit 27 stand er zum ersten Mal vor dem Royal Concertgebouw Orkest in Amsterdam. Das war 1956. «Mein Gott, schau mal, was für ein Baby», soll eine Konzertbesucherin gesagt haben. «Es war auch idiotisch», meinte Haitink im Rückblick. «Ich war 27, und eigentlich sah ich noch jünger aus. Aber irgendwie ging alles ganz automatisch. Da kann man sich nicht dagegen wehren – vielleicht nennt man das Talent.» Fünf Jahre später wurde er Chefdirigent beim Concertgebouw, anfänglich an der Seite des versierten Eugen Jochum, und Haitink blieb dieser Aufgabe bis 1988 treu. Es war die Zeit, als die grossen Brucknerund Mahler-Einspielungen realisiert wurden. Bald galt er weltweit als Bruckner-Spezialist – was Haitink selber so nicht gelten lassen wollte: «Ich bin überhaupt kein Spezialist. Bruckner – wie übrigens später auch Mahler – kamen einfach in mein Leben, der eine früher, der andere später.» Mit Mahler hatte es übrigens seine eigene Bewandtnis. «Ich kam vergleichsweise erst spät zu Mahler. Bruckner stand mir viel näher, doch nach unseren Bruckner-Aufnahmen wünschte sich das Concertgebouw Orkest auch Mahler-Einspielungen. Es wurde für mich eine schwierige Auseinandersetzung. Als ich die erste Sinfonie zum ersten Mal dirigiert hatte, schrieb ein bekannter Kritiker: ‹Haitink soll die Finger von Mahler lassen, er hat überhaupt nichts davon verstanden.› Dennoch schaffte ich damals einen Durchbruch für Mahler, insbesondere auch mit unseren TV-Konzerten zum Jahresende, durch die unzählige Menschen mit Mahler vertraut wurden.» Dem Mah-

Auch für Schostakowitschs Sinfonien leistete Haitink Pionierarbeit, und auch da gab es anfänglich Probleme: «Ich hatte Mühe, Schostakowitsch ins Repertoire aufzunehmen und einzuspielen. Ich begann mit der Sinfonie Nr. 14 – mit Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau als Gesangssolisten. Als die Aufnahme veröffentlicht wurde, stiess sie auf grosses Interesse. Doch sofort hiess es, das sei nur wegen der beiden Solisten. Danach nahm ich die Fünfte auf. Erst dann war man auch von mir überzeugt.» Und in seiner sprichwörtlichen Bescheidenheit fügte Haitink an: «Ich hatte grosses Glück. Heute ist es für junge Dirigenten schwieriger geworden.» Das Glück blieb ihm treu – als Direktor des Opernfestivals Glyndebourne, als Erster Dirigent des London Philharmonic Orchestra, als musikalischer Leiter der Royal Opera Covent Garden, als Chefdirigent beim European Youth Orchestra, als Erster Gastdirigent beim Boston Symphony Orchestra, als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden sowie als Erster Dirigent des Chicago Symphony Orchestra. Ehrungen folgten: die Ehrendoktorwürde, verliehen von der Oxford University, der Erasmus-Preis in Holland, der Orden des Hauses Oranien-Nassau, verliehen von der Königin der Niederlande, die Goldmedaille der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft Wien, der Chevalier de L‘Ordre des Arts et des Lettres sowie der Knight Commander des Order of the British Empire ehrenhalber, verliehen von Queen Elisabeth II. Seit 1972 ist Bernard Haitink Ehrenmitglied der Berliner Philharmoniker, seit diesem Jahr nun auch Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker.

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Bernard Haitink und Murray Perahia – diese musikalische Konstellation ist in Luzern ein letztes Mal noch zu erleben. Ob er heute anders dirigiert als vor einem halben Jahrhundert? «Ob anders oder gar besser, das weiss ich nicht. Aber ich habe natürlich mehr Erfahrung. Vielleicht sind meine Tempi etwas breiter geworden – aber nicht notgedrungen. Man wird mit den Jahren wohl etwas ruhiger.» Und schmunzelnd fügt er an: «Früher sagte man mir oft, meine Bruckner-Aufführungen seien zu wenig religiös. Vielleicht stimmt das sogar.» Was bedeutet Dirigieren für ihn? «Eine schwierige Frage. Dirigieren heisst für mich, etwas zu übermitteln, etwas mitzuteilen, einem Komponisten und seiner Musik gerecht zu werden.» Und nach kurzem Nachdenken: «Dirigieren heisst vor allem: Verantwortung übernehmen.» Genau das lehrt er in seinen Dirigierkursen auch den Nachwuchs. Seit 2011 in alljährlichen Meisterkursen am Lucerne Oster Festival. Denn paradoxerweise genügt es nicht, gut dirigieren zu können, um auch ein guter Dirigent zu sein. Das Wichtigste für Haitink: als Dirigent wahrhaftig zu sein. «Das ist es, was ein Orchester spürt.» Genau diese Wahrhaftigkeit vermittelte Haitink seinen jungen Dirigierschülern: «Ich bin nicht dazu da, um zu kritisieren. Ich muss ihnen Selbstvertrauen geben.» Die

Frage ist nur: Wie macht er das? «Die Orchestermusiker brauchen deine Augen. Mach es mit deinen Augen. Schau ihnen beim Dirigieren ins Gesicht. Du musst ein Orchester motivieren. Also keine Barrieren hochziehen, sondern einen Kanal öffnen.» Zuweilen griff er in seinen Kursen selber kurz ins Geschehen ein und zeigte bei einer heiklen Stelle, wie er es «macht». «Denk darüber nach», sagte er dann, denn Haitink weiss, dass jeder Dirigent letztlich seinen eigenen Zugang zum Dirigieren und zur Musik finden muss.

