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Die japanische Pianistin Mitsuko Uchida ist «artiste étoile» beim Lucerne Festival
«… und mit der innigsten Empfindung» Sie gehört zu den wirklichen künstlerischen Persönlichkeiten unserer Zeit, ebenso sensibel wie kompromisslos, stets auf dem schmalen Grat, der das Besondere vom Gewöhnlichen trennt. Eine Annäherung an Mitsuko Uchida und die Suche nach der musikalischen Wahrheit in ihrem Spiel. Jürgen Otten (Text) & Priska Ketterer (Bilder) Fälschungen von Kunstwerken sind ein eigen(mächtig) Ding – und so ist es zuweilen auch mit dem, was über Menschen zu hören oder zu lesen ist. Mitsuko Uchida, heisst es, sei 1948 in Tokio zur Welt gekommen. Das Datum stimmt. Der Ort indes nicht. Die Tochter eines japanischen Diplomaten wurde in einer kleinen Küstenstadt geboren. Da aber die Lagebeschreibung dieses Marktfleckens recht umständlich geriete, liess Uchida sich die leichte geografische Verschiebung einfallen, um etwaigen (störenden) Nachfragen aus dem Weg zu gehen. Alles Weitere entspricht der Realität. So zum Beispiel, dass es dem unbeugsamen Willen ihres Vaters zu danken ist, dass sie mit Musik in Berührung geriet. Herr Uchida verbrachte viele Jahre in Europa und war dann der entschiedenen Meinung, seine Sprösslinge sollten in den Genuss der reichen Kultur dieses
sprich, die Musik Haydns, Mozarts, Beethovens und Schuberts, bildet das Zentrum ihrer Anschauung als Pianistin. Dieser Metropole der Kunst, sagt Mitsuko Uchida, verdanke sie im Grunde alles. Vor allem: Erkenntnisgewinn. Vermutlich geht man nicht zu weit, wenn man die Vermutung anstellt, diese aussergewöhnliche Pianistin würde nicht zum Kreis der Olympier zählen, wäre sie in Japan geblieben (was sie selbst übrigens genau so sieht). Ex negativo gibt es für diese These zureichende Belege: Obschon die japanische Klavierausbildung zu den extensivsten zählt und obwohl Tausende junge Menschen eisern trainiert werden, um irgendwann einmal in die Fussstapfen ihrer berühmten Landsfrau treten zu können, hat es nicht eine(r) auch nur annähernd geschafft. Uchidas Stern leuchtet einsam. Was Mozart betrifft, dessen Klavierwerk sie in toto durchdrungen hat,
«… eine Stimmung heraufbeschwören, einen imaginären Ort kreieren» Kontinents gelangen. Konkret bedeutete dies, dass seine Tochter Mitsuko mit drei Jahren den ersten Klavierunterricht erhielt und zwölf war, als die gesamte Familie nach Wien übersiedelte. Schnell fand sie dort ihr künstlerisches Zuhause, studierte bei Richard Hauser, blieb danach in der Stadt und sagt heute, etwas Besseres hätte ihr nicht passieren können. Wien und damit die klassische Musik der ehedem habsburgischen Kapitale,
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leuchtet er auf einer Höhe mit den Grössen dieses Fachs, mit Serkin, Casadesus, mit Eschenbach, Brendel und Ashkenazy (von den «Jungen» darf man Anderszewski, Aimard und Andsnes hinzuzählen). Uchidas Mozartspiel, dem man das hohe Mass an Affinität zu der Kultur, aus der diese Musik stammt, bei jedem Ton anmerkt, bewegt sich auf dem schmalen Grat, der das Besondere vom Gewöhnlichen gerade bei diesem
Komponisten trennt: Es ist feingliedrig, nicht fragil; sensibel, nicht sentimental; nachdenklich, nicht kopflastig; romantisch, nicht kitschig; federnd, nicht flatterhaft; eindringlich, nicht aufdringlich. Dennoch klingt Uchidas Mozart anders als bei den Genannten. Sein Atem geht einen Hauch ruhiger, sein Puls flacher, nie je aufgeregt, fast möchte man sagen: philosophisch beruhigt. Und noch etwas: Dieser Mozart ist leiser, schwebender, ätherisch irgendwie. Man muss nicht lange nach den Ursachen für diesen Unterschied suchen – und nebenbei zugeben, absichtlich eine der grössten Mozart-Interpreten aller Zeiten ungenannt zu lassen: Clara Haskil! Der Grund: Es ist ein typisch weiblicher Mozart, den Uchida spielt (was wiederum nicht bedeutet, er sei zärtlicher, da ist Anderszewskis Mozart davor). Zwar wird kein Konflikt gescheut, keine Härte. Und doch wirken all die Kontraste wie mit einem Stift gezeichnet und nicht mit dem Pinsel gemalt. Das Wort Kraft kommt in diesem Mozart-Verständnis nicht vor; und würde man eine Opernszene Mozarts imaginieren, entstammte sie wohl kaum der Sphäre des Durchtrieben-Dämonischen, wie sie im Don Giovanni konstituiert ist, oder der des Erhabenen, Seriahaften wie in La clemenza di Tito und, in Teilen, im Idomeneo. Uchidas Mozart erinnert habituell weit mehr an Il re pastore, Bastien und Bastienne sowie an weite Teile aus Così fan tutte und Le Nozze di Figaro. So sehr sie Mozart liebt – man sollte darüber nicht die beiden anderen Wiener Genies vergessen, deren Klavierwerken sich Mitsuko Uchida eingehend gewidmet hat: Franz Schubert und Ludwig van Beethoven. Insbesondere dem Spätwerk Beethovens hat sie sich in den vergangenen Jahren intensiv zugewandt,
17.07.13 15:04