artists und das nicht ohne guten Grund: Das Überschwappend-Leidenschaftliche, die typisch männliche Gebärde in vielen der frühen und mittleren Sonaten ist Uchidas Sache kaum («Ich bin ein Anti-Virtuose», sagt sie), und das Athletisch-Artistische an dieser Musik liegt ihr doch zu fern. Der typisch japanische Hang zur Distinktion, zur Zurückhaltung könnte in dieser Anschauung zum Tragen kommen. Wie sehr sich Uchida hingegen auf dem Feld des späten Beethoven, in diesem ontologisch-musikalischen Dreieck aus Gott, Welt und Seele, inmitten all der Zersplitterung von Erscheinungen und Ereignissen zurechtfindet, zeigt allein ihre Lesart der A-Dur-Sonate op. 101, die sie zu ihren liebsten zählt: Die Vorschrift des ersten Satzes mutet an, als sei sie eigens für sie ersonnen: «... und mit der innigsten Empfindung». Wie ein Wiegenlied spielt Uchida diese Momente aus, dabei die harmonische Dichotomie sehr deutlich darstellend. Generell ist ihr Verhältnis zum Notentext ein beinahe philiströses, so penibel und minutiös befolgt sie die Spielanweisungen, und das beileibe nicht nur in der Causa Beethoven. Was jedoch nicht zu verwechseln ist mit Nibelungentreue. In jedem Takt wird bei Mitsuko Uchida eine Distanz zum schöpferischen Subjekt evident, eine Originalität, die Subjektivität und Authentizität in einem sehr positiven Sinne meint. Und insbesondere in der Verbindung der scheinbaren Gegensätze von Eigensinn und Empathie liegt der Zauber ihrer Interpretationen. Anders gesagt. Der Text ist ihr heilig, aber er ist für sie zugleich eine Art Gral; sein Inhalt mehrdeutig. Im Falle des späten Beethoven weist dies eine enorme Nähe zu Schuberts Existenzialismus auf. Und das kann sie so wunderbar wie sonst nur noch Radu Lupu und Grigory Sokolov, die beiden anderen Lyriker unter den grossen lebenden Pianisten: eine Stimmung heraufbeschwören, einen imaginären Ort kreieren, der sehr fern zu sein und irgendwie zu schweben scheint. Was sie unterscheidet von vielen: Sie pflegt zum reifen Beethoven ein ebenso vertrautes Verhältnis wie zu Schubert. Die harmonischen Reisen, die beide Komponisten, wiewohl in differenter Ausprägung und vor allem in unterschiedlichem Tempo vornehmen, sind wie gemacht für Mitsuko Uchida. Und mehr noch als bei Beethoven, so konfrontiert sie den Hörer in den Klaviersonaten Schuberts mit dessen Seelenzerrissenheit. Nicht ist, wie es scheint, alles gleichsam klingende Ambiguität, auf dem Sprung und ständig in Gefahr, umgestossen, aus der Bahn geworfen, umentschieden zu werden. Im Unterschied
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etwa zu Radu Lupu, der die Schubertischen Dämonen auf Klangwolken vorüberziehen lässt, schleift Mitsuko Uchida die zahllosen Kanten so gut wie nie: Wo eine Kante ist, da sei sie eben auch eckig, scharf und verletzend. Es besteht ja, zum Glück, daneben noch der Gesang auf den Flügeln des Geistes. Und darin ist Mitsuko Uchida wahrlich eine Meisterin. Wie anders klingt ihr Schumann. Ist Schubert bei Mitsuko Uchida stets in der Gefahr, der Welt abhanden zu kommen, so zeigt sie uns Schumann als einen dem Irdischen zugewandten Vertreter des Sturm und Drang (was nicht wortwörtlich als epochenzugeschriebener Begriff zu missverstehen ist). Da waltet bisweilen eine Grandezza, die man Mitsuko Uchida kaum zutrauen würde, wüsste man nicht um ihre fulminanten BartókAusdeutungen. Aber es gibt, natürlich, die Gegenseite: das Zart-Versponnene bei Schumann, das leise Singende, das Naiv-Sentimentalische, Augenblicke des Sich-aus-der-Welt-Stehlens. Man könnte über Mitsuko Uchida Ähnliches sagen. Ihr Wesen hat etwas Versponnen-Ureigenes, etwas Sich-
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Entfernendes, etwas, das von sich weg weist (und einen Weg weist), sich selbst als Figur aus dem Zentrum rückt. Wenn sie sagt, Musik sei alles, sie hingegen, als Interpretin, eher wenig, dann klingt das nicht kokett. Es ist ihre Überzeugung, schlicht wie ergreifend. Und sie ist garantiert so echt wie ihr Wiener Dialekt, den man nun wirklich nicht anders als charmant finden kann. ■ Mitsuko Uchida am Lucerne Festival 2013: 20. August 2013, Rezital. Werke von J. S. Bach, Schönberg, Schumann 27. August, Liedrezital mit Dorothea Röschmann. Werke von Berg, Schumann 1. September, Kammermusik mit dem Quatuor Ebène. Franck, Klavierquintett f-Moll 7. September, Konzert Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons. Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur
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