ners Neunte Sinfonie. Regelmässig kehrte er zurück, nahm in Luzern auch für längere Zeit seinen Wohnsitz. Nun also sein Abschied: nochmals mit Bruckner, mit der siebten Sinfonie. Dieses Abschiedskonzert wird gleichzeitig sein 60. Festival-Auftritt sein. Vieles ist nach wie vor in lebhafter Erinnerung, aus jüngster Zeit vor allem seine hochgelobten Beethoven- und Brahms-Zyklen (2008 resp. 2010/11), realisiert mit dem Chamber Orchestra of Europe. Ein betagter Mann, der vor lauter jungen Musikerinnen und Musikern stand und dabei, was

«Dirigieren heisst: Verantwortung übernehmen» Vor 51 Jahren debütierte Bernard Haitink bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern, wie das Lucerne Festival damals noch hiess. Am 14. August 1968 stand er erstmals vor dem Luzerner Festspielorchester und dirigierte Bruck-

die herkömmliche Beethoven-Tradition anbelangt, fast ein bisschen zum Revolutionär wurde. Ein einmaliges Geben und Nehmen war hier zu erleben – eine Offenbarung. Wer dabei sein durfte, wird es nicht vergessen. ■

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Marianna Bednarska – von Anfang an offen und kreativ im Umgang mit allem, was mit Musik zu tun hatte

«Viele starke Emotionen» Neugier, Offenheit, Hunger auf Neues – diese Tugenden hat Marianna Bednarska auf ihre Fahne geschrieben. Während sie mit einem Bein noch im Studium steht, macht das andere schon erste Schritte in eine internationale Karriere. Als aktuelle Gewinnerin des Prix Credit Suisse Jeunes Solistes gibt sie diesen Sommer ihr Debut bei Lucerne Festival. Stephan Thomas (Text) & Priska Ketterer (Bilder)


lucerne festival ze Palette des klassischen Schlagzeugs beeindruckt mit ihrer grossen Vielfalt an Farben, Ausdrucksmöglichkeiten und spezifischem Repertoire. Mit ihren melodischen Möglichkeiten können Marimba oder Vibraphon ein Auditorium genauso entzücken wie Violine oder Klavier. Für die meisten steht indessen die Perkussion schon für das rhythmische Element.»

Ideen bereichern. Dazu gehört, dass man als Perkussionistin manchmal auch Schauspielerin und Choreografin ist; ferner muss man bisweilen improvisieren, sprechen, singen, mit Elektronik und Video interagieren. Dennoch spielt für uns auch die Musik vergangener Epochen eine grosse Rolle. So stimmt etwa der Tonumfang der Marimba exakt mit jenem des Cellos überein, was uns in die

«Die Perkussion inspiriert Komponisten rund um den Erdball»

Der Prix Credit Suisse Jeunes Solistes ist beileibe nicht der erste Preis, den die junge Perkussionistin Marianna Bednarska einheimst. Aber zweifellos einer der wichtigsten, bringt er ihr doch neben einer stattlichen Börse ein Debutkonzert beim Lucerne Festival. Das ist für sie ein erweitertes Heimspiel, denn die 1993 in Polen geborene Bednarska studiert im Moment noch an der Haute Ecole de Musique de Genève bei Philippe Spiesser. Die Perkussion weckt beim Publikum, auch beim relativ informierten, gewisse Assoziationen, wohl manchmal auch Klischees. Berechtigte? «Solodarbietungen mit Perkussion oder Ensemblestücke mit einem hohen Anteil an Schlagzeug bedeuten oft eine grosse Überraschung für das Publikum, denn Perkussion wird oft mit einem Set aus Trommeln und Becken assoziiert, wie wir das von der Band kennen. Die gan-

Mit Erwartungshaltungen verschiedener Art ist Marianna Bednarska auch in ihrem Musizieren konfrontiert. «Ich finde es sehr aufregend, wenn ich das klassische Schlagzeug als autonomes Phänomen vorstellen darf. Auch das dazugehörige Repertoire zwischen klassischen Schlagzeugstücken, Transkriptionen, Kompositionen mit Elektronik oder Performances im Sinne von Perkussions-Theater. Da ist meist viel Neues für das Publikum drin. Am meisten freut es mich indessen zu sehen, wie sich die Leute in dieses Neue hineinziehen lassen, wie viel an guten Emotionen und Schwingungen da entsteht. Es freut mich zudem wahrzunehmen, wie positiv man auf eine Frau am Schlagzeug reagiert – ist dies doch in den Augen vieler immer noch eine männliche Domäne. In Musikerkreisen hingegen ist dies längst völlig normal.» Als Schlagzeugerin muss man, so denken wir uns, wegen der Beschaffenheit des Repertoires ausserordentlich offen, neugierig und flexibel sein. Die ausschliessliche Pflege von mehr oder weniger historischer Musik, wie es beispielsweise auf dem Klavier grundsätzlich möglich ist, dürfte beim Schlagzeug keine Option sein. Marianna Bednarska stimmt dem zu. «Tatsächlich muss man als Schlagzeugerin völlig flexibel und offen für neue Erfahrungen und Anregungen sein. Das betrifft zunächst die Vielfalt der Instrumente an sich, dann aber auch die grosse Bandbreite an Spieltechniken auf jedem dieser Instrumente – ein wenig so, als müssten Geiger zugleich das Spiel auf Bratsche, Cello und Kontrabass beherrschen. Der andere Aspekt ist das Repertoire: Die Perkussion inspiriert Komponisten rund um den Erdball, die laufend das Grundrepertoire um neue

