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thema Das Lucerne Festival sucht nach seinem Publikum von morgen

«Bis wann fühlt man sich noch jung im Konzertsaal?» Das Lucerne Festival bietet für nahezu jeden Lebensabschnitt ein massgeschneidertes Konzertangebot. Man sollte nur sein Lebensalter genau kennen. Jenny Berg

«Revolution findet täglich statt – im Kinderzimmer!» So werden die Anlässe der Linie «Young» des Lucerne Festivals angekündigt. Und da hat der Werbetexter ausnahmsweise einmal recht. Auch bei uns findet Revolution täglich statt − aber nicht nur im Kinderzimmer. Auch im Badezimmer, in der Küche, im Flur – einfach überall. Denn meine Tochter ist drei Jahre alt. Wie alle Dreijährigen will sie die Welt erobern. Und wehe, es hat jemand etwas dagegen. Vielleicht sollte ich mit meiner Tochter einmal das Lucerne Festival besuchen. Da gibt es einen Anlass zum Thema: «Wer ist der Mächtigste auf der Welt?» Samuel Zumbühl hat die getanzte Handlung von Bohuslav Martinus Ballettkomödie in eine Erzählung umgearbeitet. Die Protagonisten sind: eine Mäusefamilie. Dazu spielt ein Saxophonquartett. Ein Sitzkissenkonzert für Kinder ab vier Jahren. Und da haben wir schon das erste Problem. Meine Tochter ist drei, nicht vier. «Die engagierten Eltern bringen auch jüngere Kinder mit», sagt Johannes Fuchs, Leiter der Sparte «Lucerne Festival Young». Natürlich schicke er niemanden weg, aber er empfehle, sich an die Altersangaben zu halten. Engagierte Eltern also. Ich würde es eher eigennützig nennen. Schliesslich decken sich unsere Interessensgebiete bei einem Kinderkonzert viel eher als bei einem Spielplatzbesuch. Also müssen die Kinder mit ins Konzert, ein fehlendes Jahr hin oder her. Zumindest am Nachmittag. Dazu bietet sich in diesem Luzerner Sommer reichlich Gelegenheit: Elfmal wird in der neu kreierten Spar-

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te ­«Lucerne Festival 40min» am späten Spätnachmittag 40 Minuten Musik gespielt – ein Vorkonzert wie in der Popbranche. Da trommeln zwölf Schlagzeuger für die Revolution, Pierre Boulez präsentiert revolutionäre Kantaten, oder es heisst: «Saxophone an die Macht!» Womit wir wieder beim Thema wären: Macht. Wenn Kindern etwas missfällt, können sie unglaubliche Macht ausüben. Mag meine Tochter ein Konzert nicht weiter anhören, sagt sie einfach: «Mir ist langweilig!» Und wiederholt es so lange, bis wir mit ihr den Saal verlassen. Das sollte bei den 40-Minuten-

Konzerten kein Problem sein – der Eintritt ist frei, die Türen stehen offen, es darf flaniert werden. Wie übrigens auch bei den «Sitzkissenkonzerten», die eigentlich «Ohnesitzzwangkonzerte» heissen sollten, denn sie brechen mit einem ungeschriebenen Gesetz der klassischen Konzertsituation: Nicht das bei Kindern so gefürchtete Stillsitzenmüssen steht im Fokus, sondern der für ein Konzert ungewöhnlich freie Raum, in dem sich das junge Publikum nach Lust und Laune bewegen darf. Das sollte mal einer im Konzertsaal des KKLs wagen!

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Immerhin ist Revolutionssommer. Und ein thematisch agierendes Festival wie jenes in Luzern findet auch für die Jüngsten einen programmatisch passenden Helden: Robin Hood. Seine Waffe: eine Trompete. Die Musik dieser Luzerner Auftragskomposition schuf Mike Svoboda; es gibt Kostüme, Bühnenbild, Regie und Dramaturgie. Letztere hat Johannes Fuchs übernommen, und er erklärt, wor­ auf es ankommt: «Kinder brauchen eine andere Performance. Da reicht es nicht, dass es schön und sauber ist – der Akt des Musizierens muss erlebbar, sichtbar, spürbar sein.» Wie setzt man das um? Zum Beispiel, indem man die Musiker grundsätzlich auswendig spielen lässt. Und sie in die Arbeit mit Regisseur und Choreograf mit einbezieht. So ist bei «Robin Hood» der Hauptdarsteller ein Musiker: der Trompeter Stefan Dünser vom Sonus Brass Ensemble. Für einmal sitzt die Musik also nicht begleitend im Orchestergraben, sondern sie steht auf der Bühne, im Zentrum des Geschehens. Und nebenbei schafft diese Eigenproduktion fast so etwas wie ein neues Genre: ein Musiktheaterkonzert für Kinder ab acht Jahren. Weshalb nur schon wieder diese Altersbeschränkung? «Das liegt an den Veränderungen im Humor», erklärt Fuchs. «Man kann eigentlich kaum mehr als drei Jahrgänge in einem Raum haben, sonst funktioniert es nicht. Siebenjährige haben zum Beispiel einen Bewegungshumor; sie finden es lustig, wenn jemand stolpert oder hinfällt. Ein Zehnjähriger findet das vielleicht nur noch albern.» Dafür darf ein Zehnjähriger gratis in ausgewählte Hauptkonzerte, wenn die An nahezu jedes Alterssegment ist beim Lucerne Festival gedacht. Kinder als spontanes, auch unerbittliches Publikum.

eigenen Eltern ein Vollpreisticket erwerben. Zudem veranstaltet das Festival szenische Konzerte für Primarschüler und lädt für die Oberstufe «Debütanten ins Schulhaus» – Musiker der Luzerner Reihe «Debüt». Back to the roots sozusagen. An nahezu jedes Alterssegment ist also gedacht. Nur für die Babys und Ungeborenen, die andernorts in sogenannten «Ultraschallkonzerten» in die Welt der klassischen Musik eingeweiht werden, gibt es noch keine eigenen Anlässe – auch wenn Spartenleiter Fuchs dies durchaus interessant findet. Doch vielleicht kann schon bald der ideale Zuhörer von Zeugung an in den Kosmos Lucerne Festival hineinwachsen können. Schon jetzt darf man mit der Volljährigkeit einem neuen Club beitreten: den «Jungen Freunden Lucerne Festival». Auch wenn der Name es nahelegt – es handelt sich dabei nicht um die Nachwuchskaderschule der finanzkräftigen «Freunde des Lucerne Festivals», sondern um ein Netzwerk musik- und kulturinteressierter Erwachsener, die gemeinsam Konzerte, Theateraufführungen, Probengespräche besuchen – und dabei Gleichgesinnte kennenlernen wollen. Mitglied werden kann jeder bis zum Alter von 39 Jahren. Also auch hier die Altersschranke. Weshalb? «Wir haben uns gefragt: ‹Bis wann fühlt man sich noch jung im Konzertsaal?›», sagt Benjamin Beck, verantwortlich für die «Jungen Freunde». In Luzern offensichtlich bis 39. Angesichts des viel diskutierten grauen Teppichs in den Konzertsälen ein gutes Zeichen für den Publikumsnachwuchs in Luzern. Bei den Salzburger Festspielen und an der Metropolitan Opera in New York gilt als jung, wer das 46. Altersjahr noch nicht überschritten hat. n

Bilder: Priska Ketterer

Robin Hood und seine Trompete

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Auch Workshops können dazu beitragen, Kinder und Jugendliche für Musik in all ihren Ausdrucksformen zu interessieren.

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