Lage versetzt, Johann Sebastian Bachs Cellosuiten eins zu eins wiederzugeben. So oder so wird wohl jeder Perkussionist auch als Arrangeur tätig sein. Alle diese Erfahrungen sind hilfreich, eine eigene musikalische Sprache zu finden.» Zweifellos war Marianna Bednarska durch ihren Werdegang zu solcher Flexibilität prädestiniert. «Ich entstamme einer musikalischen Familie, meine Eltern und Brüder sind alle Absolventen der Fryderyk Chopin Music Academy in Warschau. Musik hat von sehr früh an mein tägliches Leben bestimmt. Ich hörte bei mir zu Hause Klavier, Kontrabass, Akkordeon und Gitarre. Das hat meine Neugier und meinen Entdeckergeist geweckt. Ich war von Beginn an sehr offen und kreativ im Umgang mit allem, was mit Musik zu tun hatte. Als meine Talente auf diesem Gebiet offenkundig wurden, schickten mich meine Eltern an die Karol Szymanowski Music School nach Warschau, wo ich ein Klavierstudium begann.» Dabei blieb es aber nicht. «Ich machte zwar rasche Fortschritte auf dem Klavier. Dennoch verspürte ich den Wunsch nach mehr Freiheit, die Musik mit dem gesamten Körper auszudrücken. Zufällig lud mich eines Tages meine Tante Krystyna Celminskis, die an einer Warschauer Musikschule Perkussion unterrichtet, an ein Konzert ihrer Schüler ein. Hier beeindruckte mich nicht nur die Vielfalt des Instrumentariums, sondern auch die Freude der Kinder, wie quirlig sie sich an ihren Instrumenten bewegten. Der faszinierende Ton von Xylofon, Vibrafon, Marimba und die Farben der Schlaginstrumente motivierten meinen Entscheid, in Zukunft auf die Perkussion zu setzen. Der Weg war vorgezeichnet, obwohl ich da noch sehr jung war.»

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Music Director

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Paavo Järvi

«Die besten Ergebnisse erzielt man durch Kooperation. Es braucht ein Verständnis für die Musik und den Willen, an dieser Reise teilzunehmen.»

tonhalle-orchester.ch

Foto: Alberto Venzago

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Marianna Bednarska: «Ich hörte bei mir zu Hause Klavier, Kontrabass, Akkordeon und Gitarre. Das hat meine Neugier und meinen Entdeckergeist geweckt.» Gefragt, welche etablierten Komponisten sie für die wichtigsten auf dem Gebiet der Perkussion halte, antwortet Marianna Bednarska: «Eine komplexe Frage, denn man muss die Entwicklung des Schlagzeugparts, der Instrumente sowie aller Spieltechniken berücksichtigen. Auf diesem Gebiet könnte man Ludwig van Beethoven für seinen Einsatz der Pauken in den Symphonien nennen, oder Berlioz, der den Orchesterapparat im Gesamten, aber auch spezifisch die Behandlung des Schlagzeugs auf revolutionäre Weise erneuert hat. Dann Igor Strawinsky, der in seiner Histoire du Soldat die Multiperkussion erfindet, wo ein Schlagzeuger erstmals allein auf mehreren Schlaginstrumenten spielen muss. Wichtige Kammermusik mit Schlagzeug haben Pierre Boulez und John Cage beigetragen, der wie Karlheinz Stockhausen die Bedeutung des Schlagwerks bei Stücken des Musiktheaters ausgeweitet hat. Bei den Solowerken des 20. Jahrhunderts stehen si-

cher Iannis Xenakis, Georges Asperghis oder Vinko Globokar ganz vorne. Und Paul Creston, der die erste Komposition für Solo-Marimba und Orchester geschrieben hat.» Wenn man als Solistin so erfolgreich ist wie Marianna Bednarska, dürfte eine Orchesterstelle – auch eine renommierte – für die Zukunft wohl kein Thema sein? «Danke für diese Einschätzung! Ich bin nach wie vor am Lernen und bin überzeugt, dass noch viele wunderbare Erfahrungen auf mich warten. Als Musikerin möchte ich für neue Möglichkeiten offen bleiben, nicht nur als Solistin, sondern auch als Orchestermusikerin, als Kammermusikerin und Lehrerin. Jede künstlerische Betätigung hat einen unvergleichlichen und unermesslichen Wert, trägt Schönheit in sich selber.» Auf jeden Fall ist Marianna Bednarskas Konzertkalender bereits sehr gut gefüllt. Neben Deutschland ist dabei die Schweiz ein Schwerpunkt. Sind ihr diese beiden Länder, wo sie studiert hat und

noch studiert, eine künstlerische Heimat geworden? «Beide Länder haben einen besonderen Platz in meinem Herzen, sie sind mit wunderbaren musikalischen Erfahrungen, Freundschaften und Erinnerungen verbunden. Dennoch denke ich nicht, dass ich musikalisch zu einem bestimmten Land gehöre. Alle Orte auf der Welt, die ich besuchen durfte, haben mich mit ihrer einzigartigen Kultur, Kunst und Atmosphäre beschenkt. Natürlich bleibe ich auch meinem Heimatland Polen treu verbunden. Dort ist meine Liebe zur Musik und zur Perkussion geboren.» Nach Projekten, Wünschen und Hoffnungen für die kommende Zeit befragt, schaut Marianna Bednarska vor allem in die nächste Zukunft. «Ich hoffe, dass mein Auftritt am Lucerne Festival und die Musik, die ich da spielen werde, dem Publikum viele starke Emotionen bescheren und die Herzen erreichen wird. Das ist immer die wichtigste Botschaft, die ich vermitteln will.» ■

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lucerne festival Teodor Currentzis setzt einen Mozart-Schwerpunkt beim diesjährigen Lucerne Festival

«Ich bin kein Enfant terrible!» Teodor Currentzis fährt diesen Sommer gleich für vier Abende beim Lucerne Festival ein: Er dirigiert sowohl alle drei da Ponte-Opern von Mozart als auch ein Konzert mit Cecilia Bartoli als Solistin, das sich programmatisch ebenfalls um den Salzburger Meister dreht. Im Gespräch äussert sich der Pult-Exzentriker über die Erotik der Musik und warum die Welt für ihn weiblich ist. Kai Luehrs-Kaiser (Text) & Priska Ketterer (Bilder) Liegt’s an der Show? Den selbstgeschneiderten Klamotten? Oder am fliegenden Haar?! Kein anderer Dirigent sorgte in den letzten Jahren so sehr für Aufsehen und Aufruhr wie der exilgriechische Dirigent Teodor Currentzis. Seine Pointe besteht darin, vom entlegenen Ort Perm aus (im Uralvorland) zur Reise-Zelebrität geworden zu sein. Wo immer er hinkam als Dirigier-Performer, Pult-Tänzer und exzentrischer Dandy, galt er als Klasse für sich. Kürzlich hat er sein eigenes Parfum kreiert. Der musikalische Extremismus, für den er steht, will alles noch leiser, wo andere nur still sind. Er will beissen, wenn andere bloss die Zähne zeigen. Dahinstürmen, wo sonst Lüfte wehen. Das hat ihm mehrfach, nicht ganz zu Unrecht, den Ruf einer ‚Reflex-Ästhetik’ eingebracht. Eines automatisierten Übertreibens. Currentzis indes wäre nicht bereits über 15 Jahre lang international erfolgreich, wenn sich seine Arbeit auf derlei schlichte Grundbestandteile reduzieren liesse. Er ist besser. Als letzter Schüler des bedeutendsten russischen Dirigierlehrers schlechthin, Ilya Musin (von ihm kommen Valery Gergiev, Tugan Sokhiev, Yuri Temirkanov und viele andere russische Dirigenten der Jetztzeit), verfügt Currentzis über einen topsoliden handwerklichen Background. Die musikalischen Tugenden seines Ensembles

Teodor Currentzis dirigiert Verdis Messa da Requiem beim Osterfestival 2019 in Luzern. Mit der Mezzosopranistin Eve-Maud Hubeaux.

MusicAeterna bestehen aus maximalem Binnenschliff, einer nervösen, zum Bersten gespannten Temperamentslage und unreduziert lyrischem Brio. Currentzis, der sich in der Tradition des grossen griechischen Dirigenten Dmitri Mitropoulos sieht, ist ein Ekstatiker unter den Dichtern am Pult. Ein Essenzialist, der beinahe manisch alles zu durchleuchten sucht. Der darüber hinaus jedoch das grosse Ganze niemals vernachlässigt. Vom Repertoire her gehört er zu jener Generation jüngerer Dirigenten, die von der Alten Musik geprägt wurden – und die dennoch die Musik jeglicher

Maskottchen seines berühmten Professors Musin war ihm die Aufmerksamkeit seiner Umwelt gewiss. Currentzis, der seinen russischen Lebensmittelpunkt als Exil auffasst (und sich neuerdings sehr russlandkritisch äussert), war klug genug, eine sich 2004 bietende Chance zu ergreifen, um im sibirischen Nowosibirsk seine erste Chefdirigentenstelle anzutreten. Hier gründete er sein Ensemble (plus den Neuen Sibirischen Sänger-Kammerchor). Er begann, sich mit Aufführungen Mozarts einen Ruf zu erwerben und eine Fama zu begründen. Da Currentzis vornehmlich mit seinen

«Ich gehe so auf die Bühne, wie ich immer bin» Epoche dirigieren wollen (ähnlich wie François-Xavier Roth, Pablo Heras-Casado andere). Ein Universalist also, der mit der Brille der historischen Aufführungspraxis auch auf Tschaikowsky, Mahler oder Arvo Pärt blickt. Und dadurch unerhörte Details freilegt, ungeahnte Perspektiven eröffnet. Geboren wurde der Mann 1972 in Athen. Von der Violine – und vom Schauspiel – her kommend, wechselte er 1994 nach Sankt Petersburg, um seine Dirigierstudien zu intensivieren. Als einer der jüngsten Adepten, beinahe

eigenen Musikern arbeitet, konnte er von früh an auch eine sehr spezielle Probentechnik entwickeln und durchsetzen. Diese hat bis heute zur Folge, dass viele Termine des Mannes ständig abgesagt werden müssen. «Currentzis probt noch», heisst es dann. Er probt länger und länger. Kein Zweifel, dass sich in der luziden, aber auch rigiden Ästhetik dieses Musikers ein Freund musikalischer Leibeigenschaft zeigt. Man muss sich ihm ganz ergeben, um mit ihm in den Genuss künstlerischer Triumphe zu gelangen.

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Bild: Somedia / Philipp Baer

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Teodor Currentzis: «Musikmachen ist keine materielle, sondern eine spirituelle Sache. Der richtige Geist muss dabei sein.» Kürzlich hat Currentzis angekündigt, seine Stelle am Opernhaus von Perm aufzugeben, wo er seit 2011 amtet. Dort residiert er, wie Besucher berichten, mit eigenem Koch, eigenem Masseur auf einem Anwesen, das grossfürstlichen Ansprüchen genügt. Durchgängig dort gewesen sein kann er nicht – angesichts einer hyperaktiven Tourneepolitik seines Ensembles. Currentzis hatte stets verlauten lassen, nur mit Orchestern zusammenarbeiten zu wollen, die mit der historischen Aufführungspraxis vertraut sind. Auch deswegen dirigierte er mehrfach, relativ exklusiv, so beispielsweise am Opernhaus Zürich Verdis «Macbeth». Zur Camerata Salzburg und zu wenigen anderen Ensembles liess er sich einladen. Als er im vergangenen Jahr überraschend das SWR Symphonieorchester übernahm – welches eigentlich von der Neuen Musik herkommt –, bestätigte sich sein Ruf als Desperado und Mainstream-Verächter der Branche. Welcher freilich mit dem Festival-Betrieb etwa von Salzburg oder Bremen – woselbst er in diesem Jahr den Musikfest-Preis erhält – erstaunlich kompatibel ist. «Ich bin kein Enfant terrible», sagt er im Gespräch, «und kein Punk! Ich bin ein Musiker, der seine Arbeit tut.» Seine

Musikauffassung sei impulsiv. Seine Ästhetik bestimmen sollten andere. «Musikmachen ist keine materielle, sondern eine spirituelle Sache. Der richtige Geist muss dabei sein.» Er sehe sein Orchester jeweils wie eine Familie an. «Ich bin mir nicht gerne sicher über meine eigenen Sachen. Ich muss suchen und unsicher sein dürfen.» Das gehe nur unter Freunden und werde vielerorts sogar «nicht gern gesehen. Weil man es für unentschlossen hält», so Currentzis. «In meinen Augen bin ich genauso faul ich wie aussehe. Und glauben Sie bloss nicht, dass ich mich gut dabei fühle», sagt er offen, beinahe zerknirscht. Currentzis hat mit den Klischees, die über ihn im Umlauf sind, zu leben gelernt. «Wenn es um mich geht, schreiben die Leute immer gern, was ich für merkwürdige Hosen trage und mit welchen Schuhen ich auf die Bühne komme. Auch meine Haare sind ein beliebtes Thema.» Er wolle das nicht weiter bewerten, «aber in Wirklichkeit ist es so, dass ich in denselben Hosen, in denselben Schuhen und mit derselben Frisur auf die Bühne komme, die man auch ausserhalb des Theaters an mir wahrnehmen kann. Ich gehe so auf die Bühne, wie ich immer bin.» Dass das als exzentrisch wahrgenommen werde, finde er merkwürdig. «Wenn ich

damit anfangen würde, im Frack vors Orchester zu treten, müsste ich es immer tun. Das geht mir zu weit.» Sein Verhältnis zur Musik ist in Wirklichkeit – wie bei vielen Musikern – erotisch. Die Musik sei zwar nicht direkt eine «Form des Liebesaktes», sagt er. Aber das Geschlecht, das Genus eines Orchesters sei für ihn eindeutig: «weiblich! Die ganze Welt ist weiblich für mich.» Das meine er nicht unbedingt sexuell, so Currentzis. «Es betrifft die Energie der Welt.» Eine grosse Sache. Immerhin: «Für mich kann es kein grösseres Kompliment geben als wenn man mir sagt: Nach dem Konzert sind wir nach Hause gekommen und haben uns geliebt.» Damit wäre er bei Mozart, dem wohl grössten Erotiker der Musikgeschichte, an der genau richtigen Adresse. »Don Giovanni», «Le nozze di Figaro» und «Così fan tutte» hat Currentzis auch schon auf CD aufgenommen. Alle drei Werke bringt er in diesem Sommer konzertant nach Luzern. Und zwar in teilweise exklusiveren Besetzungen als auf den Platteneinspielungen – so zum Beispiel mit Alex Esposito als Figaro und Cecilia Bartoli als Despina. Letzteres ist eine der sensationellsten Begegnungen und Musiker-Kombinationen dieses Jahres. Currentzis hat es sich verdient. ■

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lucerne festival Vor 100 Jahren wurde der Schweizer Tenor Ernst Haefliger geboren – eine Edition erinnert an den Sänger

Singen und Sagen Über fünfzig Jahre lang war er aktiv als vielgefragter Oratoriensänger und Liedinterpret, als lyrischer Tenor an der Deutschen Oper Berlin sowie als Gesangspädagoge an der Musikhochschule München. Zu seinem 100. Geburtstag am 6. Juli erinnert eine CD-Edition der Deutschen Grammophon zum Teil mit Erstveröffentlichungen und CD-Premieren an Ernst Haefligers beachtliches künstlerisches Vermächtnis. Werner Pfister Eigentlich wollte Ernst Haefliger, geboren und aufgewachsen in Davos, gar nicht Sänger werden, sondern den Lehrerberuf ergreifen. Also studierte er Schulmusik am Seminar in Wettingen sowie am Zürcher Konservatorium. Doch dann begegnete er dem deutschen

Ernst Haefliger in Luzern Im Festspielsommer 1943 debütierte Ernst Haefliger bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern (wie das Lucerne Festival damals hiess); auf dem Programm standen Schubert-Lieder. Bereits ein Jahr später stellte Volkmar Andreae, Haefligers «Entdecker» von 1943, den jungen Tenor in Bruckners Te Deum vor. Bis 1970 kehrte Haefliger insgesamt zwanzig Mal zu den Musikfestwochen zurück. Allein Beethovens neunte Sinfonie sang er hier viermal – 1948 und 1954 unter Furtwängler sowie 1958 unter Karajan und 1970 unter Kubelik. Unter Karajan wirkte er auch in Bachs h-Moll Messe mit, unter Kubelik in Haydns «Jahreszeiten», in Janáčeks «Glagolitischer Messe» sowie in Dvořáks Stabat mater. An der Seite von Maria Stader sang er 1946 in der Jesuitenkirche Mozarts Requiem, mit Elisabeth Schwarzkopf Händels «Messias». Im Festspielsommer 1958 trat er unter Fricsay in Rossinis Stabat mater auf, im Sommer 1964 in Haydns «Jahreszeiten» unter Karl Richter. Bachs Magnificat sang er sowohl unter der Stabführung Karajans wie Hindemiths. Von Beethovens Neunter 1954 unter Furtwängler – seiner letzten Aufführung dieses Werks, das er in seinem Leben insgesamt 103 Mal dirigiert hatte – hat sich ein klanglich durchaus akzeptabler Mitschnitt erhalten, veröffentlicht in Zusammenarbeit mit dem Lucerne Festival bei audite (95.641).

Bariton Willy Rössel, der aus gesundheitlichen Gründen bereits 1908 nach Davos gezogen war und hier als Musiker und Pädagoge eine rege Tätigkeit entfaltete. Rössel war einst Mitglied des Leipziger Thomanerchors gewesen – zweifellos eine stilbildende Schulung, die nun dem jungen Schulmusiker Ernst Haefliger zugute kommen sollte. Bei der Abschlussprüfung am Konservatorium hörte ihn Volkmar Andreae, der Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich und Leiter stadtbekannter Chöre, und engagierte den jungen Prüfling umgehend als Evangelisten für Bachs «Johannes-Passion» am Karfreitag 1943 in der Zürcher Tonhalle. Ein stolzes Debüt. Anstatt den Verlockungen einer frühen Karriere nachzugeben, studierte Ernst Haefliger weiter, zuerst bei Julius Patzak in München, dann beim namhaften italienischen Gesangspädagogen Fernando Capri, der ihn in die Tradition des lyrischen Belcanto einweihte und für eine Opernlaufbahn vorbereitete. Entscheidend wurde für Haefliger sein Debüt bei den Salzburger Festspielen 1949, wo er unter Ferenc Fricsay den Tiresias in der Uraufführung von Carl Orffs «Antigone» verkörperte und den Ersten Geharnischten in einer von Furtwängler geleiteten «Zauberflöten»-Produktion sang. Fricsay empfahl den jungen Haefliger an die Deutsche Oper Berlin, wo er ab 1952 während 20 Jahren das lyrische Tenorfach von Rossinis «Barbiere» bis zu Pfitzners «Palestrina» sang. Mit Fricsay machte Haefliger auch einige Operneinspielungen für die Deutsche Grammophon: als Tamino in der «Zauberflöte», als Belmonte in der «Entführung», als Don Ottavio im «Don Giovanni», aber auch als Florestan in Beethovens «Fidelio». Zudem sang er in Beethovens Neunter, in Mozarts c-Moll-Messe oder in Rossinis Stabat ma-

ter – Aufnahmen, die vor allem dank Fricsays eminentem Künstlertum Schallplattengeschichte schrieben. Möglicherweise noch entscheidender für Haefligers künstlerische Laufbahn wurde die Begegnung mit Karl Richter, dem Gründer und Leiter des Münchener BachChors und Bach-Orchesters. Am 12. Januar 1958 traten sie in Berlin erstmals gemeinsam auf; auf dem Programm: die Bach-Kantate «Ich hatte viel Bekümmernis». Zahllose Kantaten-Konzerte und Aufführungen der Passionen sowie der h-Moll-Messe schlossen sich in den folgenden Jahren an, vieles davon auf Archiv-Schallplatten der Deutschen Grammophon festgehalten bis zur letzten gemeinsamen Aufnahme im Juli 1969 – auch sie der Kantate «Ich hatte viel Bekümmernis» gewidmet. Noch heute staunt man ob der künstlerischen Souveränität Ernst Haefligers. Sicher, seine Stimme – das, was man


allgemein gerne als «Material» bezeichnet – war klanglich kaum attraktiv: ein helles, ja ein weisses Timbre ohne nennenswerten Facettenreichtum an Klangfarben. Auch gesangstechnisch war nicht alles zum Besten bestellt: Hohe Töne rutschten ihm immer wieder in die Kehle, was zu gepresstem Gesang führte. Bewundernswert blieben jedoch die lyrische Anmut seines Gesangs sowie seine intensive Textausdeutung. Singen und Sagen waren für Haefliger stets eines; seine sängerische Botschaft war stets auch eine menschliche, erfühlt und darum berührend. So verwundert es nicht, dass er vor allem in den Evangelisten-Partien in Bachs Passionen jahrelang Massstäbe setzte. Kultiviertes Stilempfinden zeichnete auch den Liedersänger Ernst Haefliger aus: ein konzentrierter Gestalter, dessen Gesang ganz dem vertonten Dichterwort verpflichtet war. Im Zentrum standen Schuberts Liedzyklen sowie Lieder von Schumann, aber auch mit Othmar Schoeck konnte er ein Publikum begeistern. Aribert Reimann schrieb für Haefliger den Zyklus «Engführung», den die beiden am 23. Januar 1968 in Berlin zur Uraufführung brachten – eine von über 20 Uraufführungen, bei denen Haefliger mitwirkte, vielfach in Werken von Schweizer Komponisten, die in ihm einen besonders beherzten Anwalt hatten. Unvergessen ist auch Haefligers später Auftritt als Gustav von Aschenbach in Brittens «Death of Venice» 1974/75 am Stadttheater Bern. Seine weitreichenden künstlerischen Erfahrungen in einem Repertoire, das von Guillaume de Machaut bis ins 20. Jahrhundert reichte, liess Haefliger in späteren Jahren vermehrt auch dem sängerischen Nachwuchs zukommen – als Professor an der Musikhochschule München von 1971 bis 1981 sowie in zahlreichen Meisterkursen. Die Summe solcher pädagogischen Tätigkeit zog er schliesslich in seinem Buch «Die Singstimme», veröffentlicht 1984 bei Schott in Mainz. Noch 1995 sang er Schuberts «Winterreise» in London, New York und Mailand, jetzt begleitet von seinem Sohn Andreas Haefliger. Und im Herbst 2006 fand in Gstaad erstmals der Concours Ernst Haefliger statt. «Es war ein strenges Programm», erinnerte sich Aviel Cahn, der künstlerische Direktor des neu gegründeten Gesangswettbewerbs. «Eine Woche lang, ab zehn Uhr morgens den ganzen Tag junge Sänger anhören. Würde unser Namensgeber durchhalten, wo schon jüngere Juroren Konditionsprobleme haben? Bereits eine halbe Stunde vor Beginn nahm Ernst Haefliger seinen Ehrenplatz ein. Er war immer der Erste …» ■

Bild: DGG

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Setzte mit den Evangelisten-Partien in Bachs Passionen Massstäbe: der Tenor Ernst Haefliger.

The Ernst Haefliger Edition Weitaus die meisten seiner Schallplatten-Einspielungen machte Ernst Haefliger für Deutsche Grammophon und deren Archiv-Produktion. Die Jubiläums-Edition bietet eine repräsentative Auswahl. Besonders willkommen sind die drei Schubert-Liederzyklen sowie eine weitere CD mit Schumanns «Dichterliebe» op. 48 und Beethovens «An die ferne Geliebte». Eine herausragende Bedeutung kommt zudem Janáčeks Liederzyklus «Aus dem Tagebuch eines Verschollenen» zu, weil Haefliger hier vom Janáček-Spezialisten Rafael Kubelik begleitet wird – eine Referenzaufnahme. Der Bach-Sänger ist mit Arien aus Kantaten und Passionen vertreten. Höhepunkte sind zweifellos die beiden Solokantaten für Tenor, wobei «Meine Seele rühmt und preist» hierzulande erstmals auf CD veröffentlicht wird. Eine weitere CD ist dem Mozart-Sänger gewidmet – mit Auszügen aus Fricsays Operneinspielungen («Così fan tutte» dirigierte Eugen Jochum). Zweifel-

los ein stilreiner, wenn auch ein wenig anämischer Mozart-Gesang. Weiter geht es mit Bruckners Te Deum unter Jochum (auch das eine Referenzaufnahme), mit Auszügen aus Rossinis Stabat mater (hier mit einem beeindruckend höhensicher gesungenen hohen Des) sowie Arien aus Opern von Rossini, Nicolai oder Verdi. Diese hingegen können aus heutiger Sicht kaum mehr überzeugen – zu sehr wird hörbar, wie Haefliger hier an die Grenzen seiner stimmlichen Mittel stösst. Hört man sich, um nur ein einziges Beispiel zu anzuführen, das Duett aus dem «Barbiere» mit Haefliger und dem Bariton Raimund Grumbach (hier in einer Einspielung aus Berlin von 1964) an, so muss man konstatieren: Das haben Fritz Wunderlich und Hermann Prey 1959 in München weit packender gestaltet, stilistisch wie stimmlich. The Ernst Haefliger Edition. DG 4837122 (12 CDs)

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lucerne festival LUCERNE FESTIVAL Sommer-Festival 2019 16. August – 15. September 2019

Montag, 26. August | 40 min «Zeit für Romantik – mit dem Mahler Chamber Orchestra» Mahler Chamber Orchestra | Jakub Hrůša

Dienstag, 3. September | 12.15 Uhr | Luzern, Lukaskirche Debut 4 Daniel Lebhardt Klavier

Dienstag, 27. August | 40 min «Surprise! Entdeckungen mit Orchester» Orchester der Lucerne Festival Academy | David Fulmer | Ruth Reinhardt

Donnerstag, 5. September | 12.15 Uhr | Luzern, Lukaskirche Debut 5 Pablo Ferràndez Violoncello | Luis del Valle Klavier

PODIUMSDISKUSSIONEN 4 verschiedene Podiumsdiskussionen | Eintritt frei Sonntag, 25. August | 15.00 Uhr | Luzern, KKL, Auditorium Andrea Gmür-Schönenberger, Dr. Bernhard Pulver, Etrit Hasler, Käthi Gohl «Kunst und Politik» Sonntag, 1. September | 17.00 Uhr | KKL Luzern, Auditorium NZZ-Podium: Micheline Calmy-Rey, Igor Levit, Rainer Hank und Michael Haefliger, Moderation Martin Meyer «Spiel und Schrecken» Montag, 2. September | 17.15 Uhr | Luzern, Universität Luzern Wolfgang Rihm und Ulrich Konrad «Die Macht der Musik» Sonntag, 8. September | 16.00 Uhr | Luzern, KKL, Auditorium Wolfgang Rihm und Christian Wildhagen NZZ trifft Lucerne Festival

MUSIC CAMP «SUPERAR SUISSE MEETS SINFONÍA POR EL PERÚ» Lucerne Festival und Superar Suisse führen dieses Jahr erneut gemeinsam ein internationales Orchestercamp mit rund 200 Kindern und Jugendlichen durch. Die Jugendlichen aus der Schweiz, Österreich und Peru erarbeiten vom 12. bis 17. August ein sinfonisches Programm, das am 17. August im Konzertsaal des KKL Luzern präsentiert wird. Samstag, 17. August | 11.00 Uhr | Luzern, KKL, Konzertsaal Young Familienkonzert «Superar Suisse meets Sinfonía por el Perú» Orchester des Music Camp von Lucerne Festival | Chor des Music Camp von Lucerne Festival | Gerald Wirth, Hugo Carrio

Donnerstag, 29. August | 40 min «Many Many Oboes: Musette, Lupophon & Co» Matthias Arter | Martin Bliggenstorfer | Valentine Collet | Heinz Holliger | Béatrice Laplante | Béatrice Zawodnik Mittwoch, 4. September | 40 min «Spot on: Rihms Dis-Kontur» Orchester der Lucerne Festival Alumni | Mariano Chiacchiarini Donnerstag, 5. September | 40 min «Spot on: Schönbergs Fünf Orchesterstücke op. 16» Orchester der Lucerne Festival Alumni | Riccardo Chailly Dienstag, 10. September | 40 min «Sergej und der Wolf. Prokofjew – ein Leben im Schatten der Macht» Studierende der Hochschule Luzern – Musik | Susanne Stähr Mittwoch, 11. September | 40 min «Portrait Thomas Kessler» Studierende der Hochschule Luzern – Musik | Ruth Reinhardt | Daniela Argentino

FILM Freitag, 30. August | 18.00 Uhr | KKL Luzern, Auditorium «Macht und Musik». Dokumentarfilm von Maria Stodtmeier und Isa Willinger

8x während des Festivals | jeweils 18.20– 19.00 Uhr | KKL Luzern, Luzerner Saal | Eintritt frei Die Gratis-Konzertreihe präsentiert am frühen Abend 40 Minuten Musik zum Kennenlernen und für Kenner, zum Einsteigen und zum Eintauchen: Programme zwischen Unterhaltung und Herausforderung, zwischen Alter und Neuer Musik, die von den Künstlern selbst moderiert werden. Freitag, 23. August | 40 min «Sprachmusik: Spoken Words mit neuen Klängen» Orchester der Lucerne Festival Academy | Mivos Quartet | Saul Williams | Thomas Kessler

Donnerstag, 12. September | 12.15 Uhr | Luzern, Lukaskirche Debut 7 Esmé Quartet

Karten und Informationen www.lucernefestival.ch ticketbox@lucernefestival.ch +41 (0)41 226 44 80

Festival-Termine | Vorschau PIANO-FESTIVAL 16.–24. November 2019 Rudolf Buchbinder | Festival Strings Lucerne | Dame Mitsuko Uchida | Claire Huangci | Evgeny Kissin | Danae Dörken | Arcadi Volodos | Alexander Ullman | Igor Levit | Víkingur Ólafsson u.a. Online-Direktbuchung ab Montag, 5. August 2018, 12.00 Uhr | Schriftlicher und telefonischer Kartenverkauf ab Mittwoch, 7. August 2019 | Schalterverkauf im KKL Luzern ab Freitag, 16. August 2019

ALLGEMEINE INFORMATIONEN DEBUTS

LUCERNE FESTIVAL – 40 MIN

Dienstag, 10. September | 12.15 Uhr | Luzern, Lukaskirche Debut 6 Bomsori Kim Violine | Michail Lifits Klavier

Donnerstag, 22. August | 12.15 Uhr | Luzern, Lukaskirche Debut 1 Marianna Bednarska Perkussion Dienstag, 27. August | 12.15 Uhr | Luzern, Lukaskirche Debut 2 und Klavier op. 185 Fassung für Saxofon, Harle RANT! (Schweizer Erstaufführung) Jess Gillam Saxofon | Zeynep Özsuca Klavier Donnerstag, 29. August | 12.15 Uhr | Luzern, Lukaskirche Debut 3 Trio Eclipse

Ermässigungen Studenten, Schüler und KulturLegi-Inhaber Studenten, Schüler, Berufsschüler und Mitglieder JTC bis inkl. 29 Jahre sowie KulturLegi-Inhaber erhalten bei Vorweisen eines gültigen Ausweises ab einer Stunde vor Konzertbeginn für nicht ausverkaufte Veranstaltungen Karten zu CHF 20. Spezielle Studentenangebote sind unter www.lucernefestival.ch ausgewiesen.

Aktion «Luege | Lose | Erläbe – gemeinsam ins Konzert» Beim Kauf einer Eintrittskarte für ausgewählte Veranstaltungen erhalten Erwachsene eine gleichwertige Freikarte für ihre jugendliche Begleitung (bis 17 Jahre) dazu. Die Konzertauswahl finden Sie unter www.lucernefestival.ch.


impressum

impressum 40. Jahrgang, Sommer 2019 Special Edition Lucerne Festival, Sommer 2019

Redaktion Reinmar Wagner, Werner Pfister

Herstellung Somedia Production AG

Redaktionsanschrift: Somedia Production AG Musik&Theater Sommeraustrasse 32, CH-7007 Chur Tel. +41 44 491 71 88, Telefax 044 493 11 76 http://www.musikundtheater.ch redaktion@musikundtheater.ch

Autorinnen und Autoren dieser dieser LF-Edition Priska Ketterer (Fotos), Kai Luehrs-Kaiser, Thomas Meyer, Werner Pfister, Stephan Thomas, Reinmar Wagner

Korrektorat Somedia Production AG

Herausgeberin Somedia Production AG Sommeraustrasse 32 Postfach 491, CH-7007 Chur Verlagsleitung Ralf Seelig Tel. +41 81 255 54 56 ralf.seelig@somedia.ch Chefredaktor Andrea Meuli

Anzeigen print-ad kretz gmbh Austrasse 2, 8646 Wagen Tel. +41 44 924 20 70, Fax +41 44 924 20 79 E-Mail: info@kretzgmbh.ch Redaktionelle Kooperationen Musik&Theater +41 44 491 71 88 redaktion@musikundtheater.ch Abonnementverwaltung Kundenservice/Abo Sommeraustrasse 32 Postfach 491, CH-7007 Chur Tel. 0844 226 226, abo@somedia.ch

Copyright Musik&Theater, Somedia AG Alle Rechte vorbehalten

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Bekanntgabe von namhaften Beteiligungen der Somedia Press AG i.S.v. Art. 332 StGB: LZ Linth Zeitung AG.

ISSN 0931-8194

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